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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.11.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-11-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18921124024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892112402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892112402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-11
- Tag1892-11-24
- Monat1892-11
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Die Tagesordnung: Wahl der Präsidenten und der Schriftführer, war schnell erledigt, und lau»! war das Hans constitnirt, als auch der Reichskanzler den Saal betrat. Graf Eaprivi siebt, wie man uns schreibt, tvohler aus als im vorige» Jahre; die FrübjabrS- erlwlung in Karlsbad scheint ihm wohlgethan ;» haben. Auch seine Stimme war gestern vernehmlicher als in der vorigen Session, und erst gegen den Schluß seiner Rede, mit der er die Militairvvrlage begründete und die länger als zwei Stunde» dauerte, machte sich eine gewisse Ermüdung geltend. Betreffs der Rede selbst verweisen wir auf den ausführlichen Bericht, aber was deren Wirkung betrifft, so war man im Hause wie unter den „ZeitungS schreibern" oben auf der Tribüne sehr enttäuscht, und diese Täuschung dürfte auch in den nächsten Tagen in der Presse lebhaft zum Ausdruck komme». Seine Ausfüh rungen nahmen viel Zeit und »ekmen viel Raum in Anspruch, aber sie erscheinen Niemand gewichtig. Und während der zwei Stunden errang der Reichskanzler nur da eine lebhafte Beifallsäußerung, wo er auf die Einser Depesche cinging und daS Lügengewebe zerriß, das die Socialkemokratic um die Vorgänge vor dem Ausbruch des deutsch französischen Kriegs ge sponnen Kat. Diese Darlegungen erfrculensich,wie gesagt,deö leb haften Beifalls des Reichstages; im klebrigen aber blieb die ganze lange Rede fast eiiidrnckSloS. Von mehreren Seiten war vorher verkündet worden, die Freisinnigen seien nicht gewillt, die Ausführungen des Reichskanzlers unerwidert ins Land gehen zu lassen. Aber eS ist überaus bezeichnend, daß die Opposition die Rede als belanglos erachtete. Herr Richter ist der Ansicht, daß eie Erwiderung noch immer zeitig genug komme und daß die Verbreitung der Caprivi'schen Rede der Negierung keinen Gewinn, der Opposition keinen Abdruck zusügen könne. Auf allen Seiten machte sich gestern wieder das Bewußtsein geltend: Wenn Bismarck die Vorlage für nothwcndig gehalten, wenn er sic dem Reichstag« über reicht hätte, dann hätte er sie auch anders vertreten! — Die Vorlage, oder vielmehr die beiven Vorlagen, sind gestern vertheilt worden, die gedruckte Begründung ebenfalls; eS ist aber lediglich Bekanntes, was mitgetbcilt wird. Nach dem Beschluß des SeniorenconventS wird am 30. November die Generaldebatte deS Etats beginnen, in welcher ja natürlich auch die Militairvvrlage zur Erörterung kommen wird. Diese selbst wird alsdann wahrscheinlich am 5. December auf die Tagesordnung gesetzt werten,in Verbindung mit den „Deckungs vorlagen", welche beute im Bundcsratb zur Verhandlung stehen und voraussichtlich unverändert gutgebeißcn werten. Ob dann die commisiarische Beratkung der Militairvvrlage — und in der Eommission fällt diesmal die Entscheidung — noch vor Weihnachten beginnt, ist wenig wahrscheinlich. Zn Ungarn scheint der Widerstand, den die klerikale Partei der neuen kircklichen Gesetzgebung, insbesondere der Einführung der obligatorischen Eivilebe, angckünrigt bat, das magyarische Element, das ohnedies etwas heißblütiger Natur if't, in starke Aufwallung zu bringen. Bei der gestrigen Verhandlung im ungarischen Reichstage tbat der Minister präsident Wekerle Aeußerungen, die die Regierungspartei zu begeisterten Beifallskundgebungen hinrissen, wie solche in den letzten Zainen nicht erlebt wurden. Wekerlc erwiderte auf die Zwischenrufe der Opposition, er sei stolz daraus, daß Tisza hinter ibm sitze, er werde nickt die Politik befolgen, feine AmtSvorgänger herabzuseyen, um sich zu deren Nacktheit zu erhöben Eine Eliquenxolitik werde er niemals treiben u»k persönliche Angriffe nicht berücksichtigen. Hier sei sei» Programm und daraus allein müßten seine Stützen und Angreifer fick stellen. Zugleich verpflichtete er sich auch mit seinem ganzen Ministerium für die obligatorische Eivilebe i» de» eindringlichsten Worten. Gestern Abend brachte ihm die Pestcr Bürgerschaft als Ausdruck ihrer Zuneigung einen großartigen Fackelzug, über dessen Verlauf folgendes Telegramm vorliegt: Pest, 23. November. Heute Abend fände» große Ovationen der hauptstädtischen Bürgerschaft für den Ministerpräsidenten Oe. Weker!« siatt. An 200«« Fackelträger zogen, gefolgt von etwa 40 00«» Menschen, vor die Wohnung de? Ministerpräsidenten. Aus eine Begrüßung durch de» Wortführer dankte Or. Wekerle und betonte, daß es stet? das Glück Ungarns gewesen sct, daß e? den Principien der Demokratie und des Liberalismus gefolgt sei. Das bürgerliche Element sei berufen, süinmtliche Schichten der Gesell schaft Ungarns zum Wohle des Vaterlandes zu vereinige». Diele Verjchmelzung zu fördern und die Einigkeit aufrecht zu erhalte», werde er stets als seine erste Ausgabe betrachten. Nach dieser Nebe brachte die Menge begeisterte Eljenrufe aus den König und Or. Wekerle aus. Die dunklen Blätter des GeschichtSkalenderS der gegen wärtigen französischen Republik sind um ein neues Schmutzblatt von größtem Folioformat „bereichert". Als Titel aus demselben prangt die Panama-Affaire, welche solche Dimensionen anninimt, daß ehrlichen Freunden deö herrschenden Regiments dabei angst und bange werden muß. Wenn man sich erinnert, welchen Verlauf seiner Zeit die Wilson-Angelcgenkeit »akm, wie eö wesentlich dieser Skandal- proceß war, der den Präsidenten GrSvy bei der fran zösischen Nation als Staatsoberhaupt unmöglich machte, so erscheint die Möglichkeit, Laß die Folgen der Paiiama Assaire wegen der Menge der darin verwickelten Per sönlichkeiten noch viel kritischer für den Bestand der Republik sich gestalten dürsten, keineswegs ausgeschlossen; im Gegcntheil, vorausschauende Politiker sehen schon den Moment herannahcn, wo Schwierigkeiten und Gegnerschaften, welche die Republik längst überwunden und abgethan glaubte, sich neu erheben und die Znteresicnten des politischen Status auo in Frankreich zu einem Wafscngange ans Leben und Tob nöthigen. Zur Zeit wirren und schieben sich die Massen emporgeschlcndertcn Staubes chaotisch durcheinander, und eS hat sogar de» Anschein, als sollte aus der Aufrührung des Panamabandels zunächst eine Festigung der inneren Situation sich ergeben. Denn angesichts rer gcincinsameu Gefahr — und die ist für alle politischen Parteien im Senat nnd in der Deputirtenkammer vorhanden. wenn auck nur ein Tkeil der laut gewordenen Anschuldigungen auf Wahrheit beruhen sollte — treten die inneren Reibungen natürlich völlig in den Hintergrund, Freunde und Gegner deö Cabinets haben ihr Kriegsbeil begraben und suchen im Verein mit Herrn Loubel zu retten, was irgend gerettet werden kann. Eine Eabiuelskrise in diesem gefährlichen Augen blick würde nickt blos den StaalSinteresien — das mochte vielen Leuten sehr gleichgiltig sein —, sondern mebr noch den privaten Interessen einflußreicher politischer Macher zu- widerlauscn, und deshalb werden Letztere Alles aufbieten, damit das herrschende Regime und sie selber mit einem blauen Auge davon komme». Ob und in welchem Umfange und aus wie lange ihnen das glücken wird, ist eine andere Frage; die Todtengräbcr de« Systems der Wilson- und Panamaleule arbeiten unausgesetzt und der Zug der Zeit kommt ihren Bestrebungen aus halbem Wege entgegen. — Ueber den gegenwärtigen Stand der Panama Angelegenheit gehl der „Bost. Zlg." folgendes Telegramm zu: Paris, 23. November. Trotz der festen tlcbercinkunst, für die von allen Parteien in gemeinsame»! Einvernehmen für die Wahl des Unlerjuchiliigs - Ausschusses ausgestellte Liste zu siiuimen, hiellen eS viele Abgcordnelc der Linken gestern für an- slüiibig und schlau, von ihrer gedruckten Stiinmlisie die uiilere Hälfie, welche die Namen der Abgeordnete» von der Rechten eiiihlell, ab,;u reisten; auch mehrere Recielivnaire beginge» den Fehler, die verabredeten Namen ihrer Parieigeiivssen durch andere, die ihnen besser gefielen, zu ersetzen, und die Folge dieser beiderseitigen Abtrünnigkeit war, daß von 413 abgegebenen Stimmen ans den ersten der 23 Republikaner der Liste, Eiaujel de Evussergucs 380, aus den letzte», PeUclan, 236, dagegen aus den erste» Reaetionair, Terainel, nur 223, und aus den letzten, Gamard, nur 1!'!t Stimmen siele». Ta blos drei der Reacklonaire die »vthwendige Mehrheit er hielten, »Hißte die Wahl der übrige» sieben aus heule vertagt werde». Tie Rechte war über das Vorgehen der Mehrheit so entrüstet, daß die drei gewählte» Mitglieder ihrer Partei, Terainel, de Villebois- Mareuil und Grvussct, sofort erklärten, die ans sie gefallene Wahl nicht a»zu»ehmc», welchem Beispiele dann auch sechs Republikaner folgten. Es sind also nur siebzehn Mitglieder deS Paiiaina-Ans- schiisseS endgillig gewählt und sechzehn bleiben noch zu wählen. Tie Rechte hat sichtlich gulc Lust, sich vom Ausschüsse ganz scr». zuhaltcn, damit, wie sic sagt, die Republikaner ihre Schmutzwaschc voll ständig unter sich waschen. Ties würde ihr gestatten, die Panama- sündeii noch schärfer als bisher gegen die Republik anszunlitzcn Links suhlt nlan diese Gefahr und macht seit gestern Abend große Anstrengungen, die Mitwirkung der Rechten zu gewinnen, klebrigen? erkennt mail jetzt allseitig die große» Schwierigkeiten des Be ginne»? der Kammer. Ihr Ausschuß hat nicht daS Recht, vor geladene Zeugen zum Erscheinen zu zwingen, sie in Eid z» nehme», Hausslichnngeii anzuordne» und wegen salicher Aussagen zu versvlgen. Pourqueric de Bvisscrin brachte deshalb einen Gesetzentwurf ein, ver dem Ausschüsse alle diese Rechte verleiht, ma» zweifelt aber an der Gcneiglheit des Senats, eine Verwirrung der Parlaments- und Gcnchtsbefugnissc zu gestatten und den Untersuchung?, s» einen Wohlfahrtsausschuß zu verwandeln. Tie „Eocarde" erklärt, ihre Enthüllungen einstweilen zu unterbrechen; sie wolle abwarlen, vH der Panamaansschub durch seine Zusammensetzung die Bürgschaft bieten werde, das; er die Wahrheit ausdecken wolle, oder ob seine Ausgabe die Begrabung der saulen Sache sei. Ein nickt unbedenklicher Zwischenfall wird auS Madrid berichtet. Während die Königin-Regentin am Dienstag die historische Ausstellung besuchte, exptodirten fünf Zünd kapseln einer Bombe tickt vor ihr. Ein Generaladjutant wurde leicht verwundet. Die Königin-Regentin bewahrte die Fassung und fehle de» Besuch der Ausstellung fort. Die so fort angestellte Untersuchung ist bisher ohne Erfolg geblieben zwei Personen wurden verhaftet, bald aber wieder frcigelasse» Amtlich wird versichert, daß lediglich ein unglücklicher Zufall a» der Sache Schuld sei, gerüchtweise verlautet jedoch, der Explosion liege ein anarchistischer Anschlag zu Grunde Dem „Ncw-Aork Hcrald" zufolge ist in Santjago eine Verschwörung von früheren Anhäii gern Balm aceda'S entdeckt worden. Tie Häuser der bervorragendsten Persönlich keiten in der Hauptstadt sollten in Brand gesteckt und die Münze geplündert werde». Die Verschwörer wollten sich ferner der höheren Flottcnofsiciere bemächtigen nnd eine allgemeine Revolu tion anzettel». TaS Eomplot scheint in sieben Linienregimentern entstanden zu sein, indem viele der Ofsicicre derselben mit den Anhängern des vorigen Präsidenten Balmaccda sym- pathisirten. Tie Rädelsführer sind verhaftet worden und General Earvallo Ovega, Befehlshaber der 5. Division unter Balmaceda, der sich seit 3 Monaten im Gefangniß befand, ist schleunigst »ach Valparaiso und zur Sicherheit an Bord der Eorvetie „Abtao" gebracht worden. Andere hervor ragende Balmacedisten werden verhaftet werden. Die Grenadiere des ersten Artillerie-Regiments sind nach Sant jago verlegt worden. Die Meldung schließt übrigens „Die Sacke kann als eine völlig locale betrachtet werden und weitere Unruhen werden nicht für wahrscheinlich gehalten." Tie Nachricht klungt, in dieser Gestalt wenigstens, clwaS sehr abenteuerlich. Eine Verschwörung, i» welche nicht weniger als sieben Regimenter verwickelt wären, kann doch kaum noch als eine „rein locale" bezeichnet werden. — Mittlerweile meldet ein weiteres Telegramm deö „New - L)ork Herald" auS Valparaiso, die Mitglieder der chilenischen Regierung hätten sich dahin ausgesprochen, daß nicht die mindeste lirsache vvrliege, neue Ruhestörungen u befürchte». Hiernach haben also vorder Ruhestörungen sialtgkfuiite». ZetensallS bleiben genauere Mittheilungen abzuwarten. Deutsches Reich. iL Berlin, 2l. November. (Telegramm.) Sämmt- licke Morgcnblättcr veröffentlichen Commentare zu der gestrigen Rede des Reichskanzlers. Die „Nordd. Al lg. Zeitung" »en»t die Rede Eaprivi's eine geschicht liche Tbat, ta sie Klarheit über die entscheidenden Zwischen fälle verbreitet habe, die dem letzten Krieg für die Einigung Deutschlands vorangegangen. Caprivi habe neuerdings auf die rastlose Aufmerksamkeit biiigewiesen, die seit den letzten Zahr- zcbnteu von den berufensten Hülern unserer nationalen Existenz den nationale» und politischen Strömungen und allen Möglickikeilc» ihrer weiteren Gestaltung zuge- wcndct worden ist und in Zukunft zugewendel werden muß. Das Sckwert in der Scheide, die Hand am Griff, das sei die Haltung, welche unserer Nation durch ibre Geschichte zur Pflicht gemacht sei. Wir müßten im Friede» stets der Möglichkeit eingedenk sein, daß an uns Ereignisse, wie die von 1870, herantreten könnten. — Die Kreuzzcitung" hofft, daß die warm-patriotischen Worte ani Schluß der Rede ibre» Eindruck auf die Abgeordneter, nicht verfehlen. DaS Hauptinteresse beanspruche die Eröffnung Eaprivi's über die Einser Depesche, die den Heldenkaiser Wilbelm in »euer Glorie erscheinen lasse. Die starken Kriegs rüstungen Frankreichs und Rußlands habe der Kanzler freilich nicht durchweg überzeugend dargclegt. Mit Besriedigung constatirt Laö Blatt, dag die einjährige BcwilligungSfrist für die verbündeten Negierungen unannehmbar und daß eine Verfassungsänderung bebuss Einführung der zweijährigen Diciistzcit nicht geplant sei. Zm klebrigen habe die Rede keine Ucberraschuiige» gebracht. — Die „Nationalzeitung" bebt in ihrer Besprechung vornehmlich jene» Tbeil der Rede, welcher sich mil der Emscr Tcpcscheilassaire befasst, heraus und constatirt mit hoher Befriedigung die glänzende Rehabilitirung Bismarcks. Von der übrige» Rede sei Viele« überflüssig gewesen. Der Gedanke, daß Deutschland keinen Präventiv krieg führen will, sei mit unnöthiger AuSsllbrlichkeit ent wickelt. Der Kanzler habe jetzt das Gcgcntbcil von dem sage» müssen, was er in der letzten Session zur Be kämpfung de« „BcunruhigungSbacilluS" vorgcbracht. Die weitschweifigen Darlegungen über Frankreich und Ruß land machten, da schon oft wiederholt, einen un erwünschten Eindruck. Das Bild, welches Eaprivi gestern gemalt habe, sei von Bismarck in dessen Rede am 6 Februar 1888 mit dem bekannten „sniguor ä blaue" ebenso treffend bezeichnet worden. Die Rede bade im klebrigen die Bedenken über die Vorlage nickt beseitigen können. — Die „Börsen; lg." freut sich gteichsalls über die Klarstellung der Einser Depefchenaffairc und erblickt im klebrigen in der Rede eine so friedliche Darstellung der Lage, wie man sie von jenem Platz aus noch nickt gekört habe. An daS franco russische Gespenst möge man beute, trotz der Rede, nicht mehr glauben. — Die „VossischeZcitung" führt aus, der Kanzler habe keinen einzigen neue» Gedanken entwickelt: Es hätte Alles Feurlletsn. vliinmerlingen. Roman in drei Bücher» von Rudolf von Gottschall. 45j ^ Nachdruck »erboten. (Fortt'etzlinq.) „Nun, lieber Vetter, die Wissenschaft wird Dir gewiß ein mal viel verdanken: aber was würde daraus, wen» Dir die Landwirthschafl nickt Dein täglich Brvd gäbe? Erst koniml das Nothwcndige — und das ist für Alle gleich; nachher kommen erst die großen Hcldenthaten in Staat und Krieg, Kunst und Wissenschaft!" RiSpori warf seiner Base einen geringschätzigen Blick zu; er war in einer Stimmung, daß ihn Alles empörte, was ilim gegen den Strick ging, in dem sich seine Gedanke» bewegten, selbst eine Wahrheit, gegen die cs gar keinen Widerspruch gab; doch er schwieg, um Fra» Locca nicht zu kränken, und beschäftigte sich damit, Brotkiigelchcn zu formen, eins nackt dem andern vor sich anszuschicklen, wie die Kuzelhausen auf einem FcslungSwaU. „Papa, 4)n triffst mick doch nicht", sagte Umberto und sein Köpschen verschwand unter der Tischdecke; doch der Vater batte bei keiner gedankenlosen Arbeit an kein scherzhaftes Spiel gedacht und schüttete den ganzen Vorrath unwillig unter de» Tisch. Seine Blicke gewannen allmälig etwas Starres, ja Wil deS, waü in letzter Zeit schon öfter die Seinigen erschreckt batte; er hörte weder ans ihre Gespräche, neck aus die An sprache», welche sic an ihn selbst richteten; er saß lies in Ge danken versunken und »nirmelte bisweilen unverständliche Worte vor sich hin. Nun stand er plötzlich auf und sagte mit erbobener Stimme: „TaS Ei de« EolumbuS . . . daS isl'S! DaS ist daS Richtige! So macht cs das Genie! Die ganze andere Wclt- weiShcit nnd Wissenschaft ist ein vorsichtiger tbörickter Eier tanz! Daß ja nichts zertreten wird: da» ist ibr letzte« Wort! Dock wen» auch die Schale zerbricht und daS Dotter ausläuft: daS Räthscl ist doch dann gelöst. Es lebe daS Ei des EolumbuS!" Niemand stieß mit dem Hansberrn an; sie warfen Alle fragende Blicke auf ihn; nur Nora schien über seine Worte nachzusinnen; nach einer Weile sagte sie: „EolumbuS, ja! Es war ein großer Scher; er sah die neue Well mit seines Geistes Augen, als sie noch für alle klebrigen ein nebelhaftes Traumgcbilde schien. Ohne diesen Sebcrblick geschieht nichts Großes in der Welt ... aber er ist eben nur den Auserwählten eigen. Die Zukunft ist etwas Fertiges; Viele Kaschen danach, ohne sie je zu ergreifen; nur wer in sich ihr festes Spiegelbild trägt, dem gicbt sie sich zu eigen." „Propheten rechts, Propheten links, ToS Wcltkind in der Mitten!" flüsterte Frau Locca ihrem Nachbar Enrico zu, den sie während des ganzen Abendessens durch liebenswürdige Ge sprächigkeit zu fesseln suchte; es waren geistige Liebkosungen, wenn man von solchen sprechen darf, die sie an ihn ver schwendete, und in ihrem Lächeln, in ihren Blicken lag etwas wie lüsterne Begehrlichkeit; doch ob sich auch das knisternde Seidenkleid oft verführerisch an ihn schmiegte — Enrico wandte dock seiner ander» Nachbarin, der stolzen Nora, innigen Antbeil zu. TaS Mädchen hatte hohen Gcdankeiiflug, aber sie blieb einsam, unverstanden, nnd wenn sie etwas an das Irdische fesselte, so war es nur Enrico; denn» ibm »»r warf sie bisweilen einen warmen Blick zu; sonst schien ibr Auge alles Nächste zu übersehen. Er selbst fühlte immer mehr, daß er der AnSerwäblte, der Einzige war, und daS gab ibm ein erhabenes Gefühl. Vor Vielen bevorzugt zu werden, genügt oft allein, um Liebe zu erwecken; aber fo ge liebt zu werde», daß irgend ei» Anderer überhaupt nicht in Betracht kommt oder nie in Betracht kam, daS muß. wenn irgend die Herzen gleichgestimmt sind, Entgegenkommen be wirken. Und diese so hochgesinnte, so dem Irdischen ab gewandte Nora war ja doch mit verschwenderisch» Reizen für die irdische Liebe auSgestattet: ibre Züge batten edle Linien, ibre Kode Gestalt vollkommenes Ebenmaß und maß volle Schönheit der Formen Berauschend miißle ihre Gunst sein, wenn sic sich selbstvergessen dem Geliebten zuwandtc und der Marmor dieser schönen Galatbec sich mil dem PulSscklag glühenden Leben« beseelte. Doch diesen Gedanken nach» zubängen, erschien Enrico noch wie eine Untreue gegen seine füngste Vergangenheit; sein Herz war bei ihnen noch unbc- theiligt; doch fein Verstand verhandelte mit der Möglichkeit der Zugeständnisse, die seine Familie von ihm verlangte, und die leisen Regungen sinnlicher Neigung kamen ihm dabei zu Hilfe. Nach Tisch« hatte Enrico noch einen schweren Gang und zwar in das Arbeitszimmer seines «Vaters ; er wollte, er mußte ihn zur Rede stellen . . . und doch ging er nur zag haft daran, denn bei Tisch war ihm die gesteigerte Aufregung desselben nicht entgangen. Zn der Tbat fand er ihn in einem beängstigenden Zustande unter ausgeschlagenen und auf dem Boden berumgcworscnen Folianten bei einer halb hernntcr- gcbrannten Lampe mil zerschlagener Glocke: ersaß, die Hände ringend, auf einem Lehnstuhl und blickte, unbekümmert um den Eintretende», durch das offene Fenster »ach dem Mond hinaus, dessen volle Scheibe eben a»S dem Gewölle berauS- trat und das Laubwerk der vor dem Fenster webenden Akazien- zwcige mit bunten Rändern, die da« sich mil seinem Scheine kreuzende Lampenlicht hervorrief, inS Zimmer zeichnete. „Ich muß mit Dir sprechen, Vater", sagte Enrico fest und bestimmt. Der Alte rieb sich die Stirn, um seinen Geist zurück zurufen aus abschwcifcnden Träumen, und warf ihm dann einen mißmuthigen Blick zu. „So sprich!" „Ich habe gehört", sagte Enrico, „und eS gilt ja gleich, wie ich'S erfahren, daß Du nicht nur daS Darlehn der Frau Locca verbraucht bast, sondern auch Dir Geld zu wucherischen Zinsen zu verschaffe» suchst, in einer Weise, die unfern Ruin berbeiführen muß Ich komnik, Dich zu warnen, Dick zu bitten, daß Du von jetzt ab damit einbältst; ja ich verlange dies ernstlich von Dir im Namen der Familie." „Ich bin der Herr des Hauses und ich kann tbun, was mir beliebt. Uck habe Dir schon thörickter Weise nack gegeben, als Du mir das schöne Geld, das mich zum Ziele hätte führen können, aus de» Händen gerissen, entwandt, ja gestohlen hast. O Kindersegen, tu bist ja ein Fluch für die Elter» — der schlimmste Hcmmstein für den rorwärtS rollen den Wagen deS TriumpbcS; denn Alle denken nur an sich -.. Wenn die Brut flügge geworden, verachtet sie das Nest, da« sie geboren, und um für sie zu sorgen, müssen sich die Eltern alle Federn anSrausen, mit denen sie einen höheren Flug wagen könnten. Keine Liebe — keine Ehrfurcht vor dem Alter! Das lernen sie in den Schulen, aber sie üben « nicht im Leben! Sie glauben « nicht, daß man an gebrochenem Herzen sterben kann, wenn unsere schönsten Unternehmungen zerstört werden ... und durch sie, durch si«!" Ein Thräne rollte dem Alten dabei über di« Wange; er hatte sich selbst in weiche Rührung hineingeredet und saß da mit gefalteten Händen. „König Lear, o König Lear", seufzte er, „und ich habe doch meine Krone nickt fortgeworfen; aber sie reißen sie mir vom Haupte, die undankbaren Kinder!" „Tu thust uns Unrecht, Vater! ES ist Dein Wohl ebenso wie das unsrige, für das wir sorgen muffen, und es ist nicht Mangel an Ehrerbietung, sondern die Erfüllung einer höheren Pflicht, wenn ich jetzt von Dir daS Versprechen verlange, kein Geld mehr gegen wucherische Wechsel aufzu- nchmen, das feste, bestimmte Versprechen ..." „Niemals — niemals! Ich lasse mich nicht in Dem be schränken, was meines Lebens höchste Aufgabe ist, weder im Zweck, »och in den Mitteln — und wenn ich meinen ganzen jetzigen Besitz daran geben müßte, wer soll niir'S wehren?" „Und daS ist Dein letztes Wort?" „Mein letzte? — mein allerletztes! Ich bin eS müde. Andern Rede stehen zu müssen für DaS, waS ich vor mir selbst vollkommen verantworten kann — die Arbeit meines Lebens, meinen künftigen Ruhm soll ich so verstandloscm Verlangen opfern?" „Nun, Vater, da bleibt uns nur noch das Eine übrig: ein Antrag auf Entmündigung." Rispori sah den Sohn niit großen fragenden Blicken an; er glaubte nicht reckt gehört zu haben; dann subr er mit einem wilden Sprung, wie eine gereizte Tigcrkatzc aus ikn loS, ergriff ibn, ebe Enriro eS sich versah, an den Ausschlägen deS Rockes nnd schüttelte ihn mit der gesteigerten Kraft höchster Nervenerregung: „Du ... Du . .. Ihr wolltet et wagen? Und Du , der mich schon i»S Unglück gestürmt, de» Fortgang meines Werkes unterbrochen, die rettenden Sun,men mir unterschlagen hat? Hinan« ... Du mit Deiner Landwirlbsckaft, dieser Dreck arbeit, Du bist mein Fluch, mein Verderben! So wenig wie in meinem Laboratorium, will ich Dich hier in meinem Arbeitszimmer seben ... eS ist eine Entweibung! Die guten Geister meines Lebens verlassen mich ... Alles bricht zusammen, hinan«, hinaus!" Und mit stürmischer Gewalt, welcher Enrico keinen Widerstand entgegensetzte, drängte er diesen zur Thür hinan». (Fortsetzung folgt.)
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