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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.12.1892
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-12-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18921221019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892122101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892122101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-12
- Tag1892-12-21
- Monat1892-12
- Jahr1892
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Das im Eigenthuin der Gemeinde Lieberiwolkwitz befindliche Nestaurarions-Grundstück „Zum Monarchruhügei" hier be- e.bslchiigen wir vom 1. April 1893 ab aus eine Reihe von Jahren anderweit zu verpachten. In dem genannten Grundstück befindet sich eine grössere Sammlung von Erinnerungszeichen an dir Völkerschlacht bei Leipzig, für deren Besichtigung der Pächter ein Eintrittsgeld ton den Besuchern zu erheben berechtigt sein soll. Cautionssähige Bewerber wollen sich wegen des Näheren baldigst an den Unterzeichneten Gemeindevorstand wenden, im Uebrigen aber idre Pacht-Angebote bi« längstens den 15. Januar 18V» anher «„reichen. Liebertwolkwitz, am 10. December 1892. Der Gemeinderath. Dyck, Gem.-Vorst. Vas Linwanderungsverbol in Amerika. DaS von den Vereinigten Staaten geplante Verbot der Einwanderung beginnt allmälig in den weitesten Kreisen Europas diejenige Aufmerksamkeit zu erregen, die eS um seiner selbst willen und wegen der Folgen, die damit verknüpft sind, in bobem Maße verdient. Tie deutsche, die englische, die französische und die niederländische Presse widmet dem Einwanderungsverbot mehr oder weniger eingehende, aber in jedem Falle absprechende Bcurtheilungen. Käme das Verbot zur Durchführung, so würden in der Thal die Rückschläge für den gesammlen Contincnt außerordentlich erheblich sein, aber sie würden die Bereinigten Staaten in demselben Maße treffen. Ganz abgesehen davon, daß eine solche Maß regel wie das Einwanderungsverbot völkerrechtlich noch nicht dagewescn ist und der Tradition der Bereinigten Staaten, den leitenden Principien der Union vollkommen Hohn spricht, sind die praktischen Folgen unübersehbar. Die innere Politik Amerikas geht uns naturgemäß nichts an; wir sind weit davon entfernt, den Amerikanern gute Lehren geben oder sie darüber ausklären zu wolle», daß ei» solches Einwanderungsverbot eine ungeheuere Verschärfung der socialen Frage in den Vereinigten Staaten zu Gunsten eines begrenzten Parteiinteresses bedeutet; wir können u»S aber die Thatsachc nicht verhehlen, daß daS Einwanderungs- Verbot in erster Linie seine Spitze gegen Deutschland kehrt »nd in allerhöchstem Maße geeignet ist, die Interessen des Handels und Verkehr-, die Interessen unserer Industrie und Rkcdereien zu schädigen. Der Norddeutsche Lloyd bcschäsligl in der Fahrt nach den Bereinigten Staaten 1v Schnelldampfer von Bremen und 2, im Winter 4 Schnelldampfer von Genua; die ersteren versehen zwei Mal wöchentlich den iranSatlantischen Dienst, die letzteren in Abständen von 8 bis I I Tagen; außerdem fertigt der Norddeutsche Lloyd nach Ncw-Aork Postdampfer für Zwischendecker und Fracht ab in etwa vierrehntägigen Zwischenräumen, endlich unterhält er eine vierzehntägige Postlinie »ach Baltimore mittelst Dampfer von 6009 Tonnen Gehalt, welche im Stande sind, jeder 2000 Zwischendeckspassagiere zu befördern. Die Haiiiburg- Ainerikanische Packelfahrl hat in ihrem New-Aorker Dienst 4 Schnelldampfer und eine große Zahl Postdampfer in Fahrt; sie unterhält außerdem eine Linie von Stettin über Kopenhagen für Zwischcndecker und Fracht. Der gcsammte amerikanische Verkehr der beiden Rhedereien ist in seiner jetzigen Form aus de» Zwischcndccksvcrkehr, d. h. in erster Linie aus die AuS- waiiderungöbeförderung ausgebaul. Der durchschnittliche AuS- wanderungSvcrkcbr von deutschen Häfen nach New-Uork beläuft sich jährlich auf etwa 300 000 Seelen. Durch bas Verbot der Einwanderung werden die deutschen SchifffahrtS- gesellschaflcn, wenn man den Durchschnittspreis für Zwischendeck auf lOO annimmt, jährlich 30 Millionen einbüßen. Daß damit ungeheuer weite Kreise Deutschlands in Mit leidenschaft gezogen werden würden, liegt auf der Hand. Die großen deutschen Rhedereien wurzeln im Volke nickt nur durch ihre rein finanzielle Verzweigung, sondern besonders durch die zahllosen Fäden, welche der Betrieb so bedeutender Gesell schaften über die gesammte Industrie Deutschlands natur gemäß spinnt. Der Verlust, welchen diese Gesellschaften cr- ieidcn, verbreitet sich also über ganz Deutschland. Noch schwerwiegender jedoch sind die Rückschläge, welche a»S dem Einwanderungsverbot für den gesammlen Handel und Verkehr zwischen beiden Erdtheilen sich ergeben müsse». Cs ist bekannt, daß vor Jahresfrist die nordatlantischen TchifffabrtSgesellschasten des Continents eine Vereinigung unter sich bezüglich der ZwisckendeckSfabrt abgeschlossen haben. Tic drohende Maßregel des Einwauderunasverbots hat daher schon in der Gegenwart die nordatlanlischen Rhedereien zu Prärentivmaßregeln veranlaßt. Es ist bekannt, daß am l». December in Berlin beschlossen wurde, vom Januar nächsten JahreS ab die Beförderung von ZwischendeckSpassa- gteren überhaupt einzustellen, die Dampfer-Expeditionen außerordentlich zu beschränken, die Fahrpreise für erste unk zweite Clafse wesentlich zu erhöben und die Er mäßigungen sortfallen zu lassen, welche für den Besuch der Chicago - Ausstellung im Oktober d. I. vereinbart waren. Dieser Beschluß der Dampfergesellschasten ist keineswegs, wie man annchmen könnte, als eine Drohung gegen die Ver einigten Staaten auszufaffen, sondern er ist lediglich veranlaßt turch die Schwierigkeiten, welche dem Einwanderung-Verkehr bereit- seit Monaten in den Vereinigten Staaten bereitet werden. Die Behörden daselbst haben die Cboleragesabr als willkommene Handhabe gebraucht, um die Einwanderung zu beschränken. Die Quarantainemaßregeln machen schon jetzt Mittwoch den 21. December 1892. den Passagierverkebr ungemein schwierig, sie beeinträchtigen den Warenaustausch in bedenklicher Weise. Die Folgen des oben angeführten Beschlusses der Dampscrgescllschafke» sind -ür den gesammlen Verkehr von niedcrschlagender Wirkung. Die Beschränkung der Expeditionen bedingt eine Perlang- amung des WaarenauStauscheS und eine Erhöhung der Frachten. Die Erhöhung der Passagepreise — dieselbe beträgt schon im gegenwärtigen Augenblick 50 Proccnl — macht eine Beschickung der Vereinigten Staaten durch Geschäftsreisende fast zur Unmöglichkeil; die Inter essen der Post erleiden die empfindlichste Einbuße. Die gänzliche Einstellung des ZwischendeckSverkebrS hat Uu- xiträglichkeiten ohne Ende im Gefolge. Für die Amerikaner elbst ergicbt sich daraus zunächst die gewaltige Schädigung der Chicagocr Ausstellung, auf welche wir bereits vor Kurzem hinzewiesen haben; eS erscheint unbegreiflich, daß die Ver einigten Staaten, nachdem sie Jahre lang die Welt mit ihrem Geschrei von der Bedeutung der Chicagocr Ausstellung erfüllt haben, nachdem sie uns Deutsche zumal vcranlaßtcn, in Rücksicht auf diese Bedeutung für die Weltintercsscn 3 Millionen von StaalS wegen für daS Zustandekommen der Ausstellung zu opfern uud alle Kräste Deutschlands für die selbe mobil zu machen —: daß die Vereinigten Staaten etzl den Besuch der Ausstellung dem weitaus größten Thcil des deutschen PublicumS zur Unmöglichkeit machen. Man ist in amtlichen Kreisen ernstlich besorgt darüber, ob unter den gegenwärtcn Verhält nissen die Ausstellung dasjenige Bild bieten wird, welches man erwartet hat; man ist vor Allem unangenehm berührt davon, daß die ameri kanische Maßregel das Reich selbst durch ungeheuere Mehrkosten in Mitleidenschaft zieht. In Privat kreisen ist man bereit- zu der Ueberzeugung durckgedrungc», daß ein Besuch der Chicagocr Ausstellung unter solchen Um ständen gar nicht in Frage kommen kann; ja, cs ist die Meinung aufgetaucht, daS amerikanische Vorgehen rücksichtlich der Einwanderung verfolge ini Hintergründe den Zweck, das deutsche Fabrikantenthum von der Ausstellung fern zu halten, um ein Studium desselben, besonder- der amerikanischen Industrie, zu verhindern. Wir theilen diesen Standpunct nicht, er erscheint unS ungeheuerlich, aber es muß in der Thal verblüffen, wenn der Verkehrsstaat par vxeellenee, wenn Amerika a»S nickt stichhaltigen Gründen nicht nur die inter nationale Höflichkeit außer Acht läßt, sondern auch de» Bankerott seiner eigenen bisher verfochtenen StaatSidce erklärt. vr. bi. Deutsches Reich. lü Berlin, 20. December. Die organisirten Schuh macher Berlins bilden bekanntlich eine der revolutivnairsten Gewerkschaften, aus der in den letzten Jabren mehrere politische Führer hervorgegangcn sind, die in noch sehr jugend lichem Alter steben. Diese revolulionaire Gesinnung be kündeten sie vor zwei Jabren in der Asiaire Volkmar durch eine Resolution und bei ihrem letzten Generalstreik; jetzt zeigt sie sich wieder bei dem Streik in der inechanischcu Schubwaarensabrik von Maus in der Oranienstraße. Bei diesem AnSstand haben fick die Gegensätze so zugespitzi, daß schon fünf Streikende wegen Anreizung zum Classenhaß an geklagt worden sind. Die Streikenden wieder werfen dem Fabri kanten allerlei unglaubliche Handlungen vor, und zwar in öffent lichen Versammlungen. So soll Herr Maus die „Streikbrecher" aufgefordert haben, ikrc Messer zu schleifen, auch sich Revolver zu kaufen, um die Streikenden damit zu bekämpfen. Wer kein Geld dazu habe, dem wolle er es geben. Hiervon sei auch der Behörde Anzeige gemacht worden. Ferner ist bei dem Fabrikanten ein Einbruch verübt uud sind demselben dabei 2500 gestohlen worden. Die Streikenden erklärten, als Einbrecher verdächtigt worden zu sein. Gegen de» Leiter deS Streiks, Schuhmacher Fleischer, wurden in der gestrige» Versammlung heftige Vorwürfe geschleudert ; er sei acht Tage lang auf dem Schuhmacher Congresse gewesen, huldige spieß bürgerlichen Ansichten und nehme die Interessen der Strei kenden nickt wahr. Deshalb müsse er biuauSgcworfen werden. Die Streik-Control-Commission steht den Streikenden bei. — Tie in Deutschland verbotene anarchistische „Londoner Autonomie" erscheint jetzt unter dem Titel „Trotz Alledem". Ein Verbot dieses Blattes ist bisher noch nicht publicirt worden. — Die svcialdcmokratischen Führer üben nicht nur tadelnde Kritik an allen Gesetzen und Zuständen, um die Massen auszurcizen, sondern sic wollen auch, wenigstens nach ihrer Behauptung, im Reichstage „positiv Mitarbeiten" und die Gesetze verbessern Helsen. Wie ernst ihnen letztere- ist, bewiesen die i» der letzten Fractionssitzung gefaßten Be schlüsse. Sämmtliche aus Partcikreise» eiugcgangencu Anträge auf Einbringung von Gesetzesvorschlägen wurden, bis auf einen, pure abgclehnt, weil eS eine zwecklose Vergeudung von Arbeitskraft sein und nur den Zweck haben wurde, frisches Material für de» Papicrkorb de« Reichstages bcrbeizuschasscn! Sie, die Mitglieder der Fraction, hätte» übrigens auch keine Zeit zur Ausarbeitung von Geseyentwürsen. Es sind au» den Parteikrciscn unter Ankcrin Anträge gestellt worden aus Arbeitcrschutz-Gesetzentwürse, Achlstuubeiigesetz, Gesetze aus Abschaffung des religiösen Eides und deS Majestät-beleidigungs- Paraaraphcn, auf Neueintheilung der Reichstagswablkreise und Anstellung der Staatsarbeiter. Nur einen 'Antrag auf Aushebung des Dictatur - Paragraphen in Elsaß-Lothringen wird die socialdemokratische Fraction stellen. * Berlin, 20. December. Das Leiborgau des früheren und deS jetzigen Reichskanzlers, die „Nord d. Allgem. Ztg.", bat augenscheinlich den Auftrag, in der Tonart, in der Gras Caprivi sich im Reichstage über den Verlauf und die Resultate des konservativen Parteitages geäußert bat, fortzu- sahre». In seiner neuesten Nummer veröffentlicht das Blatt eine ihr von einem Thcilnehmer an jener Versammlung ein- gesendete Zuschrift, die zugleich beweist, welchen peinlichen Eindruck in conscrvativen Kreisen der Verlauf dieser Ver sammlung gemacht bat. Die Zuschrift, die durch die Stelle, an der sie veröffentlicht wird, den Charakter einer kanzlerisch- ofsiciösen Mahnung an die Conscrvativen erkält, lautet: „Ter Verlauf diese- pseudo-conservativen Parteitages war für alle Diejenigen, die in den Traditionen der alten konservativen Partei ausgewachsen sind, um so unerauicklichcr, daß ich die Erinnerung an denselben weder in mir, noch ln den Lesern dieser Zeilen wieder wachrnscii würde, wenn nicht die „Kreuzzeitung" bemüht wäre, durch eine mehr alS vplimistische Färbung den un angenehme» Eindruck, den der Parteitag im Lande gemacht Hane, bei denjenigen Gejinnuiigsgcnosjc», die an demselben nicht Tkeil genommen habe», zu verwischen. Tie Zusammensetzung dieses Tages wird stets in ein gewisses Dunkel gehüllt bleiben: nur so viel steht fest, daß'Antisemiten dort waren, die der coiiservativc» Partei nicht nur nicht angehüren, sondern welche dieselbe bei den Wahlen bekämpft haben. Ganz wie ans dem social- demokratischen Parteilage wurde» zunächst die parlamentarischen Fraclioneii als des „Rückgrates entbehrend" dargcsleUt. Dabei ver gaßen aber die 'Arrangeure, daß sie selbst den christlich - socialen Excentricilüte» gegenüber nicht nur zu wenig, sonder» überhaupt gar kein Rückgrat gehabt haben. Während man hassen dursle, daß Diejenige», die das neue Programm entworfen hatten, dasselbe, nachdem eS in mühsamer Destillation entstanden war, nun wenigstens dem lln verstände der Massen gegenüber vcr- theidigen würden, erhob sich von diesen verantwortlichen Re dakteure» auch nicht ein einziger zur Abwehr. Um den Antisemiten eine Freundlichkeit zu erzeige», wurde der Passus, der sich gegen ihre „Ausschreitungen" wandte, sofort eliminirt. und, um den Socia ldemokratcn und Anarchisten ein Eonipii- menl zu macheii, solle» nur Diejenigen unter ihnen bekämpft werde», die den Staat Umstürzen wolle», während, wie cs scheint, mit den Uebrigen eine Art von Neutralität eingegangen werden soll. Wenn der 'Ausdruck „demagogisch" nur im guten Sinne gedeniei werden soll, so erinnert mich dies an Virchow's geflügeltes Wort von den „guten Revolutionairen", denen, wenn sic aus der Barrikade kämpfend ergriffen werden, ihre« guten Charakters wegen sogleich mildernde Umstände zuzubillige» sind. Neben dielen „guten Revolutionairen" giebt es in Zukunft also auch „gute Demagogen". Als ei» Redner Herr v. Blumcnthal) vor Cxccnlricilüien warnte, meinten die Leute in einer Ecke des Saales, „man sähe, daß der 'Adel nicht vom Judenthum lasse", und „es würde nicht eher besser werden, bevor alle Barone aus den Parlamenten herausgeworsen wären". ES scheint also, daß diese neuen „Eonservativen in Wasserstiefeln" intoleranter als die SocialdcmokraleN sind, welche bislang - nicht z» ihrem Schaden — Herrn v. Bollmar in ihrer Mille dulden. Wenn ich nicht in Folge meiner Erziehung in gewisse» Vorurthcilc» besangen wäre, wäre ich versucht gewesen, im psychologischen Moment ein Hoch auf Ahlwardt auszubringe», und ich zweifle nicht daran, daß dasselbe mit Begeisterung ausgenommen sein würde. Leider ist die ganze Sache aber zu ernst, um über sie zu scherzen. Tenn wir befinden un« im Beginn einer Krisis, für welche ein glücklicher Ausgang bislang nicht zu ersehen ist. Ebenso wie iu Frankreich vor der Revolution Adel und Geistlichkeit mit revolutionairen Ideen cokettirten, hat die coiiservativc Parlei nur allzu lange mit unklaren sogenannten christlich-socialen Begiückungs- Ihcorirn und mit dem Antisemitismus als mit einem amüsanten „Sport" gcliebäugclt. Die Ehristlich-Socialcn sind beim Beginn der Bewegung gewiß von den besten Absichten beseelt gewesen, aber leider hat es ihnen von Hause aus an klaren politischen Begriffen geschlt. Nach ihrem Programm soll das gesammte wirtbschastliche Erwerbsleben reformirt werde». Dies Programm deckt sich in seinen Zielen mit dem socialdcmvkralischen, und die Agitation ist deshalb so gefährlich, weil sic von ihren Träger», die, da sie sich die Eonsequenzen ihrer Lehren nicht klar »lache», optima ticke sind, mit einer christlichen Etiquelte versehe» wird. Ich sürchte, daß die Grundbesitzer, die zur Zeit dieser „Demagogie im guten Sinne" zujubel», erst daun zur Einsicht komme» werden, wenn zur „Reform des Erwerbslebens" die allgemeine Tbeilung beginnen wird. Diejenigen, die zum Parteitage drängte», haben gehofft, sich an die Spitze der antisemitischen Bewegung stelle» und sie in coiiservativc Bahnen lenken zu lönnen. Schon jetzt besteht kein Zweifel mehr darüber, wer in dieser soeieta» Iconina der Löwe nicht ge- wese» ist. Tie conjervalive Partei hat nicht, wie beabsichtigt war, den Antisemiten ein conservatives Programm gebracht, sondern ihr selbst ist ei» antisemitisch christlich-sociales Programm (mt venia rerbo) ansgezwungen worden. Wenn diese Dinge in einem dein Dreibünde nicht angehörigen Nachbarlande passirten, könnte man ihnen als Geschichtsschreiber oder alS Philosoph mit Interesse zu- jehen; so aber erfülle» sie den Patrioten mit banger Sorge." ^ Berlin, 20. December. (Telegramm.) I» einem Leitartikel tritt die „Nordd. Allgemeine Zeitung" der principiellen Opposition gegen die Militairvorlage ent gegen und spricht dabei die Ueberzcugung a»S, daß eine Verständigung erzielt werden könne und daß man der Berathung in der Commission mit Ruhe und Vertraue» cnt- gegcnschcii dürfe. Seltsamer Weise ist der Berliner Ofsiciosus, rer die Wiener „Polit. Corrcsp." bedient und der „Nordd. Ällgei». Zeitung" nickt fern steht, ganz anderer Ansicht. Er schreibt nämlich: „Wenn jetzt vielfach von de» Zugeständnissen gesprochen wird, welche die Regierung nothwendiger Weise machen müsse, so übersieht man, daß die Vorlage ein streng durchdachtes, eng zusamineiihängcnbcs Ganzes ist, an dem lange Zeit gearbeilel wurde, und zwar mit dem ange- strciigteilcu Bestreben, alle Forderungen nur auf das Nolh- weudigste zu beschränken. Es dürfte in der Thal dem Reichs tage schwer werden, etwas aus der Vorlage herauSzubringcn. was mit durchschlagender Begründung als entbehrlich be zeichnet werden könnte." * Berlin, 20. Deccmber. (Telegramm.) In Gegen wart des KaiserpaareS fand Mittags die Einweihung der umgcbaute» Sophienkirche statt. Ter Feier wohnten die Minister v. Boettichcr, Bosse, v. Wedelt, Gcucrakokerst v. Pape unv zahlreiche Geistliche bei. DaS Kaiserpaar wurde bei der Ankunft mit Cboralblasen vom Tburme empfangen. Nach dem erbebenden Verlauf der Feier wurde bei der Ab fahrt der Majestäten der Lutkcrchoral von der Tburmgalcrie geblasen. — Tie „Post" veröffentlicht eine Erklärung des Abgeordneten Vr. Arcndt'S, worin dieser bestreitet, an den Bestrebungen zur Bildung einer neuen Partei wesentlichen Antbeil genoniiuen zu haben. Er stehe in einem Partei- vcrbande und könne kein neues Parteigcbilde niil bewerk stellige», che er die alle Parlei verlassen habe, wozu er keine Veranlassung finde. — In dem Programm der „neuen Partei" soll diejenige Stelle, welche von der Person des Kaisers handelt, nach der „Westv. Allg. Ztg." folgendermaßen lauten: „Tie Unterzeichneten glauben mit ihrem Vorgehen .... «ine ernste Pflicht zu erfüllen gegen den Kaiser, dein sie in deutscher Treu« ergeben sind, und gegen das Reich, dem sie mit Stolz an hangen". — Die Sendung des Privatdocenten vr. Kärger nach Ostafrika wird als Beweis dafür angesehen, daß die Regierung dort in Oslasrika endlich mit dem Inissor faire in wirthschaftlicher Beziehung brechen will und cs für nolb- wendig hält, wenigstens allmälig die Schaffung einer Cenlral- stelle anzubakncn, bei der die Fäden zusammrnlaufrn unk von der aus fruchtbringend auf die wirlhschaftliche Ent wicklung der Colonie «ingrgriffen wird. Der wirth- 8«. Zahrgang scbastliche Beiralh des Gouverneurs ist eine coloniale Stellung, welche man bis jetzt bei unS noch nickt kannte; sie wird aber ui» so »ölhiger, als der Ueberblick über die handelspolitischen und wirtbschaftlichcn Verhältnisse schwieriger wird. Ui» diese Stellung auszufüllen, erscheint der als Nalionakökonvi» wohlbekannte Vr. Kärger sehr ge eignet. Ursprünglich Jurist, beschäftigte er §ich viel mit Nationalökonomie; als Ergebniß seiner Studien ist die Monographie über „die Lage der Hausweber im Weilerthal" anzusebcn. In Brasilien hielt er sich mehrere Jahre als Colonist in Santa Katharine auf, bereiste dann die Provinz Sao Paulo und kehrte nach Deutschland zurück, um für ei» Coloiiisatioiisunteriiebinen in Brasilien zu wirken. Die Zcitverbältnisse verhinderten die Ausführung diese« Planes; doch liegen als Frucht seines Aufenthaltes die „Bra silianischen WirikschaftSbilder" vor, welche unter den Colonial- srcuiideu berechtigtes Aussehen erregten, weil hier zum erste» Mat die »ational-ökoiiomiscbe Methode der Einzel- sorschuna mit vielem Gluck ans ein coloniales Thema übertragen war. Im Jahre l89o ging Kärger für die deutsche See- baiirlungSgesellschast »ach Tanga, doch vermochte er in dem Rahmen dieser Gesellschaft, die mit bescheidenen Mittel» arbeitete, kein genügendes Tätigkeitsfeld zu sinken und kebrte im Jakre >891 nach Europa zurück, wo er durch Wort und Schrift für die deutsche Colonial- polilik tbätig war. Sein Werk „Tangatand und die Colouisaliou Dculsch-Ostafrikas" brachte viel Neues unter cigculbümlichen Gesichispuncten. Vom landwirthschaftlichen Ministerium wurde Kärger mehrfach zu Enqueten, r.B. über die Sachsengäugerci und die Arbeiierverhältnisfe in Nordwest- deutschlaut, hcrangezogen und auf Grund seiner Leistungen zum Privatdocenten an der landwirthschaftlichen Hochschule ernannt. Seine wirlhschafllichen Idee» lassen sich» wenn wir vom Handel abseben, einfach in die Worte zujammensafsen: Hebung der Production durch Cultivation. — Tic Verfügung über die Euibchrlichkeit der sogenannten Postfach schulen bat folgenden Wortlaut: Nach einer Millhcllung des Staaissecrctairs deS Reichs-Post- amtes sind die i» innerer Zeit a» verschiedene» Orten entstandenen sogenannten Poslsachjchulcn zur Vordereiluiig junger Leute für die Laushahn als Poslgehüse weder erforderlich, noch nach den gemachte» Erfahrungen dazu geeignet, „nd es hat sich deshalb die Reichsposl- verwailung veranlaßt gesehen, durch Veröffentlichungen im Reichs- Anzeiger »nd in andern Blattern aus die Enibehrlichkeil dieser Schulen hiiizuiveije». Mit Rücklicht hieraus und da die in Rede stehenden Schul- einrichluiigeu zu den Privakichule» und Privat-Erziehungsanstallen zählen, aus die die Staatsministerial-Jnslruction vom 31. December 1839 Anwendung findet, beauslrage ich die königliche Regierung, künjlighin die Erlaub»!» zur Errichtung neuer Postsachschulen innerhalb ihres Verwallungshezirks zu versagen. Die bereits im dortige» Regierungsbezirke bestehenden Anstalten der erwähnten Art sind durch de» Teparienienis-Schulraly gclegeittlich seiner dienst lichen Anwesenheil an dein betreffende» Lrle einer eingehenden Revision zu unlerziehen und ist über das Fvrtbe sichen oder die Schließung der Schule je nach dem Ausfälle der Revision seitens der königliche» Regierung zu befinden. Ter Minister der geist- iichen u. s. w. Angelegenheiten. I. B.: v. Weyrauch. An di« sämiiitlichen königliche» Regierungen. L Brrala», 20. December. Am Sonntag Abend um s Uhr 30 Minuten traf der Redacieur der sociaidemokratischcn „Volksmacht", Otto Friedrich, auf Lei» hiesigen Freiburger Bahnhose ein, wo er wegen Fluchtverdachts sofort verhaftet und in da« Gefängnis! IranspvNirl wurde. Ter Genannte hat wegen Majestäts- Beleidigung lind Beleidigung des Landgerichts-Director- Schmidt acht Monate Gesängnißstrasc zu verbüßen. j. Gera. 20. December. Ter Stoffinangel ist eine der bcLenliichstcn Klippen der kleinen socialdemokratischen Pres,r. Wie sollte man es sich anders erklären, daß die hiesige „Tribüne" mit Vorliebe Leipziger Vorgänge in ihre locale» Spalten übernimmt!' So ärgert sich das Blättchen heute wieder über Herrn vr. Hasse, welcher be kanntlich in einem Vortrage über die WohnungSverhaltniffe sich dabin ausgesprochen hatte, daß die Auswüchse deS Schlasskcll ciiuiiwcsens durch strenge Regulative beseitigt werden sollten. — „Das sind" — so erklärt das Blatt — „überall die Mittel gegen Auswüchse und Unsittlichkeiten bei den Armen, die jene Herren zu empsehlen wissen. Statt ibiien 'gute Wohnungen zu schaffen, will Ina» ihnen die tüiiiinerlichen Erwerbsquellen noch abschneiden." Daran kiinpjr sich die folgende niederträchtige Unterstellung: „Bei den Schweinereien in den höheren Kreisen, wie z. B. kürzlich eine unter den Leipziger Studenten verrathcn worden war unv wie sic sich in zahlreichen Gerichtsverhandlungen offenbaren, fällt cs solchen Herren gar nicht ein, zu empfehlen, den Schuldigen solle der Brodkorb, eigentlich der Kuchenkorb, höher gehängt werten. Gegen die Rohheit und Unsittlichkeit der „guten" Gesellschaft hat man vielmehr den Mantel der christ lichen Liebe." Da trifft es sich nun gut, daß gerade die heutige Nummer der „Geracr Zeitung" folgende Mit- theilung auS dem benachbarten Langenberg erhält: „Am Morgen des 15. d. M. bat der vor einigen Jahren hierher verzogene vcrheirathete Weber und hervorragende ZukunftS- staatler Jentsch aus dem Wege zwischen Hinz und Cuba ein srechcS SittlichkcitS verbrechen an einem hiesigen, kaum der Schule entwachsenen, unbescholtenen Mädchen be gangen. . . Möglicherweise hätte die scheußliche That noch zu weiteren geführt, wenn nicht hinzugekommene Männer den Uebclthäter in die Flucht gejagt hatten. Dieser hat eS dann serlig gebracht, den Vater der Vergewaltigten, den Weber Franz Franke, zum Schweigen zu bringen, und letzterer hat es in der Thal vorgezogen, lieber die Ehre seine« Kindes preiszugeben, als den Genossen in Strafe zu bringe», denn er hat sich mit diesem ab- gcsunden und stellt leinen Strafantrag." * An» Wrstsale». 18. December. In Köln wie in Dort mund sind socialpolilische Vorträge, welche von Jesuiten-PatreS, in Köln von Cathrem, in Dortmund von Grauderalh, gehalten werden sollten, von der Regierung bekanntlich verboten worden. Tie Dortmunder Katholiken baden gegen dieses Verbot den Beschwerdeweg betreten und ihn durch alle Instanzen verfolgt. Nunmehr ist laut der „Tremonia" folgende Ministerialentscheidung ein gegangen: Aus die gegen die Verfügung de- königlichen Regierungspräsidenten zu Arnsberg vom 2 l. März d. Jahre« betreffend die Untersagung der Abhaltung von Vorträgen kirchlich religiöser Natur seiten- de« Jcsuitenpater« Grandr- rath daselbst gerichtete Vorstellung vom 5. April d. 2. er»
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