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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.12.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-12-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18921227029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892122702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892122702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-12
- Tag1892-12-27
- Monat1892-12
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Reklame» unter demRedactioasstrich (4g«» spatte») Ü0-4, »or de» Kamilieiaachrichta, (SgrjpaU»») 40 Größer« Schriste» laut »njeram Prris- verzeichaib- Dabellorilcher oud Zifieruja» »ach höherem Daris. Extra-Vellage» (gesalzt), ,ar mit d«i Moraea - Ausgabe, ohne Poubesörderuag SU.—, m»t Postbesörderuag ^4 7L—. Annahmeschluß für Ivserate: «beud-Antgabe: vormittag« 10 Uhr. Marge»»Au-gab«: Nachmittag« «Uhr. Sonn, und Festtag» früh '/,S Uhr. Val deu Filiale» und Annahmestelle, ja «st» halb« Stund» seither. 8»s«rat» stlld stet« a» dl« WxHrVttt»» zu rlchtea. Druck und Verla, von L. Pol» t» Ltlpzig. 86. Jahrgang Politische Tagesschau. * Leipzig, 27. December. Nach einer der ,Wolit. dorr." von ihrem vatikanischen Corrrspondcnten auS Rom zugegangenen Meldung ist e« end- giltig entschieden, daß die vom dongreß des Jesuiten ordens in Loyala beantragte Verlegung des Sitzes deS OrdenSgcneralS von Fiesole bei Florenz nach Rom, weil der Papst seine Zustimmung verweigert bat, nicht erfolgen wird. Es ist das um deswillen eine interessante Nachricht, weil durch sie der Beweis er bracht ist, daß das Oberhaupt der katholischen Christen heit selbst nicht wünscht, daß der Leiter des Jesuitenordens allzu sehr in seine Nähe rückt. Papst Leo XIII. hat dadurch, daß er sich den Jesuiten-Ordens-General i» gebührender Ent fernung vom Leibe hält, deutlich bekundet, daß ihn, die schwarze Gesellschaft nicht durchweg sympathisch ist und daß er Miß trauen gegen ihren Einfluß empfindet, der natürlich bei ihrer Uebersiedclung nach Rom noch ein viel stärkerer werden würde. Und da giebt es in Deutschland leider eine große Partei, bez. einflußreiche Leute, die darauf binarbeiten, den Jesuiten wieder hier das Heimalhsreckt zu gewähren und ihnen unsere Schulen auszuliesern. Fürwahr, die Bestrebungen, das Jesuitenverbot in Deutschland aufzubcben, sind durch den obigen Beschluß de« Papste- vollständig gerichtet. In Frankreich gewann es den Anschein, als ob der Lärm des Panamaskandals während der Feiertage ein wenig nachgelassen hätte, indessen am gestrigen Tage haben die Maßregeln der Behörden bereits wieder begonnen und zwar in Gestalt vonHauSdurchsuchunge n bei den Redactionen der Blätter „docarde", „Libre Parole" und „Jntransigeant", die den Zweck hatten, alle in den Händen dieser Redactionen be findlichen Actenstücke mit Beschlag zu belegen. Die Durch suchungen sollen jedoch ergebnißlos verlaufen sein. Andrieux läßt seinen zahlreichen Freunden durch die „Agence Havas" mirtheilen, daß er weder verhaftet noch bisher da« Opfer einer Haussuchung geworden sei. Er glaube zu wissen, daß die Regierung vorläufig auf eine Willkürmaßregel verzichtet bade, die sich durch nichts rechtfertigen ließe. Aus die Frage, auS welchem Grunde nach seiner Ansicht seine Verhaftung beabsichtigt gewesen sei. antwortete Andrieux, er nehme an, daß ein Geheimpolizist der Regierung gewisse Gerüchte hinterbracht habe, wonach er entschlossen wäre, unter seinem Eide gewisse Beziehungen, dir zwischen der Panama-Gesellschaft und darnot existirten, zu denunciren. Andrieux hat immer noch den Namen des großen Unbekannten verschwiegen, der den mehrfach erwähnten Halb- millionen-dheck eincassirt haben soll. Andrieux hält ferner aufrecht, daß Freycinet ihn am Freitag besucht habe, behauptet aber, mit diesem inimer in den besten Be ziehungen gelebt zu haben; er habe, was man auch sage, nichts EompromlttirendeS gegen den Kriegsminister in Hände». Das Gerücht, wonach Freycinet zurücktreten wollte, bestätigt sich denn auch nicht. Andrieux läßt auch noch durch die „Libre Parole" erklären, daß es mit dem Panama-Skandal nicht sein Bewenden haben werde. Er werde demselben einen „Credit soncier-Skandal", einen „Skandal der tunesischen Schuld", einen „Militair-LiefernngS-Skandal", wobei überall Opportunisten compromittirl werden würden, folgen lassen. Es gäbe, so sagt Andrieux, sür die Majorität kein anderes Mittel, um sich seinen Verfolgungen zu entziehen, als die Kammer-Auflösung. — Bon heute geht uns folgendes Tele gramm auS Paris zu: Dem „Figaro" zufolge würde durch den Bericht des vr. Brouardel über den Tod Steinach'« constatirt werden, daß derselbe durch Gift gctüdtct worden und daß das Gift 7—8 Stunden vor eingeireienem Tode in den Körper gelangt sei. Tiefe Feststellung würde seitens der Anwälte der Angeklagten in der Panainaangclegenheit dahin benutzt werden, um zur weiteren Vervollständigung des Entlastungsmaterials die Vertagung des aus den U). Januar nächsten Jahres angejeyten Termins zu beantragen. Ferner veröffentlicht der „Figaro" eine seitens «ine» Bericht- erstatters mitAndrieux gepflogene Unterredung, bei weicher Letzterer erklärte, Cornelius Herz sei während der letzten Jabre Gegenstand eines Vergistungsversuchcs gewesen, welchem Baron Steinach nicht fern gestanden habe. In Bezug auf den schweizerisch-französischen Handelsvertrag sind nun die Würfel gefallen, indem die Partei der Schutzzöllner in der französischen Dcpukirtcn- kammer, trotz des entschiedenen Eintretens der Regierung sür den Bertrag, denselben in der Sitzung am 21. December mit der großen Mehrheit von 338 gegen l93 Stimmen verworfen hat. So wird ganz allgemein der Beschluß, nicht in die Einzelberatbuug des Handelsvertrages cinzulretcn, aufgcfaßt und er bedeutet auch in Wirklichkeit nichts Andere«. Die Pariser Blätter, welche die Kammer auf das Dringenste warnte», derSchweiz auf handelspolitischem Gebiete den Fehdehandschuh hinzuwcrsen, sind ganz untröstlich über die Halsstarrigkeit der Kammer-Mcbrbeit und einige von ihnen gratuliren Deutschland zu dem Weihnachtsgeschenk, welches ibm Frankreich mit der Verwerfung dieses Vertrages gemacht habe. Der „Figaro" schreibt ingrimmig: „Wir haben alle Sympathien in Europa, wir sagen alle, nicht eine ausgenommen, verloren." Auch die Regierung der Schweiz betrachtet nach den aus Bern ein gegangenen letzten Nachrichten den Handelsvertrag mit Frank reich als verworfen. Die meiste» schweizer Zeitungen meldeten das Ereigniß durch Extraausgaben. Ucberall wird das Ercigniß mit Lebhaftigkeit besprochen. Der Bundesrath wird die Zahl der Grcnzwächter vorläufig um etwa 150 Man» vermehren und eine Reibe französischer Einfuhrartikel, wie Wein, Ochsen, Mastkälber, Weichkäse, ConfectionSwaaren u. s. w. vom 1. Januar 1893 ab mit möglichst hohen Einfuhr zöllen belegen. Man meint, daß die aus dem Zollkrieg ent stehenden Grenzstörungen Frankreich willkommen sein werden, um daraus gegebenen Falls den Borwand für eine Verletzung der schweizer Neutralität abzuleiten. Wir sind über zeugt, daß die Schweiz in Bezug auf den letzten Punct sich nicht allzu großen Befürchtungen hinzugeben braucht, denn Frankreich wird sich im äußersten Falle wohl recht reiflich überlegen, ob cs die Neutralität der Schweiz anlasten darf, und es sind noch andere Mächte, außer Deutschland, vor handen, die an der Behütung der Neutralität dieses Landes ein directes Interesse haben. Im Ucbrigen ist die Lehre, welche die Schweiz von Frankreich empfängt, eine wohl verdiente und hoffentlich wird sic auch eine gesunde Wirkung ausübcn. Wir können nur wünschen, daß der Schlag, der jetzt die Franzosenpartei in der Schwei; erkalten hat, ein nachhaltiger sein wird. Man muß offen bekennen, das neue liberale Cabinct in Madrid hat durch die unerschütterliche Energie, mit welcher eS allen Versuchen der dortigen Ultramontancn, die Eröffnung der ersten protestantischen Kirche in der spanischen Hauptstadt zu verhindern, widerstanden bat, einen Beweis seiner toleranten, auf gegenseitiger Achtung der Rechte der einzelnen Consessionen beruhenden Regierungs grundsätze gegeben. Nach einer vorliegenden telegraphischen Meldung erfolgte gestern in Madrid die Eröffnung der Kirche trotz der klerikalen Agitation ohne erheblichen Zwischenfall. Militair hielt alle Straßen in der Umgebung der Kirche besetzt. Vor der letzteren versuchten mehrere Hundert ver hetzte Ultramontane eine feindliche .(Kundgebung, wurden jedoch von den Liberalen verjagt. Bis zur letzten Stunde suchte der dlerus die Eröffnung der Kirche zu Hintertreiben. Sechzig Damen des böchstcn Adels hatten noch ain Sonnabend eine Audienz bei der Königin, welche aus die Berfassung hin wies. Der Madrider Bischof veranstalte» eine katholische Procession zur Sühne für die Entweihung des spanischen Bodens. Diese dürste jedoch von Sagasta verboten werde». In dem britischen Jnselreiche ist die Feiertagspause in ganz entsetzlicher Weise durch das bereits kurz gemeldete Dynamit-Attentat in Dublin, von dem man allgemein glaubt, daß es dem irischen Obcrsecretair und Minister John Morley gegolten habe, gestört worden. Am Sonnabend Abend bald »ach l l Ubr würde die Stadt Dublin durch einen furchtbaren Knall an« der Weihnachtsfeier ausgeschreckt. Der Schauplatz der Explosion war das Polizeigebäude in Exchange- conrt gegenüber der Dublincr Burg in unmittelbarer Nähe des Stadthauses. Eine mit Dynamit geladene Höllenmaschine war dicht vor dem Eingänge hingclegt worden. Kurz vor 11 Ubr sah ein Poliziit etwas am Erdboden liegen, was wie das brennende Enke einer Cigarre auSsah. Dies war unzweifelhaft die glimmende Lunte, welche die Höllenmaschine entlud. Bald daraus betrat ein junger Polizist Namens Sinimott das Gebäude. Er muß die Maschine erblickt und entweder angepackt oder mit dem Fuße weggestoßen habe». WaS eigentlich geschah, wird wahrscheinlich niemals auf geklärt werke». Ein furchtbarer Knall, begleitet von Rauch und Flammen, erfolgte. Sinimott wurde buchstäblich in Stücke gerissen. Er lebte noch, als man ihn aushob, aber er starb bald »ach der Ueberführung ins Krankenhaus. Das linke Bein und der rechte Arm waren vom Rumpfe gerissen und das Gesicht verstümmelt. Das Polizeigebäude hat ver- hältnißiiiäßig wenig gelitten. Alle Fenster der benachbarten Gebäude, darunter der Bibliothek, wurden zertrümmert. Das Attentat wird als gegen die Burg selber gerichtet angeseben, weil die Regierung wider Erwarten die Begnadigung des Dyna- mitarden Daly verweigert hat. Diese Explosion ist augen scheinlich ein Protest der Fenier gegen den Entschluß der Regierung. Die Untersuchung ist im Gange, der Thäter noch unermittell. — Es liegen über das grauenhafte Ercigniß folgende neueste telegraphische Nachrichten vor: Lonöon, 27. December. Au* Dublin wird gemeldet, daß trotz umfassender Erörterungen noch keine Spur des Urhebers des Morley Attentats entdeckt sei. * London, 27. December. Tie gesammte Presse drückt ihre Entrüstung über den Attenlatsvcrsuch aus, der ans John Morley ausgesührt worden, und findet es unbegreiflich, daß ein solcher Versuch gemacht werden konnte. Wenn Jemand den Dank der Irländer verdiente, so könnte dies nur der uneigennützige Morley sein, der stets sür die Bestrebungen der Irländer ein- getreten Tie „Daily News" jagt, das Attentat könne nur der gröbsten Niedertracht zugeschrieben werden. „Daily Chronicle" kann evenjaUs eine Erklärung sür das Attentat nicht finden und spricht die Hoffnung aus, Morley möchte sich durch dasselbe nicht von seinem großmüthigen Verhalten gegen die Irländer adwenven lassen. Tie conservativcn Blätter können bei aller Mißbilligung ihre Schadenfreude nicht verbergen über die Undankbarkeit, welche Morley zu Thcil geworden. „Daily Telegraph" sagt, das Attentat sei ein eigenthümlicher Eommentar zu der von den Freunden Glabstone's betriebenen und von Morley praktisch angewandten Politik. „Standard" meint, die Tdat sei der sicherste Beweis der Nutz losigkeit, ja Schädlichkeit der Glabstone'schen Versöh nungspolitik. Deutsches Reich. O. II. Berlin, 27. December. Still und ruhig sind die Weihnachtsfeiertage in Berlin verlausen. An beiden Feiertagen hatten wir prächtige« Weihnacht-wetter, klare Luft mit mäßigem Frost in den Mittagsstunden. Die Straßen- physiognomie am erste» Feiertag war die stillste, die wir je gesehen; von 10 Udr des Morgen« ab ruhte jede« Geschäft und das Hasten und Treiben der vergangenen Tage schien förmlich hinweg gezaubert zu sein; der Verkehr war nur ein ganz geringer, die Gotteshäuser dagegen überfüllt. Am Abend waren die Theater ausverkauft, die Kneipen dagegen leer. Das politische Leben schwieg fast ganz, nur von politischen Clubs veranstaltete MatinSes und andere geselligeBereiniaungen fanden statt; bei den Socialdemokratcn fehlte es natürlich nicht an dem decorativen rvthen Aufputz. Von schrecklichen Ver brechen, die uns sonst die Feiertage zu bringen pflegen, wurde nichts vernommen und der gellende Ruf der Verkäufer von Extrablättern: „Allerneuester Mord" nirgends gehört. In dem gewohnten Rahmen spielte fickt da- Weihnacht-fest in der kaiserlichen Familie ab. Jeder Prinz erhielt seinen Weih- „achtsbaum und auch sür die kleine, prächtig gedeihende Prinzessin war ein Bäumchen geputzt. Der zweite Weih- nachtSseiertag brachte gegen den ersten schon etwas Leben; ziemlich flott ging bereits der Handel mit Neujahrskarten, aber sonst machten wiederum nur noch die Bazare Geschäfte und die soliden Geschäftsleute halten daSNachsehen.DieBesorgniß wächst, daß der Januar uns doncurse in großer Anzahl bringt, denn die letzte Hoffnung zahlreicher Geschäftsleute, ein gute« Weihnachtsgeschäft zu macken, ist unerfüllt geblieben. Auch in den Arbeiterquartieren war von einem frohen Feste wenig zu merken; die Notb der Zeit machte ihren Einfluß überall geltend. So hat Berlin nicht nur ein stilles, sondern im Allgemeinen auch wenig frohes Weihnachten erlebt. * Berlin, 25. December. Der seiner Zeit vielbesprochene Erlaß des dullusministcr« Grafen Zedlitz über den Religionsunterricht der Dissidentenkinder, der vielfach als Vorläufer des glücklich gescheiterten VolkSschul- gesehes angesehen wurde, soll, wie neuerdings verlautet, be stehen bleiben, bis er auf dem Rechtswege bestätigt oder al« unhaltbar erwiesen ist. So hat angeblich der dultusminister Bosse entschieden, obgleich er sich im Abgeordnetenhaus« über die Frage in einer Weise geäußert hat, welche auf eine andere Auffassung bindeutete. Danach ist für« Erste die Erwartung, daß bezüglich des Religionsunterricht« an Disst- drnkenkinder die Jahrzehnte lang unangefochten gebliebene Falk'sche Auffassung, wonach solche Kinder nicht gezwungen werden konnten, wider den Willen ihrer Eltern an dem Religionsunterricht in der Volksschule Theil zu nehmen, wicderhergestellt werden sollte, getäuscht worden. Es ist daS um so überraschender, als bekanntlich bei der Berathuna de« Zedlitz'schcn VolksschulgescyeS im Abgeordnetcnhause der». 17 der Vorlage, welcher e>ne Absckwächung des Ministerialerlasse« enthielt, die Rechtsgilligkeit de« letzteren ernstlich bestritten und behauptet worden ist, daß die Vorschriften de« Erlasse-, die in ziemlich künstlicher Weise durch Berufung aus da« Landrccht gerechtfertigt wurden, mit de» bestehenden Gesetzen nicht in Einklang zu bringen feien. In Magdeburg hat die Zedlitz'sche Praxi« unlängst dahin geführt, daß nahe Kundert Kinder von Dissidenten dem Religionsunterricht in der Volks schule zugewiesen worden sind, und die dicserhald eingelaufenen Beschwerden scheint Minister vr. Bosse mit deni Hinweis aus den Rechtsweg beantwortet zu haben. Im Interesse der Religionsfreiheit wäre, so schreibt der „Hamb, dorr." zu treffend, dringend zu wünschen, daß dieser indirecten Auf forderung seiten- der Eltern Folge gegeben würde, um die Frage, ob der Zedlitz'scke Erlaß aus gesetzlichem Boden steht, zu einer endgiltigen Entscheidung zu bringen, da bis zum Erlasse eines Volksschulgefctzes ohne Zweifel noch eine hübsche >. Im Uebria Zahl von Jahren vergehen wird. Uebrigen wird die Fenillotsn. Dämmerungen. Roma« in drei Büchern von Rudolf von Gotischall. 72j Nachdruck verböte». «Fortsetzung.) Jean, der den Kaffee gebracht, meldete Susette. Herr von Senden konnte sie wohl leiden; sie hatte eines jener Dosengesichten, die aus einigen seiner Tabatiörcn abgebildet waren; und da sie ikn an jene Sammlung erinnerte, die zu seinen liebsten Kunstschätzen gehörte, so war sie ihm stets eine willkommene Erscheinung. Sic trat indeß diesmal sebr niedergeschlagen ins Zimmer mit einem Armcnsündergesichl, als hatte sie selbst ein Ver brechen begangen. „Diesen Brief fand ich auf dem Tischchen der gnädigen Frau." Sie hielt das Schreiben, als sie es überbrachtr, zierlich zwischen den Fingerspitze», als fürchte sie. der Inhalt könne absärben; denn dies Rosa war offenbar eine Giftsarbe. Der Baron zog erstaunt die Augenbrauen in die Höbe: „Bon meiner Frau! Das ist ja merkwürdig. . . was fällt ihr ein? Ich sammle allerdings die verschiedenartigsten Dinge, aber doch keine Handschristen. Er öffnete den Brief und las: „Ich muß Dich verlassen ... ich ertrage nicht länger daS einsame Leben in Heimersheim und an Deiner Seite. Ick gehe in die weite Welt. . . es ist mein Trost, Du wirft micy nicht vermisse». Leonie." Herr von Senden laS dies« Zeilen immer wieder... er wollte seinen Augen nicht trauen ... dann sprang er auf! „Wo ist meine Frau?" „Sie ist seit gestern Nachmittag, wo sie in die Stadt fuhr, nicht zurückgekebrt." „Unmöglich .. . eine Senden? Was ist vorgegangen . wobin kann sie sich gewendet haben? An meiner Seite will sie nicht länger leben? Eine Senden ... sie trägt meinen Namen und sie hat ja keine Verwandten, keine. Vielleicht bat sie sich auf das Schloß de« Grafen begeben ... sie nimmt Marie mit sich... so wird eS sein, so kann eS sein! An spanner, lassen ... anspanncn lassen ... doch wohin? Nein, «rin! O, ich verliere den Verstand!" Und er eilte im Zimmer nmber, riß alle Fenster auf, ries den Namen Leonie hinaus in Wind und Sturm. Susette war erstaunt über die Wirkung jener Zeilen; sie batte geglaubt, sie würde» den Baron nicht mebr ärgern, als eine zerbrochene Nipptischfigur, die Jemand vom Tische gestoßen hätte. Dock der Baron konnte sich nicht beruhigen, er ries immer von Neuem den Namen seiner Frau. „Sie hat sich vielleicht noch anders besonnen", sagte Susette tröstend, „sie kommt vielleicht neck zurück." Dock Herr von Senden hörte nicht auf diese Worte; im Scklafrock und Pantoffeln fuhr er durch da« ganze Haus, stöberte die Zimmer der Baronin durch, blickte in alle Schränke. Kopsschüttelnd kehrte er aus den Gemächern seiner Frau zurück. „Alles leer . .. nur den Morpheus bat sie mir wenigsten- gelassen", murmelte er vor sich bin. Dann stieg er binab in den Garten ... der Kaiiimerdiencr eilte ihm nach und warf ibm den Mantel über... er ließ es sich gefallen. „Frische Lust . .. frische Luft... ich ersticke!" rief er, durch die Gänge des Gartens schreitend, öffnete die Tbür lei des Kiosk und warf sich dann todtmüde auf die gepolsterte Rundbank. Der Kammerdiener war mit bineingetretcn; er verwandte keinen Blick von dem Baron; sein Zustand schien ihm bedenklich. Herr von Senden blickte jetzt wie gedankenlos inS Leere. Inzwischen war ein Wagen im Schlosse vorgefabren und Ilr. Bingen stieg aus. Susette begrüßte ihn und sah ibn fragend a». „ES war Alles vergeblich", sagte er, „sie sind fort! Sie aber, Fräulein, fahren eiligst in die Stakt, i» die Anstalt . . . die Baroneß m»ß zurückkommen, hierher, a»bcnblicklich . . . der Vater bedarf ihrer. Theilen Sie ihr vorsichtig mit, was vorgesallen." Susette knixte. „Der Baron weiß schon, daß die gnädige Frau ibn verlassen hat. Sie hat es ibm selbst geschrieben: koch er weiß nicht, daß sie schon mit dem Bahnzng abacreist ist, und nickt mit wem; der Herr Baron ist im KioSk." „Eilen Sie... der Kulschcr soll dir Pferde nicht schonen." DaS GesellschastSsränlein eilte in die Ställe...es waren schöne Tage für sic; sie kam sich jetzt sehr wichtig vor. Oswald schritt dem KioSk zu; es war ihm lieb, daß seine Kunde nicht wie ein Blitz auS beilerm Himmel kam, daß der Baron schon ans das Schlimmste vorbereitet war. Er winlte beim Eintritt dem Kanimcrdiener, den KioSk zu verlassen und reicht« den, Boron kic Hand, der ihn an fangs, wie aus einem Traum erwachend, anstarrte; dann aber rief: „Wie schön, daß Sie kommen! Sie bringen mir hoffentlich bessere Botschaft. Meine Frau . . . oder wissen Sie noch nichts?" „Ich weiß Alles, Herr Baron, nnd bitte Sie, Ihre Fassung zu bewabrcn. Ihre Frau Gemahlin ist bereits auf dem Wege nach Italien." „Italien ... dabin also trieb sie ihre Sehnsucht! Wie unrecht, daß sie mir nichts davon gesagt... ich bättr sie begleitet. Italien ... die Bauwerke ... die Galerien; eS ist schon lange bcr, daß ick das Alles aeseben . . . man erhält kort Eindrücke, die man sclbstschöpferisch vcrwertben kann. Italien . . . o daS beruhigt mich! Ich hätte ihr die Courage nicht znaetraut; doch sie wird wiederkommen. Eine Laune — eine Tollkühnheit . . . welchen Gefahren setzt sie sich auS." „Die Baronin reist nicht allein!" „Nicht allein? Doch nicht etwa mit Marie?" „Es thut mir Weh, daß ich Jlmen ein empfindliches Weh bereiten muß und auch für mich ist es peinlick und be schämend, die Wahrheit sagen zu müssen. Mein Bruder Lothar begleitet sie." „Lotbar?" rief der Baron außer sich, „Lothar? O . . . mir abnte schon ... sie lieben sich! So ist eS Untreue und Schmack und Schimpf über mein Haus! Jbnen nach . . . ibnen nach ... ich will sie mir zurückbolen, ich will ihn zur Rede stellen. Eine Senden! DaS Hau« der Senden ist entehrt." Und mit lautem Schrei brach bcr Baron zusammen. Der Arzt, betroffen von der niederschmetternden Wirkung seiner Mittbeilung bei dem sonst zerstreute» und gleickgiltigen Manne, ließ durch den Kaminerdicner rasch kaltes Wasser, Umschläge, im Hanse vorrätbige Eisbeutel berbribolen. Dann transportirte man den Kranken in sein Schlafzimmer; doch er kam zunächst nicht wieder zum Bewußtsein. Oswald stand, in Nachsinncn verloren, neben dem Röchelnden. So war doch nicht alle« im Gehirn diese« Mannes von seinen krankhaften Passionen und den sie be gleitenden Wahnvorstellungen gleichsam aufgezcbrt; so gab e« noch eine bisher unberührte, aber überaus empfindliche Stelle, die einer selbstständigen Erregung fähig war und nun durch den allgemeinen Reizznstand der Gehirnhäute um so rascher und mächtiger ergriffen wurde. Herr von Senken war ein Fanatiker rer Familienehre . . . und damit hing wohl auch sein Stolz auf des Hauses Glanz und Pracht und seinen Reicdthum an Schätzen jeder Art zusammen. Susette schaukelte sich indeß mit großem Wohlbehagen aus den Kissen der herrschaftlichen Equipage. Obschon da« Weiler in hohem Maße raub und unfreundlich war, hatte sie doch die elegante Halbchaise gewählt und das Verdeck ganz zurückschlagcn lassen, damit alle Welt die feingepuhte Dame in ihrer ganzen Glorie sehen konnte. Doch einige trübe Zwischcngedanken störten das Wohlgrfühl, da« sie bei so glänzender Schaustellung ihrer kleinen anmuthigen Person empfand: die Vorgänge im Hause Senden warfen doch einen Schatten in ihre Serie und außerdem wußte sie nicht recht, wie sie der Tochter in schonender Weise das tadelnSwerthe Benehmen der Mutter mittbeilen sollte. Sie selbst fand allerdings mehr als eine Entschuldigung dafür: in gleicher Lage wäre sie vielleicht auch durcbgcgange», nur nicht mit einem Menschen wie Lothar. Sie fand Marie in ihrem Zimmer, wo sie Tuck und Mantel ablegte: sie hatte eben den Grafen auf einem Gang durch den Anstalt«garten begleitet. Er war jetzt immer freundlich und zärtlich gegen sie, wie gerührt von ihrer An hänglichkeit. Doch diese Zärtlichkeit batte oft etwa« Väter liches. Der Aufenthalt in der Anstalt wirkte sehr günstig auf sein Befinden: er hatte sich früber niemals ärztlich be handeln lassen und so hatte die Krankbeit in ihm sortgewuchert und sich gesteigert zu verderblichen Tobsuchtsansallen: Durch die Bäder, die elektrischen Einwirkungen, die berabstimmeiiden Mittel, die freundliche Zusprache der Aerzte, des Anstalt«- directorS nnd des Doctors Bingen, vor Allein durch die An wesenheit eines Wesen- von so liebender Hingebung wie Marie schien der Krankheit die Spitze abgebrochen zu sein. Wenn indeß der böse Dämon ihn wieder ergriff, so sorgte er fast ängstlich dafür, daß Marie nicht in seiner Nähe verweilte. Als Sclave einer so blinden Nalurgewalt, die er jetzt bis weilen selbst als ein trauriges Berbangniß empfand, scheut« er sich, ihr gegenüber zu treten. Susette nahm die düstern Mienen an, wie sie zu einer UnheilSbotschaft paffen. „Ihr Bater ist schwer erkrankt; Doctor Bingen bittet Sie dringend, sogleich nach Helmer-Heim zu kommen. Der Wage» wartet unten." „UniS Himmel-Willen", rief Marie, „schwer erkrankt — nnd gefährlich! Was sagt der Arzt?" „Es scheint ein Schlaganfall zu sein; dock Doctor Bingen ist anwesend ... die beste ärztliche Hilfe zur Hand ..
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