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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.04.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-04-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18940404024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894040402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894040402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-04
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Es herrscht in Folge so mancher Porkommnisie der jüngsten Zeit gegenwärtig in beiden Parlamenten keine Sluniiiung, die einer ersprießlichen Erledigung wichtiger gesetzgeberischer Ausgaben förderlich wäre. Eine gewisse dumpfe Schwüle, Ermüdung und Mißstimmung lasten auf dem öffentlichen Leben und werden das Kennzeichen für den weiteren Verlauf der parlamentarischen Tbäligkeil sein. Was den noch rückständigen Arbeitsstosf betrifft, so liegen dein Reichstag hauptsächlich noch ob: die Stcuer- unb Finaurresormvorlagen, die Gesetzentwürfe über Abzah lungsgeschäfte, über die Bekämpfung genicingesäbrlicher Krank- heilen, -über Abwehr und Unterdrückung von Viehseuchen, über Schup der Waarenbezeicknunge», über Abänderung der ConcurSordnung, der Bericht über die Börscnuntersuchunas- comliiission, dazu zahlreiche Anträge aus de», Hause. Im preußischen Abgeordneten Hause besteht der nock rückständige Arbeitsstoff hauptsäcklick, in Folgendem: dem Gesetzentwurf über die Landwirthschaftskammern, dem Abschluß der Etatsbcrathung, wobei namentlich die (iisenbahnverwaltunz noch in zweiter Lesung zu erledigen ist, den Gesetzentwürfen über Stadlcrweilcruiigen, Kalisalze, Abänderung der evangelischen Kircheiigemeiiidc- und Synodal- ordnung, den Eanalvorlagen, ferner zahlreichen Anträgen aus bem Hanse, unter welchen der Antrag Eckels, betreffend Aushebung der Staffeltarife, und die Interpellation Arendt über die Neuprägung von Reichssilbermünzcn besonderes ,)ntercffc erregen. Heute steht die Bcratbung der Vorlage über den Elbe-Trave-Caual aus der Tagesordnung des .siause«. Die Herstellung dieses Verkehrsweges entspricht be- lannllich einen« LebenSinlcrcsse der Stadt Lübeck, welche denn auch hauptsächlich die Kosten zu tragen bat. Sie liegt aber auch im Interesse der benachbarten preußischen Landcstheile, und die preußische Regierung hat sich daher bereit erklärt, einen entsprechenden Antheil der Kosten zu tragen. Man sollte annehmen, eine solche, der Landeswoblfahrt dienenden Porlage könnte bei einer einsichtige» Volksvertretung aus keinerlei Widerstand stoßen. Gleichwokl sind Gerüchte ver breitet, und sic stützen sich auf öffentliche Acußerungen conser- vativer Parteiführer, daß diese Partei die Vorlage abzulebnen gedenke. Wir wollen abwartcn, ob dies wirklich der Fall ist. Es wäre ein Entschluß kleinlichster »nd unverständigster Art, nur erklärlich aus der gegenwärtigen politischen Verstimmung der conscrvativcn Partei und der Sucht, den industriellen Interessen einen Schaden zuzufügcn wegen der angeblichen Prcisgcbung der Landwirlhsciiaft zu Gunsten der Industrie in den Handelsverträgen. Wir wollen noch nicht glauben, baß die preußischen Conservativcn dermaßen die Besonnenheit und ras Bcrständniß sür allgemeine Interessen der LandeS- «ohlsabrt verloren haben, um eine solche Borlagc abzulehnen. In der unbequemsten Lage befindet sich beim Wieder beginn der parlamentarischen Arbeiten das Ventriim Aller bmzs kommt aus Bayern die für die Partei tröstliche, aber mit der Stimmung im Lande im Widerspruch stehende Persicherung, zur Zeit würden die bayerischen klerikalen Abgeordneten nicht aus der Fraction im Reichstage aus- scheidcn. Dafür aber nehmen im Westen die Auseinander setzungen zwischen den Agrariern und Len Diplomaten der Partei einen immer gereizteren Ebarakter an. Herr I>r. Lieber batte in Frankfurt a M. eine neue Probe seines taktischen Geschicks abgelegt, indem mit einigen plumpen Schmeicheleien den Freiherr» v. Schorlcmcr-Alst dem ihm unbequem gewordenen Freiherrn v. Loö gegcnüber- stcllte. Er scheint sich auf diesen Schackzug viel ein gebildet zu haben, denn er hat die der Versamm lung beiwohnenden Journalisten ersucht, seine Erklärung gegen Loe besonders scharf hervorzubeben. Um so peinlicher wird ibn die verächtliche Handbewegung berühren, mit der er selbst jetzt von dem Freiherr» v. Schorlemer bei Seite ge schoben wird, der in der „Köln. Volksztg." Einspruch erhebt gegen die Art, wie er von Herrn Lieber „dem um den rhei nischen Bauernverein und den Bauernstand hochverdienten Freiherr» v. Lob" gegcnübergestellt wird. Wenn cs so weiter geht, meint das ultramontane „Wests. Lolksbl", dann wisse man schließlich nicht mehr, wer Koch und wer Kellner in der Partei sei; die Ansicht sei weitverbreitet, cS müsse inderEentrunisleitung eine gründliche Acnberung eintretcn, „bevor über Nacht ein Un wetter kommt und wegfegl, was Windtborst'S rasttose Mühe geschaffen und zusammengchalten". Sicherlich würde die Einigkeit sofort, wenn auch nur aus einige Zeit, wieder hergestellt sein, wenn Graf Caprivi sich geneigt zeigte, den miteinander Hadernden kirchen- polilische Eoncessionen sür die Zustimmung zu den Slcuervorlagen in Aussicht zu stellen. Tie Versuchung, dies zu tbun, ist für ihn eine um so größere, je weniger von der letzigen ReichSlagSmajoritäl ein Widerspruch gegen die Aus hebung des Jesuiten gesctzeö zu erwarten ist. Freilich würde er sich durch eine Rutkc binden, schlimmer noch als die, die er sich durch seine Polenpolitik bindet. Aber wer die Polen aus Kosten der Deutschen hätschelt, unterliegt wohl auch der Versuchung, daK Eenlrum einem Reform- plane zu Liebe in einem Momente zu hätscheln und zu einigen, wo es vor dem Zerfalle steht. Die hochgradige Spannung, mit der man dem Verlause der Reichstagsvcr- bandlungcn entgegensicht, ist daher durchaus gerechtfertigt. Eine anscheinend officiösc Eorrespondcnz der „Schlcs. Ztg." versichert allerdings, Graf Eaprivi werde die etwaige Ab lehnung der Stcuerrcsormvorlagcn dem Eentrnm zuwälzcn und dadurch, daß er eS sür die dann in den Einzelstaaten entstehenden Zustände verantwortlich macht, den Zerfall der Partei zu beschleunigen suchen; aber man hat cs zu sehr verlernt,aus die widerspruchsvollen Behauptungen der Ossiciösen etwas zu geben, als daß man volle Beruhigung aus jener Versicherung schöpfen könnte. Tie Hauptpunkte dcS politischen Ausgleichs in Dänemark liegen jetzt vor; sie sind folgende: I) Tie Linke stimmt der Errichtung eines drillen Departements- secretairposten« im Auswärtigen Amte zu. 3) Tie Linke bewilligt Ausgabeposte» zur Besoldung verschiedener im Wege vroviioriicher Erlasse ernannter Beamten. 3) Für eine wisjcnjcha'tlichc Expedition nach Grönland werde» 150 000 Kronen bewilligt. 4) Ten, Kriegs minister werden verschiedene Bewilligungen, die Befestigung von Kopenhagen sowohl nach der See- wie nach der Landieite hin betreffend, bewilligt. 5) Da« Gendarmeriecorps wird ausgchoben. 6) Für die Erhaltung und den Betrieb des mit provisorischer Bewilligung erbauten Freilagergebäudes i» Kopenhagen werden circa 50000 Krone» geneh migt. 7) Die zu außerordentlichen Polizeiiiiaßiiahme» seit dem Lctober 1885 provisorisch verausgabten 150000 Kronen werden abgestrichen. 8) Die verlangten Bewilligungen für Positionsgeschützc mit Munition und kür die Anlage von Küslenbatterien am Große» Belt rc werden abgestrichen. !)> Dem Kriegsminister werden beichrankte Bewilligungen sür die Anschaffung von Patronen mit rauchfreiem Pulver und für die Anfertigung von neuen Gewehren genehmigt. 10) Im Budget des Marineminislcrs werden verschiedene verlangte Beträge zur An- chaffung von Floltenmaterial gestrichen. Tic Zugeständnisse, welche hiernach die Linke der Regierung gemacht bat, sind wesentlich und zahlreich, ja sic sind dein jongeschriltenen Flügel der Linken so weitgehend, das; der selbe. l5 Mann stark, sich von dem gemäßigten Gros der Partei getrennt und eine eigene Gruppe gebildet bat. Nach ihrer Ansicht wäre der Ausgleich mit Estrup die schwerste Niederlage, welche der dänische Liberalismus, in kein die „Männer" der Opposition auSgestorbcn seien, je erlitten habe. Das ist, wenn auch die moderate Linke der am meisten nach- gebcndc Theil war, doch übertrieben, denn auch sie hat, wie schon hervorgchoben wurde, ein keineswegs schlechtes Geschäft bei dem Ausgleich gemacht, und cs wird ihr obendrein vielleicht noch die Gcnugtbuung zu Tbeil, daß der Ministerpräsident Estrup, den sie wegen seines „Absolutismus" jahrelang be kämpft hat, freiwillig resignirt. der Wahlrensus erhöbt werden, damit nicht, wie die« jetzt der Fall sei, die unterste» und ärmsten Schichten des Volkes und die Zuchtbänsler in den Gemeinden und bei den Wahlen den To» angebe», und die Intelligenz der Bevölkerung kalt gestellt werde. Tie gemäßigte» Elemente der Radi kalen würde» aUinäblich in der Partei Oberwasser ge winnen und mit den Vertretern anderer Parteien ; usaniinengekc». kurz: cs müsse sich eine patriotische, eine ^taatsparlei bilde». Sei man aber so weit, bau» solle der Kö»i^ an die Reform der Evnstitution gehe», für deren liberalen Ebarakter das Volk noch nicht reis sei. Nikolaje witsch hat, wie man sicht, die Ursache der Mißwirlbschast in Serbien richtig erkannt, und man braucht noch nicht alle Hoffnung anszugebcn, daß er sich als Mann der Situation tbatsächlich erweisen und im Verein mit dem neuen Finanz- minister Petrowitsch die schwierige Ausgabe der Sauiruug der serbischen Verhältnisse ihrer Lösung znführen wird. Als in Lerbirn Ende Januar der fortschrittlich liberale Simitsch an die Spitze des das radicale Eabinel Gruitsch ablöscndcn Versöhnungs- und AuSgleichSministerinins trat, sagte er, daß er, falls seine vermittelnde Tbätigkeit erfolglos bleiben, und Repressivmaßrcgcln notdwcndig werden sollten, sich wieder zurückziehcn und die Aufgabe energischeren Händen überlassen werde. Zu diesem Entschluß ist Simitsch nur zu rasch gedrängt worden: er sowohl wie der Finanzmin'stcr Mijalewitsch und der EulluSminister Ncsilsch sind am Montag aus dem Eabinel ausgetreten. Ter Minister des Innern Swetomir Nikolajcw > tsch übernahm dieEabinetSbildung und wurde Ministerpräsident. Zum Finanzminisicr ist Wukaschin Petrowitsch, zum Iustizmiiiister der Eassalionskos-Richler Icsrem Anbonowitsch und zum Hantclsminister Lazar Iowanowitsch ernannt. Der Kernpunct der Schwierigkeiten, deren das Eabinel Simitsch nicht Herr zu werden vermochte, liegt in der systematischen Verschleppung, um nicht zu sagen Be seitigung der Steuerzablung, welche die Radicalen zur Zeit ihrer Herrschaft sür ihre Parteigenossen cingcsükrt haben. Millionen über Millionen Steuern sind bei de» Bauern rück ständig, und deshalb sinten die Radicalen auch aus dem Lande immer Unterstützung. Sic haben dort alle Gcmcinteämler in der Hand und scheuen vor Gewaltthaicn gegen andere Parteien nicht zurück. So wurden erst vorige Woche drei angesebene Mitglieder der Gemäßigten von Radicalen ermordet. Diese Ulithatcn hatten im liberalen und sortschritl lia>en Lager eine arg gereizte Slimmung und das Perlange» hervorgcrufen, die Regierung möge nun endlich energisch gegen die radicalen „Freibeuter" und Mordbrenner Vorgehen, andern falls werde sie ans die Unterstützung der gemäßigten Elemente nickt länger rechnen dürfen. Zu einem solchen Vorgehen der starken Hand, zu einem Kamps aus Leben nnd Tod vermochte sich der concilianle, friedliebende simitsch nicht zu entschließen, und wenn er zurücktrat, so wich er nur dem tbatkrästigcren Nikolajewitsch, welcher von vornbcrcin einer durchgreifenden Geldentmachung dcr StaatSaulorität geneigt war. Von dem ehe maligen Radicalen,der wegen seines Uebertrilts zur Fortschritts partei von jeincn frühere» Parteigenossen als Renegat gehaßt wird, ist bekannt, baß er vor drei Jahren durch Ristitsch seines Postens als Rector der Belgrader Universität, an der er Literatur lraclirte, enthoben wurde, weil er bei einem Banket zu Ehren Milan s eine Tischrede hielt, in welcher er Milan aus- sorderte, den Thron wieder zu besteigen und der radicalen Hydra mit dem Schwerte den Garaus zu machen. Rach dem Staatsstreich vom 13. April v. I. wurde dann Nilo- lajewitsiv zum StaatSrath gcwäblt. Bei der Ucbernabme seines Postens im Ministerium Simitsch sagte Nikolajewitsch einem Besucher, er sehe alle Gefahren in der Eonsli- tutionse lbst. Zunächst müsse, aus parlamentarischem Wege, Nachrichten aus Ealeutta zufolge soll die vollständige und desinitive Verlegung des Sitzes der indischen Re gierung von kort »all dem bisbcr nur als Sommerresiden; benutzten Simla geplant. Als Gründe für diese in mehr- achcr Hinsicht bedeutsame Maßregel werde» angegeben einmal die Rllcksick't ans bessere Schonung des GesundheitS- mskandes der Europäer und zweiten« der Kostenpunct. Die Hälste dcS Jahres muß so wie so der gesammte Rcgierungsapparat da« wegen seiner im Sommer unerträglichen Hitze sür Europäer nicht bewvbnbarc Ealeutta verlassen; der Umzug nack Simla und dann bei Eintritt der kühleren Jahreszeit die Rückkehr nach Ealeutta verursachen sehr erheb lichen pceuniärcn Aufwand, welcher gespart werden könnte, wen» die Regierung ibren Sitz ein sür alle Mal in Simla ansschlagen würde. Und bei seiner reruialigen unerquicklichen Finanzlage muß Intien jede irgend mögliche Ersparniß sorgsam mitilchmc». Vielleicht kommt aber »och ein anderer Gesichlspunct in Betracht, wenn dessen beeinflussende Wirkung auch mit Stillschweigen übergangen wird. In Simla ist die anglo-indische Regierung dem Schauplatz der Tinge, die sich weiter »örtlich aus dem mittelasiatischen Hochplateau abspicle», bedeutend näher als in Ealeutta; eS eröffnen sich ibr dort also auch mcbr Möglichkeiten, mit der Entwickelung der Tinge in Kabul, Tcbcran :c. in leben diger Fühlung zu bleibe». Aus alle Fälle sprechen politische Erwägungen bei der geplante» Ucbersictcluiig de- Vice- königs und seiner Regierung nach Simla ein gewichtige» Wort mit. Deutsches Reich. Leipzig. I April. Tic Fehde zwischen dem seit einiger Zeit so ernsthaft gewordenen „Kladderadatsch" und der osficiösen Welt ist nniimchr in ein kritisches Stadium ge treten. Gestern bat bekanntlich die „Norbd. Allstem. Ztg." erklärt, gerade das Auswärtige Amt sei cö gewesen, das durch den „Rcichsanzcigcr" die Behauptung des ./Kladdera datsch" zurückgewicscn habe, diese« Amt habe da« Blatt zum Schweigen aussordcrn und ihm da« Zugeständniß machen lassen, cs seien allerdings leider ganz unge hörige Tinge geschehen, die aber nickt zu verhüten ge wesen seien. A» diese Erklärung wurde die Aufforderung an das Witzblatt geschlossen, die Person zu nenne», die ihm als angeblicher Bcanstragter des Auswärtigen Amtes jene Mittheilungen gemacht babc. Schon au« dieser Aufforderung konnte man erkenne», daß ihr Verfasser wenigstens an die Möglichkeit glaubte, c« babc in der Thal ein angeblicher Bcanstragter LeS Answärtigcn Amtes der Redaction des „Kladderadatsch" das gesagt, was das Blatt behauptete. Feuilleton. Medca. Ein bürgerlicher Roman von Wilhelm Wolters. Nuchermk »erdeten. 8> (Fortsetzung.) „Ich will mir'S merken, mein Herr Lehrer, obgleich ich'S nicht so recht verstehe... ich meine, treu zu sein, das wäre genug." „Nur treu?" lachte Paul übermüthig, «nein, das ist lange nicht genug!" „Nicht?" „Nein ... Du wirst'S schon noch verstehen lernen, aber nun xaß aus, meine gute Schülerin, sei doppelt lieb und gut gegen mein gutes altes Mütterchen und gegen meine gute Tante Lina, mit meiner Schwester wirst Tu Tick bald befreunden!" Sie gingen Beide mit Herzklopfen die Treppen hinaus, Paul klingeue, öffnete aber mit seinem Schlüssel rasck selbst und stürmte hinein. Tante Lina kam ihm ans dem Vorsaal enlzegen. „Hier", rief Paul, „hier habt Ibr sie!" Er riß die Thür zur Wohnstube auf und flog seinem Mütterchen zu, das aus dem Throne am Fenster vor dem Nähtische saß, unermüdlich bei der Arbeit wie immer. Martha folgte rasck. Sprachlos scklcß Tante Lina den Zug. Ehrerbietig küßte Martha Mutter Förster die Hand und umarmte Tante Lina, die aus einen Stuhl- an der Thür gesunken war. „Wollt Ihr mich als Tochter?" Tie Tbür zum Nebenzimmer öffnete sich und Eläre stürzte herein. ,So also siebt sie aus, die HcrzcnSdiebin, die mir meinen Bruder weggekapert hat!" Und die Beiden sielen einander um den Hals. „Laß mir wenigstens ein ganz Nein Bischen von ihm!" lachte Eläre. Sie ist selbst aus das AllerNeinsic eifersüchtig, glaube ich", sagte Paul. „Eifersüchtig? Um GottcSwillen, nimm Dir nicht etwa auch die schlechten Eigenschaften meines Bruder» zum Vor bild«, ich glaube, er kann der reine Othello sein ... Ich habe eben Unterricht gegeben, und Sie ... Du erlaubst doch liebe . . ." „Martha." „Du erlaubst doch, Martha, daß meine kleine Schülerin und Freundin ein wenig Theil nimmt an diesem Glück . . Sie sprang hinaus und führte ein junges Mädchen herein mit hoher Stirn, glatt zu beiden Seiten herunter gescheiteltem braunen Haare, wißbegierigen, glänzenden, graublauen Angcn und gerötbeten Wangen. „Miß Anita Marwell . . . mein Bruder und seine Braut, Fräulein Rcicke. Wundern Sie sich nicht, meine Kleine, daß wir so aufgeregt sind, mein Bruder bat sich eben verlobt WaS sagen ^cie dazu?" „Ich wünsche herzlich Glück und bitte Sie, mich gleich zu entlassen ... es thut mir leid, daß ich als Fremde stören mußte." „O, Sie sind uns ja keine Fremde", siel galant der glückliche Paul ein, der alle Welt bätte umarmen mögen, „Cläres Freundin ist doch auck die meine, wenn sic eS erlaubt, und die meiner Braut ... ich habe schon so viel von Ihnen gehört . . ." Tie Kleine strahlte, als ob für sic selbst heute der glück lichste Tag ihres Lebens gewesen wäre, aber sie ging dennoch. „Nun, meine Lieben", rief Paul, „müßt Ihr aber an dieser Seite unserer alte», gemütblicken Runde noch einen Platz einschieben, dieser Punct bier wird nun ein Doppclpunci, und wenn Ihr uns etwas Kaffee vorsetztet, würden wir u»S sehr freuen!" „Natürlich, natürlich!" Und der Kaffee kam, und um den Tisch herum ging's an ein Frage- und Antwortspiel. Und Paul erzählte und er zählte, bis eS Zeit war, an den Rückweg zu denken. „Es ist schon spät, wir müssen fahren", sagte Paul, „Eläre muß uns als Garde-Dame begleiten und zugleich als Ver treterin Mama« ihren Gegenbesuch drüben machen, dann wird hoffentlich Niemand gegen unsere Fahrt etwas cinzuwenden baden, erst aber muß Martha rasch noch einmal meine ArbeitSstubc sehen." Sie gingen hinüber in Paul'« Zimmer, und Paul erklärte: „Siebst Tu, Sckatz, hier ist Griechenland, das Land der' Hellenen! Bücher, Bücher, viel Bücher! Und bier der oberste meiner HauSpenaten, die Statuette Lcssing'S, dcS großen Kämpfers sür Freikeit und für Wahrheit, ein Heiligtbum noch aus meine» Vater- Studirstube, da» Mütterchen mir überlasten bat. Und bier der Play, an dem ich arbeite. Wenn ich den Kops drcbe, sehe ich durch'» Fenster die Höhen in der Ferne und die Felder und Bäume.. ." „Ach Gott, ich bekomme ordentliche Angst vor so viel Ge lehrsamkeit", sagte Martha, die Augen aus die beschriebenen Papiere geheftet. „Nicht nöthig, Schatz, nicht nöthig", rief Paul glücklich und küßte sic! Und zu Tritt zogen sic dann davon nach der Droschken- Nation an der Ecke, und wäkrcnd die blauen Abcndschattcn sich allmäblich dichter berniederscnkten und die Laternen zu blinken begannen wie kleine ferne Sternchen, subren sic den gleichen, langen Weg im langsamen Trott uni die Statt beruui an'S andere Ufer, schweigsam, glücklich, Hand in Hand die Beiden, aus dem Rücksitze Eläre, zum Fenster hinauSläckelnd. In ihrem Zimmerchen saß unterdcffen Tante Lina allein. Kein Licht brannte. Sie batte den Kops in die Hand gestützt und starrte vor sich ins Leere. Bilder längst vergangener Zeiten tauchten vor ihr empor im Dämmern dieser stillen dunklen Stube. Sic sah Paul, aber einen anderen Paul, groß und scklank und lachend wie diesen, wie er allniorgcntlich die Treppe von dem Dachstübchen ihres kleinen elterlichen Hauses berabkam, und, die Eollegicnmappe in der Hand, den Flur hinunlerging, in besten Winkel versteckt zitternd ein dummes, kleines Ding mit blonden lange» Zöpfen aus seinen Schritt lauerte. Viele Iabrc war eS der, daß ibr das Herz schier gebrochen, als jener Paul, den sie so sehr geliebt, die Schwester heimgesührt. Niemand ahnte diese Oual ihres Lebens, ohne Groll, ganz Liebe war sie gekommen, als man sie gerufen in schwerer Stunde. Nun war dies Kind, dem sie ihr Leben gewidmet, seit cS das Lickt jenes angsterfüllten Morgens erblickt, das Kind jenes Mannes, taS ihr war wie ihr eigene» Kind, selbst zum Manne geworden, und es batte den Schritt gethan, welcher, das wußte sie, der folgenschwerste ist im ganzen langen Lebe» Und bange Sorge quälte sic. Hat er wirklich die richtige Wahl getroffen? Er, der heiß blütige Mann mit dem Kinderhcrzen? Dem Weichen, guten, ach, so empfindlichen Kinderberzcn des Vaters? Wird dies Mädchen mit dem wilden Blicke ihn verstehen? Ihn wirklich lieben? Wird ihm die jetzt kaum Neunzehnjährige Stütze werden in all den vielen unausbleiblichen Tagen, die man zu Zweien tragen muß oder nicht zu ertragen vermag? In zweier liebender Mütter immer trostdercile Herzen bat er seine« Lebens Kümmernisse ergießen können bis zu diesem Tage ... wie wird cS werden mit ibm, losgelöst von der alten, langgewoknten Heimatb? .. . Wird er Wurzel fassen können in diesem neuen fremden Erdreich?... Auch Frau Reiche war im Dunkeln. Auch über ihr von manchem Kummer gcsurckteS Gesicht hatten sich Schatten der Sorge, der ungewissen Angst gelegt. Auch sie dachte zurück. An das Elternhaus mit seinem Reichlhum, seinem Leben m strciiggegogciici,, althergebrachten Gleise. An die ersten Jahre ibrer Ebe und an den schrecklichen Zusammenbruch ihre» Glücks, aus dein sic so wenig mehr gerettet als den Besitz der Kinder. Und nun kam da plötzlich ein Fremder, ihr das Liebste so>Izu»cbnicii. Ein Fremder mit fremden Sitten. Ein Schriftsteller. War das der Mann, sür den sie ihr Kind groß gezogen? Um desseiitwillcn sie sür ibr Kind gedarbt, zusammcngcrafft, gebungert? War cS nicht geradezu ein Verbrechen, dies Kind solch' ungckaiiniem. fremdem Manne für s Leben anzuvertraucn? Was würde ihr Vater, der alte Hildcsbcimer Kaufherr, dazu sagen, wenn er es erlebt bätte? Ein Schriftsteller! Einer von diesen leichtsinnigen, sitten losen, modernen Weltverbesserern der Großstadt, offne Ehrfurcht vor dem Alten, offne Rcspcct, ohne Reli gion . . . Kaulquabben hatte er die Kinder genannt, diese größte Gabe Gottes. Ratban war sein Evangelium. Wie ein Sturm war er bcreingcbraust, wie ein räuberischer Wolf, und sic hatte sich überrumpeln lassen ... An den Hals geworfen Halle sie ihm ibr Kind, dem Ersten, Besten, der zum ersten Male ihre Schwelle übertreten . . . wie war das nur möglich gewesen? Was mußte er selbst von iffr denken?... Wen» sie doch Alles ungcschcbc». Alles rückgängig machen könnte! . . . Und noch eine Tritte grübelte und sann einsam in der Rächt. Am offenen Fciistcr stand die junge Anita mit heißer Stirn und sab hinaus aus die schwarjverhüllten Felder, die sie so ticbte, weil eS dieselben waren, a»s die ihre tbeure, über Alles in der Welt geliebte Lehrerin auch aus ibrem Fenster blickte. Uno in die dunklen grauen Wolken droben schaute sie, die sich ballten »nd übcrcinandcrschoben mit ibren wunderlichen Riescnlcibcrn, diese Wolke», mit denen sic so oft nächtliche Zwiesprache gebalten, wenn der Kops sie schmerzte und das Herz ibr web tffat. Wie batte sich ihr Leben dock gewandelt in dieser letzten, kurzen Zeit! Still und stumm war sie bisher dahin gegangen, die Menschen fürchtend, die sie nicht verstand, sich selber fürchtend, die sie nickt begriff. Einsam, ohne Ge säbrten, ohne Schwestern war sic ausgewachsen, eine unnahbare Heilige zur Mutter, eine Sclavin zur Erziebcrin. Nur die Tobten halten mit ibr in ihrer Sprache gesprochen. Und was sic aus diesen Bückern bcrauszelesen, da- war plötzlich eines Tages zu einem anderen Glauben geworben, als der mütterliche, der erlaubte, einem Glauben, über den sie erschrak, der sie noch mehr trennte von den Ihre», so fern sie ihnen auch bis jetzt schon gestanden; zur Sünderin war sie er wachsen, und kein Priester da, dem sie hätte beichten könne».
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