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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.05.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-05-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18940521023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894052102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894052102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-05
- Tag1894-05-21
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Die Beschlüsse des Kongresses, sagt das „Centralorgan", wolle cS nicht auszählen, denn u'icht in den Beschlüssen, sondern in dem „Sichnähcr- lreten" liege die vornehmste Bedeutung der Arbeiter- isagrcsse. Die Zurückhaltung in crsterem Puncte ist rslarlich, denn von den sieben Resolutionen der Tages ordnung fanden nur zwei (gesetzlicher Achtstundentag und Werbet der Frauenarbeit in Bergwerken) Annahme, während drei abgelebnt und zwei gar nicht in Berathung gezogen wurden. WaS nun die Entschädigung für dieses Ausbleiben greifbarer Resultate betrifft, die der „Vorwärts" in der ge steigerten Gemüthlichkeit findet, so verweisen wir aus die Sitzungsberichte. Man hat sich vom ersten bis zum letzten Tage gezankt, die Erledigung der Tagesordnung wurde durch die Secession der die große Mehrzahl der vertretenen Arbeiter repräsentirendcn Engländer vereitelt, die Entfremdung, die anstatt des behaupteten .SichnähertretenS" eintrat, ging so weit, daß sie einen ge planten BcrgnügungSauSslug nicht gestaltete. Schließlich lauschten die Delegieren in den zum Rumps gewordenen Eongreß die verlegenen Versicherungen aus, die Differenzen beruhten aus Mißverständnissen, die ihrerseits in den Sprach- verschiedenhciten ihre Quelle hätten. Man verstand sich aller dings nicht, aber nicht dir fremden Zungen trugen die Schuld, sondern die Verschiedenheit dcrGrundaussafsungen und Ziele. Ter EngländcrPickard hatte am ersten TageHerrn Singer linguistisch sehr wohl verstanden, als er ihm erklärte: wir wollen nicht den Classenhaß schüren, sondern das ArbeiterlooS verbessern. Mit dieser Rede und (Gegenrede war der uuvcr sehnliche Gegensatz zwischen den Vertretern der wirth schaftlichen Interessen und denen einer revolutionairen Politik dargethan. Bei den folgenden Verhandlungen, selbst bei denen über den Achtstundentag, trennten die Grundsätze die eng tischen Arbeitersachwalter von den festländischen Macht Politikern. Dort die Absicht, möglichst günstige Arbeit« bedingungen zu erzielen, hier das Bestreben, die Unzufrieden heil zu mehren, dort nächste und darum klare Ziele, hier geflissentlich hcrvorgezaubcrtc Luftspiegelungen. Wenn die Engländer in allen Stücken Sieger geblieben sind — auch die Resolution über den Achtstundentag erhielt durch den Hinzutritt britischer Stimmen die Mehrheit —, so wird taS di» festländische Socialdemagogie nicht bewegen, aus ihre vom Eongreß zurückgewiesenen agitatorischen Forderungen, namentlich auf daS Verlangen nach einem Wclt-Mindestlohn, zu verzichten. Aber für die große Masse der der Social- demokratie abgeneigten deutschen Bergarbeiter bildet die Ueberzrugung einen Halt, daß ihnen die .Rückständigkeit" mit den am weitesten vorgeschrittenen BerusSgcnossenschasten Europa» gemeinsam ist. ^ Die mehrfach besprochene, am Pfingstsonntag gefallene Acußerung des König« v«n Wiirttewterg über feine Stellung und die dcS BundeSrath- zur Iesuitenfrage hat schon am darauffolgenden Tage durch eine in Ellwanaen abgehaltene katholische Volksversammlung eine lehrreiche Begründung er fahre». Diese Volksversammlung wußte noch nichts von der Aeußerung des Königs, sie wußte nur, daß der BundeSrath die Beschlußfassung über die Iesuitenfrage vertagt hatte und ichloß daraus, daß man mit Aussicht auf Erfolg mit den ertrcmsten Forderungen hervortretcn könne.! Die von dcr Versammlung beschlossenen Resolutionen beschäf tigten sich mit der socialen, mit dcr Scknl-, mit dcr OrdcnSsrage und mit dcr Bildung eines würtlcmbcrgischcn KaininercentrumS: über die ersten zwei Resolutionen ist nichts Besonderes initzutheiten; die vierte verpflichtet die Katholiken zur ausschließlichen Stimmenabgabe snr Männer, die ein besonderes Kammercentrum bitten zu helfen versprechen, »nd begründet diese neue Fractionöbileuiig durch die ständige Nichlberücksichtigung dcr katholische» Wünsche in dcr OrdcnSsrage. WaS aber diese letztere detrisfl, so „fordert" die Versammlung die Ansbcdung „aller" landcSgcsetzlichen AuSnahmebestiinmungen gegen die kalho tischen Orden und Eongrcgationen, namentlich dcr dcS Gesetzes vom 30. Januar l862, daS die Zulassung von Männcrordcn von dem Gutbesintcn der Regierung abhängig macht. Ga»; besonders bemerkenSwerth ist in dieser Reso lution der Satz, daß die Regierung die Zulassui der Orden in dem von dem LandcSbischof „fi wünschenswerth erklärten Umfange" abgelebnt habe, wcöhalb man diese Zulassung jetzt ganz allgemein verlangt. Daraus ergiebt sich Zweierlei: erstens, daß inan rücksichtslos über den katholischen LandcSbischos hinaus und gewissermaßen hinweg gehl, zweitens aber, daß der Bischos von Rottenburg, vr. Wilbelin Reiser, die Rückkehr der Männcrordcn doch nur thcilweise für wünschenswerth gehalten Kat. Daß die würtlem bergische Klerikaldemagogie in solcher Weise auszutrctcn wagte, beweist am schlagendsten, wie sie die Haltung dcS BundeS- rathS in der Iesuitenfrage auSlcgte und wie dringende Vcr anlassung König Wilhelm H. aus Rücksicht aus die Zustände in seinem Lande hatte, nicht die Initiative Preußen« zur Beschleunigung teS BundesralbSbeschlusseS über die Icsuiten- sragc abzuwartcn. Alle deutschen Fürsten, in deren Ländern der UltramontaniSinuS zuversichtlicher als je mil seinen Forderungen hervorlritt, haben daher Anlaß, dem Könige von Württemberg für seine Initiative dankbar zu sein. Bon de» sraiizöfischcn Chauvinisten wurde s. Z. das unter dcr Ministerschast de- Generals Boulanger am l8. April 1880 beschlossene Spionagcgesetz, nach welchem daS Strafmaxiinum fünf Jahre Gefängniß und 5000 FrcS. Geldbuße beträgt, als eine große Thal gepriesen, genügt ihnen aber schon längst nicht mehr. Schon vor einigen Jahren wurden deshalb in der Kammer einige Initiativanträge, einer schärfer und unjuristischcr als dcr andere, eingc- bracht. Schließlich sah sich auch dcr Krieg-minister Frrycinct veranlaßt, eine Vorlage zu machen, welche in dcr Armeecominission mit den anderen Vorschlägen zu einem neuen Gesetzentwürfe verschmolzen wurde, dessen drako nische Bestimmungen (Todesstrafe für In- und Aus länder als Maximum!) an die legislativen Maßlosigkeiten des Iakobinerthums erinnerten. Die im Spätjabre l80l dem Plenum der Kammer unterbreitete „lex t'mnillo Orov fand aber hier wenig Anklang, Ware gar nicht durchberathen und ist dann mit dem Schluffe der Legis latur unter den Tisch gefallen. Von dort bat sie jetzt dcr Abgeordnete Gauthier bervorgeholt, und dieser »nbc kannte Politiker bat daran- mit Unterstützung des übcrchanvi nistischen Abgeordneten Henri Delonclc einen neuen, noch „vcr besserten" Entwurf sabricirt, wonach auch der Anreiz zur Spionage oder das Anerbieten hierzu mit schwere» Strafe» belegt werden soll. Die Todesstrafe ist darin, ab gesehen von französischen MilitairS und Beamten, angedroht für „jeden, der sich, unter falschem Namen oder falscher Oualität, oder unter Verheimlichung der Qualität, Pro fession oder Staatsangehörigkeit, einschleick't in einen KricgS- bafcn, ein verschanztes Lager oder irgend ein Besestigungswerk, in cu>Kriegsschiff oder eine Armee bezw. Marine-Etablissement, um dort zu Spionagezweckcn Ausschlüsse (ro»*oigin»'ontI von Bedeutung für die LandcSvertheidigung oder die äußere Sicherheit des Staates entwendet oder sammelt." Die übrigen Strafen, welche in dem Entwürfe vorgesehen sind, steigen von einem Jahr Gefängniß bis zu lebenslänglicher Zwangsarbeit, die Geldbußen laufen von looo bi« 2<>ooo Franken. Die Presse bat bis jetzt von dem unterm l. Mai cin- geb rächten Gesetzentwurf Gautbicr Delonclc nickt viel Notiz gonommen. Bei der, namentlich durch die nationale Blamage im Leipziger Spionageproeeß gereizten, Stimmung ist aber große Wahrscheinlichkeit dafür vorhanden, daß daS Gesetz im Parlamente dnrckdringt. Die Motivirung der Antragsteller, daß die „cigentbUmlichc Stellung Frank reichs seit dem Kriege von 1870 7 t" dazu »ölhige, sich durch AuSnabnicmaßregeln zu vcrthcidigcn, dürfte der großen Mehr heit ihrer Eollegen aus der Seele gesprochen fein und auch die juristischen und völkerrechtlichen Bedenken, die etwa im Senate aussteigen, zum Schweigen bringen. So ist alle Aussicht Vorbauten, daß Frankreich die moderne RechtSgesckichte durch ein Pionstrum von Spionengcsctz für FriedenSzeitcn bereichert. Im Batican thut man äußerst verschnupft über die ge ringe Erwiderung, welche das bisher vom Papste der fran zösischen Regierung gegenüber bewiesene Entgegenkommen findet. Wie der den vaticanischcn Kreisen nahestehende römische Mitarbeiter der „Pot. Corr." wissen will, fühlt sich dcr Papst von dieser Haltung der leitenden Pariser Per sönlichkeiten „peinlich berührt", und in den vatikanischen Kreisen betont man, welch schlimmen „Lohn" die „Rücksichten", die der Vatikan Frankreich „angedeibcn" läßt, und die zahl reichen „Zugeständnisse", die er dcr Regierung der Republik gemacht bat, in Paris finden. So wenig sich aber auch die Verstimmung, die im Batican dcr genannten Regierung gegenüber Platz gegriffen hat, ableugnep lasse, so wäre cS andererseits zu weit gegangen, wenn man eine Rückwirkung dieser Spannung aus die Hanptgeundsätzc der vaticanischcn Politik gegenüber Frankreich vorauSsctzen wolle. Leo XIII. habe diese Principicn zu reiflich durchdacht, er habe dieselben zu lange Zeit hindurch betbätigt n»d dem Klerus sowie den Katholiken überhaupt in Frankreich empfohlen, er habe sich — mil einem Worte — in dieser Richtung zu weil „engagirt", als daß ihm ein Wechsel in seiner Haltung gegen über den in Frankreich bestehenden Institutionen zuaemuthct werden könnte. DaS heißt doch: hätte sich der Papst dcr Republik gegenüber nickt zu weit engagirt, so würde er jetzt den sranzösischcn Klerus gegen die Republik mobil machen. Diese versteckte Drohung wird man im Elysee wohl verstehen, und da man den Papst zur Zeit nickt gut entbehren kan», so wird man auch seiner seits zu Zugeständnissen sich gewiß bereit finden lassen. — WaS den Dritten im Bunde, Rußland, betrifft, so war bekanntlick, die Nachricht von der bevorstehenden Um wandlung der osficiösen Agenlie Rußlands beim Batican in eine Gesandtschaft verfrüht. Man bat es vorläufig nur mit einem, wie röniisckerseitS versichert wird, ernsten Plane der russischen Regierung zu thun. Im Batican bedauere man die Voreiligkeit jener kirchlichen Blätter, welche die erwähnte Nachricht verbreitet haben, ausS Lebhafteste. Bei dem heiklen Charakter derartiger Verhandlungen sei cS, so wird versichert, begreiflich, daß man aus beiden Seiten vermeide, die Angelegenheit vor ihrem Abschlüsse in die öffentliche DiScussion zu rücken Man habe daher durch die übereilte Verkündigung der Errichtung einer russischen Gesandtschaft beim heilige» Stuhl bei» Batican einen schlechten Dienst erwiesen, den» diese IndiScretion könnte auf den Gang der hieraus bezüg lichen Verhandlungen nur einen nachth-ciligen Einfluß aus- üben, so daß Manche sogar von der Möglichkeit ibrc- ScheilernS sprächen. Wenn vom Vatikan inspirirte Blätter so rede», gebt man kaum fehl mit der Annahme, daß Ruß land auch jetzt nickt daran denkt, den alben LicbliugSwunsck, de« VaticanS zu erfüllen, daß er sich aber mit der von Zeit zu Zeit in Aussicht gestellten Erfüllung desselben RomS „Freund- schast" warm zu Hallen sucht. In letzter Zeit hat auch in Rufiloind wieder die rcvo- lutionaire Propaganda, zu welcher sich jetzt die socialen und politischen Umstürzler fester denn >e die Hand reichen, an ihr Dasein erinnert: Sprengbomben wurden hier und dort, so auch in dcr Nähe de« kaiserlichen Palastes in Peters burg, gesunden, weitverzweigte Verschwörungen entdeckt und mehrmals sogar Schüler höherer Luhranstallcn unter dem Verdacht nihilistischer Gcheiinhüntelei verhaftet. Jetzt hat cS fick auch hcrauSgestcllt, daß die im vorigen Jahre ftatt- gchabtc Ermordung des StadtkaupteS von Moskau, Alcxcjcw, einen politischen Hintergrund halte. Der Mörder Adrcjanow batte sich ursprünglich ge weigert, die Beweggründe seiner Thal anzugcben; er wurde bekanntlich für geistesgestört erklärt und der psychiatrischen Abtheilung dcr Moskauer Klinik zur Beobachtung übergeben. Dort wnrke er jedoch als geistig normas gesunden, was dem Lbcr-StaatSanwall die Möglichkeit lieferte, Adrcjanow einen, längeren Verhöre zu unterziehen, beste» Ergebnisse nnninebr die „Moökowökija Wjedomosti" veröffentlichen. Daraus gehl klar hervor, daß die Ermordung Alcrefcw'S ein politischer Mord gewesen ist. Aus die Frage, warum er daS Stadtkaupl von Moskau ermordet habe, antwortete Adrcjanow: Die U»- haltbarkeit dcr socialen und staatlichen Ordnung habe il,n zu diesem Morte getrieben. E» sei schon höchste Zeit, die Wahrheit hcrauSzusaac» Die administrativen und socialen Bedingungen der Gesellschaft hängen nicht nur von dcr all gemeinen Richtung der sociale» Ordnung, sondern auch von einzelnen VerwaltungSdcainten ab, die da« sociale Ucbcl „auS- zurottcn" hätten. Aus die Beseitigung diese« Uebclö müsse jeder ehrliche Mann die öffentlimc Aufmerksamkeit lenken, denn die Hebel seien nur durch Verschulden der VerwaltunaSdeaiiiten entstanden. — Die Lodzer Abtheilung dcr Gesellschaft zur Förderung der russischen Industrie und dcS Handels bat dein Finanzministcriun« ein Gesuch vorgestellt, daß die Arbeit zeit ans allen Fabriken des europäischen Rußland in der Maximalgrenze gesetzlich scstgelegt, d. b. gegen die jetzt üb liche Arbeitszeit bebeulcnb verkürzt werden möge. Zugleich bat die Gesellschaft ihr daraus bezügliche« Projekt in Form einer Broschüre veröffentlicht, um so die Oeffcnllichkeit für ihre Idee zu gewinnen. Die russische Presst verhält sich aber gegen dieses Project sehr ablehnend und meint, die Lodzer Fabrikanten sollten die verkürzte Arbeitszeit bei sich selbst ein- sübren, ohne die Klinke der Gesetzgebung in Bewegung setzen zu wollen. Würde ibr Vorgehen sich praktisch bewähren, so würden die übrigen Fabrikanten schon von selbst Nachfolgen. In einer Proklamation an daS serbische Volk, „in welcher die Uebelstände dcr Verfassung »nd dcr Partcileidc»- schaslen mit kräftigen Worte» gebrandmarktwerden, und die Liebe des Königs für das Volk, sowie die Sorge desselben für die Wohlfahrt de« Lande« zuin Ausdruck gebracht wird", hebt beule, wie uns telegraphisch auS Belgrad gemeldet wird, dcr König die Verfassung vom 22. Tcccmber 1888 aus unk FeniHetsn. Im feindlichen Leben. 19, Roman von I. Schwabe. (Fortsetzung.) Flachdruck verdoten.) Nicht- konnte sie thun, als harren und beten, und sie mußte stark sein, stark scheinen wenigsten- — durste doch Niemand ihre Sorge ahnen, und mußte sie doch ihren Platz ausfüllen in der ArbeitSstube wie alle Tage — wie schwer da» war! Und doch war die Arbeit ibr ein starker Schild und Stab in ihrer Noth. Wie hätte sic cS ertragen, fern von ihm, sich um sein Leben zu sorgen, mit gebundenen Händen, mil verhülltem Auge thatcnlo« sein Leid zu über denken! Und so schwer cS ibr auch ward, die täglichen, sich glcichdlribrnden, ihre ganze Aufmerksamkeit ersordcrnden Pflichten zu erfüllen — sie waren ibre Rettung, sie hielten sie aufrecht in dem schweren Leid iyrrr Seele. — Nur aus ihren einsamen Wegen in Wald und Feld, da stürmte c» in ibr auf mit aller Macht, da ging das graue Gespenst der Sorge dickt neben ihr her, da winkte auS schier nächster Nähe ein schwarzer, düsterer Begleiter. Da seufzten die alten Tannen von Noih und Tod. La sprach der Blumen stille- Welken von Scheiden — Scheiden — Scheiden, und nur der Sterne Heer am ewigen HimmclSdach sprach von der Liebe, die unendlich ist und alle» Leid dieser Erde überdauert. Sie waren ihr Trost und ibre Qual, dies« stillen, ein samen Stunden aus dem BcrgeSgipsel oder im stillen Thal, und sie suchte immer wieder ihre Liebling-Plätze auf, trotzdem der Herbst mit Macht seinen Einzug hielt und die Morgenfrühe und der Abend schon ansingrn kühl zu werden. Rose war so sehr mit sich selbst beschäftigt, daß sie weniger als sonst de« Vater- Treiben beachtete, nickt einmal ahnte, wa« Andere beunruhigte — daß unter den Arbeitern irgend etwa» im Werke sei. Selbst die Mädchen in der Arbeit«- stube rannten e« sich scheu einander zu, und sie hätten viel leicht Rose davon erzählt, aber diese war ja so still geworden, so m sich gekehrt» so sehr sie sich auck bemüht«, dir Alte zu scheiuen — sie sahen e« doch — wa« hatte sie nur? War sie »iellricht auch mit de« Andern im Bunde? Aber nein, sie wußte nicht«, sie ahnte nicht, daß etwa« Besonbcrc« um sie her vorgehe. Sie sorgte für ihre Ar beiterinnen, wie e« ihre Pflicht war, aber sie dachte nur an ihn, und sie ging hinan« in die Einsamkeit, im letzten Sonnen schein der kürzer werdenden Tage und bei einbreckendcr Nacht, sich in stiller Sammlung Ruhe und Frieden in die aufgeregte Seele zu holen. Ihr gute« Gewissen war da« einzige Licht in der tiefen Nackt ihrer Seele; aber es war ein gar Helle-, erleuchtendes Licht! Kein Gedanke, daß sie sich vor ihm rechtfertigen müsse! Wenn Gott ihn erhielt und er käme nicht zu ihr und säke ibr in« Auge und wüßte es nicht, daß kein Gedanke ihrer Seele je von ihm abgeirrt — ja, dann hätte sie ihm über haupt nichts mehr zu sagen! Aber auch sic vertraut unver brüchlich seiner Liebe, und ein gütiger Gott konnte ihn auch vom Rande deS Grabes und aus den Netzen der Baronin zurück in ihre Arme geleiten. — So sinnend und denkend und betend, trat sie in den stillen Wald hinan«. E« war eine wundervolle Nacht, klar und blitzend hoben sich die Sterne vom tiefen Dunkel der HimmelSwölbuna ab, deren riesige Kuppel wie auS Erz gegossen erschien. Mild leuchtete da« Licht de« fast vollen Monde« hernieder und warf breite Reflexe über den stillen, mooSumsäumlcn Wald- psad, auf dem sie sinnend dahinschrilt. lieber den MooSteppich unter den ernsten Tannen zogen sich lickte, hellglänzende Streifen und um die herbstesbunten Wipfel dcr Eicken und Buchen, die Spitzen der Fichten schimmerten die Strahlen de« getreuen Erdtrabanten in magischem Schein. E« war so still im Walde, gespenst-rbast still: nur bann und wann ein Eulenruf, ein beulende« „Uhu!", ein scharfe«, schrille« „Kiwitt!" — Der nächtige Herbstwald, da« schimmernde Mondlickt umspannen sie wie mit Zaubersäden. Immer tiefer wandert sie in den Berg hinein. — Wie riesenhafte gespenstige Ungeheuer legten sich die Schatten der Bäume quer über den Weg; leicht und leise säuselte ein schwacher Lusthauch durch die grünen Nadeln, durch da« bunte Blatt gehänge. In tiefem Sinnen schritt sie dahin, mit den Blicken bald die glänzenden Sternbilder oben, bald da« Gewürm verfolgend, da» zu ihren Füßen sich ebenfalls im Mondlicht erging; da bemerkte sie, immer höher ansteigend,einzelne, seltsam flackernde, rötblich gefärbte Lichter zwischen den Aestrn der Tannen, über den Moosbodrn, über da« reichlich gefallene Laub, Irr lichtern gleich» hinhuschen, und verwundert, wo hier aus dieser Höhe ein Moor zu finden sei, ging sie dem flackernden Scheine nach, der rin gutes Tbeil rechts von ihrem Wege an« un heimlicher Tiefe bcrauszuslammen schien. Sie meinte die Gegend dock genau zu kennen, dock erschien ihr hier fast Alle« fremd. Ei» mittelalterlicher Wanderer wäre vielleicht aus die Idee gekommen, dort, wo die flackernden Lichter cmporsteigen, den Eingang zur Hölle zu suchen, Rose aber dachte einfach: „Ich bin vielleicht in Gedanken allzuweit vom Hause fortqerathen, und hinter jenem waldbcstandcncn Berge liegt ein Dorf, welche« ich noch nicktjkenne, in welchem der Ruß in irgend einem Schornstein emporslackert." Jedenfalls mußte sie wissen, wa« e« war! Furcht kannte sie nicht, war sie doch schon zu Dutzend Malen allein im abendliche» Walde gewesen; ringsum kannte sie jede« Kind — wer sollte ihr ein Leid anthun? Sie stieg also den Berg völlig hinan, hinter welchem hervor der gespenstige Lichtschein kam, brach sich mühsam durch tief herabhängende Tannenäste und allerlei Gestrüpp Bahn und stand endlich an« Rande einer langen, schmalen, aber tiefen Schlucht, auf deren unterstem Grunde eine klare Wasserader rieselte, von deren moorbedeckte» Wänden eS leise tropfte und welcher mächtige, üppig gedeihende, hochaus- strebende und noch gar nicht herbstlich berührte Farrnkrant büschel im Verein mit flammenden und qualmenden Fackeln da« Aussehen einer düster», phantastischen Tbeater- decoration gaben. — Die Fackeln aber stammten und qualmten ties unten im Grunde in feuriger Pracht, und e« war nur sehr schwacher Refler ihrer Glutb, welcher Rose hierber- gelockt batte: hier unten brannten sie blutizrotb und warfen unheimliche Lichter auf die wilden bärtigen Gesellen, tie zu Hunderten in der Tiefe auf den Fcl-vorkprüngcn der Schlucht saßen oder standen und eifrig einem Manne zuhörten, welcher auf dem größten FelSstllck, von hochaufgeschossenen Farrn umgeben, wie auf einer Kanzel stand und leidenschaftlich gcsticulirrnd sprach. Dieser Mann war Rose « Vater. Zuerst war sie schon von dem Anblick ganz überwältigt. Sie hörte kein Wort von Dem, wa« er sprach, sie sah nur. lind sie sab wilde, blitzende, drohende Blicke, sie sah geballte Fäuste, keck geschwungene Fackeln, zu Hieben bereite, Knittel! E« war unheimlich und beinahe zum Fürchte». Aber es hielt sie jwie mit magischen Banden, und nachdem sie eine lange Zeit dagestanden »nd da« seltsam phantastische Bild, da« doch kein Bild, sondern Leben und volle Wirklichkeit war, betrachtet hatte, versuchte fit leise, aus dem Moose sich hin- schleichend, einen Weg m die Schlucht hinab zu gewinnen. Und e« gelang ihr. Sir entdeckte eine schmale Spalte, die, nicht zu tief gebend, ibr einen säst sichern Weg gewährte. Auch hier feuchtes Moos aus schlüpfrigem Gestein, da« ihre Schritte auf dem schmalen Felsenpsade säst »»hörbar machte. — In halber Höbe dcr Schluckt ging der Pfad zu Ende und mündete auf einem breiten FelSstllck, gerade groß genug, um einen Halt abzngcben, aber ohne Schutz und obnc Gelegenheit zu entrinnen, wenn man ihr etwa den Rückzug durch die Felsspalte abgeschnittcn hätte. Sic trat zunächst nicht aus den großen Stein hinan-: eS lag ihr natürlich wenig daran, gesehen zu werden; sic versteckte sich im Felsenganzc, dcr ebenso bock war wie sie selbst, und versuchte etwas von der Rebe ihres Vater« zu verstehen. DaS Licht der Fackeln traf fie glücklickier weise nicht, unk daS war sehr gut, denn sie stand nicht all- zusern von ihre- Vaters improvisirtcr Kanzel und nur in geringer Tiefe unter ihr gruxpirte sich die aufgeregte Ver sammlung. Sie horck,tc gespannt aus und verstand zunächst wenig. TaS leise Murmeln und Dropsen störte, auch war ibre Stellung augenscheinlich keine günstige. Endlich aber wagte sie den Kopf ein wenig vorzuschiebcn, und nun hörte sic Ilar und deutlich ibreS Vaters donnernde Stimme: „Sclavrn seid Ihr. nicht« al» Sclaven, armselige, rechtlose Sklaven, von deren Schweiß und Blut sich die Reichen groß mästen! Soll da- ewig so währen, wollt Ihr ewig die Stiefkinder deS Glücke- bleiben ? Auf, ermannt Euch, fühlt endlich Euer Menschenrecht, Eure Menschenwürde! Nehmt sic Euch durch die Krast Eurer Fäuste, denn freiwillig erhallet Ihr sie nie! Wo bleibt da« Gold, wo bleibe» die Schätze, tie Ihr in mübrselizster Arbeit für Andere erwerbt ? In die unersättlichen Taschen der Reichen fließt daS Gold. daS Ihr verdient, tie Tagediebe, bie Faulenzer behalten die Schätze, die Euch gebühren, Euch, bie Ihr alle Tage Leben und Gesundheit dafür ausS Spiel setzt! — Auf, nebmt Euch doch was Euer ist, nehmt eS Euch durch daS Recht Eurer Fäuste! Ein andere- Reckt werte» sie Euch nie zuerkennen. Wozu habt Ihr tie Kraft Eurer Fäuste ?" „Zur ehrlichen Arbeit!" Dröhnend tönte e« auS der Felsenspalle. so daß Rose über den Klang ihrer eignen Stimme erschrak. (Fortsetzung folgt.)
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