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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.05.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-05-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18940523025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894052302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894052302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-05
- Tag1894-05-23
- Monat1894-05
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Abend-Ausgabe. Anzeiger. Lrgan für Politik, Localgcschichte, Handels- und Geschäftsverkehr. Anzeige«-Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 86 Pfg. Reklamen unter dem Redactton»ftrich « a«, jpallen) vor den Faimlieanachrichtea (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis, ver^ichniß. Tabellarischer und Ziffer»!-^ nach höherem Tarif. Shtra-Veilagr» (gesalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbeförderuag 60.—, mit Postbejörderung ^l 70.—. Ännaffmeschluß für Änzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Sonn- und Festtags 'früh '/,9 Uhr. Lei den Filialen »nd An,iah»iesiellen je rin« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets ar. die ErpeSiti»« zu richten. Druck und Verlag von <L Pvlz in Leipzig. Mittwoch den 23. Mai 1894. 88. Jahrgang. politische Tagesschall. - Leipzig, 23. Mai. Als ob es in Deutschland nichts Nothwendigercs zu thun gäbe, beschäftigt sich ein Theil der Presse wieder einmal mit theoretischen Tüfteleien über Rcichsvrrfasstiiigoftageii. Ten Anstoß dazu hat das vornehmste Organ des bayerischen UltrainontanismuS, die „Augsb. Postztg", mit der ebenso anmaßenden wie thörichten Behauptung gegeben, daß die Be zeichnung „kaiserliche Politik" ein staatsrechtlicher Unfug sei, daß im deutschen Reiche nur die Rede sein könne von einer „Politik dcsBnn desrathes, dessen Präsident der König von Preußen mit dem Titel „Deutscher Kaiser" ist, ohne die Prärogative der Leitung durch seinen Willen." Präsident des Lunkcsralhs ist bekanntlich nach Artikel 15 der Reichs- verfassunz der Reichskanzler; waö die staatsrechtliche Autorität der „Augsb. Postztg." meint, ist daS dem Könige von Preußen nach Artikel 1t der Reichsverfassung zu- stcbende „Präsidium des Bundes", und das ist keines wegs eine so rein formale Würde, daß „die Prärogative der Leitung durch seinen Willen" ausgeschlossen wäre. Bielmehr heißt cs in demselben Artikel ll: „Ter Kaiser hat das Reich völkerrechtlich zu vertreten, im Namen des Reichs Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, Bündnisse und aiidere Verträge mit fremden Staaten einzugehen, Gesandte zu beglaubigen und zu empfangen." Zn der Ausübung dieser Rechte ist der Kaiser nur bei der Kriegserklärung — cs sei denn, daß ein Angriff aus das Bundesgebiet erfolgt — an die Zustimmung des BundeS- rathS und bei Verträgen, welche sich auf nach Artikel 4 in den Bereich der Reickögesetzgebung gehörende Gegenstände beziehen, an die Zustimmung des Buntesraths und des Reichstags gebunden. Daraus crgiebt sich, daß die ge summte auswärtige Politik des Reiches, soweit nicht gesetzlich eine Mitwirkung anderer Farloren ausdrücklich vor- zeschricbcn ist, ausschließlich durch den Willen des Kaisers bestimmt wird. Der nach Artikel 8 im BundeSrathe zu bildende Ausschuß für die auswärtigen Angelegenheiten besitzt men lediglich informatorischen Charakter und hat unseres Wissens eine praktische Bedeutung nicht erlangt. Mit vollem Rechte wird also aus dem Gebiete der auswärtigen Angelegen- besten von einer „kaiserlichen Politik", einer „kaiserlichen Regierung" gesprochen. Etwas anders verhält cs sich, wenn mit dem Begriffe „ R e ichSrcgierung " operirt wird. Wie wenig selbst die parlamentarifchen Gesinnungsgenossen der „AugSb. Postzeitunz" diesen Ausdruck an sich für einen staatsrechtlichen Unfug halten, beweist z. B. die Thatsache, daß daS gesammte Ecntrum einschließlich seiner bayerischen Mitglieder unter Führung Windthorst'ö die Interpellation vom 26. November 1885 unterstützt hat, in welcher die Polen die „Reichöregierung" um ein Einschreiten gegen die wider Ausländer verhängten AuSwcisungSmaßrcgcln der preußischen Regierung angingen. Fürst Bismarck ist damals der Auffassung, als ob cS eine ReichSregicrung gäbe, die zu solchem Einschreiten befugt wäre, mit einer über aus feierlichen RecktSverwahrung in Form einer Aller höchsten Botschaft cntgcgcngctretcn. Aus derselben kann indeß nicht gefolgert werden, daß er den Ausdruck .RclchSregierung- an sich als unberechtigt bezeichnet hätte; lediglich gegen eine der Verfassung widersprechende AuS- dchnung der Cvmpetenz einer solchen hat er sich gewendet. Zmmerhin bat der Begriff „Reichsregierung" sein Mißliches infolge deS Umstandes, daß die Regierungsrechte zwischen dem Kaiser und dem BundeSrathe gethcilt sind, der Ausdruck .Reichsregierung" also bald den Kaiser, vertreten durch den Reichskanzler, bald die Gesammtheit der verbündeten Re gierungen bedeutet. Eben um dieses Umstandes willen ist cS staatsrechtlich unmöglich, daß eine vom Bundesralbe los gelöste, „vollstänvig selbstständige" ReichSregicrung dargestellt durch den Reichskanzler, sich bilden könnte, und die bayerischen P-rticularisten dürften sich beruhigen. Bildete sie sich aber thatsächlich doch, so hätte am Ende eher Preußen, als Bayern Anlaß, dagegen zu protestiren. Tenn eine von Preußen los gelöste selbstständige Reichsregierung würde ja in der Lage sei», Preußen im BunteSratbc mithilfe der anderen Bundes staaten zu majorisircn, ein Zustand, der schlechterdings un erträglich wäre. Eine selbstständige RcichSrcgiennig in dem Sinne, daß ei» Gegensatz zwischen ihr und der preußischen Regierung möglich wäre, ist einfach undenkbar. Deshalb ist abev auch die Verbindung der Aemter deS Reichskanzlers und dcö preußischen Ministerpräsidenten eine Nothwendigkcit — trotz der gcgentheiligcn Ansicht der „Köln. Ztg." Die „Germania" bat mit ihrem bekannten Artikel über die Acußcrung des Königs vo» Württemberg zur Jesuitensrage in ganz Deutschland ei» Feuer der Ent rüstung entzündet, daS noch brennt. So schreibt neuestcns die „Wcstd. Ztg." (Barmen - Elberfeld): . . . „Die ver ständigen und gebildeten katholischen Unterthanen werden dies Wort ihrem Könige Dank wissen. Denn wir meinen: eS sind ihrer »och viele, die sich vor den schädlichen Brüdern vom heiligen ZgnatinS bekreuzen. Auck über Verletzung der Parität kann im Ernste sich kein Billigrenkender beschweren; denn die römische Kirche blüht ohne Jesuiten in Württemberg dermaßen, daß die Evangelischen mit Recht seil Zähren um ihren Besitzstand in Sorge stehen. Nichtsdestoweniger läßt sich die „Zeitung sür das deutsche Voll" mit dem römischen Namen zu der Aeußerung des Königs so auS: „„Zsl sie thatsächlich gefallen, so könnte das im Interesse Desjenigen, rer sie gethan bat, nicht genug bedauert werden, denn er müßte dann auch die Conseguciizcn einer solchen HandtniigSweise tragen. Das Vertrauen eines Volkes zu seinem Fürsten hat zur ersten und unerläßlichsten Voraussetzung"" :c. rc. Also, in gutes Deutsch übersetzt: der König von Württemberg bat cs sich selbst zuzusckreiben, wenn seine katholischen Unter- thanen ihm erklären: Wir haben kein Vertrauen mehr zu Dir, wir sehen in Dir nicht mebr unseren Landes vater. Tenn daS ist die „Eonsequenz" davon, daß eine deutsche Majestät sich erlaubt, der Gesellschaft Zesu, den Verderbern deS Staates, abhold zu sein. Und da nun diese edlen Brüder bekanntlich dem Papste die Voll macht zusprechcn: die Unterthanen eines „irrgläubigen" Fürsten vom Treueide zu entbinden, so wäre die weitere „Conscquenz" einer „solchen Handlungsweise" des Königs, daß eines guten Tages die nllramoiitancn Sckwabcn auf einem „Katholikentage" in Stuttgart erklären: Wir erkennen in Wilhelm von Württemberg den König von Gottes Gnaden und die höchste Obrigkeit des Staates nicht mehr an." ... — So daS westdeutsche Blatt. Es werden sich zwar in Wirklichkeit niemals in Schwaben zu einer solchen Erklärung Leute finden; aber man sieht, zu welchen Be trachtungen der „Germania"-Artikel anrcgt. Während heute von der bclglsche» Polizei nach allen Richtungen hin die erdenklichsten Anstrengungen gemacht werden, um den russischen Baron Ernst v. Ungcrn- Sternberg, welcher die Seele der Lütticher anarchistischen Attentate gewesen, auszuspüren, steht die verblüffende That sache fest, daß dieser Russe noch vor wenigen Tagen in Lüttich selbst gewesen ist. Trotz dcö von ihm in der FriedenSstraßc verübten Attentats, dem drei Personen zum Opfer gefallen waren, war er ganz nngcnirt wieder nach Lüttich gekommen, hat er im Gasthose der inneren Stadt gewohnt »nd correspondirt nnv den Verhaftungen seiner Spießgesellen Müller, der Studenten Leblanc und Arnold beigewohnt, erst dann ist er unbclästigt entflohen. Es ist jetzt sestgestcllt, daß der Russe als „Zngenicur Richard" und Müller als „Kellner Göbcl" fünf Tage im Mastrichter Hotel Renaissance gewohnt, vie Bomben dort verfertigt und den Besuch der beiden Lütticher Studenten daselbst empfangen haben. Eine Unzahl Gerüchte, deren Glaubwürdigkeit nicht sestzustellen ist, wird über diesen Russen verbreitet. Merkwürdig ist, daß eine Lütticher Zeitung, welche den Baron Sternberg sür eine» russischen Spion erklärte, einen am l7. dS. MtS. aus Amsterdam ab- gcsandtcn Brief desselben erhielt, worin derselbe erklärt, daß kiese Angabe falsch sei; die russische Polizei habe ihn zweimal verfolgt, auch einen VerbastSbesebl gegen ihn erlassen. Zn Lüttich dauern die Haussuchungen und Verhaftungen fort, auck, cin Teutscher, Gerhard Back, gekört zu den Verhaftete». DicRc- gicrnngspresse spricht eS beule nicht mit Unrecht offen aus, daß die Lütticher Behörden nicht voll ihre Ausgabe erfüllt haben nnv die Lütticher gerichtliche» Behörden mehr Sclbstthätigkeit und Wachsamkeit zeigen müssen. Auch in Brüssel wert m jetzt die Anarchisten, zumal da sie anögcwiescne sranzösisck'c Anarchisten bei sich versteckt halten, strenger beaufsichtigt. Der Brüsseler Senator De Bronchöre erbielt nachstehenden Drohbrief: „Hoch die Anarchie! Bald wird Zhre Bude in die Lust fliegen! Hoch Ravachol! Ein Anarchist" Und zur Seite gemalt eine epplodirciitc Bombe. DaS Wichtigste aber ist daS Ergebnis; rer in Lüttich geführten Untersuchung, welches die Brüsseler „Gazette" mitthcitt. Hiernach steht cS fest, daß es sich in der Tbat um eine internationale Ver schwörung der Anarchisten aller Länder handelt. Die reichen Gelder, über welche der russische Anarchist Baron von Sternberg verfügte, sind von russischen und französischen Anarck'islengruppen geliefert worden. Man darf überraschende Enthüllungen binnen- Kurzem erwarten. DaS Lütticher Gerichl hat die Haftbcl'altnng aller Anarchisten beschlossen. Das srauzüsischo Ministerium bat gestern wegen einer verhältnißmäßig unbedeutenden Differenz mit der Deputieren kammcr, deren Mebrbcit daS Verbot mißbilligte, daß Ange stellte der StaatSbahncn auf Grund dcö Syndikato- gesetzcS an Arbeitercongressc» tbcilncbmen, kurzer Hand d e in i s s i o n i r t. Es votirtcn 223 Stimmen für, 25l gegen daS Eabinct Casimir Pcricr; die Mehrheit, welche vie einfache Tagesordnung ablchnte, bestand aus den Socialistcn, den Radicalen und einem Theil der — Rechten. Das ist bezeichnend und läßt aus die tieferen Gründe für den Stur; der Regierung schließen. Einen scsten Stamm hatte die Opposition in den Radicalen und den Socialistcn, welche vom ersten Tag an daS Eabinct mit seltener Erbitterung bekämpft haben, sich aber zur Ohmnacht vernrthcilt saben, weil die Eonscrvativen und vie Raillirtcn im Hinblick auf die immer bedrohlicher werbende anarchistische Propaganda der Tbat, namentlich nach dem Attentat ans das Abgeordnetenhaus, Schritt sür Schritt mit den gemäßigten Republikanern an der Seite der Regierung gingen. Daher kam cS, daß das letztere bis vor Kurzem, so oft eS die Vertrauensfrage stellte, und Casimir Pcricr bat davon eine» sehr ausgiebigen, fast sprichwörtlichen Gebrauch gemacht, über eine geradezu erdrückende Majorität verfügte. Seit etwa einem Monat aber baben sich die Anzeichen gcmebrt, welche erkennen ließen, daß auf die konservative Rechte ein völlig sicherer Verlaß nicht sei. Seit der Unterrichtsminister Spullcr in der Kammcr den „neuen Geist" der Versöhnung mit dem Vatican proclamirt hat, und riesen FricdenSwortcn fast unmittelbar die kriegerische Tbat der Maßregelung verschiedener Bischöfe wegen ihrer Opposition gegen die staatliche Aussicht über die Verwaltung der Kirchengiiter gefolgt ist, wozu noch verschiedene andere Schritte derReaicrnng kommen,welche keinenZweifcl da rüber lassen sollten, daß das Cabinet Pcricr nicht gewillt sei, der Staatshoheit gegenüber den Mackitgelüsten derKirche irgend etwas zu vergeben, seit dieser Entfremdung zwischen Staat und Kirche war daS Geschick deS Ministeriums besiegelt, jzanz abgesehen von den bei der Kammcrmebrheil noch arg verpönten sreihänd- lerischcn Ucberzcugungcn einzelner Minister. ES ist wobl kein Zweifel: Casimir Pcricr war zu der Cinsicht gekommen, daß er in dem mit Rom heraufbcschworcnen Kampfe den Kürzeren ziehen werde; deshalb benutzte er die erste beste Gelegenheit, mit Ehren zu gehen. Er hatte ja, wie erinnerlich, s. Zt. doch nur gezwungen die Neubildung deS CabinetS übernommen, fünfmal hatte ihn Carnot, als dessen Rivale bei den nächsten PräsitentschastSwablen er galt, dazu vergeblich aufgesordert, und erst als der Präsident der Republik mit einem Appell an seinen Patriotismus ihm daS Messer aus die Brust setzte, ließ er sich dazu bereit finden; im Lause seiner fast balb- jäkrigen Ministerpräsidcntschast hat er daun wohl 12 Mal die EabinetSfragc gestellt, mehrmals bei sehr geringfügigem An laß, ein Beweis dafür, das; er sein ehren-, aber dornen volles Amt cbcr als eine lästige Bürde, denn als ein eifer süchtig zu bütcndcS thcurcö Gut betrachtete. Cr hat die Zügci der Regierung mit fester Hand ausgenommen unk mit Energie geführt, und seine imponiraide Thatkrast, seine rasche Entschlossenheit und die mibcugftlmc Consequcnz, die ihm eigen, ließen ibn namentlich der imminenten Gefahr eines anarchistischen Umsturzes gegenüber als den „Retter in der Noth" erscheinen. Sollte seine Demission »och zu einer dcsinitivcn werke», waü man noch nicht als unbedingt sicher anzunchmcn braucht, so wäre daS im Znteresse Frankreichs nur zu bedauern. Allerdings hätte die Regierung dem Vatican daS eine oder daS andere Zugeständniß machen müssen, aber der conscrvativc Zug, den Easimir Pcricr in die Politik der dem Radikalismus und SocialiSmuS immcr rascher znstcucrntcn republikanischen Partei gebracht balle, hätte wohl eine, wenn auch nur thcilwcise, Gesundung des in seinem »inerslcn Organismus kraulende» Staatskörpers herbeizusübren vermocht. Wer der Nachfolger Pcricr'S sein wird, darüber verlautet noch nichts Bestimmte-, doch ist man, wie u»S der Draht meldet» in Pariser politischen Kreisen der Ansicht, daß die Linke bei der Bildung deS »cucn Ministeriums den Ansschlag geben wird. Man nimmt a», daß Bourgeois mit der Bildung de« iicucn CabinetS beauftragt, und daß dieser Ribot, Poincarrö, Brisson und Eavaignac aussordern wird, in das neue Eabinct cinzutrctcn. Die uicistcii Blätter sind »ach den uns soeben noch zugehenben Telegrammen der Ansicht, daß der nnvorhergeschenc Sturz des Ministerium« von letzterem absichtlich herbciacsührt wurde und daß die Zntcrvcnlion von Vcrier da« Eabinct hätte ballen können. Di« ministeriellen Scclioncn beglückwünschten die Regierung zu ihrer Stellung und machen der Majorität den Vorwnrs, sich in die Arme der Sccialisten geworfen zu haben. Mehrere Blätter weisen von vornherein den Plan eme» Eon- ceiilriruiigS-Cabiuets zurück. Die radicalen und svcialistischcir Organe sage», daS Cabinet sei zurückgctrelc», um seinem unver meidlichen Sturze aus dem Wege zu gehen. Die Demission sei die Folge seiner klerikalen Politik. „Potitc Rcpublique" meint, die gestrige Abstimmung sei ein sociatistisches Werk. Ein stimmig ist die Presse in der Meinung, daß die Lösung der Krise schwierig sei. Zn der italienischen Kammer hat die Entscheidungs schlacht, der Kampf um die Sonnino'schen Finanz- resorineu begonnen und cS sind, wie mitgetheill wurde, bereits 85 Redner angemeldet »nd 2l Tagesordnungen ein- gebracht. Demnach scheint cö, als sollte daS Ringen ein bc- londcrö beiße« werden, und schon flattern wieder die Unglücks rabe», welche den nabe» Stur; des CabinetS CriSpi probc- zcicn, durch die Presse. Allein der greise Ministerpräsident tritt gehobenen MutbcS der von Zanardelli, Giolitti und di Rudiiii geführte» Opposition entgegen. Durch vie Be willigung dcS MititairvoranschlagS in der von der Regierung verlangten Höhe ist der ganze finanzielle Gegcnplan der Opposition gestört; sie hatte ihre Vorschläge aus die Voraus setzung eines Abstrichs von 2" Millionen am KricgSvoranschlag gegründet, nun dieser Abstrich »nterbticben ist, müssen die in ihre» Voranschläge» fehlenden Millionen beschafft werden, und cö wird nichts übrig bleiben, alö sich den Regierung-, Vorschlägen zu nähern. Vo» Seilen der Regierung wird es dann auch nicht an Entgegenkommen fehlen. CriSpi« letzter, i» der „Riforma" veröffentlichter Appell an den Edelmut!, der Führer der Opposition, denen er inS Gewissen redet, nunmehr die Regierung zu unterstützen, nachdem sic ZtalicnS Finanznoth ver» Fsrtillrtsn. Lm feindlichen Leben. «I Roman von I. Schwabe. (Nachdruck kerbctni.) (Fortsetzung.) Zn Hellem Zorn führte ihn Rose aus dem Stübchen und nachdem sie die Mutter zu Dora hinauf geschickt, sagte sie ibm unten in der Wohnstube ohne Scheu Alle-, was sie über ihn dachte. Natürlich schwor er ihr hoch und theuer, daß er ohne Dora nicht leben könne. Sie aber sagte ihm, daß alle seine gc- röbmte Liebe eitel Selbstsucht sei, denn mit keinem Gedanken babc er daran gedacht, daß sie an dem inner» Zwiespalt zwischen Pflicht und Liebe, den er freilich nicht zu fühlen scheine, zu Grunde gehen müsse. Sie hielt ihm mit wahrer Donnerstimme die Erbärmlichkeit seine« Wesens vor, und er beugte sich ihren Worten ohne Gegenrede und stand wie ein armer Sünder vor ihr da. Da« wäre ihr Mann! O, Tora, war ihre Liebe nicht ein zroßcr Zrrlhum? Aber man konnte sich denken, wie er zu Ichmachtcn und zu berücken verstand! Seine Augen flammten iu unheimlichem Feuer, und seine schlanken weißen und weichen Finger berührten Rosc'S Hand wie Schlangen! Doch beugte er pich der Wahrheit ihrer Rede, und al- sie endlich von ihm forderte, er solle ihr schwören, Dora in den nächsten Jahren nicht zu seben, da legte er seine seuchten, heißen Hände in die ihren und ging. — Doch kam er gegen Abend noch ein mal wieder und stand klagend an ihrem Bette und hielt ihr eine glühende AbschiedSrcde, und beinabe hätte die Gewalt seiner Rede sie an« ihrem Fieberwabn geweckt; sehnsüchtig ries sie seinen Namen — da schob ihn Rose energisch hinaus! Und nun war er glücklich fort, und sie saß wieder sorgend »» ihrem Platze und zählte Dora « fiebernde Pulsschläge und dachte an Erwin die ganze, lange Rächt. — Und sie dachte «ich <u» da- unheimliche Treiben >n der Schlucht. Drei Tage Narr» am» vergangen; sie saß bei Dora Tag und Nacht, sie sah den Vater kaum, und er ging ihr auch aus dem Wege, seit jenem Tage. Und doch hätte sie etwa« thun müssen! Dem Vater sagen „Ich bin ja da, Dora, ich bleibe bei Dir!" flüsterte sie der wildausstöbncnden Kranken leise zu. Ter Morgen graute — der vierte Tag — ab, war sie denn wirklich cingeschlafen? Die Mutter stand neben ihr, sie leise rüttelnd. „Lege Dich schlafen Kind! Du siebst wie ein Gespenst auS! Zcki will sie schon behüten, daS unglückselige Wesen! Auch so eine Liebesgeschichte! Gott behüte Dick,, Rose!" Es lag so viel Sorge und Zärtlichkeit in den gleichwohl rauh hcrauS- gestoßencn Worten! Und sie schlief, sie schlief stundenlang, »nd da sie erwachte, stand die Sonne schon lies am westlichen Himmel. Sie fühlte eine Schwere wie Blei in allen Gliedern, und sie dachte, ein kurzer Gang durch die frische Luft werde ihr gut thun und sie sür eine neue Nachtwache kräftiger machen. — Sic ging binauf, die Mutter zu benachrichtigen; still und rubig lag die Kranke. Leise senkten sich tiefe Abendschalten bcrab. Sw büllte sich rasch in ihren großen, bellen, warmen Mantel, zog die Kapuze über den Kopf und fühlte mit Wohlbehagen die frische Luft ihre glühende Stirn umspielen. Noch zwei Minaten in die ArbeitSstube und nun rasch zur Höhe hinaus! Schon oft war sie den Pfad hinan gestiegen, aber nock niemals kam er ihr unheimlich vor. Zndcß heute! Ihre Ge danken ließen sich nicht bannen wie sonst im freien, küblen Walde, sie weilten bei Tora, die auch im stärksten Fieber il>r Leid und ihre Liebe nicht vergaß, und düstrer und düstrer flogen ihre Phantasien zu Erwin hinüber. Lebte er noch, oder hatte ibn ihr da« Schicksal bereits genommen ? Aber der Nachtwind brachte ihr keine Antwort aus ihre sehnsüchtige Frage. Nein, e« war thatsächlich unheimlich hier oben! Sie hielt e» nicht auS. Co finster schon, obwohl noch drüben am HimmelSrande glutrotbe Wolkenstreisen hingen, sür morgen einen klaren, küblen Tag versprechend. Aber im Walde rauschte und raschelte e< seltsam, überall glaubte sie Schritte zu kören, überall meinte sie, flackernde Flammchen auszischen zu sehen. Arrgerlich über sich selbst wandte sie sich um und ging eilends der Villa zu, die im tiefsten Frieden dort am Beraabhanac lag. Einen Augenblick blieb sic sieben — ob sic jetzt schnell hinein ging? Die Fenster sind säst überall sorglos offen; im Eßzimmer scheint man den Tisch sür daS Abendbrod zu decken, und dort im Eckzimmer beugt sich Franz Bergen über die Wiege seines schlummernden Kinde«; seine Frau umschlingt ihn leise und er läßt e« sich gefallen. Auck hier ist der Vorhang nur halb geschlossen und Rose siebt mit tiefer Befriedigung das freundliche Bild, daS ihrem trauerndem Gemütk so wobt thut. Eine Minute Wohl siebt sie sinnend binübcr — da, plötzlich — tauchte da nicht Lickt um Lickt a»S dem WaldeSdunkel aus? Sie starrt betroffen bin wie auf eine unterirdische Erscheinung, aber näbcr und näher komme» sie. Eie sicht Fackeln >n nächster Nähe auftauchcn. — „Zu spät!" flüstern ihre blassen Lippen, und sie flüchtet sich hinter eine der großen Säule», die einen prächtigen Altan trage», »in nicht sofort gesehen zu werden und die Entwickelung diese- Auszugs abzuwarten. — 23. Gewiß, eine« Auszugs! Ist eS nicht ein feierlicher Fackelzug? Aber Franz Bergen scheint keine Atmung davon zu haben und wozu die gespenstige Stille? Und immer mehr und mehr der schwarzen Gestalten scheinen dem Boden zu entwachsen. Endlich steht ei» gewaltiger Haufe vor dem großen Thor der Villa und begehrt Einlaß. Aber >m Hanse hat man den Fackelschein schon bemerkt; die Mädchen, die Diener schauen neugierig an« den Fenstern »nd melden das Wunder ihren, Herrn, ihrer Herrin. Franz Bergen und seine Frau treten, wie eS scheint, freudig überrascht auf Len Altan hinaus. „ES ist schön von Euch", beginnt er z» sprechen, während die Leute sich gegenseitig anstoßen und offenbar nicht wisse», wer den Anfang mit reden machen soll, .e« freut mich sehr, daß Zbr un« in Anbetracht unsere- morgen wirderkehrenden Hochzeitstage- mit einem Fackelzug beehrt." «ieht er nicht die finster drohenden Gesichter? Sieht er nickt, wie wild die Augen blitzen? Rose siebt eS genau, steht sie doch weit näher, den Vater siebt sie glücklicherweise nicht unter der Rotte. Ist er zu feig, mit zu vertreten, wa- cr doch ohne Zweifel angerichtet, oder sind sie ohne sein Wissen hier und bcinühc» sich ohne seine Leitung, seine Lehren inS Praktische zu übersetzen? „HockzcitStag!" ruft einer höhnisch auS der Menge, und ein brüllendes Lachen folgt ihm, „jawohl, Hochzeitstag Wir wollen ihn mit feiern, darum sind wir hier, wen» Sie u»S auch nicht gerade cingeladcn haben. Ihr Hochzeitstag har Eie zu einem reiche» Herrn gemacht, Herr Toctor von Bergen, aber anständig war da« nicht, Herr Doctor von Bergen, denn Sie ließen ein armes, ordentliches Mädchen zuvor sitzen, und wenn daS Mädchen auch so dumm ist, ferner Ihre Geliebte zu bleiben, ko baden wir dock auch deswegen mit Zbnc» abzurechnen, »veil wir uns nicht länger unter drücken lassen wolle» und Zedern sein Recht werden soll und weil wir hier auck sür da« Recht aller Unterdrückten sichen." „Geh' kiiicin, Louise", stieß Fra»; Bergen todtenblaß und mit vor Zorn und Entrüstung bebender Stimme bervor, „gebe hinein, ich werde mit ihnen wegen dieser Znsainic abrcchnen!" „Ich bleibe", sagte die junge Frau finster und feindselig, „ich will Alles hören — nicht nur, was Du mir vvr- erzählen wirst!" Jetzt vergaß Rose Dora vollständig: wußte sie sic ja dock auch bei der Mutter in guter Hut, und sie hielt sich bereit, jede» Augenblick ihr Zeugnis; der aufrührerischen Bande ent- gcgenzuschlcudcrn. „So bleibe", sagte Franz bitter zu seiner Fra», „ich habe nichts z» fürchten", und dann in seinem herrischen Tone ztt dem aufgeregte», eifrig mit einander schwatzenden Volk: „WaS ajso wollt Ihr »nd »vaS habt Ihr mir zu sagen?" „Rede Du", sprach einer zu dem alten Manne, dessen Sohn so gern Geistlicher werden wollte und dieser begann bescheiden: „O Herr, wir sind arnie Leiile und unser Verdienst reicht nicht weit »nd unsere Kinder möchten cs gern einmal besser haben als »vir »nd wir möchten deshalb einmal bitten —" „Himmel und Hölle, bitten!" schrie der junge Mensch, der in der Schlucht Rose nackgestiegen war und der in Folg« de« Sturze« noch hinkte, „Himmel und Hölle, was baben wir zu bitten?! — Ist nicht die Macht aus unserer Seite, muß er nicht» wie wir wollen! Laßt mich einmal reden!" Uni
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