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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.06.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-06-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18940623026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894062302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894062302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-06
- Tag1894-06-23
- Monat1894-06
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Vez«gs-PretS U wr Hauptexpebitio, od« de, i» Stad», tzqkt »b d« Vororte» «richtete» So«, -»»«stellen «bgeholt: vierteljLdrlich ^44.50. M zweimaliger täglich» Zuftetlaug io» du» ^l bchO. Durch die Post bezogen für L«tjchla»d «d Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direct« täglich« Kreuzbands,iduaz 4»L NMAlaL^: monatlich ^ 7.ÜO. v» Diorge^S»«gab« erschein täglich '/,7Uhr, Hst >i»st->»»gab« Wochentag» b Uhr. Abend-AnsgaLe. »er«tto« «,» LrpeLMo-: AstzmineSgast« S. jkA-r-editio» ist Wochentag« »»»uwrbroche» »Maw im, früh 8 bt» Abend« 7 Uhr. rwMr.TaLMalt vtt» Kle«»'» Lnrtt». (Wlfre» Hshsitz Universitätsstraße 1, L-M« Lösche, Dethartnevstr. 1«, Port, und KS»tg«pl»tz 7. ^-A7. Zur gefälligen Seachtung. Unsere Expedition ist morgen Sonntag, den 24. Juni, Bormittags nnr bis Uhr geöffnet. Lxpeältlon üe8 L.e1p2l8er ^asedlnttes. Anzeiger. Lrgan fiir Politik, Localgeschichte, Handels- und Geschäftsverkehr. Sonnabend den 23. Juni 1894. Politische Tagesschau. * Leipzig, 23. Juni. So oft e« sich, wie jetzt im ReichStagSwahlkrcise Ptnnc- terg bei einer Stichwahl um die Frage handelt, ob die Larservative« die politische Verpflichtung habe», einen ««ttsnalliteralen (Kandidaten gegen den (Kandidaten einer anderen Partei zu unterstützen, gründet die „Krcuz- zeitung" ihre Abneigung gegen eine solche Unterstützung aus die Behauptung, daß die Nalionalliberalen nicht nur bei Stichwahlen, sondern überhaupt bei den ReichS- lag-wahlen unendlich viel mehr Borlheil durch die Conser vativen hätten, al» umgekehrt. Dieser Behauptung hat jüngst die „Nationalliberale Correspondenz" die andern utgegcngestellt, daß in Dutzenden von conservativen mid freisinniaen Wahlkreisen die Nativnalliberalen sür eme dieser Parteien den Ausschlag gegeben hätten; die ,-reuzzeitung" hat darauf mit der bochmülhigen Frage geantwortet: „Wo denn, wenn wir bitten dürfen?" Um ferneren Entstellungen des Thalbcstandes vorzubeugen, stellt deute die „Nat.-Lib. Corr." der „Kreuzzeitung" die folgende Rechnung aus den vorjährigen Wahlen auf: l) Der LahlkreiS Breiten ist, wie das Blatt selbst zugiebt, im reines freiwilliges Geschenk der Nalionalliberalen an die Conservativen (Graf DouglaS). 2) In Marien- werdcr haben die Nationalliberalen, die das Mandat früher lauge besessen, den Polen gegenüber gar keine ernste Candldatur mehr aufgestellt (Vertreter v. Buddenbrock). 3) In Pots dam haben Nationalliberale und Freisinnige dem conser- eativen Abg. Schall in der Stichwahl daS Mandat gegen die Socialdemokratco gerettet. 4) In So rau, früher stets aationalliberal, freisinnig oder sreiconservativ vertreten, haben die Nationalliberalen gegen Herrn von Plötz gar keinen lrandidaten aufgestellt und damit das Mandat vor den Socialdcmokraten gerettet; ebenso 5) in Cottbus jKertreter v. Werdcck). 6) In Brieg haben 2386 National- liberale in der Stichwabl dem conservativen Candidaten ;v. Saurma-Ieltsch) das Mandat gegen die Freis. BolkSpartei verschafft. 7) In dem früher besessenen WablkreiS Löwen» derg haben sie von vornherein auf eine Candidatur ver zichtet und damit den Sieg der freisinnigen Volkspartei ibgewcbrt (Vertreter v. Hollcuffer). 8) In Erfurt haben 5ZZ7 Nationalliberale in der Stichwahl den conservativen IacvbSkötter gegen die Socialdemokraten hcrauSgehauen. In Hanau, das sie früher lange besessen, haben :ie Natioualliberalen trotz ihrer bedeutenden Zahl keinen kaudidaten ausgestellt und damit den Conservativen (Ltroh) das Mandat gegen die Socialdemokraten ge rettet. 10) In Cassel haben 4702 Nationalliberale >» der Stichwahl für den conservativen Candidaten tHüpeden) gestimmt und damit die Socialdemokraten über» mälligt. tl) DaS Mandat von MörS haben sie den Ultra- moutaoeo sür den conservativen Gescher entrissen. l2) Döbeln baden sie in der Stichwahl gegen die Socialdemokraten für die Conservativen gerettet. l3) Plauen, daS jetzt in der Nachwahl durch Milschuld der Conservativen an die Social- demokraten gefallen, haben sie durch Verzicht aus einen Candidaten den Conservativen überlassen, l t) Schwerin haben 607 l Nationalliberale in der Stilbwahl gegen die Socialdemokratc» sür den conservativen Abg. v. Viereck gerettet, ebenso 15) Rostock, wo die natioualliberalen Stimmen zuerst sür einen Candidaten der freisinnigen Vereinigung ab gegeben waren; auch l6) Güstrow (Graf Echlicssen) ist nur durch nationalliberale Hilfe gegen die Sccialdenivkratcu erhalten worden. „Manche Wahlkreise", — sährt die „N.-L. C-" fort — „wo die ^Natioualliberalen nicht organisirt sind, doch aber ins Gewicht fallen, haben wir dabci nicht erwähnt, da sich die Wirksamkeit der Partei hicr nicht genauer feststellcn läßt, ebensowenig haben wir die Wahl kreise angcrccknct, in welchen die Nalionalliberalen ohne Erfolg für conservativc Candidaten eingetreten sind. Die „Krcuz- zeitung" pflegt die Zahl solcher vercinzcitcr Conservativen, die für einen mittclpartcilichen Candidaten stimmen, rundweg auf mindestens 300 000 Stimmen anznschlagen, obwohl die Con- scrvativcn den Nalionalliberalen darin weit voraus sind, überall, auch wo sie auf kaum tausend Stimmen rechnen können, eigene Candidaten aufzustellen. Das wären also nicht weniger als sechszehn Wa hlkreise, die den Conservativen ohne die Hilft der Mittelparteien, insbesondere der Natioualliberalen, unrettbar verloren gegangen wären. Davon wären N an die Social- bemokraten, 2 an die freisinnige Volkspartei, je l an die Ultramontancn und Polen gefallen und einen Wahlkreis haben die Natioualliberalen aus Gutmülhigkcil den Conservativen freiwillig abgetreten. Mit dieser jammervollen Position ver gleiche man nun die fortgesetzten anmaßende» und boch- müthigen Redensarten der „Krcuzzeitung" und ihre Haltung bei den Wahlen in Plauen und Pinneberg. Wir bitten jetzt um die Gegenrechnung der „Kreuzpeilung", aber womöglich etwas sachlich im Einzelnen begründet, nicht allgemeine Flunkereien. Vielleicht wird dann daö conservativc Blatt doch etwas gerechter in der Wcrthschätzung der natioualliberalen Unterstützung." Nach unserer Ansicht ist es traurig, wenn bei einem Falle, wie der jetzt in Pinneberg vorliegende ist, einem conser vativen Blakte überhaupt eine solche Rechnung aufgemacht werden muß, um eS zu einer energischen Stellungnahme gegen einen socialdem okratischen Gegner zu veranlassen. Auch wenn in allen Stichwahlen, die überhaupt nöthig werden, nur conservativc Candidaten neben den. social- demokratischen in Frage kämen, würde eS die verdammte Pflicht und Schuldigkeit jedes natioualliberalen Wählers sein, die Conservativen zu unterstützen; dasselbe gilt aber auch von den Conservativen, wen» bei den Stichwahlen nur national» liberale Candidaten mit socialdcmokratischcn zu ringen hätten. Oder bat etwa der ConscrvatiSmuS minder strenge Pflichten rum Schutze der von der Socialvemokratie bedrohten Gcsell- schaftSclassen und hohen Güter der Menschheit, als der NationalliberalismuS? Wie die däntschen „Politiken" mittbeilcn, wird derWechsel im Ministerium sür Ende dieses Monats erwartet. Eben jetzt wird von dem nainhasteslcn dänischen Portraitmalcr ein Bildniß des Königs hergestellt, daS allgemein, auch in der conservativen Presse, als ein Abschicdsgeschenk sür den lang jährigen Ministerpräsidenten Cstrup gilt. Am 25. d. MtS. kehrt der König a»S Deutschland nach Dänemark zurück, am 28., dem Tag der silbernen Hochzeit des Kron- prinzenpaarcs, soll daS Ministerium reconstruirt sein. Wenn sich die Nachricht der nicht immer ganz zuverlässigen „Politiken" bestätigt, dann fällt für die 25 Mitglieder der Linken, welche unter der Voraussetzung des Rücktrittes des Premierministers sür den Ausgleich mit der Regierung ge stimmt hatten, der Grund sür die beabsichtigte MandatS niederlegung weg. — Für die dänische Agitation in Nord- schleSwig wird ein »euer Anstoß von einem ErinncrungSsest erwartet, das am l. Juli jenseits der Grenze auf Skamlingö banke stattfindcn soll. Die Höhe liegt in jenem Thcilc des srühcrcn HcrzogthumS Schleswig, der im Wiener Frieden vom 30. Oktober l86t gegen jütische Cnclaven weiter westlich an Dänemark abgetreten worden ist. Ans jenem AuösichlSpuncl am Kleinen Belt fand am t. Juli 1841 unter Führung der gesamiutcn Kopcnhagencr Literatur eine AgilaticuSfeicr fiir die Bewahrung der dänischen Sprache in Nordschleswig statt, mit welcher die Ver wickelung von zwanzigjähriger Dauer begann. Zu der balb- hunderljährigcn Wiederkehr des TagcS soll jetzt jene Feier statlsinden und die hervorragendsten dänischen Redner und Publicistcn von beiden Seilen der Grenze an ihr theilnebmen. Man könnte dabci allerdings mit der „Post" die Frage erheben, wie die preußischen LandtagSabgcvrdneten Io- ba nnsen und Lassen diese Tkcilnabiiic mit ihrem Abgeordneten - Cidc vereinbaren wollen ; denn daß dort sür die „Wiedervereinigung" Schleswigs mit Däne mark agitirt werden wird, ist doch unzweifelhaft: wenn aber jene beiden Herren ungleich mehreren älteren Gesinnungsgenossen jenen Eid nicht mehr ab- gclehnt, sonder» geleistet haben, hätten sie sich doch an scheinend bei dieser veränderten Haltung etwas denken müssen. Jene Agitation erscheint sür das Dänentluim freilich um so ratbsamcr, als eS notorisch auf dem nordschleSwigschen Fest land immer weiter zurückgcbt. Auf der Insel Alsen ist daS anders; diese Inselbevölkerung ist eben von Herkunft national dänisch und die festländische höchstens gemischt sricsisch-jütisch. Aber daS darf die dänische Agitation allerdings niemals eingcstehcn. Nachdem das ungarische Oberbaus die Ebege setz Vorlage gestern in zweiter und dritter Lesung ange nommen bat, ist der Sieg der liberalen Regierung ein end- giltiger. Ter CardinalprimaS von Ungarn, VaSzary, der Mann des Friedens, als der er bei seiner Inthrvnisirung begrüßt worden war, versuchte noch daS „schlechte Gesetz" durch verschiedene Anträge zu einem „weniger schleckten" zu macken, aber Las Oberhaus lehnte sie alle ab, da sie das Princip der Ehe- rcchtSrcsorm berührten und nahm nur den belanglosen Antrag des Grafen Adelar Andrassn an, der im Gesetz ausgesprochen wissen will, daß die religiösen Pflichten durch dasselbe unberührt bleiben. Die klerikal-conscrvativen Magnaten hatten bereits am Donnerstag die Schlackt verloren gegeben und waren bei der gestrigen Absliinmung zum Theil schon abgcrcist, einige von ihnen hatten sogar nachträglich ihre Genugtbuung über den AuSgang der Generaldebatte ausgesprochen. In der gesanimtcn iiberalcn Presse Oesterreich-Ungarns gelangt natürlich die tiefempfundene SicgeSsreude über die Annahme des EhcgesctzcS zu», Ausdruck. Die Blätter feiern den großartigen Erfolg, der errungen wurde, und stellen demselben die enormen Gefahren gegenüber, welche die abermalige Ablehnung des Gesetzes nicht nur für daS Cabinet Wekerle, sondern sür die liberale Partei, ja für den Bestand deSungarischen Staates mög licherweise bervorgerufen hätte. Die liberalen Blätter geben sich der Hoffnung hin, daß daS Resultat der Abstimmung die aufgeregten Gemüther beruhigen werde, damit die dem neuen Gesetz gegenüberstehenden Elemente des Volkes sich leichter mit der neuen Lage der Dinge versöhnen können, was ja, wie daS Beispiel anderer Länder zeigt, sehr leicht ist. DaS klerikale Wiener „Vaterland" folgt dem liberalen Ruse: ,.6eäant arma togaoG und erklärt, seine bisherige heftige Propaganda gegen daS Gesetz einstellcn zu wollen. Dagegen trösten sich andere Blätter der Opposition damit, daß sic sür die nächste Zeit den Sturz der Regierung prophezeihen, einige von der Couleur Apponyi droben, daß Anzetgerr-Pret- die «gespaltene Petitzeile Sk Pf--' Reklame» unter demR»dactto»Sprich <4ga» lpallr») üO-4. vor dca Familiaiuocheicht«, (6 gespülte») 40-4- Gröbere Schriften laut oaj»>!M PveiS- vuzeichaib. Tabellarischer und Zlsferuja« nach höherem Tarif. Rptra-Beilagen (gesalzt), n»r mit der Morgen»Ausgabe, ohne Postiiefürderuag KO.—, mit Postbesorderung TO.—. Annassmeschlvß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: BormittagS 10 Uhr. Marge ii»A»-gäbe: Nachmittags 4 Uhr. Sonn- und Festtag- früh V-0 Uhr. Bei den Filialen und Annadinesi rlle» je eia« halb« Stund« früher. Nszngen sind stet» an dir Gxpetzitta» zu richte». Druck und Verlag von L. Polz i» Leipzig. 88. Jahrgang die Juden für den Sieg des Liberalismus büßen ollen, und daS Kampf- und Hetzorgan deS niederen KlernS „Magyar Allam" wendet sich in einem von MajestälSbeleidigungen strotzende» Artikel „Fut Oaesar' gegen den Kaiser n»d schließt: „die christliche Kirche hat Iabr- bundertc römische Versolgung überdauert, aber wo sind die znlperatoren?" Angesichts einer solchen Sprache kann man der anck in deutschen Blättern auftauchcnden Meinung nicht bcipslichtcii, cS habe sich bei dem Kampf um die Ehe- gcsctzc in erster Linie um ein Ringen des Adels mit dem Volke, der Krone mit dem Parlamentarismus chandclt, der Klerus sei nationalgesinnt, ihm komme erst Ungarn, dann Rom. DaS ist nicht ganz richtig, der ganze Verlaus der Geschichte der Ehegesetz-Reform — und ihre Anfänge datiren nicht von gestern — hat gezeigt, daß cS, wie überall, so auch in Ungarn der Kampf zwischen Liberalismus »nd KlerikaliSninS. zwischen staatlichem Fort» chrill und kirchlicher Reaelion war, der bei Gelegenheit der Ehcgesetzgebiliig vor Allem auSgctragcn wurde, bei dem frei lich, wie überall, die ultraconservativen Clemente dem Klcri- kaliSmnS gcsinnungstrcuc Gefolgschaft geleistet haben Die Colonialpolitik Frankreichs strebt über ihre bist,engen Traditionen sichtlich hinaus. Bei der Auflheilung der nock herrenlos verbliebenen Länderrännie unseres Erdballs, welche seit Anfang der 80cr Jahre begonnen hat und beute im Wesentlichen vollendet ist, hat Frankreich sich so auSgiebig versorgt, als cS angesichts der initwirkenden starken Con- currcnzcn anderer Völker nur möglich war. Die französische Regierung war zudem in der glücklichen Lage, in der Kammer, im Volke bei allen Parteien ohne Aus nahme volles Verständnis; für die vilalc Bedeutung zu finden, welche ein auögcdcbntcr Colonialbesitz für eine große Culturnation bat, weil ein solcher Besitz am sichersten verbütct, daß daS StaatSwese», welchem er angchört, in Stagnation und Verknöcherung versinke. AuS der wachsenden VolkStbiimlickkeit der Colonien in Frankreich erklärt sich auch die zuncbmcnde Bedeutung deS colonialen RessortS im vsftiitlichen Lebe», was am handgreiflichsten durch die vor einiger Zeit bewirkte Schöpjung eines eigenen Colonial- Ministeriums erwiesen wird. Dieses Ministerium, welches nach der Demission dcö CabinctS Pcrier, in welchem Boulangcr dasselbe verwaltete, einen nicht minder thätigen und mit Iuttiative begabten Chef in der Person de» jetzigen Leiter« DelcassS erhalten zu haben scheint, wetteifert mit dem Ministerium des Auswärtigen unter Haiwtcaup, der sran- zösiscken Tbatcnlust überseeischen Spielraum z» eröffne», wo die Nation den Uebcrschuß an Lebenskraft, der sie sonst im Innern aufzuzebren drohte, in einer dem Gemein wohl fördersamen Weise vcrwertben kann. DaS soeben von Deleassc! an die Gouverneure sämmtlicher fran zösischer Colonien erlassene Rundschreiben, welches be zweckt, die Coloiiialvcrwaltungcn aller Orten mit einem neuen, der burcaukratischc» Schablone und Routine entgegen gesetzten Geiste zu erfüllen, ist ein ebenso interessantes als bedeutsames Actenstück. Es will die Tradition durchbrechen, als ob Frank,eickö colonisirciide Fähigkeit sich in der Grün dung überseeischer Heimstätten sür Beamte und MilitairS er schöpfe; cS will die administrativen Vorbedingungen für eine Massencinwanderung wirklicher Colonisten schassen, d. h. solcher Elemente, welche nicht mit der Absicht in die Colonien geben, dort binnen möglichst kurzer Zeit so viel zu erwerben, um für den Rest der Lebenszeit in Frankreich als Rentier leben zu können, sondern welche, nach englischem Muster, die Colonien zu ihrer zweiten, lebenslangen Heimath wählen, ein „Reusrankreich" jenseits des OceanS gründen wollen. Daß diese Absicht im ersten Anläufe glücken werde, ist kaum anzunehmen; dazu ist Die alte gute Zeit. Eine Erzählung auS Niedersachsea von Greg. Samarow. ss Nochen,ik verbot,». (Fortsetzung.) Er war auch jetzt wieder leicht eingenickt und fuhr empor, «l< daS Thürschloß klirrte und die alte Johanna eintrat. Sie war festtäglich gekleidet, kein Stäubchen lag auf ihrem ickwarzen Dollenkleid; ikre Schärpe, sowie die Tüllkrause und de Bänder ihrer Haube waren noch um einen Grad weißer »nd schneeiger als gewöhnlich. Da« Bild des behaglichen Stilllebens, daS sie vor sich sah, scheu sie durchaus nickt zu erfreuen. Sie warf einen finstern Blick aus da« junge Mädchen und sagte dann in einem gewissen kierlichen Ton, den sie stets anzunebmen pflegte, wenn irgend «was ihr stilles Mißfallen erregte, ohne daß sie sich daö Recht «dm. ihren Empfindungen Worte zu geben: .Ich wollte den Herrn Dechanten um die Erlaubniß bitten, heute Rachmittag auSgehen zu dürfen — die Frau reitende Försteriu Wilkncr hat mich aus ein Schälchen Kaffee ei-geladen." »Gewiß, meine liebe Johanna, gewiß", sagte der Dechant silb ermunternd und seine halb auSaegangene Pfeife mit langen Zügen weiter rauchend — „Heh' Sie nur, eS wird ihr gut lbun, ich freue mich, wenn Sie Sich etwa« zerstreut — Sie sollte öfter auSgehen." „Dazu babe ich keine Gelegenheit und keine Zeit", er viterte die Alte in noch schärferem Ton, ,,wa« sollte dann «chl au- dem Hau- und der Wirtbsckasl werden? Hier bringe iih dem Herrn Dechanten auch die Schlüssel zum Keller und der SpeisKainnier — zum Abendessen bin ich wieder hier, »od sollte der Herr Dechant auSgehen müssen, so sind Sie w»bl so freundlich, die Schlüssel an den bekannten Nagel zu dünge»." „Gebe Sie nur die Schlüssel meiner Nichte", sagte der «chaal abwinkend, „brauche ich etwa« oder kommt Besuch Arend der Zeit, daß sie fort ist, so wird Anna ja da« "öibiae besorgen." 4»«r»> sich da« Fräulein zurrchtfindet", erwiderte die Alte, e« wird ja vielleicht Niemand kommen und der Herr D>ch«,t können ja dann immer selbst uachsehrn." Ihr Blick wurde noch schärfer und feindlicher, als sie den Ring mit den Schlüsseln klirrend auf den kleinen Arbeitstisch niederlegte, der vor Anna stand. Dann machte sie einen Knicks, der in demonstrativer Weise nur ganz ausschließlich sür ihren Herrn berechnet zu sein schien, und schlug bei ihrem HinauS- gehen die Thür so laut klirrend zu, als ob sie sürchtele, daß ein Zugwind das Schloß öffnen könnte. „Was hat sie nur?" sagte der Dechant, „sie war mürrisch, ich kenne ihren Ton und dann ist schlecht mit ihr auskommen, ich mag keine unzufriedenen Menschen um mich sehen und gehe ihr dann lieber auS dem Wege." „Sie fürchtet wohl, lieber Onkel", sagte Anna mit sattem, fast traurigem Lächeln, „daß ich mich in ibre Rechte der HauSwirthschaft eindrängcn möchte; ihr würde ihr gern mehr zur Hand gehen, aber ich halte mich zurück, da ich sehe, daß sie sich verletzt fühlt — es wird mir Wohl gelingen, sie all mählich freundlicher z» stimmen." „NarrenSposien — NarrenSposftn! —" rief der Deckant, „die Alte soll sich ibre Mucken abgewöhncn — bist Tu nickt meine Nichte und hast Du nicht daS Recht, Dich um mein HauS zu kümmern? Sie muß sich daran gewöhnen, und wenn sie eS nicht kann und will — ihre Launen haben mich schon oft geärgert, — dann kann ich nun ja auch ohne sie fertig werden." „O nein, lieber Onkel, nein!" ries Anna erschrocken. „Nicht um meinetwillen, an mir ist eS, mir LaS Vertrauen der allen treuen Dienerin zu erwerben." „Nun, wir werden ja sehen", sagte der Dechant, „Du bist ein gute-, bescheidene- Kind, ich weiß eS wohl, und ich will die Alle wahrlich nicht verstoßen, aber sie muß cS begreifen, daß ich Herr im Hause bin. LieS weiter, mein Kind — wir waren bei der Räubergeschichtr a»S der Walachei sieben geblieben, nicht wahr?" Er lehnte sich behaglich in seinem Lehnstuhl zurück, »nd al« er die bläuliche» Ringelwolkrn in die Luft blieS, nabm seiu Gesicht einen außerordentlich energischen Ausdruck an Ter Gedanke tbat ihm außerordentlich wobt, daß er nun wirklich die Macht habe, einmal ganz ernstlich Herr im Hause zu werden. Anna laS weiter. Langsam senkten sich wieder seine Augenlider, die Ringclwolken wurden immer schwächer und schwächer, und seine tiefen Athemzüge zrigtrn bald, daß ihn die schauerliche Räubergeschichte in der Walachei in seiner Rübe nicht störte. Die alte Johanna hatte in der Küche noch einige Geschirre mit mehr Geräusch an ihren Ort gestellt, als zu ihrer Ver richtung eigentlich nöthig gewesen wäre, dann hangle sie einen großen Pompadourbeutcl über ihren Arm und schritt ernst und würdevoll über die Straße hin. Nach der anderen Seite deS Dorfes zu lag ein kleine- bübschcS HauS in einem freundlichen Garten. Die- war der Wittwensitz, den der vor einigen Jahren verstorbene reitende Förster Wilkncr auS seinen Ersparnissen für seine Frau erworben Halle. Die Wittwe Wilkncr gehörte zu den Honoratioren von Landersen und war eine Frau von vielem Selbstgefühl, deren Wort im Dorf und in der Gegend nicht wenig galt und die auch im Wittwenstande ibren Rang aufrecht kielt; denn die reitenden Förster gehörten zur ersten Classc der subalternen Forstverwaltung und hatten diesen Titel beibebaltcn, obgleich sie nicht mehr zu Pferde ihre Reviere durchzogen. ES war ein schöner, sonniger Tag, und unter der Linde im Vorgarten deS kleinen HauscS, der durch einen weiß gestrichenen Gitterzaun von der Straße abgeschieden war, stand ein mit blendendem Leinen bedeckter Tisch. Ans dem selben befand sich eine mächtige Kaffeemaschine von Zinkblech mit Beschlägen und einem Hahn von Messing, alle- so spiegelblank geputzt, daß eS wie Silber und Gold glänzte. In musterhafter Ordnung standen die geblümten Tassen umber. Die gläserne Zuckerschale, Körbe mit allerlei Rosinen gebäck, das alles sah so einladend und so vornehm auS wie nur möglich. Frau Wilkncr in einem großblumigen Kattunkleid mit weißer Halskrause musterte noch einmal prüfend de» gedeckten Tisch, und auS ibren dunklen, scharfblickenden Augen blitzte stolze Zufriedenheit über daS so gelungene Arrangement. Sie stand in der Mitte der fünfziger Iabre, ,dre magere Gestalt hatte aber »och die Rüstigkeit und Beweglichkeit der Ju gend behalten, ihre fest auseinander geschloffenen Lippen schienen gewiß zu sein, daß jede- von ihnen gesprochene Unheil überall achtungsvolle- Gebör finden würde. Sie drückte die Hände mit den halbfingrigen Filetbandschuhen und einem goldenen Ringe gegen die grauen Seitenlocken, welche unter der Haudrnkrause hervorguollcn, strick ihr Kleid glatt und wendete sich dann nach der Gitterldür des kleinen Garten-. durch welche soeben die alte Iobanna eintrat und sich ehrerbietig knipenv näherte. „Die Frau reitende Försterin ist so gütig gewesen, mich einzuladrn", sagte sie mit ihrem liebenswürdigsten Gesicht, „und ich habe mich frei gemacht, obgleich jetzt in der Wirth> schast viel zu thun ist, um auf ein Stündchen herüberzu- koniilien." „DaS ist schön, mein liebe- Pastorcnfräulein", antwortete Frau Wilkncr mit herablassender Liebenswürdigkeit, indem sie mit der Haltung einer Fürstin der abermals knipen- den Iobanna die Hand reichte. — „eS ist gut, wenn man sich einmal ausspricht über viele Dinge, die da Vorgehen und zu denen man dock seine Stellung nehmen muß. In Ihrer Wirtbsckaft übrigens", fuhr sie fort, indem sie sich an den Tisch setzte und zwei von den ge blümten Taffen auS dem Hab» der Maschine füllte, „in Ihrer Wirthschast sollten Eie eigentlich jetzt mehr Freiheit baden, da doch die Nichte des Herrn Dechanten bei Ibnen im Hause ist und Ihnen gewiß zur Hand gebt und manche Last abnimint." Die Miene deS PastorenfräuleiiiS — da« war der officielle Titel, bei dem die alte Johanna j», Dorfe genannt wurde — verfinsterte sich, während sic ein Stück Zucker zerbrach und die Hälfte davon in ibre Tasse legte. „DaS Mädchen ver steht eben nickt viel davon, Frau reitende Försterin", sagte sic spitzig, „und ich lasse mir nicht gern von ungeschickten Händen »i meine Arbeit eingreisen. — Wo sollte sie cS auch gelernt baben, in der kleinen Stadtwirthschast gewiß nicht. — Sie verstcbt eS wohl, dem Herrn Dechanten vorzulesen und ihm einen Blumenstrauß aus den Tisch zu stellen, daS macht ja dem hockwürdigen Herrn auch Vergnüge», wie eS scheint, aber eine Suppe richtig abz»schä»incii oder einen Eierkuchen gut ausgchcn zu lassen, das möchte ihr wobt nicht gelingen, und von den Bluniensträußchen und den, bischen Vorlesen möchte der Herr Dechant dock wohl nur recht schlecht leben können." „I", sagte Fra» Wilkner, „ick babe gedacht, daß da» Mädchen recht tüchtig und bäuSlich wäre und daß der Herr Deckant, als er sie in sein HanS nabm, wobl gemeint hatte, Ihnen eine Erleichterung zu schassen." „Kann vielleicht werden, Frau reitende Förstcrin, ich glaube e» so leicht nicht, die städtische Erziehung taugt nicht dafür. Freilich werde ich alt, und wenn der Herr Deckant mein», daß ich der Wirtbsckaft nicht mebr lange gewachsen bin, nun, dann muß ick srben, daß ich mit meinem kleine» Sparpfenoig mir mein Lebe» einricbte, aber dann sollte er wobl daran denken, mir eine andere und geübtere Nachfolgerin zu geben." Ein Seufzer der Resignation begleitete diese mit einer gewissen Bitterkeit gesprochenen Worte der Alten. „So so", sagte Frau Wilkner, indem sie ihre Tasse zu» Munde führte und dabei den kleinen Finger rechtwinklig au»
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