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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.07.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-07-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18940702023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894070202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894070202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-07
- Tag1894-07-02
- Monat1894-07
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Kaiser Wilhelm II.. der bereits durch seine Beileids bezeigung nach der Ermordung des Vorgängers des jetzigen Präsidenten der französischen Republik seuriae Sohlen aus die Häupter seiner und des deutschen Reiches Feinde gesammelt hat, hat die Traucrfeierlichkcitcn für den Ermordeten nicht vorübergehen lassen mögen, ohne der französischen Ration einen neuen, noch überzeugenderen Beweis seiner Theilnahme und seines aufrichtigen Wohlwollens zu geben. Er hat, wie der Telegraph bereits gemeldet, die beiden am l«>. Dccember vorigen JabreS wegen «Spionage vom Reichsgericht zu «>- und tjähriger Festungshaft verurtbeitlcn und seitdem in Glatz „iternirten französischen Sce-Osficierc Tegouh und Tclguch begnadigt und von diesem hochherzigen Acte kein sranzösischcn Botschafter Hcrbette während der zum Gcdächtuiß Earnot'S in der Hedwigskirche zu Berlin veranstalteten Feier durch den Reichskanzler dem französischen Ministerpräsidenten Dupu» DM'vIM'Minister deS Auswärtigen, Hanotaux, während der Pariser Trauerfeierlichkeit durch den deutschen Botschafter Grafen Münster Miltheilung machen lassen. Bekanntlich ballen jene Verurtheilungen die Franzosen, die in der Thal ihrer Landsleute nichts als einen Act patriotischer Pflicht erfüllung sahen, tief verstimmt. Biele hatten Freisprechung oder sofortige Begnadigung erwartet. Za, selbst in Deutschland er hoben sich Stimmen, die einer Begnadigung das Wort redete». Wir haben damals betont, daß Deutschland in erster Linie an seine Sicherheit denken und daher seine Gesetzgebung so einrichtcn müsse, daß sic die Jntcrnirung fremder Spione so lange gestattet, bis daS, was sie auSgckundsckiaftet, dem Reiche nicht mehr zum Schaden gereichen könne. Aus diesem Standpunctc stehen wir noch heute. Unsere Gesetzgebung muß principiell in die Lage versetzt werden, sich vor den Folgen sremder Spionage zu sichern. Trotzdem begrüßen wir den Gnadenact unseres Kaisers mit Freuden. Er bedeutet nicht eine Billigung solcher Spionage, sondern befreit lediglich zwei Männer von der verdienten Strafe in einem Augenblicke, der eine Befürchtung vor nachtheiligcn Folgen der Freilassung ausschließt und der französischen Ration die lhcilnchmenden und friedlichen Gesinnungen Deutschlands und seines Kaisers be sonders augenfällig beweist. Die Entfremdung, die zwischen Frankreich und Rußland, cingctrclen und die Besserung unserer Beziebungcn zu Rußland schließe» eine Störung deS Friedens durch Frankreich jetzt beinahe vollständig aus. Der Dämon, dem Earnol zum Opfer gefallen und der Opfer in allen civilisirtcn Staaten sucht, drängt diese und ihre Ober häupter mehr atS je zu festerem Zusammenschluß gegen eine große gemeinsame Gefahr. Zn solcher Zeit durste Kaiser Wilhelm, ohne Gcfabr und Mißdeutung besorgen zu müsse», jenen Gnateuact vollziehen; daß er eine alle Freunde der Ordnung uud des Friedens so lief erschütternde Gelegenheit für diesen Aet wählte, macht seiner tiefen politischen Einsicht die größte Ebre. Eine erfreuliche Wirkung hat sich denn auch sofort gezeigt. Der französische Ministerpräsident hat sich beeilt, die Kunde der hochherzigen That noch während der Traucrfcierlichkeitcn in Paris zu verbreiten, und überall hat diese Kunde freudige Bewegung hervorgeruscu. Heute liegt uns auü Paris folgendes Telegramm vor: Paris. 2. Juli. Tie Nachricht von der Begnadigung der beide» in Glatz i» »astirle» sraiizösijchcn Oisiciere rief im Publicum tiefgehende frohe Ucberrcrschung hervor; allerorten konnte man Bemerkungen vernehmen, welche Freude und Genug- thuung über den Act Sr. Majestät des Kaisers Wilhelm aus druckte». Tie Blätter bringe» die Nachricht an erster Stelle. Eine Extraausgabe des Journals „Le Jour" sagt: Jedermann wird davon durchdrungen sein, daß 2e. Majestät der Kaffer Wilhelm edel gehandelt, und selbst Diejenigen, welche nichts vergessen können, werden sich Vvr der hochherzigen Initiative des SouvcrainS verneigen. „La Presse" schreibt: Ter Lentiche Kaiser hat eine besonders ergreifende Form gesunden, »in seine Gefühle der Werthschätzung und Bewunderung sur Earnot zu bezeigen. Diese einem großen Andenken gewordene Huldigung bedarf keines Eomcntars. Ter Act Kaiser Wuhclm's wird ebenso gerechlscrrigten als nachhaltigen Widerhall erwecken. Allerdings wird abzuwarten sein, ob diese bei unseren westlichen Rachbarn bcrvorgcrnfcne Stimmung von Dauer ist. Jedenfalls aber wird diese Stimmung dazu dienen, der Erwägung Eingang zu schassen, daß die beiden benachbartcn Nationen im Angesichte der Leiche Earnot'S die dringendste Beranlassung haben, ihrer gemeinsamen Ausgabe zu denken und nicht eine Verbitterung zu nähren, von der am Ende doch nur die Feinde aller staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung den Bortheil haben. DaS Pariser „Journal des Dvbats" gelangt nach einer Erörterung deS Z u s aminenbangS zwischen anarchistischcu Verbreche» und jscialSemokratischrr A»z» rcizung zu der Forderung der gesetzlichen Bekämpfung der socialistischen Bcrbetznng in den europäische» Ländern, „auch in dem zufällig von der Propoganda der That verschonten deutschen Reiche". Es würde von sehr unberechtigter nationaler Ucbcrhcbung zeugen, wenn man dem französischen Blatte bestreiten wollte, daß cS in der Tbat nicht mehr als ein glücklicher Zufall ist, wenn wir seit längerer Zeit anarchistische Attentate und Berschwörungc» nicht erlebt haben. Etwas Unbekanntes sind sie uns ja durchaus nicht geblieben; in Deutschland war der verruchteste Anschlag, den die Geschichte der Anarchie kennt, geschmiedet, daö Attentat auf die zur Einweihung des NiederwalddcnkmalS versammelten Spitzen der Nation, und die Ermordung des Polizeiraths Rumpf in Frankfurt steht noch in grausiger Erinnerung. Ter Socialdcinokratie ist die Ruhe der letzte» Jahre jedenfalls nicht zu danken, und nach der Art und Weise zu urtbeilen, wie ihr ossiciellcS Preßorgan soeben die That Eascrio's vom menschlichen Standpunct beschönigt und nur ans opportunistischen Er wägungen, d. h. Erwägungen deö Augenblicks, getadelt hat, scheint die socialrcvolutionaire Partei selbst nicht mehr een Anspruch zu erheben, als ein Hinderniß anarchistischer Greuel- thaten angesehen zu werden. Jedenfalls hat Deutschland keinen Anlaß, die ans socialdemokratischer Agitation ent- priiigcnte aiiarcbistisck>c Gefahr geringer zu schätze», als irgend ein anderes Land, und in Abrede zu stellen, daß die ans seinem Gebiete statlsindcnde Bcrbetznng ebenso in anbcrcn Ländern wirbt, wie die ausländische in Deutschland. Die Begrüßung, welche der „Vorwärts" dem »cngcwählten französischen LtaatSobcrhaiipte — trotz unverkennbarer Vcr kegenbeit wegen der Ermordung Earnot'S — bat zu Tbeil werden lassen, wird, als „Preßstimmc" in französischen revo- luiionairc» Blättern wicrergcgcbcn, ihres Eindrucks aus die „Männer der Tbat" nicht verfehlen, und »och fruchtbarer mag sich in Italien die Behandlung Erispi'S durch den „BorwärtS" erweisen. Seil Monaten erweckt daS Berliner Organ der Socialdemokratie von der Person des italienischen Ministerpräsidenten die Borstcllung eines Massenmörders, den nicht zu erschießen eine Unterlassungssünde, wen» nicht ein Verbrechen ist. Herrn EriSpi mag daS persönlich nicht gcnircn, erwägt man aber, daß die Heye gegen Personen weit verrohender wirkt, als diejenige gegen Einrichtungen, so wird man die Brandartikcl der deutschen socialkeniokratischen Presse nicht als Privatfache des italienischen Ministerpräsidenten betrachten. Das Be leidigende in ihnen ist ja gleichgiltig, nicht aber das Auf reizende, daS mit einer Glorifieirnng der jüngsten socialistischen Verbrechen in Italien zusammensällt. Hier zeigt sich eine Lücke im Gesetze, deren Ausfüllung keine Ausnahme bestimmung erfordern wird. Nach dem RcichSstrafgcsetz buch kann die strafzcrichtliche Verfolgung von Be leidigungen nur cintrctcn, wenn der Beleidigte oder, bei Beamten, seine Vorgesetzte Behörde Strafantrag stellt. Zur Stellung des Antrags ist zwar, wie selbstverständlich, auch jeder Ausländer, rer sich beleidigt glaubt, berechtigt, aber, trotz der eben wieder im blutigen Scheine gezeigten Gemein samkeit der Interessen, werden sich fremdländische Staats männer kaum hcrbcilassen könne», die Strohmänner der Singer oder Adler zu belangen. So bleibt die einheimische Justiz gegenüber der in die Form persönlicher Beleidigungen von Ausländern gekleideten und als solche „juristisch unfaßbaren" Gcneralverhetznng machtlos, wenn man sich nickt entschließt, dem Ekef des Auswärtigen Amtes die gesetzliche Befugnis; zu crlheilcn, die Bestrafung wegen Beleidigung auswärtiger Staatsoberhäupter und Minister zu verlangen. Wir glauben, daß in diesem Puncle Deutschland der Eingangs erwähnten Anregung des „JonrnalS des DcbatS" unbedenklich folgen könnte, und erklären gleich zeitig, daß die Vorwürfe der Denuncialion und der FreiheilSscindlichkeit, mit denen man nicht zurückhatlen wird, für uns in diesem Falle keine Schrecken bat. Tie intetectucllen Urheber von Menchelmord und Brand stiftung haben keinen Anspruch aus die politische» Vergebe» gegenüber gebotene DiScrction und ebensowenig ei» Recht, fick, über Freiheitsbeschränkungen zu beklage», die sic durch Mißbrauch der Freiheit herausgesordert haben. In vöümen war während deS bekannten Omladina- ProeesseS, der gezeigt hatte, wie weit antidynastischc, socialistische, ja anarchistische Ideen unter dem jungtschechischcn Nachwuchs verbreitet sind, von dem t7 Jahre allen Schlosscr- gehilfen Zrcnko Matcjicck ein Geheimbund unter dem Namen „Die Rächer Tschechiens" gegründet worden, dessen erster Zweck nach den Satzungen darin bestehen sollte, das Staatsoberhaupt und hohe Amtspersonen zu beseitige». Tie Zahl der Mitglieder, die mit Waffen, insbesondere mit Revolvern und Dolchen versehe» werden sollten, war aus zwöls beschrankt. Alle waren dein Oberhaupt« unbedingten Gehorsam schuldig und jeder Berräther sollte von einem durch das Loos zu bestimmenden Mitgliede erdolcht werden. Durch die Vejcitigung des Staatsoberhauptes sollte der Weg zu einer republikanischen Staalsversasiung angebabnt werden. Mit dem Erlöse rlneS Diebstahls reißen Matejicek und ein zweites Mitglied LeS Gehcimbundes, der l«> Jahre alle Tagarbeiler Johann Kolecko, nach Wien, wo sic am 6. März eintrasen. Sie besichtigten die Stadt, darunter die Hofburg, fuhren aber am selben Tage nach Prag zurück, weil der Kaiser nicht in Wien weilte. Hier ober hatte ein Dritter, der in die Geheimnisse des Bundes ringeweihi, ober in ihn nicht ausgenommen worden war, den Plan verrathe» und beide wurden verhaltet. Dieser Berräther war der 18 Jahre alle Ferdinand Schutz, ehemals Statist im tschechischen National- theatcr, später Mitglied einer wandernden tschechischen Echau- vielertruppe und Bänkelsänger und endlich — wie er bei seinem Verhöre angab — Vigilant bei der Prager Polizei. Tie Unter- uchung ergab, daß die Reise nach Wien, zu der Matejicek «inen charsgeichliffenen Dolch miinalnn, dem teuflischen Plane galt, den Kaiser bei einer Ausfahrt zu ermorden. Matejicek, der sich offen als Anarchist bekennt, sollte bei einer Ausfahrt des Kaiser« eine Schrift überreichen, den Wagen besteigen und dein Monarchen den Dolch in die Brust stoßen. Einem Zeugen sagte er vor der Abreise, er werde den Mord verüben, es gcichche, was da wolle; sollte sich keine Gelegenheit zu dem Morde ergeben, so werde er in der Hofburg eine Bombe legen. Kolecko fügte hinzu, er werde die Thal gemeinsam mit Matejicek vollluhre». Tie Angeklagten, kräftig gebaute Burschen, gestehen ihre verbrecherischen Pläne un- umwunden ein. I» dem Urtbeilc, daS wir bereits gemeldet haben und daS die beiten Schurken zu zwölfjährigem schweren Kerker ver- urtbcilt, wird bervorgehoben, der Gerichtshof habe die Ucber- zcugung gewönne», daß die Angeklagten dem Gehcimbunde an- gcbörlcii, daß Matejicek und Kolecko in der Absicht nach Wien gereist seien, um daselbst daö von ihnen geplante Verbrechen anSzusührcn. Die« gehe außer aus dem Geständnisse dieser beiden Angeklagten auch aus dem Umstande hervor, daß sie bei dein Messerschmiede, bei welchem sie den.Dolch schlciscn ließen, wiederholt daraus drangen, daß die Waffe bis zum 5 März fertig sei. Die Vcrurthclllcn hatten daS Verbiet lächelnd (!) angchört und verließen ohne jede Be wcgung den Saal. Auck> daS ist eine Frucht der jungtschechische» VerbetznngSpolitck. die in den letzten Jahren die Form eines an Wahnwitz grenzenden Fanatismus angenommen hatte, und es klingt wie Hob», wenn man hört, der Prager Jung- tschechenclub habe der Wittwe Earnot'S anläßlich des Lyoner Attentats ein Ecntolcnztelcgramm gesandt. Daß die furchtbare Explosion in der Rue Royale in Brüssel, welcher eins der reichsten Geschäftshäuser der tzet- gischcn Hauptstadt zum Opfer siel, als ein anarchistisches Verbrechen zu betrachten ist, steht, wie der „N. Zur. Ztg." geschrieben wird, trotz der Schweigsamkeit der Behörden über die Ursachen der Katastrophe außer Zweifel. „Die Behörde» schweigen nur, weil sie die Bevölkerung nicht erschrecken wollen. Aber diese weiß sehr wohl, ans welchen Ursprung sie die Explosion zurückführen soll. Man ist davon überzeugt, daß daS anarchistische Attentat gegen keinen der Bewohner deS erwähnten Hauses gerichtet war, sonder» vielmehr gegen den Direktor der staat lichen Sicherheitspolizei, Latour, welcher in einem benachbarten Hause wohnt. Herr Latour nahm erst jüngst als oberster Polizcibeaniter Belgiens die Lütticher Anarchisten- verhasiungcn vor und setzte sich natürlich dadurch der Rache der anarchistischen Vcrbrccherbande aus. Aber wie bei dem letzten Lütticher Dynamitatlentat, welches stall des Gerichts präsidenten Rcnson kessen unschuldigen Nesse» traf, irrte» ich die Anarchisten auch diesmal in der Adresse und vcr- ehlle» ikr Opfer. Bei dieser Gelegenheit erfährt man, daß Belgien kcrzcitbekannte Anarchisten beherbergt, neben denen offenbar noch viele andere existiren, die der Polizei nicht bekannt find. Es liegt die Annahme nahe, daß die Anarchistenpartei, durch energische Maßregeln aus Paris vertrieben, hier ihr Haupt- Die alte gute Zeit. Eine Erzählung aus Niedcrsachsen von Greg. Sam arow. I4j Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) „Mein Bater?" rief Hilmar. „Herr Gott", sagte der Thicrarzt, „daS ist mir so berauS- gefahren, ich bin doch sonst kein Schwätzer, aber heute Abend, das edle Traubenblut bei dem Herrn Oberamtmann und dieser Gang in der Mondnacht, da geht mir das Herz auf die Zunge, wie einem alten Weibe." Zlnd was war cs mit meinem Vater'?" fragte Hilmar dringend. „Nun", sagte der Thierarzt, „da es einmal heraus ist, so kann ich eS ja sagen, soweit ich cS sagen darf, und Sie werden den alten Bergen nicht vcrrathen. War ei» schmucker, schöner Herr, der Gras von Bergholz, und Sie erinnern mich an ihn, wie er auSsab vor langen Jahren, darum habe ich auch gleich so große Stücke auf Sie gehalten, Herr Baron, da ich Sie hier wiedersah. DaS ist lange, lange her und der Herr Graf hatte großes Vertrauen zu mir, ich ritt mit ihm aus — war ein wilder Reiter und keiner konnte so gut mit ihm Stich halten. Dann nahm er mich mit auf die Pürsch — ich wohnte damals noch da drüben in der Näbe von Bergbolzhauscn — und da wurde ich kann auch gewabr, daß der Gras ganz besonders gern und oft in dem Hause eines königlichen Försters an der Grenze von Bergholzhausen vor sprach und daß er so ganz besonders gern mit der Tochter de- Förster- plauderte. Und eS war ein schönes Mädchen und aut und brav, so frisch wie die Blume» des WalkcS, in dem sie ausgewachsen war, und so schlank und bclläugiz, wie da- zahme Reh, daS ihr aus der Hand fraß. Und da muß er auch wohl gekommen sein, wenn ick nicht da war; denn ich merkte eS bald, daß die beiden sich immer lieber und lieber hatten. Der Graf hatte viel Vertrauen z» mir — ich mußte auch wohl einmal einen Brief hinüber bringen, und dann war c- seltsam, dann begegneten wir dem Mädchen am anderen Tage im Walde, der Graf stieg ab und bat mich, sein Pferd zu Hallen» und die beiden gingen daun unter den hoben Buchen auf und nieder, «d wa< sie sprachen, das muß wohl etwa- Süße» und Liebes gewesen sein; denn sie schmiegte sich so innig an ibn und er beugte sich zu ihr herab, und cs kam mir auch Wohl so vor, als ob sich ihre Lippen zusammen gesunden hätten, aber nie mals gingen sie niir aus den Augen, nur waS sie sagten, konnte ich nickt hören, und da dachte ich mir so im Stillen, was das für ein schönes Paar sei, und wie das schlanke reh- äugige Mädchen so ganz geschaffen sei zur vornehmen Dame, und wie schön sie aussehcn würde als Frau Gräfin von Bcrg- holzhauscn. „Und", fragte Hilmar, der in höchster Spannung boch- klopfcndcn Herzens zubörle, „und weiter ?" „Weiter!" sagte der Thicrarzt, „ach ja, das Weitere war traurig. Eines Tages ließ mich der Graf rufen — der da mals »och Baron war; denn der alte Graf, Ihr Großvater, lebte noch — »m mit ihm auSzurcitcn, und als ich zu ihm kam, da fand ich ibn bleich wie der Tod, seine Augen waren trübe, als ob er geweint hätte. Er drückte mir die Hand und sprach kein Wort weiter alS: „Wir wollen ausrciten." Die Pferde waren gesattelt — wie der Sturmwind sprengten wir davon. Als wir in den Wald kamen, hielt der Graf an. „Bergen", sagte er, „Sie sind mein Freund, Sie haben gesehen, wie eS mit mir stand — nun ist cS damit aus — ich muß mich verheirathen." „Verheirathcn ?" rief ich entsetzt, „mein Gott! und WaS soll aus ihr werden?" „Was aus ihr werden soll?" siel Ihr Vater ein, „Gott wird eS lösen — wir müssen beide unsere Pflicht tbnn — ich habe mit meinem Vater gesprochen, er ist unerbittlich, er ver langt von mir, daß ich tbue, wozu mich die Pflick't gegen meinen Namen, gegen mein HauS und gegen meine Vorfahren vcrurthcilt — und ich werde gehorchen. — Wollte ich dem Schicksal trotzen, wollte ich meinem Namen entsagen, sie würde niemals sich zwischen mich und meinen Vater stellen. — Ich babe einen schweren Kampf gekämpft, aber ick muß Sieger bleiben, ich muß mich der Pflicht erhalten, die daS Leben mir auslegt, Eie haben den Traum meines Glücks ge sehen, Sie sollen auch Zeuge des Abschieds sein." Wir waren in die Nahe des Forsthauses gekommen. Unter den hohen Buchen trat un- daS Mädchen entgegen — wilde Rosen trug sie im Haar und an der Brust, ihre Augen strahlten so bell, sie lächelte uns entgegen und streichelte, als wir an- hielten, daS Pscrd. Er sprang ab, ich nahm den Zügel und zog mich zurück. WaS sie miteinander sprachen, ich habe eS nicht gcbört, ich sab nur, daß sie ebenso bleich wurde wie er, daß sie einen Augenblick schwankend sich an den Stamm einer Buche stützte, dann aber sich stark und mulhiz ausrichlcte. Der Glanz ihrer Augen war verschwunden, sie blickte so ernst und schmerzvoll durch die schimmernden Thräncn, daß cS mir säst daS Herz brechen wollte. Ter Gras ries mich. „Bergen", sagte er, „ich habe Abschied genommen, — von Ihnen verlange ich nur eins. Ich schwöre Ihnen", sprach er, feierlich die Hand aushcbcnd, „daß unsere Liebe so rein war wie der blaue Himmel über uns, wie der Albem Gottes, der durch die Bäume deS Waldes ging, daS sollen Sic be zeuge», wenn cö jemals nölhig wäre, darauf geben Sic mir Ihre Hand." Ich schlug ein, während sie still vor sich hinweinte. „Nun noch eins. Sie sollen an der, der meine Jugend liebe gehörte, stets vorübcrgcben, als ob Sie sic nicht kennen, aber wenn sie jemals einen Freund nöthig haben sollte, ver stehen Sie wohl, einen wirklichen treuen und ernsten Freund, dann zähle ich aus Sie." Wieder bekräftigte ich mein Versprechen durch Handschlag. Das Mädchen trat heran. „Auch ich habe eine Bitte, einen ernste» innigen Wunsch, für de» ich das Gelübde der Erfüllung verlange." „Sprich" — sagte er. „Sic sollen niemals, Herr von Bcrgbolz", sagte sic mit tbränenslhwcrcr, aber fester Stimme, „meiner Spur folgen, niemals forschen, niemals fragen, waS aus mir wird; den» ich will, ich muß todt für Sie sein, ander- können wir unsere Pflicht gegen das Leben nicht erfüllen." Der Baron zögerte. „Ich verlange es", sagte sie, „ich verlange Ihr Ehren wort." „Ich gebe eS", sagte der Baron, endlich, „Du hast recht, Bergen ist Zeuge." Noch einmal reichte er ihr die Hand. „Gott segne und behüte Dich!" — sagte er mit einer Stimme, die ich nicht vergessen werde — dann jagte er, obne sich umzusehen, davon, so schnell, daß ich ihn kaum rinholcn konnte. Und er hat Wort gehalten, er ist nie wieder nach jener Gegend hinauSzeritten, er hat nie wieder in jenem Walde gepürscht, er hat nie wieder nach ihr gefragt, er hat sich ver mählt, er ist eia braver, treuer Mann geworden." „Und sie" — ries Hillmar —, „sie — wer war sie — wie bicß sie?" „Auch ich babe mein Wort gehalten", sagte Bergen, „ich habe sic verfolgt und beobachtet »n Stillen — sie ist fest und »luthig durchs Leben gegangen und bat Glück verbreitet in dem Kreise, i» den sie eintral — sie hatte kein glänzendes Schicksal, aber ich balle niemals nölhig, mein Versprechen zu erfüllen — einmal beinahe glaubte ich schon, aber — aber", sagte er schnell abbrechenk, „da kam cS anders und ich war nicht notbig. — Und wer sic war? DaS darf ich nicht sagen. Niemandem — daS babe ich Ihrem Valer gelobt. Niemandem und Ihnen am wenigsten." „Ich bille Sie. ich beschwöre Sic!" drängle Hilmar. „Nein, niemals!" sagte der alte Bergen mit fester, fast harter Siinme. Hilmar wagte nicht weiter zn drängen. Während der Erzählung halte Bergen sich auf dem Wege rückwärts gewendet. Sie waren wieder nabe bis zum Dorfe gekommen. „Sehen Sie wohl, mein lieber Herr Baron", sagte er, „das sind so die Gedanken, die mir beim Mondschein kommen, wenn »och dazu der feurige Traubensast des Oberamtmanns in meinen Adern rumort. DaS ist so die Poesie, wenn Sie cS so nennen wollen, die auch in der Seele eine- alten Thier- arztcS zuweilen ibre Blasen treibt." Sic waren vor Hilmar s Wohnung angckommcn. Ter Tbicrarzt verabschicd-lc fick» schnell und schritt so eilig davon, daß Hilmar ihm kein Wort niebr sagen konnte. Er stieg die Treppe zu seiner Wobnung binaus, wo ein Diener seiner wartete. Er entließ denselben bald mit dem Besebl, ihn in der Frühe zu wecken zu der Fahrt nach Berg- holzbansen. Der Spaziergang in der Mondnacht halte seinen Zweck er füllt — die Geister der feurigen Weine des Oberamtmann- waren verstäubt, sein Blut war knbl, sein Kops klar; dennoch schlug sein Her; mächtig und ungestüm — waS hatte er alle» gehört, was mußte sein Vater gelitten haben — aber er hatte ;a auch geliebt, um seine Liebe hatte er gelitten — könnte er seinem Sobn zürnen, wenn auch er liebte, könnte er ihu v«r- urtheilcn zn leiten, wie er gelitten? (Fortsetzung folgt.)
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