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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.07.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-07-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18940703025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894070302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894070302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-07
- Tag1894-07-03
- Monat1894-07
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Am optimistischsten äußert sich die „Rhcin.- Westsäl. Ztg", welche in einem längeren Artikel schreibt: „Vielleicht »nd hoffentlich, daß dieser neueste Act Kaiser Wilhelm'«, welcher auch hier wieder das Bismarck'sche Wort, datz er sein eigener Reichskanzler sein werde, wahrgemacht hat, endlich den Bann bricht, welcher seit 1870 aus den Beziehungen Frankreichs zu Deutschland liegt. Vielleicht und hoffentlich, daß die Franzosen infolge des von ihnen keineswegs verdienten groß- milchigen Verhaltens Kaiser Wlhclm'S sich endlich daran erinnern, daß auch sie einst eine ritterliche Nation genannt wurden. Vielleicht, datz dann die Zeit nicht mehr fern liegt, das, der Verkehr zwischen den beiden Nachbarvölkern endlich wieder normal wird, ja Laß sogar ein Kaiser von Deutschland in friedlicher Weise in die Thore von Paris einziehen kann. Wenn das die Frucht der kaiserlichen Courtoisie den Franzosen gegenüber ist, so wird ganz Deutschland Wilhelm II. dankbar sein. Aber selbst wenn auch diesmal wieder Alles vergebens sein, selbst wenn es mit dem Häufen der feurigen Kohlen aus die Häupter der Franzosen sein Bewenden haben sollte, so kann der Act des Kaisers niemals ein Schlag in« Wasser sein, sondern wird früh oder spät unserem Vaterlande z»n> Segen gereichen. Ist eS doch niemals die Meinung des germanischen Volke» gewesen, daß Großmulh, Edel- muth und Ritterlichkeit auch dem hartnäckigsten Feinde gegenüber als ein Zeichen der Schwäche auSgelcgt werden könnte." Etwas minder erwartungsvoll, aber immerhin noch mit froher Hoffnung äußert sich die „Franks. Ztg.": „Wenn Politik vor Allem die Kunst ist, die Gelegenheiten und Bortbeile des Augenblicks zu erfassen, dann hat Kaiser Wilhelm mit dieser Begnadigung «ine wirkliche politische That begangen. Das darf man sagen, ohne deshalb die praktischen folgen des Begnadigungsactes zu überschätzen. Der erste Ein- druck wird sich, daran ist kein Zweifel, bei den Franzosen ab- schwächen: wird es doch in Frankreich und leider auch in Deutschland nicht an „redlichen" Bemühungen zu diesem Zwecke schien; aber eben so sicher ist, daß trotz aller entgegengesetzten Be- ffrebungen «in gewisser günstiger Eindruck der Handlung bei deutschen Kaisers bei einer großen Zahl unserer Nachbarn dauernd hasten wird, und das kan» nur dazu beitragen, den Revanche- gedanken, der, was immer auch die Chauvins hüben und drüben lagen mögen, durch den natürlichen Laus der Dinge ohnehin mehr und mehr verblaßt, weiter in den Hintergrund zu drängen." Nur wenig verspricht sich von der Begnadigung die „Magdeb. Zeitung", der wir folgende Auslassung ent nehmen: „Der Widerhall, den der großherzige Entschluß unseres ritterlichen Kaisers jenseits deS Wasgenwaldcs heroorgerufen hat, ist von befremdlich klingenden Tönen nicht ganz frei. Davon kann erfreulicher Weise die Dankeskundgebung des neuen Präsidenten der Republik ausgenommen werden. Cie ist einfach, würdig und herzlich gehalten. Aber wenn der Präsident schreibt, daß das hochsinnige Gedenken eines Tages, wie des gestrigen, beiden großen Nationen tief zu Herzen gehen werde, so können wir in den französischen Blättern nicht überall eine so tiefgehende Wirkung bemerken. Bon besonderem Tact zeugt cs jedenfalls nicht, wenn ein in der letzten Zeit vielgenannies Blatt „Le Jour" schreibt, sogar Die, die nichts vergessen haben und nichts vergessen werden, verneigten sich vor der großmüthigen Hand- lung des junge» Souverains. Daß es sich vier um eine Phrase handelt, die allgemeinen Anklang findet, beweist die Thatsache, daß in dem Leichenzuge, in dem sich auch der Vertreter des d«utschen Kallers mir dem gesammten Botschaslsperjonal befand, auch zwei als Elsässerin und Lothringerin verkleidete Mädchen witzogen, die unter lebhafter Begrüßung der Menge den angeblich von „Elsaß und Lothringen" gespendeten Kränzen folgten. Und dieses Komödiciispiel inmitten einer Tragödie wurde beliebt, obwohl am Tag« nach dem Morde die französische Presse gleichfalls ziemlich ein- stimmig versichert hatte, daß der deutsche Kaiser mit seiner schlichten, aber herzlichen Beileidsbezeigung am ineisle» die Herze» der Fran zosen getroffen habe. Italienische Blätter geben der Ansicht Raum, daß der deutsche Kaiser durch seinen Act kluger Großnnilh wesentlich zur Erhaltung des europäischen Friedens beigctragen habe. Ein Act hochherzigster Gioßmuth war es sicher, aber ein deutscher Kaiser übt ritterliche Großmuth nicht aus solcher Berechnung, die diese Stimmen «»deuten möchten." Nach unserer Ansicht hängen die politischen Folgen der großherzigen Thal unseres Kaiser- ganz wesentlich mit ab von der Haltung, welche Deutschland und besonders die deutsche Presse künftig den französischen Nachbarn gegenüber cin- nimmt. Bleibt man der sranzösischcn Spionage gegenüber auf dem principiellen Standpuncle der energischen Wahrung unserer Sicherheit, weicht man in keinem Puncle von der Grundlinie ab, die uns durch unser gutes Reckt vorgezeichnel wird, und verbindet man mit dieser Festigkeit jene Ritterlichkeit, die unseren westlichen Nachbarn leider verloren gegangen zu sein schien, um so eher wird man in Frankreich den rechten Sinn dieser Ritterlichkeit versieben lernen, von »»erfüllbaren Träumen und Forderungen zurückkommen und jenes Verhalten cinzuschlagen vermögen, das der beiden großen benachbarten Nationen würdig ist. Leider benutzen einige deutsche Blätter die hochherzige Tkat deS Kaisers zu Kundgebungen, die alles Andere, nur nicht die rechte Einsicht der Franzosen in die Bedeutung dieses Acte- und in die deutsche Entschlossenheit zur energischen Ab wehr jeder Bedrohung unserer Sicherheit zur Folge haben müssen. So glaubt die „Boss. Ztg." den Kaiser in Gegen satz zu dem Reichsgerichte und dem Oberreichsanwalt Tessen- dorsf setzen zu sollen, indem sie schreibt: „Der Oocrreichsamvalt Tcssendorsf beurtheilte die That der Sec- officiere Degony und Dclgucy sehr streng; er beantragte süns und vier Jahre Zuchthaus, da „ein Excmpel statuirt" werden müsse, das die Franzosen alischreckc, deutsche Häsen als Versuchsstation für Entdeckungsreisen zu betrachten. Tas Reichsgericht ncigle einer milderen Auffassung zu, La anerkannt werden müsse, Laß die An geklagten in uneigennütziger Absicht, nur um ihrem Vaterlande zu dienen, gehandelt haben. Das Urtheil lautete aus sechs und vier Jahre Festungshast. Aus der Festung Glatz wurden Tcgoiiy undTelguey mit aller jener Aufmerksamkeit und jenem Entgegenkommen de- handelt, die Officiere den Lfsieieren «ntgegenbringe». Sie wurden nicht als Verbrecher angesehen, sondern als muthige Männer, die i» ErfüNung ihrer Pflicht von einem unglücklichen Znsalk ereilt worden sind. Jetzt hat der deutsche Kaiser, dessen Ichünsles Vorrecht die Gnade ist, in anderem Sinne als dem deS Herrn Tessendorff „ein Exemp ei statuirt", ein Excmpel der Milde, das hoffentlich nur von dem besten Einstuß aus die Be- ziehungen zwischen Teutschiand und Frankreich sein wird." Ganz abgesehen davon, daß der Kaiser die Begnadigung längst vollzogen haben würde, wenn er das Votum des Reichs gerichts ebenso wie die „Voss. Ztg." beurtheilte, enthält die mindestens höchst tactlose Auslassung dieses Btattes beinahe eine Aufforderung an die französischen Officiere, als muthige Männer ihre „Pflicht" als Spione zu lhun und sich vor einem „unglücklichen Zufälle" nicht zu fürchten, der ja schlimmsten Falles von deutscher Seite corrigirt werden könnte. Wenn man in Frank reich von solchen Stimmen auf die in Deutschland herrschende Stimmung schließt, wird man dort niemals zur Respcctirung unseres Rechtes und zur Achtung vor unserer nationalen Würde gelangen. Roch Beschämenderes aber wird dem ge nannten Blatte und dem „Bcrl. Loc.-A»z." übereinstimmend aus Glatz gemeldet. TaS Telegramm lautet: Glatz, 2. Juli. Tie internirt gewesenen französischen Ossiciere fuhren im offenen Wagen zur Station. Sie wurden vom Publicum vielfach lebhaft begrüßt und mit Blumen beworfen. Bei ihrer Abreise fanden lebhafte Kundgebungen der freudigen Stimmung statt. Die rechte Antwort auf diese Blumensprackc läßt sich mit der Feder nicht ertbeilen; bierzu eignen sich nur die Jn- trumente, die Kanzler Leist an falscher Stelle in An wendung brachte. Immer greller treten die Miststänvc im Baugewerbe in den großen Städten, insbesondere Berlin hervor. Wieder ist soeben ein „Bauherr" auf offenem Platz von den er bitterten Bauarbeitern, deren Lohn seit Wochen rückständig war, mitKnüppcln zusammengehauen worden,die schrecklicheSecger'sche Familienkatastrophe aus ähnliche:» Anlaß ist noch in frischer Erinnerung. In großen Versammlungen aus den bclheiligten Kreisen sind die unerhörten Mißstänte enthüllt worden, die auf diesen: Gebiete herrschen. In keinem andern Gewerbe ist der Schwindel, die Ausbeutung, der offene Betrug so groß, wie liier. Menschen ohne einen Pfennig Geld, oft nur vorgeschobene Strohmänner, unternehmen de» Bau großer Paläste, in zahllosen Fällen werden die dabei betheiligten Arbeiter und Gewerbetreibenden einfach um ihren Lolu: betrogen, ebne daß sie genügenden Rechtsschutz dagegen finden könnten. Andererseits tritt die Gemeingesäkr- tichkeil dieser lüderlich unternommenen Bauten gar zu häufig in Zusammenstürzen hervor, welche Leben und Sicherheit von Menschen bedrohen. Die Parlamentarismen Körperschaften haben ich wiederholt mit diesen Schäden beschäftigt und die Regierung dringend um Abhilfe ersucht, theils durch d icFordcrung einer Bürg schaft sür die Befähigung der Bauhandwerker, tkcils durch Maßregeln gegen schwindelhafte Unternehmung von Neubauten, theils durch Einräumung eines Vorzugsrechts an Bauarbeiter sür ihre rechtmäßigen Forderungen. Es ist aber noch immer nichts geschehen. Gegen die Anarchisten in Belgien geht die Negierung dort, wie cs scheint, mit Energie vor. Im ganzen Lande herrscht ungetbcilte Befriedigung darüber, daß tue Regierung eifrig an der Arbeit ist, um eine wirksame Beaufsichtigung der anarchistischen und Unruhe stiftenden Elemente in die Wege zu leiten. Diese Maßnahme ist im Interesse der Sicherheit Belgiens und der Nachbarstaaten unabweisbar. Nicht nur die Gendarmerie ist bedeutend verstärkt worden, sondern eS ist auch noch eine Geheimpolizei in Errichtung begriffen, dir Len »icktswürdigen anarchistischen Machenschaften aus.dic Finger sehen soll. Der bisher nur l.'» OG> Francs betragende, sür diesen Dienst bestimmte Ercdit ist auf 60 000 Francs erhöht worden. Alle Ortübebördcn und Polizeibehörden, alle Staatö- anwattschaften und Gemeindebehörden wurden zur größten Wachsamkeit ausgcsordert, um die gefährlich erscheinende:: Aus länder sofort auSweisen zu können, wie auch die auö Deutschland und Frankreich abgcschobcnen Belgier streng zu überwachen. Deutschland selbst weist nur wenige Belgier aus, kaum 20 im Jahre, aber die Zahl der a::S Frankreich auSgewiescncn Belgier erreicht alljährttch über 600! Die belgische oberste SicherkcitS- behörde geht mit denen Deutschlands und Frankreichs Hand in Hand, denn man hat erkannt, daß nur mit vereinten Kläffen der anarchistischen Bewegung ein Damm cntgegen- gcstcllt werden kann. In Italien hat die feige, zweifellos aus anarchistische Motive zurückzusührcnte Mord that, welche an dein Redakteur Bandi in Livorno verübt ward, ungebcureS Aussehen und furchtbare Entrüstung hervorgeruscn. Schon die ersten Meldungen ließen eine gewisse Achnlichkcit in der Ausführung dieses Attentats mit der Art, wie Earnot ermordet wurde, zu Tage treten. Es war ebenfalls ein Dolchattcntat und die Verwundung fast dieselbe, wie diejenige, welcher Earnot erlegen ist. 'Ausführlichere Berichte ver schiedener Blätter ergeben aber noch, daß Bandi ebcnsalls im Wagen erdolcht wurde, als er in die Redaction fuhr. Der Mörder sprang aus den Waaentritt und stieß ihm den Dolch iüns Ecntimcler lies in den Unterleib. Nach einer Meldung entkam der Mörder trotz der Verfolgung durch zwc: Earabinieri, indem er den Thürhüter der nahen Parkoilla Rodokanaki durch Bedrohung mit dein Dolche zwang, ihn ein- zulasscn. Daraus schlug er daö Thor zu und gewann, über Zäune und Hecken steigend, daS Freie. Nach einem andern Bericht bestieg der Mörder einen in der Nähe bereit stehenden Wagen, wo ihn zwei Genossen erwarteten, und jagte davon. Bis jetzt hat man von :bm keine Spur. D:e Operation, welche an den: lödtlich verwundeten Bandi von den Aerzten vor- genomme» wurde, war dieselbe wie bei Earnot. Bandi war Besitzer, Herausgeber und Ehefrcdacteur der modcrirtcn halb amtliche» Blätter „Jl Telegrafo" und „Gazetta Livorncse" und eine allgemein bekannte und geachtete Persönlichkeit wegen seiner ruhmvollen patriotischen Vergangenheit, seiner großen Bürgertugcndcn, seiner glänzenden scharfen Feder und seines hervorragenden persönlichen MutheS. In Siena geboren, war Bandi schon als Student die Seele gewagter patriotischer Unternehmungen. In den FreiheitSläinpfcn that er namentlich unter Garibaldi in Sicilicn, wo er schwer und wiederholt verwundet ward. Wunder der Tapserkeit. Als intimer Freund Garibaldis nahm er nach dem Jahre 1866, im Besitz der Major«- cpauletten und der Tapferkeitömedaillc, seinen Abschied, um seitdem ebenso muthvoll und ungestüm mit der Feder für seine politischen Ideale zu kämpfe». Da diese sich aber bald wesentlich von der garibaldinisch-demokra- tischen Politik entfernten, wurde er der Gegenstand deS Hasses der Republikaner und Socialisten und halte häufige persönliche Zusammenstöße. Mil der Ausbreitung nnd Stärkung der Ui»stnrzparleicil in Livorno stellten sich Schmäbiiiigeu, TodcSdrohungc» und Bombenanschläge gegen seine Wohnung und seine Redaction ein, was seinen todeSvcrachtendcn Kampfmuth nur erhöhte. — Für den Augenblick treten alle anderen politischen Erwägungen in den Hintergrund vor der Nothwendigkcit, drakonisch gegen die anarchistischen Dolchmäniicr vorzugehen. Für die Vor lage, welche EriSpi in der Kammer einbrachte — Auösükr- lichcs über den Inhalt derselben liegt auch heute noch nicht vor — war tbatsächlick angesichts des Verbrechen« in Livorno keine Begründung »othwcnbig, und mit Ausnahme von drei O.nerköpscn stimmte die ganze Kammer für die Driuglich- keit der Vorlagen. Die italienischen Blätter batten schon vorher AliSliahmSgesetze gegen die Anarchisten geradezu gefordert. Außerdem bespreche» sic eifrig das Verhältnis; zu Frank reich, wo nun, Dank dem entschiedenen Vorgehen der Be hörde», die Hetze gegen die Italiener aufgehört zu haben scheint, in würdigem »nd versöhnlichem Tone. An der Leiche Earnot'S — daö ist der überall wicdcrkehrendc Refrain — müsse das Mißverständlich aushörcn, das zwischen Frankreich und Italien herrsche. Der Anarchistenverkchr in England, specicll in Lon don, soll seit der Ermordung Earnot'S ein ungemein reger sein. Die Nachricht deS gelungene» Lyoner Attentats wurde von den Londoner Genossen mit Jubel begrüßt. Daß die Polizei den Elub „Autonomie" in Windmlll-Strect schloß, war den Anarchisten zwar augenblicklich ein Ouerstrich, aber sic wußten sich zu Helsen. Alle Autonomisten traten dem in London schon geraume Zeit bestehenden deutschen Demokratcnclub bei, der in Grafton Hall seinen Sitz bat und erlangten dort alsbald das unbestrittene Uebergcwichr. Dort entfalten sie eine intensiv werbende Kraft, ziehen neue Elemente aller möglichen Nationalitäten an sich, und jedes weitere Verbrechen, »n Jargon der Anarchisten, „Act der Energie" Fcttilleton. Die alte gute Zeit. Eine Erzählung auS Niedersachsen von Greg. Samarow. lös Nachdruck Verbote». (Fortsetzung.) VIII. DaS Schloß von Bergholzbausen war ein alter, wie man heute sagen würde, feudaler e-itz »nd bei seinem Anblick konnte man, obgleich es in freier Ebene lag, sich in die Zeiten des Mittelalters zurückversetzt glauben. Der große viereckige Mittelbau stieß unmittelbar an einen Theil des nach der anderen Seite bin zugeschüttctrn alten Schloßgrabens, über den eine Zugbrücke nach dem hohen, gewölbten, mit schweren Fallgattern versehenen Thor führte, durch daS ma» aus den inneren Hof cinfubr. An diesen Mittelbau schloffen sich Flügel in den verschiedensten Bau stilen, welche die verschiedenen Generationen nach ihren Be dürfnissen und ihrem Geschmack dem alten Bau ziemlick, regellos angesügt batten. Ueberall sah man Thürmc und Erker hervorragcn, von allen Thürmen wehten kleine Wimpel in den rotb und schwarzen Farben des Bergholz'schcn Hause-; aus dem viereckigen etwas schwerfällig über dem Mittelbau ausragenden Donjon entfaltete sich im Winde die große Fahne mit dem gräflichen Wappen. Nach der anderen Seite der Zugbrücke dem EinganzSthor gegenüber breitete sich eine in der Milte deö achtzehnten Jahrhunderts angelegte Terrasse auS, auf welche die Parterrczimmer deS auS derselben Zeit stammenden und von der Familie bewohnten Anbaues auS- liefen. Alte Lindenbäumc und Marmorstatucn faßten diese Terrasse ein und von derselben stieg man zu einem Blumcn- parterre herab, an da» sich der Park anschloß, der im Ver sailler Geschmack mit hohen, glatt geschorenen Alleen begann und in weite bis zu den Ackerfeldern hinreichende englische Anlagen auSlief. Aehnlich war auch da» Innere ein Bild verschiedener Zeit alter. Der bewohnte Tbeil zeigte den damals nock die Mode beherrschenden Empircgcschmack; daran schloffen sich Säle im Renaissance- und Rococostil, welche in langer Flucht sich bis zu dem im Mittelbau gelegenen weilen und fast ganz mittel alterlich gehaltenen Rittersaale, mit de« Ahnenbildern de- Hausr«, au-dehntkn. Die große Uhr an dem Donjon hatte süns Uhr Morgens geschlagen. Schon war Allcö im Schlöffe lebendig. Die Kutscher und Reitknechte striegelten die Pferde in den auswärts vom Hanpt- bau sich auSdehncnden Stallungen, in den Kücken wurde emsig gearbeitet; denn es wurde ja zahlreicher Besuch zum GcburtS- tagösest deS Grafen erwartet, nnd die Lakaien und Diener chmückten das große Eingangstlior und den inner» Hof mit Laubgewinden zur Feier des Tage-. ÄuS der HauStbür eines lhurmartigen Pavillons am Ende der Parkterrassc, welche zu dieser Stunde noch ganz einsam dalag, da alles Leben deS erwachenden Morgen» sich im Innern und auf den Höfen concentrirte, trat der Graf von Bcrgholz heraus, um auch an diesem Tage wie immer einen frübcn Spaziergang in der freien Lust zu macken. Ter Graf stand im Anfänge der fünfziger Jahre, aber seine hohe Gestalt batte noch nichts von der Kraft und Elasticität der Jugend eingebüßt. Er trug bis zum Knie geknöpfte Gamaschen, einen grauen Jagdrock mit grünem Vorstoß und einen grauen, spitzen Filzhut. lieber seinen Schultern hing eine Jagdbüchse, ein Pulverborn an einer Schnur um seinen Hals. Man hätte ihn in dieser so überaus cinsackcn Tracht sür einen Forst oder Jagdbedientcn anschen können, obne die stolze Haltung und den gebieterischen Blick seine- großen stablgraucn Auges, und die vornehm ernsten Züge seine- glattrasirtcn scharf ge schnittenen GesicktS mit der vorspringcndcn Adlernase und den feinen Lippen, um welche häufig ein weicher, fast melan cholischer Zug bemerkbar war. Ein schöner englischer Jagdhund war mit ihm aus der Thür des Pavillons getreten und schnupperte die frische Morgenluft so stolz und würdevoll, a>S sei er sich bewußt. Laß er Niemand über sich habe als seinen Herrn und daß dieser sein Herr zugleich der Gebieter sei über alle- ringsum. Der Graf blickte umher über den im ersten Morgcnlicht vor ihm liegenden Park, dessen Bäume und Rasenflächen von dem dichtgefallenen Tau glitzerten, als ob schon der erste Schnee gefallen wäre. „Wieder ein Jahr vorüber", sagte er, „der Herbst ist da, der Winter naht — die Ernte ist eingebracht. Wie klein ist die Ernte im Herbst deS Leben- im Vergleich zu den Hoffnungen, welche in der Aussaat der Jugend emporgrunten! Was allein übrig bleibt als unzerstörbarer Gewinn auS der Arbeit der Jahre ist daS Bewußtsein, die Pflicht getban zu haben und einst vor dem ewigen Richter nicht als unnützer Arbeiter dazusteben. — Mein Hau» ist bestellt, nur eins fehlt noch, die sichere Gewiß heit sür die Zukunst deS Geschlechts, in dem Gott mich ge boren werden ließ und sür daS er die Sorge während der kurzen irdischen Pilgerfahrt in meine Hände legte. Auch das wird ja aber wohl unter dem Segen des Himmels sich bald fügen, glücklicher vielleicht und freundlicher, als eS sich für mich einst fügte. — Meinem Sohn werden die Kämpfe er spart bleiben, unter denen ich einst die Pflicht gegen meinen Namen und mein Haus erfüllte, und dann bin ich bereit, in dem Augenblick, de» die Vorsehung bestimmt, auSzuscheiden a»S der Welt des Wirkens und Schaffens. — Habe ich nichts Großes gcthan, so habe ich doch erhallen, waS meine Vor fahren erbaut, und bin kein unnützes Glied gewesen in der Kette der Geschlechter, welche in Ehre und Treue die Reihe der Jahrhunderte mit einander verbanden." Sein Auge blitzte, er streichelte den schönen Kopf deS Hundes, der sich schmeichelnd an ihn schmiegte, als ob er seine Gedanken begreifen könne. Dann ging er festen Schrittes durch die Blumcnanlagcn und durch eine der geraden hohen Alleen nach dem freieren Theil des Parkes. Er stieg zu einer Anhöhe hinauf, von welcher man einen weiten Blick in die freundliche Ebene und die umliegenden Dörfer batte. Hier setzte er sich auf eine Steinbank und schien, binauSblickend in die morgenlichte Landschaft, welche weithin zu seiner Herrschaft gekörte, seinen Gedanken zu folgen, welche ihn zurücksühren mochten in sein vergangenes Leben. Er hatte eine Zeitlang so dagesessen, da erschallte über ihm der schrille Ruf eines Raubvogels und ausblickend sah er hoch Uber sich einen mächtigen Weih mit ausgcbreiteten Flügeln, der sich anschickte, aus eine Beute berabzustürzen. Der Gras stand auf und nahm das Gewehr von der Schulter. Der Jäger erwachte in ihm, er maß prüfend die Höhe, sic war beträchtlich, aber mit sicherer Hand legte er das Gewehr an, mit sicherem Auge zielte er, der Schuß fiel und im nächsten Augenblick sank der Vogel, von der Kugel ereilt, mit flatterndem Flügclschlagc senkrecht herab. Der Hund war aufgesprungen, als sein Herr daS Gewehr nahm; als der Schuß fiel, stürmte er davon. „DaS mag Glück bedeuten für da« kommende Jahr", sagte der Graf, freudig bewegt durch den gelungenen Schuß. Er setzte sich wieder nieder. Nach kurzer Zeit kam der Hund und legte den bereit- verendeten Raubvogel zu den Füßen seines Herrn nieder. Der Graf streichelte den Kops de» Hunde- nnd maß die Flügelspannung deS erlegten Weihs. Da erschallten Schritte im Schatten deS Gehölze-» da- sich bis nahe an die Anhöhe hcranzog. Der Hund spitzte leise die Ohren. Im nächsten Augenblick trat der Thierarzt Bergen auS dem Gebüsch kcrvor und stieg die Anböbe hinaus. „Ich dachte cs doch," ries er, „daß ich den Herrn Grafen hier finden würde — der Schuß war mein Wegweiser — ein vortrefflicher Kcrnschuß — der Herr Gras bat das edle Waid- Werk »och nicht verlernt, und damit kann ich dann gleich meinen Glückwunsch verbinden zu dem heutigen Festtag — möge Sie der Himmel noch lange in eben solche Jugend» frische erhalte» wie bisher." Der Hiind war wedelnd dem Thierarzt entzegengegangen Der Graf reichte ikm die Hand »nd sagte herzlich: „Ich danke Ihnen, mein guter Berge» — Sie vergessen mich nicht, sind Sie doch immer zur frühesten'Morgenstunde der erste, der mir an »icinem Geburtstage seinen Glückwunsch bringt, obgleich eS vielleicht richtiger wäre, in meinen Jahre» zu conkoliren, da jeder Geburtstag unS einen gutn Schritt abwärts führt." „Noch lange nickt, noch lange nicht, verehrter Herr Graf — Sie sind jünger alö ich, nicht nur an Jakre», sondern auch an Kraft »nd Frische, und dann wird ma» ja auch wieder j»ng in seinen Kindern. — Wahrbaftiz, Sie können Sich Ihrer zweiten Jugend so recht von Herzen freuen, einen vor trefflicheren jungen Herrn als den Baron Hilmar giebl eS nicht, so schön, so freundlich, so gesund a» Leib und Seele und ein Muster im Dienst, wie der Herr Oberamtmann Alt bau- sagt — Jeder freut sich im ganzen Amt, wenn er seine» Termin vor dem Baron Berghol; halten kann." „Ja", sagte der Graf freudig bewegt, „ich bin zufrieden mit ikm und dankbar gegen Gott, daß er so gerathen" „Und bald", sagte der alte Tkierarzt, der sich auf einer. Wink deS Grasen neben ibn aus die Steinbank setzte, „wird er noch mehr Freude ins Haus bringen, habe da so etwa- gesehen, wenn ich zu den gnädigen Baronessen n ach Rottenau komme." „So", sagte der Gras aufhorchend, „haben Sie das auch gesehen'? — meine Schwestern schreiben mir davon." „Habe cs gesehen — habe eS gesehen, Herr Gras", rief Bergen eifrig, „wie die jungen Herrschaften mit einander lachen und sich necken und so vertraut sind wie Bruder und Schwester — oder wie Braut und Bräutigam." „Nun, mein alter Freund", sagte der Gras freudig bewegt, „da- ist mir eine liebe, liebe Nachricht, ich würde meinen»
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