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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.10.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-10-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18941027028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894102702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894102702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-10
- Tag1894-10-27
- Monat1894-10
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u,« Sorti«. <«fte» Hutzusy Uvwers,tüt«fkvße i. «ouls Lösche, 14. Part, und König »plitz 7. ^5A. Abend-Ausgabe. UWM.TWMaü Anzeiger. Lrga« fSr Politik, Localgeschichte, Handels- and Geschäftsverkehr. Anzeigenpreis die 6 gespaltene Petitzeile 20 Psg. Naclamea murr demziedacrtonsftrich («>»> spotv») bO-g, vor den Familtennachrtchk» grjpaltn» 40^. Gröbere Echnften laut nnjerem PrriS- xrieichach. Tadellariicher und Ziffernjatz nach höherem Lnris. «,tra»v»tioaen <geial»«>. »»r mit de. Morgen-«usand», ohne Postbesörderuo, M.—, »lt Posldrsürderung 70.—. 2tu«,hmeschluk für Inzeisen: Nbend-Bulqab«: Vormittags 10 Uhr. Morgeu-Susgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Soun- »ud Festtag» früh '/^ Uhr. Hat de» Filiatru und »nnadmeslelleu je et»» halb« Stunde früher. Uu»ei««u find ft«tr « di« Expedttt«« zu richten. Druck uud Verlag von <k. Polz in Leipzig Sonnabend den 27. October 1894. 88. Jahrgang. Zur gefälligen Beachtung. Unsere Expedition ist morgen Sonntag, den 28. October, Bormittags nnr bis V-9 Uhr geöffnet. Lxpeättlon ÄS8 L.elprtxer lusedlatteg. Ver Rücktritt Caprivi's und Eulenburg'S. * Noch harre« die Meldungen über den Rücktritt de« Reich-kanzlerS Grafen Caprivi und de- preußischen Minister präsidenten Grafen Botho von Eulrnburg der Bestätigung durch den „ReichSanzeiger", der in seiner gestern Abend auS- gegrbenen Nummer nur berichtet, daß der Kaiser gestern Mittag um 2 Uhr im königlichen Schlosse zu Berlin den Grafen Caprivi, um 2»/, Uhr den Grafen Eulenburg, später die Vertreter von Bayern, Sachsen, Württemberg und Baden empfing und daun wegen dringender Regierungsgeschäfte die Reise nach Blankenburg aufgab. Aber die „Nordd. Allgem. Ztg.", daS „Kanzlerblatt", berichtet heute: „Der Reich-Ianzler Graf v. Caprivi hatte am DienStag früh sein EntlassungSgesuch eingereicht. Dasselbe ist gestern Nachmittag in der Audienz, welche ver Kanzler um 2 Uhr hatte, von Sr. Majestät dem Kaiser angenommen." Daß auch Graf Eulenburg um seine Entlassung beim Kaiser ei »gekommen ist, kann gleichfalls keinem Zweifel unterliegen. Es verstand sich eigentlich, als Gras Caprivi für sein „ActiouSprogramm" gegen die Umsturzbewegung die Zustimmung des Kaiser« und der Mehrheit de» preußische» Ministerraths erhalten hatte und darauf die stimm» führenden Minister der übrigen Einzelstaaten nach Berlin berief, um durch sie den leitenden preußischen Minister vollend« niederstimmen zu lasten, für den Letzteren ganz von selbst, daß er um seine Entlastung einkam. Und dieses Entlastungsgesuch ist eS denn wahrscheinlich auch gewesen, waS den Kaiser bewog, das de» Grafen Caprivi zu genehmigen. Denn e« liegt auf der Hand, daß da« Ansehen und da« Gewicht Preußens im Reiche nicht wachsen kann, wenn im Falle eingetretener Differenzen im Schoße des preußischen Ministeriums an die nichtpreußischen Staaten apprllirt wird, um einen Thril diese« Ministerium- mund» todt zu machen. Daß das Entlastungsgesuch de« Grafen Enleuburg aber ebenso wie daS des Grafen Caprivi hätte genehmigt Werden müssen, vermögen wir nicht einzu sehen; wir halten seinen wirklichen Rücktritt daher auch so lange für fraglich, bi« der „Reichsanzeiger" alle Zweifel beseitigt. Daß da- Rücktrittsgesuch Eulenburg'S di, Hauptver- anlaffung zur Genehmigung de« EntlaffungSgesuchS Caprivi'« gewesen ist, wird durch folgende, der „Köln. Ztg." zweifellos aus der Umgebung des bisherigen Reichskanzler« zugegangene Mittheilung bestätigt: „Die nähern Einzelbeiten, welche den Grafen Caprivi veranlaßt haben, seinen Rücktritt zu vollziehen, entziehen ich einstweilen noch der Oeffentlichkeit. Die Meinungs verschiedenheiten, die ihn von den Wegen des Grafen Botho v. Eulenburg trennten,werden schließlich den Aus schlag gegeben haben, wenn auch in den letzten Tagen Einzel heiten hiuzugekommen sein mögen, welche die Lage persön lich verschärft haben. Jedenfalls steht fest, daß Graf Caprivi am DienStag dem Kaiser eia auSführliche« AbschiedSgesuch unterbreitet batte, daS in erster Linie jene Meinungsverschiedenheiten auseinandersetzte und die Er klärung enthielt, daß der Kanzler ein ferneres Zu sammenwirken mit dem GrafenBotho von Eulen burg für ergebnißlo« erachtete. Der Kaiser hat damals am DienStag dem Kanzler sein volle« Vertraue» ausgesprochen uud sich für die vom Reichskanzler empfohlene Beschränkung auf da« im Reichstag Erreichbare bei Bekämpfung der Umsturzparteien entschieden. In der Berathung der stimmführenden Minister der Bundesstaaten haben sich, soweit wir wissen, die Vertreter sämmtlicher Staaten nach einem eingehenden Vortrage de« Grafen Caprivi für dessen Anschauungen und Vorschläge ausgesprochen. Inzwischen war aber da« Rücktritts gesuch de« Grafen Botho von Eulenburg beim Kaiser eingereicht worden; damit hatte sich die Lage in einer Weise zu gespitzt, daß der Kaiser sich nunmehr gestern für den Rücktritt der beiden Staatsmänner ausgesprochen hat." Die letztere Meldung harrt, wie gesagt, noch der Be stätigung, aber aus der ganzen Darstellung und au- ihrer Quelle geht hervor, daß da- Abschiedsgesuch Eulenburg'S den Ausschlag bei der Entschließung de« Kaiser« über das Ver bleiben Caprivi « im Amte gegeben hat. Daß noch andere Gründe diese Entschließung beeinflußt haben, ist nicht auS- geschloffen; es ist vielmehr warscheinlich. War doch das EntlaffungSgesuch Eulenburg'S nur ein Svmptom der all mählich unhaltbar gewordenen Lage. Mit Recht schreibt die „Nat.-Ztg.": „Die Erörterungen der eingrstandea und der uneingeflanden officiösen Presse des Grafen Caprivi hatten im Laufe der letzten Monate einen anarchischen Zustand hervorgerufen, wie er innerhalb einer Regierung nicht dauern darf. Gleich viel, wa« gegen die Umsturzbestretungen geschehen sollte — unter keinen Umständen durfte e« im Voran« dadurch in seiner Wirkung beeinträchtigt werden, daß man alle Meinungs verschiedenheiten, Zweifel und Bedenken an die große Glocke schlug, daß man ferner diejenige« Parteien, auf die man zur Durchführung doch rechnen mußte, bekämpfen ließ, daß endlich der Eindruck hrrvorgerufeu wurde, am meisten einver standen sei der „leitende Staatsmann" eigentlich mit einigen Deutsch-Freisinnigen, die gar nicht« wollen. Heute handelt e« sich nicht um «ine eingehende Würdigung der Thätig- leit de« Grafen Caprivi, seit er der Nachfolger be dürften BiSmarck geworden; in einer solchen werden wir anerkennen, wa« er Verdienstliche« geleistet, wie wir ihn ja >>ei wichtigen Anlässen unterstützt — bei anderen bekämpft — Yaben. In diesem Augenblicke müssen wir zurErklärungder Krisi«, wie wir sie austaffen, an da« erinnern, WaS wir in der Abendnummer vom Donnerstag, als die dem Grafen Caprivi ergebene Presse ihn als Triumphator feierte und auch wir weit entfernt waren» zu glauben, daß sein Rücktritt nahe sei, geschrieben haben. Anläßlich des Artikel« der „Köln. Ztg.", worin unter schroffen Angriffen auf den Grafen Eulrnburg versichert wurde, daß der Kaiser alle Anschauungen des Grafen Caprivi gebilligt und diesen seiner vollen Unterstützung vrr- ichrrt habe, sagten wir in Bezug auf den scheinbar auf der höhe der Macht befestigten Kanzler: „Nachdem in den Vorstädten der jetzigen Entscheidung ganz ebenso sehlerhaft operirt worbe», wie vor der Einbringung verletzte» Militatrvorlag« und bei der Vertretung der Handelsverträge, daß nämlich den Gegnern brauchbare Waffen förmlich in di» Hand ge. drückt worden, kann di« Schädlichkeit derartigen Verfahren« An- gesicht« eine« deplacirteu VerherrlichungS-BersucheS nicht uner- wähnt bleiben." Diese Schädlichkeit ist allem Anschein nach an der entscheidenden Stelle vnll gewürdigt worden, als da« verfehlte Bersahren in den dem Grafe» Caprivi ergebenen Blättern fortgesetzt wurde. Der Empfang der ost- preußischen Deputation wurde al« intriganter Schach zug de« Grafen Eulrnburg dargestrllt, die „Unentbehr lichkeit" de« Grafen Caprivi versichert, immer wieder an gedeutet, daß dieser im Grunde nicht« Ernstliche« gegen die Umsturzbestrebungen beabsichtige rc. Weder mit dem Grafen Eulrnburg, noch ohne ihn hätte Gras Caprivi danach eine Vorlage erfolgreich vor dem Reichstag vertreten können. Während er mit den Conservativeu bitter verfeindet war» wnrden» ohne daß er etwa« dagegen that, die Mittrlparteiea beständig von der als inspirirl geltenden Presse befehdet. Mit wem wollte der bisherige Kanzler eigentlich schwierige parlamentarische Aufgaben lösen? ES war «in geradezu rätbselhafter Zustand. Auch mit dem Centrum verbaud den Grafen Caprivi doch höchsten« eine gewisse, von der Anti these „Christenthum oder Atheismus" herrührrnde Neigung. Noch einmal, mit wem wollte er eigentlich regiere»? Mit den l3 Herren von der freisinnigen Vereinigung?" Daß der Kaiser die Isolirung de« Kanzler«, welche dieser sich selbst verdankte, nicht allmählich ebenso erkannt haben sollte, wie die Zweckwidrigkeit de« Treiben« der dem Kanzler ergebenen Presse, ist allerdings kaum glaublich. Vor Allem aber hat er erkennen müssen, daß der unheilvolle „Dualis mus", die Trennung der Aemter de« Reichs kanzler« und de« preußischen Ministerpräsidenten, nur zum Schaden de« Reiche« und Preußen«, zum Schaden auch der preußischen Krone noch länger dauern könne. Ganz wesentlich eine Folge dieser Trennung waren die Differenzen zwischen Caprivi und Enleuburg, und nur diese Trennung nöthigte die Krone, für oder wider den Einen oder den Anderen einzutreten. Der Zeitpunct, der die Differenzen am schärfsten zur Erscheinung brachte, mußte den Kaiser in der Absicht bestärken, da« EntlaffungSgesuch eine- Mannes anzuuchmen, der sich als Reichskanzler zu isoliren verstanden hatte und deshalb die ungeeignetste Person war, in dessen Händen die beiveu Aemter wieder vereinig! werden könnten. Ob der Kaiser den Grafen Eulenburg ür die geeignete Person hält, wird sich bald genug heraus teilen. Die „Nat.-Ztg." glaubt e« nicht; auch sie betrachtet die Entlastung Eulenburg'S als feststehende Thatsache uud fügt hinzu: „Wir haben Grund zu der Annahme, daß auch die ent- cheidenden Beschlüsse über die Wiederbesetzuug der erledigten hohen Aemter bereit- erfolgt sind. Wir nehmen als sicher an, daß die Posten de« Reichs kanzler- und de« Ministerpräsidenten wieder ver einigt werden; sie dürften mit einer im diplomatischen Dienste de« Reiche« bewährten Persönlichkeit besetzt werden. Zum Minister de« Innern al« Nachfolger de« Grafen Eulenburg ist dem Vernehmen nach ein ungefähr auf dem politischen Standpuncte desselben stehender hoher Beamter bestimmt. E« wird angenommen, daß im preußischen Staatsministerium weitere Veränderungen nicht eintreten werden; ob im RcichSdienst, lasten wir dahin gestellt." Wa« den Nachfolger de» Grasen Caprivi betrifft, so sind über ihn die widersprechendsten Gerüchte verbreitet, die zugleich die Richtung der Wünsche erkennen lassen, die durch die Krisis genährt worden sind. Man spricht vom gegenwärtigen KriegSmiuistcr Bronsart v. Schellendors, vom Grasen Waldersee, vom Statthalter Fürsten Hoheulohe, vom Fioanzminister vr. Miguel, vom Ober- Präsidenten vr. v. Bennigsen, dem früheren CultuSminister Grafen Zedlitz und vielen Anderen. Bemcrkeusiverth aber ist, daß am zurückhaltendsten und am kleinlautesten die Blätter jener Richtungen sich äußern, die dem „neuen CurS" an, meisten zugethan waren, weil unter ihm ihr Weizen am besten blühte. Sie ahnen, daß die Wahl des Kaiser« auf einen Mann fällt, der »lit sicherer Hanv eine feste Richtung in Preußen einschlägt, um auch der Reich-Politik wieder eine feste Richtung zu geben, uud erkennen, daß ein solcher Mann unmöglich wie Gras Caprivi auf wechselnde und bei jeder ernsten Frage versagende Parteien sich stützen, sondern darnach trachten niuß, eine sichere, in gemäßigten Bahnen sich bewegende Reichstags Mehrheit allmählich sich zu schaffen. Aber gerade was die Mehrheit-Parteien de« jetzigen Reichstag- fürchten, da« hoffen wir. ES wird schon ein bedeutender Fortschritt zum Bester« sein, wenn der unheilvolle Dualismus aus hört und ein fester Wille die Hand des einen Mannes lenkt, der künftig die beiden Aemter de- Kanzler« und LeS preußischen Ministerpräsidenten bekleidet. Kommt bei ihm zum festen Willen auch noch die Klarheit der Einsicht in die Nothwendigkcit, jene mittlere Bahn einzuschlagen, die allein die einzelnen Theile de« Reiche« auf die Dauer befriedigen Monsieur Xaver. Eine altmodische Liebesgeschichte 1j von Moritz v. Reichenbach. I. Nachdruck »rrbatru. E« ist eine alterthümliche Geschichte, di« ich erzählen will, und e« ist ein altmodischer Saal, in den ich den Leser zunächst einsühren muß. Altmodisch — so würde er un« verwöhnten Menschen de- neunzehnten Iabrbundert« erscheinen; Seiner Gnaden dem Herrn Grasen von Eichberg auf und zu Walditz erschien er durchaus nicht so, al« er an einem schwulen Iuli- nachmittage de« Jahre« N85 in einem der geschnörkelten Lehn stühle saß, dessen weiß uud goldene Holzschnitzereien zwar etwa« steif, uud dessen himmelblaue Lederpolster etwa« hart waren, der aber Aehnlichkeit mit einem französischen Modell haben sollt« und sein-m Besitzer daher ausnehmend gut gefiel. Mit den blauen Lederpolster« barmonirte genau der wolken lose, intensiv« blanr Himmel, der, al krenco gemalt, ring« an den Wänden zu sehen war, und der den Hintergrund für einig« grau« und braune Landschaften hergab, die rin zweifel hafter Künstler auf Befehl de« Grasen b,er angebracht batte. D»e Motiv« waren, auf au«drücklichen Wunsch de« Besteller«, der nächsten Umgebung bk« Scd lasse« entlehnt; da dies, aber nur die sehr geringen Reize einer oberschlesischen Landschaft bot» »a« di« Bilder zu einförmig erscheinen ließ, so hatte di« Phantasie de« Maler« schneebedeckte Alpenkrtten und sogar eine» feuerspeienden Vesuv in den blauen Himmel hiueia- «malt. Da« konnte >u» de« Herrn Grafen die Weitläufig keiten einer Reise ersparen, den» jede« Mal, wen» er, au« seinem Nachmittagsschlaf erwachend, die Augen öffnete, träumte er, ein« wohlwolleud« Gottheit habe ihm die entfernte» Schön heiten Italien« hinter dir gewobnte Staffage de« hrimath- liche» Dorfe« gezaubert. Zu denken, wie bequem mau anf dies« Weise dir entlegenen Schönheiten der Erd« genieße, war nun sehr erbaulich für de» Schloßherrn. Er war auch an diesem Iulinachmittaae mit ähnlichen Gedanken beschäftigt und ransperte sich dazwischen einige Male laut uud vernehmlich, denn da« Nachdenken hatte immer die eigeuthkmlich« Wirkung, L^hnser zu «ach», weshalb er es auch so viel »l« möglich Da« laute Räuspern zeigte aber dem zufällig gerade einmal an der Thür lauschenden Kammerdiener an, daß sein Gebieter erwacht sein müsse, wr-balb er di« Thür gravitätisch öffnete und in tadelloser Haltung sagte: „Euer gräflichen Gnaden unterthänigst zu vermelden, er ist angekommen." „Schasskopf, wer ist angekommen?" ließen gräfliche Gnaden sich ziemlich ungnädig vernehmen. „Der neue Stallmeister, Monsieur Xaver, unterthänigst zu vermelden", sagte der Diener mit untertbänigster Stimme, aber mit einer Art von vertraulichem Augenzwinkern, da zu dieser Unterthäniakeit nicht recht paffen wollte. Dann setzte er binzu: „Befehlen Euer Gnaden, daß er seine Auf- Wartung sofort macht?" „Eb, eh, eh, eh" — gräfliche Gnaden erhoben sich von ihrem Lehnstuhl, blieben dann aber unschlüssig stehen und blickten gedankenvoll auf den getäfelten Fußboden herab. Nun war e« der Diener, wrlcher sich einmal ganz leise und unterthänigst räusperte. Der Graf blickte ans. „Er soll — da« heißt — hm — na, warte Er einmal, Christel", und der Gras trippelte auf seinen zierlichen Schnallenschuhen in da« Nebenzimmer und blieb dort mit etwa- verlegenem Gesicht vor einer Ottomane stehen, auf welcher eine junge Frau in schwerem, lichtgrauem Damast, kleide saß. die bei seinem Eintritt von ihrem Buch ans- und ihn sehr gleichgültig mit großen, von langen, dunklen Wimpern beschatteten Ligen anblickt«. „Liebe Z»4", flötete der Gras. Die Dame machte eine ungeduldige Bewegung. Sie liebte es nicht, ihre» volltönenden» deutschen Namen Elisabeth i» diese franzöfisch« Abkürzung verwandelt zu sehe». E« gab Augenblicke, in welchen der Gras e« für unnütz hielt, an da« zu denken, wa« seiner Gattin lieb war. Jetzt aber b«s«»d er sich in einem unangruehmeu Zwiespalt zwischen seiner Neugierde, die ihm rirth, den »eueu Stallmeister sofort zu sich zu bescheiden, und seiner vesoraniß, daß er demselbeu aegeuütr, durch «in« allzuschnrll bewilligte Audienz etwa« von seinem Grvßherriuimbu« eiabüßen könnt«; in solchen Lagen liebt« er e«, et«« auderu die Entscheid»»« zu übrrlaffen, wodurch rr sich von aller Verantwortlichkeit befreit fühlte, und jetzt sollte sei«, Gatti» «de« diese» „anderes" abgebrn. „kuvckm, «au amw," begann er daher »ochmal« lächelnd, »ich vergaß Deiue Borlieh« für den langathmigra deutschen Name» — aber^waS^ch^s«^«, wallt« — der nrur Stall- Die Gräfin unterdrückte ein leise« Gähnen. „So", da- war Alle«, wa« sie auf dies« wichtige Neuigkeit zu erwidern hatte. „Ich glaubte» e« würde Dir Freude machen, ihn bald zu sehen", sagte der Graf, unruhig von einem Bein auf da« andere tretend. Die großen, dunkelblauen Augen seiner Gattin richteten sich auf ihn mit einem halb mitleidigen, halb verächtlichen Blick. Er weiß nicht einmal mit einem neuen Bedienten fertig zu werden, dachte sie und sagte: „Nun — dann — lasse ihn kommen", wie Jemand, der einem Kinde einen Gefallen thut, um e« lo« zu werde». Sir lehnte den Kopf wie ermüdet an den Divan zurück. Der Graf verließ vergnügt da« Zimmer, um die Stall meisteraudienz zu ertheileu. Da« Buch, da« aus den Knien der Gräfin gelegen hatte, fiel zur Erde; e« war Rousseau'« „Emile". Sie bückie sich nicht danach. Ihre Hände blieben gefaltet in ihrem Schooße liegen, und ihr Blick schweifte durch da« geöffnete Fenster hinau« auf die sorgfältig gehaltenen Taxushecken und Rasen plätze de« Garten«, über denen jetzt dunkle Gewitterwolken ausstiegen, während die erstickend schwüle Luft, welche dem Auf ruhr der Elemente voranzogehen pfleg«, in da« Zimmer strömte. Ein tiefer Seufzer hob die Brust der schönen Frau. ..kUte» v« qni «-nt dien, «Ute, es qm v«t vrm," murmelte sie leise, die eben gelesenen W«rtr de« „Emile" wiederholend. „O, der Verfasser hat nicht anf verschuittrne Tapulheckrn und chinesische Pagoden geblickt, al« er da« schrieb, er ist nicht wie e»n Stück Stemmosaik in rin fertige« Bild eingefügt worbe», er hat sich da« Bild seine« Leben« «ud Denken selbst «staltrn dursen l Aber ich — ich bin der ein gefügte Mosaikstei», von dem man nur verlangt, daß er unverrückl aus seiner Stelle fitzt und so gut al« möglich auSsirht." Eia bittere« Lächeln umspielt« ihre Lippen. „Da« scheint so w«ng verlangt — »ud doch, wie schwer ist di« Erfüllung, wenn man nicht eia Stein ist. Oste, o« yal «t rrui — », mein Leben ist eiu« Lüge, von de« Augenblick an, wo ich vor dem Altar einen Schwur leistete, von de« mein Her» nicht« wußte! r»tw, oo qul oat dien — »ch, wa« ist aut?" Sie erhob sich und trat an da« offene Fenster. „Die dunsten Gewitterwolke» sind unheilverkündend — »nd doch ist der Rege», den sie bringen, gut, des» die Erd« würde ver schmachten «hu« ihn. Wo liegt die Grenz« zwischen gut «ud böse?" Ei» Schmetterling flog, ver de» herauszieheudeu Wetter flüchtend, durch da- Fenster uud umgaukelte die Rosen, die in dem gepuderten Haar der Gräfin lagen. Sic blickte zu ihm auf. „Arme« Ding", sagte sie, „die Rosen sind ja nicht eckt. Sie sind der Natur nachgelogen, wie alle« in diesem Hause, und Du hast nun blo« die Wahl zwischen diesen künstlicken Blumen ohne Duft oder dem Gewittrrsturm, der Dich draußen erwartet. Arme« Ding, da« ist eine schwere Wahl, nicht wahr?" Die ersten schweren Regentropfen fielen herab. Die Gräfin trat vom Fenster zurück. In dem anstoßenden Saale körte sie ihren Gatten mtt dem „neuen Bedienten" sprechen. Jetzt antwortete dieser. E« war eine klangvolle Männerstimme, die da sprach, in fließendem Deutsch, aber mit einem Accent, ver den Polen vrrrieth. Die Gräfin nahm den „Emile" wieder auf und blätterte darin. „Und e« ist Ihr erster Dienst?" fragte jetzt die etwas heisere Stimme de« Grafen „Allerdings, Herr Gras", antwoztetc der Fremde mit eigenthümlicher Betonung, „aber da ich die Pferde liebe, wird e« schon gehen." „Hm, bm, der Graf Bildwitz hat Sie mir sehr empfohlen " „Ich denke, der Graf hat gute Ursache dazu gehabt." Die Gräfin schloß da« Buch. Di« Unterhaltung im Nebenzimmer störte sie. Wie sonderbar, daß ibr Gatte einen Untergebene» mit „Sie" anredrte, statt de« gebräuchlichen „Er"; und welche Antworten gab dieser Untergebene! Er sprach mit seinem Herrn wie mit seinesgleichen. „Welche« Instrument spielen Sie?" fragte der Graf jetzt wieder. Der Fremde lachte ganz ungenirt. „Ein Instrument, Herr Graf?" sagte er. „Ein In strument spiele ich nicht, wozu auch, da die Peitsche mein Scepter sein soll?" „Ja, mein Lieber, da« ist mir aber sehr unangenehm; ich liebe die Musik, spiele selbst die Violine und verlange von all' meinen Bedienten, daß sie eine« Instrumente« mächtig sind — " ,Wa« Sie von Ihren Bedienten verlangen —" Die Gräfin hob erstaunt den Kops bei dem fast heftigen Klange dieser Worte. Der Fremde aber beendete den an- grsaugraen Satz nicht» sondern plötzlich abbrecheov sagte er: „Ich soll eiu« gut« Stimm« habe» und lau» «ich uvth»
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