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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.10.1894
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-10-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18941029015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894102901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894102901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-10
- Tag1894-10-29
- Monat1894-10
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Be-«--.Pre» H, d« Hem-««M»dstta» »d« de» k» Steid«. »ezttt «» HM «orotte» errtchtttrn «,». Msialla» ad,»halt »trrtrlj»hrlich^l«.ach vri zweimaliger täglicher Znstellnag tat Han» ^l K^L Durch die Post bezog« für Deutschland und Oesterreich; viatruährtich X S.—. Direct» tägliche Srenzbandiradn», sttt «n«l»»d: m—tUch 7«. LteMorgen-An-gab« erscheint täglich'/,7 llytz dt» Abend-AuSgab. Wochentag« b Uhr. LrLactix LoL Lr»e-itioa: Latz«»nr-,»ffr 8. LieLrpedition ist Wochentag» »nanterdrocha» »Gatt von früh 8 bi« «betttt 7 ühr. Morgen-Ausgabe. » Earti». (k lversität-straß« Mattzartneastr. 1«. paiE^qd' A-nigsplatz R> vtt» Me««'» Tarti». (Alfred H«H»Ih Unlversität-ftraß« 1« UchMerIagMM Anzeiger. Organ für Politik, Localgeschichte, Handels- and Geschäftsveklehr. A„zeige».Prei» die 6 gespaltene Petitzeile SO Pfg. Nerlame» »nter d«m Ledactton-strtch (4«, spalten) LO-g, vor d« Familtennachrichtr, (6 gespalten) 40/4. Größere Schriften laut aaserem PrriS- »erznchniß. Tabellarischer and gtffrrnsatz nach höherem Tarif. Ertr»»Brti««en (gesalzt), »», mit da, Morgen-Ausgab», ohne PostbesSrdernng ^4 SL—, wit PoftbefSrdirnng > 70.—. Ämlahmeschlsß fiir Anzeige«: Nbrnd-Ansgab«: Vormittag» 10 Uhr. Margea»Au»g»b«: Rachmittag» -Uhr. Sonn» »ad Festtag» früh '/,S Uhr. Btt d« Filiale» und Annahmestelle» ja tt« halb« Stund« früher. Anzeige» sind stet» an di» Rrpedtthen zu richten. Lrnck and Verlag von L. Polz in Leipzig 553. Montag den 29. Oktober 1894. 88. Jahrgang. Die Lrifis. Q. Berlin, 27. October. Da» große Ereigniß de» Tage» ist für die politische Welt rin« vollkommene lUebrrraschunz gewesen. Sech«, acht oder gar vierzehn Tage früher hätte man sich in weiten -reisen nicht gewundert, wenn man den Rücktritt de- Grafen Eaprivi eine» Abend» ohne weitere», vor den Eoulissen wahrnehmbare» Borspiel im „Reichs anzeiger" mitgethrilt gesehen hätte. Mittlerweile hatte sich die Stellung de» Reichskanzler» zwar keinr-wrg- derart befestigt, wie die Triumphgesängr de» Freisinn» glauben machen sollten, aber sie erschien gestärkt einerseit» durch di» von ihm thatsächlich bewirkte Inangriffnahme der Action gegen den Umsturz, andererseits durch da« Unterliegen de» Grafen Eulenburg bei der Bestimmung de» Umfange» dieser Aktion. Daher war gestern Abend Alle» verblüfft, al» der Rücktritt de» Kanzler» bekannt gegeben wurde, Alte» in de» Worte voller Bedeutung. Selbst Gesandte großer Bundesstaaten, also ständig hier lebende, mit den Vorkommnissen regelmäßig bestvcrtraute Persönlichkeiten, hatten „von nicht- gewußt". Diese Thatsache enthält, wessen e» allerdings gar nicht mehr bedarf, die jeden Zweifel niederschlagende Bestätigung der Ver sicherung, daß die Frage der Bekämpfung der Umsturzbrstrebungen als und insbesondere die darüber gepflogenen Berathungrn der Bundesstaat-minister mit der Katastrophe de» Grasen Eaprivi nicht da» Mindeste zu schaffen hatten. Die Auffassung, daß sein Rücktritt die Action in Frage stellen könnte, von einem einzigen, durch nicht» als seine Schwankungen beachten-werthen Berliner Organ vorgetragen, ist demnach völlig haltlos und wird von keiner Seite getheilt. Graf Eaprivi ist, wie schon augedeutet worden ist, da» Opfer mehrerer zu seinem vermeintlichen Bortheil lancirter Zeitungsartikel. D:r im „Leipziger Tageblatt" (am Donner«- tag) gekennzeichnete Artikel der „Köln. Zlg.", der da» kaiser liche Bertrauen für den Reichskanzler in allzu reichlichem Maße Maße feststellte, die Wendung der „Nordd. Allaem. Zeitung", für die ernste Durchführung der Umsturz-Action „bürgt der Kanzler, hinter dem der Kaiser steht", baden ihren üblen Eindruck, den sie in der unabhängigen Presse bervorricsen, auch auf die Person de» Monarchen nicht ver fehlt. Den Artikel der „Köln. Ztg." zu beachten, bat sich der Kaiser, wenn wir nicht sehr irren, geradezu genöthigt gesehen. Graf Eulenburg, gegen den sich die kaum verhüllten Spitzen der journalistischen Hils»aciion richteten, hat diese zum Anlaß genommen, feine Entlassung zu erbitten. Der Kaiser soll dieselbe angenommen, aber au» dem Anlaß diese» Rücktritts und dem Rücktritt selbst die Folgerung gezogen baden, daß auch Gras Eaprivi nicht mehr im Amte bleiben könne, denn — um dir Wirkung der Preßtrribcreien nicht Weiler zu berühren — der Monarch war keinen Augenblick im Zweifel, daß der Nachfolger de« preußischen Minister» Präsidenten zugleich den deutschen Reich»!anzlerposten innebaben müsse. Im Uebrigen hat am Dienstag rin Abschiedsgesuch de» Kanzler» Vorgelegen, man versichert jedoch, es sei die» mehr ein in die Form eine» solchen Gesuche» gekleidete- „Memorandum" gewesen, bestimmt, die Unhaltbarkrit der Stellung de» Grafen Eulen burg darzutbun. Ob diese» Gesuch am Dien»tag bei dem Besuche de» Kaiser» beim Kanzler abgelehnt und am Freitag erneuert worden ist, oder ob e» unbeantwortet blieb, um am Freitag — nachdem inzwischen die Kanzlerprrsse mit ihrer Vergötterung de» Herrn und Meister» und der Brrunglimpsuog seiner Gegner dem Ersteren verhängnisvoll geworden — „Gehör" zu finden, darüber gehen die Erzählungen aus einander. Iedenfall« ist Graf Eaprivi au» eigener Kraft Reichskanzler a. D. geworden, und wenn dir „Nordd. Allg. Zeitung" ihn al» ein vom Fürsten Bi-marck und den Agrariern gehetzte» Wild schildert, so dichtet sie ihrem letzten Helden ein rühmlichere» politische» Ende an, al» er in Wahrheit genommen bat. Uebrigen« halten solche Sentimen talitäten bei diesem Blatte bekanntlich nicht vor, und wenn, wa» wir nickt hoffen und auch nicht befürchten, der Nach folger de- Entlassenen später an diesem etwa» au-zusctzen baven sollte, so würde die ,N. A. Z." in demselben Drang der Urverzeugung, der sie ihrem ersten Herrn zwei Jahre »ach seiner Einlassung den Patrioti-mu» absprechen hieß jenen machtlo» gewordenen Nachfolger auf Befehl verab scheuen. Mit den spärlichen Anstand-thränen, die da» Regie rung-blalt dem Gefallenen nachwrint, vermengen sich die heißen Zäbren de» tiefgebeugten Deutschfrristnn» zu einem breiten Strome. Wäre diese Gesellschaft der Rache wrrtb, man könnte sie an ihre Orgien der Freude und de» Hasse» vom 20. März lSSO erinnern I Nun, Herr Richter, der an jenem Tage dankerfüllt verzeichnet«, dieBörse habe den gestürzten großen Kanzler nicht höher al» mit einer Prri»«rnledrigung der Eonsol« um 30 Pfennig bewerthet, sei aufmerksam ge macht, daß der heutige Eour«brrichl Hausse auf der ganzen Linie meldet. O, einst so serständige und nun so verblendete Börse I Der heutige „ReiL-anzriger" thut der großen Bor gänge mit keinem Worte Erwähnung, vermuthlich, w«il die Ernennung de» Nachfolger» der au-grschiedeurn Würdenträger gleichzeitig mit der Entlassung-urkunde veröffentlicht werden soll. Wie der Telegraph bereit» gemeldet haben wird, bat der Kaiser den Statthalter Fürsten Hohenlohe zum Kanzler und Ministerpräsidenten auSersthen. Ob der 75;ährigr Fürst die schwere Dovprldürbe auf feine Schultern nehmen wird, steht noch dabin, jedeosall» bietet seine Berufung die Be stätigung de» Urtbeil», daß man e» nicht nöthig batte, für di« Erhaltung de» Vorkämpfer» dr-Lrdlitz'schen S chulgesetzr» zu beten um eine consrrvanv - klerikale Eoalition hiolaozuhaltrn Fürst Hohenlohe ist l8SS bi« l8?0 Präsident eine» liberalen bayerischen Ministerium» gewesen und im letztgenannten Jahre einem Nerikal-particularistischen Ansturm erlegen. Iu jener Eiaenschaft hat der Fürst die katholischen Staaten zur Ab wehr de» UnfehlbarkeitSdogma» zu bewegen gesucht, aller dings vergeben». k verlt«, 27. Oktober. Sehr unerwartet ist die größte Rrgierungtkrisi», dir sich nur denken läßt, über nn» herein- gebrochen. Alle Welt glaubte, die in den leitenden Kreisen herrschenden Meinungsverschiedenheiten über die brennende Zeitfrage seien ««»geglichen und die Vorschläge seien jetzt, unterstützt durch dir Zustimmung aller Buade-regirruaaen. zur gesetzgeberischen Behandlung reif. Für absehbare Zeit schia» jeder Grund zu einer Krifi» in den höchsten Regierung-kreisen beseitigt. Und nun wurde die politisch« Welt ganz plötzlich mit der Nachricht überrascht, daß nicht nur der Reichskanzler Gras Eaprivi, sondern auch der Preußische Ministerpräsident Graf Eulenburg ihre Entlassung erbeten und empfangen haben. Wie wir zuverlässig er- ahrrn, war Gras Eaprivi in derUmsturzsrage der lhat- ächliche Sieger. Dir Darstellung, daß er gefallen, weil er der Einführung von drückenden Polizeimaßregeln auch zegen berechtigte Freiheit-bestrebungen Widerstand leistete, st gänzlich unberechtigt. Graf Eulenburg, der n dieser Richtung vielleicht etwas weiter ging, hatte sich gefügt, und voraussichtlich werden die Caprivr'schen Vorschläge unverändert an den Reichstag gelangen. Den bis herigen Reichskanzler al» FreibeitShelden zu feiern, liegt also gar keine Berechtigung vor. Zu diesen Vorschlägen hat die „Freis. Ztg." soeben bemerkt: „Nach Allem, wa- man hört, be wegten sich dieselben in einem Rahmen, bei welchem der Kanzler auf eine Zustimmung der Reich-tagSmehrheit rechnen konnte." Wir werden Herrn Richter seiner Zeit beim Wort nehmen. Die Umsturzfrage kann also nicht al- eigentlicher Anlaß zu dem Rücktritt de- Grafen Eaprivi betrachtet werden. Der Kaiser war eben dieses matten.sckwankendenRegimentS schon langemüde; auch lag da» EntlassungSgesüch, da» natürlich nicht ernst gemeint war, sondern nur eine Pression sein sollte, schon mehrere Tage vor, verfehlte aber seinen Eindruck. Die Ränke, di« Graf Eaprivi schon seit geraumer Zeit anspann, haben offenbar dem Faß den Boden auSgeschlagen. Die un geschickte Verherrlichung de« Eaprivi'schen „Sieges" mit der Berufung auf die allerhöchste Zustimmung soll bei dem Kaiser da» Gegentheil der beabsichtigten Wirkung er zielt haben. * Verli«, 28. October. Während die Capriviosfi- ciösen verschiedenster politischer Färbung sortfahren, ihren zesallenen Meister al» das Opfer einer Intriguc Hinzu tellen, in welcher die Eulenburg'S die Hauptrolle gespielt raben sollen, — wa» schon durch die Thatsache widerlegt wird, daß Graf Eulenburg selbst zu den „Opfern" der plötzlich entstandenen Krisis gekört und zu seinem Rücktritte durch da- Schicksal seine» ActionSprograminS und die Schritte de» Grafen Eaprivi genöthigt worden ist —, tritt e» immer klarer zu Tage, daß Gras Eaprivi selbst durch die von ihm und jenen Osficiöseu zur Befestigung seiner isolirteo Stellung und seine- Ansehen» in Auwcudung gebrachten Mittel seinen Sturz hrrbeigefübrt bat. Bon genau insormirter Seite wird dir» der „Kreuzzeituna" durch folgende Zuschrift bestätigt: „Die plötzlich ausgetretene Reichskanzler- und Ministcrpräsidenten-Krisi- ist auf den bekannten Artikel der „Köln. Zeitung" zurückzusühren, der an Allerhöchster Stelle um so mehr verstimmen mußte, al- erst kurz vor der Reise de- Kaiser» nach Liebenberg eine zu befriedigendem Resultat gesührte Rücksprache de» Kaiser» mit dem Reichs kanzler stattgefunven hatte. Zutreffend dürste e» sein, daß der Reichskanzler kurz vor dieser Reise de» Kaisers diesem den Wunsch nahegelegt batte, von seinem Amte zurück- zutrrten, jedoch nach jener persönlichen Unterredung mit dem kaiserlichen Herrn diesen Wunsch ausgab. Al- Seine Majestät von dem Artikel der »Köln. Ztg.", den man aus Information au» dem Auswärtigen Amte zurückzusühren Veranlassung hatte, in Liebenberg Keuntniß erlangte, batte der Minister- Präsident und Minister de» Innern Graf Botho zu Eulenburg seine Demission erbeten, in die Seine Majestät erst nach längerem Zögern und unter der huldvollsten Anerkennung der geleisteten Dienste willigte. E» konnte aber keinem Zweifel unterliegen, daß, nachdem Graf Botho zu Eulenburg in selbstlosester Weise sein Portefeuille in die Hände de» Kaiser» zurückgelegt, auch der Rücktritt de»Reichskanzler» unaufschiebbar geworden sei, und e» heißt, daß der Kaiser, al» er am Donnerstag Abend- spät au- Liebenberg nach der Wildparkstation zurückkehrte, noch Nacht- eine Unterrednng mit dem Ebef des Geheimen Eivilcabiuet» in Pot-dam gehabt habe, bei welcher diese An aelegenbeit iedenfall« den Gegenstand der Unterhaltung bildete Hiernach dürste man fast annehmen, daß der Rücktritt de- Reichskanzler- kein ganz freiwilliger, wenigsten» nicht im letzten Augenblicke, gewesen ist." Durch eigene In formation ist da» genannte Blatt in der Lage, diesen Bericht folgendermaßen zu ergänzen: „Die Frage der gegen die „Umsturzparteien" zu ergreifenden Maßregeln bat nur in zweiter Linie dazu beigetragen, die Ent scheidung berbeizusübren. War auch, wir wir im Gegensatz zu ofsiciösen Meldungen betonen müssen, rin volle» Ein- vernehmen nicht erreicht, so lag doch die Möglichkeit vor. e» anznbabnen, und al» Gras Eaprivi am Dienltag die noch schwebenden Differenzen für bedeutsam genug hielt, um seine Demission einzureichen, hat Se. Majestät in einer darauffolgenden Audienz jene» Gesuch in einer für den Reichskanzler keine-weg« ungnädigen Weise ab ge leb nt und ihn veranlaßt, von dieser Thalsache dem Grasen zu Eulen bürg Mittheilunz zu machen. Erst danach erfolgte da» DemissionSgesuch de» Grafen Eulen« bürg, so daß der Reichskanzler siegreich den Plah zu be> Haupte« schien. E- ist erinnerlich, mit welchem Lärm der officiöse Telegraph und die cfflcivse Presse von dem Besuche Notiz nahmen, den Sr. Majestät dem Reich-kanzler am DienStag machte, und wie namentlich von der „Köln. Zeitung" und von der „Nordd. Allg. Zeitg." betont wurde, daß der Kaiser .hinter dem Kanzler siebe". E« wareine Idrntificirung von Kanzler und Kaiser, wie sie stärker nicht möglich war. Wie nun au« bester Quell« verlautet, ist Se. Majestät von dieser Interpretation seiner Absichten keine-weg« erbaut gewesen, und die Hartnäckig keil, mit welchtr Gras Eaprivi daraus bestand, für sein Presse ainzustehen, ist in Zusammenhang damit zu dringen» daß einem zweiten Abschiedsgesuch die Ge nebmiauag nicht versagt wurde. Da» sind dir Thalsachen; wa« sonst umbergetragen wird, ist unverbürgte« Gerücht." In allen wesentlichen Punkten stimmt mit diesen Mittheilungen di« folgende überein, welche den „Berl. N. N." zugeh: .Graf Eaprivi hatte am Dienltag Morgen sein Entlaffuug-gesoch «ingereicht. Infolge dessen hatte sich der Kaiser vor seiner Abreise »ach Liebenberg rum Kanzler be- geben und ihm den Rath ertheilt, ans seinem Platz» zn bleiben Im Laufe der Aussprache ergab e» sich, daß in den An schauungen de» Kaiser« und de» Kanzlers über dir Stellung zur Umsturzbeweguna nur sehr geringfügige Abweichungen be- tanden. Der Kaiser sprach auch die Hoffnung au», daß zwischen der Auffassung de- Kanzler- und der de» Minister präsidenten eine Brücke sich werde bauen lassen. In dem Glauben, daß die Krisi» beigelegt sei, reiste der Kaiser nach liebenberg. Inzwischen wurde der gesammte ofsiciöse ilreßapparat zur Unterstützung de- Kanzler- in Bewegung zesctzt. Während der Kaiser in Liebenberg verweilte, wurde ibm da- Entlassungsgesuch de» Grasen Eulenburg unter breitet. Dasselbe war ausdrücklich durch die Preßangriffc in der „Kölnischen Zeitung" und ähnlichen Blättern be gründet worden. Dem Kaiser sind, wie wir bestimmt wissen, ur Eharakterisirung dieser Preßpvlitik verschiedene geistige Elaborate diese-Genre» vorgelegi worden. Au» diesen soll der Monarch dieUeberzcugung gewonnen haben, daß ein weitere- ge deihliches Zusammenarbeiten btikerStaatSmännerauSgescbloffen ei. Ai» (rreitag Morgen soll der Kaiser nach der Rückkebr nach Potsdam de» Ebes des CivilcabinetS von Lucanu» zum Reichskanzler gesandt haben. Der Kanzler wurde um eine Erklärung darüber gebeten, in welchen Beziehungen er z» einem bestimmten Artikel der „Kölnischen Zeitung" 'tändc. Graf Eaprivi gab die Erwiderung, daß er aus den bewußten Artikel keinen Einfluß auSgeübt habe, scdoch keinen Ansland nehme, die in demselben entwickelten Anschauungen als ibm sympathisch zu bezeichnen. Eine weitere Erklärung müsse cr ablehnen." Deutsches Reich. 6. II. Berlin, 27. October. In Essen a. d. Ruhr wird am 26. December der erste internationale Berg- arbeitercongrcß zusammenlrrten, der drei Tage dauern oll. Die Tagesordnung ist folgende: 1) Achistündige Schicht für alle Arbeiter unter und über Tage (einschließlich der Ein- und Ausfahrt), Verbot der Frauen- und Kinder arbeit, Abschaffung der Accordarbeit: 2) Einführung cnieS einheitlichen Berggesetzes für alle Bergreviere Deutschlands (einheitliche Knappfchasl-casse, rinbeittiche Arbeitsordnung); 3) Unglücks-Verhütungen und Bewetterung in den Gruben (Inspeciionen und Evntroleure, von Arbeitern frei gewählt und vom Staate besoldet); 4) VereiniguugSsrage. — Wenn auch die Einberuser diese» Eongresse» al» svcialdemokratische Agitatoren nicht hervorgetreten sind, so handelt r» sich doch zweiselloS bei der ganzen Veranstaltung nur nm eine soc>al> demokratische Mache zu dem Zwecke, die in den katholische» Gc> sellenvereinen und den evangelischen Arbeitervereinen vereinten Bergleute von dem socialdei»okratischen Verbände einzufangen. Ob dieser Zweck erreicht wird, ist freilich noch sehr fraglich; heule sieht eS ganz danach au-, al» wenn io Essen die Socialdemokraten ganz unter sich sein werden. Im Gegensatz zu der schtesische» und auch der sächsischen Be- wegniig bat die in den rhcinisch-westsälischen Kohlenrevieren unausgesetzt Rückschritte gemacht, welche dir Agitation-reisen Legiens, de- Vorsitzenden der socialdemokralische» Streik» couimission» nicht anszuhalten vermochten. Es ist immerhin ein beultrkenSwerthes Zeichen, daß die Bergleute in Deutsch laut in ihren breiten Massen Nicht- von der Socialbemo kratie wissen wollen. Dir wahnwitzigen Streik- iu England. Belgien und Frankreich habe» freilich nicht dazu beilragen tönnen, die Liede für da- socialdcmokratische Evangelium zu wecken. ss Berlin, 28. October. Der Bundesrath hat bekanntlich in seiner letzten Sitzung zwei kleinere Ar n der» n gen der Gewerbeordnung den Ausschüssen zur Vorberathuiig über wiesen. In der nächsten Zeit wird er sich voraussichtlich »och mehrfach mit der Gewerbeordnung zu deschäsligeu baden. ES ist noch jüngst von amtlicher Stelle gemeldet, daß b>» auf die Vorschriften für die Gruppe der Nahrungsmittel Industrie und die Saisonindustrien sämintliche Ausnahme brstininiungen für die SountagSruke in Industrie und Handwerk dem BundeSratbe zuaegangen sind. Dieselben werden von den zuständigen AuSscküßcn vorberathen und dann gemeinsam ii» Plenum erledigt werben. Wenn die kaiserliche An- ordunng diesen Tbc»l der Sonntagsruhe in Kraft setzen wird, wird auch sämmtlicheu AuSuahinebestimmungeu au einmal Geltung verschafft werden. Aber auch außer diesen AussübrungSbest'Mlnungen zu einem Theil der letzten Gewerbe ordnungSnovelle ruhen im BundeSrathe noch Anträge, welchl sich auf dir Gewerbeordnung bezirbrn. Ja erster Linie ist darunter der von der bayerischen Regierung im November 1892 eingebrackte Antrag auf Aendrrung de- Titels III der Gewerbeordnung über den Gewerbebetrieb im Umber- ziehen zu erwäbnen. Vor einiger Leit wurde von einem Mitglied« der badischen Regierung erklärt, daß die Neu regelung de« HausirhandrlS so weit vorgeschritten sei, daß die Vorlegung de» darauf bezüglichen Gesetzentwurfes schon für die nächste Tagung de« Reichstage« zu erwarte» sei. Außer dieser größeren Umgestaltung eine- ganze» Titels der Gr werbeordnung liegen noch zwei Antrag« aus Aenderung einzelner Paragraphen vor. Der eine betrifft die Erteichlr rung der Wiedereröffnung gewisser gewerblicher Unter nebmungen, der andere eine Verhütung der Anfertigung von Recepten io den Drogueohandlungeo. Ob alle diese geplanten Arnderungen schon so frühzeitig im BundrS- ratbe entschieden werden, daß sie eventuell noch in der nächsten Session den Reich-tag beschäftigen können, nicht sicher. 'st — Da- Kaiser paar wird sich Sonntag Mittag nach Berlin begeben und nach der Frühstücketasrl, welche um l2'/« Uhr im königlichen Schlöffe statifiudrt, der MatinSe im Opernhaus» beiwobarn. Zur Frühstück-tasrl sind Prinz Friedrich August von Sachsen und der Kürst zu Wied geladen. — Damit dem Drama de» Sanzlerstorze» da« Satyr'piel nicht seble, ist die Wochenschrift „Nation" gestern früh mit einem Artikel erschienen, worin Herr Dr. Barth über den Triumph de« Grafen Eaprivi in Entzücken schwelgt. Und die „Boss. Ztg" wartet mit folgender echt „vossischrn" Leistung aus: ,LH» fehlt« aber auch »in Zweite-, »nd bieser Mangel ist Ihm vrrhäiignthooll geworden Ihm fehlt» »le Rabe, aus di Press» »iazuwirken und sie für sein« Absichten zu b» nutzen. Sr har vtellrtch« nicht einmal erkannt, wt« »oth wendig da» ist. Er wartete die Stunde ab, wo er r» für geboten hielt, persönlich mit seinen Anschauungen und Forderungen hervorzuireten, dann vertrat er diese gut, aber daun war ge- wöhnlich der Boden schon in einer Weise vorbereitet, die seinen Bestrebungen hinderlich war " — Die Bevollmächtigten zum Bunde-rath: sächsischer Staats- und Finanz-Minister von Thümmrl, sächsischer StaalS-Minister. Minister de» Innern und der auswärtigen Angelegenheiten von Mcysch, braunschwrig-lüneburgischer StaalS-Minister Vr. Otto, sächsischer StaatS-Minister I)r. von Heim, sächsischer Staat- Minister von Strenge, renßischer StaatS-Minister vr. Bollert, sind von hier bgerrist. — Der Empfang der Gesandten von Bayern, Sachsen, Württemberg und Baden durch den Kaiser ist, dem Vernehmen der „N. Pr. Ztg." nach, dahin zu deuten, daß der Kaiser den Souverainen der vier größten BundeS- taaten nickt nur die erfolgte Veränderung, sondern auch die Veranlassung und Gründe dazu mitthrileo wollte. Die Verabschiedung und Ernennung de- Reichskanzler» ist eine Reichssache ersten Range-, und «S ist mehr al- eine bloße Höflichkeit, wenn die Fürsten vom Kaiser selbst darüber unierrichlet werden. — Der „Kölnischen Zeitung" zufolge verlautet über diese Unterredung: Se. Majestät habe ieäußert, die gegen den Umsturz gerichteten GesctzcSvor- chläge sollten nach dem Rücktritt de- Grafen Eaprivi in derselbe» Form vorgelegt werden, die mit dem Grasen Eaprivi vereinbart worden wäre. — Die „Kreuzztg." schreibt: „Eine ganz besonder« „Ente" lasten verschiedene Blätter fliegen, indem sie vo» einem Wechsel in der Leitung de» „Bunoe- der Landwirthe" soieln, die au- Anlaß der ostpreußischen Tepulation an den Kaiser in» Auge gefaßt sei. Die betreffenden Blätter hätten die Unrichltgkeit dieser Meldung schon au» dem Um stand« ersehen können, daß der Bericht über di« Abordnung von dem Preßdecernot des Bunde« der Landwirthe an die Blätter verschickt war, also ein Äegensatz zwischen der BundeSiettung »nd der Deputation nicht im Entsernlesten vorliegen konnnte. (?) — Wie die „Berl. N. N." erfahren, wird noch im Laufe diese- Jahre» >» Berlin eine Versammlung von Vertretern deutscher Handels- und Gewerbekammern sowie aiiderer gewerblicher Körperschaften stattfindeo, um über eine Neugestaltung der gewerblichen Interessrn-Bir- tretung zu berathru und eventuell auch zu beschließen. — Der bisherige Reichskanzler Graf Eaprivi, der StaatS- ecreiair de« Auswärtigen Amtr» Frechen von Marschalt, der bisherige Ministe.piäsident Gras zu Eulenburg und der Oher- Hos- und HauSmarlchall Gras zn Eulenburg haben vom König Alexander da- Grvßkreuz LeS Weißen Adlerorden» erhallen. Da» Großkreuz deS Takowo-OrdeliS wurde u. a. verliehen an Lea Chef det MliitoircabineiS General der Insantrrie von Hahnke und den Geheimen EabiuetSrath von LucanuS. — Wie die „Si. A. Z." hört, ist auch der AbtheilungSdirigent im Auswärtigen Amte Wirkt. Geh. LegatiouSrath Humbert in di« Generalsynode berufen. — Der Lber-Präsibrnt der Rheinproviuz, Rasse, ist hier eia- getroffen. — Ter Kaiser hat bem bisherigen LegalionS-Secretair bei der königlich sächsischen Geiandlschasl Grafen Pitzthuin von Eck- stidt den königlichen Kronen-Ordcn dritter Elaste verliehen. — Tie Einführung de» Hospredigrr« Schuirwind ist, so schreibt die „Resorunrie kirchruzeitung", insofern bedeutungsvoll für die rcsormirte Kirche, al» nunmehr am Tom in Berlin wieder ein reformirter Gastlicher angestellt ist. Die Klagen, daß der rejorinirle Dom in Beritt, keinen resormirten Geistlichen mehr habe, der noch de», Heidelberger Katechismus unterrichte, haben den Kaiser veranlaßt, bei der Besetzung der vierten Hof- und Dom- predtgerstrlle zu bestimme», Laß ihm eia resormirler Geistlicher in Borichlag gebracht wrrde. AlS solcher ist Hosprediger Schntewind berufen worden. * vnrztu, 27. Oktober. Dir in den Zeitungen um- lausende» Nachrichten über die Uebersiedeluug de« Fürsten BiSmarck nach FriedrichSruh bedürfen der Be richtigung. Zunächst wird der Besuch de» Grasen Herbert BiSmarck zum 3l. October erwartet. Die Abreise der fürst lichen Familie erfolgt voraussichtlich vor Mitte November, der Tag steht jedoch noch keiuetsall» fest. (B. N. N.) * Hamburg, 27. October. Zum Rücktritt Eaprivi'S schreiben die „Hamb. Nackr": „Soviel wir sehen, hat die Nachricht von den Berliner Ereignisse» nirgendwo Bestürzung oder Beunruhigung hervorgerusen, wa- sich leicht au- dem Umstande erklärt, daß man den Grafen Eaprivi weniger als „leitenden Staat-maun" in dem Sinne aufab, daß er per sönlich der Urheber und Vertreter der Politik de- neuen EurseS sei und daß sei» Rücktritt eine Aendrrung desselben bedinge, sondern mebr als Aussührer de- Willen» de« Kaiser«; dieUeberzeugung,daß auch seinNachsolgerschwerlich «ine andere Position einnehmen werde, nimmt der Situation vollend- die Spannung, die sonst bei derartigen Krisen sich einzustellcu pflegt. Erregt gebercen sich vorläufig nur die freisinnigen und demokratischen Blätter über den Rücktritt Eaprivi'S, und die klerikalen, polnischen und socialdemokratischen Organe werden sich ihnen vermuihlich aiischließen. denn diese Parteien bildeten die Hauptstützen der Eaprivischen Politik; sie suchten den bisherigen Reichslanzler stet« mit allen Kräften zu ver- theidiaen und ihn in der Ueberzrugung im Amte zu halten, daß ihre Interessen bei jedem Kanzlerwechsrl nur Schaden erleiden könnten. Arhnlich werden auch die Urthrile der Presse desjenigen Auslandes bedingt sein, da-, wit England, Oesterreich-Ungarn, von der Eaprivischen Aml-sührnn- ledig lich Bortdeil gehabt hat". * Wtltzrl«»tz«ben. 27. October. Admiral von der Goltz bat sich beute nach Inspektion der hiesige» Garoisoo-anlagen »ack Berlin zurückbrgebco. " Neustrelitz, 27. October. Der prenßisch« Gesandt» «vn Kiderlea.Wächter ist hier ttugetroffen und hat stt» Be glaubigungsschreiben überreicht. * Vasen. 27. October. Der „DzirnnikPo,nan«ki", da» Hauptorgan der preußischen Pole», bedauert den Rück tritt Eaprivi'S auf da- Lebhafteste. " AkNN. 27. October. Hier hat beute »ine Berathung der an her thüringischen Recht-pflegegemeiaschaft betheiligttn Gtaatr» stattgesunden. * Frnnkfnri «. M., 27. Oktober. Ja der bentigrn Schlußsitzung de- socialdemokratischen Parteitage» wurde «in« Reibe auf dir Taktik und die Organisan»»
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