Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.12.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-12-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18941203022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894120302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894120302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-12
- Tag1894-12-03
- Monat1894-12
- Jahr1894
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
er1<j886n Bezugspreis tn d« Hnnptrxpedition oder de» i« GtutzS- b«trk und de» Vororten rrrubtetea AuS« yabestelle» abgeholt: vierleliLhelich^S.dO. bei zweimaliger täglicher Zustellung in« Laut üchO. Durch di« Post bezogen für Deotschlaud uud Oesterreich: vierteliibrlich » 6.—. Direct» täglich« Areuzbaudienbung iu« AuSlaud: monatlich ^l 7.ü0. Vt» Mvrgen-AuSqab- ekscheint täglich V,7 ilhr, di« «beud-Auegabe Wochentag« b Uhr. NeSaktiou vuß Lrpeditto»: Z«hanne«„fie 8. Di« krvedition ist Wocheatag« aauaterbroch«» geöffnet von früh 8 bi» «beud« 7 Uhr. Filiale«: DU» Me««'« e»rti«. tNlfre» UniversitätSstraße 1, L»ui« Lische. Katharinenstr. 14, part. und KSalgSvlatz 7. «17. Abend-Ausgabe. riWarr.TllMM Anzeiger. Lrgan für Politik, Localgeschichte, Handels- «nd Geschäftsverkehr. Nnzeigen-Pret« die 8 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter drmRedactionsstrich (4g»» spalten) 50-4. vor den Aamiliennachrichte» lkgcipaltenl 40-^. Größere Schriften laut unserem Preis verzeichnis Tabellarischer und Zifserajatz nach höherem Tarif. i?rt»'«-veilagen (gesalzt!, nur mit der Moraen - Ausgabe , ohne Postdesörderung Sv.—, mit Postdesörderung 70.—. Atmahmeschlak für Anzeige«: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Margen-A»rgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Soun- und Festtags früh ",9 Uhr. Bei den Filialen und Annabmestrlleu je eine halbe Stunde früher. Anreise« sind stet« au die Ertzetzttton zu richte». Druck uud Verlag von S. Polz tu Leipzig -D Montag den 3. December 1894. 88. Jahrgang. Ho. S60. m«-rbl«8b» e«i<1e gestickt, ein 8ti>tc. KI 4-75. Xo. VLO uit 8vi4ell»tiokvr«1 -k KI. S.LO »fiUIunx u. l'Rsede v 8t1oker«1 m. 8teü KI 1 75 6 50. k »I. 3L0. illeisssa »» — 3S. irsu. inckour »i. s jt». politische Tagesschau. * Leipzig, December. Nur wer mit demokratischen Augen, d. h. gar nicht, sieht, dem kann cS entgehen, daß der Wechsel im ReichSkanzler- amte und im preußischen LandwirtbschaftSmini- steril,m selbst der erlrrmagrarischr» Agitation Vieles von ihrer srüheren Schärft genommen hat. Bleibt auch die, man dars wobl sagen: ewige Thatsackc bestehen, daß die hock- conservaliv-orthodoxc Gruppe in Preußen vor Allem Wahl- zwecke verfolg», denen im Augenblick die Notblage der Land- wirthschaft als brauchbarstes Bebikcl dient, so ist nickt zu verkennen, daß auch diese Politiker den ohne Hinter gedanken Klagenden und ohne Nebenzwecke mögliche Verbesserungen fordernden Landwirtben Rechnung zu tragen und das Demagogische einzuschränken sich gezwungen seden. Die „Deutsche Tageszeitung" ist allerdings so munler, wie nur je, und in der „Kreuzzeitung" seblt es auch jetzt nicht an minteston« einem .Borstoß" in der Woche, aber dieses leitende Blatt der Eonservativcn befolgt doch die Taktik, in jeden der Regierung credenzien Feuerwcin ewige Tage spater ein opportunistisch bemessenes Quantum Wasser zu gießen, wie cS sich auch angelegen sein läßt, die Proklamationen der Organe de- Herrn von Plootz in brauchbarere Wunschkuukgebungen umzucomnientiren. So heute, wo bas Blatt bittet, es dahin zu versieben, daß cS die „Recepte zweiten Ranges" keineswegs verwerfe, sondern nur nicht ge willt sei. darüber die „Haupsachc", die Hebung der Getreide- Preise. zu vergessen; die Parole „Alles oder gar nichts" liege ihm fern. Das ist scbr klug gesprochen. Da man links der Elbe von den Kanitz'schen Abenteuern und den Gamp'schen Traumaebildc» Nickis wissen will, einem woblgeprüften „System kleiner Mittel" aber nicht abgeneigt ist, so waren die Männer, welche die Führung der gesammtcn deutschen Landwirthschast usurpiren möchten, reckt übel daran, wenn sic sich sestgcmacht hätten, daS erreichbare Brod mit den Steinen aussichtsloser Anträge vom Tische zu stoßen. Im Grunde lagen die Dinge schon vor dem 20. Oclober nicht anders. Aber das wohlerworbene Mißtrauen, das dem Grasen Caprivi von der Land- wirlhschast aller Reichslheile ohne Ausnahme entgegen- aebrackt wurde, das Gefühl der Berlassenbeit, welches feuie Apper^u« über Ackerbau und Industrie, Zollschutz u. s. w. in allen Laudwirthen zu erzeugen wußten, sicherte der ertrcmen Agitation daS Obr der Landwirthe, die von dieser Regierung auch „kleine" Hilfsmaßregeln nicht erhoffen zu dürfen glaubten. Vielleicht sind sich gewisse agrarisch-politische Entrepreneurs — wir verstellen darunter weder die Führer der conservativen Partei, noch die „Kreuzzeitung" — heute schon nicht mehr klar darüber, ob sic bei dem Rücktritt des Grasen Eaprivi ein gutes Geschäft gemacht habe». Allein mit Hetz reden und dilatorischer Behandlung gehl cS nicht mehr. Die Forderung der „Deutschen Tageszeitung", der Kampf gegen den Umsturz müsse hinter der Socialreform zurückstehcn, wirk, so wie sie gemeint war, heule von der „Kreuzzeitung" zurückgezogen. Sie sei „rein äußerlick,, mechanisch" nicht zu denken. So aber, nämlich im Hinblick auf die Reihenfolge der Bornabme gewisser Gesetzentwürfe, war sie jedenfalls ursprünglich gedacht. Die „Kreuzzeitung" tbut aber heute noch ein Drittes, das von ihrer frühere» Behandlung wirthschastlicher und politischer Fragen wobltbuend absticht: an der Stelle, wo sonst die Rupprecht Ransern „schrieen" und drohten, läßt sic ohne Borbehalt in der Person der Herrn Thiel mann - Iacobsdors einen konservativen, wie man ihn sonst ver stand, zu Worte koinmen. Nicht einen „Helldorfianer", Herr von Tbielmann betont nachdrücklich dir Forderung, „nicht mebr im Sinne der früheren Gouvernementalen" Parteipolitik zu treiben» er verurtdeilt auch die Wirth- ntn^od« 2 7». oiittiott. . 1 link« er V»»er. n: 0 O^VSOO s — 2.SO itls!rr»v: NDlltLt. Fer»illetsn. Llärchen's Mitgift. ii Erzählung von Paul Blumenreich. N-ittruck »erdeten „Komm her", sagte Klärchen, ihre Arbeit unterbrechend, „ich binde Dir die neue Cravatte um, Erwin!" Der siebenjährige Erwin, der eben zur Schule wollte und schon die auSgefranste, abgeschabte Mappe umgebängt hatte, kam eilig hcrbcigctanzt: das rothseidene HalStüchelchen, daS er bisher nur einmal Sonntags getragen hatte, würde ihm „fein" stehen! „Sieh, Batcr, wie hübsch ich bin!" jubelte daS Kind. TheilnabmsloS blickte der Mann auf, der mit hcrabgrsun» kenen Armen an seinem Werktische saß. „An Deiner Jacke feblen die Knöpfe, Junge", verwies er, „warum sagst Du das nickt bei Zeiten'?" „Ach, die Knöpft!" antwortete Klärchen an Erwin » Stelle. „Ich bab'S der Ramschütz schon vorgestern gesagt . . . .Da« könntest Du schon selber machen, weißt Du . . Der Vorwurf in diesen Worten war eigentlich ungerecht; denn Klärchen, die in einer Blumenfak-rik beschäftigt war, gönnte sich kaum eine freie Minute. Sie nahm sich Abend- immer eine Schachtel mit Draht, Stengeln und Blättern mit nach Hause, um noch wenn sie bcimkam und früh, bevor sie ging, einige Dutzend Blumen fertig zu stellen. Bus dem Tische, an dem sie saß, stand noch da« Kaffee geschirr — Erwin batte wieder einmal geplempert — und daneben lagen Büschel reizender Lcvkoyen und Narzissen, au« Klärcken'S kunstreicher Hand dcrvorgegangen. E- war über- baupt nvck nickt aufgeräumt in dem wüst auSsebenden Zimmer. Auf einem w.'cktigen Studie lag daS Kleid, daS Klara gestern, am Sonntag angebabl; ein Paar billige Filethaadschuhe waren auf den Slrobut geworfen und Beides von einem Tucke halb verdeckt. Nur ganz in der Näbe von BaterS Werktisch war znsammengesegt — vielleicht batte Lorenz Bauer, dem die Unordnung persönlich widerwärtig war, die« selbst besorgt. Er batte eS ausgegebe», erziehlich auf seine Tochter ein- ruwirken. Eigentlich batte er auch kein Reckt mehr dazu. Denn der reichliche Verdienst, den da« junge Mädchen am Wochaischloß hcimbrachte, war längst eia «nnttvrhrlicher Faktor schaftspolitik des früheren CurseS mit aller Sckärse, aber er fordert Ächtung der einmal geschlossenen Verträge, deren schädliche Wirkungen er nach Möglichkeit zu paralysircn verlangt, was aber „nicht nur auf dem vom Grafen Kaniy gezeigten Wege, sondern auch aus andere Weise möglich ist". Herr v. Tbictmann erachtet mit vollem Reckte die Erhaltung des Mittelstandes für wichtiger, als strafgesctzlicbe Bekämpfung des Umsturzes, der er selbstverständlich nicht widerstrebt, er verlangt schließlich, daß zur Durchführung seiner Forderungen auf die Auflösung des Reichstages hingearbcitet werde, falls die Mehrheit des Parlament« sich als Hindcrniß erweise. Unter jenen Forderungen befindet sich als die. einzige, die uns Bedenken erregt, eine die Währung betreffende. Aber auch wenn der trennenden Punctc mehrere aus^ezählt wären, würden wir die conscrvative Kundgebung mit Genugthuung begrüßen, denn Herr v. Thielmann hält den Sieg bei Neu wahlen „in Gemeinschaft mit allen national und monarchisch denkenden Kreisen im deutschen Bolke" für gesichert. DaS ist der Eartelgevanke, der angesichts der Schwierigkeiten der Gegenwart über einzelne Meinungsverschiedenheiten hin- wcgschen heißt. Daß das Gesetz über die Sonntagsruhe Manchem rin Dorn im Auge ist, ist bekannt. ES gicbl da allerhand Leute, die in ihrem Acrger über den schlechten Geschäftsgang oder in ihrem irgendwie sonst begründeten Mißmuth die Sonntagsruhe in jeder Hinsicht bemäkeln und alle Hebel in Bewegung setzen, um diese neue werthvolle Errungenschaft auf socialpolitischcm Gebiete aufzuheben. Neben kleinen Organen, in denen die Frage als „Eingesandt" ventilirt wird, ist auch die „Kölnische Zeitung" kürzlich eine rübrize Bckämpserin dieser Wodlthat vieler Tausende, und sie macht dabei allerlei possirliche Sprünge. Immer ist eS die arme Hausfrau, die unter der Sonntagsruhe leidet, weil sie oder daS Dienstmädchen vergessen hat, etwas cinzubolcn, weil Abend- gerade Besuch kommt, weil sie am Montag früh zu lange schläft, um den Kindern, die zur Schule geben, das noth- wendige Butterbrot» mitzugebcn, — weil sic es am Sonutag Abend nickt einkaufen konnte. Dabei fließen auch die alten Bebauptungrn und Erzählungen über da« Verderben der Leben-mittel in derZrit von SonntagNackmittag 3 Uhr, zu welcher Stunde die Läden geschlossen werden, bis Abend« 7 Ubr. wo man in Deutschland zumeist zu essen pflegt, unter, ohne vaß der flagrante Widerspruch, der darin liegt, daß die Leben-mittel am Sonntag Nachmittag eher verderben, als während der Nackt vom Sonntag zum Montag, gewürdigt wird. Wenn die „Kölnische Zeitung" an ihre Lamentationen die Erwartung knüpft, daß in ihrem Sinne Abänderungen de« SonntagSrube - Gesetzes eintretcn werden, irrt sie sich >ehr. Bei der Befragung im HandelSgewerbc haben von den 84 Auskunftspersonen höchstens fünf bis sechs in sebr schüchterner Weise eine Abänderung beS Gesetze- in diesem Sinne gefordert, während sich alle Anderen mit dem Gesetz einverstanden erklärten, ja geradezu für eine EinhcitSarbeilS- zeit im ganzen deutschen Reiche plaidirten. Gerate die befragten selbstständigen Kauflcutc erkannten die Woblthat der Sonntagsruhe für sich selbst an »nd wünschten durchaus nicht den allen Zustand wieder, ja man konnte auS ihren Aussagen — der stenographische Bericht wird dies erweisen — herauSfüblen, daß sic eine weitere Be schränkung der SonntagSarbcit gar nicht ungern sehen würden. Und daS waren Kausleute auS allen Gegenden des deutschen Reiche« und aus kleinen und großen Städten. Gerade die Befragung an verantwortungsvoller Stelle im vollen Lichte der Oeffentlickkeit bat gezeigt, daß die SonntagS rube willkommen geheißen worden und daß man mit ihr zufrieden ist. Diejenigen, die im Dunkeln krebsen und für sich durch ihreHeulmeicreien etwas bcrauSschlagen wollen, bilden eine verschwindende Minderheit. Und wenn die deutschenHauSsraucn in dem dürftigen Haushalt geworden. Wie durste er, der Vater, noch mehr verlangen von dem mutterlosen Kinde, daS nun schon seit sie eingesegnet war, seit ihrem vierzehnten Jahre, in die Fabrik ging? Mittag« pflegte sie gar nicht hcimzukommen; ein paar Semmeln, dazu ein Töpfchen dünnen Kaffee aus der nächsten „Klappe", mußten ikr die Haupt mahlzeit ersetze». Wer also hätte sie anleiten, wann hätte sie Zeit finden sollen, sich um anderes zu kümmern, als um ihr? Arbeit? Heute, am Montag, begann die Arbeit in der Fabrik erst um neun Ubr ; Erwin aber mußte schon um acht in der Schule sein. So ging der Knabe heute allein, während seine Schwester noch fleißig Blumen machte. ES war still geworben in dem Stübchen, die Beschäftigung de- Mädchen- verursachte kein Geräusch und der Batcr saß noch immer unthätig da, mit finsterem Gesicht auf sein Werk zeug starrend. „Es ist gestern wieder lange nach zehn gewesen, Kläre, als Du nach Hause kamst", begann er endlich." „Ach, Vater — wenn man keine Uhr hat! Und dann haben wir un« so sehr amüsirt!" „Ich will da« aber nicht haben! Du weißt nicht, was Dir Alle« geschehen kann!" „Marie und Anna haben mich bi« vor die Tbiir gebracht!" „Um so schlimmer! DaS sind liederliche Mädchen! Und wirst auch eine« werden!" „Vater!" bat Klara, ihre Thränen unterdrückend. „klebrigen« — mack' wa« Dn willst", grollte Lorenz, „lange wird « ohnedies nicht mehr dauern!" Klärchen antwortete nicht mehr; sie weinte still vor sich hin und an der Blülbe, di« sie eben in der Hand hielt» blieb eine Thräne bängcn, wie eia Tdautropfen. WaS wollte der Bater nur immer von ihr, die doch so fleißig war, und so anspruch«lo«! Aber er war eben ver bittert — wa« konnte sie dafür? Kur; vor neun Ubr raffte sie ihre Blumen zusammen und machte sich fertig. Schon da« kecke billige Hütchen auf, griff sie noch bastig nach ibrrm Kleide und schob e« in den birkenen Schrank. Da« Geschirr blieb stehen. Mochte e« Frau Ram schütz, die alte Auswärterin, forträumen. „Adieu. Vater!" sagte sic, wir «in reckte» Kind schon wieder völlig heiter. Und sie fügte hinzu: „Zwei und drei- virrtel Dutzend bade ich fertig gebracht, heute früh." Dano war sie hinan«. und inSdesondcrcdieArbeitcrfraucn immcrwiederals die lebhaften Fürsprecherinnen der SonntagSarbcit angeführt werden, so werten sie sich dafür nicht bedanken, denn sie würden eine wirtb- schastlickc Kurzsichtigkeit beweisen, wenn sie mit ihren Mitteln nicht einmal für einen Sonntaguachinittag diSpouiren könnten. Daß eS einmal Vorkommen kan», daß der Schluß der Geschäfte am Sonntag Nachmittag unangenebm empfunden wird, ist gewiß richtig, aber das ist nur ein sehr seltener Fall, und für alle Fälle kann man doch nicht sorgen, dann müßte man ja die Ausnahmen zur Regel machen. Auch die Italienische Webrversassung muß nunmehr dem aus der Finanzlage de« Landes entspringenden Zwange zur Bewcrkstelliguiig von Ersparnissen ihren Tribut zollen. Es geschieht die« vermittelst einer Reibe vom KricgSminister al« „Reformen" angekündigter Maßregeln, welche zum Thcil, wie die Aushebung der Eaveitenanstalten, ihre Er klärung Wohl nur in der Erwägung finden dürften, daß bei der allgemeinen Durchführung von Erspar- niffen auch an dem Armcebudgct nicht vorbeigegaugen werden könne. Augenscheinlich ist man, so lange cs irgend zu vermeiden war, der Antastung de- Armeebudgets all dem Wege gegangen, und eS wirv dem KricaSministcr nicht ganz leicht geworden sein, die dedufs Ersparung von 7 di« 8 Millionen beschlossenen Reformen mit seinem Namen und seiner fachmännischen Autorität zu decken. Bei alledem muß indeüen zugegeben werden, daß im Großen und Ganzen die am italienischen Mililairetat vorgenommcnen Abstriche sich ertragen lassen, wenn durch um so intensivere Anspannung aller intellecluelleu und materiellen Kräfte innerhalb de« Armeeweseu« tajür gctorgt wird, daß weder daS moralische noch daS AuöbilvungSniveau der Truppe eine Verringerung erleidet, klebrigen« beruht das System der italienischen LandeSverthcidigung ja keineswegs ausschließlich oder auch nur in erster Linie aus dem Lanbhecre. sondern der Schwcrpuncl desselben liegt vielmehr in der Flotte. DaS von Natur begebene Feld für entscheidende Operationen de- italienischen Heeres ist der Norden, die Tiefebene der Lombardei mit den vorgelagerten Alpenpässcn. Eine sccundaire Ausgabe bliebe dem Lanvheere, von der erytbräischen Colonir abgesehen, allenfalls aus Sicilien zu lösen, im klebrigen fällt ddr Schutz der langgestreckten Küstenlinie der Flotte zu, für 4..7V j: dementsprechend Italien denn auch jahraus jahrein rnr cryevlici sten pccnniären Opfer bringt. Man darf eiuiger- maßcn neugierig sei», wie die Nachricht der Abstriche vom italienischen Militairetat in Frankreich ausgenommen werden wird, wo man auf Italien eben jetzt wegen der Berurtbcilung deS als Spion proccssirten sranzösischeii Hauptmanns Romani nichts weniger als gut zu sprechen ist und die genauere Regulirung der französisch-italienischen Alpengrenze in An regung gebracht hat. Es ist ja bekannt, daß Frankreich seinen wirtbschaftlichcn Krieg gegen Italien in der ausgesprochenen Absicht unternommen hat, Italien finanziell mürbe zu machen. Die bandclSpolittschcn Chauvinisten an der Seine dürsten schwerlich ermangeln, das beregle Vorgehen de« italienischen Kriegsministers als einen „Ersola" der französischen Geschäfts- Absperrung gegen Italien zu rühmen, und werden sich von der Fortsetzung dieser Taktik noch ganz andere „Erfolge" ver sprechen. Der mögliche Rückschlag aus die Stimmung der Franzosen ist vielleicht die nickt am wenigsten interessante Seite, die sich der militairische» Rejorm-Action des italienischen Kriegsministers abgewinnen läßt. In Englan« scheint man nachgerade einzusehen, daß man mit de» LiebeSwerbungen bei Ruiftand dock falsch speculirt bat, ein Fehler, welcher der auswärtigen Politik de« EabinetS Rosebery öfters palsirt. Die Sensationsnachrichten der ersten Rcgierungölagc Nikolaus kl. sind kühlen Betrachtungen gewickc», und heute süblt sich sogar der „Standard" bemüßigt, vor einer klcberschäpung der Tragweite der englisch-russische» Annäbcrung zu warnen. Mit derselben Schärfe, die das conscrvative Organ noch vor wenigen Tagen gegen die in Deutschland geübte skeptische Bcurtheilung des plötzlich aus- geiauchlcnRussen-EnthusiaSmuS in Westminster zur Anwcndung brachte, eisert der „Standard" heute gegen die Leichtfertig keil, mit der behauptet worden sei, daß England und Ruß land vereinbart hätten, die europäischen Verträge über die Durchfahrt durch die Dardanellen mit einem Federstriche auszubcbcn. Man müsse doch sich gegenwärtig halten, daß »> diesem Falle nicht nur Rußland den Weg vom Schwarze» zum Miltelmeere offen hätte, sondern daß auch umgekehrt die anderen Mächte ihre Panzerschiffe auS dem Mittelmeer ins Schwarze Meer senden könnte». Acbnlich äußern sich andere Blätter. Die Gründe für die plötzliche Wandlung der englischen Stimmunb liegen klar genug zu Tage. Wie mau in Petersburg die jäb ausflammende Begeisterung der Herren in London beurthcilte, darüber ließe» die maßgebenden Organe keinen Zweifel. Noch gestern schrieb die „No wo je W re in ja": „Die Politik der freien Hände gewahrt Rußland die Möglichkeit, ohne da« sraiizösifche Bündniß zu zerreiße», und ohne irgendwelche» Berralh an Frankreich zu üben, mit England Uder die Angelegen- heilen Asien« und des europäischen Orients sich sreundschastlich aus- einanderzusetzen, falls »ur die Bedingungen dieser Verständigung auS dem Geiichtspunete der russischen Jnieressen greifbare Borthelle darbirten; eine andere Bedeutung hol unsere Annäherung mit Eng land nicht und kan» sie auch nicht haben, schon einfach und auch deshalb, weil England bereits seit langer Zeit gar keine festen Bündnisse mehr abgeschlossen bal und sogar nicht einmal in irgend welche solide Freundichailsverdallnisse mit anderen Staaten eiu- gelretcn ist. Unlängst noch war England der Freund Fraukreichs, gestern der Freund Teiitschlands und Oesterreichs, heut ist es unser Freund, und wir baden zwar uasere aufrichtige Freud« daran, müssen dennoch aber auch a» morgen denken." Einen solche» Korb bat England sich schwerlich schon irgendwo gcbvlt. Sollte cS, wie vorauszusehen ist, nun wieder bei dein deutschen Beiter gute Laune zu machen vcr suchen — die Weiden gedeihen vortrefflich bei uns. ES war vorauSznsebc». daß die auswärtige» Gläubiger Griechenlands, sobald eine gewisse Klärung der polnischen »nd parlamentarischen Lage in diesem Staate eiu- getretcu sei» wird, wieder beginnen werken, sich ^ rege» Diese Klärung hat sich nunmehr vollzogen, indem gleich die ersten Krasiproben in der Kammer ergeben haben, daß Ministerpräsident TrikupiS über die absolute Majoriläc verfügt, so daß seine Stellung für absebbarc Zeit als ge sickert angesehen werten kann. Wie TrikupiS in seine», Erpos« z»»i Budgetcnlwurse für daS Iabr 18'.».', der Kammer mitgetheilt hat, haben dieGlaubigerconiitö» Schritte zur Wieder ausnahme der Verhandlungen unternommen. Die Vorschläge der vereiniglen drei EoniiwS sollen, wie von verläßlicher Seile verlautet, dabin geben, daß die griechische Regierung nunmehr ihrerseits Dclegirtc an die EomitöS entsenden und daß als Basis der neuen Verhandlungen das mit kein englischen Eomitö abgeschlossene Special-Arrangement dienen soll, welches seiner Zeit der Gläubiger-Versammlunb in London vorgelegl worden war, ohne daß cS zu einer Entscheidung gekommen wäre. DaS Arrangement soll jedoch vorder darin eine Modisication erfahren, daß die von Griechenland in Zukunft zu zahlenden Schuldzinscn nicht im Voraus sirirt werde», sondern je »ach der Zunahme der zum Dienste der Staatsschuld überlassenen Steuern entsprechend erhöbt werden sollen. TrikupiS glaub! jedoch, wie in RegierungSkreisen er klärt wird, aus diese Vorschläge nicht eingehcn zu können. Man betont zunächst, daß die vorgeschlagene Abänderung des erwäbntcn Speeial-ArrangcmentS eben den Punct betreffe, der ja bisher immer die -Haupldisscren; gebildet hat, da die Ja — zwei und dreiviertel Dutzend Lcvkoyen — daS war ja auch ihre Entschuldigung! Er durste sie gar nicht an- klagen, ihr gar nickt gram sein. Nur sich selbst hatte er zu grollen. Denn im Grunde war er, er allein an Allem schuld. Und noch immer saß er unthätig da. Immer schwerer fand er nun schon seit Wochen, seit Monaten, die reckte Lust an der Arbeit. Schließlich war auch er nur rin Mensch und eS ging zu Ende mit seiner moralischen Kraft. Woher aber neue Kraft schöpfen in dieser LaAe, in dieser trostlosen Häus lichkeit, in dieser aussichtslosen Versunkenheit? Wieder vergingen Minuten, ohne daß er sich rührte. Ja — cS war wirklich vorüber mit seiner zäben Ausdauer, mit seinem nimmermüden Fleiß — vorüber mit jenem unerschütter lichen Selbstvertrauen, daS ihn so lange aufrecht erhalle» Halle. Zwei, dreimal mußte die Milchsrau klopfen, bis Lorenz sic hörte. Mühsam erhob er sich — er sah viel älter aus, als er war — um ihr zu öffnen. Aber sie wollte die Milch nicht da lassen; man war schon seit einer Woche im Rück stand. Und Lorenz hatte kein Geld. Wortlos sab er, wie die Frau ihre Milchkanne wieder schloß — mochte sie gehen! Eben stapfte der Briefträger die schmale Treppe kcraus und wie ein schnell vorüber huschender Lichtschein zog cs über Lorenz Bauer'- Gesicht. Vielleicht doch enolich einmal wieder eine bessere Nachricht? „Zwanzig Pfennig Strafporto!" sagte der Postbote und er dielt den Brief fest. Lorenz suchte verlegen in seinen Taschen; nur zum Schein, denn er wußte genau, daß er da» letzte Zweimarkstück der grau Ramschütz, der Auswärterin, mitgegelcn halte. Um doch etwa« zu sagen, fragte er: „An mich?" „Nein, an die Fräulein Lydia und Klara Bauer — da sind ja wohl Ihre Töchter?" versetzte der Briefträger. „Ja. da« find meine Töchter", seufzte er, „die sind nicht zu Hause. Ich werde fragen, ob sie den Brief aunehmen wollen." Unwirsch steckte jener den Brief wieder ein. Nun mußte er beute noch einmal die vier Treppen herauf klettern. Lorenz war kopfschüttelnd in die Stube zurückgekebrt. Die ganze Wobnunz bestand nur au« dre, Räumen. In dem schmalen Kämmerchen schliefen Klara und der noch nicht sieben jährige Erwin; Lydia war nicht mehr im Hause. In der armseligen Küche hantirtr während einiger Stunden de« Tage« Frau Rciiiischiitz. die mürrische, unordentliche, aber gutherzige Auswäncrin, die nun schon seit Jahr und Tag daS bische» Wirlbsckaft versah. DaS rwciscnstrize Zimmer diente vielerlei Zwecken zugleich. Vor Allem war eS die Werkstatt des Feinmechanikers Bauer; eine kleine Eisendrehbank, ei» eiserner Ofen mit offener Feuerung und geschickt angebrachtem Blasebalg, ein Werktisch mit Schraubstock unv allerlei Gerälh wiesen varaus bi». Aus dem eingedrückten, schäbigen Sopha nächtigte Bauer — noch jetzt waren davon Spuren wahrzu- nctnncn, denn Klara hatte das armselige Bettzeug erst weg genommen, als sie schon den Regenmantel umgebängt. Und Abends speiste die kleine, jetzt nur aus drei Personen be- stcbcnde Familie in diesem Zimmer, daS heißt, wenn man etwas hatte! Noch ein Tischchen stand unter dem zweiten Fenster des Zimmers, an dem sonst Klara zu arbeiten pflegte : auch heule lagen noch allerlei Drablrcstc. Blätter, eine kleine Zange dar auf herum. Gegen die Wand gelehnt stand hier auch die Photographie von „Rudolsinc" — daS war Klärchen'S „Freu» bin", eine um zwanzig Jahre ältere Freundin. Es mochte wohl die einzige dieses traurigen, zerfallenen Hauses sei». Klara batte mit dem Enthusiasmus der ersten Jugend da« Bild mit künstlichen Vergißmeinnicht bekränzt. Aber Bauer, dessen Blick sonst gern aus diesem Bild ver weilte, Halle heute keinen Linn dafür. Seine Gedanken flogen zurück zu dem Briese. Was war daS nur für eine närrische Adresse: Lydia und Klara Bauer! So hießen seine beiten Töchter freilich Ack. eigentlich batte er wobt nur noch eine Tochter, Klara Die Andere war seinem Herzen sienik geworden, wie auch sie sich nicht mebr »in den Vater kümmerte. Der Brief war sonderbarer Weise an Beite gerichtet, ein Schreiben im Gerichl-sormat Wa- batte die Behörde seinen Kindern mitzutbeilen? Vielleicht eine Steuerveranlagung, da eigentlich keine von Beide» ihren Unterbau von idm empfing. Er lackte ingrimmig. Ja wobl, Klara bezog schon seit ein und einem halben Iabr einen Wochenrerticiist von acht bi« nenn Mark. Und Dienstboten, die noch weniger verdienten, waren ja auch nicht steuerfrei. WaS aber Lvdia detras, so würde sich der „Racker Staat" vergeblich bemüht habe», denn ein Einkommen konnte man cS wohl lau», nennen, daß sie nun schon seit dem Tode ihrer Mutier — Bauer S Frau —- bei dem Onkel Jeremias Unterkunft gesunden hatte. (Fortsetzung folgt.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite