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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.12.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-12-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18941215025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894121502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894121502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-12
- Tag1894-12-15
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Srtr«-Beilagen (gesalzt), »ur mit de« Morgen.»luraabt, ohoe Postbesörderuug kl).—, mit Postbesörderung ^g 70.—. Iianahmeschluk für Äazrige»: Ldead-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags »Uhr. Soun- und Festtag» stütz '/,S Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je et»« halb« Stunde früher. Anzeigen find stet« an die Expeditta» zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig Sonnabend den 15. December 1894. 88. Jahrgang. Zur gefälligen Beachtung. Unsere Expedition ist morgen Sonntag, den 16. December, Bormittags nur bis /sv Uhr geöffnet. Expedition des L-elprlxer l'asedlattes. Politische Tagesschau. * Leipzig, 15. December. Schon seit längerer Zeit hat die geschäftliche Behandlung der aus dem Reichstag hervorgegangencu Auitiativanträge zu starken und berechtigten Beschwerden Anlaß gegeben. All- sährlich werben mebrcre Dutzend solcher Anträge cingebracht, und bei der beschränkte», für diesen Zweck zur Verfügung stehenden Zeit kommen die wenigsten zur Verhandlung. Meist sind e« auch stets wiederkehrcnde alte Ladenhüter, die ohne jeden praktischen Zweck nur cingebracht werden, um den Wählern den guten Willen zu beweisen. Dazu kommt die gänzlich planlos gewordene Priorität der einge- drachten Anträge. Ein unwürdiges Wettrennen ist immer mehr eingerissen, um anderen Parteien, selbst noch vor Er öffnung der Session, um eine Pferdelänge zuvorzukommen. DaS trug mit dazu bei, daß häufig ganz unnütze Anträge durch einen Zufall zur Verhandlung kamen, während wichtige Anträge unerledigt liegen blieben. Bisher entschied einfach die im Bureau aufgestellte Numcrirung über die Priorität. Zum ersten Mal ist in dieser Session insofern eine Aenderung getroffen worden, als auf einer Tagesordnung officiell ver schiedene Anträge als gleichzeitig eingegangen bezeichnet wurden. Ueber die Priorität dieser Anträge muß also nvth- wendig eine Entscheidung getroffen werden. In dieser Session trug der Icsuitenantrag des Centrum« die erste Nummer, sein Vorrang ist aber mit einer ganzen Anzahl anderer, als gleichzeilig eingebracht anerkannter Anträge streitig. Der Reichstag hat sich nun gestern mit dieser Angelegenheit beschäftigt, wird aber zu einer Entscheidung erst kommen, wenn die GeschaftSordnungScommissiou, der die gestern in erster Lesung berathenen beiden Anträge überwiesen wurden, ihren Bericht erstattet haben wird. Empfehlenswert!) erscheinen unS beide nicht; der eine, alle innerhalb der ersten l-t Tage der Session eingebrachten Anträge als gleichzeilig eingebracht anzusehen und die Prioritätssrage durch das LooS entscheiden zu lassen, stellt eS dem blinden Zufall anheim, Unwichtiges vor Wichtiges zu stellen; der Zusatzantrag, den bereits in der vorigen Session berathenen Anträgen und Petitionen den Vorrang zu gewähren, bedeutet nur eine geringe Verbesserung. Zweckmäßiger erscheint unS der Vorschlag EnnecceruS, den Anträgen nach ihrer Wichtigkeit und der Stärke der Fraktionen Rechnung zu tragen. Bei dem unerquicklichen Verhältnisse aber, daS jetzt zwischen den Fraktionen herrscht, ist schwerlich darauf zu rechnen, daß ein so vernünftiger Vorschlag die Mehrheit der Commission und des Plenums findet. Zu einer befriedigenden Lösung der Frage wird man wohl erst kommen, wenn die deutschen Wähler sich wieder einen befriedigenden Reichstag bescheeren. Daß der bereits auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung gestellte Bericht der GeschästSordnungS-Commission über den staatsanwaltschaftlichen Antrag auf Genehmigung der strafrechtlichen Verfügung »es Ab«. Liebknecht die A b - lehnung dieses Antrags empfiehlt, ist bekannt und wird auch in der conservativen Presse mehr und mehr aiS correct anerkannt. Dagegen wird eS der Mehrheit der Commission zum Vorwürfe gemacht, daß sie nickt zu der Anregung einer Verstärkung der DiSciplinargewalt deS Präsidenten sich entschlossen hat. Hoffentlich wird diese Versäumniß durch einen Antrag aus der Mitte des Hauses wieder gut gemacht. Jedenfalls aber kann die Commission mit vollem Rechte daS Verlangen adweisen, daß sie mit bestimmten Vorschlägen hätte hcrvortretcn sollen. Dazu war sie nicht beauftragt und hatte bei der Beschleunigung, welche daS staatsanwaltschaftlichc Ersuchen erforderte, auch nickt die Zeit. Ist eS auch sehr leicht, die Nothwendigkeit jener Verstärkung nachzuweisen, so ist eS doch überaus schwer, solche Vorschläge u machen, deren Annabme nicht zu bedenklichen Folgen ührt. Besonders schwierig ist eS, festzustellen, unter welchen Umständen die N i ch tb e th c i l i g u n g von Mitgliedern an einem auf den Kaiser ausgebrachten Hoch bestraft werden soll. Eine solche Nichtbctheiligung unter allen Umständen zu bestrafen, würde sich nicht empfehlen. Nicht mit Unrecht schreibt die ,Wcs.-Ztg.": „Bisher ist daS brausende Hoch aus das Haupt des dcut)chen Volkes der wahre Ausdruck der freien Empfindung der hohen Versammlung gewesen, höchstens durch die Sitte zu einer stehenden Einrichtung geworden. Wenn nach Ansickt deS Staatsanwalts der Straf richter hinter denjenigen Abgeordneten siebt, die sich daran nicht betheiligen wollen, so wird das Hoch erzwungen, wie der Gruß eines untergebenen Soldaten gegen seinen Vor gesetzten; oder wie die Huldigungen, die sich orientaliscl»« Sultane, russische Zaren und Napoleon I. bereiten ließen. Dann kann man nickt mehr sagen: dieses Hock kommt aus dem Herzen deS Reichstags, sondern dann heißt eS mit Recht: in diesem Hoch vermischt sich die Liebe zum Kaiser mit der Furcht vor strafrechtlichen Folgen der Verweigerung. Reichstag und Nation wollen sich aber die Freiheit wahren, ihre aufrichtigen Empfindungen zu bekunden; auch diejenigen Parteien, denen die Staatspolitik zeitweilig nicht nach Wunsch geht, wollen doch bei einem solchen Hurrahrus bekunden, der Herrscher steht über den Parteien, er steht auch uns über den Streitigkeiten des TageS. Wenn der Kaliban, der in der Socialdemokratie steckt, dabei seine niedrige Natur geltend macht, so wendet man ihm gcringschätzend den Rücken." Jedenfalls wäre eS ein Fehler, wenn die ReickStagSmajorität dem Hock auf den Kaiser den Stempel eine- dnrch Furcht vor Strafe erzwungenen ActeS aus- drängcn wollte; aber ein nicht geringerer Fehler wäre eS, wenn die Mehrheit dein „Kaliban", der in der Socialdemo kratie steckt, völlige Freibeit in der Wahl der Mittel zum Ausdruck seiner Gesinnung lassen wollte. In irgend einer Form muß eS, um dem Hoch auf den Kaiser den Charakter eine- freiwilligen GesinnungSauSdruckS zu wahren, den Social demokraten unbenommen bleiben, an diesem Hoch sich nickt zu betheiligen. DaS gesteht selbst die „Kreuzztg." indirect zu, indem sie schreibt: „Selbstredend ist eS unS nicht eingefallen, eine rechtliche Pflicht zum „Hoch rasen" zu constatiren, und natürlich wissen wir ebenfalls, daß an sich eine Unterlassung nur dann rechts widrig ist, wenn eine Rechtspslicht zum gegenüberstehenden Handeln eristirt. ... Di« Unterlassung des Hochrufen» und Sich- erhebeu» zum Hoch ist durch di« begleitenden Umstände rechts widrig geworden. Der demonstrative Ausschluß von einer solchen Lhrerbietungsbezeugung durch Andere muß als die Kundgebung dessen gelten, daß man die von den übrigen geehrte Persönlichkeit seiner- seit» nicht der Achtung für würdig hält/' Aber scharf und unzweideutig die Form zu charakterisiren, in der dw Socialdemokratie ihre Gesinnung zum Ausdruck bringen kann, ohne in eine beleidigende Demonstration zu verfallen, ist nicht so leicht, als Manche glauben mögen. Eine mi koo einzusetzende, auS den erfahrenste» Abgeordneten bestellende Commission wird eine sebr schwierige Arbeit zu lösen haben, wenn sie die Frage, welche Verschärfungen der Disciplinargewalt deS Präsidenten oder deS Seniore»- conventS oder eines besonderen EbrenralbcS nötbig und aus reichend sind» in befriedigender Weise beantworten will. ES ist geradezu empörend, daß die sra»»öfischc Presse allen ministeriellen Erklärungen zum Trotz in gaffenjungen- bastesterManier die deutsche Botschaft noch weiter beleidigt, indem sie dieselbe mit dem Fall DrcyfuS in Verbindung bringt. Die neueste Version lautet, daß der belastende Brief allerdings nicht bei einem Militairattachö, sondern im Cadinet des Grasen Münster selbst gesunden wurde. Einer der französischen, im Solde der Polizei siebenden Diener deS Grafen bade ihn dort gestohlen, und die Auseinandersetzung des Botschafters mit dem Minister deS Aeußern hätte keines wegs die Angriffe der Presse, sondern den Wunsch, das ent wendete Document wieder zu erhalten, zum Gegenstand gehabt. Herr Hanoteaux habe dem Grasen Münster daS Vorzug äelicti zurückgestcllt, da General Mercier es jedoch vorher habe photcgraphiren lassen, hätte eS den Richtern nicht ver schwiegen werden können, und darum müßte die Regierung sich auch dem Drucke der öffentlichen Meinung, den Proccß nicht Vinter geschloffenen Thürcn zu verhandeln, widersetzen. Der Brief an sich sec nicht so gravirend, er erhalte erst Ge wicht durch den Fundort, und da die Regierung unmöglich vor aller Welt eingestehcn könne, daß sie aus den Bot schaften Papiere stehlen lasse, müffe sie auf dem Geheim- verfahren bestehen. Wir sind zu bescheiden, der Be hauptung zu widersprechen, daß die französischen Diener deS Grasen Münster Spitzel sind; die Franzosen kennen ihre Landsleute jedenfalls besser als wir und dürfen sich jede Belehrung hierüber verbitten. Alles klebrige ist für uns durch die Bersicherung der Botschaft, daß keines ihrer Mit glieder von dem Handel etwas wisse, erledigt, nur hätten wir gewünscht, daß Graf Münster an zuständiger Stelle nochmals mit aller Energie über daS schamlose Treiben der Pariser Presse Beschwerde gesuhlt bätte, nachdem sein erster Schritt in dieser Richtung völlig erfolglos geblieben ist. In Paris wird die Aufregung noch so lange dauern, als nicht Gras über die Geschichte gewachsen ist. Je näher der Tag deS ProccsseS heranrückt, desto wüster geberden sich die Leute, und daS Interesse an dem Falle Dreysu« nimmt säst beunruhigende Dimensionen an. Es ist hoch an der Zeit, daß damit ein Ende gemacht werde. Wenn die radical-socialistische Gegnerschaft des italienischen Premierministers gehofft hatte, bei der Verlesung der Giolitti'schen Bankproceß-Documente würden Dinge zu Tage kommen, die CriSpi politisch und moralisch zum tobten Manne machen mußten, haben sie sich grünblichst ge täuscht und ernten nun Hohn und Spott für die Leicht gläubigkeit, die sie den hoble» Prahlereien Giolitti'S cntgegengebracht haben. Die Eindringlichkeit, mit welcher CriSpi »och in letzter Stunde vor der Veröffentlichung der ominösen Papiere warnte, hatte ihren Verdacht noch bestärkt und ihre Erwartungen ausS Höchste ge steigert. Um so beispielloser war ihre Enttäuschung, als die vorgestern in der Kammer erfolgte Verlesung auf den greisen Präsidenten auch nicht den leisesten Schatten zu werfen vermochte und die mit der Prüfung der Documenle betraute Fünscrcommission, welcher auch CriSpi'S geschworener Feind Cavalotti angehörte, erklärte, die Ehre der Kammermitglieder sei vollkommen unberührt. Damit sind die seit Jahren gegen CriSpi und eine Anzahl Deputirter ausgestrcuten Verdächtigungen, als hätten sie bei dem italienische» Panamino die Hand im Spiele gehabt, als elende Jnlriguen, die Giolitti wieder zu Ansehen und Einfluß verhelfen sollten, gebrandmarkt, und auS den stür mischen Beifallskundgebungen der Kammer für den großen Patrioten, an welchen sogar ein Theil der Radicalen sich dc- theiligte, documcntirtcn zur Genüge, daß die Stellung CriSpi'S nie fester gewesen als gerade jetzt, daß dagegen Giolitti eine Rolle als Politiker nunmehr endgiltig auSgespielt habe. Auf ihm bleibt der Makel sitzen, jene Documente widerrechtlich an sich gebracht und in der Weise eines Erpressers als Droh- und BerdächtigungSmittel benutzt zu haben, wiewohl er wissen» mußte, daß ihr Inhalt nicht der compromittirende war, den er andeutete. Mau erinnert sich, daß Tanlongo und sein Cassirer Lazzaroni, wegen Verschleu derung der Gelber der Banca Romana angeklagt, frcigesprochen wurden, weil sie glaubwürdig darthun konnten, daß sie auf böhere Anordnung gebandelt batten. Zugleich stellte eS sich heraus, daß scheinbar wichtige Papiere, die bei der Haussuchung beschlagnahmt wurden, verschwunden waren. Der Juslminister mußte wegen dieses Verschwinden« eine Untersuchung an stelle«, deren Ergcbniß die Thalsackc bestätigte. Eine Ver folgung der Schuldigen trat aber nickt ein, weil auch sie aus den Befehl eines Höheren gebandelt hatten. Wer dieser Höhere sei, wurde bald bekannt: eS war Giolitti, der vorige Ministerpräsident, der erst lange geleugnet hat, die Docu- mentc beseitigt zu baden, nun aber de», allgemeinen „Heraus mit den Papieren, wenn sie wirklich so belastender Natur sind!" nickt länger widerstcken konnte. In Giolitti'S Acteiidüiidel» fanden sich auch Briefe von CriSpi'S und seiner Gattin Hand, aber sie sind durchaus privater Natur ohne jedwede politische Bedeutung. Die acht Briese CriSpi'S und 102 Billcts seiner Frau slaminen durchweg aus dem Jahre l875, sind also l!» Jadrc alt und waren zumeist an den längst gestorbene» s. Zi. entlassenen Hausverwalter CriSpi'S, Do» Achillc Lanic, gerichtet Aber auch die übrigen Schrift- stücke sind wesentlich minder bedenklichen Charakters, als Herr Giolitti durch seine Gehcimnißlhucrei geflissentlich glauben machte. Da „die Ehre der Kammcrmitglieder unberührt" ist, dürste cö sich wohl nur um Schulden einzelner Parlamentarier an die Banca Romana bandeln, deren Entstehung. Begleichung oder auch Nicht begleichung mit der Politik und der Bankcorrnptio» nichts zu thun hatte, sondern lediglich unter geschästSmänuischc Ge lichtSpuncte fällt. — Eine sehr erfreuliche Frucht dürste die Action Giolitti'S und der social-radicalen Clique noch zeitigen: die Erweiterung der Machtmittel de« Kammer präsidenten,denn die letzten „Panamino"-Dcdatlen baden die Ucdcrzcugung zur Reise gebracht, daß dcnAuöschreitungen einer verschwindenden, alles AnstaiidcS baaren Minderheit energisch entgegengetrclei, werden muß, wenn die Kammer zu ernster Arbeit gelangen soll, und wie verlautet, wird CriSpi einen dahingehenden Antrag einbringe», welcher eine Censur jein- sührt, die eS der Kammer ermöglicht, Abgeordnete, die in der angedenteten Weise die Wurde deS Parlament« mit Füßen treten, für kürzere oder längere Zeit auSzuschlicßen. Mit der erhofften Einführung der allgemeinen Schul pflicht in Rußland scheint es doch nicht so rasch zu gehen, als man »och vor Kurzem zu glauben berechtigt war. Da» Hauplhinderniß bildet die finanzielle Seite der Angelegenheit und ist dieselbe schon an und für sich, selbst abgesehen von dein in kurzer Zeit nicht zu bewältigenden Mangel an er forderlichen Lehrkräfte», geeignet, dem großen Plane engere Grenzen zu ziehen. Die Anfangs gehegte Absicht, die allgemeine Schulpflicht in zehn Gouvernements cinzuführrn, scheint ausgcgeben zu sein; dagegen wird da« Projekt der Einführung von Wanderlehrern für einzelne Gemeinde Feuilleton. Sein Lrbe. Ss Eine Familiengeschichte. Bon M. von Buch. Nachdruck «erboten. (Fortsetzung.) „Aber ich will nicht", erklärte er trotzig. Dabei ward in der hoben Kinderstirn eine Falte sichtbar, und Charlotte bemerkte plötzlich, wie so ganz und gar er seinem Vater gleiche. „Gerhard", sagte die junge Frau leise und zog den Knaben an sich, „muß ich er>t wieder böse werden'? Tu weißt, da« betrübt mich." Al« der Knabe in die traurig auf sich gerichteten, großen Augen blickte, verschwand blitz- schnell der trotzige Ausdruck. Er schlang die Arme um die Mutter und sagte schelmisch: „Für die Tante ist die alte Jacke schon gut genug, aber weil Du e« so sehr gern willst, thu' ich Dir den Gefallen und lasse mich umkleiden." Hastig sprang er davon; dir junge Frau lächelte eigen. Dem Starrsinn Gerhard « konnte sie nur durch Liede wirk sam begegnen; wunderbar, daß e« ihr nicht einfiel, die« Mittel auch ihrem Gatten gegenüber anznwenden. Sophie von Schwechten, Holldrackt'S einzige Schwester, war einige Jahre älter al« er. Nachdem ihr Gatte seine militairische Laufbahn mit dem MajorStitel beschlossen hatte, verwaltete sie unumschränkt sein bedeutende« Besitzthum, während er sich mit Büchern und Pfeifen ein bequeme« Da sein schuf. Hau« und Hof standen sich gut dabei, denn Sophie war nicht nur tbätiz und umsichtig, sondern auch klug genug, Angelegenheiten, die außerhalb ibres Bereich« lagen, ihren tüchtigen Beamten zu überlassen, in deren Wahl sie da« Glück und ihr praktischer Verstand begünstigten. Trotzdem sie die zu Zeiten unbequeme Eigenschaft besaß, den Menschen die Wahrheit zu sagen, war sie doch, ihrer großen Gutmütdigkeit und steten Hils«dereitsckast wegen, sehr beliebt in der Umgegend; man übersah ihre kleinen Eigenthümlich- keitrn und wunderte sich nicht mehr, wenn sie im Frühjahr hochgeschürzt und in Männrrstiefeln die Felder revidirte. Da« einzige Kind de« Paare», eine Tochter, war bereit« vrrmäblt. Ms Karl vo« Hollbracht der Schwester feiere zweite Ver lobung mitgetheilt, hatte sie den Kopf geschüttelt und gesagt: „Verschiedene Vögel in einem Nest taugen nicht«." „Nun, so weil ist'« noch nicht", lachte der Bruder. „Wenn denn einmal geheiratbet sein muß", fuhr sie un beirrt fort, „so hättest Du wenigsten« eine etwa« ältere Frau nehmen müssen. Ich begreife nicht, wie Du auf Charlotte Jaßnitz verfallen konntest." „Ader da« Mädchen ist reizend, und vor Allem hat sie wunderhübsche Augen." „Dumme« Zeug; sag' mir, warum hast Du sie ge nommen?" „Sag' mir. warum hast Du Deinen Mann geheirathet suchte er sich schlagfertig au« der Schlinge zu ziehen. „Wir waren beide jung, in der Jugend hat man da« Privilegium, Dummheiten zu machen", meinte Frau von Schwechten. „Du mit Deinen fünfundvierzig Jahren hättest indessen klüger wählen sollen, denn von dem achtzehn jährigen, jungen Dinge kann man noch keine Vernunft verlangen." Damit war da« Gespräch über den Gegenstand beendet. Sophie kam trotzdem der jungen Frau sehr freundlich ent gegen, war doch der dumme Streich de« Bruder«, wie sie die Hrirath nannte, ohnehin nicht mehr zu ändern. Char lotte indeß empfand eine gewisse Furcht vor ihrer energischen Schwägerin. Auch beute mußte sie sich nach besten Kräften bemüben, ihrer Empfindsamkeit Herr zu werden, al- Frau Sophie in dem guten Porzellan, da« natürlich nur ihr zu Ehren herauSgegcben war, einige Sprünge entdeckte, von denen sie behauptete, daß sie neueren Ursprung« seien, während dir junge Frau ganz genau wußte, die Sachen schon damit übernommen zu haben. „Ich bin neugierig aus Deinen Bau", sagte sie, reckte die kleine, rundliche Figur etwa« höher und wendete da« Haupt mit den vollen, blonden Haaren, die sie stet« glatt gekämmt hatte. Herrn von Hollbracht zu. „Ja, offen gesagt, dm ich nur darum gekommen." „Biel Ehre für uu»", lachte er. „Ick wollte eigeutlich Eugen mitbringen, aber er hat seinen Besuch noch aus einige Wochen verschoben", fuhr sie fort. „Eugen Schwechten", erklärte Holldrackt der jungen Frau, „,st nämlich meiner Schwester Liebl,ng«nrsfe und wird grenzenlos von ihr verwöhnt. Du kennst ihn noch nicht." „Glaube ihm nicht, Charlotte", widersprach Sophie. „Sage, ist «i« Attdrr Mosch, »in brauchbar«,, tüchtig«. Osficier und muß sich mühsam durch« Leben schlagen, da die Eltern den beiden Jungen, ihm und dem jüngeren Bruder, keinen rothen Heller Vermögen hinterlassen haben." ,M>rz und gut, ein Musterknabe, und die sind bekanntlich alle unausstehlich", bemerkte Hollbracht. „Er ist ei» allerliebster Mensch, und ich werde mich freuen, wenn Charlotte das auch findet", fiel ibm Sophie mit einem strafenden Blicke in die Rede. „Ich begreife übrigens nicht, waS Du gegen ihn hast. Doch, uni aus ctwa« AndereS zu kommen, Karl, Du weißt, daß Wellnitz Seeberg verkaufen will?" Herr von Wellnitz war Hollbracht'S nächster Nachbar; Seeberg und Walddorf lagen kaum eine halbe Meile aus einander. „So, will er verlausen?" meinte Hollbracht gleichmllthig, „lange genug hat er davon gesprochen." „Nun, ich kann c« ihm auch nicht verdenken. Er säet wohl, doch er erntet nicht, und wie ihn der himmlische Bater bisher ernährt hat, ist mir ein Räthsel." Hollbracht lachte. „Und doch ist au« Secberg viel zu machen. Dir FrühjahrSwasser dringen nur dem Acker ent setzlichen Schaden, aber dem Uebcl wäre zu steuern, wenn Wellnitz die Sacke richtig angrifse. Vor allen Dingen müssen die ganzen Wafferverhaltniffe geregelt werden. Auch die Wiesen sind gut, doch jetzt versauert da« Heu darauf." „Mein Himmel, wie kannst Du nur eine Lanze für Scc- berg brechen?" erwiderte Sophie; ,.e« klingt fast, al« ballest Du Lust auf da« unglückliche Ding. Mich soll wirklich wundern, wer darauf bineinsällt. Was sagst Du, daß der „rotbe Christian" wieder im Dorse ist?" Der rothe Christian war der Eigenthümer einer kleinen Kate in Walddorf und hatte den Beinamen von seinem fuchSrothen Bart- und Haupthaar erhalten. „ES läßt mich höchst gleichgiltig", sagte Holldracht ans die Frage der Schwester, sich behaglich in den Sessel zurück lehnend. „Nun höre, ich an Deiner Stelle würde doch eia wenig aufpaffrn. Du hast ihn in« Gefängmß werfen lassen, weil Du ihn beim Wildern ertapptest, aber der Stachel an der Geschichte ist und bleibt für >bn der, daß Du ihn aus seinem eigenen Grund und Boden abgefaßt hast. Da» wird er Dir auch nicht vergessen " „Meinetwegen, Sophie, ich kann'« nicht ändern." „Nein, aber Vorsicht ist geboten, und Euer Wächter ist ei» «vzuvnlLssi,« Mensch." „Als vor einigen Jahren in Bergern die Miethc aus dem Felde brannte, hieß es auch, der rotbe Christian bade sic aus Racke angesteckt, weil Onkel Jaßnitz bei ihm Haussuchung anstelle» ließ", mischte sich die junge Frau in« Gespräch. „Nun, bei der Melde hat sicher irgend ein unzuverlässiger Arbeiter geraucht, und der rothe Christian hat den Sünden bock für den Brand abgeben müssen", meinte Hollbracht. „Ich kenne den Mann, so lange ich Lenke, er stiehlt wir ein Nabe und schießt, was ibm vor die Finger kommt, kurz, er handelt ohne viel GewissenSscrupcl, wenn er irgend einen reellen Nutzen siebt, aber weiter gehl er nicht." „Wie kannst Du den Charakter eines solchen Menschen beurtkeilen wollen?" fragte Charlotte erregt. „Versprich mir wenigsten«, daß Du Sophie « Warnung nicht ganz unbeachtet lassen willst. Mein Gott, ich kann mich jetzt schon namenlo« ängstigen, wenn ich an all' die Möglichkeiten denke. Könntest Tu denn nicht einen besseren Wächter anstelle»?" „Da hast Du eS, Sophie", meinte Hollbracht, „und etwa« Schönes hast Du angerichtet. Spare ein andermal derartige Nachrichten für mich allein auf, statt sie im Familienzimmer vorzudrinzen, Du siebst, wie thöricht diese kleine Frau ist. Alles soll ich jetzt aus den Kopf stellen lassen." Die Worte sollten scherzend klingen, aber der Groll klang vor, die Bemerkungen seiner Frau hatten ihn verdrossen. „Warum soll Cbarlolte nickt Deine Sorgen theilen?" fragte Sophie gleichmüthig. „Sie ist Deine Frau und kein Kind, und wenn sie Dich nickt zur Raison dringt, so liegt die Sache an Dir und nickt an ihr. So, und nun komm, Karl", sagte sie. die Tasse hinsctzent, „nun wollen wir aus den Bau platz gehen." Die Geschwister wanderte» draußen hin und her. Hollbracht gab die Erklärungen ab, und Sophie hörte schweigend zu, während ihre scharfen Augen lebhaft umherschweislen, damit ihr keine Einzelheiten entgingen A>S sie sich zur llnikebr an» schickten, fragte er bald lachend, halb ärgerlich: „Du schweigst, die Sache gefällt Dir wobl nicht?" „O doch, die Scheunen gefallen mir sebr, aber daß Du Alle- und Alle« verändern willst, nimmt mich Wunder." „Die Ernten waren sehr aut", sagte er. Sie zuckte die Achseln. „Mack' mir nicht« weiß. Du baust von dein Gelbe Deiner ersten Frau, das eigentlich Gerhard gehört und daS Tu vernünftiger Weise »n Berkenbausen an- legen solltest. Dort ist eS nothwendig." „Ol>o. meine Frau hat mir da- Vermöge« «vertraut, «ach meeuem Ermessen kan, ich r« verwalt«»."
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