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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.12.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-12-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18941227029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894122702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894122702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-12
- Tag1894-12-27
- Monat1894-12
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Diesmal ist die Sache wohl vor- dereitct, während die im October angeknüpften Verhandlungen bekanntlich scheiterten, weil die Boycoll - Interessenten die jocialdemokratischen Massen gegen eine Verständigung derart wfzubringen wußten, daß Herr Auer, der die Vereinbarungen tem Abschlüsse nahe gebracht hatte, sich selbst LeSavouiren und überdies au« der socialdemokratischen Boycottcommission auStretcn mußte. Der jetzt abgeschlossene Pack bedeutet eine Nachgiebigkeit der Brauereien in concreten Einzel- beiten und ein Zurückwcichen der Socialdemokratie im Princip. Durch alle Tiradcn de« „Vorwärts" und dir Vcrsammlungsrcdner konnte die Thatsache nicht ver- tonkelt werden, daß der Boycvtt au« der politischen Forde rung nach Freigabe des ersten Mai hervorgegangen war. In einer Rixdorser Brauerei waren Arbeiter, die am „Welt seiertag" der Betriebsstätle ferngeblieden waren, am folgenden Tage nicht mehr angenommen worden. Die Boycollirung dieses Etablissement« beantworteten .11 andere Brauereien dahin, sie würden einen Theil ihrer Arbeiter entlassen, wenn der Berrus der Rixdorser Brauerei bi« zu einem bestimmten Termin nicht zurückgenommcn sein werde. Nachdem der Widerruf ausgeblieben war, folgten am >5. und 16. Mai die Lngekündigten Entlassungen und diesen wiederum die Boycottirung der sämmtlichen verbündeten Brauereien. Diese Entlassungen bezeichnen also nicht dSn Beginn des Streites, der Feindseligkeiten, diese waren vielmehr durch den Rixdorser Boykott oder, wenn man will, durch die partielle Maiseier eröffnet worden. DaS socialdemokratische Unternehmen hatte keinen anderen Zweck, als einem Gewerbe die Duldung derMai- seier abzutrotzen, um nach dem Gelingen andere Industriezweige auf die gleiche Weise zu tcrrorisiren. Nach dem Scheitern der October - Verhandlungen erklärte denn auch der „Vor> wärts", die Socialdcmokratie wird nicht eher den Frieden bewilligen, bi« die Maifeier zugestanden sei. Auf dieses eigentliche Kampfesziel bat die Socialdemokratie verzichtet; der 1. Mai wird in der perfect gewordenen Abmachung nicht er wähnt. Dasselbe gilt von dem anderen caudinischen Joche, da« die Arbeitgeber durchschreiten sollten. Es war nicht weniger verlangt worden, als daß die Brauereien die Ver pflichtung übernehmen sollten, ihre Arbeitskräfte ausschließlich von einem von der socialdemokra- tischen Parteileitung ressortirenden Arbeit- Nachweise zu beziehen. Auch davon ist in dem ge troffenen Abkommen nicht die Rede, im Gegenthcilc bildet die Grundlage der Vereinbarung ein von den Brauerei. Unternehmern neu errichteter Arbeitsnachweis. Die Be Nutzung dieses Arbeitsnachweises ist den wegen der Maifeier und der Rixdorser Boykotterklärung entlassenen Arbeitern sreigcstellt und zwar nicht infolge eines Angebotes der Arbeitgeber, sondern durch die nicht erbetene Vermittelung einer außerhalb des Berliner Bier - Interessentenkreises stehenden Persönlichkeit. Herr Singer hat die neue Ein richtung acceptirt und dabei abci zwei Zugeständnisse erlangt Mai in Abwehr der Rixdorsei Erstens werden die un Mai in Abwehr der Rixdorser Boycotterklärung entlassenen Arbeiter, insoweit sic noch keine Beschäftigung gefunden haben, in den Listen deS Arbeitsnach weises vor den übrigen Arbeitsuchenden geführt. Zweitens werden 31 als Rädelsführer namhaft gemachte Arbeiter, deren Wiederaostcllung im October verweigert worden war, zur Benutzung deS Arbeitsnachweises zugclassen, jedoch mit der Feuilleton. Lein Erbe. 11f Eine Familiengeschichte. Bon M. von Buch. N-chdruL »erdol«». (Fortsetzung.) Als am nächsten Morgen Hollbracht wiederkam, hatte die junge Frau ihren Entschluß gefaßt, sic willigte in die Trennung von dem Knaben um seinetwillen. Triumphirend zog Hollbracht aus seiner Brusttasche die beglaubigte Abschrift des Testaments und händigte sie Charlotte ein. „Ich wußte, daß Tu ihn mir lassen würdest", sagte er. I« diesem Testamente war ElemenS zum alleinigen Erben der Hollbracht'schen Güter eingesetzt, Gerhard erhielt vom Vater nicht mehr, als den gesetzmäßigen Pflichltheil. Die junge Frau durchlaS daS Schriftstück, doch die Worte verschwommen ihr vor den Augen; sie meinte, sie verkaufe ihr Kiud. »Mit Frauenliebe habe ich kein Glück", sagte Hollbracht, .doch die meines KindeS werde ich mir erwerben. Nimm jetzt Abschied von ihm, Eharlotte." Laut aufschluchzend drückt sie das Kind an ihre Brust, da« erschreckt von der stürmischen Zärtlichkeit in lautes Weinen auSbricht. Da nimmt eS Hollbracht schnell auf und trägt e« die Treppe binab. .Ihm nach", ist ihr erster Ge danke, doch an der Thürschwelle sinkt sie wie gelähmt in die Knie. Mit vorgebeugtem Haupt lauscht sie aus die allmählich verklingenden Schritte, nun hört sie nichts mehr, doch borch! unten knarrt die Hausthür in den Angeln. Da rafft sie sich aus und stürzte an daS Fenster. Unten aus der Straße sieht sie da» lockige Köpfchen noch einmal austauchen und blickte in die großen, thränenden Kinderaugen hinein. .Mein Lieb ling, mein Liebling", schluchzt sie mit erstickter Stimme, und sie ahot, daß sie im Leben zum letzten Mal in sein Auge geschaut. Im Verlaus eines JabreS sprachen die Gerichte daS trennende Wort au-, die Ehe zwischen Eharlotte und Karl von Hollbracht wurde gelöst. Die Angelegenheit wirbelte im Allgemeinen nicht viel Staub aus. Hollbracht hielt sein Wmclj sein Recht»b«ista«d war ermächtigt, der anderen Maßgabe, daß sie nicht in den Brauereien, in welchen sie vor dem Ausbruch des Streites beschäftigt waren, angenommen werden. Nur an Viesen 31 und ihrem Anhänge scheiterten im October die Verhandlungen, und eS ist deshalb die Fest- bcllung wesentlich, daß sie nicht nur den den übrigen Ent lassenen gewährten Vorzug in den Nachweiölistcn nicht erkalten und der eben erwähnten Ausschließung von der lrübercn Arbeitsstelle unterliegen, sondern auch zum Untcr- chied von den anderen Entlassenen an der erstmaligen Wahl ür daS Curatorium des Arbeitsnachweises sich nicht bc- thciligcn dürfen. Auch die Bestimmung des UebereinkommcnS, daß bei der nächsten — in den Betriebsverhältnissen be gründeten — Arbeitervermindcrung die wegen des Mai- streikS und Boycotts Entlassenen „nicht in erster Linie" abgelegt werden sollen, findet anscheinend auf die 31 keine Anwendung. Von diesem Angriffe der Social demokratie gegen das Bürgerthum gilt, was Schiller von ist- dem Kampfe seine- Stainmeshelden gegen die Reullinger schonend sagte: „Er griff sie an, siegte nicht." Unsere wiederholt ausgesprochene Ansicht, daß durch eine kräftig be kundete Solidarität anderer Gewerbe der Braucrciboycott rascher und eindrucksvoller hätte beendigt werden können, wird durch den zufriedenstellenden AuSgang der Affaire aller' ding- nicht erschüttert. Die in der Sitzung de- Reichstags vom l7. d. MtS. festgestellte veschlutzunfähigkett des Hauses hat zu einer ganzen Reihe von Vorschlägen zur künftigen Vermeidung deS UebclS geführt. Die meisten dieser Vorschläge sind indeß schon früher gemacht und von der Presse mit gutem Grunde zurückgewiesen worden. So ist gegen die Herabsetzung der BcschlußfäbigkcitSziffcr geltend gemacht worden, durch eine solche Maßregel werde der Besuch der Sitzungen höchst wahrscheinlich noch vermindert werden, und gegen Len Vorschlag, unentschuldigtcö Ausbleiben unter Strafe stellen, wurde eingewcndct, ein solches Mittel entsprächen», der Würde und dem Ansehen der deutschen Volksvertretung. Die Einführung von Diäten stößt bekanntlich beim BundeS- rath aus Abneigung und ist überdies ein sicheres Mittel zur Verhütung der Bcschlußunfähigkeit nicht. Endlich wird vor geschlagen, die Geschäftsordnung deS Reichstags dahin zu ändern, daß künftig rein chicanöscn Anträgcu auf AuS zäblung des HauseS, die darauf hinauSlausen, die Beschluß Unfähigkeit zu constatircn, nicht mehr Folge gegeben zu werden braucht. Dieser Antrag veranlaßt nun die „Ham burger Nachrichten" zu dem Hinweise, Laß cö einer solchen Abänderung der Geschäftsordnung gar nicht bedarf, um die Verhandlungen vor Abbruch wegen Bcschlußunfähigkeit zu sichern: „Auf die Fortsetzung der Verhandlung hat die Constatirung der Beschlußunfähigkeit des Hauses gesetzlich auch jetzt schon keinen Einfluß. Art. 28 der Verfassung bestimmt nur, daß zur Beschlußfassung die absolute Majorität im Hause an wesend sein, daß also die Abstimmung unterbleiben muß, wenn Lurch Auszählung die sonst stillschweigend vorausgesetzte Beschlußsähigkeit des Hauses als nicht vorhanden er- wiesen ist. Professor Laband, bekanntlich einer der ersten Autoritäten aus dem Gebiete des deutschen Staatsrechts, schreibt in seinem Werke über dasselbe Band I, S. 563: „Nur zur Be- fchlußsassung, nicht zu den Verhandlungen des Reichs- läge« ist die Anwesenheit einer bestimmten Anzahl von Mitgliedern ersorderlich. Debatten können daher fortgesetzt werden, selbst wenn die Beschlußunsähigkeit des Hauses constatirt ist." Stellt ein Abgeordneter aus irgend welchen Gründen einen Antrag, über den abgestimmt werden muß, und wird dabei die Beschlußunfähig!- keit constatirt, so braucht die Sitzung nicht aufgehoben zu werden, sondern es kann nur über den Antrag nicht ab- gestimmt werden: die Verhandlung selbst dars sortgesetzt werden. Die Verfassung kennt eben nurBeschluß Unfähigkeit, nicht Ber- haudlungSunsähigkeitdes Reichstages. Schon der Ausdruck „Be> chlußnnsähigkeit" schließt seine Anwendung aus Verhandlungen, die keine Beschlüsse sind, aus. Daß mit dieser Beschränkung ein politisches Unrecht nicht geschieht, bedarf kaum des Nachweises. Es ist nicht einzusehen, weshalb bei ersten Lesungen u. s. w., wo keine Beschlüsse gefaßt werden, durchaus die absolute Majorität im Hause anwesend ein muß. Thatsächlich liegt die Sache so, daß die Fractione» vorher ihre Stellung genominen, ihre Redner bezeichnet haben und daß wer außerhalb dieses Rahmens ein Interesse daran Hai, aus die erste Lesung einzowirken, schon auS eigenem Antriebe zur Sitzung kommen wird." Es ergiebt sich hieraus, daß am l7. d., als der social demokratische Antrag auf Auszählung deS Hauses die Beschlußunsähigkeit de« HauseS ergeben hatte, ein recht licher Grund zur Vertagung der Verhandlungen nicht vorlag und daß also eine Aenderung der Geschäftsordnung nicht nöthig ist, um die Weiterberalbuna de« HauseS auch dann ^u sichern, wenn die Beschlußunsähigkeit sestgestellt an sollte daker, bevor man AenderungSvorjchläge ernstlich in Betracht zieht, den Versuch machen, wie weit man mit dem zweifellosen Rechte deS HauseS kommt, auch nach constatirter Beschlußunsähigkeit weiter zu verhandeln. Erreichen die Herren, welche die Auszählung beantragen, ihren Haupt zweck — Abbruch der Berathuogen — nicht, so werden sic mit ihren AuSzählungSanträgen Wohl von selbst zurück haltender werden. In Italic« beginnt die Bewegung, welche durch die Ver öffentlichung der Giolitti'schen Documente hervor- aeruscn war, sich zu legen, denn eS gelangt immer mehr die Ansicht zum Durchbruch, daß die erwähnten Schriftstücke nichts Wesentliches enthalten, daS nicht schon früher bekannt gewesen wäre. Die Bedeutung der Coalition der von di Ru di ui, Brin, Zauardelli und Cavallotti geführten Gruppen gegen den Ministerpräsidenten EriSpi, erscheint in Anbetracht dieses Umstandes, sowie auch angesichts der Art der Durch sübrung der von diesen Abgeordneten erössneten Action, bc trächtlich vermindert. Man hebt in parlamentarischen Kreisen hervor, daß, woraus wir schon hingewiesen haben, die genannten Politiker sich nicht, wie man vcrmuthet hatte, mit einer collectiven Kundgebung an die Gesammt- heit der Italiener gewendet haben, sondern daß jeder für sich an seine Wähler mit offenen Schreiben oder mit Reden berantritt. Die« allein genügt, um die Wirkung der gegen CriSpi eiageleitcten Campagne wesentlich abzuschwächen. Allem Anschein nach werden EriSpi seine politischen Erfolge auch über die Jahreswende hinaus treu bleiben. In der öffentlichen Meinung seines HeimathlanteS wenigstens hat EriSpi sowohl bei den Mittclclassen als auch bei der breiten Schicht der arbeitenden Bevölkerung gewonnenes Spiel. Ersterc wissen ihm Dank, daß er die zu keiner ernsten Arbeit mehr sähige Kammer nach Hause geschickt, sie sind der ewigen unfruchtbaren Kämpfe um die Macht, welche eine Hand voll ekrgeiziger Leute unter schwerer Schädigung deS allgemeinen Wohles abwechselnd gegen einander führt, end lich müde ; Letztere, die Arbeiter, begrüßen in EriSpi, dem Urheber des Verbotes der socialdemokratischen Hetzvcreine, ihren Erlöser von dem Terrorismus einer wüsten Um- sturzcligue, welche jeden ehrlichen Mann, der ihren despotischen Weisungen nicht willenlos nachkam, mit Dolch und Dynaniit bedrohte. Das Gros der italienischen Arbeiter schaft ist nämlich im Grunde deS Herzens, trotz alles Gefasels der Umstürzler von internationaler Jntercffcnsolidaritäl deS sogenannten vierten Standes, königStreu und vaterlandsliebend. Die Arbeiter wollen gar keinen Wechsel, weder der Rcgic- rungszcwalt noch der Staatsform. Sie hängen an der nationalen Monarchie deS HauseS Savoyen und betrachten EriSpi als den Mann, Italien aus den gegenwärtigen inneren Schwierigkeiten hinauSzuhelsen. Im Einzelnen freilich sind sie nicht ohne Wünsche. Sie verlangen wirthschastliche Reformen, Steuererleichterung, Schutz der natiooaleo Arbeit und Steigerung de« Arbeitsertrages. Aber ihr politischer Jnslinct, der bei den Italienern durchschnittlich Wohl auS gebildet ist, sagt ihnen, daß cer von den Socialdemokratcn empfohlene Umsturz de« Bestehenden für die Arbeiter mit dem wirtlisckaftlichen Selbstmord gleichbedeutend sei, wo gegen sic in EriSpi daS feste Zutrauen setzen, er wolle ihnen Helsen und werde idnen auch Helsen können, sobald er nur freie Hand gewonnen habe. Deshalb sind auch die Sym- palbie» der Arbcitcruiasscn im Streite EriSpi« mit der Kammer ganz auf Seiten des Ersteren, und sie würden es nicht verstehen, wenn EriSpi, nachdem er so weit gegangen, seinen Weg nicht vollends bis zum Ziele sortsetzrn würde. In Rußland sowohl, wie weit über dessen Grenzen hinan«, hat eS einen sehr guten Eindruck gemacht, daß der Zar die wegen Widerslandes bei Schließung der katholichen Kircke in Kros che Vcrurtheiltcn begnadigt und dem Gouverneur von Kowno, Kliugenberg, dem Urheber jener in der Kirche verübten Grcuelthaten. den Abschied gegeben hat. Au» scheint eS sich zu bestätigen, daß der Gencralgouverneur von Wilna, Orschcwski, demnächst seinen Posten verläßt. Ueber die Ursache de« bevorstehenden Personenwechsels wird Folgende- berichtet: Die Enthebung Orschewski's geht aus die bekannten Vorgänge in Krosche zurück. Tie Bauern, die sich dainais der Schließung der katholischen Kirche mit ihren Leiber» widersetzten, wurden von dem Gerichte in Wilna abgeurtheilt. Tem Buchstaben des Gesetzes »ach konnte keine Freisprechung erfolgen, aber der Gerichtshof begnügte sich nicht nur damit, auf die zulässig niedrigsten Strafen zu erkennen, sondern machte auch von seiner Beiugniß Gebrauch, an de» Zaren eine Eingabe wegen Milderung des llrlheilsspruches z» richte», da durch die Gerichtsverhandlung fest- gestellt ward, daß den traurige» Vorgängen politische Motive gänzlich serngelege» hätten. Generai-Gouverncur Orschcwski richtete seinerseits ein Schreiben an den Justizminister, in welchem er das Gejuch des Gerichtshofes sehr absallig kritisirte und sich in der entschiedensten Weise gegen jede Begnadigung der Verurtheiiten aiissprach, da er andernfalls das Prestige der Administration nicht ausrecht erhalte» könne. Zugleich wünschte Orjchewsti. daß sein Brief zur Kenntnis! des Zaren gebracht werde. Am 17. December hielt der Jnstizinlnister Murawiew dein Zar über den Fall von Krosche Vortrag. Der Kaiser ließ sich Las llrtheil des Gerichtes ausführlich dartegen und äußerte seine Besrirdigung über den Standpunkt des Gerichtes in dieser Frage. Das Gnadengesuch, sagte er. gereiche dem russischen Richterstande zur Ehre. Darauf bemerkte Murawiew, daß ec in dieser Angelegenheit »och einen Brief Orschewski's erhalte» habe, den di^er zur Kenntnis) des Zaren gebracht zu sehen wünschte. Ohne einen Blick auf diesen Brief zu werfen rief der Zar aus: „Nicht wahr, Orschcwski verlangt natürlich, daß das Gnadengesuch u». berücksichtigt bleibe'?" Aus die bejahende Antwort Murawiew» meinte der Zar: „Nun so brauchen Sie mir den Brief Orschewski's nicht erst vvrzuiegen: demselben ist keine Folge zu geben " Tags daraus circulirle bereits in der höheren Petersburger tMelljchai: das Gerücht, daß Orschemski unter diesen Umständen nur der Rück tritt von seinem Posten übrig blieb. Zur Illustration des Verkehrs deS Zaren mit seine» Ministern wird in Petersburg Folgendes erzählt: Ter Kriegsmiiiister von Wannowski präsentirle dieser Tage einen Oberst zur Beförderung zum Generalmajor „sür Auszeichnung". Der Zar veiiicrkte, diese Beförderung gehe gegen die gesetzlichen Bestimmungen, »nd fragte, weiches denn die Auszeichnungen feie», die eine solche Ausnahme von dem Gesetze rechtfertigten. Ter Kriegsminislcr zählte nun die Verdienste des betreffen- den OssicierS her, aber der Zar sagte: „lind dennoch vcr- stößt diese Beförderung gegen das Gesetz!" Als der Kriegs- minister daraus entgcgnete, daß Alexander lll. in solchen Fälle» immer Ausnahmen gemacht habe, sagte der Zar: „Ja, mein Vater war ein sehr erfahrener Regent, ich aber bin mich >ung. Geben Sie daher Ihre Vorstellung in die Jnspectnr-Behörde. Falls die- selbe damit einverstanden ist, daß diese Ausnahme gemacht werden kan», werde ich mit Vergnügen unterschreiben," Bezüglich de« Partei m jeder Weise entgegenzukommen, um den Gang der Handlung zu beschleunigen und jeden unnützen Scandal zu vermeiden. Hinter Eugen von Schwechtcn, der vielfach genannt wurde, stand der junge, romantisch veranlagte Prinz, der der Liebes- cpisode seines Freunde- die vollste Sympathie cntgegentrug und als Gegengewicht gegen alle Verleumdungen der Läster rungen seinen Namen und seine Stellung in die Waag schale warf. Bald nach Ausspruch deS Gerichts, der Eharlotte die Freiheit wiedergab, wurde Eugen, unter gleichzeitiger Ver setzung, zum Capitain ernannt. Noch ehe er dann in seine neue Garnison übersiedelte, führte er die schwergeprüfte Char lotte. nur in Gegenwart weniger Zeugen, an den Traualtar. Und als sic sich Treue schwuren, als sic sich angehören dursten für- Leben, da entschwand ihr zum ersten Mal da« thränende Gesichtchen de« Kinde», daS sic seit jener Zeit vor sich gesehen im Schlafen und im Wachen. Die trüben Bilder der Vergangenheit versanken vor dem Glanz der tiefen, treuen Augen de« Mannes, für den sie alles dabingegcben, um einer neuen Zukunft entgegenzugehen. Sic vergaß der Vergangenheit mit dem Rechte der Liebe. Neunte- Capitel. Rach fünfzehn Zähren. Man schrieb das Jahr 1848. Eine neue Zeit war über die Welt gekommen, doch ihren beschleunigten Pulsschlag spürte man vorläufig erst in den Hauptstädten, auf dem flachen Lande war noch alle- völlig beim Alten geblieben, und da- Leben ging seinen gemach lichen Gang. Der blendende Sonnenglanz eines klaren JunitageS lag über Walddors. Der Hos schien wie ai'sgestorben, Mensch und Vieh, alles war draußen aus den Feldern und auf den Wiesen, und das einzig Lebendige waren der Schwarm Tauben aus den Däcbcrn und die beiten riesigen Hunde, die sich behaglich im Sande sonnten und nur von Zeit zu Zeit schläfrig blinzelnd den Kopf hoben. Plötzlich trat ein schlanker Knabe aus dir Rampe, schwang sich auf die Brüstung und pfiff den Hunden, die mit mächtigen Sprüngen und lautem Freudcngcbcul angesetzt kamen. Eine Weile liebkoste er lachend die Thirre, dann hieß er sie, sich niederlegen. DaS hübsche Gesicht mit den dunklen Augen nahm einen er wartungsvollen Ausdruck an, denn er börie, wie e» drinnen im Hause lebendig wurde. Wieder öffnen sich die Thür, doch nicht der von ihm Erwartete trat heran», sondern eia etwas gebeugter, älterer Mann, dessen Augen liebevoll den Knaben begrüßten, der ihm mit den Worten: „Vater, lieber Vater", um den Hals fiel. Wir kennen den älteren der beiden; zwar hat die Gestalt etwas an Fülle verloren, und in daS Antlitz haben sich Furchen gegraben, sind doch bereits sünszehn Jahre verflossen seit dem Tage, da Karl von Holl bracht seinen jüngsten Sohn in sein HauS zurückgcbracht hat, eben diesen Sohn, der jetzt vor ihm steht. „Ich glaubte, Herr Berger würde mich holen lonimcn", sagte Clemens. „Nein, Dein Lehrer war bei mir, um sich über Dich zu beschweren, er behauptet, Du hättest Dich höchst ungebührlich gegen ihn benommen. Uebrigens hat er mir gekündigt." „Desto besser", lachte Clemens. „Laß ihn geben." Hollbracht seufzte, und der Knabe legte seinen Arm um den Nacken deS alten Mannes. „Gräme Dick nickt, Vater, ich freue mick, daß er mir da« Leben nicht mehr verbittern kann." „Aber waS soll daraus werden, Clemens ? Glaube mir, wir machen unS beide lächerlich durch den ewigen Wechsel der Hauslehrer. Das war schon der dritte im Jahre." Clemens hatte sich wieder aus die Brüstung gesetzt, und nachdem er ein Weilchen nachdenklich vor sich bingcschaut, hob er den feinen, dunklen Kops. „Baler", sagte er. „Nun?" „Vater, es wäre das beste, Du gäbst mir keine Haus lehrer mehr; waS ich brauche, habe ich gelernt, und im ganzen Leben wird kein Gelehrter aus mir. Aber ich möchte Soldat werden, wie Bruder Gerhard. Nun, WaS sagst Du ?" Hollbracht erschrak. Er sah in seinem Jüngsten immer noch das Kind, doch nun erkannte er, er war kein Kind mehr; der so sprach, war der Jüngling, dem daS Vaterhaus zu enge wurde, und der sich binauSsehnte in die Well. „Du willst mich verlassen?" fragte er vorwurfsvoll. „Nein, nein, das kann, da« dars nicht sein, Clemens." „Aber Later", sagte der Jüngling und legte ihm lachend beide Arme um den HalS; ich kann doch nicht ewig in Walddors bleiben. Ich will Soldat werden, denn ich muß doch auch etwa- sehen oder kören von der Welt da draußen. So, und nun sage jetzt nicht« dagegen, überleg' Dir die Sache und mach' mir daS Her» nicht schwer. Siebst Du, so schön auch das Leben ist, daß wir beide führen, geschieden muß doch einmal sei». Es gebt nicht anders." E« klang freilich ein gut Theil Eigenwillen au» diesen Worten; so sprach eben der verwöhnte Liebling, dessen Wünsckc allezeit Bescbl gewesen waren, aber e« lag dock auch wieder viel Zärtlichkeit darin. Hollbrachl sagte nickt« mehr, und Clemens sprang davon. „Der gute Vater", dachte er, „ick mußte eS ihm einmal sagen, daß er mick frei läßt. Er wird eS freilick zuerst nicht cinscben wollen, aber schließlich wird er doch nachgcbeu, er thut ja alle«, WaS ich will." Hollbrackt ging still inS Haus zurück, setzte sich auf den alten zerrissenen Lehnstuhl in seinem Arbeitszimmer und stützte den graue» Kops gramvoll in die Hand. Er war nickt mehr der >ähzornige, eigenwillige Mann, den wir vor fünf- zckn Jahren verlassen, die Wogen der Lcidenschaslen hatten sich geglättet, gleichsam in einen klaren, fleckenlosen Spiegel vcrwanrclt, und daraus sckaute nur ein Bild: sein Clemens! Und sein Ein und Alles, sein Abgott, in dem sich sein ganze« Fühlen und Dcntcn verkörperte, wollte von ibm geben, wollte ihn verlassen! Nein, nein, da« war unmöglich, daS durste nicht sein. Aber freilich, freilich, er besann sich, Clemens mußte die Welt sehen, da hatte er recht, doch eS würde sich schon ein Weg finden, um die Trennung zu keiner dauernde» zu machen. Er könnte reisen — richtig, ein guter Gedanke! Und da- sorgenvolle Gefickt de- alten Mannes klärte fick etwas aus, als ihm cinfiel, daß er seinen Liebling vielleicht noch begleiten dürfe! . . Hollbrackt stand am Fenster, und sein Auge schweifte von re» Gebäuden des Hose« binübcr z» den grünen Feldern und ihrer Umrahmung, dein blaiisckwarzen Forst i» der Ferne. DaS Ganze bot, von der Sonne beleuchtet, ein hübsche« Bild, und sei» Eigentbümer betrachtete eS ausnierksani »nd lächelte wohlgefällig in dem Gedanke», daß es sei» Jüngster einst besitzen würde, weil — nun weil er c« so wollte. Ta lnirschte draußen ein Wagen über den Kies, und kaum batte er die Insassen flüchtig gcninstert, sab cr Clemens am Schlage sichen, um zwei Damen beim Aiissteigen Ritterdienste zu leisten. Schon kam der Diener und meldete: Frau und Fräulein von Jaßniy. „Mein lieber Hollbracht", eine Dame mit behaglichem Doppelkinn ging ibm entgegen — die fast überschlanke Blondine von einst batten die Jahre in eine sogenannte „stattliche Er schcinung" uingewandelt, — „mein liebe» Hollbrackt, erschrecken Sie nicht, daß wir Sie so ohne Weiteres überfallen. Wir haben meinen Mann begleitet, den Geschäfte zu Baron Brantvw geführt, aber da wir bei einem Junggesellen un möglich absteigen konnten, so —" „So kommen Sie liebenswürdigerweise zu mir atte»
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