Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.01.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-01-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950109024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895010902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895010902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-01
- Tag1895-01-09
- Monat1895-01
- Jahr1895
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Vez«g-.PrUi- ka der tzmlptexprdtttou oder de» im Stall bezirk und den Vororten errichteten AuS« gabestellen abgeholt: vierteljährlich^4.bO. bei zweimaliger täglicher Anstellung in« HauS »! 5.S0. Durch dir Post bezogen sür Deutschland und Oesterreich: viertel>ährlich S.—. Directe tägliche Kreuzbandirndung int Ausland: monatlich ^ 7.bO. Die Morgen-Ausgabe erscheint täglich V,?Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags ö Uhr. Nrdartion und Erpedittou: Aohanne»»afie 8. DirTrpedition ist Wochentag» ununterbroch«» grbffaet »v» früh 8 bi» Abend» 1 Uhr. Filialen: Abend-Ausgabe MpMer.TllgMm Anzeiger. AuzetgensPreir die 6 gespaltene Petitzeile 20 Psg. Neclamrn unter demRedactionSstrich (4g«« Walten) üO^> vor den Familieunachrichte» (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Prns- »erzrichniß. Tabellarischer und Zlfferns«tz nach höheren! Tarif. Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit de, Margen - ?iusgabe, ohne Postbesörderuaa W.—, mit Postbeförderung 70.—. Ännatimeschluß sür Änzeigr«: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4Uhr. Sonn- und Festtags früh ' ,9 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Einreisen find stets an die Expeditta» zu richten. Üniversitätsstrabr 1, L-ut» Lösche. Rathariveastr. 14, part. und König-Platz 7. Drgan für Politik, Localgeschichte, Handels- nnd GeMtsvemyr^^ Druck und Verlag von E. P olz kn Leipzig ^°18. Mittwoch den 9. Januar 1895. 89. Jahrgang Politische Tagesschau. * Leipzig, 9. Januar. Die lange Rede, mit der in der gestrigen Sitzung de» Reichstags der socialdemokratische Abg. Auer die Umsturz vorlage bekämpfte, ist besonders bemerkenswerth dadurch, daß sie auch nicht eine einzige der in diesem Entwürfe vorgeschlagenen Bestimmungen als wünschenswertst oder we nigstens beachtenswertst anerkannte. Alle diese Bestimmungen ohne Ausnastme sollen nur den Zweck staben, das „arbeitende Bott" zu knebeln und von der Begründung seiner berechtigten Klagen abzubalten. Selbst die Verherrlichung began gener Verbrechen und ihrer That er (beispielsweise dcS Mörders des Präsidenten Carnot) erachtet Herr Auer für ein unveräußerliches Recht der „arbeitenden Elasten", das ihnen nicht genommen werden dürfe. Ob der betreffende Paragraph genau genug gefaßt sei, um eine falsche An wendung unmöglich zu machen, wird ja von Mitgliedern ver schiedener Parteien für fraglich gehalten; daß aber die Ver herrlichung gemeiner Verbrechen und ihrer Tbäter gerade deshalb mit strenger Strafe bedroht werden müsse, um un mündige, durch Verhetzung aufgestachelte Geister vor An stiftung deS größten Unheils zu bewahren: darüber sind alle Parteien einig und darüber sollten gerade die angeblichen An wälte des „arbeitenden Volkes" einig sein, die bei jeder Gelegen heit auf das Entschiedenste gegen den Vorwurf protestiren, sie seien wenigstens halbe Anarchisten und besorgten die Geschäfte des Anarchismus. Wer die Verherrlichung anarchistischer Thaten als ein Volksrecht vertheidigt, ohne welches die berechtigten Forderungen des Arbeiterstandes nicht verfochten werten könnten, der ist kein Freund dieses Standes, sondern, viel leicht unbewußt, ein Vorkämpfer und Beförderer des Anarchis mus, ein erhitzter Kopf, in dem die Grenzen zwischen Nütz lichem und Schädlichem, Erlaubtem und Unerlaubtem sich verwischt haben. Und gerade weil es unter den Führern der Socialdemokratie so viele gicbt, die trotz der Phrase von dem „Hineinwachsen" des jetzigen Staats- und GesellschaftSwcsens in den socialistischen Zukunfts staat mit dem Feuer spielen, das einen furchtbaren Brand entzünden muß, wenn es nicht sorgsam gehütet wird, gerade deshalb sind strengere gesetzliche Maßregeln nöthig, um die an den Frevelthaten anarchistischer Verbrecher sich be rauschenden Unmündigen in heilsamen Schranken zu halten. Herr Auer hat also durch seine verblendete Bekämpfung dev- gesummten und durch sein Emtreren für die Straflosigkeit selbst der Verherrlichung begangener Verbrechen und ihrer Tbäter die Zahl der Argumente für die Notbwendigkeit schärferer Abwehrmaßregeln gegen die Umsturzbewegung vermehrt. Das wird in der weiteren Be- rathung der Vorlage zweifellos hervortreten. Hoffentlich auch aus Seiten des Centrums, dessen Presse sich bisher noch am zurückhaltendsten in der vorliegenden Frage verhalten hat. Voraussichtlich wird der heutige Tag Aufklärung darüber bringen, ob und wie weit die angeblich festeste Stütze deS Staates und der Ordnung auf den Boden der Vorlage zu treten bereit ist. Tie Aussichten auf ein günstiges Ergebniß der Absicht der verbündeten Regierungen, durch Steigerung der Einnahmen des Reiches nicht nur eine ausgiebigere Befriedigung seiner eigenen Bedürfnisse, sondern auch eine Verminderung der auf den Einzelstaaten lastenden Verpflichtungen für das Reich zu ermöglichen, werden leider immer trüber. Und auffälligerweise werden alle Vorschläge zur Steigerung der öffentlichen Ein nahmen gerade von denjenigen Parteien am heftigsten bekämpft, welche die lautesten Klagen darüber erheben, daß das Reich und die Einzelstaaten ihre Cultur- und Wohlfahrtö- ausgabcn immer spärlicher erfüllen. Es ist unbestreitbar, daß gegenwärtig die äußerste Sparsamkeit in allen nicht unbedingt nolhwendigen Aufwendungen herrscht, daß ungleich größere Leistungen sür die verschiedensten Cnliur- und wirtk- schaftlichen Interessen wünschenswertb wären, oaß die Beamten besoldungen nicht mehr ausreichen, einen zufriedenen, arbeits freudigen Staatsdienerstand zu erhalten. Aber wer ist daran schuld? Diejenigen, die dem Reich und den Staaten fortgesetzt die Mittel verweigern, mehr für solche Zwecke zu thun, und lieber die öffentlichen Finanzen in Verfall geratben lassen, ehe sie die zahlreichen Einnahmequellen, die in Deutsch land noch wenig ausgenutzr vorhanden sind, etwas mehr anspannen. Diejenigen, welche im unwürdigen Buhlen um die Votksgunsl den Lebensnerv in Reich und Staat ver trocknen lassen, haben am allerwenigsten ein Recht, über die Vernachlässigung von Culturaufgaben zu klagen. Wo soll es eö denn Herkommen, wenn alle Versuche, die nötbigen Mittel zu beschaffen, «('gelehnt werben, wie es namentlich im Reichstag Praxis geworden ist? Den Beamten und Lehrern möchten wir insbesondere empfehlen, zu erwägen, wo ihre wahren Feinde sitzen, die eine durchgreifende Besserung ihrer Lage unmöglich machen. Die socialdemokratische Mißwirthschaft in Marseiile, der ersten französischen Hafenstadt des Mittel meeres, hat endlich zu einer eclatanten Krise in dem dortigen Gemeinderathe geführt. Der socialdemokratische Bürger meister der Stadt, vr. Flaissiöres, ist am vorigen Freitag mit neun seiner Getreuen aus Amt nnd Würden geschieden, und nachdem schon vorher zehn socialdemokratische Gemeinderathe wegen allerhand gemeiner Der brechen, auf Kosten und zum Schaden der Stadt begangen, als Unterschlagung städtischer Gelder, falsche Buchführung, Wechselfälschung rc., hinter Swloß und Riegel gebracht wurden, ist die Mitgliederzahl der Marseiller Stadtverwaltung von 96 glücklich auf 16 heruntergekommen, die, nicht um ein Haar besser als jene, sich mit dem Mulde der Verzweiflung an ein Mandat klammern, das ihnen, wie sie wohl wisse», bei den nächsten Wahlen nicht wieder zufallen würbe. In Marseille dreht sich gegenwärtig das ganze städtische Interesse um die Frage, ob man die 20 erledigten Mandate im Wege der Ersatz wahlen neu vergeben, oder gleich reine Bahn machen und die zcsammte socia.oe.nokratffche Gesellschaft auskehren soll. Die Entscheidung steht bei der Regierung, und wenn sich letztere durch rem sachliche Erwägungen bestimmen läßt, so kann das Resultat nicht zweifelhast sein. Denn die Leistungen der bisherigen socialdemvtratischen Stadtverwaltung bedürfen keines CommentarS. Die Stattfinanzen liegen völlig dar nieder, in den einzelnen Berwaltungszweigen wohnt das Grauen, alle Cassen sind leer oder mir Schulden behaftet, um so besser haben die Genoffen in ihre persönlichen Cassen und Taschen gewirthsckaflet. Das Budget der Stabt leidet an einem chronischen Deficit, die in Marseille so dringend nötbigen sanitären Reformmaßregeln haben mangels pecuniärer Mille eingestellt werben müssen, in allen städtischen Depentenzen haben sich die Genossen eingenistet, es herrscht ein Nepotis mus, der bei der schreiendsten Unfähigkeit und Selbstsucht beide Augen zudrückt, wenn nur die socialdemokratische Gesinnungstüchtigkeit vorhanden ist. Die anständigen Be völkerungselemente sind über das scandalöse Treiben aufs Tiefste empört nnd bestürmen die Negierung mit Bitten, dem unwürdigen Zustand ein Ende zn machen. Sie betonen, der Genieinderatst und die Stadtverwaltung von Marseille seien doch keine Versorgungsanstalten für socialdemokratische Gauner, sondern haben hohe Pflichten gegen das Gemeinwohl zu er füllen. Die Regierung wird ."iä't umhin „ nn^, ^ näher zu treten, und man darf neugie z 1 ^„nationale für einScandal entwickeln ^ über Socialdemokratie, die l'ü so E" ' idrer Leute ans dem andere Leute -nsspielt, zu den Leistung^ Gebiete deS höheren und niederen Schwindels 1 g Alle ofsiclösen Dementis vermögen der Abberusung des nickt auf seinen, Posten verbleiben wird. In den romiiwrn Regierungskreisen war schon seit längerer Zen ei g ^ luiuilung gegen Herrn Reßmann benierkba,. — von jeder als sehr frankreichfreundlich bekannt ""d in j. so beliebt war, daß inan ihm dort den dbreuttlel a b'i-iiieais ruerkannte, so besserten sich doch ungeachtet alles l.nl -°n i,lich.r L-U- -/-B-ii'bu"-.» !WN»-N Paris und Rom nickt in dem erwünschten Maste, ereig neten sich vielmehr allerband ärgerliche Z'vischelllaUe, die jeden Ansatz zu einer besseren Gestaltung dcö Verhältnisses zwischen den beiden Nativnen immer wieder vernichteten. Li! » >,»r -n d>° ,P-°»d° -- M-» den Prinzen von Neapel wegen seiner Manoverfahrt in die Reichslande, die Jtalienerjagden nach der Ermordung Car not's, die unterschiedlichen Verdrießlichkeiten an der ual>enisch- französtschen Grenze. Schon im September v. I. richtete die Tribuna" deshalb scharfe Angriffe gegen Reßmann, die von der „R,forma" auffallend lau abgewehrt wurden, indem sie ohne sonderlichen Nachdruck ausführte, der Botschafter, der in Paris bestens angeschrieben sei, tonne nickt dafür verantwortlich gemacht werken, daß das Verhältniß zwifchen Quirinal und Ltiser sich noch immer nicht von Worten und Allgemeinheiten zu coucreten Thatsachen entwickelt habe. Die „Tribuna" hatte damals u. A. auch geschrieben , es könne Niemandem nützlich erscheinen, daß die italienischen Gesandten „n Auslande nichts thun. Dieser generelle Vor wurf war damals nickt reckt verständlich, man erinnert fick seiner aber unwillkürlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß in der letzten Zeit nicht weniger als drei italienische Botschafter abberusen worden sind: Graf Tornielll auS London, Baron Marochelti aus Petersburg und nun Herr Reßmann aus Paris. Dem Grafen Tornielli wird vor- geworfen, daß er es nicht verstanden habe, eine für Italien vortheilhafte Abmachung, betreffend das geplante Sudan- Unternehmen, zu Stande zu bringen und Baron Marochelti scheint, wie die „B. N. N." wohl richtig vermntben, insofern einen Mißerfolg erzielt zu haben, als er die Absendung der russischen „wissenschaftlichen" Expedition nach Abessinien nickt zu hintertreiben oder nicht wenigstens soviel ru erreichen per- mochte, daß sie, wie dies dem Protectoratsvervaltnisse Italiens gegenüber Abessinien entspräche, von einem italienischen Ver trauensmann begleitet würde. Ob, wie behauptet wird,^ daS Unvermögen Reßmann's, Dupust zn veranlassen, daß er mäßigend auf die in der Pariser Presse gegen Crispi ange schlagene Tonart einwirke, der Anlaß zu seiner Abberufung gewesen ist, läßt sich im Augenblick nicht sagen, bat aber alle Wahrscheinlichkeit für sich. Es sieht danach aus, als beabsich tige die italienische Regierung, nachdem sie, ebenso wie König Humbert selbst, durch weitgehendes Entgegenkommen, wobei Reßmann die geeignetste Persönlichkeit war, Frankreich freund lich zu stimmen, vergeblich versucht hat, nunmehr sich wieder einer größeren Zurückhaltung und eines selbstbewußteren Auf tretens zu befleißigen. Der Kaiser von Rußland hat einen zweiten Erlaß unter dem 9. Januar an den Generalseldmarfchall Gurko, den bisherigen Gouverneur von Warschau, gerichtet, in dem es u. A. beißt: Im Jahre >889, nach dem Tode des Generaladjutanten Albe- dinsti beries Cie Mein unvergeßlicher Pater zu dem hohen und chwierigen Amte des Generalgouverneure von Warschau und Coin- mandirenden der Truppen des Warschauer Militairbezirks. Im Laufe von mehr als 11 Jahren hörten Sie nicht aus, die Erlauchte Wahl und das Ihnen erwiesene Vertrauen durch musterhaft eifrige und talentvolle Ausführung der Absichten Meines theuren Vaters zu rechtfertigen. Gleichzeitig mit den unermüdlichen und aufopseruiigsvollen Bemühungen um die Verstärkung und Vervoll- oimiinung der Armee und der strategischen Verrheidigung eines der wichtigsten russischen Grenzgebiete zum Zwecke des Schutzes der In- tegrität und der staatlichen Ehre des Reichs erstreckte sich Ihre Für» orge und energievolle Thäligkeit auf alle übrigen Zweige des Levens, sowohl der inneren Organisation, als der Ordnung und der ökonomischen Entwickelung des Weichselgebietes. Tank Ihrer An leitung, Festigkeit und unparteiischen Gewissenhaftigkeit bei der Erfüllung Ihrer Pflicht und der Befriedigung der örtlichen Bedürfnisse wurde» ernstliche Resultate in der Festigung der un zertrennlichen Einheit des Gebiets mit dem allgemeinen großen Balerlaiive erreicht, ohne daß man zu außerordentlichen Maßnahmen chritt. Zugleich hiermit »ach einer Befriedigung der geistigen Bedürfnisse der russischen Bevölkerung des Gebiets und der Aus- rechterhaltung der Orthodoxie bei derselben strebend, legten Sie den Grund zu der heiligen Sache der Erbauung der orthodoxen Kathedrale in Warschau, welche durchaus nothmendiae Maß nahme zweifelsohne unserer Kirche die ihr gebührende Bedeutung in dem westliche» Grenzgebiet des Reichs sichern wird. Mit be- sonderem Vergnügen Ihre so außerordentich nütz- liche staatliche Thäligkeit überblickend, willigte Ich mit ausrichtigem Bedauern in die Gewährung Ihrer Bitte, Sie wegen zerrütteter Gesundheit von der Stellung des obersten Gebietschess und des Eomniandirenden der Truppen in demselben zn entheben. Fügt man hinzu, daß der Kaiser sich eigenhändig als „herzlich dankbarer Nicolai" unterschrieben hat, so bedarf es wobt weiter keines Beweises, daß von einem Systemwechsel in der Verwaltung Russisch-Polens keine Rede sein kann. Ja, man hak den Eindruck, als ob beabsichtigt sei, zn weit gehenden polnischen Hoffnungen mit diesem zweiten Manifest — in dem ersten war Gurko's Thäligkeit in Warschau gar nickt gedacht — einen Dämpfer aufznsetzen. Es mögen mancherlei Härten bei der Ausführung der auf die Russi- ficirung deS Landes gerichteten Bestimmungen gemildert, viel leicht auch einige kleine Zugeständnisse an die katholische Kirche gemacht werden — sonst aber dürfte Graf Schuwalow die selben Wege wandeln müssen wie der von den Polen so gründlich gehaßte Gurto. Auch in den Ostsee Provinzen wird, wie die fortgesetzte Ersetzung deutscher Professoren durch russische an der Universität Dorpat zeigt, konsequent in der Russificirung fortgeschritten. Es wäre thöricht, sich in dieser Hinsicht irgend welchen Illusionen hinzugeben. Deutsches Reich. U Berlin, 8. Januar. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Nachrichten zutreffen, wonach die Lage der Landwirthschasl und die zur Hebung derselben zu er greifenden Maßnahmen mit an erster Stelle die Negierung beschäftigen. Daß der Kais er diesen Fragen besondere Aufmerksamkeit widmet, darf gleichfalls als sicher gellen. Aus Abgeordnetenkreisen wird uns nun mitgetheilt, es werde behufs eingehender Prüfung und Erörterung der jenigen Maßregeln, welche zur Hebnng der Landwirthschasl und Sicherung deS ländlichen Grundbesitzes von Staatswegen getroffen werden können, die Berufung des SlaatS- raths in den maßgebenden Kreisen ernstlich erwogen. Man wird sich erinnern, daß auch den Maßnahmen auf dem Ge- Feuilleton. Graf Jarl. 7j Roman von Hermann Helberg. Nachdruck verboten. «Fortsetzung.) In den maßgebenden Kreisen Berlins wurde kurze Zeit darauf eine in sämmtlichcn Zeitungen enthaltene Notiz aufs Lebhafteste besprochen. Sie lautete: „Rittmeister Graf von Jarl, der kürzlich seinen Abschied aus der Armee genommen batte, um sich der Verwaltung seiner großen nordischen Besitzung ausschließlich zu widmen, hat, wie es heißt, beim Spiel sein ganzes, ziemlich bedeuten des Vermögen verloren. Selbst die Einrichtung und die Pferde kommen demnächst unter den Hammer. Der Gras soll die Absicht haben, ganz seinem Sonverlingswesen ent sprechend, sich fortan atS Musiklehrer seinen Unterhalt zu verschaffen." In seinem Zimmer sitzend nnd eine Cigarre rauchend, las Graf Adam am Frühmorgen diese Notiz in der „Post", und ein spröder Zug legte sich um seine Lippen. Dann aber rief er, sich rasch klärend: „Peter Hunck! Wo bist Du? „Herr Graf befehlen?" „Lies, — mitleidig fühlender Mensch! Einmal muß es ja auch Dir bekannt werden!" „Herr Graf! Herr Graf!" rief Peter Hunck erbleichend, nachdem er das Blatt überflogen batte. „Jst'S wahr? Ach, mein lieber, tbeurer Herr! Wie konnte das geschehen?" „Ja, wie man denn hundert Mal vernünftig sein kann und einmal leichtsinnig! Horst mit Allein, was drum und dran, was sonst mein Eiqenthum an Gut unv Capital, fast Alles ist dahin. Wir müssen uns nun auf ernste, ausdauernde Arbeit legen! Aber ich habe ja etwas gelernt! Da wird'S schon gehen." „Ja, ja, Herr Graf sprechen wohl. Lebensleitern hinauf steigen ist leicht, aber hinuntersteigen, — da ist jede Sprosse " „Gewiß sehr gut und sehr weise geäußert, guter Peter Hunck aus dem Geschleckte derer von und zu Hunck. Aber waS hilft»? Bon der Luft können wir zwei Beiden dock nicht leben." „Wie, Herr Graf? — Zwei ? Ach, mich schicken Sie nur nach Horst, ins Dorf zurück. Zwei Esser an einer Schüssel! — Können denn Herr Graf nicht wieder bei den Dragonern eintreten?" „Sie nehmen mich nicht, gutes Dorfkind; ich bin durch diese Geschichte compromittirt." „Wie kam denn das aber — mit Verlaub zu fragen, Herr Graf? Alles ist weg — Alles? Ter ganze herrliche Besitz? — Und was wird Comtdsse Leonore sagen?" „Ja, waS wird sie sagen? Zum Glück hat sie ein kleines Vermögen. — Sie wird nickt darben." „Ja, nicht darben und leben wie bisher, Herr Graf, das ist zweierlei! Ich kann's noch gar nicht glauben, daß so Schreckliches wirklich Wahrheit ist." „Dann mußt Du Zeit geben, bis eS Dir gelingt, guter Peter Hunck!" „Und wirklich Alles weg? Und soll unsere schöne Ein richtung versteigert werden und die Pferde, Herrn Gras's Stute? Ach, daß ich daS erleben muß!" „Ja, ja! — Der Mensch denkt und die böse Vorsehung schleicht mit ganz anderen Absichten durchs Dachfenster! Aber nun hänge die Sentimentalität an den Nagel." „Wie viel Capital hast Du erspart? Wirst Du leben können, wenn Du mich verläßt? Vielleicht — hoffentlich, bringe ich Dich bei meiner Schwester unter, wenn Du nicht bei mir bleiben willst. Ich kann's wir wohl denken, daß Du bei einem Habenichts dein Leben nicht verkümmern willst." „Ach! Ach! Wie Herr Graf sprechen! Wie das schmerzt! — Es ist auch das nicht Herrn Grafen Ernst! — Ich bleibe ja nur gar zu gern — aber — aber — Einen Mund habe ich dock nun mal zum Essen. Wenn'S an mir läge, wollte ich auch darauf gern verzichten! Jedenfalls dürfen Sie sich daraus verlassen, daß ich ganz geringe Ansprüche machen werde." „Ich danke Dir! Also Du würdest für die Hälfte Deines bisherigen Lohnes bei mir ausbarren?" „Viel zu viel, Herr Graf. Sprechen wir doch davon vor läufig überhaupt gar nicht. Nur eins möchte ich, mit Perlaub, noch sagen: Woron wollen Herr Gras nun leben? Wenn ich mir das ausdenke, daß Sie sich eine bürgerliche Thäligkeit wählen sollten und wie irgend einer behandelt werven? — Könnte inan nickt eine andere Stadt aufsucken?" „Müssen mal sehen, lieber Lunck. Jedenfalls wollen wir nun erst doch noch frühstücken! Hoffentlich hast Du Geld! Nichte rasch da» zweit« Frühstück her. Ich gehe heute nicht fort. Vielleicht findest Du nebenan etwas Gänseleberpastete und Caviar. Auch eine halbe Flasche Cliquot stelle kalt. Von unserem schweren Rothwein möchte ich auch etwas! — „Hurtig, hurtig, liebes Dorfkind. So lang' es geht, wollen wir daS Leben noch genießen! —" Hunck ging traurig kopfschüttelnd ab. Wie sollte das werden, und wie würde sich Jemand in daS Halbe finden, das ihm bevorstand, wenn er an solchen Tagen der Enttäuschung noch für Leckerbissen Sinn batte. Jarl aber lehnte sich zurück und ließ die Gestalten seiner Bekannten und Freunde an seinem Geist vorüberzieben. Er malte sich die Miene» nnd die Reven jedes Einzelnen auS. Er hörte sie sprechen. Vor einigen Tagen batte er noch an einem großen öffentlichen Wohlthätiakeilsball tbeilgenommen, an dem sich Alles, was zur auserlesenen Gesellschaft Berlins gehörte, zusammengcfunden. Wie immer, batte sich alle Welt um ihn gedrängt und bemüht. Ob es nicht möglich sei, seiner einmal jhabhaft zu Werden! ? IwasUlHe Anerbietungen gemacht bätte. Es legte sic! spöttischer Zug um seine Lippen. Er wußte, es galt t Alles nicht ibm, es galt dem Gelbe, dessen Besitz ma ihm voraussetzte, dessen Höhe man inS Ungemessene großerte l — Wie nun wohl die Menge ihm begegnen n was sie Alles tuscheln würde! — — «no perer -viuna meldete fi schon wieder, als Graf Adam eben die Reihe seiner C abgeschlossen batte. Er hatte Alles aufgetischt w Herr ihm befohlen. ' Champagner. Rotbwein, Sherry, saftiges R Cav.ar, kaltes Geflügel, Pastete, geröstete Schind Eier und Nachtifch waren iervirt. ^ . r». glauben l Mit emem AuSd ruhe das Glück und die Seligkeit der aan-?,, sn. schritt Graf Adam an den silberblitzenden Tifch und .mH . ^ die '^gen verwundert auf seine, gerichtet. Aber auch noch zwei andere Augen v, Brad""^"a "" behaglich Frühstückenden, dtt des <^..4 ^ . : . . " »rief Vraf Adam. En Cchna M.L - "" TEck Sl-isch ---schwand „Ja, ja, aber nun wieder hinlegen! Und, göttliches Dorf kind, Champagner einschenken! „Und keine klägliche Miene! Wenn s keinen Champagner mehr giebt, schmeckt auch das klare Quellwasser in Horst herrlich! Unser Horst soll leben —" „Ach — ack, gnädiger Herr Graf! Unser herrliches Horst! — Was sollen wir jetzl noch da?" „Einmal werden wir es noch besuchen, Peter Hunck, zum Abschied. Hingereist wird nächstens und dann — aebt's ans Clavier-Unterrichten. Das wird auch ein lustiges Leben!" „Ja, ja — lustiges Leben —." Weiter sagte Peter nichts. Aber daß er sein geliebtes HeimalkSdorf Wiedersehen sollte, weckte doch namenlos frohe Gefühle in ihm. Er nickte und er nickte wieder — Ja, das war ein Licht- punct in der Dunkelheit . Einige Stunden später brachte die Post eine große An zahl Briese. Auch überreichte Hunck eine Anzahl Karten, die unten beim Portier abgegeben waren. Beileidskarten! Verschiedene Kameraden aus dem Negimente beschränkten sich auf dieses AnstandSbeileid, aber auch sonstige Bekannte hatten diesen Weg gewählt. Der Inhalt der Briese war äußerst charakteristisch. Jarl legte sie zu einem noch näheren Studium vorläufig beiseite. Nur einen laS er aufmerksamer. Er rührte von seinem Schwager, dem Grasen Campe, her, und der Diener wartete auf Antwort. „Lieber Adam! Tie eingeschtoffene Notiz über Dich fand ich soeben itt meiner Zeitung nnd selbstverständlich hat uns ihr Inhalt in die größte Erregung versetzt. Laß uns bitte wissen, ob irgend etwas Wahres an der Sache ist. Daß sie so, wie dargestellt, nicht Zusammenhängen kann, ist mir zweifellos! Wir kommen nicht aus der Sorge heraus, ehe wir Dich gesprochen haben. Also bitte! Ich liege heute mit rheumatischen Schmerzen, sonst wäre ich gleich zu D>r geeilt. Dein Magnus." -Lieber MagnuS! Dank für Eure Tbeilnabme! Infolge eines hohen Spiel» verlor ich in der Tbat so ziemlich Alle» bis auf den Sattel von Betty, meiner geliebten Stute. ES ist also im Wesentlichen richtig, was die Zeitungen schreiben. Aber Geld ist ja nicht der Inbegriff de» Glücke», also auch sein Verlust kein Grund zu
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite