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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.01.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-01-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950111029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895011102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895011102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-01
- Tag1895-01-11
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Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Toris. Srtr«-Vetlagc» (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbefördernng 60.—. mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschlub für Anzeige«: Abrnd-An-gabr: vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Sonn» und Festtag» früh '/,3 Uhr. vri den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stund« früher. Anzeige»» sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Pol» in Leipzig ^«20. Freitag den 11. Januar 1895. 89. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig» 11. Januar. Die erste Lesung der Umsturzvorlage im Reichstage ist auch gestern noch nicht zu Ende geführt worden; ja. es ist fraglich, ob die heutige Sitzung den Schluß der Debatte bringt. Sind doch als Redner noch vorgemerkt die Ab- cordneten Frhr. v. Hodenberg, I)r. v. Wolszlegier, iebermann v. Sonne nberg und Or. Sigl; vielleicht wird auch der Socialdemokrat Fr oh me noch sprechen. Immerhin hat die gestrige Sitzung die Aussicht auf das Zustandekommen deS Gesetzes, allerdings unter mancherlei Abänderungen, wesentlich erhöht. Denn wenn auch der Redner der freisinnigen Bereinigung, vr. Barth, nicht viel weniger Ausstellungen an der Vorlage zu machen wußte, als der Redner der freisinnigen Bolkspartei, Munckel, so erklärte er doch, sich nicht für berechtigt zu halten, den Entwurf schlechterdings zu verwerfen. Und da die Partei genossen des Herrn vr. Barth die Behauptung des Abg. v. Bennigsen, auch in freisinnigen Bürgerkreisen fordere man energischere Abwehr der Umsturzbestrebungen, jedenfalls als zutreffend anerkennen werden, so ist zu erwarten, daß die Mitglieder der freisinnigen Bereinigung einer Einigung nicht unüberwindliche Schwierigkeiten bereiten werden. Das Eentrum halte gestern allerdings keinen Redner gestellt; es begnügte sich mit dem Hören. Aber das, was es hören mußte, wird sicherlich einen tiefen Eindruck auf die Gesinnungs genossen des Herrn Gröber machen. Zunächst mußten sie aus dem Munde des conservativen Grafen Lim bu rg-Sti r um ver nehmen, daß seine Parteigenossen nicht gewillt seien, dem Eentrum einen Preis für seine Mitwirkung an dem Zustandekommen des Gesetzes zu zahlen; daS Iesuitengesetz stehe in keinem Zusammenhänge mit der Umsturzbewegung, die gerade in solchen Ländern, wo die Orden die vollste Freiheit genießen, am bedenklichsten um sich greife. Sodann hielt ihnen der Abg. v. Bennigsen entgegen, er habe als Oberpräsident in Hannover die Erfahrung gemacht, daß berechtigte Klagen des Ceiitrums nicht mehr vorbanden seien, nnd bei seinen Ver handlungen mit den Bischöfen seien ihm die Beschwerden des Eentrums niemals vorgebracht worden. Die Partei genossen des Herrn Gröber werden daraus ersehe», daß es ihnen bei der Absicht, aus ihrer Beteiligung an dem Zustande kommen VeS Gesetzes ein Handelsgeschäft zu machen, nicht nur an Liebhabern ihrer Waare, sondern auch an dem Capital fehlt, mit dem sie bei einer durch ihre Schuld herbeigefübrten Aus lösung des Reichstags bei den katholischen Wählern ihren Credit aufrecht erhalten könnten. Ans die Schwankenden nnd Unschlüssigen hat jedenfalls von allen bisher zum Worte gekommenen Rednern am meisten der nationalliberale Führer durch seine große staatsmänniscke Rede eingewirkt, die sich von dem einen Extrem des Abg. v. Stumm, der mit eisernem Besen die Socialdemokratie aus dem Reiche fegen inöckte, und dem anderen des Abg. vr. Barth, der am liebsten nur den Schatten eines Schattens des Entwurfes annäbme, gleich weit entfernt hielt, die absolute Nothwcndigkeit verschärfter gesetzlicher Maßnahmen gegen die Umsturzbcwegung ans das überzeugendste darlegte, die Bedenken gegen einzelne unklare und allzu dehnbare Einzelheiten keineswegs verschwieg, aber durch die energische Betonung dessen, was ans dem Spiele steht, allen von dem gemeinsamen Feinde bedrohten bürger lichen Elementen die Pflicht zum Bewußtsein brachte, über jenen Bedenken das große Ziel nicht aus dem Auge zu ver lieren. Arbeitet die Commission im Geiste des national liberalen Führers, so kann eine Einigung nicht auSbteiben, bei der auch der Jnterpretationskunst richterlicher Gesinnungs genossen des Herrn Gröber die nöthigen Zügel werden an gelegt werden. Fer»iHetoir. Graf Jarl. 9j Roman von Hermann Helberg. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) „Doch! Frau Gräfin. Eine Stimme in meinem Innern sagt mir, daß sie unglücklich ist und mich liebt. Sie kommt eher wieder zu mir als ich jemals zu ihr. Ich aber will nicht —" „Es ist das erste Mal, daß ich Sie auf einer Eitelkeit ertappe, Graf Adam! Sind sie eitel?!" „Gewiß! Keines Menschen Seele ist einer Engelsbrust ähnlich, Frau Gräfin. In diesem Fall aber — ick sckwöre es Ihnen — wars nicht das Gefühl einer Unbezwinglichkeit meines IchS — wie albern, es zu denken, wie viel geschmack loser noch, es auSzusprecken, — als jenes sichere Gefühl das uns häufig bei ernsten Anlänen beschleicht. Ich möchte darauf schwören, daß das junge Mädchen in diesem Augen blick an mich denkt. Ich besitze eine an Sehkraft grenzende Divination —" „So sagen Sie mir, was ich augenblicklich denke, Graf Jarl —" „Daß eS wahrlich Zeit ist, daß ich aufbreche, damit Sie nicht durch den späten Besuch eines leichtfertigen Spielers und Lebemanns doppelt compromittirt werden, Frau Gräfin." „Graf Adam —!" „Nun gut, ich nehme es zurück; dagegen will ich etwas künden, was ich denke: „Daß Sie eine so charmante, kluge Frau sind, daß eS sehr schwer wird, von Ihnen überhaupt Abschied zu nehmen!" Die Gräfin crrötbete wie ein Kind. AIS sie die Hände in einander legten, gelangte aber die gewohnte, etwas steife Zurückhaltung bei ihr zum Ausdruck. Wie verwandelt erschien sie, und Graf Jarl wußte eS nicht zu deuten. Es giebt eben Frauen, die Meister der Verstellungskunst sind, wenn sie ihre Zwecke verfolgen. * » « Als Graf Adam ziemlich spät in der Nacht nach Hause kam, fand er auf seinem Schreibtisch einen von seiner Schwester Hand an ihn überschriebenen Brief. Die im heutigen Morgenblatte mitgetheilte Erklärung des „Neichsanzeizers", die der weitverbreiteten Behauptung den Boden entzieht, der Kaiser habe die Ausführung des Wallot'schen Vorschlags, auf der Westseite des neuen ReichslagSgebäudes die Inschrift „Dein deutschen Volke" anzubringen, nicht zugelassen, wird im ganzen deutschen Reiche mit lebhafter Befriedigung ausgenommen werden. Kaum geringer als diese Befriedigung wird freilich das Befremden darüber sein, daß eine solche Behauptung so lange ohne Widerspruch geblieben ist. Nicht nur in zahllosen Zeitungsartikeln sind an den angeblichen Einspruch des Kaisers allerlei Betrachtungen geknüpft worden, die zur Be ruhigung der öffentlichen Stimmung nicht beitragen konnten, sondern am 13. December hat auch der Abg. Payer von der süddeutschen Volkspartei in demselben Sinne bei der Etats- berathung im Reichstage die Angelegenheit zur Sprache ge bracht. ohne daß einer der Vertreter der Regierung ein Wort erwidert hätte. Hätte der Kaiser eine Ahnung von jener auf ihn bezüglichen falschen Darstellung gehabt, so hätte er sicherlich langst dafür gesorgt, daß eine Aufklärung erfolgt wäre. Daß er so spät in die Lage versetzt worden ist, dies zu lhun, wird er sicherlich ebenso beklagen, wie eS im Volke beklagt wird. Es ist daher auch zu erwarten, daß er künftig zu rechter Zeit über Gerüchte informirt wird, die seine Person betreffen. Die öffentliche Meinung in Italien befaßt sich derzeit mit der erythräischcn Eolonie in viel höherem Maße, als seit Langem. Den letzten Anlaß zur Beleuchtung der Stel lung der Italiener in diesem Tbeile Afrikas hatte die Ein nahme Kassa las geboten. Während man aber damals die Situation unter dem Eindrücke des großen Waffen erfolges der Italiener begreiflicher Weise in günstigstem Lichte erblickte, macht sich gegenwärtig vielfach eine gewisse Be unruhigung geltend. Man glaubt in der jüngsten Ex pedition veS Generals Baratieri nach Aduah ein Symp tom dafür erblicken zu sollen, daß den Italienern Gefahren von Abessinien her drohen. In Regierungskreisen wird dieser Auffassung gegenüber an der Versicherung festgehalten, daß General Baratieri, der in militairischen Prävenlivmaß- regeln schon wiederholt Scharfsinn und eine glückliche Hand bewiesen hat, auch diesmal das Prävenire gespielt und eine Demonstration unternommen habe, um bei den Abessiniern etwaige Neigung, bei einem Angriffe der Derwische auf die Italiener diesen in die Flanke zu fallen, im Vorhinein zu vertreiben. Daß man auf italienischer Seite allen Grund hat, speciell das Thun und Lassen deS Negns Menelik mit Mißtrauen zu beobachten, ist bekannt. Man ist denn auch in Rom über die Ursachen seiner Expedition nach dem südlichen Theile seines Reiches unterrichtet. Die Macht und das Ansehen Menelik's ruhen nicht gerade auf fester Grundlage. Insbesondere darf man den zwischen ihm und Ras Michael enlstalibenen Bruch als einen Beweis dafür ansehen, daß seine Stellung starke Erschütterungen erlitten hat. Der erwähnte Zug Menelik's nach dem Süden ist eben falls ein Zeichen seiner Schwäche. Seine Autorität war in den erst seit einigen Jahren seinem Reiche einverleibten süd lichen Provinzen immer ziemlich schwankend, und es ist frag lich, ob eS ibm diesmal gelingen wird, sie zu befestigen. Was das Verhältniß Menelik's zu Italien betrifft, sind die Feinde des letzteren immer eifrig daran, sein Mißtrauen wach zu halten. So hat man ihm unter Andern» in der letzten Zeit eingeredet, daß die Errichtung einer apostolischen Präfectur in der erythräischen Eolonie eine Gefahr für Abessinien be deute. Es war in diesem Falle um so leichter, ib» für diese Auffassung zu gewinnen, als die abeffinischen Herrscher seit jeher die Actionen des Vaticans mit Argwohn beob achten. Die italienischen Blätter führen die zweideutige Haltung Menelik's gegenüber Italien zu nicht geringem Theile auf französische Einflüsterungen zurück. Sie führen auch die Reise des Vidon de Vidaillet und Chefneuz nach Sckoa, wo sie angeblich im Auftrag ihrer Regierung mehrere Jahre zu verbleiben beabsichtigen, auf ähnliche Zwecke zurück und empfehlen der Regierung, Menelik durch einen Vertrauens mann ans nächster Nabe beobachten zu lasten. Wie es beißl, beabsichtigt denn auch die Regierung, einen ofsiciellen Vertreter in der Person des Doctors Nerazzini nach Schoa zu entsenden. Zu denken giebt auch die auf dem Wege über Obok, also über französisches Gebiet, befindliche russische „wissenschaftliche" Expedition unter Leontiew nach Abessinien. Die Meldung, daß die russische Regierung sich bei der Grenzregulirung im Pamirgebietc zu Concessionen an Groß britannien entschlossen habe, eine Meldung, die nach den heute uns vorliegenden Nachrichten sich zu bestätigen scheint, bat in England in allen politischen Kreisen die lebhafteste Befriedigung hervorgerufen. Man hält jedoch mit dem definitiven Urtheil über das getroffene Arrangement bis zum Bekanntwerden der Details desselben zurück, da die geo graphischen Bezeichnungen in jenen unbekannten Regionen zu vage sind, um aus der kurzen Angabe, daß die Cbitral- und die Ionowstraße an Großbritannien cedirt worden seien, genaue Schlüsse über die abgetretenen Gebiete zu ge statten. Dennoch hält man so viel für feststehend, daß das neue Abkommen des Cabinets Rosebery mit der Regierung des Zaren, dessen definitiver Abschluß nunmehr erfolgt sein dürfte, den Verzicht Rußlands auf die beiden wichtigsten Heerstraßen über den Hindu-Knsch, welche einer russischen Armee den Zugang von Afghanistan nach Indien am ehesten ermöglichen könnten, und die Anerkennung des britischen Vesitzrechtes derselben in sich begreift. Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet man in England die neue Ver einbarung, welche die mangelhafte anglo-russische Convention von 1873 endgiltig aus der Welt schaffen dürfte, als einen willkommenen Beweis der loyalen Absicht der russischen Regierung, mit der aggressiven antibritischen Politik in Central- asien zu brechen und den britisch-indische» Besitzstand durch einen Grenzvertrag, der alle zukünftigen Reibereien ausschließt, anzuerkennen. Hierin würde, so betont man, der wahre Werth der gemeldeten russischen Zugeständnisse liegen, welcher dadurch nicht beeinträchtigt werden würde, daß Rußland sich möglicherweise erhebliche Gegenleistungen auSbedungen hat. oder daß die russischen Concessionen noch immer hinter den jenigen Erfordernissen znrückbleiben, welche bedeutende britische und indische Strategen als für die Sicherheit des britisch- indischen Reiches unerläßlich erklärt haben. Ob die englischen Politiker wirklich Anlaß zu einem so hoffnungßsreudigen Aus blick haben, wird sich erst zeigen, wenn Näheres über die russischen Zngeständiiisse vorliegt. Zn glauben, daß eine Aera des Hand- in Hand-GebenS der beiden alten Rivalen Ruß land und England in Asien zu erwarten sei, wäre angesichts der Haltung der russischen Politik den Vorgängen in Armenien gegenüber sehr thöricht. In dieser Frage tritt Rußland offen auf die Seite der Pforte, was dem Sultan den Muth so sehr gekrästigt hat, daß er an die englische Negierung eine Note ergeben ließ, in welcher dieselbe auf- gesordert wird, die vielbesprochenen Aeußerungen Gladstone's über die türkische Wirtschaft in Armenien zu deSavouiren Deutsches Reich. I^. Leipzig, ll. Januar. Der 2. Strafsenat des Reichs gerichts verhandelte heute über die Revision der verantwort lichen Redacteure Köbner und Pötzsch (von der „National zeitung", bezw. vom „Vorwärts"), welche am 20. October vorigen Jahres vom Landgerichte I in Berlin wegen Be leidigung des LandgerlchtsdirectorS Brausewetter bei der Kritik seines Verhaltens im sogenannten Gummi- schlauchprocesse zu je 600 .L verurtheilt worden sind. Die Vertheidiger der Angeklagten, Rechtsanwalt l)r. Scherer von hier und Iustizratb Munckel auS Berlin, beantragten die Aufhebung des Urtheits, da der incriminirte Artikel nur eine Schlußfolgerung aus Thatsachen und eine zulässige Kritik öffentlicher Vorkommnisse enthalte. Reichsanwalt Galli beantragte die Verwerfung der Revision, wenn gleich er zugab, daß die Heranziehung deS ß. 185 Str.-G -B. neben tz. 186 nicht gerechtfertigt erscheine. Wozu eS über haupt nöthig war, durch eine Häufung beider Gesichtspunkte den Stoff für verschiedene Zweifel zu liefern, wisse er nicht. Erst die neuere Praxis einzelner Strafkammern sei in dieses complicirte Fahrwasser eingelaufen, wobei ohne praktischen Nutzen den Angriffen in der Revisionsinstanz Vorschub geleistet, die Sicherheit der erstinstanzlichen Resultate und für die Laien das Verständniß der Rechtsprechung gefährdet werde. Redner wünscht, die Praxis möge bei der Erkenntniß bleiben, daß in derartigen Dingen der ein fachere Weg zugleich der beste ist. (Schluß der Redaktion.) ss Berlin, 10. Januar. Für die Neuregelung, welche die Bestimmungen über die Detailreisenden in der dem Reichstage nunmehr vorliegenden Gewerbeordnungsnovelle erfahren haben, ist die Steigerung der Anzahl der Detail reisenden ein mitbestimmender Grund gewesen. In den zehn Jahren von 1881 bis 1893 hat sich diese Zahl in ganz Deutsch land von 45 016 auf 70 018 oder um 55hr Proc. gesteigert. In einzelnen Bundesstaaten ist die procentuale Steigerung eine noch wett bedeutendere gewesen. So haben sich in der genannten Zeit die Detailreisenden in Bayern und Elsaß-Lothringen nahezu verdoppelt, in Hessen haben sie sich um etwa 70 Procent vermehrt. Die Zahl der Hausirer, welchen ein Wander gewerbeschein ausgestellt werden muß, hat sich dagegen in der gleichen Zeit nicht sonderlich vermehrt. Für ganz Deutsch land beträgt die Zunahme 6,6 Procent. In einer ganzen Reihe von Einzelstaaten ist diese Zahl sogar zurückgezangen, so in Bayern, in Württemberg, Baden, Mecklenburg-Schwerin, Braunschweig und Bremen. In anderen dagegen hat die Zunahme einen beträchtlichen Umfang angenommen, so in Elsaß- Lothringen um nahezu 50 Procent. Am bedeutendsten ist die Steigerung jedoch in Hessen. Hier waren im Jahre 1881: 2778 Wandergcwerbescheine ausgetheilt und im Jahre 1893: 7644. Die Zunahme beträgt demgemäß nicht weniger als 175 Proc. Nimmt man hinzu, daß Hessen auch hei den Detailreisenden eine Steigerung von 70 Proc. aufzuwrisen hat, so wird man erkenne»», daß dieser Bundesstaat am meisten an einer Regelung der gesetzlichen Behandlung der Hausirer und Detailreisenden interessirt ist. — Der Kaiser traf heute Nachmittag um 5 Uhr 20 Minuten im königlichen Schlosse Hierselbst ein. Die Fahrt vom Neuen Palais nach Berlin hatte er im Schlitten zurückgelegt. — Die Kaiserin begab sich heute Nachmittag 2 Uhr 30 Minuten mit den kaiserlichen Kindern von der Wildparkstation mittels Sonderruges nach Berlin, tras am Potsdamer Bahnhöfe gegen 3>/«Uhr ein und fuhr mit ihren Kindern nach dem königlichen Schlosse, wo, wie bereits gemeldet, die kaiserliche Familie von heute ab Wiuter- aufenthalt genommen hat. — Vom Kaiser ist dem Stadtverordneten« Collegium nachstehendes Schreiben zugegangen: „Von den Stadtverordneten als den Vertretern der Bürger schaft Meiner Haupt« und Residenzstadt Berlin an der Schwelle des neuen Jahres warme Segenswünsche für Mich und Mein Haus sowie die Versicherung unverbrüchlicher Treue zu erhalten, war Mir eine herzliche Freude und fühle Ich Mich gedrungen, den waS vornehme Gesinnung ist? Nimm das Häßliche beifolgend zurück, Cleinentina! Es befleckt Dich und befleckt mich, weil uns dieselbe Mutter gebar. —" Am kommenden Vormittag telegrapbirte Jarl einem Freunde in Dresden, daß er ihn ein paar Tage besuchen wolle und rüstete sich gegen elf Uhr Mittags zur Abreise. Es drängte ihn, den Staub von sich zu schütteln, der sich in Folge seines Unglücks vor ihm aufwirbelle. Aber eben im Begriff, den Wagen zu besteigen, wurde ihm eine Depesche eingebändigt, die iaulete: „Leider verhindert, Sie zu empfangen. Näheres schriftlich." Nickt der Inhalt an sich, sondern das dadurch entstandene Unbehagen veranlaßt« Jarl, seinen Entschluß aufzugeben. So sehr er sich dagegen wehrte, er vermochte sich nicht von dem Eindruck zu befreien, daß auch dieser Bekannte, ein früher der Diplomatie angehörender reicher Cavalier, ibm auSweichen wolle. Vielleicht stand er gar unter der Furcht, daß Jarl ihn um Geld anzusprechen wünsche. „Nimm den Koffer wieder herunter, flinkes Dorfkind. Ich fahre nicht. Aber etwas Anderes: „Ich will beute noch einige Besuche machen, morgen meinen ausbalt auflösen und demnächst mit dem ersten Zuge nach orst abreisen. ES dringt hier zuviel Dunst auf mich ein! ch sehne mich nach frischer, reiner Luft, guter Peter Hunck. Also vorwärts, wieder abpackrn!" „Sckällt ok Eier kakt war'n?" fragte Mariekea, daS alte Factotuin bei Pastor Halbert's in Horst, und trat mit ihrer spitzen rotben Nase und dem neugierigen Au-druck zu der Frau in die Wohnstube. „Ja, koch'sie aber halbweich! So wie neulich, Marieken!" bestätigte die Frau Pastorin. Sie antwortete hochdeutsch, weil sie sich gerade eben bei der Lectüre eines Briefes befand und in Folge dessen hoch deutsch weiter dachte. „Und an en halv Stieg hebbt wi ja wull nog. Fr« Pastorn?" „Ne, veel to veel? Fief Stück! Da sünd teia Stück dörchsnedenl Wir wullt se dörcksnied'n." Nach diesem Bescheid bewegte Marieken mit kurzem Neigen ihr vom mattgrlben, ins Fablgraue spielendem Haar um gebenes Haupt und faßte die Thürktinke. Aber mit dem Fortgeben war'- ibr aar nicht ernst. Sie wußte, eS war ein Brief von dem Fräulein, von der Braut des einzigen SohneS des Ehepaars Halbert's eingelaufen, und Er nahm ibn, drehte ihn hin und her nnd legte ihn dann wieder ungeöffnet hin. „Als weiser, allezeit auf daS Gleichgewicht deiner Seele bedachter Philosoph!" murmelte er, als ob er sein Ich ge- theilt und mit dein andern in ihm wohnenden vornehmer» Ich ein Gespräch führe, „liest du den Brief nicht. Du weißt zwar, was darin steht, aber es könnte dir doch das herrlichste Geschenk der Natur, den Schlaf heute Nacht rauben. „O Cleinentina, warum mußtest du nun auch daS noch thun! Wenn du geschwiegen hättest, würde ich dir am Ende nur einen verzeihlichen Uninutb ungerechnet haben. Die Vor würfe, die dieser Brief enthält, sind aber bereits das Re sultat deiner Ueberlegung. So hast du also wirklich eine kalte, in Eigennutz ausgehende Seele! Und insbesondere wie thöricht, sich über einmal nicht mehr zu verändernde Dinge noch er eifern! Aber freilich, Weisheit wird nicht gelehrt, so wenig wie der Genius —" Dann aber machte cs sich Jarl dock, noch in seinem Sessel bequem, entzündete eine Cigarette und laS den Brief, der ohne Anrede wie folgt lautete: „Nachdem Du uns heute Morgen verlassen hattest, habe ich nochmals lange nachgesonnen, wie das Geschehene und wie Dein Wesen dabei zu deuten ist, Adam! Mir will scheinen, daß Dein Uebermuth durch die Verwöhnungen, die Dir durch das Leben geworden, keine Grenzen mehr kennt. „Du willst unter allen Umständen originell sein! Das eitle Streben, daS man von Dir spricht, verführt Dich zu Dingen, die weit über bloße leichtsinnige Tborbeit hinaus- geben. Jemand, der lediglich aus Laune den ganzen Familien besitz fortwirft und alle Aussichten späterer Nachkommenschaft damit zerstört, müßte von Rechtswegen unter Curatel gestellt werden. „ES bat daS nachzuholen, keinen Sinn mehr, weil Du nichts besitzest. Aber eS könnte doch ein Einschreiten der Familie nothwendig werden, wenn Du mit der Inscenirung abenteuer licher Dinge forlfährst. Ich ersuche Dich, auch in meines Mannes Name», von der Caprice, Clavierunterrickt ertheilen zu wollen, unbedingt abzusehen. Wir sind entschlossen, diese,» Affront nicht mit gekreuzten Armen zuzusehen! Und noch eines: Ick fand Dich, bevor Du Dich melden ließest, in zärt licher Umarmung nut Eva! Wie ich über dergleichen über haupt denke, weißt Du; wie ich gar heute dazu stehe, brauche ich wobt nickt auseinander zu setzen. Auch Eva habe ich meine Meinung mit größter Deutlichkeit ausgesprochen. „Wenn Du, wie eS uns als natürlich erscheint, Dich an Leonore anschließt und dein Leben in keiner ausfallenden Weise an ihrer Seite fortsetztest, wirst Du uns, wie früher in unserem Hause willkommen sein. Fernere Extravaganzen aber, die nickt nur Dich, sondern auch unS schwer com- promittiren, trennen uns nicht nur fürs Leben, sondern werden unter Umständen bewirken, daß wir uns von Dir lossagen." „Ich bin überzeugt, daß Du, wenn Du über das Geschehene und die Art, mit der Du die Dinge behandelst ruhig, objecliv und gerecht nachdenkst, Recht geben wirst Deiner noch immer hoffenden Cleinentina." „Bravo! Bravissimo!" stieß Jarl heraus und sprang, das Schreiben mit einem donnernden Handschlag berührend, empor. „Das nenne ich wenigstens Farbe bekennen! A — h — Ah —" drang'ö auS seiner Brust. „Unter Curatel stellen, gar wohl in ein Irrenhaus stecken! Nun wird die Sache bedenklich!" Er stand da mit einer Miene, als ob ein Löwe in der Ferne etwas Außerordentliches, seine leidenschaftliche Begierde Reizendes, und seine» Kampfeömuth Aufstachelndes wittre. Er reckte sich, drehte den schwarzen Schnurrbart und zog den Mund, hinter dem die prachtvollen, gesunden, weißen Zähne blitzten, zornbebend zur Seite. „8aore bleu! Und das ist meine Schwester!" Erst nach einer längeren Weile schritt er ruhiger auf und ab und ließ sich zuletzt in tiefem, grübelndem Sinnen wieder in seinen Sessel zurückfallen. „Wohl abgewogen, ward die Welt geschaffen!" murmelte Jarl. „Aber aus allem Gleichgewicht bringt sie des Menschen Eigennutz. So glaub' ich, laö ich einmal im Shakespeare. Ja, ja, so ist'S! Von allen bestand bis jetzt nur ganz echt: Eva und Peter Hunck und, und — „Ja, und D», Du, mein Brand!" rief der Mann, den seit Minuten halb bettelnd, halb ängstlich fragend vor ihm stehenden Hund umfassend und sein Angesicht zärtlich an seinen große», warmen Kopf drückend. „Ja, ich nehme die Liebe, wo ich sie finde. Aber ich will nur die echte, nicht die halbe, und ich will auch keine halbe auStbeilen! —" Dann schob er Brand beiseite, griff nach einem schweren Halbquartbogen mit stolzem goldenen Wappen und schrieb darauf mit seiner geraden, großen, energischen Schrift: „Wenn Milde und Härte spielen um ein Königreich, hat bald der sanstre Spieler den Gewinn!" sagt der Dichter! Und dann: „WaS ist verzeihlicher? AuS Geld »nd Gut sich nicktS machen, aber ehrlich sein und arbeiten wollen, oder verleugnen,
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