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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.01.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-01-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950114023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895011402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895011402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-01
- Tag1895-01-14
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Hoffentlich entschließt man sich an zuständiger Stelle, solchen Ausstreuungen zeitiger entgegenzulreten, als dies z. B. der erst kürzlich widerlegten Behauptung gegenüber, der Kais er habe der Anbringung der Inschrift „Dem deutschen Volke" am neuen Reichslagsgebäude widersprochen, geschehen ist. Auch eine andere böswillige Ausstreuung, die ebenso eifrig wie erfolgreich ausgenutzt worden ist, hat man leider erst in den letzten Tagen als solche gekennzeichnet. Ohne den Klagen über plötzliche Eingebungen bei der Teilung der Reichspolitik die Berechtigung im Allgemeinen abzu sprechen, haben wir von Anbeginn daran sestgehalten, baß die Entlassung des Grafen Eaprivi keineswegs, wie die ultramonlane und diefreisinnigePresseglaubenmache»wollten, auf einen raschen Stimmungswechsel zurückzusühren, sondern als eine Folge des Verhallens des früheren Reichskanzlers in der Zeit vom 20. bis zum 20. Oclober auzusehen sei. Diese Darstellung des Verlaufes, der jetzt auch von den Freunden des Grafen Eaprivi nicht mehr widersprochen wird, erfährt nunmehr eine Bestätigung ihrer Richtigkeit durch die Feststellung der „Münchener Neuesten Nachrichten", daß der Kaiser vor der Entlassung und über sie in zweistündiger Unterredung mit dem bayerischen Gesandten in Berlin conferirt hat. Damit wird die allgemein verbreitete und anfänglich von Jedermann geglaubte Erzählung hinfällig, die Vertreter der Bundesfürsten seien „wie aus den Wolken gefallen" ge wesen, nachdem ihnen der Kaiser von seinem Entschlüsse Mittheilung gemacht hatte. Es ist unbegreiflich, warum man ein Vierteljahr gewartet bat, bis man eine falsche Annahme berichtigte, aus welcher der Particularismus be gierig Nahrung sog. Die Behauptung, daß die Bundes regierungen den Kanzlerwechsel mißbilligt hätten, war ja von vornherein unglaublich, da bekannt war, daß Graf Eaprivi das Vertrauen namentlich derjenigen Fürsten, die ihr Interesse für das Reich auch äußerlich bekunden, früher als daö des Kaisers verloren batte. Aber eS war nicht möglich, mit dem Hinweis auf eine Tbatsache der Ausstreuung entgegenzutreten, die mittelstaatlichen Höfe seien überrascht und verletzt worden. Die Mitlheilung des Münchener Blattes, im October gemacht, hätte die Erzeugung einer Mißstimmung verhindert, die nach der so spät erfolgten Klarlegung nicht völlig verschwinden wird, weil ihr so lange Zeit gelassen wurde, sich tief zu senken. Es kann gar nicht genug beklagt werden, daß die gute Wirkung einer so populären Maßregel wie die Ent fernung des Grafen Eaprivi durch einen begleitenden schweren Fehler beeinträchtigt werden durfte. Die parlamentarischen Aussichten des englischen Cabi- nets Rosebery sind keine ganz ungetrübten. Seine eigenen Anhänger lassen es sich nicht auöreven, daß zwischen dem Premier und dem Schatzkanzler Harcourt Meinungsverschieden heiten bestehen, weil elfterer sich nicht dazu entschließen wolle, dem Oberhause offen den Krieg zn erklären. Der in der Persönlichkeit Harcourt's sich verkörpernde englische Nadica- liSmus legt aber gerade auf die Abschaffung deS Ober hauses entscheidenden Werth, weil er dieses für das Haupthinderniß seiner eigenen Machtenlfaltung hält. Ohne den entgegenwirkenden Einfluß der Lords, welcher dem konservativen Gedanken überhaupt zu Gute kommt, würde der Radikalismus unter den Massen namentlich aus dem Lande schon weit mehr »m sich gegriffen haben, das ist wenigstens die Ueberzeugung aller dieser Rlwtung angebörigen Politiker, und dann dürfte auch die Stunde geschlagen haben, wo der englische Radikalismus sich der immerhin unbequemen und vor ter Oeffentlickkeit mit einem gewineu Odium bebasteten Bundesgenossenschafl mit den Iren entschlagen könnte. Ohnehin wird das irische Votum in demselben Grade unzuverlässiger, als die Zerfahrenheit im Lager der Homerulers zuniinink. Ohne die Fenier zu rechnen, deren demnächsliges Wieder- einlreten in die politische Aktion angekündigt wird, sind noch drei irische Fraktionen vorhanden, die aber vor lauter wechsel seitiger Befehdung an die Fortsetzung der Homerulecampagne einstweilen nickt entfernt denken können. — Jnzwiickcn steye» die Marinefragen im Vordergründe des öffentlichen Interesses und macken den Budgelrecknern ziemlich viel Kopfzerbrechens. Bald hier, bald dort wirb die Behauptung laut, daß Englands gegenwärtige Flvtlenverfassung absolut unzulänglich sei und durchgreifend umgeslallet werden müsse, wenn Großbritannien auch fernerbin im Stande sein wolle, seine überlieferte Seeherrschaft wirksam zu vertbeidlgen. Das kostet aber eine Menge Geld, denn die vorgeschlagenen Neubauten sind theilweise äußerst kostspieliger Art, aber es bleibt den leitenden Kreisen kaum eine Wahl, wenn anders sie nicht das Land der Gefahr auSsetzen wollen, im Ernstfälle sofort isolirt zu werden und seinen Handel von feindlichen Kreuzern ruinirl zu sehen. Lord Rosebery s Stellung freilich wird dadurch auch keine bessere, denn ein Tbeil der radikalen Gefolgschaft will von Erhöhung der Ausgaben für die Marine nichts wissen, und die Widerspenstigen zur Raison zu bringen, gilt Rosebery nicht für den Mann. So fehlt es denn am Horizonte der allmählich näher rückenden englischen Parlai»entsse>sivn keineswegs an dunklen Punkte», welche sich leicht zu einer Krise für die jetzt in England herrschende politische Partei verdichten könnten. In unwiiisti- tchcn und konservativen Kreisen colportirt man schon die Namen der kommenden Minister. Die erythräischc Colonie Italiens in Afrika scheint doch ernstlicher bedroht zu sein, als osficiöse Berichte anfänglich zugeben wollten. Die abessinischen Häuptlinge Ras Man- gascha nnb RasAgoö haben durch die milstairischeDemon- stralion der Italiener, den Vorstoß General Baraücrl's nach Adua in der Landschaft Tigre, sich nicht abhalten lassen, unter dem Einflüsse deö Königs Menelik von Abessinien und, wie es heißt, auf Anstiften französischer und russischer Agenten mit den Derwischen vom Sudan ein Abkommen zur Wieder-Ervberung von Kassala und zur Verdrängung der Italiener vom Plateau von Keren zu treffen. Dis Rollen sind derart ver theilt, daß, während die Mabdisten Kassala von drei Seiten angreifeu, einschließen und die dortige italienische Besatzung aus- bungern sollen, die Abessinier durch ein Vordringen vom Süden aus gegen die italienische Operationölmie Massanab-Keren den General Baratieri Verbindern sollen, ven hart bedrängten Ver- theibigern von Kassala zu Hilfe zu kommen. Tie Äiabdisten standen zu Ende December in drei Haufen in der Um gebung von Kassala: 7000 Mann unter Hamed-el-Fadil in der Provinz Kevaref, 8000 Mann unter dem Emir Hameb Ali in einer Entfernung von zwölf nnb die dritte Gruppe von 4000 Mann unter Osman Dignia selbst in einer Entfernung von achtzehn Stunden von Kassala. Mittlerweile müssen jedoch die Derwische schon näher herangerückl sein, da ein Bericht wissen will, daß sie bereits El-Fascher, 70 km von Kassala, erreicht hätten. Nur 8000 Mahdisten sollten ürigens diese Stadt einschließen und belagern und die anderen Derwische den Italienern in östlicher Richtung entgegenrücken, die dann auch von den Abessiniern von Tigre, also vom Süden aus, angegriffen würden, wodurch die afrikanischen Alliirten hoffen, dem Vordringen Baratieri's Einhalt zu thun. Wie an anderer Stelle milgetheilt wird, rücken Ras Mangascha und Baratieri gegen einander vor und müssen sich sehr bald begegnen. Voraussichtlich wird es der höheren Disciplin, de» besseren Waffen und der europäischen Taktik der Italiener gelingen, ihre von zwei Seiten auf sie eintringenden Gegner z» besiegen und daS hart bedrängte Kassala zu entsetzen. Die erfolgreichste Unterstützung könnten den Italienern aller dings die Engländer gewähren, wenn sie von Koroska und Wadihalfa aus südwärts eine Diversion wagen würden. Dann müßten die Mabdisten von Kassala ablasse» und sich nach Norden wenden. Es ist aber nicht zu erwarten, daß die Engländer Italien zn Liebe die Knochen auch nur eines schottischen Gardisten riskiren. Die Nachrichten, welche in den letzten vierzehn Tagen vom Schauplatze des chincsisch-japauischcir Krieges in der Mandschurei cinliefen, lauten sehr verworren und unklar. Die Ursache dieser Evnfusion mag wohl in dem Umstande zu suchen sein, daß über jedes Ereigniß, das sich aus dem Kriegsschauplätze zuträgt, aus drei, vier Orlen be richtet wird, wobei bald die chinesische und bald die japanische Schreibart der Ortsnamen zur Anwendung gelangt. Aus den verschiedenen neuerdings vorliegenden Berichten ist indeß doch zu entnehmen, daß die Japaner noch immer sieg reich Vordringen, wenn dies auch in Folge der herrschenden Kälte und der enormen Schneemassen wegen nicht so rasch wie früher geschieht. Die beiden japanischen Armeen, jene des Generals Nodzu, welche vom Iaiu-Flusse und aus Korea kam, und iene des Marschalls Oyama, welche Tal'en-wan und Port-Arthur bezwungen hat, haben sich vereinigt und hielten, nachdem sie in sieg reichen Kämpfen die Städte Kai-ping, Simu-tsckeng und Hai-scheng occupirten, am 8. d. M. die Linie Kai-ping, Hai-tscheng und Mokhien-ling-Gebirge fest. Nach den neuesten Nachrichten zogen sich die auf allen Punkten geschlagenen Ehinesen an die große Mauer zurück, wo be kanntlich der preußische Major v. Hannecken bei Schau-haik- wa» seit Monaien den Widerstand organisirt, indem er Befestigungen errickten läßt und Truppen concentrirt. Die Japaner sollen, derixlben aus Tien-Tsin stammenden Meldung zufolge, ,n raschem Vorrücten aus 'Tsin - lschu begriff )ein. Tsin-tschu oder Kin-lschu liegt nächst der nördlichsten Einbuchtung des Golfes von Ljao-kong an der von Mukren über Schan baik-wan nach Tien-Tsin und Peking führenden großen Straße. Die Entfernung von Hai-tscheng, wo die Japaner am 8. d. standen, bis nach Tsin-tschu be trägt ungefähr 150 Kilometer. Eine Armee benöthigt, um diese Strecke znrückzulegen, unter den jetzigen Witterungsverhälinissen miiireslcns zehn Tage, und da bisher noch nicht bekannt geworden ist, daß die Japaner Niu-lschang genommen oder den Liao-Flnß überschritten haben, so ist die oben erwähnte Tieii-Tsiner Meldung wahr scheinlich nur ein Product der dort herrschenden Angst. Es ist auch nickt wahrscheinlich, daß die Ebmesen, die m letzter Zeit sich besser schlagen, Niu-tschang und den Uebergang über den Liao-Ftuß ganz ohne Kampf verlassen werden. Der in Niu-tschang coiumanbirende chinesische General hat überdies unter Androhung der Todesstrafe aus Peking den Beseht er halten, diesen Ort nmer jeder Bedingung zu vertbeidigen, und man wird sich daher noch auf einige ernste Kämpfe in der MüncungSgegenv des Liao-Flusses gefaßt machen müssen, bevor man davon wird sprechen können, daß die Japaner rasch auf Tsin-tschu vorrücken. Deutsches Reich. * Berlin, 13. Januar. Zahlreiche deutsche Krieger verbände richten sich gegen die Bestrebungen des Verbandes Deutscher Kriegsveteranen zu Leipzig. ES sind dies folgende Verbände: Der deutsche Kriegerbund, der könig lich sächsische MilitairvereinSbund, der Verband der mili- tairischen Vereine im Großherzogtbum Hessen, der Olden burger Kriegerbund, der Braunschweigische Landwehrver- band, der Hamburger Kriegerverband und der Bremische Landeskriegerverband. Diese Verbände erklären gegenüber dem Bestreben des Leipziger Verbandes — daß das Änvaliden- pensionßgesetz so geändert werde, daß sämmtlichen kranken oder erwerbsunfähigen Invaliden, wenn sie ihre Krankbeit als aus einem Feldzuge herstammend auch nicht Nachweisen können, je nach dem Grad ihres Leidens und ihrer Bedürftigkeit eine Pension gezahlt werde — Folgendes: Es sei ein Jrrlhum, daß noch reiche Mittel aus dem Invalidenfonds vorhanden seien. Ans diesem Fonds seien thatsäcklich nur 72 Millionen Mark gegenwärtig vorhanden. Diese für die große Zahl der Invaliden keineswegs hohe Summe werde dem Reiche einmal sehr willkommen sein, wenn es sich um eine allgemeine Erhöhung der Jnvalidenpension handeln werde. Die genannten Verbände könnten daher weder für diese Forderung, noch gar dafür eintreten, daß später allen Veteranen ein Ehrensold zu gewähren sei. Dagegen würden sie tabin streben, daß für die kranken und bedürftigen Invaliden der Nachweis, daß sie ihre Leiden durch die Feld zugsanstrengungen erworben haben, möglichst erleichtert und daß in späteren Jahren, wenn die Möglichkeit auf Erfüllung vorhanden sei, den alten bedürftigen und kranken Veteranen ein Ebrensolb gewährt werde, wie er vom Jahre 1863 ab allen Veteranen der Befreiungskriege zu Tbeil geworden ist. Zur Zeit aber seien derartige Bestrebungen vollkommen aussichtslos, und wer den Veteranen schon jetzt Hoff nungen auf Ebrensold erwecke, kenne die Verhältnisse nicht und erstrebe Unerreichbares. Die genannten Verbände be tonen schließlich, sie hätten nicht das Recht, die einzelnen Veteranen von dem Beitritt zum Verbände deutscher Kriegs veteranen abzuhalten, wohl aber hätten sie die Pflicht, vor dem Beitritt zu einem Verbände zu warnen, der Hoffnungen errege, die er nicht erfüllen könne. Dem Vernehmen der „Rb.-Wests. Ztg." nach theileu die amtlichen Kreise diesen Standpunkt gegenüber dem Leipziger Verbände durch aus »nd dursten d^s bei de» sick dorbietenden Gelegen heit unzweideutig zu erkennen geben. — Regierungsratb Stobbe sagt in einer Broschüre: „Die Renlengutsgrllndung in Schemlau": „Im Bezirk der Specialcommission Bromberg sind Fälle vor- gekommen, Laß Leute binnen zehn Jahren mehrere Male ihren Besitz gewechselt, Anfangs eine Käthnerslelle gekauft, wirthschastlich gehoben, dann verkauft und fortgesetzt immer größere Wirthschaften erworben und von Jahr zn Jahr immer mehr Baarmittel gewonnen haben. Diese Fälle sind so zahlreich, daß man zu der Ueberzeugung kommen kann, daß künftig ein wejenllichcr Theil unseres kräftigen Bauernstandes durch derartige Leute vornehm lich gebildet werden wird." Diese Mittbeilung ist in mehrfacher Hinsicht beachtens wert!) und erfreulich. Sie widerlegt nämlich in gleicher Weise übertriebene agrarische Schwarzseherei wie die social- demokratische Doktrin, daß der kleine ländliche Besitzer nicht vorwärts kommen könne, sondern rettungslos dem Untergänge verfallen sei. — Die Angelegenheit des Altonaer Commandanten- Poste ns hat, wie bereits berichtet, ihre Erledigung in der Budget-Commission durch ausreichende Erklärungen der Regierung und dadurch gesunden, daß der Posten von Neuem gestrichen worden ist. Die Loyalität der Erklärungen des Graf Jarl. UI Roman von Hermann Heiberg. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Wo dichteres Laub ibr Eindringen erschwerte, funkelte es wunderbar zwischen Bäumen, Zweigen und Blättern, wo aber Lichtungen sich dehnten, schob sie sich mit breitem Glanz in die Reviere nnd führte auf stillen, grünen Wiescnabschnitten heißzitternde Tänze auf. Vollends ein Wunder bot sich dem Blick an dem See. ochstämmige Buchen und schlanke Birken benutzten ihn als aturspiegel und schauten ihr eigenes Bild. In solcher Treue gab die stillglänzende Fläche zurück, waS neben ibr in majestätischer Schönheit emporstieg, oder im bescheidenen Reiz an Schilf und Gräsern den Rand umsäumte, daß eine greif bare Welt drunten dem Auge aufgeschlossen schien. Tessa nahm aus einer der Bänke Platz und ließ all diese Herrlich keiten auf sich einwirken. Eine so heilige Ruhe herrschte, daß selbst die Vögel verstummt waren. Aber farbige Libellen, die beiße Luft fliehend, huschten blitzschnell hin und her, und einmal plötzlich hob sich unter rasch wieder ersterbendem Plätschern eine kleine silberne Welle. Ein Fisch war an die Oberfläche gedrungen und gab Auskunft, daß trotz des todten Schweigens drunten ein lebendiges Geschlecht wohnte. Tessa zog zunächst einen Brief hervor, den sie am Morgen von Eduard empfangen hatte. Sie las ihn einmal und noch einmal und ließ ihn dann in ihren Schooß fallen. Ihr Sinn war trübe. Gewiß, eS war ja Alles gut, aber doch und dennoch war eS nicht das Rechte. ES saß ein Gefühl in ihr, als ob die arsammte Welt noch nicht weit genug für sie sei. Alle«, waS sie überschaute und WaS ihr zu Tbeil werden sollte, batte zu enge Grenzen, stillte nicht den Drang nach Befriedigung. Sie konnte keine Fesseln tragen. So lange ihr Vater gelebt, hatte ihr Auge und Geist allezeit Nahrung und Abwechslung gefunden. Fremde Länder zu sehen, mit Menschen, besonders mit interessanten in Berührung zn gelangen, etwas für die Sinne und die Phantasie zu gewinnen, was über den Ge- wobnheitSrahmen hinauslag, das batte er ihr verschafft. Zeit weilig war dann dieser Durst zurückgedrängt worden. Die Trauer um den Verstorbenen und später die Verlobung hatte ihren Gedanken eine andere Richtung gegeben. Aber allmählich war Alles wieder erwacht, und weil gehemmt, hatte es an Stärke zugenommen. Hier, in Horst, batte sie sich in den ersten Tagen so unglücklich gefühlt, daß sie mit sich zu Rathe gegangen war, ob sie nicht — es möge kommen, was wolle — wieder abreisen solle. Der gestrige Besuch im Schloß batte dieses Drängen und Verlangen nach Dem. was anßelbalb des Gewobnbeitsmäßigen lag, noch mebr gefördert. Und dennoch! Was balf'S. Tessa ergriff ein Buch und suchte zu lesen! So saß sie lange, bis sie endlich durch ein Geräusch emporgeschreckt wurde. Ein prachtvoller Hund erschien unter den Gebüschen, stand eine Weile unschlüssig und sprang dann unter lautem Gebell in großen Sätzen aus Tessa zu. Und darauf ein scharfes: „Brand, hierher!" und Graf Adam von Jarl erschien auf dem Fußpfad. Tessa's Herz klopfte so gewaltig, daß ihr das Blut aus den Wangen wich. Sie wußte sich aber zu fassen und er widerte den Gruß des rasch und lebbaft auf sie zuschreitenden Bewohners von Horst mit ernster Unbefangenheit. „Darf der Eantor und Schulmeister Harder noch einmal Sie im Freien stören, mein gnädiges Fraulein? Sie waren gestern im Schloß. Ich möchte Ihnen wenigstens für Ihren liebenswürdigen Besuch danken und mein wirklich aufrichtiges Bedauern aussprechen, Sie nicht gesehen zu haben!" „Die Entbehrung lag ganz auf meiner Seite, Herr Gras!" — entge^nete Tes^a in demselben leichten Ton. „Und statt daß Sie stören — Sie befinden sich ^a in Ihrem Terri torium und ich bin die Unbescheidene, die eS zu betreten wagte — gewäbren Sie mir natürlich eine besondere Freude und Auszeichnung." „Sie sagen das in einer Art, die Zweifel läßt, ob Sie im Scherz oder Ernst sprechen, jedenfalls war Ihre Rede nicht frei von Spott." „Beispiel beeinflußt die Sitten, Herr Graf. — Ich bin leider sehr aneignungsfäbig. Freilich besitze ich weit mehr Talent für die Sünde als für das Gute —" „Sie sagen leider, gnädiges Fräulein? Aber das Leben ist die Sünde! So äußert sich wenigstens der alte Hafis." „Wer ist HasiS? Sie sehen, ich bin auch nnwiffend." „Ich bezweifle eS. Aber zu Ihrer Frage! Hafis war ein persischer Dichter, der größte Lyriker des Orients! Lebens freudigste Weltanschauung hat er in nahezu vollendeter Form gegeben." „Dann will ich ihn zu meinem Hofpoeten erheben. Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie mich auf ihn aufmerksam gemacht haben, Herr Graf." „Also bekennen Sie sich auch als eine Gegnerin des Pessimismus, gnädiges Fräulein? DaS freut mich außer ordentlich. Nichts flößt mir mebr Abscheu ein als das fort währende Negiren und finstre Grübeln über die unvollkommene Welt. Welcher Mangel an innerem Gehalt und wahrhafter Sittlichkeit —" „Sie meinen, Herr Graf, eS sei das die richtige AuS- legung für den pcsimistiscken Zug der Zeit? Jst S nicht vielleicht ein Product tieferer Erkennlniß?" „O nein! Es ist die Eonsequenz deö allzu frühen GenießenS, es ist der Mangel Dessen, was ich wahre Religio» nenne!" „Gewiß, eS giebt Ausnahmen: Lebensüberdruß kann am Platz sein, wo das vornebmste Geschenk der Götter, wo Gesundheit fehlt, wo der LebenSdrang allzu gewaltig war. Aber da, wo ein Mensch, wenn er nur will, sich durch Arbeit und Pflichterfüllung eine heitere Seele verschaffen kann, da sollte er für sein finsteres Meditiren mit den schwersten Strafen belegt werden!" „Es ist dock klar, das fast Niemandem Das wird, was er sich in seiner Jugend ausgemalt bat. Jeder schraubt die Ansprüche u hoch. Das Leben zeigt die stete, noch unergründcte That- acke, daß die Dinge sich immer gegen die Wünsche der Menschen kehren, daß nicht Fülle, sondern Entbehrung der Creatur auferlegt ist!" „Sie vermögen wohl so zu pbilosophiren, Herr Graf! Ihnen bot das Schicksal mehr als irgend einem Anderen." „Gewiß, ich erkenne es dankbar an. Aber ich möchte glauben, daß diele gesunde, ich möchte sagen, auf das Prak tische gerichtete Lebensauffassung mir alle Zeit zur Seite stehen wird!" „Ihre Worte deuten übrigen« darauf bin, daß Sie meinen Standpunkt nicht tbeilen! Gehören Sie nicht auch zu Denen, welchen Alles geworden, waS nur Gutes ein hoher Geist er sinnen kann —?" Tessa zog schmerzlich die Lippen und seufzte auf. „Ich sollte es wohl so ausfassen, Herr Graf. Aber leider istS nickt der Fall! Ich war glücklich und fand die Welt Uber Alles herrlich, bevor mein Vater starb. Da ging daS Beste fort, waS mir je werden kann. Ich liebte ihn grenzen loS, er war auch der Inbegriff von Güte, Weisheit und Liebe." „Sie fanden aber Ersatz. Ihnen blieb Ihre Mutter. — Ich weiß, sie lebt, und Sie haben Eduard, einen der vor trefflichsten Menschen, die man finden kann." Tessa van Wimpen antwortete diesmal nicht. Sie sah vor sich nieder und bewegte den Kopf. „Gewiß, gewiß!" stieß sie dann heraus. Gras Adam sah auf dieses vollendete Gebilde der Natur. Sie war in ihrer dunklen Eigenart so schön, die zartweiche Gesichtsfarbe, die still glnthenden, in dem eigenen Weiß schimmernden Augen, der Schnitt deS Hauptes und des Halses hatten etwas so Verführerisches, und überhaupt umgab sic etwas so Eigenartiges, daß Graf Adam nur mit Aufbietung aller seiner Kräfte an sich halten konnte, ihr nicht zu gestehen, was er für sie fühlte. Aber in seiner Seele konnte nicht einmal der Gedanke, einen Diebstahl zu begehen, auskommen, noch vermochte er jemals den Cavalier zu verleugnen. Als der Zufall sie ihm hier in dieser stillen Welt in so gefährlicher Weise wieder näher gerückt hatte, war seine erste Negung gewesen, sofort wieder abzureisen. Sie und sich selbst nicht in Versuchung zu führen, bewegte ihn allein. Dann aber traten Pflicht und Wille in voller Stärke in ihr Recht. Da er auf sie verzichten mußte, konnte er es auch! Noch mehr! — Wenn sie etwa seinem jungen Freunde — wie er vermuthete — nicht voll zugeneigt war, so wollte er Alles tbun, sie zu ihm znruckzuführen. Er wußte, einen rechtschaffeneren Mann konnte sie jedenfalls auf der Welt nickt finden. Ihr Benehmen bewies auch elfteres. Aber statt nach Art neugieriger Durchschnittsmenschen in sie zu dringen, ehrte er ihr Schweigen, überging es, als obS ihm gar nicht ausfalle und sagte: „Apropos! — Ich werde Ihnen doch — wenn Sie es gestatten — den HasiS aus meiner Bibliothek schicken. Aus der Sckulbibliotbek —", fügte er lächelnd betonend bei. „Wie liebenswürdig von Ihnen, gnädiges Fräulein, daß Sie mir den schlechten Scker; nicht nachgelragen haben!" „Ich habe es sehr amüsant gefunden, Herr Graf", be stätigte Tessa, ebenfalls den gleichen Ton zurückgewinnend. „Ueberbaupt bat alles Abweichende — natürlich mit dem einen Stich ins Bedeutende oder Humorvolle — eineu be- onderen Reiz für mich. Ja, eS geht so weit, daß ich ohne dergleichen überhaupt nicht zu leben vermag." (Fortsetzung folgt.)
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