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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.01.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-01-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950123023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895012302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895012302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-01
- Tag1895-01-23
- Monat1895-01
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Tabellarischer und Zifferusatz nach höherem Tarif. Grtr«-Vrilagktt (gefalzt), nur mit Le» Morgen » Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mrt Postbeförderung ?v.—. Iimiaiimkschlub für Anzeige«: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4Uhr. Sonn- und Festtags früh '/,9 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Erhedttt»» zu richten. Druck und Verlag von E. Potz in Leipzig ^°42. Mittwoch den 23. Januar 1895. 89. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 23. Januar. Während da» Plenum des Reichstags bei der gestern begonnenen ersten Berathung der Zolltarisnovelle sich in Einzelheiten verlor, zu deren Prüfung eigentlich die Com mission bestimmt ist, und dadurch einen Sitzungstag ver schwendete, scheinen die Comm issionsverhandlungen über die Umsturzvorlage endlich in ein etwas schnelleres Tempo zu geratben. Wir haben über die letzte Sitzung so ausführlich, als es bei solchen nicht öffentlichen Berathungen möglich ist, berichtet. Die Abstimmung über die Hß. NI und 111a, welche die öffentliche Afforderung zu Verbrechen strenger bestrafen und beziehungsweise die Anpreisung gewisser straf barer Handlungen nicht mehr ungeahndet lasten wollen, wird voraussichtlich heute stattfinden. In rer Discussion war bemerkenswert!), daß die zwiespältige Auffassung innerhalb der Freisinnigen BolkSpartei auch dort zu Taste getreten ist. Während Herr Munckel nach dem Beispiel einer Parteiversammlung zu Gotha>, wo die Socialdemokraten als „Brüder" begrüßt wurden — welche Gefühlsäußerung zwar gnädig entgegengenommen, aber nicht erwidert worden ist —, eine sachliche Erörte rung ablehnte, machte sein Parteigenosse Lenzmann gleich beim ersten Paragraphen den Versuch einer Amendirung, freilich mit der Begründung, daß Deutschland nickt nölhig hätte, so scharfe Gesetze gegen das Predigen von Mord und Brandstiftung zu erlassen, wie — die Schweiz. Sonst führt man die „freie Schweiz" nur als Muster vor und verweist auf die „unumstößlicke Wahrheit", daß die Freiheit die Wunden, die sie schlage, auch heile. Auch Herr Bebel erachtete die vielgepriesene Republik eines stärkeren gesetzlichen Schutzes gegen die Aufforderung zu Verbrechen für bedürftig, als das „geknechtete" Deutschland. Er, wie Herr Barth, war der Meinung, das von der Regierung vorgelegte Material werde von den HochverrathS-Paragraphen bereits getroffen. Dies wurde theistveise widerlegt, und insoweit die Widerlegung nicht gelang, so konnte das nur den Grund baden, daß nicht das richtige Material vorgelegt worden ist. Die Aufforderung zur Ermordung nichtdeutscher Regenten fällt nicht unter die Hochverrathsparagraphen, und was der „Vorwärts", von kleineren Blättern zu sckweigen, über die That Caserio'S geschrieben hat, waren Anpreisungen, die bei der jetzigen Gesetzgebung ganz straflos bleiben mußten. DaS „Material" gegen die Socialdemokratie dürfte noch reichlicher vorhanden sein, als das gegen den Anarchismus — jedenfalls liegt es uns in Deutschland zeitlich und räumlich näher und waltet über die Nicktung der für dieses Material verantwort lichen Personen nicht der geringste Zweifel ob. Man braucht über die Socialdemokratie weder durck Spitzel noch sonstwie im Geheimen etwas zu „ermitteln", man braucht nur ihre Zeitungen und Broschüren zu lesen und ihre Versammlungs- redner zu hören. Daß der Anarchismus auch eine geheime Ueberwachung nöthig macht, ist die gemeinsame Ueber- zeugung aller europäischen Negierungen, der englischen nicht weniger als der französischen oder der deutschen. Daß ferner als Werkzeuge der Ueberwachung keine Genl- lemen gebraucht werden, hat schon Herr von Puttkamer anerkannt und ist von nebensächlicher Bedeutung. Die Sache der anarchistischen Bombenwerfer und Mörder wird dadurch nicht besser, daß man durch „Lumpen" Erkundigungen über ihr Treiben und ihre verbrecherischen Pläne einzieht. Herr v. Köller bat darum Recht gethan, als er die Auskunft, ob man sich des bekannten Reuß bediene, nicht verweigerte. Die Behauptung Bebel's, daß diese Persönlichkeit einer der bevor zugtesten Journalisten einzelner NeichSämter sei, dürfte übrigens verspätet sein. Er war es unter der Kanzlerschaft Caprivi's, dessen Adjutant den entlarvten Polizeispion nicht selten im Reichskanzlerpalais empfing und ihn mit Nachrichten versorgte. Heute erhält, wie wir zu wissen glauben, Reuß seinen Lohn durchweg in klingender Münze ausbezahlt. Dir zu Gunsten des Antrags Kanitz in» Leben gerufene Bewegung im Lande nimmt ihren Lauf so, wie man es von vornherein erwartet batte. Die Begründung, mittelst deren die zustimmenden Beschlüsse in den Versammlungen erwirkt werden, erschöpft sich in einer möglichst ergreifenden Dar stellung der Nothlage, in welcher sich ja tatsächlich die Landwirthe zu einem sehr großen Theile befinden. Indessen ist mit dieser Feststellung natürlich noch nicht das Mindeste dafür bewiesen, daß nun von dem Mittel der Hebung der Preise, welches seiner Zeit in den Schutzzöllen ergriffen wurde und mit der modernen Wirtschaftsordnung recht wohl verträglich ist, übergegangen werden müsse zu der gesetzlichen Fest setzung der Preise, die im Antrag Kanitz vorgeschlagen wird und aufs Bedenklichste den Vorgeschmack der socialistischen Wirtschaftsordnung an sich hat. Man darf jedoch annehmen, daß dieser Unterschied mit sammt den Folgen des letzteren Mittels demnäckst auch der größeren Masse der ländlichen Interessenten zum Bewußtsein kommt. Wie schon anderweit gemeldet ist, soll der preußische StaatSratb hauptsächlich u dem Zwecke berufen werden, um alle Mittel zur Be- eitigung oder doch zur Linderung der landwirtbschaftlichen Nothlage zu prüfen, und hierbei wird besondere Gelegenheit geboten sein, das Für und Wider den Antrag Kanitz in unbefangenster Weise, auch ohne die erregenden Wirkungen der parlamentarischen Debatte, zu erörtern. In Anbetracht gerade dieses Berathungsstoffes findet auch die Berufung der Grafen Kanitz und v. Mirbach in den Staatsrath eine ver- hältnißmäßig einfache Erklärung, namentlich wenn man weiter erwägt, daß andernfalls voraussichtlich gar kein Mit glied des StaatsralheS vorhanden wäre, das den Intentionen des Grafen Kanitz in der Vertretung seines Anlrages völlig zu entsprechen vermöchte. Im Hinblick auf diese Beratbungen des Staatsrathes ist es übrigens sebr unwahrscheinlich geworden, daß der^Antrag Kanitz in diesem Frühjahr noch im Reichstag zur Tagesordnung gelangt. Die Commission der wirthschaftlichen Bereinigung, welche den Antrag vor- berathen soll, gedenkt heute Abend die materielle Behandlung des Antrags endlick zu beginnen, wird aber schwerlich über die Erörterung einiger grundsätzlicher Gegensätze hinaus- kommen. Die Schwierigkeiten der französischen Cabinets- bildung sind noch immer nickt gelöst. Es wird versickert und ist sehr wahrscheinlich, daß dieselben in erster Linie aus Differenzen der in Aussickt genommenen Ressortminister betr. wicktiger, zur Entsckeidung drängender Finanzfragen ab zuleiten sind. Namentlick handelt es sich um die von den Radikalen immer stürmischer verlangte Einführung der pro gressiven Einkommensteuer, der gegenüber sich die gemäßigten Republikaner zum Theil schroff ablehnend verhallen. Bourgeois ist natürlich dafür, ebenso Cavaignac, der die Progression unverzüglich und gründlich durchgeführt wissen will, während der in Aussicht genommene Finanzminister Poincarv dafür hält, daß mit der Einkommensteuer sebr vorsichtig, langsam und stufenweise vorgegangen werden soll. Die Differenzen liegen aber noch tiefer. Es stehen sich innerhalb der republikanischen Parteiwelt zwei Strömungen gegenüber, die liberale, welche alle Elemente umfaßt, die auf Grund des Gegebenen fortbauen wollen, und die radikale, welche mit allem Gegebenen tabula raga machen will. Zu den Stützen der liberalen Richtung gehören ins besondere die Politiker, welche ehemals auf dem Boden des reckten und des linken Centrums standen; dann die gemäßigten Proaressisten, endlich daS Gro» der sogenannten rSpubllealu» äe la veillv, die Neubekehrten, welche ihre royalistischen oder imperialistischen Gesinnungen aus Zweckmäßigkeiisgrünven über Bord geworfen haben, weil sie einsehen, daß die Gegen wart ganz anderen Triebfedern unterthan ist, als die den Bonapartisten oder Orleanisten geläufig sind. Eine relativ gemäßigte, in der That aber schon sehr demokratisch geartete Republik dieser Richtung, wie die von heute ist, geht aber den Radicalen, welche vom rechten Flügel der ehemals republi kanischen Vereinigung bis hin zum äußersten Flügel der socialdemokratisch-anarchistischen Verschwörung reichen, nicht weit genug, sie wollen eine Entwickelung, die ihren Aus gangspunkt von dem Programm der Pariser Com mune nähme und bei dem vollständigen Cbaos ankäme. Zwischen diesen unversöhnlichen Richtungen soll nun ein mockus vivoncki gefunden werden, der das Functioniren eines Ministeriums mit eiuem regierungsfähigen Programm gestattet. Bourgeois bat sich ver Lösung dieses Pro blems nicht gewacksen gefühlt und daS Mandat zur Neubildung des Cabinets in die Hände des Staatsoberhauptes zurück gelegt, dann aber auf dringendes Zureden Faure'S, der offen bar überall auf Abneigung gegen Uebernahme der heiklen Mission gestoßen ist, wieder übernommen. Wird er das zweite Mal erfolgreicher sein? Es ist dies nur unter der Voraus setzung möglich, daß sich eine hinreickende Anzahl Deputirter der vorgeschritteneren Richtung entschließt, eine sachliche Politik zu treiben. Die Aufwerfung doktrinärer Gegensätze würde hingegen Alles compromittiren. Der Präsident Helix Faure hat jetzt Ge legenheit, zu zeigen, was das Gewicht seiner Persönlichkeit vermag. Die Republik geräth in schwere Gefahr, wenn das Werk der Cabinetsneubildung nicht sehr bald gelingt. Denn daö Prestige des neuen Präsidenten kann unmöglich gewinnen, wenn das Land den Eindruck empfängt, daß keiner von den bekannten Politikern sich getraut, unter Felix Faure die Ministerpräsidenlschaft zu führen. Zwischen Oesterreich-Ungarn und Bulgarien ist eine ernste Differenz wegen der von ver Sobranje genehmigten, vom Ministerium Stoilow vorgeschlagenen Erhebung einer Accise aus die Einfuhrartikel Salz, Spiritus, Zucker, Petro leum, Kaffee, Bier, Zündhölzer, Tbee und Parfümerien, weiche einen Enrag von 7 Millionen abwirft. Bulgarien bedarf dieser Einnahme zweifellos zur Sanirung seiner sehr ins Arge gerathenen Finanzen, aber die Erhebung der Steuer widerspricht den Handelsverträgen mit England und Oester reich. in welchen der ausdrückliche Vorbehalt gemacht ist, daß der Einführung erhöhter Accisenabgaben eine Verständigung vorausgehen müsse, lieber diese Bestimmung hat sich das Cabinet Stoilow einfach kinweggeseyt und klagt nun in seiner Antwort auf die energische Protestnote Oesterreick-llngarns das letztere einer ckikanösen und höchst befremdenden Haltung an, die darauf hinausgehe, Bulgarien finanziell zu ruiniren Pester Blätter heben sehr richtig hervor, daß Stoilow's Will- kürlickkeit sich bezeichnenderweise gegen jene Macht richtet, die Bulgariens Selbstständigkeit am Wirksamsten förderte. Das werde auch nach Beilegung des Confliktes nicht vergessen werben. DaS Wiener auswärtige Amt rechnet auf die Unterstützung anderer Mächte, da, wenn der erste Versuch gelänge Bulgarien seinen Geldnöthen immer aus Kosten fremder Einfuhr abzuhelfen trachten würde. Was Deutschland anbetrifft, so sei daran erinnert, daß es einen besonderen Handelsvertrag mit Bulgarien nicht abgeschlossen hat und diesem gegenüber nur die Behandlung als meistbegünstigste Nation verlangen kann. Es würde, wie der „Hamb. Corresp." schreibt, vor kommenden Falles zwar zu erwägen haben, ob durch daS bulgarische Gesetz vom 14. d. Mts. die handels politische Lage so verschoben ist, daß die Ein räumung des Vertragstarifs für die ungarische Einfuhr unangemessen sei Aber durch einen for mellen Einspruch sich in die Verhandlungen zwischen Bul garien einerseits und Oesterreich-England andererseits einzu mischen, dazu liegt kein Anlaß vor. Schlimmstenfalls würde der deutsche Handelsverkehr mit Bulgarien denselben ungün- tigen Bedingungen unterliegen wie derjenige der Bertrags- mächle. Uebrigens stößt die Einführung der Accise in Bul garien selbst überall auf heftigen Widerstand und es ist nicht unwahrscheinlich, daß das Ministerium Stoilow darüber z» Falle kommt. Deutsches Reich. * Leipzig, 23. Januar. Gegen den kürzlich (Nr. 18 des „Leipz. Tagebl.") erwähnten, „Vacanzen im Reichs gericht" überschriebenen Artikel der „Nat.-Ztg.", der den Nachweis zu führen suchte, daß das sogenannte BorschlagS- recht der Einrelstaaten zu Unzuträglichkeiten führe, erhebt sich -eute in demselben Blatte eine Stimme, die nicht nur für die ungemiiiderte Ausübung jenes sogenannten Rechts eintritt, da die Justizverwaltungen der kleineren Staaten am besten in der Lage seien, die Befähigung jedes einzelnen ihrer Richter ju erkennen, sondern auch eine Berminderung der Geschäfte des obersten Gerichtshofes und die Verlegung desselben von Leipzig nach Berlin befürwortet. Zur Begründung des letzteren Vorschlags schreibt der Verfasser: „So wenig es öffentlich besprochen wird, so wenig besteht in kundigen Kreisen noch Meiniliigsverschiedenheit darüber, daß es ein Mißgriff war, das Reichsgericht anderswohin zu verlegen, als in die Reichshauptsladt. Keine andere Stadt bietet den Mitgliedern Ersatz für die dort mögliche freiere Bewegung in den amtlichen und wissenschaftliche» Kreisen, in die sie ihrer Stellung nach gehören, ohne die gleichzeitige Gefahr der Einseitigkeit, die aus dem fast ausschließliche» Verkehr mit den engsten Amts» genossen erwächst. Gegen Leipzig müssen auch ins Gewicht fallen die großen Schwierigkeiten, mit denen der mit Weib und Kind aus der engeren Heimath Verschlagene zu kämpfen hat, um für die Zukunft der Seinigen entweder ganz neue Bahnen auszusuchen, ober die ihn mit der allen Heimath verbindenden Fäden sestzuhalien. Das wäre ln Berlin für die aus Preußen stammende große Mehrzahl der Mitglieder ganz vermieden, und auch die Angehörigen der kieinen Staaten, für die der Berzicht aus die Heimath von dem Eintritt in Las Reichs gericht nun einmal nicht zu trennen ist, fänden sich in Berlin mit seinen zahllose» Beziehungen zu allen deutschen Staaten ungleich leichter zurecht, als in Leipzig, dessen Be» ziehungen nach außen fast allein aus dem den Beamten durchgängig fern liegende» Gebiete des Handels und der Industrie liegen. Selbst die von dem Bersasser des Aufsatzes in Nr. 14 ge wünschte Ausbesserung der Reicbsgerichtsräthe in Hinsicht aus Rang, Titel und Orden würde einigen Werth nur an einem Orte haben, wo diese Dinge durch Vergleichung mit Anderen eine Art von Be deutung gewinnen können Wir wollen die Bergleichung nicht weiter führen. Gewiß aber ist, daß die Körbe, die sich nicht allein die preußi che Justizverwaltung bei Ausbietung der Stellen am Reichs gericht geholt hat und noch holen wird, vielfach nicht ertheilt worden wären und zu befürchten ständen, wenn mit der Ernennung eine Versetzung nach Berlin und nicht nach Leipzig verbunden wäre, und deshalb nvthigt gerade dieser Genchtssltz dazu, bei der Be- rusnng der Mitglieder mäßigere Ansprüche zu stellen. Uns wollen die Nachlheile Leipzigs als Gerichtssitz so beträchtlich be- düiiken, daß wir eS nicht für einen Schaden ansehen könnten, wenn der bald vollendete prachtvolle Neubau noch jetzt zu einem mäßigen Preise als Rathhaus an die dessen ohnehin bedürftige Stadl Leipzig abgegeben werden könnte und das Gericht künftig seine Urlheile in den bescheidensten Räumen irgend eines Berliner Dienslgebäudes zu fällen hätte." Die „Nat.-Zta." bemerkt bierzu, der Herr Verfasser werde wobi selbst nickl glauben, daß seine Anregung gegenwärtig Aussicht auf Erfolg habe. DaS ist zweifellos richtig. Eben deshalb aber hätte die „Nat.-Ztg." im Interesse der Mit- Graf Jarl. 19> Roman von Hermann Helberg. Nachdruck »erröten. (Fortsetzung.) „Elendes Gesindel!" murmelteer. „Aber ich habe gerade genug für heute! Und ich will auch fort, denn ich könnte in meiner jetzigen Stimmung versucht werden, den lachenden Philosophen in einen zornigen Eiferer zu verwandeln und Händel anzufangen. Bescheide Dich, Adam Jarl! Geh nach Hause und nimm ein anregendes Buch zur Hand, oder löse Lust und Schmerz in den Tönen der Musik auf! Fort, fort! Hier duftet eS allzusehr nach menschlicher Erbärmlichkeit." Er stand auch davon ab, noch droben in der Loge einen Besuch zu machen, nahm vielmehr den Weg zurück und ging bis an den entgegengesetzten AuSgang. Hier überschaute er noch einmal vorm Fortgehen Alles, was sich ihm bot. Schon batte die zweite Abtheilung der Borstelluna ihren Anfang genommen. Ringsum besetzte Logen und Plätze mit dickt Aedrängten, schaulustigen Menschen. Und darüber tausend fältig flimmernde Kronen, die mit ihren Lichtern die rothen Sammeteinfassungen und die vergoldeten Pfeiler umflutheten, in blanken Knöpfen und Epauletten, in Diamanten und edlen Steinen glitzernde Sonnen weckten, den farbenreichen Costümen und dem durchsichtigen Tand der in der Arena ihre lebbaften Tänze und Pas auffübrenden Ballerinen einen märchenhaften Schimmer verlieben. Helme. Harnische, Waffen, Schienen und Sporen mit silbernem Schimmer ükergoffen und überhaupt Jeglichem ein funkelnd strahlendes Gepräge aufdrückten. Und dazu rauschende Musik, glühende Augen und er regte Sinne, verstecktes Leben unter Ruhe hier und künst liches Verlangen dort in der Arena. Ein wundervolles Schauspiel, aufgefübrt von Komödianten, und als Zuschauer andere Komödianten! Alle» Komödie und alles Lclaverei vor dem einen Herrscher und Gott, den sie wirklich hatten — dem Gelde! Während Graf Adam langsam den Weg nach seiner Wobnuna einschlug, gab er sich seinen Gedanken hin. War'» wirklich Wahrheit, daß man ihm so begegnete? War'S nickt ein Traum, oder ließ sein Argwohn Dinge sehen, die gar nicht existirten? Seine Stirn verfinsterte sich. Seine Menschenkenntniß war ferner bereichert. Für sie würde er auch noch Vieles und Bemerkenswertbes einsammeln, aber wie war's mit dem — inneren Frohbehagen? Schon wollte es ibm Vorkommen, daß er fast ganz allein auf der Well stand. Doch nein! WaS wirklich Werth besaß, hatte bisher die Probe ausgehalten. Peter Hunck, Leonore, Eva und Hadcln, manche der Ein wohner von Horst, insbesondere auch Nelly und Jung waren echte Menschen. Hadeln! Nach ihm bekam Jarl jetzt eine große Sehnsucht. Habest: war zurück, und Jarl beschloß, ibm gleich zu schreiben. Auch nahm er sich vor, die Gräfin Gunda baldigst zu be suchen. Bei ihr fand er immer eine Schätzung seines Naturells und ein aufrichtiges unpersönliches Interesse, daS seinem Herzen wohlrhat. Nun war er ganz bei ihr! Plötzlich aber stieg im Gegen satz zu dieser Vorstellung der Gedanke auf, ob sie wirklich das sei, wofür er sie hielt, ob sie nicht nur deshalb sich so warm gab, wie es geschah, weil sie noch immer an seinen Glücksstern glaubte? Hatte er sie eigentlich schon einmal auf die Probe einer opferfäbigen Freundschaft gestellt —? Nein! Jarl's tiefes Sinnen hielt an, bis er seine Wohnung erreichte. V H ist Eben war das kleine auSerwählte Souper beendet, und eben hatte der Diener die vom braungold glänzenden Speise- immer nach dem zart tapezierten, reizend eingerichteten Salon übrendcn Tbüren geöffnet, in dem nunmehr Graf Adam und die Gräfin Gunda den übrigen Theil des Abends in gemütblichem Geplauder zubringen wollten. Nachdem die schöne Wirtbin dem Grafen selbst eine „Diubek" präsenlirt batte, drehte sie mit ihren bezaubernden Grübchenbänden auch für sich selbst eine Cigarette aus ägyptischem Tabak, ließ sich in einen kostbar behangenen, schwellend-weichen Sessel niederfallen, bat Jarl, sich ibr gegenüber niederznlassen und sagte sodann mit dem Ausdruck vollster Behaglichkeit: „So, nun haben wir's gemüthlicher, Herr Graf, und jetzt, ich bitte, erzählen Sie mir zunächst etwas von den Eindrücken Ihres ersten Besuches. Ich vergaß, zu fragen, und eS ist doch für meine Neugierde die Hauptsache. Ich habe dann auch einige amüsante Berichte für Sie. Ich war gestern zu dem Sommerfest in der Villa LeS Herrn von Bjelsbors in Eharlottenburg geladen. „Da kam das Gespräch auf Ihre Rückkehr, und ich habe die Menschen ein bischen auSgefragt. Sie sollen'S später hören. In allererster Linie müssen Sie mir auch noch mit- theilen, wie's mit Ihrer Nichte, Comtesse Eva, steht. Haben Sie sie schon gesprochen?" „Ja, gnädigste Gräfin, und morgen wird'S nochmals ge schehen! Meine Schwester Campe ist ja elastisch. Wenn man sie in einem Roman schilderte, würde man ausrufen: solche Borurtbeilsbefangenbeit sei carricirt! Dergleichen sei in unserer Zeit der Gleichberechtigungs-Anschauung nicht mehr- möglich! „Meine Visitenkarten haben ihr nämlich den Todesstoß gegeben. Sie gebärdet sich wie ein vergifteter Frosch. Es ist wirklich unglaublich, wie sie sich aufregt. „Und was nun meine kleine Nichte betrifft, so sieben die Dinge leider so ungünstig wie möglich! Mit meiner Schwester ist natürlich absolut nichts zu machen, aber auch mit meinem Schwager ist gar nicht zu reden. Ich werde, wie gesagt, Eva morgen sehen, und will einen Plan mit ihr entwerfen, wie wir sie aus der Affaire ziehen." „Könnten Sie nickt offen mit dem Grafen von der Brede sprechen, ihm ehrlich sagen, wie die Dinge sieben? Ich habe selbst nur Vorteilhaftes von ihm gesehen! An jenem ersten Abend bei Campes machte ich seine Bekanntschaft und ward durck das Gespräch, das ich mit ihm führte, außerordentlich gefesselt." „Gewiß! Ich hatte auch dieselbe Idee! Aber leider ist er augenblicklich gar nicht hier. Er ist auf seine Güter gereist und wird erst in diesen Tagen zurückkehren. Dann soll aber auch schon die Verlobung erklärt werden. Ich will iim gleich nach seiner Ankunft aussuchen. Mündlich kann natür lich eine so wichtige Angelegenheit nur mit Aussicht auf Er folg zum AuStrag gebracht werden. DaS heißt: wenn überhaupt! „Eine Sicherheit habe ich gar nicht, daß der Graf nach- giebt. Er ist natürlich sehr verliebt. Ich werde ihm also höchst unwillkommen sein, und nenn ich vielleicht durch meinen Vortrag Eindruck auf ihn mache, wird meine Schwester ihm alles wieder auSreden. Sie wird vor nichts zurück schrecken! Sie bat mir schon erklärt, ihr wolle scheinen, daß ich selbst Absichten auf Eva habe. DaS wird sie auch dem Grasen von der Brede erzählen und ibm auseinandersetzen, daß darauf meine Intervention allein zurückzufübren sei!" „Jnteressiren Sie sich denn für Ihre Nichte, Herr Graf!" fiel die Gräfin, die bisher schweigend zugehört, mit deutlicher Spannung ein. . „Kann man Blicke für eine Frau haben, wenn Sie auf der Well sind, gnädigste Gräfin?" Jarl spiackss überzeugend im Ton, aber zugleich mit jener Galanterie und jenem Ausdruck in den Mftlien, die den Ernst solcher Worte wieder aufhebt. Wirkliche Neigung und Sentimentalität sind eben unzer trennlich! Ein Mund, der lächelnd Liebesworte flüstert, hat noch immer gelogen. Diese Wahrheit war Niemandem ge läufiger, als der Gräfin Kalte. Sie unterdrückte aber auch heute ihre Empfindungen, be gegnete Jarl's Worten mit leichtem Lächeln und ermunterte ihn zu weiterer Rede. Zum Schluß sagte sie, nach einer Entgegnung von seiner Seite: „Ernsthaft! Wie denken Sic sich den AuSgang mit Com tesse Eva? Mir scheint, daß sich die Tinge noch recht tragisch zuspitzcn können, wenn Graf von der Brede nicht mit sich reden läßt!" „Ich werde", entgegnen Jarl mit starker Betonung, „eher meine Nickte selbst zu meiner Frau machen — ich weiß, daß sie mir gut ist, ich spreche nicht auS geschmackloser Prahlerei, die glaubt, daß sie nur die Hand auszustrecken braucht — als daß ick sie dem Ehrgeiz und der Laune meiner Schwester opfere. Nebenbei ist Niemand betrogen, der Eva Eampe heiratbet. „Würde dieses kleine Mädchen etwas mehr Esprit und nicht den -körperlichen Fehler besitzen, so möchte ich behaupten, daß es kein vollendeteres Geschöpf auf der Welt giebt." „Ja, ein vortreffliches Mädchen", bestätigte die Gräfin lebhaft beipslichlend, obschon die Eifersucht in ihr glühte. „Sie erscheint mir wie ein weißer Flieverblüthenzweig. Freilich ein böser Wind hat ein Aestlein geknickt. Sie hinkt — doch nun zu etwas Anderem. Berichten Sie gütigst, Herr Graf. Wie sanken Sie die Welt, in der man sich langweilt, oder vielmehr die Welt, in der Sie jetzt den Amboß gegen den Hammer vertauschten! Und vor Allem eins! Haben Sie schon Unterricht ertheilt? Ganz herrlich denke ich eS mir, an Ihrer Seite am Clavier zu sitzen. Wieviel kostet die Stunde?" Jarl antwortete in demselben lustigen Ton und fügte hinzu: „Nein, Unterricht habe ich noch nicht gegeben, aber auf meine Annonce sind schon mehrere Offerten eingeaangen, und in den allernächsten Tagen werde ich mit der ersten Stund«
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