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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.01.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-01-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950125025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895012502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895012502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-01
- Tag1895-01-25
- Monat1895-01
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Tabellarischer und Ziffernfitz nach höherem Tarif. Ertra-Beilage« (gefalzt), anr mit d« Morgen-Ausgabe, ohne Postbesürder»», ^ SO.—, «rt Postbeförderung N.—. Ännalfmeschluß fiir 21»)tißr»: Abend-AuSgab«: Vormittag« 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittag« »Uhr. Sonn- und Festtags früh Uhr. Bei den Filialen und Annahmestelle, je ein« halbe Stunde früher. Anzeige« sind stets an die Grtzestti»« zu richte». Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig 89. Jahrgang. schrift: „Gesegnet sei die Bombe" in dem social- demokratischen Witzblatt „Der wahre Jacob" be rufen. Wie gewöhnlich in solchen Fällen, erklärten die Socialdemokraten, das Bild habe die Tendenz, von anarchistischen Thaten abznfchrecken. Nun wird man meinen, der Regierungsvertreter wäre dem mit dem Porzeigen des Bildes enlgegcngetreten. Das hätte er wohl auch gethan, wenn er eS besessen hätte. Er konnte aber nur sagen, er folge in seiner Mitteilung den Angaben einer rheinischen Staatsanwaltschaft. ES handelte sich um eine neuere Nummer eines auf allen Straßen Berlins verkauften Blattes, und diese Nummer hätte man sich wohl beschaffen können. Im Allgemeinen ist eS befremdlich, daß das Preßbureau des Aus wärtigen Amtes, das unter dem früheren Regiment politisch viel weniger interessanten publicistischen Vorgängen eine große Aufmerksamkeit zuwendete, sich um ein Hetzblatt wie „Der wahre Jacob", nicht gekümmert zu baben scheint. Diese Unterlassung, die wobl nicht vereinzelt tasteht, erklärt einiger maßen die optimistische Auffassung, die Socialbemvkratie reife ihrem Ende entgegen. Die französische Minist er krise ist noch immer nickt zum Abschluß gekommen, Bourgeois hat auch den zweiten Versuch, das Ministerium zu Stande zu bringen, als völlig erfolglos aufgegeben und definitiv auf die Cabinetsbilvung verzichtet. Die Radicalen sind darüber natürlich wüthend und unterstellen bereits dem Präsidenten der Republik, Faure, daß er Bourgeois, ohne daß dieser überhaupt zur Regierung gelangt wäre, habe abnutzen wollen. Bourgeois' Be mühungen wurden besonders durch Eavaignac vereitelt, der während der Beratbungen immer wieder die Frage der progressiven Einkommensteuer aufrollte und die Lösung dieser Frage zur Bedingung seiner Mitwirkung machte, auch wenn er selbst das Finanzministerium nicht über nahm. Die Persönlichkeiten, denen Bourgeois nacheinander das Finanzportefeuille anbot, wollten auf Eavaignac's Forderungen nicht eingebcn, andererseits glaubte Bourgeois auf Eavaignac nicht verzichten zu können. Nachdem Bourgeois drei Ministercombinationen, zuerst ein Eon centrations - Ministerium aller republikanischen Parteien, dann ein radicaleS Ministerium mit Unterstützung ein zelner Liberaler, zuletzt ein rein radicales Ministerium, aber ohne radicales Programm, vergebens zu Stande zu bringen versucht hat, ist jetzt, nachdem eine andertbalbstüiidige Unterredung des Präsidenten mit Brisso», der seinen sicheren Posten niit dem gegenwärtig höchst unsicheren eines Preniier- ministerS nicht wird vertauschen wollen, erfolglos geblieben ist, steht ein liberales Ministerium mit Unterstützung des rechten Flügels der Radicalen unter Ri bot und Lo übet, wie zur Zeit Earnot's, ober ein reines Gesckäftsininisterium, welches nur das Budget unter Dach zu bringen hätte, im Vordergrund der Combinationen. Ties wie jenes wäre nur eine Vertagung der Krise, die überhaupt permanent zu bleiben scheint. Immer noch deutet das politische Barometer aus Sturm, und viel leicht wird Perier's Entschluß, auf eine Stellung zu verzichten, die ihm eine schwere moralische Verantwortlich keit auferlegte, ein tbatkräfliges Handeln aber unmöglich machte, durch die Ereignisse früher, als man glaubt, ge rechtfertigt. Bis zum Beginn der englischen Parlamentstagung sind es kaum noch zwei Wochen. Da kommt der Ausfall der Ersatzwahl in Eveshain dem Ministerium höchst unge legen. Das Prestige des liberalen Cabinets war in Folge der wiederholten bei Ersatzwahlen erhaltenen Nackenschläge schon vor der Wabl von Evesbam dermaßen herunter gekommen , daß ein Sieg in diesem Wahlkreise nur eben bingereicht hätte, das Cabinet vor der öffentlichen Meinung deS Landes notbdürftig zu restau- riren. Statt dessen diese erneute Absage! Von beiden Seiten wurde der Wahlfeldzng in Evesham mit einer Leidenschaftlichkeit geführt, wie sie nur da hervorzutreten pflegt, wo ein ausnabmswrises Interesse auf dem Spiel steht. Ind das war hier der Fall. Das Unterbausmandat von Evesham war den Conservativen bei der vorigen Wabl nnr mit einer geringen Mehrheit zugefallen, die werbende Kraft des Liberalismus, wenn ihm solche innewobnte, fand daher in diesem Wahlkreise ein durchaus freies Feld zu loyaler Betbätigung. An Eifer baben es die liberalen Wahlleiter denn auch, wie gesagt, nicht fehlen lassen, aber das hat daS gewaltige Anschwellen der conservativen Mehrheit nickt Verbindern können. Die Niedergeschlagen- -eit im liberalen Lager ist denn auch eine sehr große, und wenn man auch noch nicht mit dem Unionisten- sührcr Labouchöre der Meinung zu sein braucht, daß die liberale Wahlniederlage von Evesham de» Zerfall der gouvernementalen Uliterhausmebrbeit einleiten werde, so ist eS doch klar, daß das Vertrauen der Wählerschaft zn dem jetzigen Eabiiiet einen abermaligen harten Stoß erlitten bat und daß die Eveshamer Niederlage von der liberalen Presse mit Erfolg in allen Tonarten gegen Lord Rosebery und das von ibm vertretene Negierunassystein ausgeipielt wird, so daß er alle seine staatsmäniiischen Hilfsmittel wird aufbielen müssen, um sich für die bevorstehende Parlamentssitzung fest im Sattel zn behaupten. In Argentinien war die Krisis, welche zum Rücktritt des 73jährigen Präsidenten SaenzPena geführt bat, schon seit einiger Zeit acut, der Präsident befand sich in zunehmendem Eonflict mit dem Eongreß, der aus den Conservativen oder den „Einheitsstaatlern" und den Liberalen oder „Bundes staatlern" zusammengesetzt ist. Beide Parteien, die auch nach ihren Führern, den Generalen Mitrc und Noca, „Mitristen" und „Noquisten" heißen, befehden sich fast ununterbrochen und zwischen Beiden stand Saenz Pena als Puffer mitten inne. Er war parteilos, und batte auch keine Partei hinter sich, und es ist eigentlich ein Wunder, daß der Compromißpräsident, den beide Parteien im Jahre l892, in welchem eS zu einem vorüber gehenden Ausgleich zwischen ihnen kam, gewählt haben, sich so lange gehalten hat, denn schon im folgenden Jahre kam cs wieder zu blutigen Zusammenstößen zwischen Noquisten und Mitristen. Pena wollte, abneten, doch blieb er schließlich auf seinem Posten, als der Aufstand i» den Provinzen niedergeschlagen, wurde. Unter der Asche glimmte es aber fort, besonders seit die finanziellen Verhältnisse des Staates sich immer mehr verschlechterten. Der Präsident hat hieran nicht die geringste Schuld, er bemühte sich, seinem Lande wie dem Anstande gerecht zu werden. Aber die sich befehdenden Parteien wollten >ede wieder zur Herrschaft gelangen, und am 3. Januar wurde im Senat eine Resolution eingebracht, die den Präsidenten als unfähig erklärte, sein Amt weiterzusühren. Der Antrag blieb nur dadurch in der Minderheit, daß bei der dritten Ab stimmung der Cenalspräsivent seine Stimme dagegen abgab. Am 10. Januar fand ein tbeilweiser Cabinetswechsel statt, am lü. trat das Gesammtministerium zurück, weit Pena sich weigerte, das Gesuch beider Häuser des Congreffes um Er laß einer Amnestie für die in den beiden Revolutionen ver- w cketten Personen zu berücksichtigen. Die Amncstiefrage war aber nur der Vorwand, um den Präsidenten zu beseitigen, und dieser zog auch die Folgerung: er dankte ab. An seine Stelle trat für die noch übrige verfassungsmäßige Dauer der Amtszeit, d. b. bis zum 12. Oktober 1898, der Vicep, äsident Uriburu, der für einen Anhänger Roca's gilt. Sollte er die BundeSstaatler auffallend, namentlich in finanzieller Hin sicht, begünstigen, so sind neue schwere Eonflicte mit Be- timmkheit zu erwarten. Deutsches Reich. * Leipzig, 25. Januar. Der Beschluß der ReichstagS- baucom Mission, den Giebel der Westfront des neuen ReichslagSgebäuveS mit der Inschrift »Dem deutschen Reich" zu zieren, wird fast im ganzen Reiche mit ver dientem Spotte besprochen. Freilich reizen die Vorschläge mancher Spötter nicht weniger zum Spotte, so das Verlangen veö „Schwäbischen Merkur", man solle am neuen ReichStagS- aebäuke die Firma „Deutscher Reichstag" anbringen. Es fehlt diesem Vorschläge nichts, als die Erweiterung dahin, zur Vermeidung von Irrungen unter der Firma einen Klingel zug und eine Hand mit auSgestrecktem Finger anzubriuaen, der genau^ den Weg zum Inhaber der Firma zeigt. Mit beißender Satyre behandeln die „Grenzbolen" den Beschluß der Baucommlssion, indem sie schreiben: „Schlauch seinem lieben Schlauch." In meinen ersten Semestern hatte ich einen lieben Universitätsfreund. Von Natur hieß er, glaube ich, Piefke, wir kannten ihn aber nur unter seinem Kiieipnamen Schlauch. Schlauch hatte eine Schwäche, die Schwärmerei für das Dediziren und Sichdedizirenlafsen oder viel mehr, diese Schwäche, an der wir alle litten, war bei ihm zur Manie auSgebitvet. Als wir unseren gegenseitigen Be darf an Pfeifenköpfen, Deckelkrügen und Manschettenknöpfen gedeckt halten und unser Getdslanv sich gleichzeitig zu ver stellen begann, gelang eS Schlauchen schließlich nicht mehr, Partner zum Austausch von Dedicationen zu finden. Er ver fiel daher, um seine Leidenschaft zu stillen, auf das Mittel, sich selbst „anzuLevlciren", und bald schmückte alle seine Ge- braucdsgegenstanke, die irgendwie für den Graveur oder Mater eine Angriffsfläche boten, die von dem Pieske'schen Familienwappeu überragte Inschrift: „Schlauch seinem lieben Schlauch!" Ich habe an meinen alten Freund denken müssen, als ich den neuesten Beschluß der Reichstagsbaucommission las, an dem jungfräulichen Giebel der Westfront des neuen Neichölagsgebändes die Worte anzubringen: „Dem deutschen Reich." Kaiser, Bundesrath und Reichstag, also die drei verfassungsmäßigen Gewalten im deutschen Reiche, haben einst gemeinsam beschlossen, bas neue Gebäude zu errichten. Kein andrer als das Reich ist somit der Bau herr. Daß daS veutsche Volk in den Personen seiner Ver treter das neue Haus vom Reiche geschenkt erhalten sollte, war ja ein schöner Wahn. ES wird sich auch zu trösten wissen, da ihm ja dafür viel schönere Dinge, z. B. die Um sturzvorlage, zugevachl sinv. Das neue Haus steht aber nun einmal da, nach dem wacklig gewordnen Helgoland oder nach Kamerun kann cö nicht gut abgeichoben werben, eine Inschrist muß es auch haben. Ich betrachte eS deshalb als die glück- liwste Löiuiig, oaß Vas Reich — sich selbst damit beschenkt. Ich glaubte anfangs, mein alter Freund Schlauch, der, soviel ich weiß, jetzt Geheimer Rath in Berlin ist, hätte dabei seine Hand im Spiele. Ich bin aber davon zurückgekommen. Denn wie ich ibn kenne, würde er als Freund der Vollständigkeit darauf gedrungen haben, zu schreiben: „Das deutsche Reich seinem lieben deutschen Reiche!"" 8- Berlin, 24. Januar. Vom Verband der Handels- gärtner Deutschlands ist dem preußischen Abgeorvneten- hause eine Petition wegen Abänderung des Witdsckaden- gesetzes zugegangen. Dieselbe bezweckt einen besseren Schutz der Baumschulen, Samenselber und anderer gärtnerisch be bauter Flächen gegen Kaninchen- und Hasenfraß. Der Schaden, welchen diese Tbiere in den gärtnerischen Betrieben anrlchlen, ist ganz bedeutend, und der Schutz, de» das Politische Tagesschau. * Leipzig, 25. Januar. Die „Umsturz-ILommiffion" des Reichstags, die heute wieder eine Sitzung abhält, hat bekanntlich am Mittwoch die von den verbündeten Regierungen vorgeschlazene Ausreckt- erhaltung des bisherigen ersten Absatzes deö H. 11 i des Strafgesetzbuches, welcher die erfolgreiche Aufforderung zur Begebung einer strafbaren Handlung unter Strafe stellt, be schlossen, aber den Regierungsvorschlag, in den zweiten Absatz des ß. 111 die Bestimmung einzufügen, daß erfolg lose Aufforderungen zu Verbrechen mit Gefängniß- slrafe bis zu drei Iabren zu bestrafen seien, mit 14 gegen 12 Stimmen (die Herren Freiherr von Hammerstein und Liebermann von Sonnenberg fehlten) abgelebnt. Ueber die Gründe, welche diesen ablehnenden Beschluß herbei- geführt haben, bringt die „Nationallib. Corr." heute folgende Aufklärung: „Ausdrücklich mag hervorgehoben werden, daß, abgesehen von den Socialdemokraten, Einmüthigkeit in der Commijsion darüber herrschte, daß hier, bei der Aufforderung zum Verbrechen, eine Erhöhung des Strafmaßes bis zu drei Jahren Gefänglich wohl angebracht sei. Auch der Vertreter der freisinnigen Volke- Partei, Abg. Lenzmann, hat dieser Hinausschiebung der Maximal- grenze zugestimmt, und'wenn auch die tiefer einschneidenden Entscheidungen erst in den späteren Paragraphen zu treffen sind, ist doch gelegentlich dieser einen und ersten Entscheidung bereits mit der denkbar größten Mehrheit ausgesprochen, daß unser geltendes Strafrecht nicht nur in seinem Umfange anzuerkennen, sondern einer Revision im Sinne verschärfter Strassätze fähig und bedürftig sei. Was die hierauf folgende Abstimmung über den Antrag Lenzmann betrifft, so bewegte sie sich in derselben Richtung. Der Abg. Lenzmann wollte, nachdem er zwar für die Erhöhung des höchstzulüssigen Strafmaßes gestimmt hatte, doch nicht unter allen Umständen die Geldstrafe ausgeschlossen wissen. Darin stimmen weite richterliche Kreise auf Grund reicher Ersadrung mit ihm überein, und es ist vorauszusehen, daß die Zulässigkeit von Geldstrafe hier in der zweiten Lesung wieder hergestetit wird. Nur die unterste Grenze der Geldstrafe muß »och vereinbart werden. Der Antrag Lenzmann, diese Grenze von unten her ebenso bei 600 beginnen zu lassen, wie bei der erfolglos gebliebenen Aufforderung zu den andere» strafbaren Handlungen, wurde mit allen gegen 2 Stimmen verworfen. Also auch hier bekundete eine sehr große Mehrheit ihren Entschluß, auf alle Fälle das geltende Strafmaß zu verschärfen. Nachdem dieser Antrag gefallen war, stand für die erste Lesung nur noch der eine Antrag Spahn (Centrum) in Frage, welcher die unterste Grenze der Geldstrafe erst bei 2000 beginnen lassen wollte. Ob oieser Satz hinreichend zutreffend gewählt sei,-war im Augenblick noch mehreren CommissionSmitgliedern, die keinesfalls die Geldstrafe ganz ausschließe» wollen, zweifelhaft. So wurde der Antrag Spahn mit 13 gegen 11 Stimmen abgelehnt, und da nun die Zulässigkeit der Geldstrafe überhaupt noch nicht wiederhergestelli war, fand sich auch für den ganzen zweiten Absatz noch keine Mehrheit. Derselbe wurde vorbehältlich der Verständigung über das Mindestmaß der Geldstrafe einstweilen mit 14 gegen 12 Stimmen abgelehnt. Daß diese Lücke bei der zweiten Lesung wieder geschlossen wird, kann aber mit aller Sicher heit erwartet werden." Wir wollen hoffen, daß diese Voraussage durch die zweite Lesung bestätigt wird. Geschieht dies nicht, so wird man freilich die Schuld nicht allein auf die Commission schieben dürfen, die zur Beurtbeilung der Nothwendigkeit der vor geschlagenen Strafverschärfungen ganz wesentlich auf das von den Regierungsvertrerern beigebrachte Material angewiesen ist. Nun läßt aber ein Vorgang in der letzten Sitzung der Commission unseren vor einigen Tagen ausgesprochenen Zweifel, ob das Material umsichtig zusammengestelll sei, als völlig begründet erscheinen. Der Reaierungsvertreter batte sich zum Beweise dafür, daß die Socialdemokratie straf bare Handlungen anpreist, auf ein Bild mit der Auf- Feirrlletsn. Graf Jarl. 21> Roman von Hermann Heiberg. Flachdruck verbeten. (Fortsetzung.) Gänge nach der Keitbstraße sind also vergeblich. Ich erkläre bierdnrch die Verlobung auf Grund unüberwindlicher Ab neigung aufgeboben. Und nun Gott befohlen. Ick hätte gewünscht, eine andere Erfahrung gemacht zn haben! Ich bin Ihr ergebener Diener!" Aber im Begriff, die Thürktinke zu ergreifen, tönten ihm die Worte nach: „Ha! Zu allem Andern beflecken Sie nun auch noch damit das Anseben und die El,re Ihrer Familie! Sie sind —" Wie Sturmwind wandte sich Graf Adam Jarl um. Seine Gestalt wuchs, die Augen sprühten Blitze, und die Hand, die sonst nach dem Säbel zu greifen gewohnt war, umkrallte den Stock. Und dann raunte er heiser und flog wieder zurück inS Gemach: „WaS wollten Sie noch sagen, Herr Graf von der Brede! Und ferner: Was heißt es, daß ich zu allem Anderen mich noch beflecke? Was ist das Andere ? Sie geben eine genügende Er klärung, oder ich schände mit meiner Faust Ihr Angesicht, so wahr ich Graf Adam von Jarl, einstiger Standesherr auf Horst, Edelmann und Ofstcier der Armee Sr. Majestät des Königs bin. „Nun? Die Zeit drängt. Antworten Sie!" Und da dann doch keine Antwort erfolgte, schlug Graf Adam dem Grafen von der Brede mit dem Handschuh ins Gesicht, wie einem Schelm, wehrte dem wie ein verwundetes Raubtyier sich Gebärdenden durch seine Blicke und verließ das Gemach. Nachdem Graf Adam auf die Straße getreten war, winkte er Peter Hunck, der dort seiner harrte und schrieb auf eine Karte: „Liebe Eva! Begieb Dich, wie Du gehst und stehst, sofort zu mir! Wir müssen Berlin verlassen!" schloß die Zeilen in ein mitgebrachtes Couvert ein und trieb Hunck, mit Windes eile nach der Keithstraße zu fahren. „Du mußt meine Nichte innerhalb einer halben Stunde 1» mir führen» Peter Hunck — und wir reisen dann un verzüglich ab! Hörst Du. Eile Dich! Es steht viel für sie und mich auf dem Spiel!" ierauf nahm er den Weg zum Telegraphenamt. ort depcschirte er an Hadeln nach Osnabrück: „Er warten Sie mich gütigst am Bahnbof. Treffe heute Abend ein! Herzlichen Gruß. Adam Jarl." Und nachdem das geschehen, ließ er sich in seine Wohnung fahren, packte seinen Koffer und schrieb einen Brief mit nach folgendem Inhalt an seine Schwester. „Ich habe mit dem Reckt, das ich schon als Verwandter besitze, aber auch mit dem Verpflichtniigsgefühl, das sick in mir als Mensch bei der Bekrängniß eines Nebenmenschen regt, Eva so lange unter meinen Schutz und unter meine Obhut gestellt, bis Ihr erklärt, daß Ihr Eure Versuche, sie zu einer Heirath mit einem ungeliebten Mann zu zwingen, aufgebt. Ich hoffe, daß daS schrankenlose Vertrauen, daß Ihr in mich setztet, als ich noch Besitzer von Horst war, nicht er loschen ist. Dieses Vertrauen, daß sich ja auch nicht deshalb verändern kann, weil ich heute ein armer Edelmann bin, wird Euch nicht nur vor unüberlegten Schritten bebüten, sondern im Gegentheil die Einsicht in Euch Hervorrufen, daß ich nur zum Besten aller Betbeiligten handelte. Laßt mich wissen, was Ihr der Welt über Evas Ab wesenheit sagt, damit wir uns nicht widersprechen, nicht völlig unnötbig Redereien herausbeschwören. Euer Bruder und Schwager Adam Jarl." Wenig später ward die Klingel gerübrt, und Comtesse Eva von Campe lag ihrem Onkel, Graf Adam, bleich und erregt in den Armen. Wie die Dinge standen, mußte sie aber die Ungeduld, Näheres zu hören, und die Ucberlegung, welch einen un geheuerlichen Schritt sie durch eine Entfernung aus dem elterlichen Hause gewagt, versetzte ihr Inneres in einen namenlosen Aufruhr. „Später, unterwegs! Aengstige Dich gar nicht. Deiner Mutter habe ick geschrieben", erklärte Gras Adam, ihre Sorge kämpfend, trieb sic, etwas Frühstück zu sich zu nehmen und sich zur Abfahrt bereit zu machen. Dann fuhr er in einem bedeckten Wagen, Peter Hunck und daS Gepäck auf dem Bock, mit ihr nach dem Bahnbof. Endlich pfiff die Locomotivc zum letzten Mal. Graf Adam und Eva verschwanden vor den Blicken Peter Huncks, »nd er selbst nahm mit nachdenklich ernster Miene den Weg »ach Hause zurück. Diese Extravaganz gefiel ibm durchaus nicht. Ihm wollte überhaupt scheinen, daß sein geliebter Herr, Graf Adam von Jarl, seinem Geschmack am Absoiidcrlicke,i immer mehr und in keineswegs vortheilhaster Weise die Zügel schießen ließ! Und wo kam noch das Geld her? Und wenn etwas da war, wie lange konnte es bei solcher Lebensweise anöreicken? Ach, wo waren die berrlicken Zeilen, die, in denen das Endziel Horst gewesen, um dort zu leben, sich dort der Fülle des Daseins hinzugeben!? * . » , ... Eine durch alle Zeitungen gehende Notiz beschäftigte einige Monate nach dem Vorerzäblten sämmtliche Berliner Kreise und hielt die Gesellschaft, die sich nach der Rückkehr auS den Bädern schon wieder den Freuden und Abwechselungen der Geselligkeit zuwandte, in dauernder Aufregung. Diese Notiz lautete: „Bekanntlich hatte der frühere Rittmeister Graf Adam von Jarl im Anfang deS Jabres sein ganzes erhebliches Besitzthum verloren. Es hieß, daß er es in einer Welte oder im Spiel eingebüßt habe. Jedenfalls knüpften sich daran eine Reibe dunkler Gerüchte. Daß der Genannte, der sich inzwischen deS Grafentitels entledigt bat und jetzt Musiklebrer ist, eine sehr ausgeprägte Persönlichkeit ist, beweisen verschiedene Vorkommnisse der letzten Zeit. Es soll sowohl zwischen dem Grase» Jarl und dem Grafen, Kammerberrn von Brede, wie auch zwischen Ersterem und einem hiesigen bekannte» Lebemann, ein Duell stattgefundcn haben, bei dem die Gegner des Grafen nicht unerbeblich verwundet worden sind. In beiden Fällen resulkirt der Streitanlaß aus un günstigen, die Ebre deS Grafen antastenden Aeußerungen, die von Jenen bei Erörterung des derzeitigen Zusammenbruchs gemacht worden sind. Dem Grafen soll eS gelungen sein, sich bereits eine be deutende Schülerzabl zu verschaffen und man rübmt nickt nur seine große Lehrfähigkeil, sondern auch seine außer- ordentlicke Meisterschaft im Pianospiel und Gesang." .Gutes Dorfkind! Wo steckst Du?" rief Graf Adam, der soeben den Aufsatz über sich gelesen hatte. AlS Peter Hunck auf diesen Ruf eilfertig aus dem Neben zimmer herbeißetrippelt kam, fuhr er fort: „Eine schone Neuigkeit, Peter Hunck! Wir begeben unS morgen aus die Reise, treffen Comtesse Eva in Hamburg und bringen sie nach .Horst. Ick will sie selbst abliefern, aber ich will auch einmal wieder ein paar Tage Erholung suchen, nachdem ich gestern einen so gemüthbeschwerenden Tag erlebt habe. ES sei Dir bekannt gegeben, daß mein Schwager mich gefordert hat, und daß sie beide, meine Schwester und er, einen Proceß gegen mich anstrengen wollen." „Nein, nein, Herr Graf, um GotteSwillen, ich weiß nichts. Wollen sich denn Herr Graf auch mit dem Herrn Obersten schlagen?" „Nein, lieber Hunck! Ich habe ibm erwidert, daß ich mit ibm keine Kugel wechsle. Ich will den Vater Eva- keiner Gefahr aussetzen. Aber ich habe hinzugefügt, daß ich Eva nickt gutwillig, nickt eher herauSgebe, als biS ich die schrift liche Erklärung in Händen habe, daß man nicht ferner mit Hciratbsplänen ans sie »indringt, daß man alles Vergangene ruhen läßt, und sie ohne Groll wieder im Hause aufnimmt." „Hm, hm — Ja, ja, sehr schön, Herr Graf. DaS gefällt mir! Und baben Herr Graf gelesen, waS gestern Abend in der Zeitung über den Herrn Grafen stand?" „Nein! Was denn?" Graf Jarl sprach'« schroff und sah nickt sehr liebens würdig empor. Er wollte nicht deswegen befragt sein. Hunck aber machte gleich eine ängstlich abwehrende Geste und entfernte sich, ohne ferner zu sprechen. Er wußte, er hatte in den Augen seines Herrn die Rechte der Vertraulichkeit überschritten. Er durfte sich wohl erzäblen lassen, aber nicht ansangen, wenigstens mußte man des Grafen Stimmung abpassen. Da hieß eS denn stumm seiner Wege gehen. Einige Minuten später aber erschien Peter Hunck doch wieder vor seinem Herrn. „Herr Graf." „Nun?" „Rittmeister Baron von Hadeln lassen ergebenst bitte« —" „Sehr angenehm!" Hunck wankte sich zum Gehe». „Bitte! Noch eins." „Herr Graf?" „Komm einmal her!" Peter Hunck trat wie ein gehorsame- Kind de« Rück weg an. Und da umklammerte der Graf mit seinen Händen daß Gesicht des treuen Alten, sah ibm mit einem unendlich freund lichen Blick in die Augen, gab ihm zuletzt auch noch einen sanften Backenstreich und entließ ihn. In solcher Weise war der Friede schon oft wieder her«
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