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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.03.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-03-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950301029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895030102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895030102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-03
- Tag1895-03-01
- Monat1895-03
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Insbesondere waren es gestern die socialdemokratischen Abgg. Legten und Bebel, welche wiederum dje Entlassung einer, wie sie glaubten, unverhält- nißniäßig großen Zahl von Arbeitern auf den kaiserlichen Werften tadelten. Mit Recht wurden sie von anderen Rednern darauf aufmerksam gemacht, daß ja vornehmlich die Social demokraten selbst daran schuld seien, wenn Arbeiter in so erheblicher Zahl außer Brvd gesetzt werden müßten. Denn durch die Art, wie die äußerste Linke schon seit 189 t am außer ordentlichen Etat der Marineverwallung „Sparsamkeit" geübt hat, war thatsächlich der Ersatzbau von Sckifsen ins Stocken geralhen, nicht nur der Vermehrungsbau aufgehalten worden. Umsonst hatte damals bie Verwaltling darauf hingewiesen, daß bei solchen Abstrichen die normaleZahl von Arbeitern auf den Werften nicht mehr Beschäftigung genug, also auch kein Brod mehr zu haben sein werde. Wenn die Abstriche dennoch forcirt wurden, so haben mindestens die Socialdemokraten das Recht verwirkt, als Anwälte der Interessen der entlassenen Arbeiter das große Wort zu führen. Daß trotzdem die socialdemo- kratische Fraction bei der Berathung deS außerordentlichen Etats, die gestern infolge jenes Redeüberflnsses nur begonnen werden konnte, die von der Commission bewilligten Schiffsfordernngen ablehnen wird, unterliegt keinem Zweifel. Nach der Ansicht dieser Fraction ist ja der jetzige Staat nichts als ein großer Geldkastcn, aus dem man fort während Unsummen zum Wohle der Arbeiter entnehmen kann, ohne ihn wieder füllen zu müssen. Vielleicht wird es aber gerade bei dieser Gelegenheit wenigstens den Werft arbeitern klar, daß ihr Wohl und Wehe in den Händen der Socialdemokratie in den schlechtesten Händen ruht und daß sie am Hungertuchs nagen könnten, wenn die Entscheidung des Reichstags über die neuen Schiffs forderungen von der socialdemokratischen Fraction abhinge. Für die Freunde dieser Forderungen liegt in dein innigen Zusammenhänge, der zwischen einer zeitgemäßen Verstärkung unserer Seewehr und dem Geschicke vieler Tausende von Arbeitern besteht, ein Antrieb mehr, für diese Forderungen einzutreten und sich die Antheilnahme an der weiteren Berathung des Marine-Etats nicht durch überflüssige und ermüdende Wiederholung von Commissionsdebatten verekeln zu lassen. Der Beschluß des deutschen Reichstags, die Reichsregierung um Herbeiführung freundschaftlicher Erörterungen zwischen den an derWätirungsfrage meistbetheiligtcn Staaten zu ersuchen, hat bekanntlich in Len letzten Tagen im englischen Unterbause Anlaß zu einer längeren Debatte gegeben, die mit der Annahme einer Resolution endete, die gleichfalls den Zusammentritt einer internationalen Conferenz zur Beseitigung oder Verminderung der aus den Schwankungen im relativen Werthe von Gold und Silber hervorgebcnden Uebelstände für wünschenswerth erklärt. Die Annahme dieser Resolution hat im bime- tallistischen Lager große Freude erweckt, deren Berechtigung indeß höchst fraglich ist. Die Rede, die der englische Schatz kanzler Sir W. Harcourt zur Beleuchtung des Antrags hielt, beweist nichts, als daß er sich ebenso wie die Führer unserer Bimetallisten im Unklaren über die Mittel und Wege befindet, durch welche diese Herren zum Ziele zu gelangen hoffen. Auch Harcourt stellte an die Spitze seiner Ausführungen den unbestreitbaren Satz, daß die Abweichungen im relativen Werthe des Goldes und Silbers Uebelstände hervorgerufen haben, deren Trag weite nebst den etwaigen Versuchen, ihnen abzubelfen, sehr Wohl Gegenstand der freundschaftlichen Erörterung der be theiligten Mächte sein könne. Auch er erklärte sich zur Be theiligung an einer solchen Erörterung bereit, ließ über seinen festen Entschluß, die Goldwährung aufrechlzuerhalten, nicht den geringsten Zweifel, betonte aber auch nicht minder zutreffend,daß in dieser Hinsicht auch Deutschland keinen Mcinungswechsel vorgenommen habe. Man wird ihm ebenso darin zustimmen müffen, daß eine solche gemeinsame Erörterung nur dann zu einem brauchbaren Ergebniß kommen könne, wenn man uvörderst die wichtigste Vorfrage erledigt habe, was ge- chehen solle, wenn einmal eine internationale Vereinbarung nicht aufrecht erhalten werde. Kein selbstständiger Staat kann in der That die Währung seines Landes der Gnade irgend einer auswärtigen Macht preisgeben oder sie unter die Aussicht einer Verbindung fremder Staaten stellen. Alles kommt demgemäß zunächst aus die von den Führern unserer Doppelwährungs leute zu machenden, ins Einzelne gebenden Vorschläge an, durch die sie glauben, auf dem Wege einer freundschaftlichen Verständigung der Mächte ihre bisherigen theoretischen Be strebungen in die Praxis übertragen zu können. Von solchen Vorschlägen hat aber noch gar nichlö verlautet. Es wäre daher, wie die „Köln. Ztg." mit Recht betont, sehr erwünscht, wenn recht bald Graf Mirbach und Herr v. Kardorff mit diesen Vorschlägen hervorträten, denn auch diese beiden Herren werden allgemach sich darüber klar werden müssen, daß durch ihre fortgesetzten Versuche, die deutsche Goldwährung zu unter graben, die deutschen Wechsel im Auslande im Vergleich zu den englischen nicht unbeträchtlich geschädigt werden und daß sie die bisher sehr erfreulich sich entwickelnden Bestrebungen, die deutsche Ausfuhr-Industrie und den deutschen Ausfuhr handel immer mehr vom englischen Geldmarkt und von der englischen Zwischenband unabhängig zu machen, in hohem Maße lahmlegen. Noch ist zwar von der Betheiligung Frankreichs an der Einweihung des Nordostseecanals nichts officiell bekannt geworden, aber es erhält sich, wie die „Post" ofsiciös bestätigt, in den maßgebenden Berliner Kreisen die Meinung, daß der Einladung Deutschlands entsprochen werden wirb. Die den guten Tou vertretende Pariser Presse dal bereit- in der Sache da« Wort ergriffen und mit einer Wärme, deren man sich nach manchen bedauerlichen Vorkommnissen der letzten Jahre nicht versehen hatte, für die Entsendung der Tricolore zu der internationalen maritimen Feier plaidirt. Aber auch sonst haben sich in den letzten Wochen die Zeichen dafür gemehrt, daß die Spannung zwischen Frankreich und Deutschland thatsächlich nach läßt. Die Vernünftigen und Gemäßigten scheinen bezüglich dieser Frage immer mehr die Oberhand zu gewinnen. Es handelt sich jetzt nicht mehr blos darum, mit Deutschland Frieden zu halten, man will auch während des Friedens in guten Be ziehungen leben. Das ist an sich nicht viel, und kein Franzose verzichtet, wie selbst die freundlichen Pariser Preßstimmen der letzten Tage bestätigen, auf Elsaß-Lothringen. Aber im Vergleich gegen früher ist es doch ein großer Fortschritt. Man rückt sich näher, weil daS gegenseitige Mißtrauen im Schwinden begriffen ist. Das erste und größte Verdienst an der Annäherung bat sicherlich die deutsche Kunst gehabt, die nach Frankreich kam. Bei einem politischen Volke, wie dem französischen, setzen sich auch die künstlerischen Wirkungen in Politik um. Als die chauvinistischen Horden gegen „Lohen- zrin" brüllten, hatten sie offenbar eine dunkle Ahnung davon, >aß Wagner und Alle-, was ihm Nachfolgen sollte, dem Chauvinismus in Frankreich daS Geschäft verderben würde. Man lernte in Frankreich die deutsche Kunst kennen und lieben, und indem man die Vorurtheile gegen Deutschland auf dieser Seite aufgeben mußte, bekamen jene Vorurtheile überhaupt einen Stoß. ES bestehen zwar noch genug, aber die schlimmsten sind ge fallen. Man glaubt den chauvinistischen Lügnern unv Jvioten nicht mebr, daß jenseits des Rheines die deutschen Armeen nur auf die Gelegenheit warten, um Frankreich zu überfallen. Man glaubt im Gegentheil an die Friedensliebe Deutschlands, und besonders hat daS Verhalten des deutschen Kaisers vorzügliche Wirkung gethan. Das Mißtrauen, mit dem man ihn bei seinem Regierungsantritt betrachtete, ist in das gerade Gegentbeil umgeschlagen. Maßgebende Organe der öffent lichen Meinung, wie der „Temps", haben bei mehreren Ge legenheiten bereits in warmen Worten dem deutschen Kaiser ihr Vertrauen kundgegeben. Erst vorgestern schrieb die „Libertv „Die auswärtigePolitik Wilhelm'« II., im Gegensatz zu verjenigen, die vor ihm ausschlaggebend gewesen ist, besteht weniger darin, sich gefürchtet zu machen, als darin, sich Achtung zu verschaffen, selbst bei seinen Gegnern. So ist sie vielleicht geschickter und wirksamer für die Aufrechterhaltung des allgemeinen Friedens." Es handelt sich nicht blos um Vertrauen. Es ist nicht zu leugnen, daß der deutsche Kaiser in Frankreich in Folge der Freilassung der beiden französischen Officiere am Tage des Begräbnisses von Carnot, in Folge seiner Depeschen beim Tode Carnot's, Mac-Mahon's, Canrobert's, in Folge seiner Antheilnahme beim drohenden Verlust der „Gascogne" rc. auch in weiteren Kreisen eine gewisse Popularität zu ge nießen beginnt. Die französische Phantasie hat sich ein be sonderes Bild von ihm zurecht gemacht; es ist fraglich, ob dieses Bild der Wahrheit entspricht, aber eS ist jedenfalls sehr schmeichelhaft. So bleiben denn die guten Folgen nicht aus. Wie gesagt, ist ja die Einladung Deutschlands — und das ist immerhin auffallend — noch nicht officjell acceptirt, und ihre Ablehnung würde deutscherseits zweifellos arg ver stimmen, allein wenn auch von der schwankenden Gesinnung des Ministerpräsidenten Ribot, der es mit keiner Partei ver derben will, ein kräftiger Vorschub für die sich vollziehende Annäherung der beiden Nachbarvölker vorerst nicht zu erwarten ist, so findet dieselbe einen um so festeren Rückhalt in der Person des in internationalen Beziehungen ausschlaggebenden Ministers des Auswärtigen, Hanvtaux. Allerdings möchten wir nochmals mit den „Hanch. Nachr." vor zu weitgehenden; Optimismus warnen, denn man darf nicht vergessen, daß die Höflichkeits bezeugungen her „Döhgts" grell unterbrochen werden durch das Bekennlniß: „Unsere inneren Empfindungen werden da durch nicht geändert"; von einer thatsächlichen Versöhnung und von einem allgemeinen Verzicht aus die Wiedererlangung Elsaß-Lothringens und der Wiederherstellung der verlorenen „Gloire" durch die Besiegung Deutschlands kann noch keine Rede sein, immerhin muß doch der unbefangen Urtheilende constatiren, daß nicht blos „die Rücksicht auf die Ausstellung von 1900" den freundlicheren Ton anschlägt, sondern daß man es mit den Anzeichen eines langsam, aber sicher sich vollziehenden Umschwunges in der Gesinnung unserer Nachbarn zu thun bat, bei denen der Revanchegedanke nicht mebr der alles beherrschende, einzig und allein ausschlaggebende ist, sondern an Energie und stimulirender Kraft ersichtlich eingebüßt hat. Das tritt doch, worauf auch die „Köln. Ztg." aufmerksam macht, klar zu Tage in dem Entschluß der Ldllnstler-Elitegesellschaft des Cbamp du Mars und nicht minder darin, daß die chauvinistische Hetzpreffe diesem Beschluß und den entgegen kommenden Austastungen des „Figaro" und der „Döbats" gegenüber bei Weitem nicht so laut wie ehedem die Radau trommel ihres Pseudo-Patriotismus rührt. Unerläßliche Be dingung für die Dauer der seht angebahnten guten Bezieh ungen zu Deutschland ist freilich die dauernde Emanci- vation der Republik von dem Terrorismus der radical-socia- listischen Coakition, und in dieser Hinsicht sehen wir nicht besonders hoffnungsvoll in die Zukunft. Nach Mittbeilungen aus Berlin und Petersburg bestätigt sich die Nachricht, daß Fürst Lobanow-RostowSki zum russischen Minister der Auswärtigen Angelegenheiten ernannt worden ist. Damit hat der Zar die Ernennung des Fürsten zum Nachfolger des Grafen Schuwalow als Botschafter in Berlin rückgängig gemacht. Bisher lauteten die Nachrichten dahin, daß Fürst Lobanow, der in diesen Tagen in Wien sein Abberufungsschreiben übergeben sollte, zunächst den Berliner Botschafterposten übernehmen und voraussichtlich erst im Herbst nach Petersburg als Minister des Auswärtigen be rufen werden würde. Seine Ernennung nach Petersburg ist jetzt vom Kaiser Nicolaus beschleunigt worden. Schon seit einer Reihe von Jahren galt Fürst Lobanow als voraus sichtlicher Nachfolger des Ministers GierS. Er ist zweifellos der begabteste und kcnnlnißreichste unter den russischen Diplo maten, und seine langjährige diplomatische Laufbahn hat ibn namentlich mit den Verhältnissen im Orient, in England und in Oesterreich-Ungarn genau vertraut gemacht. Die Thatsache, daß seine Ernennung zum Botschafter in Berlin in den Berliner amtlichen Kreisen mit lebbaster Zustimmung und Anerkennung begrüßt worden ist, läßt den Schluß gerecht fertigt erscheinen, daß er auch in seiner neuen verantwortungs vollen Stellung in Petersburg Alles aufbieten wird, die guten Beziehungen, die seit einigen Jahren wiederum zwischen der russischen und der deutschen Regierung ein- ;elreten waren, auch weiterhin zu fördern und zu bc- eftigen. Wir glauben demnach, daß die Ernennung des Fürsten Lobanow, wie in Petersburg, so auch in maß gebenden Kreisen in Berlin und Wien mit Genugthuung begrüßt werden wird. Nicht so in London, wo noch vor gestern die Ernennung des bisherigen Botschafters am Hofe von St. James, des Barons von Staal, als vollendete Thatsache mit Freude und Genugthuung verkündigt wurde. Dort hoffte man, daß v. Staal's Vorliebe für England den Sieg der schon jetzt starken englischen Partei am Zarenbofe zu einem vollständigen machen würde, und allerdings würde man in der Bevorzugung dieses Diplo maten einen weiteren Beweis dafür haben erblicken müssen, daß der Zar dem freundlichen Einvernehmen mit England großes Gewicht beilege. Um fo größer wird nun in London die Enttäuschung sein, und man darf gespannt darauf sein, welchen Ausdruck dieselbe in der englischen Presse finden wird. Enttäuscht sind auch die russischen Panslawisten, die aus den Botschafter in Konstantinopel, v. Nelidow, gehofft hatten, einen sehr tüchtigen Diplomaten, der bekanntlich kein Freund Oesterreich-Ungarns ist und im Geruch pansla- wistischer Neigungen steht. Fürst Lobanow, der als ein er klärter Freund des Friedens und in Berlin und Wien als persona grata gilt, erfreut sich des glühenden Haffes der Slawophilen, was seinen Werth in unseren Augen nur er höhen kann. Deutsches Reich. ^ Berlin, 28. Februar. Der Wahlerfolg des Oberprä sidenten der Provinz Ostpreußen im Kreise Lyck-Iohannisburg stellt sich nach Ausweis der amtlichen Ziffern als ungewöhnlich groß heraus. Im Jahre 1893 hatten der confervative Can didat 9025 und ein mittelparteilicher Candidat aus dem F-«illetoir» Ein Lecher Lethe. 14j Roman von R. Tellet. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Je länger ich die Bleistiftskizze betrachtete, desto mehr wurde eS mir zur Gewißheit, daß sie ei» Portrait, eine getreue Er innerung aus Etbelren'ö Vergangenheit wiedergab. Ob es das Portrait des Mannes war, der die Baronin besucht batte, war natürlich eine Frage, die ich einstweilen nicht zu beant worten vermochte. Wenn ein Künstler eine Skizze sieht, malt seine Phantasie sie sofort in Farben auS. Ich war ganz sicher, daß das Haar dieses Mannes sckwar; und sein Auge dunkel sein müsse. Vielleicht konnte Ethelren mir darüber Auskunft geben. Noch einmal las ick die Zeilen, die sie darunter geschrieben hatte: „Ich bin ans ganz eigene Art dazu gekommen." Was mochte sie damit meinen? Vergebens sann ich darüber nach; ich kam zu keinem Schluffe. Aber was es auch sein mochte, meine Ucberzeugung stand fest, daß die Skizze eine echte Er innerung sei. Jetzt erst dachte ich plötzlich auch an Therese'S Skizze. Ich war durchaus nicht neugierig auf sie, doch da ich sie einmal bei mir hatte, mußte ich wohl oder übel einen Blick darauf werfen. Ich öffnete den Carton. Die Skizze war, wie ich richtig vermulhet hatte, ohne jedes Interesse für mich: eine gewandte Zeichnung des typischen Theaterschurken, eines Mannes mit langen Haaren, buschigen Augenbrauen, kühn blitzenden Augen und satanisch gekräuselten Lippen — niit einem Worte ein Mephistopheles durch und durch. „Sie ist ein sehr geschicktes Mädchen", sagte ich mir, „das beweist die Skizze." Dann betrachtete ich aufs Neue Ethelren's Arbeit, die mich in hohem Grade interessirtej ob sie mir den Schlüssel liefern würde, das Geheimniß m Ethelren's Vergangenheit zu erschließen? 16. Capitel. Am folgenden Tage begab ich mich nach der Leipziger- straßc Nr. 37. Niemand hatte auf meinen Besuch gerechnet. Mein Bote batte am Tage vorher einen so schlechten Bericht über mein Befinden gegeben, daß eS auSsah, als würde ich noch lange Zeit das Haus hüten müffen. In Folge dessen waren die Baronin und Therese ausgegangen und ich traf Ethelren wiederum allein zu Hause. „Wir erwarteten Sie heute nicht", sagte sie in ihrer offenen, bezaubernden Weise, „aber ich freue mich trotzdem sehr, daß Sie gekommen sind. Es geht Ihnen besser, nicht wahr?" „O, es war ein ganz unbedeutendes Unwohlsein, von dem ich vollständig wieder hergestellt bin", erwiderte ich. „Wo ist die Baronin?" „Wenn ich mich nicht irre, ist sie zu Ihnen gegangen, um sich nach Ihrem Befinden zu erkundigen." „Das ist sehr freundlich von ihr. Und daS Fräulein?" „Ist mit ihr." Nachdem ich mich auf diese Weise versichert hatte, daß wir keine Ueberraschung zu gewärtigen hatten, steuerte ich direct auf den Gegenstand, der meine Gedanken beschäftigte, los. „Meinen besten Dank für die Skizze", sagte ich. „Gefällt sie Ihnen? Sind Sie nut meinen Fortschritten zufrieden?" „Sehr. Aber nun müssen Sie mir erzählen, wie Sie auf dies sonderbare, eigenthümliche Gesicht gekommen sind. Ist es eigene Erfindung?" „O nein, dazu bin ick nicht talentvoll genug." „So ist es eine Erinnerung? Kehrt Ihr Gedächtniß wirklich zurück?" „Es scheint fast so. Ich schrieb Ihnen, daß ich auf eigene Art zu diesem Gesicht kam. Wollen Sie Alles hören?" „Gewiß, Alles." „Nun, ich grübelte vorgestern den ganzen Abend über die Aufgabe, die sie mir gestellt hatten, nach, aber eS wollte mir nichts einfallen. Ich weiß wirklich kaum, wie rin Schurke aussehcn muß. Dann ging ich zu Bett und in der Nacht hatte ich einen Traum, den ich» wie ich genau weiß, oft ge- habt habe, aber wenn ich Morgens erwache, habe ich ihn stets vergessen. Diesmal aber wachte ich mitten i« der Nacht, mitten nn Traum auf und sah ein Gesicht aus dem letzteren deutlich vor mir. Ich zündete rasch die Lampe an, erhob mich.^ind zeichnete das Gesicht, so gut eS eben ging. „Sie haben eS sehr gut gemacht." „Am Morgen vollendete ich eS. Aber ick wollte Ihnen noch sagen, daß ich mich wieder schlafen legte, und alles dar über vergaß, und wohl auch für allezeit vergessen hätte, wenn mich nicht Morgens beim Erwachen die auf dem Tische liegende Skizze daran gemahnt haben würde." „ES ist ein seltsames Gesicht", sagte ich. „Erinnert es Sie an die Vergangenheit?" „Ich glaube wohl» aber ich weiß es nicht genau. Mir ist zu Muche, als müßte mir in jedem Momente Alles ein fallen. was damals war —, aber das will und will nicht geschehen." „Es wird Ihnen mit der Zeit einfallen!" tröstete ich sie. „Machen Sie sich keine zu großen Sorgen deshalb." Das Gespräch ermuthigte mich nicht wenig. Es schien wirslich, als begänne Ethelren's schlafendes Gedächtniß sich wieder zu regen. Und in meinem Geiste — obgleich ich keinen bestimmten Grund dafür hätte angeben sonnen — setzte sich mehr und mehr die Ueberzeugung fest, dies Gesicht, das im nächtlichen Traume so lebhaften Eindruck auf sie gemacht batte, daß sie im Stande gewesen, eS auf Papier festzuhalten, müsse das Gesicht eines lebenden Menschen sein, der eine große, und mutbmaßlich eine düstere Rolle in ihrer Ver gangenheit gespielt batte. Ob er der Mann war, der die Baronin besucht batte, war eine andere Frage, die ich einst weilen nicht zu beantworten vermochte, über die ich aber früher oder spater Gewißheit zu erhalten hoffte. Ich war allein mit Ethelren und dem Zauber ihrer Nähe uneingeschränkt unterworfen. Gab es »in zweites so schönes reizendes Mädchen in der Welt? Ich glaubte daS nicht. Sie befriedigte nicht nur durch ihre Schönheit meine Künstler ansprüche, sie schien mir auch durch ihre Person ein neues ideales Streben einzuflößen. Und doch war sie so menschlich, so schlicht, so wirklich. Sie war keine göttliche Madonna, keine magere Heilige, sondern eine echte Frau, ein nickt zu hoch, »n hehr gestelltes Wesen, um irdischen Menschen Liebe eiuzusloßen, rin Wesen, daS zu erblicken und zu lieben in der That eine- war. Während ich all dies dachte und mir zugleich sagte, daß Ethelren jetzt augenscheinlich wieder vollständig genesen sei, legte ich mir unwillkürlich die Frage vor, ob vr. Falck'S Warnung wohl noch jeht beachtet werden mußte. Mußte Ethelren nicht eine Erklärung von mir erwarten und sich durch mein langes Schweigen schmerzlich berührt fühlen? Mein ganzes Verhalten gegen sie war derartig gewesen, daß es sie-von meiner Liebe hatte überzeugen müffen. Mußte sich Ethelren unter solchen Umständen nicht wundern, daß ich mich ihr nicht offen erklärte? Und konnte sie nicht schließlich Verdacht schöpfen, daß ich nur ein Spiel mit ihr und ihren Gefühlen triebe? Der Gedanke muß für Jemanden, dessen glühendster Wunsch e« war, seine Gefühle zur Aussprache zu bringen geradezu unerträglich werden. Ich weiß noch heule nicht, wie ich eS über mich brachte, mich wieder zu beherrschen, aber es gelang mir in der That. Jedoch war ich fest ent schlossen, jetzt der Geschichte ein Ende zu machen. Entweder mußte vr. Falck sein Verbot aufheben oder ich würde dagegen handeln. Einstweilen benutzte ich das tvte-ü-tele mit Ethelren nur dazu, um der Skizze Wege» Fragen an sie zu stellen. Ob sie das Gesicht noch im Gedächtnisse habe, war meine erste Frage. „Ja", antwortete Ethelren, „besonders wenn ich auf die Skizze sehe." Die Skizze lag vor uns aus dem Tische. „Ich bin gesonnen, den von Ihnen gezeichneten Kopf in Oel zu malen", sagte ich. „So finden Sie ihn sür Ihre Zwecke dienlich?" fragte sie erfreut. „Ganz außerordentlich. So habe ich ihn mir gewünscht. Aber nun müffen Sie mir auch in Bezug aus die Details ein wenig behilflich sein. Wie war die Haarfarbe des TraumgesichtS?" „Sehr dunkel", sagte Ethelren, „fast schwarz". Meine Phantasie war also auf richtiger Fährte gewesen. „Ist daö Haar glatt oder lockig?" „Ganz glatt." „Nun zu den Augen; sie sind vermutblich auch dunkel?" „O nein — nein", rief sie, „sie sind nicht dunkel, sie sind von schrecklicher grauer Farbe. Ich sehe sie eben; sie schauen Einen immerfort an, sie folgen Einem überall — o, und sie sind so entsetzlich kalt und grausam." Aus ihren Worten ersah ich, daß sie bei ihrer Skizze die Augen ganz getreu wiedergegeben haben mußte. Ich hatte mir die letzteren schwarz vorgestellt, hatte mich also, wie eS schien, getäuscht. „Und die Augenbrauen vermuthlich dunkel?" „Ja." „Kein Schnurr- oder Backenbart?" „Nein!" „Und die Gesichtsfarbe — blaß oder roth?" „Sehr blaß — etwas gelblich." „Aber keine krankhafte Bläffe?" „O nein " Ich stellte noch verschiedene Fragen, die mir Ethelren nicht beantworten konnte. Doch hoffte ich nach Allem, was
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