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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.04.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-04-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950423025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895042302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895042302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-04
- Tag1895-04-23
- Monat1895-04
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Reklamen unter dem Redactiousstrich i4 ge spalten) SO^K, vor den Familiennachrichtea (6 gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und giffernsatz nach höherein Tarif. Extra »Vetlagrn (gesalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbrförderuug > 60.—, mit Postbefvrderuog > 70.—. Äunahmeschlüß für Äuzeigen: (nur Wochentag») Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an di» Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 89. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 23. April. Die in unserer heutigen Morgenausgabe mitgetheilte Aus lassung d?S „Reichsanzeigers" über die Umsturzvorlage— eine Zurückziehung derselben sei nicht in Aussicht ge nommen, da die verbündeten Regierungen an der Erwartung festhaltrn dürften, daß es in den weiteren Berathungen des Reichstag- gelingen werde, der durch die EommissionS- berathung erheblich umgestalteten Borlage eine Form zu verschaffen, welche den von den verbündeten Negierungen bei der Einbringung verfolgten Absichten gerecht werde — ist zwar überaus vorsichtig gehalten, entbehrt aber doch nicht der Bedeutung. Die Versicherung, der Entwurf werde nicht zurückgezogen werden, besagt zwar etwas, was nicht bezweifelt werden konnte. Wir wenigstens haben weder geglaubt noch gewünscht, das Ende der Sache möge daS der preußischen Schulvorlage von 1892 sein. Dort handelte es sich um den vom Centrum und den Conservativen allerdings auch im reactionären Sinne verschärften, aber in seinem Wesen unberührt gebliebenen Regierungsentwurf. Was die Zurückziehung zu bedeuten hatte, war — auch obne den Rücktritt des Grafen Caprivi vom preußischen Minister präsidium und ohne das Ausscheiden des Grafen Zedlitz aus dem Ministerium — vollkommen klar: das Abgehen von dem Entschlüsse, sich in einen schroffen Gegensatz zu dem freigesinnten Theile der Bevölkerung zu setzen. Würde die Umsturzvorlage zurückgezogen, so bliebe im Dunkeln, auf was die Regierung verzichte, ob auf ihre Vorschläge, oder die Commissionsbeschlüffe, oder — auf keines von Beiden. Hin sichtlich der Centrumszuthaten liegt die Sache auch insofern anders, als beim Schulgesetz, als für dieses eine Mehrheit im Abgeordnetenhause vorhanden war, wahrend jene der Ab lehnung sicher sind. Die Zurückziehung könnte mithin auch auS Gründen der Opportunität erfolgen. Wir müssen aber bei unserer wiederholt vertretenen Auffassung bleiben, daß die politische Lage eine Erklärung der Regierungen zu den in der Commission angenommenen Centrumsanträgen erfordert. Und zwar eine Erklärung, an der sich nicht deuteln läßt. An gebeut et, so glauben wir wenigstens, ist die Ansicht der Regierungen schon an jener Stelle der Auslassung des „ReichsanreigerS", wo gesagt wird, die CommissionSberathungen hatten die Vorlage „erheblich um- gestaltrt" und die Regierungen hielten an der Erwartung fest, der Reichstag werde ihr eine „Form verschaffen, welche den von den verbündeten Regierungen bei der Ein bringung verfolgten Absichten gerecht wird." Diese Fassung ist doch kaum anders als dahin zu verstehen, daß die Regierungen der Meinung sind, die Commissivnsberathungen hätten der Vorlage die den ursprünglichen Absichten ent sprechende Gestalt genommen. Das ist bekanntlich auch die Auffassung der Nationalliberalen. Nur kommt es darauf an, ob die Regierungen die vom Centrum bewirkten Aenderungen in demselben Unfang für zweckwidrig erachten, wie der ge mäßigte Liberalismus. Eine gleichzeitig erfolgte Ergießung der „Nordd. Allgemeinen Ztg." läßt das bezweifeln. Sie ist allerdings nur auf jene eine Stelle innerhalb der preußischen Regierung zurückzuleiten, wo man seine Neigung, die Frage der Freiheit von Wissenschaft und Kunst cavErewöllt zu behandeln, keinen Augenblick verborgen hat. Die ohnehin schwachen Hoffnungen auf eine Beendigung des Zollkrieges zwischen Deutschland und Spanien, die nur durch ein Entgegenkommen von Seiten des letzteren Landes zu erreichen ist, sind durch den Cabinetswechsel vollends vernichtet worden. Den Geist, von welchem z. B. der neue Finanzminister den deutschen Producenten gegen über beseelt ist, kann man auS folgender Ausführung des „Liberal" erkennen: „Der Finanzministerhatte eine lange Besprechung mit dem Minister des Aeußeren über eine Angelegenheit, die nicht ohne Wichtigkeit ist. Wie es scheint, fährt nach dem Abbruch der Handels, beziehungen Deutschland doch noch fort, unS mit seinen Produkten zu beglücken, und zwar werden diese in einer Weise eingeführt, daß sie nur den Zoll für die Bertragsländer zahlen. Das Verfahren, Las bei diesem Schmuggel angewandt wird, soll folgendes sein. Der deutsche Fabrikant nationalisirt die Maaren, die für Spanien bestimmt sind, in Ländern, die mit uns Verträge haben, und führt sie dann mit Uriprungszeugnissen von dort ei». Um die Fortdauer dieses Betruges zu verhindern, haben die beiden Minister beschlossen, eine Commission zu ernenne», die aus Beamten ihrer Ministerien bestehen und ein neues Formular für Ursprungszeugnisse ausarbeiten soll, das diesem Schmuggel möglichst ein Ende macht." Angeblich hat sich die Schweiz, denn darauf bezieht sich die obige Stelle, bereit erklärt, vem spanischen Consul in Bern eine Liste aller Schweizer Häuser einzureickcn, die nach Spanien exportiren. Nach der Schilderung, die spanische Blätter von dem jetzigen Finanzminister entworfen und von der auch wir Notiz genommen haben, sollte gerade er be sonders vorsichtig sein, in dieser Allgemeinheit von dem betrügerischen Vorgehen deutscher Fabrikanten zu sprechen, wenn er dafür nicht unzweifelhafte Beweise bcibrmgen kann. Dem Vertreter deS „Reuter'schen Bureauö" in Dokohama ist gestern, wie unS ein besonderes Telegramm meldet, von japanischer Seite folgende officielle Mitteilung ge macht worden: „Aus Europa wird uns berichtet, daß dort allerhand miß verständliche Auffassungen über die Bedingungen des Friedensvertrages umlaufen. Man stellt es so dar, als ob Japan sich für s«ne Einfuhr nach China einen zweiprocentigen Werihzoll statt der allgemeinen Zollsätze gesichert habe, und behauptet, daß Japan ein Schutz- und Trutzbiindniß mit China abgeschlossen habe. Die vo» Japan erlangte» Concessionen auf handelspolitischem Gebiete umfassen —, soweit sie über diejenigen Berechtigungen hinausgehen, welche de» Vertragsmächten infolge der Clausel der meistbegünstigten Nation schon jetzt zustehen —: das Recht der Schifffahrt aus dem Jangtsekiang bis nach Tschunking und aus dem Wusung- fluß nebst Canälen, wodurch der Zugang nach Sutschan und Hangtschan ermöglicht wird, ferner die zollfreie Einfuhr von Maschine» und gewisse» Waarengattungen, sowie das Recht, Fabriken in China anzulegen. Diese Concessionen kommen keines wegs Japan ausschließlich zu Gute, sondern werden sich natürlich auch auf die europäischen Mächte Kraft der Meistbegünstigungs- klausel ouedehnen; kurz gesagt: Japan hat diese Privilegien nicht nur sich selbst, sondern auch den Vertragsmächten gesichert. Japan erwartet daher naturgemäß auch die Zusnmmung aller Vertrags- machte. Die erwähnten mißverständlichen Ausfassungen sind wahr« scheintich in Folge der mangelhaften Keuntniß der Journalisten von den zwischen den Machten und China bestehenden Verträgen ent- standen. Was die Meldung von einem Schutz- und Trutz- bündniß betrifft, so ist auch diese völlig unbegründet." Die hier gerügten „Mißverständnisse" betreffen, ebenso wenig wie die dem Reuter'schen Vertreter gemachten Er öffnungen den Kern deS Friedensvertrages. Daß die Meist begünstigungsklausel unter den neuen Verhältnissen nicht gänzlich außer Wirksamkeit tritt, scheint selbstverständlich und ist ernstlich niemals bezweifelt worden. Allein cko facto wird doch Japan allein oder in erster Linie die Vortheile dieser Con cessionen genießen. Im Vorstehenden ist nur ein kleiner Theil der Bedingungen genannt, wie überhaupt aus dem ganzen Friedensvertrag bisher nur Bruchstücke bekannt gegeben worden sind. Wenn japanischerseits in der Thal Gewicht darauf gelegt werden sollte, etwaigen falschen Auffassungen entgegenzutreten, so müßte Japan sich entschließen, den Ge- sammtvertrag unverzüglich der Öffentlichkeit zu übergeben. Daß übrigens ein Schutz- und Trutzbiindniß, (wenn, woran wir nicht glauben, ein solches thatsächlich ab geschlossen sein sollte) nur in einem für die Oeffentlichkeit nicht bestimmten Gebeimvertrage festgesetzt sein könnte, bedarf kaum deS Hinweises. — Im klebrigen darf man, glauben wir, den Leitern unserer auswärtigen Politik, namentlich dem obersten verantwortlichen Leiter derselben, dem Fürsten Hohenlohe, der offenbar gewillt ist, im Verkehr mit den fremden Mächten den Bismarck'schen Traditionen zu folgen, Wohl das Vertrauen entgegenbringen, daß sie der übernommenen, überans heiklen Aufgabe zu genügen wissen werden, ohne durch eine Brüskirung Japans, durch ein schroffes Eingreifen in sein Selbstbestimmungsrecht die deutsch-freundliche Stimmung, welche in diesem mächtig aufstrebenden Staatswesen durch die correcte Haltuug unserer amtlichen Kreise und die > im großen und ganzen sympathische Stellungnahme der deutschen Presse hervorgerufen worden ist, in daS Gegentheil zu verwandeln. Der dadurch verursachte Schaden könnte größer sein, als der Gewinn, den unsere Industriellen, unsere Kaufherren und Rheder aus einer mehr oder »under einschn^^^ Denn des Vertrags von Shunonosek« zu z h man wie man denselben «"ch umgcslalten purch seine Lage nicht verhindern können. selbstverständlich und seine glücklichen Productions-B der im Ver- keb/mstÄ !°E,L N-rü!!F-il- L,»'-g->nd-n M-lchun«-» m»: ? Petersburg. 22. April. (Privatmeldung.) In eE NM-dUUS-L- San-Sip. Giurin und Kutschun concentnrte. dort Be,e, igungen baute Weae tracirte, Pulvermagazine gründete u. s. w^, so werde umsomehr Java», ein unternehmendes, nach beaicriaes Land, den Amur zur russisch-iapanischen Grenze mache» wolle». Rußland müsse diese Absicht in Rechnung z hen, was auch die Japaner dazu sagen mögen, und ich dm rutsch« dende Maßregeln der Nealistrung dieser Ablicht widersetzen. «sehnlich äußert sich das Organ der französischen Regien 22.April. Der „Temps" schreibt, der Friede von Shim onoseki gestatte Japan, in Zukunft die Macht Cbln°s zu seinem eigenen Vortheil zu consisciren. Das wurde «ne vollständige Zerstörung des Gleichgewichts im äußersten Orient und «ne schwere Verletzung der Rechte der an China angrenzenden Mächte bedeuten. Die Cabinete von Petersburg, Paris und Berlin hätten diese Gefahr erkannt und Japan von einem solchen Unter nehmen abgerathen. Die genannten Cabinete seien «mg in dem Bestreben, eine gütliche Lösung herbeizusühren und hierbei «neu Japan genehmen Weg einzuschlagen, sei eS, daß das Pracdenz des Berliner Congresses nach dem Frieden von San Stefano nach- geahmt würde oder ein Gedankenaustausch der interessirten Mächte stattsände. Europa würde eS unverzeihlich finden. wenn -ine westliche Macht (gemeint ist natürlich England. Die Red.) aus Egoismus isolirt vorginge. Was England betrifft, so scheint eS nach einer Auslassung der ministeriellen „Daily NewS" thatsächlich dem luisser fuirc huldigen zu wollen. So gewaltig die Veränderungen auch seien, welche die Ereignisse auf dem ostasiatischen Kriegstheater geschaffen, man müsse suchen, sie zum Guten zu wenden, und England habe das immer verstanden. Es sei wirklich etwas Erhebendes in dem Gedanken, daß China jetzt dem Unter nehmungsgeiste der Menschheit offen stehe, der neue Vertrag bringe in industriellen Beziehungen nur neue Gelegen heiten u. s. w. England sucht also bei dem mächtig vor wärtsschreitenden Japan sich schon jetzt lieb Kind zu machen und sucht der veränderten Lage ihre vortheilhaftesten Seiten abzugewinnen. Indessen fehlt es auch in England nicht an Stimmen, die das solidarische Interesse aller europäischen Mächte gegenüber dem Vordringen Japans nachdrücklich be tonen. So hat der britische Marinecapitain Lord Charles Beresford sich zu einem Vertreter des Reuter'schen Bureaus folgendermaßen über die Entwickelung der Dinge in Ostasien geäußert: „England darf niemals vergessen, daß eS mit Asiaten zu thun hat, deren Metier die Jntrigue ist. Legen wir uns aus Jntriguen, so werden wir sicher geschlagen werden. Ausweichende Sprache wird sicherlich zu Schwierigkeiten führen. Wir können sehr wohl Japan als neue Großmacht anerkennen und zugleich aus diploma tischem Wege dafür sorgen, daß unsere Interessen nicht geschädigt werden. Ob wir wollen oder nicht, wir müssen die neue Macht an erkennen. Und es ist eine furchtbare Macht. Daß sie uns aber stärker zu benachthelligen suchen wird als andere Mächte, scbe ich nicht ein. Jedenfalls ist es aber gerathen, eine möglichst starke Marine zu besitzen Japan hat in den letzten 40 Jahren alle die Verwaltungsphasen durchgemacht, wozu England 800 und Rom 600 Jahre gebraucht haben. In Japan scheint Alles möglich zu sein Wenn die Japaner Port Arthur und Wei-hai-wei besetzt halten, so ist das ungefähr .Kenia als wenn ein Feind Portsmouth undPlymouth in Besitz bat Wird das chinesische Reich den Aus- ländern geöffnet. so wird jedenfalls eine starke chinesische Aus- Wanderung eifitreten. Dann wird die Wett mit wohlfeiler Arbeit überschwemmt werden. Daraus können noch einmal heikle Fragen entstehen." Deutsches Reich. k Berlin, 22. April. Die Versuche, aus der Eisenacher Stichwahl politisches Capital zu schlagen, sind schon ver stummt. Es wäre auch eitel gewesen, sie fortzusetzen. Was die Stellung der Wähler in Eisenach-Dermbach zur Umsturz- Vorlage betrifft, so sind selbstverständlich die 9000 Stimmen des Siegers gegen diese Vorlage abgegeben. Aber auch der unterlegene vr. Nösicke batte sich gegen sie erklärt. Von seinen 5600 Stimmen fallen weitaus die meisten auch noch in die Waagschale gegen die Vorlage. Die 1000—1500 Con servativen, die im Kreise höchstens vorhanden sein mögen, haben ihn vielleicht gewählt, obgleich er die Einfädelung des Bundes der Conservativen mit den Klerikalen störte; möglicherweise ist aber auch ihnen die Ueberwindung nicht allzu sauer geworden. Was jedoch in Wirklichkeit bei dieser Stichwahl entschieden wurde, bat mit allen aktuellen Fragen wenig zu thun. Es handelte sich, soweit wir wenigstens das Empfinden der Wähler selbst verstehen, lediglich um eine Wahrung von Interessen, die in diesem Falle den sämml- lichen Parteien gemeinsam waren. Der hochmüthig und rücksichtslos unternommene Einfall in den Wahlkreis drohte alle vorhandenen Parteien in ihrer Organisation zu durch brechen. Die nationalliberale wie die antisemitische Partei leitung im Kreise glaubte zwar, bei der Stich wahl den Abwehrkampf nicht sortführen zu sollen, die Erbitterung der Wähler war aber viel zu groß, um das Kriegsbeil schon aus der Hand zu legen. Namentlich bei den Antisemiten. Wir begegnen an einzelnen Wahlorten dem ziffermäßigen Beweis, daß die Antisemiten in der Stichwahl fast noch eifriger für Casselmann, als vorher für ihren eigenen Candidaten gestimmt haben. Das wurde ihnen ja durch die vorausgegangene Entscheidung in Eschwege erleich tert. Aber der Dank für die freisinnige Stichwahlhilfe für Jskraut wurde sicher noch übertroffen von dem Zorn und Haß gegen den rücksichtslosen Eindringling Rösicke, der zu ernten dachte, wo sie gesäet hatten. — Außer den bereits genannten Schiffen der Hamburg- Amerika-Linie und des Norddeutschen Lloyd, die an der Er- öffnungsfahrt durch den Nordostsee-Canal theilnehmen, werden auf Wunsch des Kaisers noch zwei Hamburger Dampfer, die „Rugia" und „Rhaetia" und das Bremer Schiff „Habsburg" als Hotelschiffe in Kiel während des Festes stationirt sein, um Personen der Hofgesellschaft Woh nung zu bieten. Die Vermiethung der Plätze erfolgt durch daS Ober-Hofmarschallamt. — Fürst Bismarck sagte kürzlich zu den Vertretern der deutschen Innungen: „Wir können Zwangsinnungen heut zutage nicht mehr in die Wirklichkeit bringen." Die „Kreuz zeitung" erklärt dagegen, ebenso wie der deutsche Hand werkertag (vergl. den Bericht. Red.), daß sie von ihrem Standpuncte auch nicht um ein Haar zurückweicht: „Für daS deutsche Handwerk giebt es ohne die Zwangsinnnng und den Befähigungsnachweis schlechterdings kein Heil." — Wie die „Kreuzztg." mittheilt, hat der Cultusminister Or. Bosse bei der Ansprache, die er bei der Eröffnung des naturwissenschaftlicken Feriencursus an die anwesenden Direc- toren und Lehrer höherer Lehranstalten gerichtet hat, auch die äußeren Verhältnisse der höheren Lehrer berührt. Nachdem er in höchst anerkennender Weise des idealen Strebens gedacht hatte, das den ganzen Stand auSzeichne, kam er auf die Verhältnisse zu sprechen, wie sie durch den Be soldungsetat vom Jahre 1892 geschaffen worden seien, indem er zu einer besonnenen und gerechten Würdigung des bereits Erreichten ermahnte. Wenn die Unterrichtsverwaltung noch nicht Alles erreicht habe, was sie selbst lebhaft wünsche, so FrrrNletsir. Die Französin. 181 Nachdruck verboten. Roman von Arthur Zapp. (Schluß.) Auf die Meldung Else'S, daß Madeleine sich wegen Un wohlseins entschuldigen lasse, hatte die Frau Oberst sich vom Tisch erheben wollen, um selbst nachzusehen. Aber der Oberst hatte sie zurückgehalten. „Laß sie nur!" sagte er in seiner milden Weise. „Die Ruhe wird ihr gut thun und in der Einsamkeit wird sie sich am ehesten selbst wiedersinden." Von dem, was er durch Lieutenant Kramer erfahren, batte er nur daS Notwendigste, um deS Franzosen Verhaftung zu erklären, mitgetheilt. Madeleine'S Antheil an der ganzen Angelegenheit hatte er mit keinem Worte berührt. Die Frau Oberst erklärte sich wie auS den Wolken ge fallen. Gerade auf sie hatte der Franzose von allem Anfang den besten Eindruck gemacht. Die überraschenden Enthüllungen über die Persönlichkeit des Parisers erweckten ihr lebhaftes Interesse. „Also ein französischer Osficier war'S", rief sie mit einer ganz leisen inneren Genugthuung. „Was Du sagstl Ja, ja, er hatte so etwas Chevalereskes. Mir siel eS ja gleich auf Aber freilich, wer konnte darauf kommen! Also der Spionage wegen hielt er sich hier auf? Hm! Wer batte das gedacht?!" Die Frau Öberst legte viel Luft an den Tag, diese Frage eingehend mit allen Details zu erörtern, aber der Oberst gab eine so ausgesprochene Abneinung zu erkennen, über daS ibm peinlicke Thema zu diScutiren, daß sie schließlick davon stillsckwieg und die Befriedigung ihrer Wißbegierde für eine günstigere Zeit aufschob. Else und Herbert waren innerlich zu sehr mit sich be schäftigt, als daß sie sich zum Sprechen aufgelegt gesüblt hätten und so schlich sich die Unterhaltung nur träge zwischen dem Oberst und seiner Gattin hin. DaS Stillschweigen, das zuletzt eintrat, wurde plötzlich durch laute Hilferufe, die vom Corridor hereindrangen, unter brochen. Es war Thielke's Stimme, die sich gellend, mit dem Ausdruck lebhaftesten Schreckens vernehmen ließ. »Zu Hilfe! Zu Hilfe! Herr Oberst!" Herbert war der Erste, der zur Thür hinaus war. Eine Ahnung sagte ihm, daß es sich um Madeleine handelte, daß ihr irgend ein Unglück widerfahren. Und so eilte er direct in ihr Zimmer. Mit dem ersten Blick erkannte er die Situation. Thielke, der inzwischen iu daS Zimmer rurückgeeilt war, kniete neben Madeleine, die bewußtlos am Boden lag. Der alte Bursche bemühte sich, den Oberkörper der Kranken in die Höbe zu richten, während ihm Worte der Tbeilnahme und des Schreckens über die Lippen drangen: „Ach Gott, Fräulein — Frauleinchen! WaS — was ist den blos? Mein Gott, der Schrecken! Nee — nee so was! Fräulein — Fräuleinchen, hören Sie mich denn nicht? Ich bin es ja — Thielke! Wie ist Ihnen denn?" Herbert war mit einem Satze an Thielke's Seite, drängte den Diener zurück und hob mit Riesenkraft, mit der ihn die Aufregung deS Augenblicks begabte, die Ohnmächtige in die Höhe und bettete sie sanft auf dem Sopha. Sie lag mit halb geschlossenen Augen, die Lider bewegten sich zitternd und zeigten einen starren verglasten Augapfel. Das Gesicht war fahl und farblos wie daS einer Tobten. Der Anblick brachte ibn außer sich und ein folternder Schmerz krampfte ihm daS Herz zusammen. Die Leidenschaft, die durch die Ereignisse der letzten Wochen gewaltsam in ihm zurückgedrängt, loderte in bellen Flammen auf. „Madeleinei" rief er. „Madeleine! WaS hast Du gethan? Du darfst nicht sterben. Wir alle haben Dich ja lieb. Madr- leine, meine liebe, liebe Madeleine!" Er hielt ihren Oberkörper in seinen Armen und sah mit Blicken voll Angst und zärtlicher Liebe auf sie nieder. Inzwischen waren auch die übrigen Familienmitglieder in das Zimmer getreten. Das am Boden liegende GlaS, in dem noch ein Bodensatz des Giftes zurückgeblieben, erklärte Madeleine'S Zustand. Die Frauen schrieen entsetzt auf. Der Oberst aber verlor seine Geistesgegenwart nicht. ^ leichtfüßige Zofe seiner Gattin zum nächsten Arzt senden. Dann ließ er lauwarme Milch herbei- bringen und wandte selbst die üblichen ersten Mittel an, um der Wirkung des Giftes vorzubeugen. XV. Vo» der Militairbehörde war der ihr von Lieutenant Kramer eingelieferte, der Spionage angeschuldigte Arrestant einem kurzen Verhör unterworfen worden, das sich haupt sächlich um die bei ihm Vorgefundenen militairischen Ausreick- nunaen drehte. " ^ Der Franzose erklärte, wie die Papiere insbesondere der Hand de« Oberst von Marenburg herrührende stra- teg'sche Aussatz ,n seinen Besitz gekommen. Als Gast der §am'l«e ^ Oberst habe er sich heimlich in da« Arbeitszimmer de« letzteren geschlichen und das auf dem Schreibtisch liegende Schriftstück entwendet. Mitschuldige habe er kein« ^ . Die Militairbehörde that was ihre Pflicht war: sie über- wies den Arrestanten zur weiteren Untersuchung der Sache Abm.h-ilung ,»stimdig7n Die Lage des Franzosen war eine hoffnungslose. Er ^ beschönigen war nichts mehr. Er hatte sich neben dem Landesverrat des Diebstahls schuldig gemacht und eine harte entehrende Strafe: mehrjährige Ge- fängniß- oder gar Zuchtbaushaft war ihm sicher. Eine dumpfe Verzweiflung bemächtigte sich Gaston de St. Sauveurs. Er mit seinem lebhaften Temperament, gewöhnt an Be wegung und an eine ehrenvolle emsige Tbätigkeit, an ein ab wechslungsreiches Gesellschaftsleben, an Freude und Lust, er sollte hinter engen Mauern schmachten lange, lange Jahre, zu lästiger, ordinärer Arbeit verdammt, in der Gewalt ver haßter Feinde! Wenn er irgend eine Waffe zur Verfügung gehabt, er hätte ohne Besinnen den Tod einer solchen Zukunft vorgezogea. AIS man den Gefangenen unter der üblichen militairischen Bedeckung aus dem Militairgefängniß entließ, um ihn in die Civilhast überzuführen, keimte ein wahnsinniger Entschluß in ihm auf. Kaum hatte er inmitten seiner militairischen Be gleiter die Brücke betreten, welche über den breiten Haupt graben führte und die Festungsanlagen mit der Stadt ver band, als er mit jähem Sprung an dem Brückengeländer war und sich, ehe noch einer der überraschten Bedeckungs- Mannschaften sich zum Handeln aufgcrafft, ins Wasser stürzte. Wohl schwamm er, mit kräftigen Armen die Wellen theilend, eine Strecke hinab, aber noch ehe er daS Ufer erreicht, hatte eine aus dem Wall stationirte Schildwache daS schußfertige Gewehr in Anschlag gebracht und eben als er den Fuß ans Land setzte, streckte «hn eine wohlaezielte Kugel zu Boden. DaS Geschoß war ihm vom Rücken auS in die Lunge ge drungen und wenige Stunden nach seiner Verwundung hauchte Gaston de St. Sauveur seinen letzten Seufzer aus — ein Opfer deS Chauvinismus und der Revancheidee. Auf die Mitglieder der Familie des Obersten von Maren- burg brachte die Kunde von dem plötzlichen Tode deS fran zösischen Spions, die sich rasch in der Stadt verbreitete, eine verschiedenartige Wirkung hervor. Die Frau Oberst und Else von Marenburg bedauerten den interessanten jungen
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