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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.04.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-04-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950426029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895042602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895042602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-04
- Tag1895-04-26
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Größere Schriften laut unserem Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Ziflerosatz nach höherem Tarif. (»rtra-"Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, obne Postbeförderung ./t 60.—, mit Postbesörderung 70.—. ÄnnalsMkschlnk für Änzngen: (nur Wochentags) Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annabmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen find stets an die (Spedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Freitag den 26. April 1895» 89. Jahrgang. Der chinesisch-japanische Friedensverlrag. —<>. Die telegraphisch gemeldete Veröffentlichung deS ge nauen Inhalts des japanisch-chinesischen Friedens vertrag« in der „Köln. Ztg." bestätigt die Richtigkeit des bisher über denselben Bekanntgewordenen. Nur insofern liegt eine Differenz vor, als nicht fünf, sondern drei neue Stapelplätze dem auswärtigen Handel geöffnet werde« und der Handel«- und Freundschastsvertrag — unter welch' letzterem natürlich nicht da« gefürchtete Schutz- und Trutz- bündniß, sondern ein Verhältniß zu verstehen ist, wie es zwischen allen civilisirten Staaten besteht — noch nicht abgeschlossen ist, sondern in seinen Einzelheiten erst nach dein Austausch der Ratisicationsurkunden stipulirt werden soll. Ob die Intervention der Mächte sich auch gegen die Abmachungen der chinesisch-japa nischen Handelsconvention richten wird, bleibt abzuwarten, bis dieselben genauer bekannt geworden sind; vorläufig bilden die von Japan verlangten Gebietsabtretungen den Gegenstand des Protestes und in dieser Beziehung hält die genaue Wiedergabe des Friedensvertrags die japanischen Landerwerbungrn in dollem Umsang aufrecht. Wie zuver lässig verlautet, sind die Mächte deS neuen „Dreibundes", Rußland, Frankreich und Deutschland, fest entschlossen, ihre Forderungen mit Nachdruck zu verfolgen, da durch die Land abtretungen die politisch militairische, und damit nothwendig auch die commercielle Lage in Ostasien eine in ihren Folgen noch nickt übersehbare gewaltige Umgestaltung erfährt. Selbst die „Berl. Neuesten Nachr.", welcke aus Besvrgniß vor einer Verstimmung Japans gegen Deutschland die Cooperation desselben für einen unverzeihlichen Fehler halten, können sich nicht verhehlen, daß der chinesisch-japanische Friedensvertrag Japan die Mittel in die Hand giebt, aus China zu machen was es will. Das Berliner Blatt schreibt zutreffend: Ein Blick auf die Karte bezeugt, daß Japan fortan die süd östliche Küste Chinas in mächtigem Bogen umspannt und für die Enlwickelung seines Handels eine ganz unabsehbare Perspective gewonnen hat. Tie Einflußsphäre des siegreichen Japan beginnt im chinesischen Südmcer unterm 22. Grad, wo die felsigen Gestade der Insel Formvfa sich erheben, die Pescadores- Jnseln, die zwischen dem großen Eilande und der chinesischen Küste liegen, vermitteln Len Verkehr für Japan aufs Bequemste. Nord westlich von den Ausläufern des japanischen Jnselreiches selbst er streckt sich im Halbkreise Korea, das für unabhängig erklärt ist, was soviel besagt, als daß hier der Einfluß der japanischen „Befreier" der maßgebende bleiben wird. Und vollends der Gewinn der Halb insel Liao-Tong in der Ausdehnung des ganzen vom Meer um- spülten Theiies zwischen der Korea-Bai und dem Golf vou Liao- Tong bedeutet für die vorwärtsstrebende zukunftreiche Macht einen enormen Vortheil, der durch die von beiden Küsten (Wei-hai-wai und Port Arthur) gesicherte Herrschaft über den Golf von Petschili ins Ungemejsene für Handel und Industrie fruchtbar gemacht werden kann. Wie man aber bei einer derartigen, eine nur zu deutliche Sprache redenden Sachlage die Meinung noch verfechten kann, Deutschland bätte nickt interveniren sollen, weil für dasselbe keinerlei politisch-militairischen, sondern bloß com- merzietle Interessen vorhanden sind, ist nicht recht erfindlich. Die eminent handelspolitische Bedeutung der strategisch so bedeutsamen Positionen Port Arthur und Formosa springt so deutlich in die Augen, daß selbst die Gegner der Intervention dieselbe nicht übersehen können. Aber ihr Fehler ist der, daß sie nicht über die Grenzsteine der nächsten Zukunft Hinausblicken. Ihnen drängen sich nur die augenblick lichen Vortheile eines ruhigen Geschchenlassens auf, sie übersehen aber,daßJapan heute die Macht in die Hände bekommensoll,nicht nur zum Nachtheil aller anderen in Ostasien handeltreibenden Staaten den unauSgleichbaren Vortheil seiner geographischen Lage voll auszunutzen, sondern auch bei jeder natürlich sich darbietenden oder künstlich geschaffenen Gelegenheit, Cbina noch mehr zu knebeln und es zum willenlosen Werkzeug seiner bekanntlich sehr ehrgeizigen und mit echt ameri kanischer Skrupellosigkeit verfolgten Pläne zu machen. Diese gehen zugestandenermaßen auf nichts Geringeres hinaus, als den Osten ausschließlich zu beherrschen — militairisch und kommerziell — um den Einfluß aller europäischen Mächte zurückzudrängen, ja durch die, wenn auch nur ganz allmählich zu erwirkende völlige Ausschließung de« fabelhaft billig Pro- ducirenden China für Europa nach und nach eine geradezu tödtende Concurrenz zu schaffen. Diese Gefahr, welche in gleicher Weise alle europäischen Staaten bedroht, ist das Ge meinsame, was zur Intervention getrieben hat und was auch den Anschluß Deutschlands durchaus rechtfertigt, mag Rußland immerhin auch noch andere, auf territoriale Erwerbungen hinausgehende Wünsche haben. Dieselbe Gefahr aber ist es auch, welche eiu Zusammen gehen Deutschlands mit Nordamerika, an das man wohl einen Augenblick denken konnte, als nickt räthlich erscheinen läßt. Ein Blick auf die Einflüsse, welche seit zwei bis drei Jahrzehnten in Cbina und Japan sich geltend machen. Zeigt, woran die „Kr.-Ztg." mit Recht erinnert, daß die Vereinigten Staaten von Nordamerika darauf ausgehen, sich zunächst mit den ostasiatischen Staaten zu einer gemeinsamen pacifischen Politik zu ver binden und gewissermaßen die Monroe-Doctrin auf die asiatische Küste des Stillen Oceans auszudehnen. Die Einwanderung der Nordamerikaner nach Japan ist stärker als aus allen europäischen Staaten, die Zahl der Nordamerikaner in Japan steht jetzt schon derjenigen der früher weit überwiegenden Engländer gleich. Von der Ausfuhr Japans, die im Jahre 1891 236 Millionen Mark betrug, gingen für 93,5 Millionen nach Nord amerika. Der europäische Einfluß auf Schulen und Zeitungswesen ist nach und nach fast ganz dem nordamerikanischen gewichen. Die Bereinigten Staaten liegen außerdem Japan und China viel näher als Europa; die Dampfer erreichen von San Francisco aus Yokohama in 16, Hongkong in 25 Tage». Europäische Dampfer brauchen die 3—4fache Zeit. Ueberdies finden die amerikanischen Bestrebungen besonders bei den Japanern volles Entgegenkommen. Den Gedanken eines Zusammenschlusses der östlichen und westlichen pacifischen Staaten, uin die europäische Uebermacht von dort zurück zudrängen, ist schon wiederholt von nordamerikanijchen Staats männern ausgesprochen und in Peking wie in Tokio wohlgefällig ausgenommen worden. Die Annahme liegt nahe, daß Japan sich in seiner jetzigen Bedrüngniß hilfesuchend nach Washington wenden wird. Das sind Gedanken, deren sich eine nicht bloß auf wenige Jahre, sondern auf Jahrzehnte hinausschauende Politik nicht entschlagen kann. Von deutscher Seite aus kann man den Schritt unserer auswärtigen Politik auch schon deshalb begrüßen, weil es seit langer Zeit das erste Mal ist, daß das Reich bei einer großen internationalen Action in erster Reihe steht und mitbestim mend ist. Wenn uns aber etwas in der Ueberzeugung von der Rich tigkeit deS deutschen Vorgehens überzeugen kann, so ist es der Rath, welchen die ministerielle Londoner „Times" nach einigen spöttischen Bemerkungen über den „neuen Dreibund" den Japanern giebt. Das City-Blatt sagt, wie schon telegraphisch erwähnt wurde: Wenn Japan einsehe, daß alle drei Mächte den Protest mit Gewalt unterstützen werden, würde es sich fügen, wenn nicht, würde es weniger nachgiebig sein. Vielleicht wäre es für Japan am weisesten, nach- ugeben, da ein Irrtbum in der Würdigung dieser Frage ehr ernste Folgen haben könne. Aus dem Times - Artikel geht auch sehr unzweideutig hervor, daß England die Anectirung der Liao-Tong Halbinse eineswegS erwünscht ist und daß eS kaum dafür eintreten wird, Japan in dem Besitz derselben zu erhalten. In Berlin betrachtet man, wie den „Nt. N. N." officiös gemeldet wird, die Haltung Englands lediglich als den Ausdruck der Schwächlichkeit des derzeitigen Cabinets, welches während des japanisch-chinesischen Krieges große Lust zeigte, zu interveniren, nach dem Friedensschlüsse aber der Hoffnung war, daß die übrigen europäischen Mächte um den Kampf- rreis in Streit gerathen und für John Bull wieder einmal die Kastanien aus dem Feuer holen würden. Deutschland hat vor dem entscheidenden Schritte genau die Interessensphäre in Ostasien sondirt; es hat in der voraussicht lichen Bestellung der neuen japanischen Kriegsschiffe auf deutschen Werften keinen Ersatz für seinen in China zur Zeit schwer geschädigten Handel gefunden und die Noth- wendigkeit anerkannt, der voraussichtlichen Concurrenz Japans mit Europa einen Riegel vorzuschieben. Die Entente der drei Mächte und der von dem Cabinet St. James nicht er wartete Nachdruck, mit dem gehandelt wurde, hat in London großen Eindruck gemacht. Die derzeitige Constellation bat übrigens aufs Neue bewiesen, was schon vor längerer Zeit betont wurde, daß alles englische Gerede von dem anglo- russischen Einvernehmen, das thatsächlich nie bestanden hat, eitler Dunst war. England wird Wohl einsehen, daß seine Diplomatie ohne die Unterstützung Deutschlands in Ostasien zur Obnmacht verurtheilt i st. Somit wirft die Regelung der ostasiatischen Frage auch ein interessantes Streiflicht auf die politische Lage Europas. Bon deutschen Blättern ist es bekanntlich in erster Linie die „BossischeZeitung", welche dafür eintritt, daß wir unsere Hand von jedem Protest fern halten sollen. Sie schließt einen neuerlichen Artikel mit den Worten: „Hoffentlich lehnt Japan jeden Eingriff in den Friedensvertrag ab, es soll die Probe auf die europäische Einigkeit machen." Diese Art Patriotismus findet in der „Nordd. Allg. Ztg." folgende der Billigung aller vaterländisch Ge sinnten gewisse Zurückweisung: Wenn in einem deutschen Blatte direct die Hoffnung aus gesprochen wird, daß Japan ein Verlangen, welches Deutschland in amtlicher Form gestellt hat, ablehnen werde, und wenn dabei zugleich dem fremden Staate durch Anzweiflung der Einigkeit der intervenirenden Mächte der Weg angegeben wird, au" welchem der deutschen Politik eine Niederlage bereitet werden könnte, dann bekundet man allerdings ein Maß von „Vorurtheilslosigkeit", welches weithin, und zumal bei allen Deutschen im Austande, den Gegenstand tiefer Beschämung bilden wird. Die „Nat.-Ztg." bemerkt zu der „Leistung" des freisinnigen Blattes: „Der citirte Satz würde jetzt wahrscheinlich sogar in London nicht mehr geschrieben werden; so drückt man sich höchstens in Tokio, wo es begreiflich sein würde, und — in Berlin aus. Die an die ehemalige Polen-Schwärmerei erinnernde Japaner-Schwärmerei dieser deutschen Politiker wird mit den deutschen Handelsintercssen in Japan begründet; daß in China deutsche Handelsinteressen in Frage stehen, welche schon jetzt nach der unzureichenden Statistik mehr als doppelt so groß sind, als die in Japan in Betracht kommenden, wird unbeachtet gelassen." Wie die „Nat.-Ztg." erfährt, bat die deutsche Negierung die japanische bereits am 6. März in freundschaftlicher Weise auf die Schwierigkeiten hingewiesen, welche aus einem Versuche, für Japan eine thatsächlich beherrschende Stellung in China zu erlangen, entstehen würden. Es ergiebt sich hieraus die Grundlosigkeit der Unterstellung, daß ein Wechsel in der ostasiatischen Politik Deutschlands neuerdings ein- getrelen sei, und daß Japan sich über ein unerwartetes Bor zehen Deutschlands beklagen könne. Politische Tagesschau. * Leipzig, 20. April. Die Feststellung des Commissionsberichtes über die Um sturzvorlage ist gestern beendet worden. Sie bat ergeben, daß der Centrumsantrag auf Einfügung der Worte „ihre Lehren" in den tz. 10«'> des Strafgesetzbuches mit l6 Stim men angenommen und dadurch dem vielen Ungeheuerlichen, das die klerikal-konservative Commissionsmehrheit in die ursprüngliche Borlage hineingebracht har, das Ungeheuerlichste hinzugefügt worden ist. Trotzdem wird die Beifügung des Oberpräsidenten von Brandenburg, wonach die Absendung einer Petition wegen des Umsturzgesetzes, die nach dem Borschlage deö Berliner Magistrats durch die beiden städtischen Collegien der Reichshauptstadt an den Reichstag ge richtet werden sollte, zu unterbleiben hat, dem Anscheine nach in Berlin sehr ruhig beurtbeilt. Die Rechtsfrage ist streitig; nach Er kenntnissen des Oberverwallungsgerichts dürfen die Communat- bebörden Petitionen an die gesetzgebenden Körperschaften in solchen Fällen richten, wo Gesetzesvorlagen in Frage kommen, die von besonderer Bedeutung für die betressenden Gemeinden sind. Wir haben keinen Anlaß, diesem Problem der preußi schen Berwaltungsrechtspreckung besondere Aufmerksamkeit zu widmen. So viel ist sicher, daß diejenigen Berliner Zeitungen, die vvn Rechtsverletzung oder sogar von Ver- fassungswidrigkeit sprechen, eine andere „Rechts"-Aufsaffung bekunden würden, wenn beispielsweise Gemeinden mit vor herrschender Ackerbürger-Bevölkerung wegen Annahme des Antrags Kanitz beim Reichstage vorstellig werden wollten. Für die Angelegenheit der Umsturzvorlage tst die Sacke bedeutungslos, wenn auch die Bersügung des Oberpräsidenten als eine zweifellos auf Herrn v. Köller zurückweisenve Maß regel nicht des allgemeinen politischen Interesses entbehrt. Wie man in nichtklerikalen Kreisen und namentlich in den Städten über ras Centrumswerk denkt, ist den verbündeten Regierungen und dem Reichstage Wohl bekannt, und nicht ein mal aus dem Centrum heraus ist die in ähnlichen Fällen ge läufige Behauptung gewagt worden, die Bewegung gegen das von den Ullramvnlanen zurecktgemachle Knebelgesetz sei künstlich geschaffen. Scheinen deshalb weitere Kundgebungen nicht gerade nothwendig, so fordert die nunmehr in Berlin geplante geradezu den Protest heraus. Wie mitgetheilt, beabsichtigen „Mitglieder des Berliner Magistrats und der Stadtverordneten" aus den 5. Mai eine Versammlung von Mitgliedern städtischer Behörden aus allen Städten Deutschlands nach Berlin zu berufen, um gemeinschaftlich eine Erklärung gegen die Umsturzvorlage abzugeben. Auch wer die Vermehrung der ergangenen Proteste als wünschenSwerth ansieht, wird diese Veranstaltung für über flüssig halten, denn den Theilnehmern an einer solchen Ver sammlung wohnt keine größere Autorität bei, als jedem anderen Unterzeichner einer Petition, und eine geringere als den Lehrern, Geistlichen, Aerzien u. s. w.» die sich gegen die Vorlage gewandt baden. Die von Herrn Di. Langerhans Berufenen kämen nickt in ihrer Eigenschaft als städtische Bertreter nach Berlin, dazu hätten sie kein Mandat, sondern als Privatpersonen, die zu Hause in Betreff der Umsturz vorlage dasselbe thun können, was dort geschehen soll, und mit demselben Gewicht. Insofern ist die Versammlung zweck- Ferrillrtsir. Das Geheimniß vou Szambo. 3) Novelle von B. MilLr Gersdorsf. Nachdruck virbvtkn Mutter Schulze schluckte einige Male heftig, als ob ihr etwas im Halse stecke. Es war ihr in diesem Augenblick jämmerlich zu Muthe. Ein unbestimmtes, aus Scham und Verwunderung gemischtes Gefühl stieg in ihr auf, für welches sie in ihrer Rathlosigkeit keinen passenderen Ausdruck fand, als die Worte: „Nanu, das Mädchen ist wohl nicht von hier?" „Das stimmt, Mutter", entgegnete Clara heiter, „aber jedenfalls ist Fräulein von Radovanovits eine sehr gebildete, gute Dame, gegen welche Du Dich von Leuten wie Müller's und Lemke s nicht aushetzen lassen durftest. Fast weinerlich klang es von Frau Elsa zurück: „Clärchen, Du hast ja so recht. Müller soll mir nvch einmal mit seinen Rathschlagen kommen, dann werde ich ihm gehörig dienen. Aber was ist denn eigentlich mit dem Brief. „Es ist die Copie eines Schreiben-, welches Fräulein von Radovanovits an ihren Rechtsbeistand gerichtet hat." „Ich will es Dir vorlesen": „Hochverehrter Freund und Berather! Ihre aus diesen Brief erfolgende Strafpredigt kenne ich im voraus, deshalb seien Sie gnädig und schenken Sie mir die selbe. Ich kann nun einmal mem Gewissen nicht anders ent lasten, al« indem ich die Gerichtskosten in der leidigen Proceß- geschichte mit Frau Elsa Schulze aus mich nehme. Der Gerechtigkeit ist durch meine Freisprechung Genüge geschehen, ich für meine Person bin damit völlig zufriedengestellt. Die Frau war schlecht berathen, al« sie mich verklagte, aber ich möchte nicht, daß sie für ihre Unbesonnenheit noch mehr büßen soll. So viel ich weiß, ist sie «ine in bescheidenen Verhält nissen lebende Witwe, der ich — wenn auch unwissentlich — Schaden zugefügt habe. Hätte ich jenem plaudernden Herrn nicht die Karten gelegt, so wäre das ganze Malheur nicht geschehen." „Hm, hm, daS mit dem plaudernden Herrn geht auf den dummen Jungen, den Reinrcke, warf Mutter Schuhe ein." Aber, Mutter, entaegnete Clara erregt, Herr Remecke ist jetzt Doctor der Philologie und durchaus kein dummer Junge mehr." „Den nimmst Du noch in Schutz? Hast Wohl da- Süß- holzrasprln ganz vergessen?" „Gewiß", kam es trocken zurück. „So, so — na, dann lies man weiter!" Clara fuhr fort: „Ich bitte Sie, verehrter Herr Doctor, die Angelegenheit mit Ihrem Collegen, dem Anwalt der Klägerin, so zu ordnen, daß der Wittwe Schulze keine Kosten rechnung zugeht. Mich, lassen Sie gefälligst, so weit als möglich, au« dem Spiel. Ihnen im Voraus für Ihre Be mühungen dankend, zeichnet hochachtungsvoll Ljubitza v. Rado vanovits." Mutter Schulze hatte während de« VorlesenS einen großen Beschluß gefaßt, jetzt kam sie damit heraus. „Nein, Clara, das können wir nicht annehmen! Was der Mensch sich einbrockt, das muß er auSessen." „Das denke ich auch, Mutter." „Weißt Du, was Du aber könntest?" „Nun?" „Zu ihr hinuntergeben, für die gute Absicht danken und mit emstießen lassen, daß uns die ganze Sache sehr leid thäte. Na, Du verstehst mich schon — kannst das besser heraus bringen als ich. Der Auftrag war Clara nicht gerade angenehm, aber sie freute sich doch, die Bekanntschaft der jungen fremden Dame zu machen, die durch ihr einnehmendes AeußereS, ihr selbst bewußte« Auftreten und durch die soeben an den Tag gelegte Herzensgute ihr Interesse in hohem Grade erregt hatte. Adolf Hagen befand sich wieder einmal in einer jener un behaglichen Stimmungen, die ihn seit einiger Zeit häufiger als je zuvor heimsuchten. Seine freundliche, mit Kunstschätzen verschiedenster Art geschmückte Iunggesellenwohnung erschien ihm kalt und öde, Alles darin gähnte ihn an und machte ibn unheimlich frösteln. In solchem Zustande geriet!, er regelmäßig auf denselben Gedanken: daß er leichtsinniger Weise versäumt habe, rechtzeitig zu heirathcn und daß e« einen beinahe komischen Beigeschmack habe, jetzt noch Hymens Fackel entzünden zu wollen. Nun ja, passende Partien gab e« immerhin genug für ihn, aber eS handelte sich um eine Bestimmte, um sie, welche diese selbstquälerischen Betrachtungen in ihm berauf- beschwor, um das holdselige Töchterlein seine« Jugendfreundes. Und wenn sie dann in ihrem ganzen, fast noch kindlichem Liebreiz vor ihm stand, wenn er im Geist ihr frohes Plaudern hörte, ihr heiteres, zutrauliche« Wesen sich vergegenwärtigte, dann übrrlief eS ihn heiß und kalt, eine grenzenlose Unruhe befiel ihn, er mußte hinaus — weit hinaus — um, wie er zu sagen pflegte, seine Gedanken auSzumarschirrn, um Ruhe und Fassung wiederzugewianen. Auch heute bewegte er sich in dem gewohnten Jdeenkreise und war eben wieder auf bestem Wege, in seine zwecklosen Betrachtungen zu verfallen, als er mit Verwunderung eine nach dieser Richtung ihm sonst fremde, energische und entschlossene Regung in sich verspürte. Vom Sessel aufspringend, einige Male hastig das Zimmer durchschreitend, rief er sich unmuthig zu : So wird es im Leben nichts, es muß etwas geschehen, um diesem unerträglichen Zustand ein Ende zu machen! Den blöden Schäfer zu spielen, bin ich doch wahrhaftig zu alt! Ich muß einen Versuch machen, fuhr er, ruhiger werdend, fort, mißlingt er, so weiß ich doch wenigstens, woran ich bin, und brauche mich nicht länger unnütz zu quälen, und gelingt es mir — dann — ist ja Alles gut. Alles gut? wiederholte er sinnend, indem er sich wieder setzte und de» Kopf in beide Hände stützte, und wenn das liebe Kind wirklich mir altem Knaben die Hand reicht, wird damit Alles gut? Habe ich denn ein Recht, ihre frische Jugend an meine vierzig Jahre zu ketten, wird nicht Enttäuschung und Reue die unausbleibliche Folge bei ihr — vielleicht auch bei mir sein? Ja, alter Geselle, da läßt dich deine Weisheit gründlich im Stich, hättest du jetzt nur Jemanden, der dir rathen und helfen könnte! Er starrte nachdenklich einige Secunden vor sich bin, als plötzlich eine Wandlung in ihm vorzugehen schien; die Züge belebten sich, eine leichte Röthe färbte die Wangen; Ljubitza's in seiner Erinnerung bereits ziemlich verblaßtes Bild tauchte mit einem Male klar und leuchtend vor ihm auf; er sah ihre schlanke, elastische Gestalt, das edelgeformte Antlitz, den träumerisch schwermüthigen Blick ihrer dunkeln Augen, und heiß schoß ihm das Blut zu Herzen, so daß er unwillkürlich von seinem Sitz aufsprang. Ljubitza! rief er laut, daß er vor seiner eigenen Stimme fast erschrak. Ljubitza! wiederholte er noch einmal leise, wie sein eigenes Echo. Ja, bin ich denn bei Sinnen? flüsterte er, was drängt sich dieses Bild in meinen Gedankenkreis, und warum gerade jetzt? — Er wanderte unruhig im Zimmer hin und her, offenbar arbeitete etwas in seinem Gehirn, das noch der Klärung bedurfte. Endlich nahm sein Gesicht einen heiteren, fast übermüthigen Ausdruck an und unter Hellem Auflacken kam es energisch über seine Lippen: Wohlan, eS sei! Umsonst sollst Du mich nicht gemahnt haben, geheimniß volle Pythia, ich folge Deinem Ruf, sei es zum Heil, sei es zum Verderben! In bester Laune klingelte er seinem Diener, ließ sich Hut und Ueberzieher reichen und verließ daS HauS. Ljubitza war ein Kind deS Licht« und liebte die Dämmerung nicht. Obwohl sich die rothglühenden Wollen, hinter denen die Sonne am Horizont hinabgestiegcn, noch in ihren Fenstern spiegelten, glaubte sie doch schon die ihr feindlichen Geister der Dämmerstunde, jene unheimlichen Vorboten der schwarzen Nacht, zu verspüren. Die immer länger werdenden Schatten gestalteten sich für sie zu traurigen Bildern ihrer Kindheit; sie wähnte dann, aus dunkeln Ecken Schluchzen zu hören, ein wildes, herzzerreißendes Schluchzen, wie sie es einst wirklich vernommen und nie und nimmer vergessen konnte — die letzte Erinnerung an ihre unglückliche Mutter. Sie fuhr mit der Hand über die Stirn, wie um die finstern Bilder zu bannen, erhob sich rasch und klingelte. Eine alte Dienerin trat ein. „Laß die Jalousien herab und bringe Licht", befahl sie ihr. Die Alte entfernte sich, um nach wenigen Augenblicken mit einer brennenden Lampe zurückzukehren, deren Licht durch einen rosafarbenen Spitzenschleier gedämpft wurde. Sie stellte dieselbe auf ein Mosaiktischchen zu Häupten einer Ottomane, welche schräg in die Stube geruckt war, schloß die Fensterläden und zog die schweren Sammetvorhänge zu. Dann richtete sie den Blick aus ihre Herrin und fragte in unterwürfigem Tone: „Befiehlt die Gvspoditza sonst noch etwas?" „Nein, Stana, danke, Du kannst gehen." Während die Dienerin geräuschlos das Zimmer verließ, streckte Ljubitza sich auf die Ottomane aus, nahm ein Buck vom Tisch und sing an zu lesen. Ihre Gedanken mußten aber wohl bei anderen Dingen weilen, denn schon nach wenigen Minuten lag das Buch in ihrem Schoß und sie starrte trüb und sinnend vor sich bin. Heute wars, kam es wie ein leises Murmeln über ihre Lippen, heute vor siebzehn langen Jahren, und immer noch steht alles klar vor meinen Augen, wie an jenem fürchterlichen Tage! Großer Gott! Will die Erinne rung denn nie verblassen, soll ich sie wie einen Fluch durchs Leben schleppen, niemals Erlösung finden? Wie ein unter drückter Berzweiflungsschrei klangen die lebten Worte; die jugendlicheGestalt schien unter leichten Schauern zu erbeben, der Blick war starr ins Leere gerichtet. So blieb sie kurze Zeit in dumpfem Brüten regungslos liegen, dann entrang sich ihr die bange Frage: „Ist es denn wabr, daß die Sünden der Ettern an Kindern und Enkeln beimgcsuchl werden, müssen die Schuldlosen mit den Schuldigen büßen, soll da« Kains zeichen ewig auf meiner Stirn brennen ?" — Mit nack oben deutenden und langsam, wie zum Gebet sich saltenden Händen sprach sie feierlich: „Gütiger Himmel, gieb mir rin Zeichen
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