Suche löschen...
Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.04.1895
- Erscheinungsdatum
- 1895-04-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189504297
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18950429
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18950429
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-04
- Tag1895-04-29
- Monat1895-04
- Jahr1895
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.04.1895
- Autor
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezugS.PreiS 1» der Hauptrxpedition oder den im Stadt- bezirk und den Bororten errichteten Au«- aavcstellen ab geholt: vierteljährlich ^4.50, oet zweimaliger täglicher Zustellung ln« Hau« 5.50. Durch die Post bezöge» für Deutschland und Oesterreich: vierteliäbrlich g.—. Directe tägliche Kreuzbandsenvuug in- ?lu«land: monatlich ^>l 7.50. Die Morgrn-Au-gob» erscheint täglich mit Aus nahme nach Sonn- und Festtagen '/,? Uhr, dir Abenv-AuSgabe Wochentag« b Uhr. Redartion und Expedition r JohauneSgafie 8. Lie ikrprdition ist Wochentag« ununterbrochea geöffnet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Filialen: Otto Klemm « Lorti«. (Alfred Hatz«)» UniversitütSstrahe 1, Louis Lösche, Kathariuenstr. 14, part. und König-Platz 7. nMcr.TlMblatt Anzeiger. Organ für Politik, Localgefchichte, Kandels- and Geschäftsverkehr. ^-211. Montag den 29. April 1895. AnzeigeN'PreiS die 6 gespaltene Petitzeile SO Pfg. Reklamen unter dem Redactionsstrich (4ze- spalten) 50-H, vor den Familieunachrichiea (6 gespalten) 40/H. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernjatz nach höherem Tarif. (ktztra »Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen. Ausgabe, ohne Postbesörderung 00.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeige«: (nur Wochentags) Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Ertzetzition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 88. IchrganK Politische Tagesschau. * Leipzig, 29. April. Wenn der Reichstag in dem Tempo fortarbeitet, in dem er in den letzten Tagen gearbeitet hat, und wenn bei der am 6. Mai beginnenden zweiten Berathung der Umsturzvor lage die Debatten sich nicht rascher abspinnen, als sie in der Commission sich abgewickelt baben, so werden außer dieser Vorlage vor dem Pfingstfest« schwerlich auch nur die dringendsten Gesetzentwürfe zu erledigen sein. Länger als bis Pfingsten ist der jetzige Reichstag sicherlich nicht zusammen zuhalten. Die „Post" beklagt die« besonders wegen der Börsensteuer. „Daß ein Gesetz" — schreibt das frei konservative Blatt — „nach dieser Richtung hin absolut noth- wendig ist, wird eigentlich mit Ausnahme der reinen Börsenfreunde allgemein anerkannt. Auch sind aus dem Lande, wie von der Tribüne der Parlamente oft genug dringende Forderungen einer neuen gesetzlichen Ordnung der Börsenverhältnisse gestellt worden. Die schlimmen Auswüchse sind bei der Verwerthung der Brodfrüchte, wie für den allgemeinen Verkehr auf das Schlagendste nachgewiesen worden. Man hatte deshalb auch schon im Februar eine Vorlage erwartet, und dann hätte man dieselbe auch verabschieden können. Aber bekanntlich batte die Regierung es nicht so eilig, und jetzt ist gar ein Wechsel iu der Person des Referenten, des früheren bayerischen Bevollmächtigten zum Bundesrathe, von Landmann, eingetreten, und der neu bestellte Referent braucht mindestens 14 Tage Zeit, um sich einzuarbeiten. Damit ist jede Aussicht auf Verabschiedung der Vorlage ent schwunden. Hoffentlich giebt diese wiederholte Verzögerung nicht die Veranlassung, daß die Börse bei etwaigen (Konver sionen im Trüben fischen und zu Gunsten exotischer Werthe ihren Einfluß geltend machen kann. Auch die Landwirth- schaft hat sich also mit der von ihr sehnlichst erwarteten Reform der Produktenbörse noch zu gedulden." Bon an derer Seite wird dieser Klage gegenüber behauptet, in Regierungskreisen werde der Gedanke ernstlich erwogen, den Reichstag vor oder nach Pfingsten nicht förmlich^ zu schließen, sondern bis zum Spätherbst zu vertagen, um dadurch zu erreichen, daß daS umfangreiche und werthvolle Material der ConimissionSberathuugen über die vorläufig unerledigten Entwürfe nicht verloren gehe, sondern beim Wiederzusammentritt des Reichstags im Herbste ohne Weiteres verwerthet werden könne. Sehr wahrscheinlich ist diese Mel dung allerdings nicht, denn wenn die verbündeten Regierungen daran verzweifeln, das Plenum des Reichstags über Pfingsten hinaus zusammenzuhalten, so werden sie sich auch nicht der Erwartung hingeben, daß die Majorität nach einer Herbst session Verlangen trage. Ohne Zustimmung der Mehrheit des Hauses ist aber eine Vertagung auf länger als 30 Tage nach der Reichsverfaffung unmöglich. Viel wahrscheinlicher ist eS, daß die verbündeten Regierungen auf die Erledigung der wichtigsten Vorlagen vor dem Schluffe der Tagung dringen und dann ihre Hände in Unschuld waschen, wenn der Reichs tag die Zahl seiner negativen Verdienste durch chronische Beschlußunfähigkeit und Nichterledigung bedeutungsvollen Arbeitsmaterials noch vergrößert. Der Aufruf de« ComitsS zur Veranstaltung einer Ver sammlung städtischer Vertreter in Berlin zum Zwecke eines Protestes gegen die „Umsturzvorlage" ist erschienen. Er beginnt mit den Worten: „Die bei dem Reichstage rin ge brachte Umsturzvorlage hat bei Männern aller poli tischen Parteien die größte Erregung hervorgerufen" und kennzeichnet sich schon dadurch als ein nicht nur gegen die Beschlüsse der Umsturz-Commission, sondern auch gegen die ursprüngliche Vorlage und ihre fZ wecke aerichtete- berlinisch „freisinniges" Unternehmen. Daß eS ein solches ist, geht noch deutlicher au« den Unterschriften deS Aufrufs hervor, denn man war so unklug, sich nicht auf Unterschriften aus Berlin zu beschränken und dadurch den Charakter der Veranstaltung noch offenkundiger zu machen. Dabei gehören von den 4L Unterzeichnern doch noch 20 Berlin und Cbarlottenburg an, und unter den auswärtigen befindet sich ein einziger Oberbürgermeister, daS „freisinnige" Oberhaupt der „frei sinnigen" Stadtverwaltung von Breslau. Sachsen ist, wie wir mit Genugthuung feststellen, im Comit6 ganz ohne Vertretung geblieben, auS Bayern Unterzeich nete ein Münchener MagistratSrath, aus Württem berg der demokratische Stuttgarter Stadtverordnete Ehni, aus Hamburg und Bremen hat nur je ein Bürgerschafts- Mitglied unterschrieben, beide „freisinnig". Nicht zu den Bundesgenossen der Socialdemokratie gehört von den Comit6- mitgliederu einzig und allein der Stadtverordnetenvorsteher von Frankfurt a. M., in dem der Umstand, daß auch die städtische Behörde, an deren Spitze er steht, eine Petition gegen die Umsturzvorlage beschlossen hat, ein Gefühl der Solidarität mit den Berlinern erweckt haben mag. Da aber Herr Leopold Sonnemann, der Herausgeber der „Frankfurter Zeitung", gleichfalls Mitveranstalter ist, so kann auch die Vertretung Frankfurts das Wesen deS Unter nehmens nicht verwischen. Zm Namen deS BürgerthumS zu sprechen, wie es in dem Ausruf geschieht, hat dieses Comits keine Berechtigung, da es in Wahrheit eine isolirte Clique vertritt, die ihre stark ramponirte politische Reputation wieder etwas auffrischen möchte. Der Freisinn und die Demokratie sind am allerwenigsten be rufen, die Führung de« Bürgerthums in einem Kampfe gegen den Ultramontamsmu» — und um einen solchen Kampf handelt es sich jetzt der Comissionsfaffung der Umsturzvorlage gegenüber — zu übernehmen, denn sie haben daS Meiste zur Stärkung dieser reactionairen Macht beigetragen und thun eS heule noch. Für sie ist die Stellungnahme in der An gelegenheit der Umsturzvorlage nur episodisch, wie eS die in der preußischen Schulgesetzfrage war, nach deren durch die Mittelparteien erfolgter Erledigung Herr Richter dem Cen trum wieder Heeresfolge leistete, als ob nichts geschehen wäre. DerName desschonerwähnten Herrn Sonnemann auS Frankfurt nimmt sich geradezu komisch unter einer Protesterklärung gegen klerikale Pläne aus. Dieser Herr hat, als Papst Leo XÜI. friedliche Absichten gegen den preußischen Staat kundgab, einem rheinischen Geistlichen gegen jene römische Politik zu Angriffen, die so heftig waren, daß ihnen selbst die Caplanpreffe Ausnahme verweigerte, die „Frankfurter Zeitung" zur Ver fügung gestellt und sich nach dem Tode jenes unversöhnlichen Ultra montanen dieses Streiches, der ihn, den Nichtkathvliken, päpst licher als den Papst zeigte, noch öffentlich berühmt. Die Berliner Unternehmer hätten also von der Sache wissen und diesen sonder baren Streiter wider den UltramontaniSmuS von sich fern halten können. Wir sind natürlich dankbar, daß sie dies unterlassen haben, denn die hervorragende Antheilnahme des Herrn Svnnemann charaktersirt die Berliner „Protestanten"-Ver- sammlung unübertrefflich und wird so manchem Schwan kenden, der die Centrumsbeschlüffe verwirft, aber der Social demokratie keinen Gefallen erweisen will, das Zuhausebleiben als daS Klügere erscheinen lassen. Gegen die Feier des 1. Mat hat sich soeben der Vor stand des Gewerksvereins der französischen Grubenarbeiter im Departement deS Pas-de-Calais ausgesprochen, indem er in einem an die Genossen gerichteten und u. A. auch von den socialdemokratischen Deputirten BaSly und Lameadin Unterzeichneten Aufruf ausführ^ daß eS Zwar nichts Sch' Versammlungen beiwohnen. Da man annehme d f,^, ß daS Vorgehen der Socialdemokratie im Koten In Brüssel hatten die Socialfften d'eSt.rn-, durch ihren Führer Anseele in der Kammer den Antrag zu steuen, daß am 1. Mai die Arbeit der Volksvertretung ruhen möge. Derselbe wurde bekanntlich mit großer Mehrheit abgelehnt aber daß -r überhaupt gestellt . werden und .mme m 35 Stimmen erhalten konnte, ist doch außerordentlich charakteristisch für die Parteiverhaltmffe m Belgien. AuS der abfälligen Kritik, welche die englischen Heereseinrichtungen im AuSlande, namentlich m der deutschen Presse, finden und die auch wieder anläßlich der letzten Freiwilligen-„Manöver" laut wurde, scheint,n kom petenten englischen Kreisen doch endl.ch die Erkenntnis von der Nothwendigkeit einer durchgreifenden Reorganisation des Heerwesens aufgedämmert zu sein. Wenigstens bewegt sich eine in den „Times" soeben begonnene Serie von Artikeln über Organisation und Verwaltung deS Kriegs- ministeriumS in dieser Richtung. Thatsache ist, daß, wenn England alljährlich für den ordentlichen Marme- Etat nahezu 400 Millionen Mark auSgiebt, es wenig,tenö die Genugthuung hat, die stärkste Kriegsflotte der Welt zu besitzen, während es für fast dieselbe Hohe der Militairaus- aaben eine Armee hat, welche nicht unerheblich hinter den Streitkrästen von Staaten wie Belgien oder Rumänien zuruck- bleibt. Daß hier ein Grundfehler des Systems vorliegt, ist klar. Schon in der indischen Armee herrschen ganz andere Verhält- niffe, weil diese eine Institution für sich bildet, aus Landes- mittrln erhalten wird und von dem Londoner Kriegsmmlsterium völlig unabhängig ist. Stimmen in der britischen Fachpresse bezeichnen es als eine wahrhafte Anomalie, daß englische Officiere in Indien eine vollständig ausgerüstete und jeden Augenblick dienstbereite Armee von beinahe 200 000 Mann für einen geringeren Kostenaufwand zu erhalten vermögen, als er in England nöthig ist, um nur ein einziges Armee- corpS auf Kriegsstärke zu bringen und einige schwache Reserve formationen von höchst zweifelhaftem niilitairischen Werthe aufzustellen. Zur ostasiatischen Frage schreibt die „Deutsche Sonn tagspost": Nach unseren aus bester Quelle eingezogenen Erkundigungen ist es richtig, daß der erste Anstoß dafür, daß die Mächte sich über ihre Haltung gegenüber dem neuen Zustande in Asien verständigen möchten, von Deutschland auSgegangen ist. Die Anregung jedoch für die hiernach von den drei Mächten Rußland, Deutsch land und Frankreich erzielte Verständigung liegt bei Rußland, weil dieses als die meistbetheiliate Macht die nächste dazu ist, welche zu den politischen und wirthschastlichen Verschiebungen in Ostajien Stellung zu nehmen hat. Andere, officivse, Verlautbarungen lassen die Auffassung oer „Deutschen SonntagSpost" als richtig erscheinen. Weniger bekannt dürfte sein, daß Deutschland schon während deS Krieges Vermittelungsversuchen nicht ferngestanden hat. Allerdings hatte es dem englischen Vorschlag einer, eventuell bewaffneten, Intervention den entschiedensten Widerspruch entgegengesetzt, so daß derselbe nicht zur Ausführung kam, aber noch bevor Port Arthur gefallen war, fragte der amerikanische Gesandte in Tokio an — und wie aus dem nach authentischen Informationen bearbeiteten v. Müller'schen Buche über den japanisch-chine sischen Krieg bervorzugehen scheint, im Einverständniß mit Deutschland —, ob die japanische Regierung geneigt sei, amerikanische Friedensvorschläge anzunehmen. Graf Ito, der japanische Ministerpräsident, wies dieses Ansinnen aber be stimmt zurück, intern er Hervorbob, daß die Erfolge der japanischen Waffen wohl für Japan das Recht errungen hätten, daß China selbst Bevollmächtigte zu ihm schickte, um die Friedensverhandlungen zu führen. Ein weiterer Versuch mißglückte ebenfalls. Schon damals ging die deutsche Regierung von ähnlichen Erwägungen ans wie diejenigen, welche für ihre jetzige Stellungnahme maßgebend gewesen sind: Wenn Japan in seinem Siegesläufe sortsuhr, mußten die Zugeständnisse Chinas beim Friedensschlüsse immer größer, vor Allem mußte die Kriegskostenentschädigung eine immer höhere werden. Dadurch wäre China, dieses weite Handelsgebiet für den europäischen Markt, immer weniger kaufkräftig, von Japan in politischer und handelspolitischer Beziehung immer abhängiger geworden,Japan dagegen, mit reichen Hilfsquellen und Geldmitteln versehen, bei seiner enorm billigen Provuetionsweise (Tageslvhn nach dem ehemaligen deutschen Gesandten a. D. von Brandt 19 bis 37 Pf.), seiner aufstrebenden Industrie und seinem aus blühenden Handel ein so unangenehmer Concurrent geworden, daß eS bald die meisten europäischen Haupthandels artikel vom chinesischen, ja überhaupt vom asiatischen Markte verdrängt haben würde. Als schlagendes Beispiel, wie eS schon jetzt ist, nennt M. von Brandt in seiner „Zukunft OstasienS" den Preis einzelner Artikel, für welchen dieselben als japanisches und englisches Fabrikat in Singapore verkauft werben: z. B. japanische Regenschirme 3 Dollars daS Dutzend, englische 5^4 Dollars, Messingnägel aus Japan 20 Dollars, englische 32, Handtücher 0,30:0,05, Unterjacken Dutzend 2:4,60, Wanduhren 4^/z:8,50 u. s. f. Jetzt, nachdem die Forderung wichtiger Gebietsabtretungen hinzugekommen ist, welche China vollständig zum Spielball Japans machen müssen und nicht nur für den deutschen Handel, sondern für den von ganz Europa bedrohlich werden können, müssen bei der ge meinsamen Vorstellung der drei Mächte in Tokio noch weit schwerer wiegende Argumente zur Sprache gebracht worden sein, und es steht zu hoffen, daß Japan sich der Beweiskraft derselben nicht verfchließen wird. Deutsches Reich. Berlin, 28. April. Wie von verschiedenen Seiten her berichtet wird, nimmt die Auswanderung nach Brasilien in neuerer Zeit wieder zu. In den verschiedensten europäischen Staaten tauchen Agenten auf, welche von den arbeiter bedürftigen brasilianischen Großgrundbesitzern ausgesandt und besoldet werden und in den Mitteln zur Betreibung ihres seelenverkäuferischen Gewerbes nichts weniger als wählerisch sind. Obgleich in den meisten Ländern, auch in Deutschland, dem Treiben der Auswanderungsagcnten schärfstens aus die Finger gepaßt wird, finden sich doch immer Un erfahrene und Leichtsinnige, welche sich durch die Lockungen der Agenten bethvren lassen, so daß eine nachdrückliche Warnung Feitilletoir. Vas Geheimmß von Szambo. 5) Novell» von B. MilLr Gersdorff. Nachdruck verbot«« (Fortsetzung.) „Warum denn morgen?" entgegnete sie eigensinnig, „wenn ich schon im Bett bleiben muß, so sollst Du mir wenigstens gleich heute reinen Wein einschenken; sonst muß ich doch immer an die Geschichte denken und . . „Na, denn in Gottes Namen, wenn Du durchaus willst. Aber Eines, Mutter, sag' mir vor allen Dingen, — wer hat Dich nur soweit gebracht, daß Du mir ans offener Straße nachspürst und Dich und mich vor aller Welt bloßstellst?" „Ja, was sollte ich thun? Wenn schon das ganze Haus von Deiner Liebschaft mit dem Reinecke redet . . ." „Ach, dacht ich mirs doch", unterbrach Clara sie lebhaft, „Mutter, Mutter, wie magst Du Dich nur immer wieder durch den häßlichen Klatsch aufhetzeu lassen! Denk doch an die Sache mit Ljubitza von RadovauovitSl" „Nanu, Cläre, — jetzt machst Du mir Vorwürfe, und ich meine doch .. „Nein, Muttchen, es sollen keine Vorwürfe sein, — aber sag' selbst, wäre eS nicht richtiger gewesen, wenn wir unS bier zu Hause ruhig ausgesprochen hätten?" „Freilich", meinte Frau Elsa kleinlaut, — „ich hatte mir nicht recht überlegt..." „Und nun will ich Dir auch offen und ehrlich sagen, was an dem ganzen Gerede wahr ist, — nichts, als daß Herr Doctor Reinecke mich häufig von der Schule nach Hause bringt; wir plaudern dann die kurze Strecke über Dies und Jenes wie gute alte Freunde, aber von Liebe, — ich gebe Dir mein Wort darauf, ist noch nie die Rede zwischen uns gewesen. ES war unrecht von mir, — jetzt sehe ich eS ein, — Dir die Begegnung mit Doctor Reinecke zu verschweigen, aber eS war auch da« einzige Unrecht, das ich mir zu schulden kommen ließ, und daS Du mir hoffentlich verzeihst, — nicht wahr, Muttchen?" „Ja, mein Kind, wenn es sonst weiter nicht« ist, sagte sie sichtlich erleichtert, — dann, — dann — aber Cläre, fuhr sie nun kopfschüttelnd fort, in der Ordnung ist so was doch nicht. Ein junge« Mädchen kann nicht ängstlich genug aus seinen guten Ruf bedacht sein, und daN» — da« mußt Du Dir doch selber sagen — traut sich doch kein anderer Mann an Dich heran, wenn man Dich immer mit dem Doctor zusammen sieht. „Nun, Mutter, was liegt denn daran." „Na, auf die Manier kannst Du doch die schönste alte Jungfer werden." „Das Unglück wäre wohl noch zu ertragen", warf Clara lustig ein, — „Ihr habt ja so gut für mich gesorgt, daß ich auf meinen eigenen Füßen stehen kann und gar keinen Mann brauche. „ES wäre mir aber eine große Beruhigung, mein Kind, wenn ich Dich an einen braven Mann verbeirathet wüßte. Ich werde immer älter und mache vielleicht nicht mehr lange mit und dann stehst Du ganz allein in der Welt." „Muttchen, was sind das für Gedanken!" sagte Clara, indem sie sich über die bewegte Frau beugte und sie innig küßte; — ,,wir wollen noch recht lange beisammen bleiben, und sollte ich wirklich einmal allein stehen, nun, darum muß ich doch nicht auch ganz verlassen sein. Ueberall in der Welt giebt e- gute Menschen, denen man sich anschließen kann. Habe ich nicht selbst schon in Ljubitza eine aufrichtige Freundin gefunden?" „Ja, sag mal, Cläre, wie hängt daS eigentlich mit der zusammen?" fragte Frau Elsa eifrig, das bisherige Gesprächs thema verlassend, „so ein wohlhabendes und schöne« Mädchen, — daß die sich nicht verheirathet, — um die müßten sich doch die Männer reißen!" „Ich weiß nicht, Mutter, da« ist ein Capitel, daS Fräu lein von RadovanovitS nie berührt." „Sie lebt wohl im Ganzen sehr zurückgezogen?" „Jedenfalls geht sie wenig au« und der einzige Besuch, den ich bisher bei ihr getroffen, war der AmtSricher Hagen." „Hagen? Der kam doch früher nicht zu ihr?" „Nein; erst seit einem gewissen Tage, — Du hast so zu sagen die Bekanntschaft gestiftet, unv ich glaube fast, daß die Beiden Dir deshalb nicht böse sind." „So, so — meinst Du wirklich?" „Wenigsten« scheint gegenseitige Neigung bei Ljubitza und Hagen vorhanden zu sein, erwiderte Cläre. „Ich habe mir schon manchmal gedacht, sie beiratben sich am Ende noch." „I, wa« Du sagst, Cläre! Und waS ich Dich noch fragen wollte — hat Dir die Ungarin schon etwa- auS ihrer Kind heit und von ihren Eltern erzählt? AuS WaS für einer Familie stammt sie denn eigentlich?" ,^DaS wriß ich nicht, Mutter; daß sie in einer Wiener Pension erzogen und daß sie eine Besitzung in Ungarn bat — Szambo — glaube ich, heißt sie und ihre Eltern lange todt sind, so viel weiß ich; sie spricht aber nie von ibnen. Ueber- haupt scheint sie nicht gern die Vergangenheit zu berühren, ich mag also deshalb keine Fragen an sie richten." „Weißt Du, Cläre, es ist doch eigentlich sehr wunderlich, daß so eine junge Dame, die es gar nicht nöthig hat, allein in der Welt herumreist, statt ruhig bei ihren Verwandten in der Heimath zu bleiben. Du magst nun sagen, was Du willst, irgend einen Haken hat die Sache." „Sie hat keine Verwandten, sie steht ganz allein in der Welt und hat vielleicht Gründe, nicht in der Heimath zu bleiben. So viel ist sicher, daß sie schon in jungen Jahren viel gelitten haben muß- manchmal kommt es mir vor, als ob sie irgend ein dunkles Geheimniß mit sich herumtrüge oder von einem schweren Kummer bedrückt würde; dann thut sie mir so leid und ich möchte sie gern trösten und erheitern, aber daS ist nicht so leicht, wenn man so gar nicht ahnt, um was es sich handelt." „Du hast sie wohl gern, Cläre?" ... »O se.br, Mutter, Du glaubst nicht, wie gut sie ist; ich konnte Dir Züge von ihr erzählen — aber wir plaudern und plaudern und vergessen ganz, wie der Arzt Dir vor Allem Ruhe verordnet hat. Komm, leg' Dich herum, jetzt mußt Du noch ein Stündchen schlafen; hernach bringe ich Dir Demen Thre und wir können dann, falls Du noch Lust hast, weiter schwatzen. Frau Elsa war zwar mit dieser Anordnung nicht ganz einverstanden, brummte allerhand von unnöthigem Gethue und Umstände machen, fügte sich aber schließlich und lag sehr bald wieder,n tiefem Schlaf. Clara ging leise in die Küche, wo sie die Vorbereitungen zu dem einfachen Abendbrod traf- dann schlich sie zurück ans Bett der Mutter und überließ sich den Gedanken, die das soeben geführte Gespräch angeregt hatte. Nicht aus müßiger Neugier hätte sie Ljubitza « Ge- heimniß ergründen mögen, sondern um die Last mit ihr ru tragen. Ob es wohl;e dahin kommen würde? Dana siel es ,hr schwer auf die Seele, wie einsam und verlassen sie Ta«-- die Augen für immer schließen sollte; sie blickte sie unwillkürlich an - seltsam, wie regungslos sie dalag — und so bleich — fast wie eine Tobte! Clara s Herz zog sich schmerzlich zusammen. Sie neigte sich "" Lächeln der Beruhigung flog über ihr gleichmäßige Atbemzüge vernahm. So ,stS recht, mein Muttchen, schlaf süß. flüsterte sie. - - Wenn Adolf Hagen an jenem denkwürdigen Abend mit der tröstlichen Überzeugung zur Ruhe gegangen war, den nächsten Tag wieder der dllte zu sein, so hatte er sich arg getäuscht. Als er am andern Morgen ungewöhnlich spät erwachte, wogten die TagS zuvor empfangenen Eindrücke in seinem Gehirn noch ziemlich chaotisch durcheinander, doch gelang eS ihm bald, dieselben so weit zu ordnen, daß er ini Stande war, das Erlebte klar und ruhig zu überdenken. Da verflog denn freilich der phantastische Spuk, der ein so tolles Spiel mit seiner gesunden Vernunft getrieben, wie Nebel vor der Sonne, aber ein fester leuchtender Kern blieb zurück, Ljubitza selbst, das reizumfloffene seltsame Menschen kind! Nur zu bald suhlte er, wie ihr holdes Bild sich mit unauslöschlichen Zügen in seinem Herzen eingegraben und wie er es nimmer daraus werde bannen können! In ihr allein schien ihm jetzt Alles verkörpert, was daS Dasein be gehrenswert!) machen konnte: farblos und einförmig dünkte ihn sein ganzes bisheriges Leben; die zärtlichen Regungen, welche er noch jüngst für das Töchterlein seines Jugend freundes hegte, schalt er eine kindische Thorheit, die er nur noch belächeln konnte. Wohl gab eS auch Augenblicke, wo eine innere Stimme ihm mahnend zustüsterte: „Sieh Dich vor, meide sie, so lange eS noch Zeit — weißt Du denn, was die glänzende Hülle birgt? Vielleicht eine Abenteuerin oder — Schlimmeres, eines jener Wesen, welche Denen, die in ihren Bannkreis aerathen, Unheil bringen". — Dann fühlte er wohl ein Frösteln erzeugendes Unbehagen, beschlich ihn etwas wie ein trübes Ahnen, stiegen allerlei Zweifel in ihm auf, aber^ solche Anwandlungen dauerten nicht lange, die dunkeln Schatten schwanden und Heller als zuvor leuchtete chm daS theure Bild entgegen. Wohin daS führen, welches Ende eS nehmen sollte, daran mochte er nicht denken; beglückt empfand er den Zauber, der ihn gefangen hielt, und gab sich demselben widerstandslos hin. Auf jenen ersten Besuch war bereits nach wenigen Tagen ein zweiter gefolgt, der ibm zu seiner Ueberraschung Ljubitza in einem ganz neuern Licht zeigte. Heiter und unbefangen — wie eS ,hm wenigstens schien —, mit freudigem Aufleuchten der Augen war sie lbni entgegengekommen, mit einem Scherz batte sie die theilnehmende Frage nach ihrem Befinden be antwortet und nichts im Wesen und Benehmen mahnte noch an die trübe, scbwermüthige Stimmung, in der er sie wenige Tage zuvor verlassen hatte. Fortsetzung folgt^
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite