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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.06.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-06-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950601021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895060102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895060102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-06
- Tag1895-06-01
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>ß» ß»-nnpteMdilio» oh« den im Etzib«/ LL^« «orvrten errlchtrtea «,». ibßffhslt: ptnMjührltch^ih^th . imlaer Ü-licher Zuftelluug iu« Hansel SÄ. Durch die Post bezogen f-r ««tfchläud ,»d Ochmmtch: vktckljäbrlich ^l S.—. Direct, tägliche Kre»»ba>dit»duug t>vl Ausland: monatlich 7L0. LteMor-emUnSGoß» erscheiut ttßttch »it Au«. ' So,,- «ich Festtagen V,?^UHp, Nrd«rtt»» ,»tz LrPedltio«: Aoh««ne»,nsie 8. DirErpedition ist Wochentag« »»»»terbroch«« geöffnet vou '" ' Abend-Ausgabe. vou früh 8 bi« «b«ch« 7 Uhr. Filiale«: vtt» AK««'« T-rtt«. <«f«tz UukersitÄftroß,1, Lot» ölsche. Kat-ariurustr. 14, Part, ««d KöuigSplatz 7. MMerIaMM Anzeiger. Organ für Politik, Localgeschichte, Handels' «nd GeschSftsverlehr. Anzeigen.Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclamen unter dem RedactionSstrich (4 ge« spalten) 50^Z, vor den Fainilirnnachrichlea (6 gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis- verzrichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra »Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbefördernng 60.—, mit Postbejörderung 70.- -. Änvahmeschiuß für Änzeigen: (nur Wochentags) Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Marge n-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bet den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. r 267. Sonnabend dm 1. Juni 1895. 89. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, t. Juni. Zu den vielen Klagen über die unersprießliche Thätigkeit de» deutschen Reichstag» gesellt sich in der „Wes.-Ztg." auch ein Stoßseufzer darüber, daß in den Berathungen de» Parlament» die Politik der «aterieten Interesse« einen zu breiten Raum einnehme. „Worin", so fragt da« genannte Blatt, „besteht heutzutage die Politik?" Und «S antwortet auf diese Frage: „Vorzugsweise, fast ausschließlich i« Ge treide, Tabak, Spiritus, Schweinen, Margarine, Quebracho, Zucker, Petroleum und noch etlichen Artikeln. Diesen Ausspruch lasen wir kürzlich in einer deutschen Zeitschrift; er nimmt sich etwas schroff au«, ist aber im Ganzen richtig. Manche erblicken sogar einen Vorzug unseres Zeitalters darin, daß e- sich nicht mehr, wie unsere anscheinend etwa« geistesschwachen Väter und Groß väter, für allerlei nebelhafte Dinge, wie Freiheit, Ge rechtigkeit, Humanität und dgl. interessire, sondern die hand greiflichen Realitäten der Welt in den Vordergrund seiner Be strebungen gerückt habe. Den Vorzug wollen wir auf sich be ruhen lassen; daß er mit Schattenseiten verbunden ist, läßt sich nicht leugnen. Mögen unsere Baser, wenn sie allzu einseitig sich mit den Formeln der Politik beschäftigten, viel leeres Strob gedroschen haben, so hat doch diese ihre Thätigkeit, eben weil sie sich von den Wirklichkeiten de« Leben- mehr fern hielt, diesen auch weniger Schaden zugefügt. Handel und Wandel, Landbau und Gewerbe gingen relativ ungestört daneben ihren Gang; sie brauchten nicht, wie jetzt, in der steten Furcht zu leben, daß der politische Dreschflegel bald an dieser, bald an jener Stelle, in ihr Contor, auf ihre Saat, in ihre Werkstatt, niedersause und die Instrumente oder die Frückte ihre« Be triebes zerstöre. Wenn man in den Kanzleien und den Stände versammlungen Irrtbümer beging, waS gewiß nicht selten vorkam, so merkte doch die große Masse der arbeitenden Be völkerung nicht viel davon; man durfte noch wie jener Redner sprechen, der in einem weinbauenden Wahlbezirke einst den Wählern sagte: „Eine Stunde Sonnenschein ist für Euch wichtiger als alle ParlamrntSdebatten." Heute hängt von dem AuSgange einer Parlamentsdebatte oft Wohl und Wehe, Fortbestand und Untergang ganzer Industrien ab." — Etwa« Richtiges ist in dieser Ausführung ganz zweifellos, und zweifellos fällt auch ein nicht unwesentlicher Theil der Schuld aus den Reichstag. Es ist ein krankhafter Zug unserer Zeit, bei jeder wirklichen oder scheinbaren Unzuträglichkeit im wirlh- schaftlichen Leben nach der Gesetzgebung zu rufe«. Und diesen krankhaft«, Zug beute» dir nach Popularität haschende« Parteien au-, indem sie gleich solaren Aerztea, die ihren ein gebildeten Kranken Recepte über Recepte verschreiben, sofort mit Dutzenden von Anträgen bereit sind. Und weil diese übereilten Anträge nicht aus die Beobachtung de« wirthschaft- lichen GesammtzustandeS, sondern nur auf einzelne Symptome sich gründen, so können die auS diesen Anträgen ent stehenden Gesetze auch keine dauernde und allgemeine Wirkung haben. Sie bringen im Gegentheil nur andere Schäden zu Tage, steigern die Begehrlichkeit und ver mehren die Unsicherheit im wirthschastlicheu Leben, die der schlimmste Feind der naturgemäßen Heilung temporärer Unzuträglichkeiten ist. Gesteigert wird da« Uebel noch dadurch, daß die meisten Fraktionen di« materiellen Fragen nicht obfectiv, sondern durch die Brille von Parteidoctrinen be trachten und politische Machtfragen mit ihnen verquicken. Die legislativen Resultate der Debatten über materielle Fragen werden dadurch noch verderblicher. Aber e« würde zu einer solchen Fülle theil« übereilter, theilS schädlicher legislativer Resultate gar nicht kommen können, wenn der BundeSrath mit seinen Zustimmungen zu den auf materielle Interessen sich beziehenden Beschlüssen de- Reichstag- etwa« sparsamer wäre und seine eigenen Vorlagen materieller Natur etwas länger au-reifen ließe. Diese hohe Körperschaft ist aber von dem krankhaften Zuge per Zeit nicht minder angesteckt als ser Reichstag, und nicht minder lüstern nach Popularität. Der Anlaß zu der Klage der „Weser-Ztg." wird daher, wie so mancher andere Beschwerdegrund, erst schwinden, wenn wir un« im Reiche wieder einer starken leitenden Kraft er freuen, die über di« Erscheinungen de« Tage- hinausblickt und mit fester Hand zurückweist, waS die TageSwirreu nur noch vermehren muß. Die verflossene ReichStaaSfession hat in selten reichem Maße die Gelegenheit zur Feststellung der Zahl der An wesenden im Gefolge gehabt. An 20 von den 99 SitzungS- tagen wurde da« Hau« gezählt, an drei Tagen sogar zwei mal, also im Ganzen 23 mal. Das geschah achtmal mit dem Erfolg, daß die BeschlußunsShtgkeit festaestellt und demgemäß die Sitzung abgebrochen wurde. Doch wäre e« sicher noch zu günstig gerechnet, wenn man hieraus folgern wollte, daß die beschlußfähigen zu den be schlußunfähigen Versammlungen im Verhältnis von 15:8 sich befunden hätten. — Die höchste AnwesrnheitSziffer von 338 (85,2 Procent de- vollzähligen Reichs tag«) wurde am Tage der Eröffnung der Session er mittelt, bei der Schriftführerwahl am folgenden Tage war sie auf 328 herabgesunken und sie hat sich dann im Laufe der Session nur noch an einem Tage (7. Mai) über 300 erhoben: die Wahl de« Abgeordneten von DziembowSki- Bomst wurde mit 210 gegen 103 Stimmen, also bei An wesenheit von 313 Abgeordneten cassirf. Im Durchschnitt der 23 Zählungen betrug die Anwesenheit-Ziffer 22? (—- 57,2 o/o), und zwar steht der höchsten Zahl vom 5. December al« niedrigste die vom 4. Mai gegenüber; an diesem Tage waren nur 102 Mitglieder ( 25,7 o/as anwesend. Mindesten« ebenso interessant ist aber wohl die Thatsache, daß im Durchschnitt aller ermittelten Falle rund 108 Mitglieder de« hohen Hause-, da- sind 27,2o/o, ohne Entschuldigung zu fehlen beliebten, und zwar erreichte diese Ziffer ihren höchsten Stand,von 221 am 4. Mai uno 208 am 17. December, ging also bitz zu 55,6 o/o aufwärts, währmd die niedrigste Ziffer an dem sonst so wenig ruhmreichen 23. März mit 38 (9,5 Proc.) und wiederum bei der Abstimmung über die Wahl von DziembowSki'S am 7. Mai mit 46 (11,8 Proc.) sich ergiebt. Aus die nationalliberal« Partei und d»e ihr zuzurechnenden FractionSlosen entfällt hier ein Antheil von durchschnittlich 9 ohne Entschuldigung Fehlenden, da« sind etwa 18 Proc. der , in Betracht gezogenen parteipolitische» Gruppe. Den französische« Chauvinisten hat die Leitung und der Gang der äußeren Politik de« EabinetS Ribot m der allerjüngsten Zeit erhebliche« Alpdrücken bereitet, und schon seit Wochen schwebt die drohende Wolke eine« Interpellations- gewitterS über dem Parlament. Gestern bat sie sich zu nächst über den Häuptern der würdigen Senatoren ent laden, au« deren Mitte heraus der Royalist Beau- manoir der Regierung den Vorwurf in- Gesicht schleuderte, sie opfere den republikanischen Stolz und gebe die Ehre der Republik vrri«, wenn sie Frankreich die Schmach antbue, eia französische« Geschwader nach Kiel zu senden, womit sie eine Politik de« Verrichte« treibe. Auch auf da- Zusammengehen Frankreichs mit Rußland und Deutsch land in der ostasiatischen und die gemeinsamen Schritte der Republik, Rußland« und England« !n der armenischen Frage spielte Beaumanoir an, indem er durchblicken ließ, daß Frankreich in Ostaflen nur den Interessen Deutschland«, in Armenien denjenigen England« zu Hilfe gekommen sei und daran die Frage knüpfte, ob Frankreich deshalb seine gewaltigen Heere unterhalte. WaS zunächst die beiden letztgenannten Gravamiaa Beaumanoir'« betrifft, der offenbar all oculos drmonstrirea wolle, daß nicht da« republikanische, sondern lediglich da- monarchische Frankreich im Stande sei, die Dürde, die traditionelle „uloirs" de- Lande« zu wahren, so egte derMinister de»Auswärtigen Hanotaux den Standpunkt der Regierung durchaus sachlich, geschickt und würdevoll.ohne dem nationalen Empfinden der Franzosen auch nur da- Geringste zu vergeben, dahin dar, daß der Cur- der äußern Politik ich durchaus nicht geändert habe, denn e« widerstrebe keines wegs den allgemeinen Interessen der nationalen Politik, in besonderen Fällen mit anderen Mächten gemeinsam friedliche Resultate anzustrebrn. In der vstastatischrn Frage sei außer- sem »in Zusammengehen mit Rußland und Deutschland durch die vitalsten Interessen der Republik in Ostaflen, wo Frankreich unbedingt auf den Bestand eines großen chinesischen teiche« angewiesen sei, unumgänglich und schon durch die ZreundschaftSstellung zu Rußland au die Hand gegeben ge wesen, in der armenischen Angelegenheit mit zu interveniren habe der Republik die Nothwendigkeit der Erhaltung des Frieden-, nicht minder aber die Rücksicht auf die Großmacht- stellung Frankreichs nahe gelegt, das nicht darauf verzichten könne, in internationalen Fragen mitzureden. So habe die Regierung gerade das gethan, waS die Interpellation ver misse, nämlich die Würde der Republik gewahrt. Die aus führlichen Erklärungen Hanotaux'S nach dieser Richtung hin reproduciren wir an anderer Stelle, um hier den Theil seiner meisterhaften Rede, welche sich aus die Kieler Festlich keiten bezieht, um so schärfer hervorzuheben. DerMinister sagte in dieser Beziehung: „De l'Angle-Braumanoir hat im Laufe seiner Rede einen andern Punct berührt, über den dt« Regierung sich vor dem Parlament und vor dem Lande zu erklären wünscht. Es handelt sich um die Theilnahme Frankreichs an der EinwrihungSfrier des Nord- Ostsee-EanalS. Stehen wir hier vor einer Thatsache, welche einen Wendepunkt in unserer Politik bezeichnet- Haben dir Gründe, welche unser« Entscheidung bestimmten, »tue politische Tragweite, die im Widerspruch steht mit dem, waS bis zum heutigen Tage geschehen ist? Nein, mein« Herren, da» ist nicht der Charakter der Einladung, die an uns ergangen ist. daS ist nicht der Charakter unserer Zusage. Wir legen Werth darauf, hierüber keinen Zweifel bestehen zu lasten. Im klebrigen haben wir auch von Anfang an unsere Empfindungen in dieser Hinsicht zu deutlich zu erkennen gegeben, als daß ich schwanken könnte, öffentlich diese Erklärung sür eine« Act der inter. nationale, Höflichkeit, der sich an all, Mächte richtete uud der durch »inen Act der internationale« Höflichkeit erwidert ward«, zu wiederholen. Auf diese bestimmten Grenze» haben wir eine Bethriligung beschränkt, die keinen andern Charakter hat oder haben kann. Im vollen Frieden müssen die Beziehungen der Böller zu einander geleitet sein durch ei» würdiges und einfache- Gefühl sür das international An. gemessene. Augenscheiniich analoge Erwägungen haben auch die früheren Regierungen geleitet, al« sie beschlossen, an dem Berliner llongreß 1878 und an den Longo-Lon- frrenzen 1885 theilzunrhmrn. eine militairisch« Deputation zu der Beisetzung Kaiser Wilhelm'- I. im Jahre 1W8 «nd eine politische und eine Arbeiter-Deputation zu dem Congrrß von 1890 zu entsenden, und obgleich sich gewisse Besorgnisse auch damals zeigten, al» jene Entschlüsse gefaßt wurden hat doch später Niemand behaupten können und wird auch morgen Niemand behaupten können, daß irgend etwa- In den Empfindungen oder in dem moralischen Ansehen einer Nation verändert worden ist. die unbezwtnglich treu an ihren Erinnerungen hält und auf ihre Zukunft vertraut. Ich glaube, meine Herren, daß diese aufrichtige Darlegung als Antwort auf jene Befürchtungen genügt, zu deren Echo sich De l'Anglr-Beaumanoir in diesen Räumen gemacht hat. und ich hoffe, daß der Senat sich mit diesen kurzen Erklärungen begnügen wird." ES läßt sich nicht leugnen, daß der Minister gerade bin- ichtlich dieses Punktes der Interpellation in einer ungemein nißlichen Lage war, aber er bat sich auf eine Weise aus der Affaire gezogen, die weder den französischen Chauvinismus deSavouirte, noch geeignet war, in Deutschland zu verletzen. Er bezeichnete die Einladung zu den Kieler Festlichkeiten sowohl, wie die Annahme der Einladung als pure Acte internationaler Höflichkeit analog einer Reibe ähnlicher Präcedenzfälle, die auf die Richtung der Politik nicht den mindesten Einfluß »alten, und fand sich zu dieser Interpretation um so mehr >erechtigt, als die officiöse Auslastung der „Köln. Ztg." vom Montag, welche gleichfalls in dem Kieler Rendezvous dloS eine Gepflogenheit internationaler Höflichkeit ohne alle rolitische Folgen erblickt, sie ibm geradezu in den Mund ge iegt hatte. Daß Hanotaux den Heißspornen unter den Chauvi nisten mit der emvhatischen Versicherung des unbezwinglichen „Festhalten- der Nation an ihren Erinnerungen und an dem Vertrauen auf ihre Zukunft" den üblichen Knochen binwarf, nimmt ihm bei unS Niemand übel. In Deutschland ist man von der Aufrichtigkeit der friedlichen Intentionen dieses Poli tikers überzeugt und weiß, daß er dem französischen Chauvi nismus jenes formale Zugeständniß machen mußte, wenn er überhaupt zum Wort kommen wollte. Ob dasselbe bei der noch in Aussicht stehenden Interpellation in der Depu- tirtenkammer genügen wird, ist allerdings noch zweifel haft, doch wird eS wohl auch dort zu einem Vertrauens votum für den Minister des Auswärtigen kommen, wenn auch erst nach dem dort unvermeidlichen Scandal. Eins konnte Hanotaux nicht sagen, aber in dem lebhaften Beifall, mit welchem seine Aeußerungen, und in dem eisigen Schweigen, mit welchem Beaumanoir's Interpellation angehört wurde, lag eS ausgedrückt, daß thatsächlich doch eine andere Zeit mit anderen Austastungen und Empfindungen in Frankreich im Anzug begriffen ,st, die den Ruhm der Republik nicht in der Entfaltung der Kraft der französischen Nation zum Zwecke der zweifelhaften Rückeroberung des Stückchens Erde „Elsaß-Lothringen", sondern zum Zweck kraftvoller Betbätigung auf dem immer mehr sich erweiternden Welttheater sucht, auf dem Frankreich gerade jetzt viel gewinnen, aber auch viel verlieren kann, wenn eS sich noch weiter in den einen engen Gedanken: „Revanche!" verrennt. Wenn Hanotaux aus die boshafte Anzapfung, welche in der Bemerkung der Interpellation lag: „Andere Nationen verheimlichen ihre Bündniß-Verträge nicht, wir müssten dasselbe thun", mit keiner Silbe einging, so ist daS zu selbstverständlich, als daß man es rechtfertigen müßte. Der Bündnißvertrag mit Rußlanv, der allein gemeint ist, existirt eben nicht. Das konnte Herr Beaumanoir erst vor wenigen Tagen wieder in den „Nowosti" lesen. Von mehreren Seiten wird in letzter Zeit der Besorgniß Ausdruck gegeben, daß ein befriedigender Abschluß der ost- asiatischen Krise durch die Schwierigkeiten verzögert werden könne, welche Japan bei der Bei tzwgreisung von Formosa zu überwinden haben würde. Man darf allerdings die Hinder nisse, welche sich einer materiellen Besitzerergreifung durch Japan auf Formosa eventuell in den Weg stellen könnten, nicht unterschätzen. Es sollen, nach freilich nicht näher zu contro- lirenden Angaben, ca. 80 000 Mann chinesischer Truppen auf der Insel stehen, von denen 50 000 als wohl bewaffnet und diSciplinirt geschildert werden. Die meisten führen Mauser-, einige Repetirgewehre. Ter Nest von 30 000 Mann sind Milizen. Daneben geht angeblich das Aushebungsgeschäft ununterbrochen weiter, die Behörde nimmt Jeden, der nur ein Gewehr zu tragen im Stande ist. Da die Qualität der Leute als bedeutend bester darqestellt wird, wie die der chinesischen Festlandsarmee, sie auch von einem lebhafteren HeimathSgefühl, wenn auch gerade von keinem Patriotismus in unserem Sinne des Wortes, beseelt sein sollen, so wären sie nicht zu verachtende Gegner. Am meisten Neigung, die Formosa- FareNlat-n. Die Erbin von Äbbot-Laftle. SSI Original-Roman von F. Klinck-LütetSburg. «»chdnick (Fortsetzung.) Dies« Geächtete aber war sie gebliebe« und würde bleiben, selbst al« die Gattin Harry Ruthvert'«. Sie war fest davon überzeugt. Der Reichthum Sir Lionel'S konnte sie nicht frei machen, sondern würde, wie e» den Anschein hatte, nur dazu diene«, auch den geliebten Mann in eine peinliche Lage zu bringen, die ihm sonst wohl fremd geblieben sein würde. Der Himmel mochte geben, daß nicht die Stunde kam, in welcher er bereuen würde, sein Schicksal mit dem ihren verbünde« zu haben. Trotz der unheimlichen Befürchtungen, von welchen sie insbesondere in der ersten Zeit nach ihrer Verlobung fest- gehalten wurde, flössen di« Tage ruhig und voll Frieden für sie dahin. Harry Ruthbert'« Brief« verfehlten ihre beabsich tigte Wirkung, ihren Mutb zu erstarken, nicht. Lady Wilkie that Alle«, wa« in ihre» Kräfte» stand, sie über Dinge binwea- zuhelfen, welch«, wie dieselbe instinktiv fühlen mochte, sie quälten. Dazu kamen mancherlei Vorbereitungen für die Hochzeit. Leider gab e« weder eine Ausstattung zu beschaffen, wie die fürsorgliche Dame gewünscht haben mochte, «och konnte die Toilettenfrage viel Unruh« verursachen. Mary war noch in Trauer um den Großvater, aber sie würde auch ohne eine solche nicht eine laut« HochzritSfeier gewünscht haben. E« war ein Glück, daß Mary nicht« von der Aufregung ahnte, welche di« Nachricht von ihrer Verlobung mit Harry Ruthvert hervorgerufen batte. Etwa« Aehnliche« war kaum daaewesea, und nie zuvor hatte man vielleicht mit einer gleiche» Feindseligkeit gegen eine Unschuldige verfahren. Es war indessen nicht so ganz unbegreiflich, wie e« scheinen mochte. Mary Connor war eine« Tage« sehr hart beurtheilt worden so hart, daß ihre Freisprechung bereit« Manchem «in Gefüh de« Unbehagens verursacht hatte, gerade weil «an schonungslos verurtbeilte und überzeugt war, daß der Richterspruch sie erdrücken werde. Angesicht« gewisse» bestimmten Vorher« en und der großen Geringschätzung, mit welcher man I von Mary Connor gesvrochen, war e« schon nicht angenehm, I ie frei au-gehen zu sehen. Dann hatte man sie todtgesagt. Die Strafe de« Himmel« war eine gerechtere gewesen al« die irdischer Richter, nie war ei» ähnlicher Fall von Straft für eine Schuld vorgekommen. Noch ein paar Tage lang hatte man von dem Mädchen gesprochen, da« im Hause der leichtgläubigen und vertrauens seligen Lady Wilkie auf kurze Zeit eme glänzende Rolle gespielt, um so zu enden, dann war e« vergessen, bi« der Tod de« alten Sir Lionrl Connor seine Enkelin auf einmal in Aller Grdächtuiß zurückrief. Sir Lionel Connor sollte einen fabelhaften Reichthum Hinterlasten haben, und seine Erbin würde die Enkelin gewesen sein, wenn sie nicht so elend zu Grunde gegangen Ware. Aber sie lebte noch. Niemand batte e« glauben wollen, irgend eine betrügerische Person war aufgetaucht, um dir Rolle der Erbin zu spielen. Mary Connor levte indessen wirklich, so widerwillig man diese Nachricht auch auknahm. Sie hatte unter falschem Namen sich Aufnahme be, einer alten Dame zu verschaffen gewußt. Ja — mehr al« da«. Die alte Dame hatte sie zu ihrer Erbin eingesetzt, obwohl zwei Söhne derselben dadurch um ihr Erbe betrogen worden waren. E« hatte den Anschein» als ob Mary Connor auch eine im hohen Grade intriguante Person sei. Dann ihre Verlobung mit Lord Harry Ruthbert! Die Aufregung, welche diese Nachricht hervorrief, übertraf an Wichtigkeit die anderen Nachrichten bei Weitem. Hatte man sich bereit« gewundert, haß Lord Ruthbert, der von Sir Lionel zum Hüter de« großen Vermögen« eingesetzt war, überhaupt in Beziehungen zu einer etwa« anrüchigen'Familie stand, so begriff man einfach einen Mann nicht, dessen An- sichten über Ehre ihn seither «inen ganz besonderen Platz tu der Welt einaehmen ließen, und der nun um Geld sich einem Mädchen verkaufte, dessen Vergangenheit durch keinen Mantel der Liebe verdeckt werden konnte. Man raunte, man siüsterte, man zuckte die Achseln, e« fiel auch manch böse«, gehässige« Wort, aber leise — im Ver traue», man konnte da« urtheil ja Jedem selbst überlassen. Dan« hieß e« plötzlich, Miß Connor sei von der ihr durch MrS. Grah zugefallenen Erbschaft zurückgrtretrn, sie Hab« sich geweigert, irgend Etwa«, da« der alten Dam« gehört, zu nehmen. Den rechtmäßigen Erben aber sei dadurch nicht im Mindesten geholfen. Im Fall Miß Connor die Annahme »er Erbschaft verweigere, so würde, bis auf eine ganz un bedeutende Summe und einige Legate, die ganze Hinterlassen schaft der Kirche zufallen. MrS. Gray mußte doch Wohl eine besondere Meinung von Miß Connor gehabt haben, sie würde sonst nicht die Möglich keit erwogen haben, daß das junge Mädchen die Erbschaft aus- schlagen könne. In Anbetracht ihrer Vergangenheit ließ sich darüber durchaus nicht viel sagen. ES war besser, man schwieg davon, vielleicht handelte eS sich auch nur um rin Gerücht. Welch ein Interesse aber die gesammte Bevölkerung für Mary Connor bezeigte, sah man an ihrem Hochzeitstage. Lange vor der festgesetzten Stunde war nicht allein die Kirche wie zu einem Gottesdienste besetzt, sondern auch vor dem Eingänge stand «ine dichtgedrängte Menschenmenge, da« Braut paar mit Ungeduld erwartend. Die Braut, welche von Lady Wilkie geführt wurde, sah sehr blaß au«. Sie trug ein schlichte« weiße- Gewand, einen Kranz von Orangenblüthen und einen kostbaren Schleier, ohne jeden Schmuck. Der Bräutigam war ein schöner, stattlicher Mann, man hatte nicht einmal gedacht, daß Lord Ruthbert sich so vor- thrilhaft entwickelt habe. Er sah zwar gleichfalls ernst aus, aber in seinen Augen leuchtete da« Glück, und nur einen flüchtigen Moment beschattete eine Wolke seine Stirn: «ine häßliche Bemerkung üver Mary Connor hatte sein Ohr be rührt, ein ZorneSvlitz traf den feigen Verleumder. Die Trauuim war vorüber. Lord Ruthbert batte mit stiuer jungen Gattiu die Kirche verlassen und sie an den dereitstrhenden Wagen geführt. Ein halbe« Dutzend Gäste, Verwandte von Lady Wilkie, war ihnen gefolgt, auch di, Neugierigen begannen sich zu entfernen. Eine Stunde spater stand aber noch eine ganze Anzahl Männer und Frauen vor dem Kirchenportase und besprachen, lebhaft aestlculirrnd. da« Brautpaar, E« wurde kein günstige« Urthris über die Braut abgegeben, sie hatte nicht auSgrsrhrn, al« oh sie besonder« glücklich sei. Wer so reich war und di« Gattin eine« Manne« wurde, wie Lord Ruthbert einer war, konnte nicht so trüb selig in die Welt hiaauSschauen. wie die Braut grtban. ES war doch die Last der alte« Schuld, welch« sie drückte. Nein, nicht die Last einer alten Schuld drückte Mary nieder, und doch war es eine Last so groß und schwer, daß sie unter derselben zusammenbrechen zu wollen schien. Nur mit äußerster Anstrengung gelang eS ihr, ihre Halrung sich zu bewahren, nur die Liebe gab ihr einen ihr unnatürlich scheinenden Muth und die Kraft, mit Aufmerksamkeit der heiligen Handlung zu folgen. Mary'S Anblick hatte Lord Ruthbert erschreckt. Lady Wilkie entgegnete ibm auf seine besorgten Fragen, daß bis vor vier oder fünf Tagen ihr Aussehen zu keiner Besorgniß Veranlassung gegeben habe. Sie sei durch den Empfang eines Briefes aus Kalkutta in große Aufregung versetzt worden, aus eine andere Weise laste die Veränderung, welche mit ihr voraegangen sei, sich gar nicht erklären. Harry Ruthbert hatte nicht gefragt. Er war nickt über den Urheber deS aus Kalkutta eingegangenen Briefes im Zweifel, und wenn er demselben auch keine große Bedeutung beilegen konnte, so schmerzte es ihn dock, daß Mary ihm nicht ihr Leid anvertraute. Sie wollte ihn ohne Zweifel schonen, und doch war volles Vertrauen die erste Bedingung für einen glücklichen Ausgang seines Vorsatzes, einer Klippe aus dem Wege zu gehen, an welcher Beider Glück zu zer schellen gedroht. Nun war sie sein — für immer sein. Es war ibm eine Berubigung, daß er über sie würde Wacken können, hoffte er doch Alles davon. Es konnte ibm nicht schwer fallen, ihr Vertrauen zu gewinnen, besaß er doch ihre Liebe. Er führte feine junge Frau sogleich nack Ruthbert-Hall, eS war ihr innigster Wunsch gewesen und sein eigener hatte sich glücklich damit vereinigt. Die Besitzung konnte in dieser Zeit nur schwer den Herrn entbebren, und Harry Ruthbert wünschte nicht, nach seiner Verheirathung irgend eine Ver änderung in der gewohnten Lebensweise eintreten zu lassen. Zum Herbst, wenn sein Grundbesitz nicht mehr der vollen Aufmerksamkeit bedurfte, wollte er dann mit seiner Gattin nach Italien, um die Wintermonat« dort zu verleben. Nie hatte Harry Ruthbert einen herrlicheren Frühling verlebt. Er war unendlich glücklich, so glücklich, daß er einen leisen Zweifel an die Dauerhaftigkeit des Glücke« nicht ganz überwinden konnte. Dann warf er wobt einen besorgten Blick auf Mary. Aber auch sie gab keinen Anlaß zu einer Unruh«. Ihr« blaffen Wangen hatten sich gefärbt, wenn sie
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