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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.06.1895
- Erscheinungsdatum
- 1895-06-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189506178
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18950617
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18950617
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-06
- Tag1895-06-17
- Monat1895-06
- Jahr1895
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.06.1895
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Die Fremden, in die Heimath zurückgekehrt, werden Zeugniß ablegen von deutscher That- und Geistes kraft, die sich ein mächtiges Werkzeug geschaffen zum Schutze gegen den küstenvedrohenben Feind und zur Förderung des friedlichen Verkehrs. Für uns Deutsche er schöpft sich der unermeßliche Werth deS schönen Gelingens aber nicht in dem militairischen und wirthschaftlichen Nutzen des neuen Weges, unS beherrscht die Genugtbuung darüber, daß fünfundzwanzig Jahre — eine kurze Spanne Zeit — nach der Einigung Deutschlands vollendet werden konnte, was in diesem Umfange vier Jahrhunderte lang vergebens an gestrebt worden war, vergebens, obwohl Deutschland Menschen alter hindurch in der Hansa eine weithin herrschende wirth- schastliche Macht besessen hatte. Der unübertroffenen Tüchtig keit und dem Wagemuth der seefahrenden Kaufleute fehlte die Stütze einer gesammelten nationalen Kraft; spätere Pläne, eine dauernde Verbindung zwischen Nordsee und Ostsee berzustellen, sahen sich von noch geringeren staat lichen Mitteln unterstützt oder bezweckten gar, wie der Cromwell'S, die Errichtung einer wirthschaftlichen Fremd Herrschaft in unserem Küstengebiet, so daß ihr Fehlschlagen als ein Glück zu preisen ist. Daß der Nord-Ostsee-Canal gebaut, von Deutschen zum Vortheile Deutschlands gebaut werden konnte, verdanken wir dem politischen Zusammen schluß. Mit der nationalen Sehnsucht nach Wiederberstellung eines deutschen Vaterlandes war der Drang nach Wieder gewinnung Schleswig-Holsteins untrennbar verschmolzen, der EinheitStraum machte daS meerumscklungenr Land den Herren des Volkes theuer, und die erste EinigungSthat der großen Verwirklich» Wilhelm I. und Bismarck war die Zurück- »Werbung der die deutschen Meere trennenden Nordmark, deS Schauplatzes der nun beendeten Arbeit. Als nach Er langung dieses Besitzes das Andere gethan, die Grenzen ge schützt, die gemeinsamen deutschen Angelegenheiten gemeinsam geordnet waren, da war auch die Kraft und Sicherheit ge wonnen, das große Werk zu beginnen und ungestört zu einem glücklichen Ende zu führen. Außerhalb deS Nationalstaates hätten wir den Canal nimmermehr entstehen sehen, das Reich ist der Baum, von dem diese goldene Frucht der Nation in den Schooß fällt. Dessen mögen Diejenigen unter uns eingeden sein, die sich noch der Erkenntniß des Segens der unter Führung eines kraftvollen Staates bestehenden Einheit ver schließen, und die Anderen, welche dem Kleinmuth und Miß muth bei sich Eingang »erstatten, weil die frohen Jugendtage des Reiches einer Zeit ernsten und nicht immer freudigen Kampfes gewichen sind. Nichts vermag deutlicher die große Wandlung deutscher Dinge seit der Vereinigung der Stämme anzuzeigen, als die Vollendung deS Nord-Ostsee-CanalS. Der Zugang zu dem Baltischen Meere, den sich die Väter vor kaum mehr als dreißig Jahren noch von einem kleinen Volke erkaufen mußten, er ist nicht nur frei, sondern Dank der gesammelten deutschen Kraft von jetzt an für den deutschen Verkehr entbehrlich ge worden. Aber wohl ist dieser Erfolg nicht ohne Hochsinn und Opferwilligkeit zu erreichen gewesen, und auch dessen sollen wir uns und sollte sich bei seiner Canalfahrt der Reichstag erinnern, der mit dem Kaiser und den Bundesfürstea sich in vie Aufgabe theilt, dem deutschen Volke auch in der Zukunft Anlässe zur stolzen Freude an wackeren Thaten zu bereiten. AuS Aachen wird der „Franks. Ztg." gemeldet, eS ver- aute daselbst, der Regierungspräsident von Hart mann babesein Entlassungsgesuch eingereicht. Es wird sinrugefügt, Herr von Hartmann, der erst seit kurzer Zeit in Aachen Regierungspräsident sei, könne für die Vorkomm nisse in Mariaberg nicht wobl verantwortlich gemacht worden; allgemein messe man seinem Vorgänger, dem Herrn von Hoff mann, der 18 Jabre im Amte gewesen sei, mehr Schuld bei. Auch von einem Aachener Gewährsmann der „Köln. Ztg." wird Herr von Hartmann in Schutz ge nommen, und zwar in folgendem Telegramm: „Die Angriffe verschiedener Blätter gegen den hiesigen Regierungs präsidenten sind durchaus unbegründet. Sofort nach dem Erscheinen der Schrift MellageS veranlaßle Herr v. Hartmann alles Nöthige, auch wurde dem Minister Bortrag gehalten und er forderliche Maßregeln zur Abhilfe vorgeschlagen. Diese wurden nur deshalb nicht ausgeführt, weil man höheren Orts den Ausfall des Processes gegen Mellage abwarten wollte." Hat Herr v. Hartmann wirklich „alles Nöthige" vor geschlagen, so wird man ihn „höheren Orts" auch nicht für die unheilvolle Verzögerung der Ausführung seiner Vorschläge büßen lassen. Daß unter seinem Vorgänger, Herrn v. Hoffmann, die „frommen" Brüder von Mariaberg und die von ihnen dirigirten Aerzte sich sicher fühlen gelernt batten, ist nur allzu wahrscheinlich und begreiflich. Im Uebrigen ein recht schneidiger Beamter, glaubte Herr v. Hoffmann in dem „ultramontanen" Aachen die lieben« würdigen Seiten sein» Natur den Vertretern dieser Richtung gegenüber hervorkehren zu müssen. Davon hatte sogar der nachmalige Kaiser Friedrich sich zu über zeugen Gelegenheit. Als er in den achtziger Jahren, damals noch Kronprinz, der Rhrinprovinz einen Besuch abstattete und auch nach Aachen die Nachricht von seinem bevorstebenden Eintreffen hatte gelangen kaffen, glaubte die dortige Loge nicht nur berechrigt, sondern auch verpflichtet zu sein, den stellvertretenden Protector der deutschen Logen durch eine Depu tation zu begrüßen. Ob das Aachener Domcapitel sich für berechtigt hielt, gegen diese Absicht zu prvteftiren, wissen wir nicht. Jedenfalls glaubte Herr v. Hoffmann berechtigt und verpflichtet zu sein, daS ultramontane Aachen vor dem Affront des Empfanges einer Logendeputation durch den Erben der deutschen Kaiserkrone zu bewahren. Die Loge mußte sich direct mit ihrem Gesuche um Empfang an den Kronprinzen wenden und dieser mußte direct befehlen, daß dieser Empfang auf das Programm gesetzt würde. Er fand denn auch statt, und zwar unmittelbar nach dem Empfang deö Dom kapitels, noch bevor dieses sich entfernt hatte. Man glaubte damals in manchen Kreisen, Herr von Hoffmann werde ermahnt werden, seine Schneidigkeit überall zu bewähren, wo sie am Platze sein könnte. Ab» diese Mahnung unter blieb, wie so manche andere und so manches Andere, waS in Aachen und anderwärts von Segen gewesen sein würde. Es wurde sogar Sorge dafür getragen, daß der „üble" Eindruck, den solche Empfänge und Aehnliches auf jene Kreise gemacht hatten, die um jeden Preis „versöhnt" und zu „Säulen deS Staates" gemacht werden sollten, verwischt werde. Wir könnten davon noch gar manches »bauliche Beispiel erzählen, daS unsere sächsischen Leser um so weniger überraschen würde, je besser sie so manche Feder und so manchen Mund kennen, die ihre schneidigste Schneidigkeit gegen — den Liberalismus entfalten, wenn er sichs beikommen läßt, an Alexianer- und ähnlichen Früchten zu demonstriren, was auf dem heiligen Baume des UltramontaniSmuS wächst. Jedenfalls beweist schon das oben mitgetheitte Beispiel, daß Nöthige" veranlaßte. In den ReichSlanven bleibt d» Wirkung d» Ma-^d» Zeit auch in denjenigen ^ deutschen noch am längsten E" Me Au er kenn g ^ Verwaltung gesträubt haben. 1, „„d guck» in bervorqetretei,. Um so befriedigender und l Der politisches Bekennt,»ß, das b"de Blatt rveroffentl ck ^ 91,-iikel der eine aeivisse volitifche Reife verraly, - A'g.h.'» n°« »ich, «»'»-- -n-'l-". er lautet in den prägnantesten jüngst L'!7»i°Li.--"',» »>!' -L Ld-LZ. in? ^ckie aeschickt. Es giebt nur mehr Solche, die da denke», da wir nun einmal Reichsbürger sind, so gebe man un auch alle die Rechte, deren die übrigen genießen. W.r haben bas Recht und müssen energisch gegen die ^vonnuridung du ch d Regierung austreten und prote,tiren. yn diesem ^inne mo w Pro-eMer und werden e» stets bleiben, ms der innerpolilisch Z stand Elsaß-Lothringens sich geändert hat -- uns tmm rtn niemals abhalten wird, unseren Pflichten dem Reiche gegenube S,-aßbu-z-r .H»- bura» Corresp.": «Das nennt man verständige, praktische Politik treiben! Und es sind die Blätter des extremsten Klerus, die diese Sätze schreiben! Ob die redigirenden Abbes bei der Niederschrift sich nicht auch der alten Wahr heit bewußt geworden sind: tempora mutantur st nos mutamur cum eis? Man kann nur wünschen, daß >e in den obigen Sätzen enthaltenen programmatischen Aus- Ehrungen Gemein ,ut aller Kreise der Bevölkerung werten, dann wird eS gewiß Niemand in Deutschland geben, der die Erfüllung deS geäußerten Wunsche« nach Be- seitigung der Ausnahmegesetze verzögert wissen mochte. Was gestern Nachmittag in der Wiener Hofburg ver handelt worden ist, ist noch nicht bekannt, und es Ware übel angebracht, alle Möglichkeiten anzuführen, die dort beschlossen worden sein können. Tbatsache ist nur, daß der Kaiser den Grafen Baden,, jetzigen Statthalter von Gatizirn, und die zur Zeit noch im Amte befindlichen Ministerpräsi denten Fürsten Winviscbgrätz und Minister des Innern Marquis Bacquehem empfangen bat. An Klarheit hat die Lage durch diese Empfänge nicht gewonnen, besonders da die Linke sich wie im Wiener RathbauS durch Unentschlossenheit und Ratblosigkcit ausieichnete. Man mag die Frage der neuen slowenischen Classe in Cilli für recht bedeutend halten, so bedeutend ist sie jedem nicht, daß die Linke ihre ganze RegierungSfäbigkeit deshalb au da« Spiel setzten müßte. Und was die Wahlresorm andetrifft, so ließe sich auch hier gewiß eine Verständigung erzielen. UnS scheint, als ob jede Energie bei der Linken fehle, als ob sich die Führer von der Partei in dieser schwierigen Frage zu sehr beeinflussen ließen, anstatt diese zu beeinflussen, als ob man zu viel Gewicht auf spontane Kundgebungen aus Wäblerkreisen legte, Kreise, die eine Verantwortung für die Politik gewiß nicht tragen. Wir in manchen andern Ländern bemüht sich die Presse in Oesterreich, durch Schlagworte und übereilte Rath- (ckltäge sich einen Einfluß auf die Politik zu wahren, ohne nachher, wenn die Befolgung jener Rathschlage zu üblen Consequenzen führt, den Muth zu haben, ihre Fehler rinzu- estehen. Alle Worte, wie „Haltet die Nacken steif" sind n den Wind gesprochen, wenn eS sich wie hier um ein LoalitionSministerilim handelt, an dessen Wiege die gegen- eitige Nachgiebigkeit gepredigt wurde. Ob die deutsche Zinke in einem Cabinet Badeni mehr als platonischen Linfluß erhält und die alten Zeiten eines Landmannschafts- ministerS wie unter Graf Khuenburg nicht wiederkommen, ,st zweifelhaft; kommen aber diese Zeiten wieder, dann kann die Linke nur gleich nach der Rumpelkammer wandern, denn dann wird die deutsch-nationale Partei, die sich ?iS jetzt ziemlich ruhig verhalten hat, ihr die Erbschaft 'treitig machen. Da sind die Polen diplomatischer. Ihnen ist eS gar nicht recht, daß Graf Badeni Ministerpräsident werden soll. Sie wollen gar nicht jwei so hervorragende Posten, wie den deS Munsters de« Aeußeren und des Ministerpräsidenten, mit Polen besetzt raben, denn sie wünschen keine zu große politische Verantwortlich es zu übernehmen. Die Polen bauen auf ihre nationale Stärke, die ihnen ihre Mandate sichert, die deutsche Linke aber muß mit den Strömungen in ihrer eigenen Partei rechnen und dazu gehört, daß sie vor Allem nach zwölfjährigem Stillstand wieder einmal Thaten zeigt, sich an der Regierung betheiligt, dem Volke beweiskräftig beibringt, daß sie nicht doctrinair, son dern praktisch ist. Geht die Coalition aus den Fugen und verliert die Linke ihren Einfluß in der Regierung, so dürfte sie in ihrem jetzigen Bestände sich nicht mehr lange erhalten. ES ist natürlich, daß die Frage der russisch-französischen Allianz angesichts der kommenden Kieler Festtage in den Hinter grund tritt, mindestens daß man in gewisser Richtung abwiegelt. Wir haben ja unsere Zweifeln an der Allianz schon Ausdruck gegeben. Ohne Preis kein Fleiß! Die französischen Journale hatten schon den Preis, den Frank reich im Osten für seine russische Freundschaft erhalten sollte, angrdeutet. ES bandelte sich um dir Pescadoresinseln, über die Herr Hanotaux sich in eigentbümlicher Weise auS- Ueß. Nun wird jetzt versichert, die Worte de« Minister« sollten keineswegs bedeuten, daß Frankreich au« seiner Intervention andere Bortbeile zu ziehen gedenke, als die ursprünglich ins Auge gefaßten, nämlich die Erlangung jener Bürgschaften, die seinen Verbündeten nothwenbig er schienen und vie Frankreich selbst nützlich werden sollten. So z. B. im Norden die Räumung der Halbinsel Liao-Tuna und die Unabhängigkeit Koreas, im Süven rin Regime, daS Frank reich die freie Schifffahrt in den chinesischen Gewässern sichert und Japan verhindert, Frankreich vermöge de- Besitzes von Formosa und der Fischerinseln den Zugang zu denselben zu verwehren. Die Neutralisation der genannten Inselgruppe vom militairischen Standpuncte und die Verpflichtung Japans, sie nie einer anderen Macht abzutreten, wären die unumgäng lich nothwendigen aber genügenden Garantien, deren Ver wirklichung Frankreich angeftrebt habe und die es zweifellos erreichen werde. Wird so aus Pari« geflötet, so »feist eS au« Petersburg noch anders. Die „Nationaizritung" erhält folgendes Telegramm: Petersburg» tb. Juni. Die letzte Rede deS Ministers Hano- taux über die sranzösisch-rujsische „Allianz" hat in hiesigen Re- gicrungskrrisen einen schlechten Eindruck gemacht. Nach der Weisung des Minister» des Aeußern ist da» Wort „Allianz" in ollen von Pari» au» an dir Zeitungen ausgegebenen Depeschen ge- strichen worden. Der Fürst Lobanoff hat den Grafen de Monte- bello in Kenntnih setzen lassen, daß er über die formelle Erklärung /euillatsn. Haus Hardenberg. Sj Roman von Ernst von Waldow. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) In jedem Schreiben erkundigte sich der Hauptmann sehr dringend, ob der Neffe noch keine offene Werbung bei dem Oberst v. d. Golze gewagt, und er schien nicht wenig be unruhigt, als Siegfried ihm schrieb, daß Gräfin Sophie Charlotte, mit welch» er eine ernste Aussprache gehabt, ihm dies geradezu widerrathen habe, indem sie ihn auf die Zukunft vertröstet und ihn aufgefordert habe, in Geduld einen ge eigneteren Zeitpunkt abzuwarten. Siegfried, obwohl ziemlich niedergeschlagen durch diesen Bescheid, hatte sich doch entschließen müssen, dem Rathe zu folgen, den ihm die Frau ertyeilt, dir stets eine fast mütter liche Zuneinung dem Erwählten der Tochter bewiesen hatte. WaS den jungen Officier übrigen- am meisten peinigte, war das Verhalten Wilhelmine'S. Er konnte eS sich nicht ver hehlen, daß ihre Gefühle für ihn eine Wandelung erfahren — dies trat klar zu Tage, nur die Ursache blieb für ihn in Dunkel gehüllt. IX. In ihren Mädchenträumen hatte ValeSka sich Liebe und Ehe und speciell eine Hochzeitsreise ganz anders ausgemalt, als sie nun in Wirklichkeit durchlebte. Sie liebte ja ihren Gatten, dar wiederholte sie sich selbst unzählige Male, auch ließ eS sich nicht leugnen, daß Harden berg für sie eine warme Zuneigung hege, und auch zuweilen zarte Rücksichten für sie batte, wenn ihn nicht gerade wichtige Geschäfte in Anspruch nahmen. Ach, diese Geschäfte! Wie wurden sie von der jungen Frau gehaßt. ValeSka wußte freilich nickt, daß eS nicht immer die Geschäfte waren, welche die Stirn ihres Gatten verdüsterten, und vaß seine spät geschloffene Ehe die ganze Familie in große Aufregung versetzt. Man hatte ihm gegenüber auch nicht damit hinter dem Berge gehalten, daß man diesen Entschluß als eine Thorheit betrachte, und als nun gar der Name der Braut und deren Verhältnisse bekannt wurden, da wendete sich die feindselige Stimmung gegen die junge Frau. Hardenberg'S Schwägerin, Frau Aurelie Winterfelo, die seit Jahren dem Haushalte deS WittwerS fast größere Auf merksamkeit gezollt als dem eigenen, war völlig fassungslos gewesen bei seiner Eröffnung. Nachdem so viele Jahre seit dem Tode der Schwester ver strichen waren und Hardenberg keine zweite Wahl getroffen hatte, hoffte sie ganz sicher, es werde so bleiben. Frau Aurelie bot zwar Alles auf, um ihren Schwager glauben zu machen, daß es der Gedanke sei, er gäbe den Kindern ihrer armen Schwester eine Stiefmutter, der sie so tief verstimme, aber sie vermochte doch nur schwer ihren bitteren Groll hinter sentimentalen Phrasen zu verstecken. In Wirklichkeit hatte Aurelie Erdenreich ihren Schwager einst mit ganz anderen Augen als denen einer schwesterlichen Freundin betrachtet. Sie, die jüngere und bedeutend hübschere der beiden Schwestern hatte anfangs gemeint, daß die Bewerbungen deS schönen und reichen Mannes nur ihr gelten könnten. Dann mußte sie sich doch, tief enttäuscht, eingestehen, daß Wolfgang Hardenberg die sanfte, stille Friederike, ihr »»ge zogen, und sie hatte ihm dies im Herzen nie vergeben, obwobl sie äußerlich nichts davon merken ließ und schon ein Jahr darauf den Antrag eine« Manne« annahm, dem sie auch nicht di« mindeste Neigung rntgegenbrachte. Nach dem Gesagten kann man sich leicht vorstellen, welche Leidenschaften in dem Herren ver rachsüchtigen Frau auf gewühlt wurden bei der Kunde von Hardenberg'S bevor stehender Vermählung. Obgleich er seinen Entschluß wie einen ihm von der Notb- Wendigkeit gebotenen hingestellt hatte, so zweifelte Aurelie doch keinen Augenblick daran, daß eS sich hier un, eine Liebes- brirath handele, ein Verdacht, der sich zur Gewißheit steigerte, als sie herausgebracht, daß die Braut ein armes, adlige- Fräulein von großer Schönheit wäre. Hardenberg hatte sich nämlich stet« al« ein Feind der neuen Ideen und Bestrebungen, die Aufbebung der Standes unterschiede betreffend, gezeigt, und nun sollte er als reifer Mann plötzlich seine Principien ändern? Die« hatten jedenfalls nur die fchönen Augen einer jungen Aristokratin zu Wege gebracht, die auf einen reichen Freier speculirt. Die Zwischenzeit vor seiner Berheirathung, welcke Harden berg daheim verlebt, war an peinlichen Eindrücken reich gewesen, denn er überzeugt« sich nur zu bald davon, daß Frau Wintrrfeld eS wohl verstanden habe, in dem Herzen Renates »ine heftige Abneigung gegen vie Stiefmutter zu er regen, welche der Vater ihr, der erwachsenen Tochter. inS Haus bringen wollte, und da« jetzt, wo sie gehofft, die Zügel deS Regiment« bald zu übernehmen. Sir hatte da« fünf zehnte Jahr überschritten und rechnete sich selbst schon zur Zahl der jungen Damen. Selbst die acktjährigge Auguste, deren Geburt ihrer Mutter das Leben gekostet, wollte nichts davon wissen, daß eine „Fremde" hier befehlen solle, und obwohl die Schwestern in ewigem Streite mit einander lebten, waren sie doch jetzt einig, wo e« galt, ihre Neckte al- Kinder deS Hauses dem neuen Eindringling gegenüber zu wahren. Wer weiß, ob Hardenberg in seiner wachsenden Miß stimmung die eingegangene Verbindung nicht rückgängig gemacht haben würde, wenn sich daß noch hätte tbun lassen, und wenn dir Ehe nicht doch etwa« anderes wäre als ein geschäftliches Abkommen, da- durch ein Reugeld gelöst werden Inzwischen befand sich das junge Ehepaar auf der Heim reise. Von Eisenach wollte man Über Dre-oen nach Breslau fahren. ValeSka bat noch um einige Tage Aufschub. Jedes mal, wenn sie an das große, graue Haus auf dem Blücher- Platz dachte, daS Hardenberg ihr so eingehend geschildert, überrieselte sie ein leicht» Schauer. Das sollte nun ihre neue Heimath sein und sie kam sich so hrimathlo« vor, als hatte sie kein Recht an dem Familienhause der Hardenbergs wo der Schatten der ersten Frau umging und di« Stieftöchter sich schon al« Gebieterinnen gesehen. „Wolfgang", bat sie weich, al« Beide von ihrem AuSsiuze nach der Wartburg he,mkehrten. ,laß unS noch ein paar tage zugeben.. Ich fühle m.ch so heimisch hi» und möchte noch einmal m der Sangerlaube sitzen und träume» da oben in dem berrluben Saale der Wartburg, wo di. süßen Weisen der sangeSki.nd.g-n Ritter erklangen und Frau Minne den Trank kredenzt und die Rose der Liebe bricht." „Aber Kind, es ist ja noch febr zweifelhaft, ob dieser „Sängerkrieg , von dem die XriNkilöS KojuarUihNiNuensos bt- e-? und ich begreife nicht, wie Du Dich bUn^laubst^' " s^st nicht w pulest Du Dich auch nie für eine dichterische ^e« P»(en'ist?"' ^ Schöpfung der Phantasie ich auch nie zu Wege gebracht No^E 2unge. da schwärmt, ich fü? Lbckson „Still, Wolfgang, verläumde Dich nicht selbst, Du bist gar nicht der trockene Geschäftsmann, der steife Pedant, für den Du Dich auSgiebst. Wer die Natur so innig liebt, sich auch am kleinsten Geschaffenen freut, der sollte sich vom Hauche der Poesie nicht erwärmen kaffen?" Der offene Wagen, auf dessen Rücksitz sie bequem ruthen, uhr langsam über daS holprige Pflaster. Hardenberg ächclt« über den Eifer der jungen Frau. „Sieh', Schätzchen, eben weil ich eine Vorliebe für alles Positive habe, ergötze ich mich an der Natur, und auch das kleinste, wie Du bemerkt, erscheint mir wichtig und des Interesses Werth, weil e» eine Ausstrahlung de« göttlichen Geistes ist, der ihm Leben verliehen. Fest steht nur, der wirklichen Boden unter feinen Füßen hat. In Wolkenkuckucks- jeiiii würde ich mich niemals heimisch fühlen." ValeSka gab ihre Sache noch nicht verloren. «Geh doch, wer war denn am eifrigsten bemüht, in der Rüstkammer droben daS alle Waffenwrrk zu betrachten und zu bejühten? Da ist doch auch über Dich ein Stück Poesie de- Mittelalters gekommen." Jetzt mußte Hardenbera herzlich lachen. „Schöne Poesie das! Ich gedachte der Kausleutr, welche die gestrengen Ritter, mit diesen Eisenhtmdrn angetban, wegelagernb überfallen und ausgeraubt haben, und meine, daß jenen armen Teufeln die Porste des Mittelalters oft schlecht genug angeschlaarn ist." ValeSka schwieg verstimmt, dir Worte des Gatten trafen sie wie ein Vorwurf. Sie wußte aus der HauSchronik. daß die Erbach'« von einst gar streitbare Ritter gewesen und be sonders von der Durgvest« Nimmersatt aus wir Falken herab- aesckossen seien, wenn sie eine Deut« gewittert »Nb die Kund schafter gemeldet, daß ein Waaenzug reisender Krämer nahe. O, wie hatten die Zeiten sich doch geändert! Unwillkürlich seufzte di» junge Frau recht lies aus und ickalt sich gleich darauf ihrer kindischen Traumsiligkeit wegen. Wa« wollt», was ersehnt» sie dann? Di« Segnungen deS Mittelalters ^-gelüstete es sie, droben in der Kemenate am Fenster mit den Butzenscheiben zu sitzen und Flachs zu spinnen? — so närrisch war sie doch nicht. Di« Wartburg hatt, es ihr eben angethan, es war eine so feiertägliche Stimme über sie gekommen und sie wäre ihrem Wolfgang förmlich dankbar dafür gewesen, wenn er «in wenig mit ibr geschwärmt hätte. TroNden, beschloß sie eine halb» Stund» später, den Gatten aufzusuchen, der noch immir in seinrm Zimmer weilt».
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