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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.06.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-06-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950621023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895062102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895062102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-06
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Die gesammte deutsche Presse feiert diese Rede als eine Großthat, als einen dem Weltfrieden und der Gesammtcultur geleisteten hochwichtigen Dienst, und die österreichischen und ungarischen Blätter, sowie die italienischen stimmen, wie aus den vorliegenden telegraphischen Meldungen ersichtlich wird, größtentbeils diesem Urtheile zu. Der Grund ton aller dieser Artikel ist der nämliche, der die folgende Aus lassung der Münchener „Allgem. Ztg." durchzieht: „Kaiser Wilhelm hat sich in seiner herrlichen Rede auf die höchste Warle gestellt, auf die ein Monarch unserer Zeit sich zu schwingen vermag: er löst nicht die Nationalität ans im Weltbürgerthum, aber er stellt die höchste Blütbe der nationalen Kraft in den Dienst der großen allgemeinen Culturaufgabe der Menschheit. Die neue Wasserstraße, welche das stolze Kaiser- schiss symbolisch und thatsächlich dem Weltverkehr eröffnet, ivird durch diese Kaiserworte gleichsam geweiht zum Dienste der Eultur; die erzgepanzerten Kolosse, welche den Kieler Kriegs- Hasen erfüllen, sie erscheinen dem geklärten Blicke des Kaisers nicht als finstere Träger von Schrecke», Verderben und Tod. sondern als die starken und erfolgreichen Hüter des höchsten Gutes der Menschheit, des Weltfriedens. Gewiß, wenn das deutsche Volk stolz ist aus das große Werk, so darf es auch stolz sein aus die goldenen Worte seines Kaisers, welche diesem Werk die schönste Weihe geben, und man darf wohl hoffen, daß diese Worte einen lauten begeisterten Widerhall finden überall, wo sie in deutschen Gauen gelesen werden. Vielleicht darf man aber auch die Hoffnung hegen, es werde sich bcini Anhörcn dieser Worte ein leises Gefühl der Beschämung geregt haben in Denen, welche — als Freunde freundschaftlich geladen — in Wirklichkeit als Feinde gekommen sind, um mit finsteren Mienen abseits zu stehen und, falls es möglich wäre, das große Fest zu einer Folie für ihre den Weltfrieden mittelbar be drohenden Velleitäten zu machen. Daß Frankreich seit 1871 nichts gelernt und nichts vergessen hat, ist eine Thatsache, über die sich im deutschen Reiche wohl 'Niemand mehr aufregt; aber es ist eine tief bedauerliche und wenig beneidenswerthe Stellung, in die sich der junge Zar durch sein Eingehen aus Liese „Demonstration" begeben hat, eine Demonstration, die bei ihrem rechten Namen zn nennen uns nur die Rücksicht verbietet, die wir auch solchen Güsten schuldig zu sein glauben. Stören kann diese Haltung der Franzosen und Russen das große Fest glücklicherweise nicht. Wer sich innerlich ausjchließt von dem große» friedlichen Völkerseste, thut es aus eigene Verantwortung und zum eigenen Schaden." Auch die Hoffnung, daß die kaiserlichen Worte ein Gefühl der Beschämung in Frankreich und Rußland erwecken würden, scheint in Erfüllung zu gehen. Das läßt sich be sonders daraus schließen, daß der Telegraph nur sehr wenig über Aeußeruugsn der Presse beider Länder zu melden weiß. Es ist das Schweigen der Verlegenheit, das diese Presse beobachtet und daö nicht anSbleiben konnte, nachdem Kaiser Wilhelm die pomphafte Behauptung, das ganze Fest sei nur der Hintergrund für eine neue Berbrüderungsscene zwischen Frankreich und Rußland, mit einem großherzigen Hinweis auf die gemeinsame Enlturmission aller Mächte beantwortet hat. Auch die wenigen französischen Preßstimmen, über die der Telegraph berichtet, können die Verlegenheit nicht ver bergen, die der Verfasser sich bemächtigt hat. Zu irgend welchen Verbrüdernngsscenen ist es denn auch nach dem gemein samen demonstrativen Einlauf der französischen und russischen Schiffe in dem Kieler Hafen nicht gekommen, so groß auch die Neigung gewesen sein mag, noch eine oder die andere kleinere oder größere derartige Scene aufzufllhren. Auö Schamgefühl ist das unterblieben, und dieses Gefühl wird die „neuver brüderten" Gäste Heimgelriten. Ob es lange Vorhalten wird, ist freilich eine Frage, die wir nicht unbedingt bejahen möchten; jedenfalls aber wird an den ausschlaggebenden Stellen noch lange die Erinnerung daran sortleben, daß Kaiser Wilhelm feierlich vor der ganzen Welt, die fragend auf ihn sah, eine mindestens nicht freundliche Demonstration mit dem Hinweis auf die Verantwortung beantwortet hat, die jeder Störer des Weltfriedens für die schwere Benachtheiligung der Welt- nr und des Wl ^ cultur Welthandels trägt. Schmerzlich muß es berühren, daß bei den Canalfesten, die selbst von fremdländischen Blättern mit der Feier des 00. Geburtstags Kaiser Wilhelm'ö I. verglichen werden, nicht nur von berufener Seite des Schmiedes der deutschen Kaiser krone, des Fürsten Bismarck, nicht gedacht wird, sondern daß auch auf den Dank, den der Kaiser dem Staatssecretair Dr. v. Bo etlicher abgestattet hat, ein eigenthümliches Schlaglicht durch die Angriffe fällt, die jüngst von Friedrichs ruh gegen diesen Minister gerichtet worden sind. Bei objectiver Beurtheilung der Sachlage muß man freilich zugesteben, daß dieser Angriff, der als ein solcher auch gegen die Krone, deren ausschließ liches Recht die Einsetzung und Beibehaltung von Ministern nun einmal ist und nach des Altreichskanzlers eigener Neberzeugung auch bleiben muß, wenigstens gedeutet werden konnte, dem Kaiser die ehrende und dankende Erwähnung des Fürsten mindestens erschweren mußte. Ob nicht trotzdem ebenso, wie auf die französisch-russische Demonstration eine großherzige und jede Kränkung vermeidende Antwort gefunden wurde, eine Form hätte gefunden werden können, die den Verdiensten des Fürsten Bismarck um die Einigung Deutschlands und um alle Früchte dieser Einigung gerecht geworden wäre, muß dahingestellt bleiben. Jedenfalls aber darf die national gesinnte Presse, die von den Friedrichsruber Angriffen gegen Herrn vr. v. Bötticher nicht berührt wird, sich der Ver pflichtung nicht entschlagen, dankbar daran zu erinnern, daß ohne Bismarck's unsterbliche Verdienste das deutsche Volk jenes große Fest nicht feiern könnte, um das seine Feinde cö beneiden. Am 1. Juli erlischt, nachdem die vierjährige Giltigkeits zeit abgelausen ist, die Hälfte der 83 Mandate zur badischen zweiten Kammer. Von den 30 national liberalen Sitzen werden 14 erledigt. Ob sie, wie vor zwei und vier Jahren die Mandate dieser Partei, wieder ohne Ausnahme gegen die festgeschloffene Phalanx aller übrigen Parteien zu vertheidigen sein werden, läßt sich noch nicht mit voller Bestimmtheit vorauSsehen. Die vereinigten Demokraten und Freisinnigen haben zwar auf ihrem Frei burger Parteitag die 1893er Parole „Zerschmetterung der Nationalliberalen" wieder ausgegeben, das Ccntrum hat sich durch den Mund seines Führers Wacker gleichfalls für das allgemeine Bündniß gegen die gebaßte Partei erklärt, aber besiegelt scheint der Pakt noch nicht ^u sein. Der „Frankfurter Zeitung" nach hat es den Anschein, als ob das Centrum, wenigstens in dem einen oder dem anderen Wahl kreise, auf eigene Faust operiren wolle, und sie droht für diesen Fall mit Repressalien. Man sollte meinen, daß die Allianz mit dem Klerikalismus, ganz abgesehen von dessen reactionairem Charakter, für die Demokratie auch dann nichts Verlockendes haben könnte, wenn das Centruin ans das ihm nicht genehme selbstständige Vorgehen in einzelnen Wahlkreisen verzichtet. Vor zwei Jahren bezifferte sich der demokratisch-freisinnige Gewinn aus dem Bundniß ans Null, wobei das erwiesene merkwürdige Factum nickt in Anrechnung gebracht ist, daß in einem stockklerikalen Urwahlbezirk — sociatdemokratische Wahl männer aus der Urne gestiegen sind. Auf der anderen Seite ist cs denn doch fraglich geworden, ob der Nutzen, den das 1893 aus der demokratifchen Unterstützung gezogen »i». >°.»>. »>. -wch-» Fübrer den Vertrag von damals erneuern. ^ kreise in denen ein ultramontaner Sieg ohne volksxcnleiuw Hilfö'trnppen ausgeschlossen ist, s m ks ch o nseil geraun .^ recht „schwierig". Das wird n »est-r Znt zu Gunsten der Parteidisciplin geändert habe. bekanntlich die Klosterfrage, die eben ' 1 ^ Beleuchtung gerückt worden ist, bei den Wahlen ein z ß Rolle. ' Die Socialdemokraten der italienischen Deputirtenkammer geben dermaßen toll und bl.nd gegen den l -nden Staats mann CriSpi ins Geschirr, daß das chlenum der Kammer keineswegs bloö die Anhänger deS Miniiteriums, nnt Ekel und Verachtung auf das Gebahren emer V^vollLen schaut welche aus Aerger darüber, daß die Dinge nicht b von ihnen gewünschte'und hundert M«l proph^ Wicklung nehmen wollen, sich in den Kopf gefetzt zu Halen scheinen! ihr Müthcken nicht nur an Herrn Cr sp. sonder auch an dem Parlamentarismus Z» kühlen, d'esen lltz r dafür zu strafen, daß er nicht fein säuberlich und be,chcwen unter dem socialdemokratischen Joch hmdurchgehen will. Regierung und allen anständigen Leuten m Aali n ka n es schließlich ja nur erwünscht sein, wenn das Hauflein der Kammersocialisten selbst das Material der Mot,ve ur eine Umgestaltung der parlamentarischen Geschäftsordnung vermehren bilft. Denn nach den icandalo en Scenen d S vorgestrigen Sitzungstages erscheint die Erfüllung des b eraus bezüglichen Wunsches des Herrn CnSp, im Prmcip als ge sichert. Und noch mehr. Das giftige Toben derUmfturzmanner entzieht diesen letzteren einen wesentlichen Tbeil der Sym pathien, die ihnen bisber von solchen Wahlertreisen ;n- gewendet wurden, die naiv genug waren, an die Ehrlich keit der Socialdemokratie und ihre sittliche Ueberlegenheit über die ans dem Boden der gegebenen staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung stehenden Parteien zu glauben. Mit einem Wort, die parlamentarischen Chancen ErisP, o sind in raschem Aufsteigen begriffen und selbst der hartnäckigste Pessimismus räumt jetzt die Möglichkeit ein, daß EriSpi Recht gehabt baben könnte, als er sich s- Z- zur Auslosung der alten Kammer und Ausschreibung von Neuwahlen ent schloß. Was bei so manchem Volksvertreter die politische Ein sicht und Ueberzengnng nicht vermochte, bringt die Berechnung zu Wege. Er sagt sich, daß es nach den neuesten Leistungen der äußersten Linken absolut keinen plansibeln Vorwand für Politiker, die von ihren Wählern überhaupt noch ernst ge nommen sein wollen, zur activcn oder auch nur^passiven Unterstützung von Leuten geben kann, deren ganzes -rchnn.in wörtlichen und thätlichen Scandalmachen besteht. So dar man sich denn von der ernüchternden Wirkung der socialdemo kratischen Rohheiten den Sieg der gesunden Vernunft über die parteitaktischen Rancünen versprechen, welche noch in der vorigen Kammer die Arbeitsfähigkeit der Volksvertreter au ein Minimum herabsetzten. Eine den Bedürfnissen der Gegenwart entsprechend ergänzte parlamentarische Geschäfts ordnung wird dem Ansehen der Regierung, der Wieder herstellung des parlamentarischen Prestiges und einer sörder- samen Behandlung der Geschäfte die besten Dienste leisten. Der italienischen Socialdemokratie aber geschieht nur Recht, wenn sie in die Grube fällt, die sie einem Anderen gegraben. Während alle Welt in Kiel den Frieden feiert, spinnt sich auf der Balkan halbin sei, in Makedonien, etwas ab, was eine gewisse Aehnlichkeit mit dem Funken im Pulverfaß bat. Alle Tage kommen Scharmützel an der bulgarischen ^ Grenze vor, so daß die türkische Regierung sich ver anlaßt sab, in Sofia in einer Note, die am letzten Montag überreicht wurde, zu verlangen, daß die Grenze chärfer überwacht und gegen die makedonische Agitation ein geschritten werde. In der Denkschrift wird hervorgehobcn, daß einige bulgarische Banden in Makedonien eingedrungci, eien, wahrend man in Sofia versickert, daß türkische Truppen der Grenzverletzung sich schuldig gemacht hätten. Nun bereitet sogar daö makedonische Cabinet eine Denk- 'chrift vor, in der es mit Nachdruck fordert, daß die armeni- chen Reformen auch auf Macedonien ausgedehnt werden. Man sieht, die makedonischen Vereine in Bulgarien halten den Zcitpunct für günstig, diese brennende Frage aufzurollen, die nur durch das diplomatische Geschick Stambnlow's, durch einen Einfluß auf die Macedonier so lange Jahre ruben onnte. Im Berliner Vertrage sind auch Reformen für Makedonien angesetzt und die Pforte hat sogar einmal einen kleinen Anlauf genommen, Verbesserungen in der Verwaltung einzuführen. Sie stockten bald, denn wenn keine europäische Ueberwachung vorhanden ist, erlahmen die türkischen Beamten sofort, da ihnen der gute Wille fehlt, und in Makedonien entwickelten sich recht unglückliche Verhältnisse, die Stambulow von Fall zn Fall durch Vorstellungen bei der Pforte zu bessern suchte. Der gegenwärtigen bulgarischen Regierung mangelt die Kraft, den neuen Umtrieben Einhalt zu thun, und in Sofia wird von den makedonischen Vereinen eine große Massenversammlung vorbereitet, um die Regierung zu zwingen, auch ihrerseits in der makedonischen Frage etwas Wirksames zn leisten. Der Minister des Aenßern, Natschcwitsch, soll vor Kurzem einigen diplo matischen Vertretern gegenüber auf die Möglichkeit verwiesen haben, daß die Entwickelung der armenischen Frage die bulgarische Regierung in die Lage bringen könnte, durch einen Ausbruch des Volkswillens zu einer Entscheidung in der makedonischen Bewegung gedrängt zu werden. Da sie keinen Widerstand zu leisten vermöge, könnten sich die Erreignisse von 1885, wo das Bolk die Regierung mit sortriß, leicht wieder holen und die bulgarische Armee in Makedonien einrücken. Dieser Nachricht wird zwar widersprochen, indessen hat der bulgarische Kriegsminister in diesen Tagen eine Alters klasse der Reservisten der Feldarmee zur Waffenübnng ein berufen und dabei ausschließlich die drei Bezirke berücksichtigt, die unmittelbar an die Türkei grenzen. Das ist noch lange keine kriegerische Maßregel, aber sie erregt Aufmerksamkeit, und darauf mag es wohl abgesehen sein. Die Pforte ist ja nicht müßig geblieben, sie hat mehr Truppen in Makedonien znsammengezogen und großentheils an die bulgarischen Grenzen gesandt, als bisher angenommen wurde. Auch an der ost- rumelischen Grenze werden Vorkehrungen getroffen. Die Reformen für Macedonien können die Mächte aus friedlichem Wege bei der Pforte erwirken, die wohl jetzt etwas mürber werden wird, wenn sie die Entschlossenheit aller Berliner Gertragsmächte sieht, die armenische Reformnote Englands, Rußlands und Frankreichs zn unterstützen. Kann Prinz Ferdinand die makedonische Bewegung in seinem Lande mit dem gegenwärtigen Cabinette nicht zügeln, so möge er Stambulow wieder die Gewalt über tragen. Dann sichert er sich selbst bis auf Weiteres seine Stellung und der Balkanhalbinsel die Ruhe. Deutsches Reich. —* Berlin, 20. Juni. Dem „Allgemeinen deutschen Sprachvereine" gebörten Ende April 1895 103 Zweig vereine mit 10 791 Mitgliedern an. Außerdem zählte man noch gegen 500 unmittelbare Mitglieder. 20 Zwcigvereine gab es in verschiedenen Kronländern Oesterreichs und zwar in den Städten Budweis, Czernowitz, Eger, Gablonz, Graz, Feuilleton. Haus Hardenberg. 13i Roman von Ernst von Waldow. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Das War für Viktor ein Donnerschlag gewesen. Wie betäubt kam er daheim an und saß stundenlang in starres Hinbrüten vertieft auf derselben Stelle. Woher sollte ihm Hilfe, Rettung kommen? Siegfried Erbach war ein wahrer Freund, das ließ sich nicht leugnen; aber er besaß nicht die Mittel, für ihn einzntreten, höchstens konnte er ihm einen guten Rath geben, und das hatte er mit den Worten gethan: „Nimm deinen Abschied, damit die Blutsauger das Nach sehen haben, die Dich zu dem Schritt gedrängt, und gehe vorläufig nach Erbach zu Onkel Dietrich, er wird schon Rath schaffen und dir irgend einen kleinen Posten dort geben." Victor batte trübe mit dem Kopf geschüttelt. „Wenn ich den Abschied nehmen und mich um eine Civil- vcrsorgnng bemühen soll, dann gehe ich ganz vor die Hunde, Du wirst sehen." Siegfried zuckte die Achseln, und am nächsten Tage reiste Victor ohne Abschied von Berlin ab. Die täglichen Besuche bei den „Nothhelsern", nm sie zu bewegen, die fälligen Wechsel zu prolongiren, hatten sich doch als erfolglos erwiesen, und dann war eS am besten, sich in sein Schicksal zu ergeben und dem Unheil den Lanf zu lassen. In Berlin wollte er wenigstens nicht ii» Civilrock umherlaufen. Die Reise der Schwester nach Dittmannsdorf fiel in die selbe Zeit. Viktor dachte auch einen Moment an den Kammerherrn und daß der ihm helfen könnte: in seiner Lage klammert man sich an einen Strohhalm. Kurt v. d. Golze war ihm zwar eine fast widerwärtige Persönlichkeit, er hielt ihn auch für kleinlich und egoistisch, aber versuchen konnte man es immerbin, ihn zu rühren. Zuerst wollte er allerdings den in solchen Angelegen beiten sehr erfahrenen Hauptmann Erbach aufsuchen und dessen Rath erbitten. So war er nach BreSlan gekommen, da sein Weg ihn so führte, und einmal hier, kgm ihm dsr sehr natürliche Wunsch, das junge Ehepaar zu besuchen, dessen Hochzeit er vor wenigen Monaten hatte feiern helfen. Und jetzt mit einem Male eröffuete sich ihm eine ganz neue Perspective: eine reiche Heirath. Aber das war ja dummes Zeug und gar keine Aussicht, daß Hardenberg ihm, dem verschuldeten Osficier, der im Be griff stand, einen wenig ehrenvollen Abschied zu nehmen, seine sechzehnjährige Tochter zur Frau geben würde. Die große Jugend des Mädchens mußte schon allein als Hindernis erscheinen. Leider hatte er keine Zeit zum Warten — das war übel. < Aber der Blick, den Renate ihm zugeworsen — er konnte ihn nicht vergessen, es war, als würfe sie ihm ein RettungS- seil zu, ihm — dem Ertrinkenden. Jedenfalls war das Mädchen reifer, als ihre Jahre eö vermuthen ließen, und hatte so viele Romane gelesen, bis sie selbst Lust empfand, einen solchen zu spielen. Victor lächelte, er aalt als ein feiner Frauenkenner und hatte bisher schon Gelegenheit genug gehabt, interessante Studien zu machen. Man konnte auch hier das Glück versuchen, vielleicht war Dame Fortuna ihm günstig. Als Victor Saalfeldt in sein Hotel zurückkehrte, war sein Entschluß gefaßt: er blieb vorläufig in Breslau, einen Vor- wqnd für sein längeres Bleiben ließ sich schon finden, denn vor allen Dingen war es nöthig, daß er ein wenig diplo matisch zu Werke ging und Hardenberg keinen Verdacht schöpfte — das Uebrige fand sich. Und merkwürdiger Weise schien auch der Zufall den leicht fertigen jungen Mann zu begünstigen und ihm eine bequeme Annäherung zn gestatten. DaS kleine Fest, welches Renate zur Einweihung in der Scheitniger Villa gab, bot Victor reichlich Gelegenheit, sich dein jungen Mädchen zu nähern, das in seiner kindlichen Weise, die freilich viel Gemachtes hatte, die feinen Huldigungen des schönen Officiers wohlgefällig ausnahm. Valeska in ihrer Ahnungslosigkeit schrieb das veränderte Wesen ihrer Stieftochter, deren Liebenswürdigkeit und schalk hafte Munterkeit einzig dem Glücke zu, in den Besitz des ersehnten Hauses gekommen zn sein, und sie selbst söhnte sich mit dem Verluste aus, weil das Geschenk dem Kinde gar so viel Vergnügen bereitete. Ein ganz anderer Geist schien über das träumerische, ver schlossene Dcadchen gekommen zu sein. Mit feinem Geschmack und großer Uebersicht hatte sie ihre kleinen Anordnungen getroffen, und als die Cavalcade wieder in der Villa eintraf, war der Salon mit den Rococomöbeln durch Wachskerzen hell beleuchtet, der Tisch mit dem feinsten weißen Damasttuche bedeckt und von einer Guirlande aus bunten Astern umkränzt. Kaffee, Thee und allerlei appetitlich geordnete Eßwaarcn luden zum Genüsse ein, und die junge Wirthin in dein blauen Cachemirkleide, das ihr sehr gut stand, und dem spitzenbcsetzten weißen Schürzchen erschien Victor chon als eine kleine allerliebste Hausfrau. »4.4.4.41».^4 V4,4^4411^ 4.4^^4,444 415 44-4» s4 141 4144/ 44«v O parte seine Blicke nicht, deren Gluth sich durch das physisch Wohlbefinden steigerte. Selbst für Cigarren hatte die Festgeberin gesorgt un Papas Borrathe geplündert, wie sie lächelnd erzählte, hinzu fügend, daß in ihrem Salon das Rauchen gestaltet sei. „Sie ist bildungsfähig", sagte sich Victor, „und was di hohe Schulter betriff — je nun, der Schwiegerpapa in 8p legt eine halbe Million auf die rechte Achsel, dann sin beide gleich." Trotz ihrer geringen Lebenserfahrung war Renate doc so schlau, dem Lieutenant keine auffallende Bevorzugung an gedeihen zu lassen, wie sie dies wohl gewünscht hätte. M gleicher Aufmerksamkeit bediente sie ihre Gäste und scherzt m,t dem Rittmeister v. Strehlen, der sie mit ihrer Fnrck vor den Pferden neckte und sie bewegen wollte, Reitnnterrick be, ihm zn nehmen, um sich in Zukunft bei den gemeinschaf lichen Ausritten zu betheiljgen. „Ich nehme Sie beim Wort, Herr Rittmeister", entgegne, Renate, „und werde morgen mit Papa sprechen. Wenn - nichts gegen unser Vorhaben einzuwenden hat, dann soll « mir ein Reitpferd kaufen statt der versprochenen Pont Equipage, und die Leclionen können beginnen." „Ei, ei, kleines Fräulein", scherzte der Rittmeister, „wohl kommt Ihnen denn mit einem Male solcher Heldenmuth Ich wette, daß Sie nie die Courage haben werden, Jh Füßchen in den Bügel zu setzen." ,,Und ich wette, daß ich dieses Kunststück morgen scho fertig bringe, wenn nämlich Mama mir gestattet, Fancho zu besteigen, und mir eins ihrer Neitkleider leihen will" „Mit Vergnügen", meinte ValeSka und Viktor fügte Kinn „Darf ich Ihnen meine Pagendienste anbieten?" „Dieselben werden gern angenommen werden. Helsen S mir meine Wette gewinnen, Lieutenant Saalfeldt." Es wurde noch eine Verabredung getroffen, dann bra die Gesellschaft auf, da der Wagen ans Breslau angelangt war, um die Damen Heimzubringcn. Frau v. Strehlen zog es vor, in Gesellschaft ihres Gatten und Victor's zu reiten, während Valeska und Renate den Wagen bestiegen. Da die Fenster desselben herabgelassen waren, vermochten die Reiter, die dann und wann an den Schlag gesprengt kamen, mit den Damen zu plaudern, wenigstens so lange man sich noch auf der, um diese Stunde ziemlich einsamen Landstraße befand. Beim Scheine der Wagenlaternen konnte Viktor die Be merkung machen, daß Renate ihn mit den Blicken suchte. Auf der Dominsel angelangt, verabschiedete man sich und der Wagen rollte nun schnell über das holprige Pflaster, während die Reiter zurnckblieben. „Du bist so still, Renate, fehlt Dir etwas?" fragte Hardenberg die Tochter daheim an der Abendtasel. „Ich bin ein wenig müde, Papa, das ist Alles." „Renate bat sich zn sehr angestrengt, aber dafür war der Erfolg ein glänzender", meinte Valeska, „ich selbst war über rascht, sie hat die Hausfrau in ihrem neuen Heim ganz süperb gemacht." „Mama ist sehr nachsichtig", sagte Renate, den Blick senkend. „Nein, ich sprach nur die Wahrheit, übrigens waren alle derselben Meinung." „DaS freut mich, Kind, da will ich auch gleich morgen mit Heinzel sprechen wegen der Pony-Equipage, Du sollst alles vollständig eingerichtet haben in dein Scheitniger Hause und kannst Dich dann mit Gnstchen im Parke spazieren fahren lassen." Renate machte ein verlegenes Gesicht und blickte die Stiefmutter a», die denn auch von der Wette zu erzählen begann und daß Renate sich entschlossen habe, Reitunterrickt zu nehmen. Hardenberg wollte davon zuerst nichts wissen. Renate sei l» noch ein Kind, daS hätte Zeit u. s. w. „Ein Kino — mit meinen 15 Jahren!" ries ganz entrüstet das junge Mädchen. Sowohl der Vater als die Stiefmutter mußten den Cifer belächeln, mit dem Renate sich als junge Dame bekannte. Schließlich versprach Hardenberg, sich die Sache zy überlegen, und hatte am andern Morgen im Drange der Geschäfte alles vergessen. Nicht so Renate, die schon in aller Frühe im Ankleide-
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