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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.06.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-06-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950625029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895062502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895062502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-06
- Tag1895-06-25
- Monat1895-06
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Nachr." bestimmt in Abrede stellen, daß der Fürst mit jenen Worten Herrn v. Boetticher babe treffen wollen. Auf ihn, so erklärt das Organ des Fürsten in einem vom Telegraphen bereits signalisirten Artikel, bezögen sich jene Worte nicht und könnten sich nicht beziehen, da der Fürst von Abgeordneten gesprochen habe, die Ministercandidaten seien, Herr von Boetticher aber nicht Abgeordneter gewesen sei. Die Rede deS Fürsten habe überhaupt nicht den Zweck gehabt, Aenderungen m der gegenwärtigen Zusammensetzung des Staatsministeriums zu erstreben, am allerwenigsten in der Person des Staats- secretairs des Innern im Reiche und des Ministers ohne Portefeuille in Preußen. Er sei unter den jetzigen Verhält nissen sogar unentbehrlich: „Er bildet in seiner parlamentarischen Routine eine nothwendige Ergänzung seiner College«, die in Nachtheil gerathen würden, wenn er ausschiede, und sein Ausscheiden würde außerdem keine Aenderung der Politik, sondern nur eine geschäftliche Nothlage der Hinter- btiebenen herbeisühren. Wir würden befürchten, daß, wenn dem jetzigen Reichskanzler die parlamentarische und geschäftliche Routine des Herrn von Boetticher verloren ginge, der ihm eine ihm nicht vertraute und nicht gewohnte Arbeit abnimmt, auch die Stellung des jetzigen Kanzlers selbst erschüttert werden würde, wie er das ja mit eigenen Worten in seiner Aeußerung bei der Canalfeier angcdeutet hat. Das würden wir im hohen Maße beklagen, schon weil wir von der Thätigkeit des Fürsten Hohenlohe als Kanzler die sorgfältigste Pflege unserer Beziehungen zu Rußland erwarten, die wir als eine der ersten Aufgaben unserer auswärtigen Politik betrachten. Andererseits glauben wir, daß die in zweiter Linie stehende Nützlichkeit des Herrn v. Boetticher auch bei einem Wechsel in der ersten Linie dem deutschen Reiche in Zukunft nicht verloren gehen würde; wir sind überzeugt, daß Herr v. Boetticher auch einem agrarischen oder kirchlichen Ministerium seinen Beistand nicht entziehen würde. Wir können darnach nur sagen, cs war ein Jrrthum, wen» er sich von den Aeußerungen des Fürsten Bismarck den Landwirthen gegenüber getroffen fühlte und deshalb so grobes Geschütz, wie in den officiösen Artikeln der „Kölnischen Zeitung" und der amtlichen Veröffentlichung im „Reichsanzeigcr" lösen ließ. Wir glauben auch nicht, daß der ganze Vorgang bei Herrn von Boetticher unangenehme Erinnerungen hiatertassen wird, da die für ihn allein wichtigen allerhöchst«» Kundgebungen vielleicht durch sein Mißverständniß der landwirthschaftlichen Rede von Friedrichsruh an Wärme gewonnen haben werden." Besonders freundlich ist diese Charakteristik des Herrn v. Boetticher allerdings nicht, aber die ganze Ausführung beweist doch, daß der Fürst jene Annahme und die durch sie erregte Mißstimmung des Kaisers be seitigt sehen möchte und nicht ansteht, einen Schritt zu dieser Beseitigung zu thnn. Leider erfolgt dieser Schritt recht spät nach einem Artikel der „Hamb. Nachr.", der jener Annahme Borschub leisten mußte, indem er die Angabe des „Reichsanzeigers", Herr v. Boetticher habe schon im Februar 1890 um seine Entlassung nachgesucht, in Zweifel zog und überhaupt in feindseliger Weise gegen diesen Minister sich äußerte. Wäre statt dieses Artikels (vom 16. Juni) der jetzige erschienen, so wäre wahrschein lich während der Canalfcier manche Kundgebung anders ausgefallen, als sie wirklich erfolgt ist. Immerhin ist auch diese verspätete und noch der Ergänzung bedürftige Erklärung — sie läßt die „Drohnen, die uns regieren" unerwähnt — zu begrüßen. Wird auch ihre Wirkung keine tiefgreifende und das Verhältniß zwischen Berlin und Frievrichs- ruh völlig umgestaltende sein, so leitet sie doch vielleicht einen wockus vironlli ein, der dem Vaterlande die Wetterführung einer beklagenswerthen Fehde erspart, deren Zeugen wir so lange sein mußten. Die Abreise der Commission, welche die Hand- werkSorgantsalto» in Oesterreich studiren sollte, ist nSher unterblieben, und eS wird als zweifelhaft bezeichnet, ob ie überhaupt stattfinden wird. Mag der Zweifel begründet ein oder nicht, jedenfalls zeigt sich auch bei diesem Schritt wieder die Unsicherheit, die bisher der auf Ordnung des Handwerks abzielenden RegierunHsaction angehaftet hat. Man hat Organisationsvorschläge veröffentlicht und dann erst eine Enquctte inS Auge gefaßt, die das statistische Material zur Be- urtheilung der Zustände im Handwerke liefern soll. Man hat weiter zu einerZeit, wo die österreichische Einrichtung derZwangs- genoffenschaft acht Jahre alt war, deren Unannehmbarkeit erklärt, und wenige Jahre später, und ohne daß sich in der dortigen Gesetzgebung etwas geändert hätte, beschließt man, an Ort und Stelle die Erfolge studiren zu lassen, um dem nächst vielleicht wieder von diesem Vorhaben abzustehen — Letz teres möglicherweise in der Erwägung, daß der Zeitpunct schlecht gewählt sei, da die österreichische Regierung mit dem Plane umgeht, einen bereits ausgearbeiteten Resormgesetzentwurf dem Reichsrathe vorzulege». Dieses Schwanken erregt nicht nur aus der Sache hervor gehende, sondern auch politische Bedenken. So wenig eine Ueberstnrzung der Angelegenheit wünschenswerth ist, so wenig empfiehlt es sich, die Oeffentlichkeit zur Zeugin einer wider spruchsvollen Haltung der Regierung zu machen. Es wäre darum dringend zu wünschen, daß der „in neuester Zeit" im preußischen Handelsministerium ausgearbeitete Organi sationsentwurf von der Art sei, daß die Bundesregierungen an ihm festhalten könnten. Nun hat es aber den An schein, als ob die Ordnung des Handwerks zwar nicht für daS ganze Reich, sondern nur sürPreußen und diejenigen Staaten, die mitlhun wollen, geplant wäre. Während es nämlich in der officiösen Benachrichtigung von dem Zusammentritt einer von Herrn v. Berlepsch angeregten Conferenz der Vorstände deutscher Jnnungsverbände und Jimungsausschüsse heißt: „Der Entwurf soll auf der Grundlage der ZwangS-Fachinnung beruhen", weiß die in solchen Dingen nicht schlecht unter richtete „Deutsche Tageszeitung" zu berichten, der Entwurf wolle diejenigen Staaten, in denen die vorherrschende Form der Handwerkervereinigungen vorläufig nicht die Innung sei (affo ganz Mittel- und Süddeutschland), nicht zu Um änderungen der Organisation zwingen. Danach stände ein ReichSgesctz in Aussicht, das nur für einen Theil deS Reichs Giltigkeit haben soll. Die Verfassung wäre einer derartigen Gesetzgebung nicht im Wege. Die gesetzliche Regelung des Gewerbebetriebes unterliegt zweifellos dem Reiche, daS schließt jedoch die Verpflichtung einer einheitlichen Ordnung nicht in fick. Wie gewisse Bestimmungen der deutschen Strafprvceßordnung (Competenz der Schwurgerichte) in einigen süddeutschen Staaten nicht gelten und wie Bayern aus dem Geltungsbereich des Gesetzes über den Unterstützungs- Wohnsitz ganz und gar ausgeschlossen ist, so kann auch ein HandwerksorganisationSgesetz geschaffen werden, das in den mittleren Königreichen, in Baden, Hessen u. s. w. nicht ein geführt werden muß. Daß aber schwerwiegende bundes- und wirthschaftspolitische Bedenken einem solchen Verfahren entgegenstehe», liegt auf der Hand. Die „Deutsche Tageszeitung" bedient sich einer Wendung, die glauben machen könnte, als ob es sich um eine auch bisher nicht einheitlich geregelte ^^dch'iniiilungett der ist jedoch bekanntlich nicht he F - . ganzen Reiche ».,b.°.-»,-»g M'-r t,e Ä»mmo-tt >md -m g- in «»ft. S. «°,d- sich ganz verschieden von dem Ware, wie er' ', abgespielt ^üdstaaten zum Norddeutschen B > ^ " stunden gemein hat. Bayern z. B. hatEin.z-s von der^Il-Y^ seine samen Gesetzgebung nlä,t a g"i ^ sein soll, wäre Einrichtung behalten. WaS fttz ' , ReichSgrsetzgebung, aber eine Aenderung ber st kommt, gegolten die in Preußen, das zuineill m Verfahren ist bat und für dieses geändert '"rd s - ^ Gesetz politisch namentlich deshalb bedenkt ^ unter der KBu.!g^ Weift "kan^ man "p'art'ttll "die in die alte Buntscheckigkeit zuruckentwickeln. stündlich wenn die Tories von der Annahme von zwei «uegei ZwBn >°°) «-> Whig« di- U-d--n-!»u. «>»g -bhSngig mache». Nm, » S--d von Windsor zuruckgekehrt, aber die sicherten, er habe den Auftrag der Königin, em Cabmet zu bilden, weder angenommen, noch abgelehnt. dem Vor behalt Balfonr's tritt noch die Forderung, daß d,e Whigs sich verbürgen sollen, die Parlamentsauflosung nicht hliiaus- ruriehen, eine Forderung, deren Erfüllung sie ver weigern. Trotz dieser Schwierigkeittn wird aber kein anderer Ausweg bleiben, als der, daß die Tories die Regierung über nehmen. Zu der Niederlage im Parlament tritt auch noch die Thatsache, daß Lord Rosebery, der vor Ausbruch der Krisis nach Windsor besohlen worden war, diese Ge legenheit benutzte, um der Königin das Entlassungö- qesuch des Ministeriums zu unterbreiten. Die Monarchin »ahm es sofort ohne Ausdruck des Bedauerns an. Bildet Salisbury das neue Ministerium, so wird es auS Vertretern der beiden Flügel der unionistischen Partei zu sammengesetzt sein, und er wird n»ch Erlangung der noth- wendig'crr Credift für den Staatsdienst vom Unterliauje daS Parlament auflosen und Neuwahlen verfügen. Dem Herzog von Devonshire und Cbamberlain sind wichtige Portefeuilles zugedackt, Lord Lansdowne und- Sir Henry James Courtney dürften ebenfalls Posten in dem Coalitions- niirusterium erhalten. Lord Salisbury wird mit dem Premier posten wieder das Portefeuille der auswärtigen Angelegen heiten verbinden, Goschen wahrscheinlich wieder Schatzkanzler sein. Balfour wird zweifellos Führer des Unterhauses werden. Seit fünf Monaten hat daS norwegische Ministerium Stang seine Entlassung eingereicht und so lange dauern die Verhandlungen, die der König mit Unterbrechungen zur Ein setzung eines neuen Ministeriums geführt hat. Aber die Obstructionspolitik der Radikalen läßt keine geordneten Zustände eintreten und überdies hat, wie schon mitgetheilt, auch der frühere CultuSminister Bonnevie die Cabinetsbilkunc abgelehnt. Der König ist mißmuthig nach Schweden rurückgekehrt und Stang führt nothgedrungeii die Ge schäfte weiter. Daß Bonnevie ein Ministerium nicht zu Stande brachte, mußte eigentlich überraschen, denn man hielt in den letzten Tagen sowohl aus der Rechten und bei den Gemäßigten wie bei einem Theile der Linken ei» Coalttions- ministerium bereits für gesickert. Innerhalb der radikalen StorthingSmehrheit waren aber inzwiscken alle Hebel in Bewegung gesetzt worden, um solche Männer der Gegner, die ihr ein Paroli zu bieten fähig waren, vom Eintritt in das zu bildende Ministerium feriizuhalten, und diese Manl- wurföarbeit bewirkte, daß der König wieder unverrichteter Sache das Land verlassen mußte. Wie bekannt, beauftragte der König zuerst den gemäßigten Swerdrnp, ein Coalitioiis- ministeriuin zu bilden, sodann, als die Radikalen wie Ein Mann gegen diesen Front machten, so daß ^zar keine Aussicht war, daß Swerdrnp auf eine Mehrheit iin Storthing rechnen konnte, den früheren Cultusminister Bonnevie. Dieser gehörte zwar den Conservative» an, ^doch genoß er wegen seiner gemäßigten Partcirichtung einige Sympathie unter den Radikalen, wahrend sich dies von Swerdrnp durchaus nicht sagen läßt. Im Gegentheil, gegen diesen hegen die Radikalen einen Haß, der ans Komische grenzt, der aber einigermaßen erklärlich wird, wenn man berücksichtigt, daß Swerdrnp ein Politiker ist, den die Radikalen zu fürchten alle Ursache haben. Auf Swerdrup's Auftreten während des Wahlkampfes iin verflossenen Jahre führen die Radicaten es auch zurück, daß ihre Partei diesmal nur mit so knapper Mehrheit ins Storthing gekommen ist; kein Wunder, wenn sie ihn ängstlich von der Regierung fernzuhalten suchen. In dem von Bonnevie zu bildenden Ministerium sollten vier Conservative, vier Radikale und zwei Gemäßigte sitzen. Zu letzten, hatten die Gemäßigten, die norwegische Centrumspartei, ihren hervor ragendsten Mann, Swerdrnp, ansersehen, der andere war der frühere Minister Haugland. Die Radikalen wollen aber nicht nur kein Ministerium Swerdrnp, sie wollen Swerdrnp über haupt nicht als Minister unter irgend welchem andern Ministerchef haben, und demgemäß theilten die vier radikalen Ministercandidaten Bonnevie mit, daß einem neuen Ministerium, in dem Swerdrnp säße, von Seiten der Radicalon Schwierig keiten bevorständen. Offenbar befürchten sie, das Swerdrnp großen Einfluß im Ministerum gewinnt. Um die Bildung eines Coalitionsministerinms nicht zu vereiteln, erklärte darauf Swerdrnp, er wolle von seiner Ministercandidatur zurücktreten, wie er auch gleichzeitig dem neuen Ministerium seine Unter stützung zusicherte. Dieser Verzicht hatte aber zur Folge, daß auch Haugland nun ablehnte, inS Ministerium zu treten, und zwar, weil er den Rücktritt Swerdrup's für eine politische und administrative Schwächung der neuen Lage hält. Als nun auch der Versuch Bonnevie's, bei einem anderen Gemäßigten Ersatz zu suchen, keinen Erfolg batte, theilte er dem König mit, daß er die Neubildung des Cabinets anfgeben müsse. Somit steht man in Norwegen wieder am Anfang des Endes und man muß sich fragen, waö werden sott, wenn das Stang'scke Ministerium jetzt gleichfalls keine Lust bezeigt, sein Amt weiter zu führen, und endlich die Bewilligung seines Abschiedsgesuchs verlangt. Nach dem Benehmen der Franzosen mußte man neugierig sein, wie das osficielle Rußland zu den Kieler Festen sich stellen würde. Es geht nun hierüber der „Kreuz-Zeitung" eine Nachricht zu, die von einiger Bedeutung ist. Deinnack sprach der Zar beim Familienfrühstück in Peterhof sich sehr herzlich über die eminent friedliche Rede Kaiser Withelm'S H. aus. Der in derselben angeschlagene so warme Ton finde in seinem Herzen freudigen Widerhall. Mil regem Interesse verfolgten beide Majestäten die Berichte der auswärtigen Zeitungen über die Kieler Feste und Fe«illetsir. Haus Hardenberg. 16j Roman von Ernst von Waldow. Nachdruck verboten. , ^ (Fortsetzung.) Konnte es eine günstigere Gelegenheit für den vielge wandten Adonis geben? Er zögerte denn auch keinen Augenblick, selbige bestens auszunutzen. Bon schmachtenden Blicken kam es zu Seufzern und halben Worten, aus denen ganze wurden, bald steckte er ein zierliches Brieschen mit feurigen LiebeSversickerunge» in die gestickten Stnlphandschuhe der jugendlichen Reiterin und erhielt ein paar Tage darauf eine studirt naiv gehaltene Antwort, die ihn höchlich befriedigte, nicht der eingelernten Redewendungen wegen, von denen sic strotzte, sondern weil er ganz andere Dinge zwischen den Zeilen laS, die günstiger für ihn lauteten. So ging cS weiter, und in dem Grade, daß man sich seltener sehen und sprechen konnte bei dem ungünstigen Wetter, gewann der Briefwechsel an Umfang. In einem unbewachten Augenblick, wo Renate mit Victor allein im Salon zurückgeblieben, hatte er die sich nnr sanft Sträubende in seine Arme geiioiiiinen und einen Kuß auf ihren Mund gepreßt. Da wurden Schritte im Nebenzimmer hörbar; trotz ihrer mächtigen inneren Erregung verlor Renate keine Zeit, scklangengleich entschlüpfte sie Victor s Armen und eilte zur nächsten Thür hinaus. Ihr schwarze» Seidenkleid verschwand eben im Rahmen der Thür, die eö rauschend streifte, als der erste Buchhalter in den Salon trat, wo die Gesellschaft den Thee zu nehmen pflegte. Verwundert blickte er sich um und nach dem Lieutenant hin, der in augenscheinlicher Verwirrung an der Säule des MarmorkaminS lehnte. „Ab — ich habe gestört", dachte Helmreich, während er sich grüßend näherte. Nicht lange danach trat ValeSka in Begleitung ihres Gatten in daS Gemach. Zufällig trug auch sie heute ein schwarze- Seidenkleid, was lehr oft geschah, weil Hardenberg seine Frau am liebsten immer nur in Schwarz gekleidet ge sehen hätte. Ganz unbefangen begrüßte das Ehepaar die Gäste und selbst den stechenden Blicken Helmreich'S gelang eö nicht, ValeSka in Verwirrung zu bringen. „O, sie ist eine gute Komödiantin", murmelte er ergrimmt vor sich hin, als er beim Heimgehcn seinen wenig erfreulichen Gedaliken^nachbiiig, „wenigstens weiß ick jetzt, warum sie mich plötzlich so abfallen ließ und mit eisiger Kälte behandelte. Nun, ich werde ihr das aufs Conto setzen!" Renate war an diesem Abend erst spät wieder im Salon erschienen, ihre junge Schwester an der Hand führend. Sie begrüßte Hclmreich wie (saalfeldt mit der gleichen mädcken- haften Zurückhaltung, die so gut studirt war, daß sie fast natürlick erschien. Wein hätte es auch einfallen mögen, daS schüchterne junge Mädchen zu verdächtigen? XVI. Wir haben schon gesagt, daß Victor'S gutgemeinte Warnungen und Ratbschläge einen gewissen Eindrnck aus Karl gemacht hatten. Seit einiger Zeit befleißigte er sich, größere Sorge auf sein Aeußeres zu verwenden, ja, er hatte sich sogar hier und da wieder mit seinem alten Handwerksgeräth zu sckafftn gemacht. Frau Martha hoffte wieder. „Das ist brav, mein Sohn, wenn Du nur ordentlich sein und zur Arbeit zurückkehren wolltest, dann könnte noch Alles gut werden. Jugendsünden werden Jedem vergeben" — so sprach sie in herzlichem Tone. Karl antwortete nichts darauf, er lächelte nur geheimniß- vcll, »iid dabei batte er so seine eigenen Gedanken. Die Mutter war vorläKsig zufrieden und dankte Gott, daß der Sohn nicht, wie früher zu geschehen pflegte, erst nach Mitter nacht in aiigetrvlikenem Zustande beimkehrte. Wenn sie/gewußt hätte, in welcher Gesellschaft er seine Zeit verbrämte, würde sie minder zuversichtlich in die Welt geblickt haRe». Weit.^ntfernt von seiner Behausung gelegen, draußen vor dem Qtzerthor, bielt ein gewisser Mendel Aaron eine Schank- wirtb/chaft, in welcher übelberüchtigte Subjecte zu verkehren pflegen. , Die Polizeiorgaiie hielten Wohl dann und wann Umschau in der schmutzigen Schänkstube, unter den Stammgästen des i,Tate Mendel", auch kamen häufige Verhaftungen daselbst vor» und doch übten der eingeschmuggelte Ungarwein und die gepanschten „Ligueure" des Tate Mendel eine so große Anziehungskraft auf dies zusammengewürfelte Gesindel aus, daß die „Räucherkammer", wie die WirthSstube von de» Gästen genannt wurde, selten leer wurde. Der spindeldürre Tate Mendel, der nie unterließ, mindestens den Versuch zu machen, im Maß zu betrügen, und seine alte häßliche Ehefrau in der schmierigen Tnckjacke und einem Wollrocke, dessen Farbe nicht mehr bestimmbar war, konnten unmöglich diese Anziehungskraft anSiiben. Weit eher war es der mächtige Zug, der das Gleiche dem Gleichen vereint. Hier war man unter sich und konnte sein wahres Gesicht ohne Maske zeigen. Zudem gab es Abwechslung und Unterhaltung im „Gol denen Becherl", da vom nahen Ausspannwirthöhauft zum „Polnischen Bischof" zuweilen Fuhrleute und Händler herüber kamen, angeblich, um einen guten Schluck bei Tate Mendel zu trinken, in Wirklichkeit aber, um allerlei geheime Geschäfte mit ihm zu machen, bei denen der schlaue Hehler sie doch immer beschmuggelte. Raven. Dttt seinem wahren Namen hieß der lange, schulterige Mensch mit dem blassen, aufgedunsenen dem ,n der Mitte des Kopfes gescheitelten Haar- Johannes-Physiognomie Wilhelm Nabe »nd wa Zeichens ein Weber aus PelerSwaldau in Schlesi verachtete aber nichts so sehr als diese seine de.tt stammnng unv wenn er sich berabgelassen. just in der seine WeltbegliickungSplane zu verwirklichen, so I ^^'"^^grnndet daß man ihn überall auögewie „per Schub in die Heimatb zurückbesördert. n "U" in PeterSwaldau den „Sclavenhalte I-d- W>-N>ch-» S>,nd »ich, tz»ft »,» Bi„,» «°», M»»d° »dg.,»»«. »», -°»,»,',» ,k, vrbe.tete und ilmen nur die Obren vol redete s« am-rikanisck- Staatsbürger immer von Zeit q j reisen, gründete Vereine, die jedesmal v MitgliedSbeitrag eingetricbrn werden sollte, nndVe'lt l auswendig gelernten Reden, die ihm viel Beifall u «chncipft tinrutragen pflegten. " Damit laßt sich S aber au? dl» ^ - und William Raven hatte schon ftit^längerer'Zeit' über die Verbesserung seiner immer drückender werdenden Lage nachgedackt. Die Bekanntschaft Karl Winterfeld's batte er „drüben" gemacht, und das edle Paar schloß denn auch bald einen innigen FreundschaftSbund. Da William im goldenen Becherl auch Propaganda für seine Ideen zu machen versucht, war er bald Stammgast bei Tate Mendel geworden und hatte für diesen geriebenen Gauner zu verschiedenen Malen Geschäfte abgescklossc». die lbil mit mehr als einem Paragraphen des Strafgesetzbuchs in Conflict brachten. Der Wirth zum goldenen Becherl war nickt undankbar für diese Selbstverleugnung des Weltverbesserers, der einst weilen von der Höhe eines Apostels der Menschheit Herab stieg, um gcstohleneö-Gut irgendwo einziigraben oder eine» armen Teufel von Schmuggler um die Hälfte des anö- bedungeneil Lohnes zu betrüge». William batte eine Schlaf stelle gratis in der mit Ziegeln gepflasterten Küche und durfte am Familientische speisen, was meist sehr mager ausfiel. Deshalb war seine Freude immer groß, wenn Freund Karl anrückte, der seine Muttergroscken bereitwillig mit ihm vertrank. So auch heute. An einem Ecktische, in der Nähe des Fe»sters, durch dessen blinde Scheiben man kaum die Gegen stände draußen zu erkennen vcrmockte, saßen die Freunde, zwischen sick eine Flasche mit lliigaiwein und zwei Gläser». Mehr aus Gewohnheit, als um ciiiander (sand in die Augen zu streuen, bedienten sie sich in ihrer Rede »och der abgedroschenen Wendungen nnd Pointen. So sprach William: „Dein Lieutenant hat Reckt, wir müssen endlich anfangen, an uns zu denken, denn schließlich ist dieses ganze undank bare Gesindel nicht werth, daß wir uns für dasselbe aus- öpfern." „Das fällt mir auch nicht im Traume ein", lachte Karl, „so ne Bande! Sie sollen sich nur selber helfen, wenn sie die Courage dazu haben." „Tie eben fehlt vor allen Dingen", fuhr William fort; „was babe ich mir doch für Mühe gegeben, ihnen klar zu machen, daß nur festes Zusammenhalten, einmütliiges Handeln sie vor der Ausbeutung durch die Capitalisten bewahren könne, Alles umsonst, eS sind eben Feiglinae — eine Heerde Schafe, die sich von einem bissigen Hirtenhlnide znsammentreiben läßt. Ich bin'S müde, diesen weißen sclaven das Lied von der göttlichen Freiheit ewig vorzu-
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