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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.06.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-06-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950626020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895062602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895062602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-06
- Tag1895-06-26
- Monat1895-06
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(Alfred Hatz»), Universitätsstraße 1, Louis Lösche. Natharinenstr. 14, Part, und KönigSplatz 7. AVend-Ausgabe aMMMMblaü Anzeiger. Drgan filr Politik,Localgeschichte,Handels-undGeMstsverlehr. Nnzeigen.Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 30 Pfg. Reclamen unter demRedactionsstrich i4ge- sPglten) üO^Z, vor Len Familirnuachiichtea l0g,svalten) 40 4Z. Größere Schriften laut unserem Preis- verjeichniß. Tabellarischer und Zissernjah »ach hoher,in Tarif. Srtra-Beilage» (g»saljt), nur mit der Margen-AuSaave, ohne Poslbesördenmg X 60.—, mit Postbesörderung .4 70.- -. Änntchmeschlnß für Änzeigen: (nur Wochrntags) Abend-Ausgabe: Vormittags 10 sthr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Vri den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets a„ die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 307. Mittwoch den 26. Juni 1895. 89. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 26. Juni. Die Interpellation über die im Proccsse MeUage zu Tage getretenen Mißstände ist gestern im preußischen Abgeordneten Hause zur Verlesung und Besprechung ge kommen. Wir haben uns bei der Wichtigkeit des Gegen standes für verpflichtet erachtet, über diese Berhandiung einen ausführlichen Bericht zu bringen, dem wir nur wenig hinzu zufügen haben. Zuerst ist hervorzuhebeu, daß der Kultus minister vr. Bosse und der Zustizminister Itr. Schönberg der naheliegenden Bersuchung widerstanden, etwas zu be schönigen, was nicht zu beschönigen ist. Besonders Or. Bosse gestand unumwunden zu, daß die Regierung über die Verhältnisse in Mariaberg mangelhaft unterrichtet worden sei, und stellte in Aussicht, daß die an diesem Mangel Schuldigen der verdienten Strafe nicht entgehen würden. Auch aus den Erklärungen des Iustizministers Iw. Schön stedt geht hervor, daß es hauptsächlich der Mangel au Ein sicht und Wahrheitsliebe der der Aachener Staatsanwalt schaft zugänglich gewesenen Zeugen zuzuschreibeu ist, daß nicht die wirklich Schuldigen, sondern ihre Ankläger in der Presse zur Verantwortung gezogen wurden. Man darf daraus schließen, daß auch an denjenigen Stellen, bei denen die Staatsanwaltschaft auf Entstellungen oder Verheimlichungen stieß, die Folgen nicht ausbleiben werden. Ob die zum Theil recht spärlichen Maßregeln, die Herr Or. Bosse zur Verhütung ähnlicher Vorkommnisse bereits angeorbnet bat oder in Aussicht stellte, genügen werden, um ihren Zweck zu erfüllen, muß sachverständigen Beurtheileru zu entscheiden überlassen bleiben. AiifsäUiger- weise hielt der Minister des Innern, Herr v. Koller, bei der Verhandlung sich sehr im Hintergründe, obgleich die ihm unterstehenden Verwaltungsbehörden eine noch der Auf klärung bedürftige Rolle in der Tragödie gespielt haben. Was er Uber den Regierungspräsidenten v. Hart- mann sagte — dieser habe keinen Vortrag über Mariaberg gehalten —, ist als ein Vorwurf aufzusassen, der noch ver stärkt wird durch die Angaben des Cultusininisters über die eingelaufenen Revisionsberichte. Warum Herr v. Roller mit dieser kurzen thatsächlichen Bemerkung sich begnügte, wird vielleicht die nächste Zukunft lehren, denn es kann nicht ausbleiben, daß bei nächster Gelegenheit auch die ganze Politik beleuchtet wird, welche die zur strengen Aufsicht verpflichteten ärztlichen und Ver waltungs-Beamten in einen Zustand sörmticher Hypnose den „Brüdern" gegenüber versetzte. Zu einer solchen Beleuchtung fordert die Haltung der Eentrumsredner geradezu heraus. Besonders die Herren Spahn und Porsch lieferten den schlagenden Beweis, daß nichts als Vertuschung der schlimmsten Mißstände in katholischen Anstalten zu erwartenseinwürve.wenn der Staat und die Gerichte sich herbciließen, mit den Augen dieser Herren zu sehen. Ihre Ausführungen gestalteten sich zu Anklagen gegen die Führung der Proceßverhandlung und zeigten deutlich, wohin der Staat kommen würde und müßte, wenn ein noch weiter gehender Einfluß Denen gestattet würde, die das Schlechte nicht für doppelt verdammenswerth Hallen, weit es unter dem Deckmantel oder gar im Namen der katholischen Religion geschieht, sondern die das Schlechte nicht sehen mögen, wenn es von unwürdigen Gliedern der römischen Kirche ausgeht. Es ist erfreulich, daß der Abg. Virchow, dessen Partei sich sonst so ängstlich scheut, dem Eentrum etwas Unangenehmes zu sagen, vor der Heimlichkeit deS Klosterlebens und den Vertuschungsversuchen des Abg. Spahn nicht Halt machte. Ob aber durch diese Ausnahme von der alten Regel deS Herrn Eugen Richter, den UltramontaniSmus zu ichonen, eine neue Regel begründet wird, ist ebenso fraglich, wie eineEnt- sremdung zwischen den Conservativen und dem Centrum infolge des Auftretens der Abgg. Graf Limburg-Stirnm und v. Pappenheim. Jedenfalls waren beide Redner bemüht, schonender aufzutreten, als die nationalliberaleu Redner Iw. Sattler und v. Eynern, die am gründlichsten die Angelegenheit erörterten und den Vertretern des Ministe riums den Hauptanlaß zu eingehenden Antworten gaben. In Elsaß Lothringen steht der NltramontaniSmus allem Anscheine nach unmittelbar vor einem neuen Ersolge. Ursprünglich hatte die Regierung die Absicht, die Wiederzu lassung der Redemptoristen auf einen Theil der früheren Niederlassungen dieses Ordens zu beschränken; mit großer Entschiedenheit trat sie besonders der Wiederzulafsung der Redemptoristen in Bischenberg entgegen mit der Begründung, daß ein Bedürfnis zur Besiedelung Bischenbergs nicht vor handen sei. Eigentlich könne die Niederlassung und Eigenthums erwerbung von Männerorden nach Lage der Gesetzgebung nur durch ein Specialgesetz gestattet werde». Die französische Ver waltung habe aber in Form einer jederzeit zurückzunehmenden Duldung solche Niederlassungen unbeanstandet gelassen und die deutsche Verwaltung habe fick) ebenso verhalten. Auf Antrag der beiden Bischöfe seien nun ausdrücklich als Ersatz für die 1874 ausgewiesenen Redemptoristen in den Jahren 1880, 1888, 1800 und 1892 vier neue Männer- klöster genehmigt worden, deren Patres sich wie die Redemptoristen mit Aushilfe in der Seelsorge und mit innerem Missionsdienste befassen. Bei Prüfung der Bcdürfniß- frage sei es daher für ausreichend erachtet worden, daß von den drei beantragten Redemptoristenniederlassungen vorerst nur zwei die behördliche Genehmigung erhielten. Uebrigens seien die Redemptoristen nicht einmal im Stande, diese beiden Niederlassungen vollständig zu besetzen, da die meisten aus dem Elsaß stammenden Patres nicht mehr im Besitze der deutschen Reichsangehörigkeit seien. Gegen viese Entscheidung wurde aber von den Klerikalen ein Adressensturm inscenirt; die Geistlichkeit fast sämmtlicher elsässischen Cantone legte beim Bischof Protest ein und forderte ihn auf, energisch bei der Regierung vvrzugehen, um bei dieser den Willen des Klerus durchzusetzen. Infolge dessen sind denn auch in dieser An gelegenheit zwischen der elsaß-lothringischen Landesregierung und der bischöflichen Curie die Verhandlungen wieder augeknüpst worden und eö steht eine Lösung zu erwarten, die den Wünschen der Klerikalen entspricht. Ein solcher Ausgang würde daS Ansehen der Regierung in hohem Grade schädigen und wäre daher sehr bedauerlich. Diese würde damit zugeben, daß sie die Rlosterfrage entweder nicht genügend geprüft Habe, oder daß sie zu schwach sei, dem Drucke der klerikalen Partei zu widerstehen. Diese würde dadurch nur in der Ansicht bestärkt, sie brauche bloS die Lärmtrommet zu rühren, um bei der Regierung Alles durchzusetzen, und die schon jetzt nicht geringe Begehrlichkeit jener Partei würde ins Ungemesseue wachsen. Schon jetzt verlang! ein Organ des radikalen Klerikalismus ganz unverfroren, Staatösecretair v. Puttkamer solle ohne lange diplomatische Bedenken beschließen: „Die Redemptoristen können sich im Elsaß niederlassen, wo sie wollen, und in jeder beliebigen Zahl!" Bei dem Aufsehen, den der Fall des englischen Ministeriums gemacht hat, ist ein anderer Fall, der in ursächlichem Zu sammenhänge mit dem ersten steht, weniger beachtet worden, obgleich es sich um ein Mitglied des Königshauses handelt. Er betrifft den erzwungenen Rücktritt des Herzogs von Cam bridge, des Vetters der Königin. Der Herzog von Cam bridge, geboren am 26. März 1819. ist Oberbefehlshaber des englischen Heeres und schon seit geraumer Zeit bestand eine starke Agitation gegen den Herzog als Oberbefehlshaber. Das verflossene Ministerium Handel , w ^^ch aus NütztichkeitSgrunden. Deshalb ließ - leichter wissen, daß ihm d.e der werten würde und eS zedenst ll » . eiureichte. Armee wäre, wenn der Herzog ^ ^ es sich Der Herzog zögerte nicht einen Angenbl ^„handelte. kam L'lbm'peksÄ! Rücksicht ^ ^ Aracht Der und sah in dem Schreiben einen endgilNgen Gustchmv. gemeinen Soldaten, deren Wohl und ^ schirm aufspannt, sobald der erste Tropfen vom Himmel fallt. Am Ende ist das doch nur eine Aeußerl,chke,r wenn L,-Sache auch wahr ist. Als der Herzog nn Jahre 18o6 ,um Obei- befthlshader der britischen Armee ernannt wurde erklärte Lord Palmerston im Parlament, daß die Wahl Ihrer Majestät auf keinen Würdigeren batte fallen können. Jetzt erinnern die Zeitungen daran, der Herzog im Krimkriege höchst eigenartige strateg.fche Gedanken batte. Der Herzog war dafür, nn September 18o4 sofort Sebastopol anzugreifen. Damals hätte die Ostung mit einem Handstreich genommen werden können. Aber die französischen Generale waren dagegen und fo kam der Plan nicht zur Ausführung, obwohl daß Lord Raglan ihn billigte. DaS war nicht die einzige Probe von den, militairischrn Sckarfstnn des Herzogs. Hätte Lord Raglan dessen Rath befolgt und den Rücken deS britischen HeereS genügend verstärkt, so wäre es wahrscheinlich gar nicht zur Schlacht von Inkerman gekommen. Jedenfalls hat wahrend der 40 Jahre, da der Herzog von Cambridge den Ober befehl geführt hat, die britische Armee ungeheure Fortschritte zu verzeichnen. Der Kauf der Offirierstellen hat aufgehort, die kurze Dienstzeit ist eingeführt worden und die Verpflegung und die geistige Ausbildung deS gemeinen Soldaten sind kaum mit den früheren Zuständen zu vergleichen. Viel von den eingeführten Reformen kommt entschieden aus Rechnung des Herzogs. Seine strenge Unparteilichkeit bei der Besetzung der Ofsiciersstellen hat noch Niemand in Zweifel zu ziehen ge wagt. Das ist allerdings wahr, daß der Herzog seine eigenen Anschauungen über das Verhältniß der Armee zu König und Vaterland hatte. Der Herzog scheute sich niemals, offen auS- zusprechen, daß die Armee die Armee der Königin sei und das Parlament nur die Pflicht habe, die nöthigen Gelder zu bewilligen. DaS war allerdings eine Ketzerei nack dem Glaubenübekenntniß der modernen englischen Radikalen. — Es heißt, Feldmarschall Lord Roberts sei zum Oberbefehls haber der britischen Armee als Nachfolger des Herzogs auS- ersehen. Der Herzog von Connaught würde bann Generaladjutant werden. Die Kämpfe in der italienischen Teputirtenkammer werden mit einer Leidenschaftlichkeit fortgesetzt, welche den sicheren Schluß zuläßt, daß eS sich bei dem Feldzug der Umstuiz- elemente gegen Crispi um ein Mehreres und Größeres rändelt, als um die Befriedigung persönlicher Rache. Ein Mann von dem Charakter CriSpi's und in der Stellung Lrispi'S würde sich ja unter allen Umständen Feinde in Menge geschaffen haben: aber daß er seine Politik mit solchem Geschick und solchem Erfolge durch alle parlamentarischen Klippen und Untiefen hindurch steuert, daS ist es, was die Wuth seiner Widersacher aus den Gipfel steigert und sie zu immer erneuten Anstrengungen treibt. Die Cavallvtti nnv Genossen spielen in dieser Lage nur die bewußte oder un bewußte Rolle von Werkzeugen. Sie glauben sich Wunder welches Verdienst zu erwerben, wenn sie das schwerste Geschütz der Verleumdungen und Denunciationen gegen den leitenden Staatsmann ausfahreii, und merken in der Beschränktheit ihres Haffes nicht, daß ihre Machinationen weniger CriSpi, als die vitalen Interessen des italienischen Nationalstaates treffen. Andere Leute, obwohl dem Ministerpräsidenten persönlich ebenfalls nichts weniger als hold, sind scharfsichtiger als die Klopffechter der äußersten Linken. Rudini und überhaupt die gesammte gemäßigte konservative Opposition hat sich äugst von dein Kesseltreiben gegen Crispi zurückgezogen, und wenn sie auch nicht direct mit den Ministeriellen durch Dick und Dünn geht, hütet sie sich doch Wohl, den Schmutztachen zu nahe zu kommen, in denen die Cavallotli und Comp, behaglich umherplätschern. Das macht, weil die conservativen Politiker wissen, wer eigentlich hinter den Spectakelmachern der äußersten Linken steht: Leute, denen ein national geeinigtes, in seinen Entschließungen selbstständiges Italien ein Dorn im Auge, ein Pfahl im Fleische ist und die deshalb ans Umwegen am Sturze CriSpi'S arbeiten, weil sie sich sagen, daß, wen» Crispi einmal beseitigt ist, kein anderer Politiker daS Maß von Vertrauen am Hofe und von Autorität bei der öffem- lichen Meinung genießt, um die schwierige Aufgabe zu lösen, das richtige Verhältniß zwischen den materiellen Hilfsquellen und den aus der heutigen Machtstellung Italiens erwachsen den Anforderungen an den Staatssäckel herzustellen. In Crispi verkörpert sich das Princip der Conrinuität der politischen Entwickelung des Landes. Diese Continuität unterbrechen, wäre so viel als die salus publica in Frage stellen. Die Feinde des modernen Italien würden ja davei nur gewinnen können, aber der politische Instinkt der Kammermehrheit ist glücklicherweise hinreichend kräftig entwickelt, um die gestellte Falle noch rechtzeitig zu wittern und ihr aus dem Wege zu gehen. Die Festigkeit deS Verhältnisse« zwischen der Kammermehrheit und dem Ministerpräsidenten ist ein Product politischer Nothwendigkeit. Sie wird deshalb auch alle Stürme der Opposition über dauern, so lange Herr Crispi seine Leute scharf in Zaum und Zügel hält. Ist erst einmal die Finanz- und Steuerreform unter Dach und Fach gebracht, dann bleibt Crispi so wie so Herr der Lage, und dann dürften auch die geheimen Lenker der Opposition, daS Nutzlose ihres Treibens einsehend, ihre Hand von Cavallvtti und seiner Rotte abziehen. Die vielbesprochene russisch-französische Anleihe be findet sich heute noch in demselben Stadium wie vorder. Wie man aus Berlin meldet, fährt China fort, sich gegen eine Abmachung zu sträuben, die ihm die Verfügung über die Einnahmen aus den Seezöllen entziehen würde. Denn dieser wird es als Garantie für die weiteren Anleihen nicht entbehren können. Der Vorschlag Rußlands ist um so seltsamer, als die Garantie diese« Staates für die Pariser Anleihe eine Verpfändung der Seezölle eigentlich überflüssig macht. Dazu kommt noch, daß nach den nunmehr bekannt gewordenen Stipulationen deS FriedcnsvertrageS von Simonoseki China sich verpflichtet »r i» Haus Hardenberg. 17j Roman von Ernst von Waldow. Nachdruck Verbote». (Fortsetzung.) Zweites Buch. I. Weihnacht war nahe. Die junge Frau hatte sich ihr Heim nun recht gemüthtich eingerichtet und freute sich herzlich, als Onkel Dietrich sein Kommen ankündigte. Erst ein einziges Mal und flüchtig batte er sie auf der Durchreise besucht, und nun kehrte er, nach kurzem Aufenthalte in der Residenz, wieder nach Erbach zurück, trotz der Kälte und deS schlechten WetterS. Valeska zerbrach sich den Kopf darüber, waS wohl den Onkel angewandelt habe, auf die alten Tage noch Neigungen und Lebensgewohnheiten zu ändern. Warum vergrub er sich in dem Iagdschlößchen und sprach von Ankäufen, Besitzerweiterungen, studirte landwirthschaftliche Schriften, redete von Dampfpflügen, Dreschmaschinen, vom MaiSbau und Merinoschafen wie ein richtiger Landjunker, und schien mit einem Wort ein passionirter Landwirth zu sein. Geldsachen interessirten ValeSka zu wenig, sonst würde sie doch darüber nachgesonnen baden: woher Onkel Dietrich das beidenmäßia viele Geld hernähmr, seine Pläne zur Ausführung zu bringen? Jedenfalls mußte er größeres Vermögen besitzen, als er sich je hatte merken lassen, und die Leute, welche den Hauptmann Dietrich Erbach einen Geizhals genannt, behielten Recht. Nun, das ging sie nicktS an, und bei Siegfried mochte es immerhin eine gebotene Vorsicht sein; sie mochte nichts von Onkel Dietrich'- Erbe, von seinen geheimen Schätzen haben, brauchte dieselben auch glücklicherweise nicht. Sehr hübsch war es m ihrem Wobngemache nun, und selbst Hardenberg batte ihr zugestehcn müssen, daß der Raum gut benutzt und geschmackvoll eingerichtet sei. Statt der düsteren dunkelrothen Sammettapete schmückte bunter Creton di« Wände, zwischen Blumengerank und kunstvollen Arabesken saßen farben- Ichillernde Schmetterlinge und allerlei gefiedertes Volk. Bequeme Sessel, eine Ruhebank, weich gepolstert und mit dem gleichen Stoff bezogen, waren so verthrilt, daß sie wirklich zur Bequemlichkeit dienten, nicht aber im Wege umherstanden. Hohe Bücherschränke mit einer Sammlung erlesener Werke, Arbeitstische mit angefangene» Stickereien, ein werthvolleS Pianino und ein Schreibtisch, das waren die hauptsächlichsten Möbelstücke, von denen jedes eine Bestimmung hatte, es war nichts in diesem Frauengemache, das an die — wenn ich mich so ausdrücken darf — traditionelle Zimmereinrichtung gemahnt hätte. Dabei gaben die weißen Spitzenvorhänge die hohen Spiegel, ein paar gute Gemälde und selbst der hellgrundige Teppich mit seinem Blumenmuster, der über den Boden ausgespannt war, dem Ganzen ein frenndliches und elegantes Aussehen. Hier empfing Valeska ihre Freunde — wie sie sagte. Ihr erster und liebster Gast war natürlich Onkel Dietrich. Es gefiel ihm sehr hier, denn dem Herrenbesnch war sogar eine Cigarre gestattet, auf die Gefahr hin, die seinen Spitzen der Vorhänge um ihr untadelhafteS Weiß zu bringen. „Du bist wirklich eine sehr vernünftige kleine Frau geworben", meinte anerkennend der Hauptmann, „sieh da, sogar ein Tischchen mit vollständigem Apparat für.mancher — wahrhaftig, Contrebande in einem Damenzimmer." „WaS will ich tbun", erwiderte achselzuckend die junge Frau, „um meinen Mann hier einzugewvhnen, muß ich mir daS Rauchen schon gefallen lassen, denn er kann gar nicht ohne Cigarren existiren." „Uebermaß im Rauchen schädigt die Gesundheit, Du mußt ihm daS abgewöhnen." „Ich — ach, da überschätzest Du meinen Einfluß auf Hardenberg." Dietrich Erbach warf einen prüfenden Blick auf seine Nichte, dann kaute er nachdenklich an den Fingernägeln und sagte endlich: „Verzeihe Valeska, wenn ich die Bemerkung nicht unterdrücken kan», daß eS Deine Schuld ist, wenn Du ohne Einfluß bist; dann hast Du Deinen Mann einfach nicht zu nehmen verstanden." „Kann sein — die Verhältnisse sind eben schwierige" — gab sie ziemlich gedrückt zur Antwort. „Eine Stellung, sei es welche immer, muß man sich er- streiten, durch Klugheit, selbst durch rin wenig Berechnung und mit großer Energie." „Vielleicht fehlt mir diese." „Du wärst die erste Erbacb, der es an Willenskraft gebräche, in den Frauen unseres Geschlechtes lag eher «in männlicher Zug, etwa« Heldenhaftes." „Ja, da« war damals — in der Blüthrzeit der Romantik Wenn sie aber jetzt, wie ich z. B., sich gegen daS Uebelwollen klatschsüchtiger und neidischer Frau Basen wehren sollten oder die Aufgabe hätten, Kaltsein in herzliche Zuneigung zu wandeln, würde ihr kriegerischer Sinn sich bald beugen. Stecknadel stiche sind zuweilen schwerer zu ertragen als Keulenschläge, und ich bin oft müde — so müde, Du glaubst eS gar nicht, Onkel Dietrich." ValeSka saß ein wenig vorgebeugt auf dem kleinen Fauteuil und stützte das schöne blonde Haupt mit der Hand, den Ellen bogen hatte sie auf Las Knie gestemmt. Sie sah wirklich abgespannt und etwa- blaß auS. Der Hauptmann blickte theilnehmend zu ihr hinüber, während er sortfuhr: „Es gehört Zeit dazu, besonder- in einer Mittelstadt wie Breslau, wo Jeder und Jede den Andern kennt von Kindes beinen an, sich Freunde ru erwerben. Denn vergiß nicht, daß Du den Leuten eine Fremde bist. Den Platz in ihrer Mitte hat Dir Deine Heirath verschafft, ihr Wohlwollen, ihre Neigung mußt Du Dir erst erwerben." „Das wird schwer sein." „Nicht doch. Mit den Jahren findet sich daS. Wenn sie Dick erst genau kennen, werden sie Dich auch schätzen lernen. Wichtiger ist Dem Verhältniß zu den Töchtern Deine- Gatten, wie steht «S damit?" „O. ich möchte ihnen gern etwa« sein, fürchte jedoch, daß sie ,n mir immer nur die Stiefmutter sehen, und das ist solch rin verhaßter Name." „Sind die Mädchen gutartig?" „Ich glaube es mindestens." „Nun, dann könntest Du doch aus sie wirken, sie Dir geneigt machen, ich halte daS für das Wichtigste." „Wenn nur der schlimme Einfluß nicht wäre", seufrte ^?/°'nimde. ^iche mich immer an dw schlimme Alte ,m Pfeff-rkuch-nbäuSchcn erinnert, zu Win?Än sich °"'rrten. haßt mich, Aurelie Winterfeld desgleichen, und diese ist nur fast noch mehr zuwider. Dann ist noch eine Dritte im Bunde, zwar nur e,n« Dienerin, aber „ne Person, die viel im Hause gilt, durch 'o" sich.auch gewisse Anerkennung er- Le'd'r'st e« di. Kinderfrau und Pflegerin meiner Stieftochter und ist mir schon darum feindlich gesinnt, weil sie die verstorbene Frau Hardenberg, ihr« frühere Herrin, der st« hierher folgt«, spöttisch geliebt hat. Ich habe öfter die alte Friederike zumal auf die kleine Auguste die ,ch ihrem Einflüsse nicht zu entziehen vermag, ungünstig einwirkt. Anfangs versuchte ich die Kleine zu mir herüber- zuziehen, mir ihr Herz zu erobern, aber das Vorurtheil gegen die Stiefmutter scheint so festgewurzelt zu sein, daß selbst meine Beweise von Zuneigung mit Mißtrauen ausgenommen wurden, und da ließ ich eS gehen, wie es gehen wollte, es ist ja eben nicht- vollkommen in dieser Welt." Der Hauptmann schüttelte mißbilligend den Kopf, er hätte wohl noch Einwendungen gehabt und gern der Nichte einige Praktische Rathschläge ertheilt, aber eS war nicht seine Art. sich gar zu eingehend in Anderer Thun und Denken einzu- »lischen, es mußte eben Jeder selbst sehen, wie er mit seiner Lebensaufgabe fertig wurde, und schließlich kann man Niemand eine andere Natur aufdisputiren. DaS Beisammensein von Onkel und Nichte wurde auch gestört, denn der Hausherr trat ein, um seine Frau zu Tische zu führen. Hardenberg war aufrichtig erfreut über den Besuch Onkel Dietrich s, zu dem er sich schon damals in Berlin hingezogen gefüblt batte. Seine Achtung steigerte sich noch vor dem tüchtigen Wesen des ManneS, als er sah, wie emsig er das ihm anvertraute Gut verwaltete und zu mehren suchte. Das war kein müßiger Aristokrat, der Arbeit für eine Schande hält und sich deSyalb nur für die „noblen Passionen" interessirt, und wenn manche Ansichten des früheren Husaren officierS auch als veraltet gelten konnten, im Grunde war er doch rin Kind seiner Zeit, klar und nüchtern, denkend und vernünftig handelnd. Nachdem Hardenberg den Gast herzlich begrüßt, den er am Morgen nur flüchtig hatte sehen können, sprach er, zu Valeska gewendet: „Du hast ganz vergessen, Kind, daß Du Deinen getreuen Ritter zu Tische geladen. Lieutenant Saalfelvt sitzt schon seit einer Viertelstunde im Rauchzimmer, in blauen Dampf gehüllt. Ich habe ihn zu den Kindern in den Speisesaal geschickt, da mag er sich einstweilen mit Gustchen und Renate unterhalten " „Ich bin gleich bereit", ries BaleSka aufspringend und eilte in ihr Toilettenziniiner, „entschuldigt mich für einen Augen blick. In Wirklichkeit hatte ich den guten Saalfeldt ganz vergessen, er hätte sich ja aber anmelden lassen und un- hier aufsuchrn können." „Jedenfalls hat er nicht stören wollen, nachdem er ver nommen, daß Du so lieben und seltenen Bestick hast." Valeska hatte nicht gelogen, sie kehrte sehr schnell zurück, nachdem si: ihr Haar flüchtig geordnet und ein goldgesticktes
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