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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.07.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-07-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950705027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895070502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895070502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-07
- Tag1895-07-05
- Monat1895-07
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Die mehrfach in der Presse aufgestellte Behauptung, der Kaiser-Wilhelm-Canal sei nicht tief genug für die größten deutschen Kriegsschiffe, hat die „Deutsche Warte" veranlaßt, sich mit einer Bitte um Auskunft an diejenige Persönlichkeit im ReichSamt deS Innern zu wenden, die „allein eine authentische Auskunft hierüber zu geben in der Lage ist und der aus Anlaß der Eröffnung des Nord- Ostsee-Canals ganz besondere Auszeichnungen zu Tbeil geworden sind". DaS Blatt will dort folgende Auskunft erhalten haben: „Der Nord-Ostsee-Canal ist durchweg 9 m tief gebaut und für alle Schiffe der Welt passirbar. Nur bei der Schiffs brücke zu Grünenthal, wo vor 2 Jahren ein Erdrutsch statt gefunden hat, ist die Tiefe des Canals bis jetzt erst wieder auf 8 m gebracht. Erdrutschungen sind aber bei Canälen wie bei den Eisenbahndämmen etwas ganz Unvermeidliches und kommen im Suez-Canal sehr häufig vor. In Voraussicht dieser Möglich keit hat die Regierung denn auch einen so großen Etat für dauernde Bagger-Arbeiten ausgesetzt. Hiermit ist die Antwort auf die bereits öffentlich aufgeworfene Frage gegeben, warum die großen Panzer 1. Classe unserer Flotte den Canal noch nickt passirt haben. Obwohl die Tiefe des Canals bereits für alle Schiffe ausreicht, so hat man doch mit Rücksicht auf die noch nicht dis auf 9 m Tiefe gebrachten Arbeiten bei Grünenthal dieselben vorläufig nicht passircn lassen. Dafür, daß mehrere Kriegsschiffe bei der Durchfahrt auf gelaufen sind, giebt es nur einen Grund: die mangelhafte Steuer- sähigkeit der großen Schiffe bei verminderter Geschwindigkeit. Die Tiefe deS Canals kain in allen Fällen gar nicht in Frage, sondern allenfalls die bisher nicht genügende Vertrautheit der Lootsen mit dem Fahrwasser. Es liegt also hier nicht eine Kinderkrankheit des Canals, sondern der Schifffahrt vor. Tenn selbst die Curven, die ursprünglich mit 750 m Spannung gebaut werden sollten, haben thatsächlich eine Spannung von 1000 m erhalten, so daß die allergrößten Meerschisse den Canal ohne Gefahr passiren können, ihn auch bereits passirt haben. Der „Kaiser Wilhelm", an dessen Bord wir uns selbst befanden, hat nicht, wie fälschlich behauptet wird, mehrere Stunde», sondern nur drei viertel Stunden festgeseffen. Dieses Schiff fuhr in einer Curve direct auf die Böschung zu und blieb 30 Meter vom Fahrwasser entfernt stecken, nur weil das Steuer versagte; lediglich aus dem- selben Grunde sind auch andere Schiffe aufgelaufen. Im Suez- Canal kommen derartige Fälle toto ckio vor und Niemand wundert sich darüber. Es ist traurig, zu sehen, wie die deutsche Presse (?) das große nationale Werk — wir dürfen es bei aller Demnth so nennen, und demüthig sollen wir ja immer sein — jetzt auf alle Art iu den Aug«il des Volkes zu ver- steinern bemüht ist. Das sollte man doch dem Ausland überlaffen! Wenn man uns ins Gesicht behauptet, der Nord-Ostsee-Canal sei unvollendet und unzulänglich der Lefientlichkeit übergeben worden, so haben wir darauf nur die eine Antwort: daß Seine Majestät uns und alle verantwortlichen Mitarbeiter am Canal nach Spandau hätte schicken müssen." Die obigen thatsächlichen Angaben klingen durchaus glaub lich; aber warum erfolgt in einem Falle von solcher Be deutung die Richtigstellung nicht alsbald im „Reichs anzeiger"? Wäre in diesem beim ersten Auftreten der Be hauptung, deren Widerlegung die „D. Warte" erst hat herauö- pressen muffen, eine Klarstellung erfolgt, so wäre es jetzt nicht nöthig, über die Verbreitung jener Behauptung zu jammern. Die freisinnige Presse oerräth bei der Beurtheilung ausländischer Verhältnisse einen bon sen», den sie in innerpolitischen Fragen zu benutzen sich hartnäckig weigert. So finden wir in der „Vossischen Zeitung" eine sehr ver ständige Erörterung über die Ursachen deS Rückgangs des Außenhandels Frankreichs. Dem französischen Handels minister Lebra, der dieser Tage sich über den Gegenstand ausgelassen und an zweiter Stelle die theurrn Preise als einen Grund der geminderten Concurrenzfähigkeit seines Landes angeführt hat, erwidert das Blatt, diefer Grund sei thatsächlich der erste und einzige. Man wisse dies auch schon lange in Frankreich, habe sich aber dort seiest mit der Ausrede getäuscht: „Wenn untere Gewerbeerzeugniffe theurer sind als die der anderen Völker, so ist es einfach, weil sie besser sind. Wir arbeiten nicht billig und schlecht." Dazu bemerkt die „Vossische Zeitung" : „Das ist heute eitel Flunkerei. Die deutschen und englischen Maaren sind jetzt ebenso schön und ebenso gut wie die französischen, und sie sind trotzdem weit billiger, oft um die Hälfte. Da ist für Frankreich ein Wettbewerb nicht länger möglich, Frankreich kann einfach nicht so billig arbeiten, wie seine Nachbarn. Es trägt zu schwere staatliche und private Lasten. Es hat jährlich 4000 Millionen für seine öffentlichen Bedürfnisse aufzubrinaen, daS heißt über 105 Fr. für jeden Kopf, während der Engländer fast genau die Hälfte, der Deutsche etwas mehr als die Hälfte zahlt." Die Summe stimmt nicht ganz, aber annähernd. Was den französischen öffentlichen Aufwand so unverhältnißmäßig hoch im Vergleich zu anderen Staaten steigert, ist die enorme Staatsschuld. DaS sagt die „Voss. Ztg.", aber sie vergißt hier zuzufügen, daß die 30 Milliarden betragenden staatlichen Verpflichtungen gut zur Hälfte durch den Krieg von 1870/71 erwachsen sind. Diese kolossale Belastung erweist die Richtigkeit des Satzes, daß ein den Wehrverhältniffen der Nachbarstaaten ent sprechendes Heeresbudget eine volkSwirthschaftliche Nothwendigkeit ersten Ranges ist, ein Satz, dem die freisinnige Presse jedeSmal die Giltigkeit abgesprochen hat, wenn es galt, die deutsche Kriegsmacht auf der Höhe der französischen zu erhalten. Der „Diplomat" des Pariser „Figaro", Whist, warnt seine Landsleute vor dem Wahne, das Einvernehmen zwischen Frankreich und Rußland sei hauptsächlich zu dem Zwecke eines Offensivkrieges gegen Deutschland zu Stande gekommen. DaS giebt er freilich zu, daß, wenn Deutschland eines Tages mit äußeren Schwierigkeiten zu kämpfen hätte, die eS der Handlungsfreiheit beraubten, keine menschliche und göttliche Macht Frankreich verhindern könnte, den Frank furter Vertrag zerreißen zu wollen. Darüber ist kein ver ständiger Politiker in Deutschland je im Zweifel gewesen; die Franzosen verhalten sich genau wie die Socialdemokratie: sie warten so lange, bis sie stark genug und die Umstände ihnen günstig sind, dann fallen sie über unS her. Die Auf gabe der deutschen Politik kann also Frankreich wie der Socialdemokratie gegenüber nur darin bestehen, zu verhüten, daß Macht und Umstände die beiden zum erfolgreichen Vor stoß ermuthigen können. Herr Whist fährt fort: . . . Frankreich müsse hinter den Grenzen leben, die der Frank furter Friede ihm gesteckt habe. Rußland wäre ebensowenig darauf eingegangen, Frankreich zu helfen, Elsaß-Lothringen zurückzuholen, als Frankreich auf eine Zumuthung Rußlands, die Waffen behufs Aufhebung deS Berliner Vertrages zu ergreifen. Für die Gegen wart gelte also der heutige Status guo in Europa als Basis des Uebereinkommens. Whist letzt aber voraus, daß Deutschland durch die Vermittelung Rußlands in dem Colonialreich, das Frankreich in den letzten Jahren erweitert hat, seinem Einfluß förderlich sein könnte, und sucht Bedenken über diesen Punct zu beschwichtigen. Nur keine Ausschließlichkeit oder Einseitigkeit! räth er. Frankreich muß seine Stellung in Europa wiedergewinnen, muß sie, führt er aus, in Asien und Afrika verstärken und darf keine Mitwirkung verschmähen. Er spottet über die Kannegießer im Palais Bourbon und anderwärts, welche, sobald nur davon die Rede ist, mit Deutschland gütlich auszukommen oder durch Zusammengehm mit «n ^ mh- zu erringen, wie unlängst im äuß „„>> gch nicht darüber weichung" der französischenPolillklammemudi H^,pptau trösten können, daß Frankreich sich von Nup.a^ ^ «leiden, nehmen lasse, um Drmuthlgungrn Auffaffunqen d-s H--N, «hist wir, h-m-rl-n, h>rnu C°°P°-°-i°" seinen Ansichten in Bezug auf. England nur S»n,--ich- .Sh, >°°"" zustimmen. Im Uebrigen aorr »»»« . Vertrag zu Rußland Frankreich aufforderte, „ würde die Hand (Är-nn. d'r! «»>r-ch>h-«un» «.« .---HMlch-» U doch mehr in der verständigen Pol.t.k Rußlands als ,n Enthaltsamkeit Frankreichs. Ein Telegramm aus Cbristiania hat den Emtrltt emer Spaltung in der norwegischen radicalen i-'nken g-meldel indem 4 Mitglieder sich für. d,e B-w.ll,gung d-s Bud z erklärt und dadurch die kleine radikale Majorita m v,e Minorität gebracht haben Trotzdem 'st d'e S,tuat,°n noch immer verworren und schwankend. Nachdem suche, ein neues Cabinet, und zwar em Coal.t.on^ Ministerium, zu bilden, gescheitert waren, blieb nichts übrig als das interimistische We.terverble.ben de« M.n^ steriumS Stang, daS schon am 31. Januar dieses Jahres sein Rücktrittsgesuch eingereicht ^atte. DaS Ministerium hat jedoch aus diesem Anlaß die Erklärung abgegeben, daß es ohne besonderes Mandat deS StorthingS durchaus nicht gesonnen sei, die in der bekannten Tagesordnung ,n nahe Aussicht gestellten Unterhandlungen mit Schweden behufs Lösung der schwebenden Streiffragen einzuleiten. Ferner sei die Regierung zu sofortigem Rücktritt entschlossen, falls das Storthing sich weigern sollte, das aus wärtige Budget ohne einschränkende Bedingungen zu be- willigen. Die Wirkung dieser Drohung ist m dem Umfalle jener vier Linkenmitglieder zu erkennen. Trotzdem ist die Regierungspartei bisher nicht geneigt, gewisse Vorbehalte in diesem Puncte fallen zu lassen. Sie will »anll'ch fordern, daß die Besetzung der schwedisch-norwegischen Gesandtschaften in Wien und Constantinvpel in Zukunft nur aus Grund besonderer Storthingbeschlüffe zu erfolgen habe und daß sämmtliche anderen Gesandtschaften bei eintretender Vacanz nur provisorisch besetzt werden sollen. Des Ferneren sollen dem Ministerium des Aeußeren die Mittel „für geheime Ausgaben" nur unter der Voraussetzung bewilligt werden, daß einem Mitglied- der norwegischen Regie rung Gelegenheit gegeben wird, die Verwendung dieser Mittel näher kennen zu lernen. WaS das Budget für daS Consulatswesen betrifft, so befürwortet die StorthingS- mehrheit die Bewilligung desselben, da Norwegen das gemein- schaftliche Consulatwesen nicht gekündigt hat. ES wird jedoch daran die Bedingung geknüpft, daß die ConsulatSposten mit fixem Gehalt, welche gegenwärtig vacant sind oder späterhin vacant werden, nur aus Grund von Storthingbeschlüffen besetzt werden sollen. Wie man sieht, ist die von der Re gierung verlangte bedingungslose Bewilligung deS aus wärtigen Budgets kaum zu erwarten. Man hofft jedoch in Storthingkreisen, daß daS Cabinet trotzdem seine Drohung nicht verwirklichen, sondern vielmehr nach der Annahme des mehrerwähnten Budgets sein EntlassungSgrsuch zurück ziehen werde. Die seit geraumer Zeit vorausgesehene Ministerkrise in Gerbten ist drei Tage vor dem Zusammentritt der Skupschtina zum Ausbruche gekommen. Das Ministerium Christitsch hat seine Demission überreicht. Die Ursache der Krise ist bekannt; eS handelt sich um daS Karlsbader Finanz-Arrangement und dessen Chancen in der Skupsch tina welche ausschließlich seinetwegen einberufen ist. Die' Fortschrittspartei, welche in der Skupschtina die meisten Stimmen zählt, trägt Bedenken, die Verant wortung für daS Finanz-Arrangement zu übernehmen. Es kommen nun für die Lösung der Krise drei Combinationen in Betracht; die meiste Aussicht hat ein CoalitionS-Ministeriuiu Simitsch, falls ein Zusammengehen zwischen den Radicalen und der Fortschrittspartei zu ermöglichen wäre, und eS ist Fortschrittspartei in der Skupschtina Heerfolge geleistet hatte. Ganz zuletzt kam die Eventualität eines radicalen Miuisteriums Pasitsch, zu dessen Zustandekommen die Radicalen gern die Hand unter der Bedingung der sofortigen Auflösung der der Skupschtina geboten haben. Von den Liberalen war überhaupt keine Rede. Den springenden Punct der kritischen Situation bildet also das KarlsbaderFinanz-Arrangement. Das Ministerium Simitsch wird dasFinanzarraiigement nü acta legen und den Versuch mit kleinen finanziellen VerlegenbeitSmitteln machen. Ein fortschrittliches Ministerium Novakowitsch hätte dagegen, wie wenigstens auS den Aeußernnaen deS fortschritt lichen Organs „Bidelo" zu schließen ist, das Finanz- Arrangement durch die Skupschtina hindurchzudrücken ver sucht. DaS Ministerium Christitsch bestand, wiebekannt,seit dem 27. October 1894. Herr Georg Simitsch, der mit der Bildung eine« .Coalitions - CabinctS betraute Gesandte Serbiens in Wien, hat bereits früher den Versuch gemacht, an der Spitze eines CoalitionS-MinisteriumS zu regieren, aber dieser Versuch scheiterte schon nach wenigen Wochen. Zwischen Simitsch und Christitsch lagen die Ministerien Nico- lajewitsch und Avakumowitsch. Die Verworrenheit der serbischen Parteiverhältniffe kommt von Neuem grell zur Erscheinung. Ob eS dem jungen Könige, der eifrig mit allen Parteiführern conferirt, gelingen wird, den richtigen Ausweg z» finden, ist abzuwarten. Für morgen ist die Skupschtina einberufen. Deutsche- Reich. Berlin, 4. Juli. Gegen den Redakteur des „Vor wärts" I. Dierl» der vor Kurzem wegen Verächtlich machung von Heereseinrichtungen verurtheilt worden, schweben noch verschiedene Anklagen, darunter eine wegen MajestätS- beleivigung. Diese ist darauf zurückzuführen, daß der „Vor wärts" in einem der „Leipz. Volksztg." entnommenen Ge richtsreferat den Wortlaut der Beleidigung, die zur Ver- urtheilung geführt, wiederholt hatte. Ferner schweben gegen Dierl mehrere Beamten-Beleivigungs- und Privatklagen. Letztere sind vom Rechtsanwalt vr. Hans Blum und vom Schriftsteller Theodor Reuß angestrengt worden. Endlich hat sich Dierl noch wegen Verrufsertlarung zu verantworten. * Berlin, 4. Juli. Bei Berathung der Interpellation deS Abgeordneten vr. Sattler hat der Justizminister erklärt, daß nach der geltenden Strafproceßordnung der Staats anwaltschaft ein Rücktritt von der Anklage nicht gestattet sei. Dieser allgemein gehaltene Ausspruch kann leicht zu Mißverständnissen führen. Allerdings kann der Staatsanwalt von der Anklage, wenn sie bereits den Gegen- FauNlet-ir. Haus Hardenberg. 25j Roman von Ernst von Waldow. Nachdruck vtkdotcn. (Fortsetzung.) Aber ValeSka blickte nicht zu ihr hinüber, wie sie doch sicherlich gethan haben würde, wenn es sich um sie und Viktor gehandelt hätte. Das ließ sie etwas erleichterter aufathmen, doch wurde sie wieder unruhiger, als die Stiefmutter sich bei Aurelie entschuldigte und das Gemach verließ. „Ja — was war das?" — auch sie hätte es gern gewußt. Ob man nachschleichen, etwas von dem Gespräche zu er lauschen suchen sollte, daS Luise jetzt sicherlich mit der alten Frau haben würde, die den Brief gebracht. Nein, daS ging doch nicht an, Anstands wegen. „Friederike wird wohl etwas erfahren", meinte jetzt Renate leise, „daS Ganze war allerdings auffällig." „DaS will ich meinen." Aurelie lehnte sich in ihren Sessel zurück. Sie hatte auf einmal gar keine Eile, in das Orchesterconcert zu gehen, und auch Frau Reinsberg war völlig von ihr vergessen worden. „Du könntest doch einmal nach Deiner Stiefmutter sehen, Renate", meinte sie dann nach einer Pause, „sie sab so blaß au«, vielleicht ist sie unwohl, die empfangene Nachricht schien sie sehr alterirt zu haben." „Wenn Du glaubst, Tante." DaS junge Mädchen entfernte sich zögernd, kam aber bald mit der Meldung zurück, daß die Stiefmutter Luise auf getragen habe, einen Wagen holen zu lassen und sich in ihrem Toilettenzimmer befände. „Nun, daS wird immer besser", rief Frau Aurelie, sich lebhaft erhebend, „zuerst lehnte sie eS ganz entschieden ab, mit mir in daS Concert zu fahren, weil sie nicht in der Stimmung ist, und jetzt fährt sie au- — am Abend — allein, da ihr Mann von Hans« abwesend ist. Sehr ungenirt, in der Thatl Da- sind großstädtische Manieren!" Die alte Friederike kam — natürlich nur ganz zufällig — in daS Gemach, um Gustchen abzuholen und zu Bette zu bringen, wovon die Kleine, wie gewöhnlich, nichts wissen wollte. Aber die Alte bestand auf ibrem Willen, die gute Haus ordnung sollte mindestens, wo sie noch etwas zu sagen hatte, nicht gestört werden, es ginge ja ohnehin hier drunter und drüber. „Nun, so schlimm wird eS doch hoffentlich nicht sein, wie Du eS machst", meinte Aurelie. „Hm — das ist Ansichtssache. Ich denke wenigstens, meine liebe Frau Winterfeld, daß es keine Art bat, wenn die Hausfrau, sobald der Herr verreist ist, ihre Wege geht. Und absonderlich müssen die wohl sein, daß sie sich nicht ein mal die Zeit genommen hat, ein Straßenkleid anzulegen, sondern den Pelz über den Schlafrock gezogen hat, mit einem so dichten Schierer vor dem Gesicht, daß sie aussah wie eine Maske. Tante und Nichte warfen sich erstaunte Blicke zu. „Ja", fuhr Friederike fort, was wahr ist, bleibt wahr, und ich habe nie Jemand was Böse« nachgeredet, selbst meinen Feinden nicht, aber wenn ich auch nur eine arme, alte Person bin und keine Bildung besitze, so weiß ich doch so viel, daß sich so etwas nicht schickt, und meine liebe, selige Frau hatte sich's nicht einfallen lassen, Abends spät allem in solcher Maskerade Haus zu verlassen, zumal wenn der Herr verreist war. Da war noch Zucht, Sitte und Ordnung im Hause, da kamen keine windigen Herren Lieute nants zum Speisen, da gab'- keine Cavalcaden und Bälle und WaS weiß ich." „O, Onkel Viktor habe ich lieb, er ist so amüsant und spielt immer mit mir", mischte sich Gustchen rin, die auf merksam zuaehört hatte. Frau Winterfell» blickte Friederike an und legte den Finger an die Lippen, dann sprach sie seufzend: „Gott besser'«. Aber jetzt muß ich doch fori, obwohl mir die Lust an dem Concert vergangen ist." vm. ValeSka hatte indessen da- Ziel ihrer Fahrt erreicht. Der Wagen hielt vor dem bescheidenen Gasthause und der Kutscher sprang vom Bock, in der Hoffnung auf ein reichliches Trinkgeld zuvorkommend den Schlag öffnend. Die junge Frau warf ihm auch einige Silbermünzen zu, schüttelte aber auf die Frage, ob er ffe hier erwarten solle, verneinend da- Haupt. Als sie den matt erleuchteten Flur des Hause- betrat, er blickte sie den Bruder, welcher auf der obersten Stufe der Treppe stand, die in den ersten Stock führte. Hastig eilte sie hinauf, er zog sie in sein Gemach, dessen Thür er offen gelaffen, als er ihr entgegengeeilt war. Wortlos umarmten sich die Geschwister. Dann entfernte Siegfried leise den verhüllenden Schleier von dem schönen Antlitz der Schwester und sagte seufzend: ich Dich so erschreckt habe — aber es mußte leider sein!" „Erzähle mir Alles!" „Komm, setze Dich her, wir sind ganz ungestört, denn i glaube kaum, daß noch andere Gäste im Hause sind." ValeSka setzte sich auf da« hartgepolsterte Kanapee de, Bruder gegenüber nieder. In einer Viertelstunde wußte sie Alle-. Sie hatte die Erzählung weder durch eine Frage no durch einen Ausruf unterbrochen, jetzt stöhnte sie leise a, die Augen mit der Hand, ein kalter Schau, schüttelte,hre Glieder. ^ «A? Bruder, der schöne, stolze Ofsicier, auf der Fluch des Mordes verdächtig! ' v ^ Würde er eS überleben, den Verlust alles Dessen e tragen, tvaT ihm daö Leben lieb und de- Erstreben- wer gemacht? Da- Mädchen, welche- er schon als seine Braut betracht, verloren für immer, seine Carriöre ruinirt, mit einem Fleck, «e,n ein Erbach durfte das blan Ehrensch.ld nicht durch einen Hauch trüben, bier war nic Klagen und müßigen Träumen. ValeSka richt« sich auf und sagte ruhigen Tone«: ^ ^icr ist daS Geld, bezahle die Ehrenschuld" . Siegfried nahm da« Päckchen, da- sie ihm reichte, eS w m seidene- Taschentuch gewickelt. klugen blitzte e- wie neuer LebenSmuth. ihm"ab "E auf, als fiele eine Centnerlast v, ^Dank — Dank, Schwester!" Sie drückte krampfhaft die ihr gereichte Hand. ^0 Thaler, leider bleibt Dir nicht viel f L' S'. grvß Er senkte den Blick und fragte leise: „Aber hat es Dich auch kein Opfer gekostet, mir da- Geld zu geben?" „DaS ist Nebensache. Wann wirst Du «S absenden." „Von hier aus ist es zu spät, denn zu so vorgerückter Stunde wird die Post keine Geldsendungen mehr annehnien. Aber ich werde mich auf den, Centralbahnbofe erkundigen, ob ich das Geld nicht telegraphisch anweisen kann und sollte dies Schwierigkeiten machen, was ich nicht glaube, dann kann ich es in Myslowitz — der Grenzstation — aufacben." „Versuche es beim Telegrapheuamt — ich habe nicht eher Ruhe, Siegfried, bis dieses unselige Geld fort und Dein Ehrenschein >n Soltendorff s Händen ist." „Du hast Recht, ValeSka, mir ist, als hätte ich erst wieder festen Boden unter den Füßen. Das war eine ent setzliche Fahrt — so müßig angeschmiedet auf seinen, Platze sitzen, mit den Gedanken ,m Hirn, die sich jagen und treiben und zusammenwirbeln — o, sich dachte zuweilen, ich würbe wahnsinnig — so matt ich war, kam doch kein Schlaf in meine Augen." „In dieser Nacht wirst Du Ruhe finden. Fasse Mutb, es kann ja Alles noch gut werden." Siegfried schüttelte leicht das Haupt, um seine Lippen zuckte eS — er dachte an Wilhelmine. Auch ValeSka'« Gedanken flogen in die Vergangenheit zurück, aber sie sah Clotilde's bleiches Gesicht mit den funkelnden Augen, dem trotzig aufgeworfenen Munde, wie sie die verlassene Geliebte des Bruders zuletzt erblickt: gab es doch eine Strafe für die moralische Schuld, welche die Welt belächelt? „Wir muffen uns trennen", sprach sie dann mit der früheren Energie, „obwohl wir uns noch so viel, so viel zu sagen hätten, doch daS kann vorläufig Alle- schriftlich ab gemacht werden." Wie sie so nebeneinander standen, diese beiden schönen, schlanken Gestalten, mit den edel geschnittenen, blaffen Ge sichtern, den traurigen Augen, da trat die Sehnlichkeit zwischen Beiden recht auffällig zu Tage. Siegfried blickte der Schwester liebevoll, warm in'S Auge, ihr Werth war ihm erst heute recht bewußt geworden. Sie war doch eine Erbach geblieben, trotz ihrer freiwilligen Dienst barkeit, txotz der bürgerlichen Heirath. Dabei fiel ihm Hardtnbera ein. „Und Dein Mann?" fragte er gedehnt. „Sr ist verreist."
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