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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.07.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-07-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950726021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895072602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895072602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-07
- Tag1895-07-26
- Monat1895-07
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Größere Schriften laut unserem Preis verzeichnis). Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. 6rtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderimg -6 KO.—, mit Postbesörderung 70.-". Annahmeschluß sür Anzeigen: (nur Wochentags) Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde srüher. Anzeigen sind stets an die Expediti«» zu richten. Druck und Berlag von E. Polz in Leipzig. ^- 359. Freitag den 26. Juli 1895. 89. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig. 26. Juli. Nach jeder Stichwahl zum Reichstage begegnet man in der Presse nicht nur Vorwürfen der Parteien gegen einander, sondern auch Klagen über das ganze heutige Partei- wcsc». Daß diese Klagen nicht unberechtigt sind, crgiebt sich schon daraus, daß in ruinier häufiger werdenden Fällen bei der Stimmabgabe der FractionShaß und das einseitige Fractions-Interesse den Ansschlag geben und die Rücksicht ans die großen nationalen Interessen zurückdrängen. Daraus ergiebt sich aber nur, daß unser Fractionswesen einer Re form bedarf, nicht aber, daß es überhaupt vom Uebel sei, sich überlebt babe und einer vollständigen Neubildung bedürfe. Gleichwohl wird dasLetztere immer wieder behauptet unv dadurch der unseligen Zerspaltung in kleine Gruppen und Grüppchen, die »och schlimmere Verwirrung anrichte», als der Hader der großen Parteien, Vorschub geleistet. Leider betheiligen sich auch die „Hamb. Nachr." an dem Bestreben, die jetzigen Parteien zu zerschlagen und andere, lediglich nach wirth- schaftlichen Gesichtspunkten zu bildende, an ihre Stelle zu setzen. Und merkwürdigerweise glaubt dieses Blatt die Mahnung zur Mitwirkung an einer solchen Neugruppirung besonders eindringlich den Nativ nalliberalen ans Herz legen zu sollen, obgleich gerade sie ihre Mitglieder nicht nur berechtigen, sondern sogar verpflichte», über wirthschaftliche Fragen nach ihrer wirthschaftliche» Ueberzcugung und nicht »ach einer Parteidoctrin sich zu entscheiden. Gleichwohl wird ihr das Folgende zu Gemüthe geführt: „Es giebt zahlreiche achtbare Politiker, namentlich auch in der »atioiialliberale» Partei, welche das thatsächlich cingetretene lieber- wiegen der wirlhjchaftlichen Interessen alS schädlich betrachten und »ach Kräften bemüht sind, dem vermeintlichen Uebel zu steuern. Wir erkennen die Redlichkeit ihrer Bemühungen a», aber wir glauben nicht, daß sie Erfolg haben werden, und beklagen es auch kaum; einmal weil die wirthschaftlichen Jntcresscntengruppen gesund und nützlich sind und zweitens, weil unserer Ansicht nach in keiner Weise ausgeschlossen ist, bas; sie sich sofort einigen, sobald große politische Fragen anftaucheii, die das feste Zusammenstehen aller nationalen und patriotischen Elemente erfordern. Umgekehrt erschwert der un- veränderte Fortbestand der alten politische» Parteien die Lösung der Aufgaben, die der Gesetzgebung jetzt und für eine absehbare Zukunft auf wirthschastlichem Gebiete gestellt werden. Welchen Werth haben die rein politischen Parteiunterschiede, wenn es sich um Fragen ans finanziellem, wirthschastlichem oder steucrpolitischem Gebiet handelt? Wenn wir ehrlich sein wollen, so muß die ungeschminkte Antwort doch lauten: gar keinen! Andererseits zweifeln wir nicht daran, das) die Vertreter der verschiedenen wirthschaftlichen Interessen im Reichs tage sich sofort in der erforderlichen Stärke einig zusaminensinden, wenn es sich nicht mehr um Tabaksteuer oder uni ähnliche Fragen, sondern um Anforderungen handelt, die, wie z. B. der Erlaß eines neuen Socialisteiigesetzes, einer l'.iil ot' attninäer oder die Ver stärkung der deutschen Rüstung bestimmt sind, die innere und äußere Sicherheit des Reiches zu erhöhe». Was speciell die nationalliberale Partei betrifft, so mochten wir ihr wiederholt folgende Erwägungen nahe legen. Die Partei fühlt sich besonders als Vertreterin deS wissenschaftlich gebildeten Mittelstandes, der seinen Sitz zumeist in Städten und deshalb weniger Berührung mit dem ländlichen Element hat. Dieser städtische Nationalliberalismus sollte aber doch der Thatsache eingedenk bleiben, das) die größere Zahl der Deutschen auf dem Lande wohnt und deshalb an die landwirth- schastlichen Interessen mit seinen Geschicken gebunden ist. Es liegt für den »ationalliberalen gebildete» Mittelstand der Städte, wenn er sür seine Partei die Unterstützung der gleichfalls national gesinnten Mehrheit der ländlichen Bevölkerung nicht völlig verlieren will, die Nothwendigkeit vor, der letzteren und ihren Interessen auch seinerseits näher zu treten und zwar um so mehr, als anderer- seits so gut wie keine Aussicht für die Nationalliberalen vorhanden ist, die freisinnigen oder demokratischen großstädtischen Massen für sich zu gewinnen." D. h. mit anderen Worten: Zerschlagt den FractionSverband, der auf möglichst gerechte und das allgemeine Wohl über die Sonderinteresienten stellende Abwägung aller wirthschaft lichen und politischen Bestrebungen gegründet ist, und spaltet Euch in so viel Gruppen, als verschiedene wirthschaftliche Anschauungen unter Euch vertreten sind. Wir halten es sür selbstverständlich, daß die „Hamb. Nacbr." einen gleichen Rath auch den übrigen Parteien geben wollen, denn daran, nur die nationalliberale Partei in Gruppen mit lediglich wirthschaft lichen Programmen zu zertheilen, kann dem Blatte doch nichts liegen. Nun hat aber dasselbe Blatt erst kürzlich lang und breit auseinandergesetzt, daß die Hoffnung der Regierung, das Centrum zu trennen und in Gruppen aufzulösen, ganz aus sichtslos sei; die kirchlichen Interessen und der Wunsch, sür diese Interessen mit der ganzen Kraft einer großen geschloffenen Partei eintreten zu können, würden immer ein starkes Binde mittel des Centrums bleiben. Wie mit dem Centrum, so steht es mit den Polen, ähnlich mit den Welfen. Und was die socialdemokratische Partei betrifft, so haben die „Hamb. Nachr." soeben erst gescben, daß diese Partei, um in ihrem Streben nach der großen Revolution von den Bauern nicht gestört zu werden, in ihr Programm eine bauern fängerische Lüge einfügt, die eine im Grunde wirthschaftliche Frage betrifft. Wenn also weder Centrum, noch Polen, Welsen und Socialdemokraten daran denken, ihre politische Organisation zu zersprengen, um sich in wirthschaftliche Gruppen zu zerspalten, wenn sie vielmehr den wirthschaftlichen Fragen gegenüber immer toleranter werden, um immer festere politische Verbände zu werden, welche Folgen würde dann die Auflösung der übrigen Parteien in wirthschaftliche Gruppen haben? Gerade die „Hamb. Nachr." würden es am tiefsten beklagen, wenn infolge einer solchen Auflösung dem Centrum, den Polen, Welfen und Social demokraten nicht feste Parteien mit politischem Programmen gegenüberständcn und wenn z. B. die deutschen Landwirthe in den Provinzen mit polnischer Bevölkerung auS agrarischen Interessen mit den polnischen Landwirlhen denselben Strang zögen. Ueberbaupt sind unsere Parteien historische Ge teilte, die nicht von einzelnen Führern gemacht, sondern durch die Uebereinstimmung Vieler über die wichtigsten Fragen sich gebildet haben. Sie entsprechen genau den verschiedenen Stellungen der Deutschen zu den größten und wichtigsten Fragen. Sie auszulösen uud durch neue zu ersetzen, ist eine Unmöglichkeit, bevor große Umwälzungen neue große Fragen aus die Tages ordnung gebracht und eine neue Gruppirung der Geister be wirkt haben. Reißt man heute mit Gewalt die Parteien auseinander, um nach wirthschaftlichen Gesichtspunkten neue zu schaffen, so fallen diese bei der ersten besten nicht wirthschaftlichen Frage auseinander und die alten Parteien stehen wieder vor uns. Wirthschaftlichen Fragen gegenüber sind sie ohnehin schon jetzt nicht geschlossen. Selbst in der conservativen Partei herrschen verschiedene Ansichten über dieselbe wirthschaftliche Frage. Schafft man überall, wie bei den Nationalliberalen, den Zwang der Unterwerfung unter ein wirthschastliches Fractionsprogramm ab und hört man gleichzeitig an gewisser Stelle auf, den verschiedenen wirthschaftlichen Gruppen Aussicht auf Gewährung extremer, mit dem Gesammtwohl unverträglicher Forderungen zu machen, so wird einer sachlichen Behandlung wirthschaftlicher Fragen nichts im Wege stehen. Hierauf sollten die „Hamb.Nachrichten" hinwirken, nicht aber in daS unverständige, unsere ganzen historischen und thatsächlichen politischen Verhältnisse ignorirenve Geschrei einstimmen, das unser ganzes politisches Parteiwesen als überlebt und schädlich dennncirt und lediglich dazu beiträgt, das Cliquen- und Gruppenwesen zu fördern, das den geschlossenen und nicht zu zerstörenden festen Ge bilden des Centrums, der Socialdemokratie, des PoloniSmus und des Welfenthums den Sieg erleichtert. Etwas Wasser in den Wein bimctalltstischcr Hoffnungen gießt eine Londoner Corresponden; desjenigen Berliner Blattes, in dem sonst deutsche Vorkämpfer der Doppelwährung öfter ihre Kundgebungen zu veröffentlichen pflegen. In einem Berichte über den Ausfall der englischen Wahlen heißt es da u. A.: „Es verdient vielleicht angeinerkt zu werden, daß Mr. Balfour, der bekanntlich als überzeugter Anhänger des bimetallistischen Princips gilt, weder in seinen Wahlreden noch auch bei Lein Meeting zu Don- caster, wo er so ziemlich alle politischen Frage» von einiger Wesenheit streifte, dem Währungsthema auch nur die geringste Erwähnung zu Theil werden ließ. Ter Punct verdient deshalb einiges Interesse, weil diejenigen Kreise in Deutschland, die von dein Regierungswechsel in England eine währungspolitische Wandlung erwarten, gerade an die Person des neuen Schatzsecretairs weitgreifende Hoffnungen ge- knüpft haben. Mr. Balfour mag für seine Person der Doppel» Währung noch so eifrig zugethan sein, als Mitglied des bri tischen Ministeriums bestimmen weniger theoretische Ueberzeugungen als das Schwergewicht der faktischen Interessen sein Handeln, und von diesem Gesichts punkte wird man in Deutschland voraussichtlich die bimetallistischen Hoffnungen auf ein geringeres Maß beschränken müssen, als es in der Zeit der liberalen Regierung beliebt wurde." Die Redaction des Blattes glaubt zwar die Wirkung dieses, vom Standpunkt der Sikberleute gesprochen, recht pessimistischen Urtheils durch den Zusatz abschwächen zu müssen, das Verhalten Balfour's lasse wohl auch die Deutung zu, daß das neue Cabinet sich in dieser Frage noch nicht schlüssig ge macht habe und eine Initiative deS Parlaments erwarte. Dieser Trost dürfte nicht lange Vorhalten angesichts der That sache, daß der Finanzminister des neuen Cabinets, Sir Michael Hicks-Beach, ein entschiedener Gegner bimetal- listischer Experimente ist und daß daS zweite bimetallistische Mitglied des Cabinets, Chaplin, offenbar absichtlich von dem Agraramt, dem er in dem früheren Ministerium vorgestaiiden hat, ferngehalten worden ist. Ueberdies wird daS neue Ministerium, infolge der starken Mehrheit, die cs im Unterbause besitzen wird, vor Zweideutigkeiten, wie sie der frühere Schatzsecretair Harcourt bei der Berathung der Währungsresolution zulasten mußte, um die schwache Mehr test nicht in Frage ;n stellen, behütet sein. Jedenfalls ist die mitgetheilte Stimme auS England ein sehr bemerkenswerther Commentar zu dem prablcrischen Ausrufe deutscher Bime- tallisten, niemals sei die Möglichkeit einer Verwirklichung des internationalen Bimetallismus so nahe gewesen, wie im gegenwärtigen Augenblick. Ein Theil der dänischen Zeitungen, denen bisher jedes Vorkommniß im Kaiser-Wilhelm-Canal ein will kommener Anlaß gewesen ist, seine absolute Unbrauchbarkeit zu behaupten, scheint sich mit Resignation in das Unabänder liche fügen zu wollen. Er constatirt nämlich, daß es doch ein Trost für Dänemark sei, den Kanal dort zu wissen, wo er sich befindet, und nicht in dem „dänischen Nordschleswig", da das die Hoffnung auf eine Wiedergewinnung dieses Landstrichs sehr verringert haben würde. Nun könnten die deutschen Strategen nicht länger gellend machen, Deutschlands strategische Grenze liege bei Skagen. Deutschlands strategische Grenze liege jetzt un bestritten nicht weiter nördlich vom Canal, als cs zu seinem Schutze gegen Angriffe von Norden nothwendig sei. Ange sehene Strategen seien der Ansicht, daß dieses Schutzgebiet auf keinen Fall so groß sein könnte, um mit dem „dänischen Nordschleswig" in Berührung zu kommen. Hierin liege eine nicht zu unterschätzende Hoffnung. Wenn Nordschleswig nicht änger auch nur einen Schatten von strategischem Werth für Deutschland habe, sei die Möglichkeit ja recht naheliegend, daß Deutschland sich eines Tages aus politischen Rücksichten bc- timmen lasse, Nordschleswig wieder seinem Mutterlande zu- rückzugeben, zumal da es sich dadurch an Dänemark einen treuen Nachbar sichern werde. Man muß anerkennen, daß die Dänen nicht wie die Franzosen in Bezug auf Elsaß-Lothringen an die Großmuth Kaiser Wilhelms, sondern an die politische Raison der deutschen Staatsleitung appelliren. Aber sie irren ich gleichwohl, wenn sie meinen, politische Rücksichten könnten Deutschland einmal zur Rückgabe Nordschleswigs nöthigen, denn gerade durch die Schöpfung des Kaiser-Wilhelm-Canals ist dem Eintritt einer solchen Nöthigung hinlänglich vor gebeugt worden. Die Sympathien (fnglands für Tpanicn haben seil geraumer Zeit keinen so lebhaften Ausdruck gefunden als eben jetzt, wofür ja auch der Besuch des spanischen Ge schwaders in Plymouth einen ganz ungezwungenen Ausgangs- mnct bietet. Die englischen Blätter sind voll von Freund schaftskundgebungen für Spanien. Worin die Absichten der englischen Politiker in Betreff Spaniens bestehen, läßt sich an der Hand der internationalen Entwickelung un schwer errathen. Da England sich grundsätzlich von den kontinentalen Allianzen fern hält, aber für sich allein nicht stark genug ist, den Gang der Dinge seinen Wünschen und Bedürfnissen gemäß zu beeinflussen, so geht es in Allianzdingen seine eigenen Wege. Für das Mittelländische und Rothe Meer tritt die englisch-italienische Parallelaction in Kraft; den Machtverschiebuiigeii im fernen Osten gewachsen zu sein, hat England sich bei Zeiten um die Gunst der Japaner bemüht; auch Spanien kann unter Umständen einen werthvollen maritimen Verbündeten für England ab geben, selbst wenn man die strategische Flankenstellung, welche Spanien zu Lande gegenüber Frankreich einnimmt, außer Ansatz lassen will. DaS verstärkte Interesse, welches sich jetzt in Frankreich seit der Eröffnung des Kaiser-Wilhelm- Canals dem Ausbau des Onnkil äe8 ckeux üleis znwendet, dessen Herstellung die französische Machtstellung zur See in annähernd demselben Maße verstärken würde, wie jener neue maritime Verbindungsweg die deutsche Seemacht verdoppelt hat, muß allerdings der englischen Politik den Gedanken nahelegen, für den Abbruch, den die Emancipirung der französischen Marine von der Nothwendigkeit, die Straße von Gibraltar benutzen z» müssen, der dortigen Position Eng lands zufügt, auf andere Art Ersatz zu schaffen. Bis zu einem gewissen Grade würde derselbe in der Verengerung der englisch-spanischen Beziehungen zu einer eventuellen Parallelaction in den Gewässern des westlichen Mittelmeeres gefunden werden können. Als Gegenleistung Englands an Spanien käme vornehmlich die Rückendeckung Spaniens durch Großbritannien gegenüber den Umtrieben der französischen Marokkopolitik in Betracht, welch letztere den Madrider Parteimänncrn größere Beklemmungen verursucht, als sic äußerlich zeigen. Dann aber bildet auch das Schicksal, welches den Spaniern auf Cuba droht, eine» wichtigen Hebel zur Belebung der englischen Sympathie sür Spanien. Auch England hat werthvolle Besitzungen in Westindien, sür deren dauernde ungestörte Behauptung die eventuelle LoSreißung Cubas von der Zugehörigkeit zum Mutterlande ein sehr bedenkliches Präjudiz sein würde, da die amerikanischen Monroepolitiker auf England nicht weniger schlecht, als auf Spanien zu sprechen sind. Natürlich wird England sich niemals zu cubanischen Liebesdiensten sür Spanien herbei- lasscn, aber die Erkenntniß, daß beide Länder vielfach Feuilleton. 101 Das verlorene Paradies. Roman von Anton Freiherr von Pcrfall. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Er ließ denn auch sofort den ganzen Geheimapparat seiner neuen Wissenschaft, welcher in der Liebe zu allen Zeiten eine große Nolle gespielt, mit allem Raffinement spielen. Magische Blicke, Prophezeiungen und Fernwirknngen, die ganze verführerische Sinnlichkeit der Mystik. Mit dem sichtlichen Erfolge einer die Seele kaum berührenden Taschenspielerei wuchs die männliche Begierde, der Ehrgeiz, ein in jeder Beziehung so bevorzugtes Wesen zu beherrschen. Er gestand sich das Alles natürlich nicht ein und nannte von Anfang an diesen Vorgang — Liebe! Und zwar Liebe, wie er sie immer ersehnt. Blitzartig ans dem ChaoS auf steigend. dunkel in ihren Ursachen — eine elementare ZwangS- erscheinunz. Seine entflammten Sinne, welche an der Schimheit Kitty's reichlich Nahrung fanden, vervollständigten die mannigfache Selbsttäuschung. Kitty mußte sein werden! Der Gedanke an die gesell schaftliche Kluft entlockte ihm nur ein mitleidiges Lächeln, er gab nicht einmal zu, daß sie ihn besonders reizte. -» * * Makowöky's Atelier war bereitet, Kitty zu empfangen, wie ein heidnischer Tempel für die jugendlichen Opfer seiner Mysterien. Weibliche Ueppigkeit deS Orients gesellte sich in dem von einem sanften blauen Lichte erfüllten hohen Raume mit alt germanischer Mystik. Schwellende Divans, kunstvolle Wand draperien in den bunten Farben persischer Teppichstickerei wechselten mit starren gothischr» Vertäfelungen, aus welchen in farbigen Reliefs verzerrte blutige Märtyrergestalten blickten. In einer gerundeten Nische stand eine hölzerne Madonna auS der Zopfzeit in golden verschnörkeltem Rock und blauem Mantel, davor ein venetianischer Betstuhl. Ein Buch in Elfenbein gebunden lag aufgeschlagen auf dem grünen Sammet der Lehne. Zwei hohe schmale Glasmalereien in Spitzbagenform sorgten für stimmungsvolle Beleuchtung, während dicht daneben auf dem Hintergrund eines ver blichenen Damastvorhanges von tiefem Purpur die weißen Marmorglieder einer Hnldgestalt sich abhoben. Hier lag eine öaute, dort ein aufgeschlagenes Buch, auf einem kostbaren Mosaikschrank florentinischer Arbeit lagen bunte Muscheln von grotesken Formen, in welchen tausend Lichter spielten. Durch eine halbgeöffnete Portitzre blickte man in einen kleinen rothbeleuchteten Raum. Ein Lager von einem Tigerfell be deckt war sichtbar, davor ein niederes, maurisches Tischchen, ein Nargileh darauf. Die Auswahl der Bilder war für Kitty getroffen. Die Spuren seiner rein naturalistischen Periode waren sorgfältig entfernt. Die düster« Arbeitergestalten in stumpfen Farben, die sterbenden Elenden, die hungernden Kinder, die endlosen Kartoffeläcker mit dem fahlen Himmel darüber, die rohen Küsse und plumpen Berührungen Liebender in blauen Gradlhoscn und zerlumpten Röcken. Dafür wurde die „Geburt des Lichtes" — der Titel Kitth's war bereits gedruckt unter dem Bilde zu lesen — in die günstigste Be leuchtung gerückt, paradiesische Gefilde mit verschlungenen Paaren, unter Myrten und Cypressen, Verkündigungen und Verzückungen. Um so auffallender wirkte mitten darin das Grubenbild mit dem Liebespaar, ein Uebergangswerk, welchem er sonst keine hohe Bedeutung beilegte. Drei Tage waren bereits vergangen seit seinem Zusammentreffen mit Kitty im Circus. Heute kam sie! Mußte sie kommen! Er hatte alle seine Gedanken auf sie concentrirt, wiederholt ihren Namen gerufen. Wenn er sich in dem venetianischcn Spiegel besah, betrachtete er mit Wohlgefallen sein Bild. Sein Antlitz war bleich, abgespannt. Das dunkle Auge leuchtete wie ein Glüh wurm aus tiefem Schatten. Seine weiße schmale Hand brachte das schwarze Haar noch mehr in Unordnung und der herbe leidende Zug um die Mundwinkel verstärkte sich. DaS schwarze Samme'twamS in spanischem Schnitt wirkte stimmungsvoll. Er trat mit einem schweren Seufzer an die «staffele!. Ein sonderbarer Entwurf stand darauf. Auf einem dicht mit Lilien bewachsenen Hügel, in diese förm lich hineingebettet, liegt ein junger Ritter, seine sehnigen Glieder umschmiegt ein Kettenpanzer auS blauem Stahl. Seine Lage ist die eines Gekreuzigten. Die bloßen Hände und Füße sind mit purpurnen Rosen in den weißen Grund geheftet. Sein jugendliches Antlitz verklärt ein wollüstiger Schmerz. Ueber ihn hin, über die milchweißen Lilien in tiefblauer Luft, schlingen duftige Frauenleiber bacchantische Reigen. Ihr röthlich blondes Haar fällt wie ein Goldregen auf ihn hernieder, dem die halbgeöffneten durstigen Lippen des Gefesselten entgegenschwellen. Es war das eine Idee, welche sein absonderlicher Ge- müthszustand der letzten Zeit erzeugte, eine weichliche Liebes- sehnsucht, die ihm beständig verführerische Frauengestalten vorgaukelte. Nirgends fand er Ruhe davor. Sie peitschten ihn mit seidenen Haarsträhnen, hauchten ihm betäubende Düfte zu. Er kämpfte bis zur Ermattung gegen diesen Höllenspuk. Er sehnte sich zurück nach dem idyllischen Zustand der Unschuld und lauschte zugleich den lüsternen Lockungen. Dieser seelische Zustand nahm Gestalt an. Er sah das Weiße Lilienfeld, dessen Duft mit dem wollüstigen Athem der Huldinnen rang, er erschien sich gekreuzigt darin als ritterlicher Märtyrer, die mystische Rose durch bohrte ihm Hände und Füße. Er war begeistert von seinem Werk, das an Originalität Alles übertreffen sollte, während eö technisch streng nach moderner Anschauung durchgcführt war, die Idealität des Gegenstandes, die Realität der Dar stellung nicht im Geringsten beeinträchtigt. Da er sein Modell in der Erwartung Kitty's auf einige Tage entlassen hatte, war er in seiner Arbeit ausgehalten. Er wollte nur die Rose vollenden, die wie ein Wundmal brannte in der rechten Handfläche deS Jünglings. Aber sein Pinsel zitterte, er war zu unruhig, und daS Blut stieg ihm in den Kopf. DaS muß enden, wenn es ihn nicht verzehren soll! Er muß ein Weib nehmen! Dieses wüste Leben ist sein früher Tod. Ein Weib wie diese Gräfin Kitty! — Schön, gesund wie ein Bauernmädchen, empfänglich für seine Ideen und doch ein Spielzeug in seiner Hand. — Ein Weib — wie — warum denn nicht Gräfin Kitty selbst? — Aristokratin? — Ist er nicht auch Aristokrat, nicht nur in der Kunst, in seinem ganzen Fühlen und Denken! — Sie liebte ihn, das hieß in seiner Sprache: er reizte sie! Dieser alberne Georg von Prechting, der ihr als Gatte bestimmt schien, war gewiß kein Hinderniß, außer dem schmachtete er bereits in den Banden Arabella'-! — Also nur noch der Vater? Da werden allerdings Worte nie etwas wirken — nur Thaten. Doch das Mädchen war jung, trotz ihrer freien Erziehung ganz unerfahren, und vor Allem, eS fühlte sich unglücklich in seiner jetzigen Sphäre. Wenn sie nur kommt! — Diese neue fremdartige Welt wird ihre Wirkung nicht verfehlen auf ihre ohnehin schon erregte Seele. Da meldete der Diener den Grafen Seefeld. MakowSky war trotz aller Vorbereitung verwirrt. Sollte er das Bild mit dem gekreuzigten Ritter verbergen oder stehen lassen? Dem alten Grafen war ja leicht eine be ruhigende Erklärung zu geben — und der Gräfin Kitty? — Er rückte cs in ein besseres Licht und ließ eS stehen. Dann nahm er Pinsel und Palette — er wollte bei der Arbeit überrascht werden. Kitty trat zuerst ein. Er ging ihr mit der Palette in der. Hand entgegen. Sie war sichtlich über rascht von dem manigfachen Anblick, fand sich nicht zurecht. Selbst der Graf starrte mit offenem Munde die Wände ent lang. Er erwartete Wohl, in ein ärmliches Stübchen zu kommen, mit einem Kochherde und einer Staffelei als Ein richtung. „Ich erwarte Sie, Comtesse!" Kitty hätte keine Ansprache in eine für die Umstände so paffende Stimmung versetzt, als gerade diese, welche sie sofort an ihre noch unausgesprochene, aber trotzdem so enge Be ziehung zu diesem Manne erinnerte. „Diesmal war wohl keine Magie nöthig", erwiderte sie, „ich versprach es Ihnen ja und ich pflege mein Versprechen zu halten. Wie schön es bei Ihnen ist! Ich habe noch nie ein Atelier gesehen! WaS eS da Alles zu fragen gäbe! „Sie können gar nicht genug fragen, Gräfin." — MakowSky übte sein Hauörecht und küßte Kitty's Hand. Ihre Blicke begegneten sich und ruhten länger, als eS die Sitte erlaubte, auseinander. Graf Seefeld war so überrascht von diesem unerwarteten Interieur, daß er von all dem nichts hörte und sah. Donner wetter! Wo leben Sie denn eigentlich? In einer Kirche? Einem Museum oder einem Harem?" begann er in seiner lauten Weise, an alle Gegenstände näher herantrctend und dieselben durch sein Monocle betrachtend. Kitty trat vor das Bild, an dem Makowsty eben ge arbeitet; sie wandte sich rasch ab. „Haben Sie gar kein Mitleid mit dem armen Ritter?" fragte MakowSky, zu ihr tretend. Da faßte sie Muth und betrachtete daS Bild. „Eine Vision", erklärte der Maler. „Ein Sommer- nachtStraum!" „Den ich nicht verstehe", erwiderte Kitty. „WaS verstehst Du nicht?" fragte Graf Seefeld und trat vor das Bild. „DaS ist doch sehr einfach! Irgend eine alte Legende! Ein schwer verwundeter Kreuzfahrer, dem Ketten panzer nach, der — der — nun der irgend einen verrückten Traum hat. Allerdings ein sehr unpassender Traum für einen Kreuzfahrer, von — von — nun, wie nennt man nur daS heidnische Gesindel?"
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