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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.08.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-08-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950807021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895080702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895080702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-08
- Tag1895-08-07
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TbrilS sollen die städtischen Gebäude beleuchtet und geschmückt, theilö sollen die Veteranen auf Kosten der Stadt gespeist werden. Eine kleine schwäbische Stadt, Konstanz, wird an alle Bürger, Hie den Feldzug als Kämpfer mitgemacht haben, eine eigens zu diesem Zwecke gestiftete silberne Denkmünze nebst Diplom unter entsprechenden Festlichkeiten vertheilen lasten. Aehnliche Ankündigungen liegen ncch auS vielen Orlen vor. Nun fragen die „Bert. Neuest. Nachr.": WaS thut die Stadt Berlin, die als Reichshauptstadt noch mehr als jede andere deutsche Stadt Anlaß hat, in der Ver anstaltung patriotischer Feste mit leuchtendem Beispiele voran zugehen, um eine würdige Sedanfeier vorzubereiten? Auf ^»diese Frage hat das Blatt leider nur die folgende Antwort: „Bisher ist unseres Wißen» darüber noch nicht das Ge ringste bekannt, und nach der gänzlichen Zurückhaltung, welche di« Berliner Stadtverwaltung anläßlich des am 4. August ge- feierten Beteranen-Avpells auf dem Tempelhofer Felde beobachtet hat, könnte man versucht sein, zu glauben, datz es bei der Feier des 18. August und des 2. September nicht viel anders sein werde. Es ist nicht zu verkennen, daß die Größe Berlin- der Veranstaltung einheitlicher Feste die erheblichsten Schwierig, leiten in den Weg legt. Andererseits legt aber eben diese Gefahr der Zersplitterung den städtischen Behörden Berlins in verdoppeltem Maße dl« Verpflichtung auf, einen gemein» samen Mtttrtpunct der Festlichkeiten zu schaffen, der allen Bürgern zur Anschauung bringt, daß nicht nur die Berliner, sondern Berlin ein Fest begeht. Unsere städtischen Behörden hätten um so mehr Anlaß, hierauf ihre ernstliche Aufmerk samkeit zu richten, als sie, wo eS sich um parteipolitische festliche Kundgebungen zu Ehren großer und kleiner Partei- berühmthettrn handelt — wir erinnern an die Langerhans- frier —, um wirkungsvolle Jnscenirungen durchaus nicht verlegen sind. Es würde die ohnehin in weiten Kreisen verbreitete Mißstimmung gegen das rothe Haus sicherlich nicht verbessern, wenn, nachdem schon die Frage der Beglückwünschung de» Fürsten BiSmarck zu so kläglichen Vorgängen geführt hat, die Stadt sich nun auch noch ähnliche Blößen bei der Feier der nationalen Gedenk- tage geben würde, denen Berlin seine heutige Bedeutung al» Reichs- Hauptstadt verdankt." Da da» „rothe Hau»" sich nicht gescheut hat, den 80. Geburtstag seine- großen Ehrenbürgers ungefeiert zu lasten, so wird eS sich auch durch solche moralische Rippen stöße nicht auS seinem „schönen Gleichgewichte" bringen lassen- Um so weniger, je mehr zu besorgen Ware, daß die Miß gestimmten ein städtisches Sedanfest benutzen würden, um gegen jene „kläglichen Vorgänge" zu demonstriren, die eine Beglückwünschung des Fürsten BiSmarck Hintertrieben. Eine den städtischen Größen Berlins abgepreßte Sedanseier hätte auch keinen Werth. Viel besser stände eS diesen Größen zu Gesichte, wenn sie am 2. September eine große Versammlung veranstalteten, in der ein Abrüstung-antrag beim Reichs tage beschlossen würde. Die Versammlung würde mit Hilfe der Socialvemokrati« eine imponirende werden, und auch der Dank Frankreichs würde nicht anSbleiben. Nachdem wir in der vorigen Woche bereits die vollkommene Niederlage der Sseialdemokratte bei den englischen Wahlen beleuchtet haben, entschließt sich nun auch die radikale Presse, diesem Ereigniß einige Aufmerksamkeit zu widmen. Jeder in seiner Weise. Wir hatten betont, daß die Wähler schaft in England einsichtig genug war, die Gefahr zu er kennen, welche für die Einfachheit, Klarheit und — Rein heit der politischen Gegensätze erwachsen müßte, wenn die irländische Frage weiter die sämmtlichen Tagesfragen mit bestimmen dürste. Dieselbe politische Einsicht ist es ge wesen, welche, wie wir weiter ausführten, nicht nur den englischen Wählern gemeinhin, sondern insbesondere auch den englischen Arbeiter bestimmte, euren Classengegensatz nicht auskommen zu lassen, der nur das politische Leben verwirren könnte, ohne daß aus diesem Wege irgend einem socialen Uebelstand wirklich beizn- kommen wäre. Und wir haben zum Schluß unser deutsches Bürgerthum aufzuwecken versucht, daß eS sich bewußt werden möge, wie auch ,n ihm nur dieselbe Einsicht und Entschlossen heit vorzuwalten brauche, damit der Zersetzung unseres öffentlichen Lebens durch unsere Iren — die Particularisten aller Art — und durch die Socialdemokratie gesteuert werde. Ganz anders die radikale Presse. Nach ihrer Darstellung „trägt die schlechte Politik der Regierung allein die Schuld", daß in Deutschland die Socialdemokratie vorwärts geht, während sie in allen andern Ländern zurückgeht. So wird sich denn der Fortschrittsphilister, der sich mit den Betrachtungen der »Boss. Ztg." begnügt, auf die andere Seite legen und die Zerfahrenheit im deutschen Bürgerthum ruhig weilergehen lassen, bis die Regierung eine andere Politik einruschlagen be liebt. Daß er auch seines Glückes eigener Schmied sein könnte, daß er sogar Pflichten in dieser Hinsicht hätte und aus dem englischen Wahlergebniß darüber recht ernstlich be lehrt werden könnte, — das wird dem Philister nirgends beharrlicher verschwiegen, als in der fortschrittlichen Presse. Ueber die vielbesprochene Ischlcr Monarchen- und Diplo maten-Zusammenkunft schreiben die „Hamb. Nachr." in wesentlicher Übereinstimmung mit unseren gestrigen AuS- sührungen: „Der Blick der Politiker richtet sich seit Sonntag nach Ischl. Dort weilt Kaiser Franz Josef; der österreichisch- ungarische Minister des Auswärtigen Graf GoluchowSki ist nack vorherigem Besuche beim Reichskanzler Fürsten Hohen lohe in Aussee dort eingetroffen, desgleichen der deutsche Bot schafter Graf Eulenburg, der österreichische Gesandte in London GrasDeym und der serbische Gesandte am Wiener Hose Simitsch. König Karl von Rumänien ist gleichfalls bereits in Ischl an gekommen. Er befindet sich mit seiner Gemahlin auf der Reise nach der Schweiz und er bat es nie unterlassen, sobald er Oesterreich berührte, dem Kaiser einen Besuch abzustatten. Man kann also den Umweg über Ischl auch diesmal durch den bisherigen Brauch erklären. Die Wiener Blätter sind freilich anderer Ansicht, aber wir glauben, daß ihre Conjecturen der thatsächlichen Unterlage ent behren. WaS sonst noch in der Presse über die Gespräche in Ischl berichtet wird, müssen wir auf sich beruhen lassen. Im Allgemeinen kann man eS als begreiflich betrachten, daß die deutschen und österreichischen Staatsmänner ihre Ferienreisen dazu benutzen, um ihre An sichten, namentlich über die Vorgänge auf dem Balkan, aus zutauschen; daß aber die Unterredungen durch bevorstehende „Ereignisse" nothwendig gemacht worden seien und daß sie „Abmachungen" für den Fall ibreS Eintretens betroffen hätten, ist wenig wahrscheinlich. Einmal glauben wir nicht, daß durch russisch-bulgarische Verhandlungen, falls solche wirklich stattsinden, irgend ein Recht verletzt werden würde, das die Signatarmächte des Berliner Vertrages zur Stellung nahme nöthigte, und zweitens halten wir trotz grgenthciliger Meldungen, die über Wien verbreitet werden, daran fest, daß Deutschland an der österreichischen Orientpolitik nicht direct betdeiligt und durch das eigene Interesse verhindert ist, sich dafür einzusetzen." Aus der Zurückbernfung eines Theils deS deutschen GeschwaderS aus Len Marokkanischen Gewässern — der Kreuzer „Kaiserin Augusta" und daS Schulschiff „Stosch" haben, wie gemeldet, die Heimreise bereits angetreten — läßt sich mit Sicherheit darauf schließen, daß die deutsch marokkanische Angelegenheit eine Wendung genommen hat, welche eine baldige friedliche Beilegung des Streitfalles erwarten läßt. Man darf freilich nicht vergessen, wie sehr verschiedene Dinge vor Allem bei orientalischen Regierungen Versprechen und Halten sind, und es ist daher jedenfalls durchaus «»gezeigt, daß daS Panzerschiff „Hagen" und der erst am 2. dieses Monats auf der Rückreise von Ostasien vor Tanger ein getroffene Kreuzer „Marie" vorerst noch an der marok- anischen Küste bleiben, selbst wenn die formelle Zusage der Erfüllung aller deutschen Forderungen bereits erfolgt sein ollte. Da aber Graf Tattenbach diese Vorsicht beobachtet, o läßt sich auch hoffe», daß er die von ihm bisher mit ebenso viel Energie wie Umsicht geleitete Action erfolgreich u Ende führen werde. Die Auszahlung der Ent- chädigungS summe, welche, wie die „Post" hört, den von >er „Tagt. Rundsch." angegebenen Betrag von 170 000 Franken Ibersteigen dürste, wird jeden Augenblick erwartet. Der Londuct, der das Geld an die Küste bringt, ist von Casa blanca aufgebrochen. Ob und wie weit eine Bestrafung der Mörder zu erlange» sein wird, muß sich bald zeigen. — Daß mit Erledigung des schwebenden Zwischenfalles die Lage der Deutschen m Marokko eine dauernde Besserung erfahren werde, ist nach Lage der Verhältnisse leider nicht anzunebmen. Dieser Besorgniß giebt auch folgender vom 28. Juli aus Tanger datirte Brief des dortigen Berichterstatters des „Hamb. Corresp." Ausdruck: „Die Anwesenheit der deutschen und holländischen Kriegsschiffe hat etwas Abwechselung in unser monotones Stillleben gebracht. Im Uebrigen erregt diese Anwesenheit die Gemiither hier so gut wie gar nicht. Entweder wird seitens der Regierung tn Fez ein Verspreche» gegeben, das später doch nicht gehalten wird, oder der Sultan zahlt widerstrebend das Verlangte. So zahlt auch jetzt Marokko an Deutschland, wie vorauszusehen war, nachdem alle Ausflüchte an der festen Zähigkeit des deutschen Vertreters ge- scheitert sind. Damit ist aber die Wurzel des Uebels nicht getroffen. Die Verlogenheit und Frechheit der sogenannten marokkanischen Diplomaten ist nämlich der Art, daß cs eine Farce ist, mit diesem Gelichter überhaupt diplomatisch zu verkehren und Abbitteschreiben zu fordern und enlgegenzunehmen. Jede noch so formell gegebene Zusage wird marvkkanijcherseitS doch nur mit dem festen Vorsatz gegeben, wenn irgend möglich sie nicht einzuhalten. Sowie die deut sche» Kriegsschiffe wieder aus Sicht sind, wird es an neuen Ueber- griffen, neue» Verhandlungen und Verschleppungen nicht fehlen. Ter Handelsverkehr Deutschlands speciell mit den atlantischen Häsen Ma rokkos ist tm Zunehmcn, und so ist es nicht unmöglich, daß bald wieder eine neue Beraubung oder Ermordung eines deutschen Reichs- ungehörigen vorkommt und abermals zur Entsendung eines Geschwaders nach Marokko nölhigcn wird, ganz besonders, wenn man die schutz lose Lage der atlantischen Plätze und die letzten Vorgänge in Sasfi ins Auge saßt. Nun kann es der deutschen Regierung aber doch unmöglich zugemuthet werden, wegen prcuniärer, auf gütliche Weise von Marokko nicht beizutreibender Reclamationen von 100 oder 200 000 Franken die zehnsachcn Unkosten zu tragen, die unS die Entsendung und der wochenlange Aufenthalt von deutschen Kriegsschiffen an der Marokkoküüe verursacht und zwar, wie hervorzuheben ist, lediglich »us Verschulden der Regierung in Fez, welche uns fast jedesmal erst zum Ultimatum und zur Entsendung von Schiffen nöthigt, anstatt den gütlichen Reciamationrn des deutschen Vertreters Folge zu geben. Deshalb scheint der einzig richtige Weg, um in Fez einen nach- haltigen Erfolg zu erzielen, daß von deutscher Seite nicht nur das sogenannte Sühnegeld an die Familien der ermordeten Deutschen, sondern gleichzeitig die Kosten der deutschen Flottendemonstratto» von Marokko erhoben werden." Dieser Vorschlag ist nicht mehr als billig und hoffentlich, noch ehe er gemacht wurde, deutscherseits in Erwägung ge zogen worden. Der neue Patriarch von Veucdtg scheint, wie die „D ev. K.-Zlg." schreibt, ein Ultramon tanrr ersten Ranges zu sein. Sein Einzug vor etlichen Monaten wurde mit großem Pomp gefeiert und von einer massenhaft zusammengeströmten Menge begrüßt. Die Ernennung deS neuen Kirchcnfürsten batte lange Verhandlungen zwischen der Regierung und dem Vatikan veranlaßt. Die finanziellen Scandale und die Be trügereien im Handels- und Gewerbelrben waren als Agila tionSmittel der Geistlichen gegen die Regierung benützt und dem Volke als Strafe für die schlechte Behandlung der Kirche dargestellt worden. Der Enthusiasmus, mit welchem der neue Patriarch empfangen wurde, war durch diese Vorgänge nur gesteigert worden. Nur mit Unwillen und Bedauern konnte rin evangelischer Christ die Rede hören, welche der Neu erwählte in der Markuskirche vor den dicht gedrängten Zu Hörern hielt. Er sagte u. A.: „Der Papst ist nicht nu der Stellvertreter Jesu Christi, er ist Jesus Christus selber unter dem Schleier des Fleisches, der durch ein der Menschheit angehörendes Wesen sein Amt unter den Menschen fortsetzt. Spricht der Papst — Jesus Christus ist es, der spricht. Lehrt der Papst — es ist Jesus Christus, der lehrt. Theilt der heilige Vater Gnaden ans oder spricht er den Fluch auS — IesuS Christus selbst spendet die Gnaden und spricht den Fluch. Daraus folgt also, daß nicht zu prüfen ist, wenn der Papst spricht, sondern insacl» zu gehorchen; daß die Grenzen seiner Gebote nicht u beschränken sind, um sie den Zwecken des Individuums anzupassen, dessen Gehorsam verlangt wird; daß kein Wider- pruch gegen den erklärten Willen des Papste» gestattet ist oder ihm ein anderer Sinn unterlegt werden darf: daß keine Rechte irgend welcher Art gegen die Rechte deS Papstes, zu ehren und zu befehlen, geltend gemacht werden dürfen. Seine Entscheidungen sind nicht zu kritisiren, sondern zu befolgen. Durch göttliche Bestimmung müssen alle Menschen, wie hoch- tehend auch die Persönlichkeit sei, ob sie eine Krone trage oder mit dem Purpur bekleidet oder in heilige Gewänder gehüllt sei, Alle muffen ihm unterthan sein, dem alle Dinge ibergeben sind." Diese Sprache deS Patriarchen läßt iber die verhängnißvollen Folgen deS UnfehlbckrkeitSdogmaS und über die Ziele Roms an Klarheit und Deutlichkeit wenigstens nichts vermissen. Die Folgerungen auS diesem vor 25 Jahren gemachten Dogma werden den Regierungen noch manche schwere Stunden bereiten, aber auch Rom die redlichsten Gemiither im eigenen Lager innerlich mehr und mehr entfremden. Gott aber sei Dank, daß eS eine evange- ische Kirche giebt, deren Bestehen allein schon ein unabweis barer Protest gegen die vom Patriarchen so offen ausge- prochene Ueberhebung und beanspruchte Oberherrschaft Roms ist. Die Ermordung christlicher Missionare durch chinesische Nativisten — mit solchen hat man eS, wie wir sehen werden, in erster Linie zu thun — bat überall auf's Acußcrste eiupört, zumal die Grausamkeiten, unter welchen die Mordscenen sich abspielten, aller Beschreibung spotten. Wie die „Times" ausführt, stand daS Sanatorium zu Kutscheng unter der Verwaltung der Kirchen-MissionS-Gesellschast und gehörte zu der Diöcese von Hongkong, welche den größeren Theil Süd-Chinas umfaßt. Der m Kutscheng ansässige Mis sionar, Mr. Stewart, seine Frau und Missionsgehilfinnen waren britische Untertbanen, eS scheinen aber noch einige Amerikaner zu der verhängnißvollen Zeit aus Besuch anwesend gewesen zu sein. Zweien der Letzteren mit einem eng lischen Missionar gelang eS, nach Futschau zu entkommen. Der Ausbruch kam nicht unerwartet. Das ganze letzte Jahr bindurch bekundete sich in der Umgebung KutsckengS große Erregung. Sie rührte von einer Serie der geheimen Gesell schaft her, welche sich „Vegetarianer" nennen. Diese be nützte den Krieg mit Japan und die Verlegenheiten, in welcke derselbe die Regierung stürzte, um den Fremdenbaß zu schüren. Schon vor einem Jahr wurden in Folge dessen die Missionare beleidigt, bedroht» schließlich angegriffen und geplündert. Die Mandarinen nahmen zwar einige Ver haftungen vor, aber ein Volksaussiand befreite unter Miß handlung der Beamten die Gefangenen, und tbatsächlich ging sodann die öffentliche Gewalt in die Hände der „Vegetarianer" Über. Di« Hetzereien gegen die „fremden Teufel" wurden jetzt in verstärktem Maße ausgenommen, und es wurden mehrere tumuttuarische Versuche gemacht, die Missionare zur Flucht zu veranlassen, aber diese weigerten sich, von ihrem Posten zu weichen, und lehnten auch den Vorschlag der Bekehrten, daß man sich sür alle Fälle bewaffnen solle, ab. Der Fremdrnhaß kam aber zunächst nicht in Kutschena, sondern in Tschingtu und anderen Orten der Provinz Sulschuan am oberen Iangtsekiang zum Ausbruch. Dort wurden vor ein paar Monaten englische, amerikanische und französische Missionen zerstört und geplündert, ohne daß jedoch dabei ein Mord vor- gekommen zu sein scheint. In diesem Fall waren eS die Beamten, welche durch die entsetzlichsten Beschuldigungen gegen die Frrrilletsir» 201 Das verlorene Paradies. Roman von Anton Freiherr von Verfall. Nachdruck verboten. (Schluß.) Unten wartete schon der Reitknecht. Sie beobachtete durch daS Fenster, wie der Vater ihm noch ganz besondere Weisungen gab. Eine milde FrühjahrSnacht war eingetreten, leiser Regen rauschte in den Ulmenkronen des Parkes, köstlichen Duft un zähliger Blüthen einsaugend. Kitty verfolgte den Reiter durch die Finsterniß, nachdem der Hufschlag längst verschollen war. Ueber Schwarzacker lagerte weithin leuchtend wallende Lohe. Sie konnte den Blick nicht mehr davon wenden. Das ver lorne Paradies, das sich verlockend hebt auS der Frühjahrs- nackt! Wär'S noch einmal möglich? Hatte sie daS Recht, eS zu betreten? Wird sich nicht der Todte mit flammendem Schwert als Racheengel vor den Eingang stellen? Mußte es nicht wenigsten« verdient werden, wenn eS nicht wieder verschwinden sollte hinter düsterm Schleier, wie da« im Atelier? Franz, Franz, warum hast Du mich damals nicht empor- gehoben mit kräftigen Armen au- der Tiefe des Paradieses? Oder war vielleicht der Umweg nothwendig, um zu begreifen seinen Glanz, sein Glück? Eine eiaentbümlicbe Unruhe ergriff sie bei dem Gedanken an Schwarzacker. Unzählige Fünkchen be wegten sich wirr durcheinander im Schwarz der Nacht, offenbar auf dem Wege zwischen den Halden entlang, und doch war jetzt kein Schichtenwechsel, daS wußte sie genau. E« waren offenbar Grubrulichter, aber die Träger liefen, der Raschheit der Be wegung nach. Ja, oft war e« ihr, als ob laute Stimmen herüberdrangen. Der Bote mußte längst gekommen sein, aber da« war doch kein Grund zu solcher Bewegung im Werk. Bon überall huschten die leuchtenden Sternchen dem Werke zu. Es mußte sich irgend etwas Besonderes ereignen. Doch sehr einfach. Franz brauchte alle Kräfte sür die heutige Nachtarbeit. Daher diese auffallende Unregelmäßigkeit. Und doch klopfte ihr Herz so ängstlich, und sie achtete nicht, daß der Regen stärker fiel und ihr inS Antlitz scklug. Da sprengte der Bote in den Hof. Diese Hast auf dem Rückweg war eine Narrheit. Sie rief ihm zu, als er aus dem Sattel sprang: „Besorgt?" „Ach Gott, Gräfin — ein große« Unglück — der Schacht I — Alle- den Kopf verloren I Unmöglich zu finden — seckS Mann — ich muß zum Grafen!" „Du bleibst I" Der Knecht blieb gebannt neben seinem Pferde stehen. „Der Schacht! Sprich, Mensch!" „Eingestürzt, Gräfin!" Kitty wankten die Knieei — „Die sechs Mann tobt?" „Weiß man nicht! — Verschüttet!" „Der Direktor?" „Ist eingesahren." „Sattle Wildrose. Wir reiten! Wenn der Graf ein Wort erfährt, bist Du entlassen." Zehn Minuten darauf ritt Kitty, gefolgt von dem Diener, auf Schwarzacker zu, Wildrost zur äußersten Leistung an spornend. Der jetzt herabprasselnde Rege» kühlte da« pochende Hirn. Sie sprengte den Weg zwischen den Halden hinauf, ohne eine Frage an die ab- und zueilenden Leute zu richten, die scheu der aus dem Dunkel plötzlich austauchenden Reiterin auSwichen. Vor der Grube drängte sich eine dunkle, rollende Masse. Weibern mit Kindern auf dem Arme, deren elle Stimmen gell daS Gemurmel der Männer übertönten. Sie konnte nur zu Pferde diesen lebenden Wall durchdringen. Wildrose stutzte einen Augenblick, bann drang sie ein. Die Erscheinung war so überraschend, der Ruf Kitty'S klang so schneidend au« dem Finstern heraus, daß die Menge, wie von einer Panik erfaß«, zur Seite wich. Sie wurde erst erkannt, als sie vor der geöffneten, von zwei Bergleuten, di« jedem unberechtigten Eintritt wehren mußten, bewachten SchachthauStbür au« dem Sattel sprang, Wildrose ihrem eigenen Schicksal überlassend. „Das ist brav von ihr! Bravo!" wurden Stimmen laut. Frauen drängten sich jammernd an sie, um mit ihr den Eingang zu gewinnen. Sie wurden von zwei Wächtern zurück gewiesen. In dem düstern Raume vor dem Fördergerüste herrschte musterhafte Ordnung. Niemand ahnte hier die Katastrophe. Eine Gruppe Arbeiter darrte wohl als Ablösungsmannschaft der Einfahrt mit dem gewohnten ernsten Schweigen des Berg mannes. Auf Kitty wirkte die Ruhe dieser Leute selbst be ruhigend, sie unterdrückte gewaltsam ihre Aufregung und fragte mit zitternder Stimme nach dem Thatbestand. Ein Schacht war eingestürzt, Wohl in Folge Stützenberaubung eines grvßern SchichtengcwölbeS durch Unterwaschung. Allen vor Ort beschäftigte» Arbeitern war eS gelungen, zu ent kommen bis auf vier Mann. Nun kam die verhängnißvolle Frage nach Franz. Der Direktor gehörte leider zu den Ver mißten. Er war bereits mit den übrigen auf der Flucht, kehrte aber um, als er vernahm, daß drei Mann fehlten. Vor Kitty'S Augen begannen die Grubenlichter zu tanzen, die Halle sich zu drehen. „Indessen ist noch Hoffnung. Man hat schon ein Pochen im Gestein gekört. Die RettungSarbeit ist im vollen Gange." Dieser Zusatz deS Steigers, an den sich Kitty gewandt, gab ihr die Fassung zurück. In diesem Augenblick hob sich der Förderkorb auS der Tiefe. Wafsertriefende, schwarze Männer traten heraus. Keine Frage, keine Antwort. Jetzt empörte Kitty das Schweigen. Sie stürzte auf einen zu und hielt ihn fest. „Sprechen Sie doch! Sie haben die Stimme gehört? Wessen Stimme? Prechting? Nicht wahr, Prechting?" „Weiß ich nicht, gute Frau. Jetzt heißt'« arbeiten! Ganz gleich, wer ruft, einer so gut wie der Andere. Wenn wir sie nicht bald herauSkrieaen, holt sie daS Wasser." Die Ablösungsmannschaft stieg in den Förderkorb. In dem Augenblick, wo er sich zu senken begann, ehe einer der Umstehenden e« wehren konnte, sprang Kitty hinein. In wirbelndem, eisigem Luftzug ging eS hinab. Sie dachte ibrer ersten Fahrt an seiner Seite — al« Hauerjunge! Sie stellte hastige Fragen an die sie umdrängenden Leute. „DaS Wasser! DaS Wasser!" lautete immer die besorgte Antwort. Ertrinken in dieser Nacht! Unnennbare Schauer packten sie. — Da war man schon angelangt. Kitty hörte auf keine Vorstellungen, keine Warnung der Leute. Mit derselben Ruhe, als ging eS an die tägliche Arbeit, bewegte sich die Truppe vorwärts, dem Orte deS Unglücks zu. Ein Wirrsal von Balken, Holztrümmern, Felsblöckeu und Kohlengeröll schloß hier den Schacht. Die Enge des Raumes ließ immer nur zwei Mann arbeiten, die übrigen schafften, eine Kette bildend, daS Material heraus. Kitty gebot in einem Tone Halt, der jede Widerrede auS- schloß — dann kniete sie vor dem Schutt. „Franzi" Deutliches Pochen war vernehmbar. „Franz! Nur ein Wort, Franz!" Ein unbestimmter singender Ton drang matt durch das Gestein. — Unmöglich eine Stimme zu erkennen. Jeder weitere Versuch war Verzögerung der Arbeit. Sie mußte rurücktreten. Eine qualvolle Zeit begann! Sie zählte jeden Spatenhieb, jede Schaufel voll Schutt maß gierig den lang samen Fortschritt. Sie schämte sich ihres nutzlosen Zusehens und blickte mit Neid auf die arbeitsharten Arme der Männer. DaS Wasser sickerte durch den Schutt, den Schacht langsam füllend. DaS war bedenklich. Die Pumpen wurden angesetzt. DaS Pochen klang immer näher — man arbeitete schon in der vierten Stunde. Kitty strenate ihr Gehör aufs Aeußerste an, sie batte keinen andern Gedanken, als seine Stimme zu hören. Endlich vernahm sie deutliche, menschliche Laute. Man hielt mit der Arbeit ein und ließ Kitty vor. „Das Wasser! Nasch!" vernahm sie deutlich. „Franz!" rief sie kreischend. „Iaxff' klang eS deutlich zurück. Ein donnerndes „Glück auf!" von den Arbeitern ant wortete. Kitty ruckte zusammen. Iax war rin junger Arbeiter den sie zufällig kannte.
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