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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.09.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-09-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950907023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895090702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895090702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-09
- Tag1895-09-07
- Monat1895-09
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Koller, folgende Ansprache: „Wenn Preußens Könige in ihren Provinzen Revue abhalten, dann sind dies nicht blos militairische Manöver, die daraus abzielen, die Wehrkraft des Vaterlandes zu stärken, sondern es sind auch Volksfeste, denn alles Volk läuft zusammen, um seinen König zu sehen und mit Jubel zu begrüßen. So sind auch wir beute hier versammelt, um Ew. Majestäten in der Provinz Pommern willkommen zu heißen und unserer Allergnädigsten Kaiserin, deren Erscheinen den heutigen Tag verherrlicht, unseren allerunter- thänigsten Dank auszuiprechen. Dabei ergreifen wir freudig die Gelegenheit, Ew. Majestäten das Gelübde derTreue zu erneuern, die in den Herzen der Pommern ties eingegraben ist, und die Ver sicherung zu Füßen zu legen: „Niemals soll sie erlahmen, die pommersche Treue, nicht in guten, nicht in bösen Tagen I" Mit diesem Gelübde erheben wir den Ruf, der Aller Herzen höher schlagen macht, den Ruf, in den die gesammte Einwohnerschaft der Provinz im Geiste einslimmt, den Ruf: „Se. Majestät der Kaiser und König, unser allergnädigster Herr, und Ihre Majestät die Kaiserin und Königin, unsere allergnädigste Herrin, leben hoch!" Darauf erhob sich der Kaiser zu folgender Erwiderung: „Mein lieber Herr von Koller! Sie haben soeben in beredten Worten den Gefühlen der Provinz Pommern Aus druck gegeben, und Ich beeile Mich, freudigbewegten Herzens im Namen der Kaiserin und in Meinem Unseren Herz lichsten Dank Ihnen ausznsprechen. Es ist das erste Mal, daß Ich das pommersche CorpS zusammenrufe, um es auf seine Kriegstüchtigkeit hin zu prüfen, und da werden Sie es wohl natürlich finden, daß Ich zurückgehe in der Geschichte und daß Ich Mich an das Jahr und die Tage erinnere, wo ein Anderer hier stand, und wo der Jubel des Volkes dem großen Kaiser galt, der nun leide? nicht mehr unter unS weilt. Wohl entsinne Ich Mich und Sie wohl Alle der Stunden, d» die herrlich« Fürsten- gestalt unter unS wandelte, da Ihr alter Vater, Herr von Köller, mit Auszeichnung und Gnade von Meinem Herrn Großvater behandelt wurde, wo zwei Zeiten und zwei Geschlechter sich begegneten, die nun dahin sind. Und neben dem großen Kaiser die Figur Meines seligen Vaters in der herr lichen Pracht seines Kürassierregiments, dereinst gewesen Statthalter von Pommern. Sie sehen hieraus, Meine Herren, wie viele Fasern und wie viele Bänder zwischen Ihnen und Meinem Hause, sowie Meiner Person verwoben sind, und in wie naher Beziehung die Provinz Pommern zu Uns steht Heiß umstritten ist sie worden durch Meine Vorfahren, bis es endlich gelang, dieses herrliche Land, dieses kerndeutsche Volk mit der Mark zu vereinen, so daß nunmehr der rothe Greif mit dem rothen Aar auf demselben Wappen schild« sich befand. Nun, Meine Herren, Sie haben soeben das Gelübde gehört, welches Herr von Köller in Ihrem Namen prach. Ich nehme Sie beim Wort! Ich danke Ihnen dafür. Schließen Sie sich zusammen, um daS Andenken und die Person Seiner Majestät deS Kaisers Wilhelm I. zu schützen und zu wahren, wie Ich dazu schon an anderer Stelle Mein Volk aufgerufen habe. Mein Wunsch soll der sein, daß in der erhabenen Erinne rung an jene große Zeit, die Wir in diesen Tagen gefeiert, in der Erinnerung an die Stunden, da die erlauchte Gestalt des Dahingeschiedenen unter Uns weilte. Wir aufs Neue UnS vergewissern und gegenseitig geloben, fortzuarbeiten undsort- zubauen an dem, was er geschaffen. Und daß dabei die Provinz Pommern grünen, blühen und sich entwickeln möge, daß Stettin zu einer mächtigen Handelsstadt empor- blüheu möge, das sei Mein inniger Wunsch. Erbeben Sie die Gläser und trinken Sie mit mir auf das Wohl der Provinz Pommern! Sie lebe hoch! hoch! hoch!" Man wird wohl nicht fehl gehen, wenn man annimmt, der Kaiser habe in den oben gesperrt gedruckten Worten eine Erläuterung zu dem so viel commentirten PassuS in seiner Sedanrede geben wollen, der bekanntlich lautet: „Doch in die hohe, große Festesfreude schlägt ein Ton hinein, der wahrlich nicht dazu gehört; eine Rotte von Menschen, nicht werth, den Namen Deutscher zn tragen, wagt es, das deutsche Volk zu schmähen, wagt es, die uns geheiligte Person des allverehrten verewigten Kaisers in den Staub zu ziehen. Möge das gesammte Volk in sich die Krast finden, diese unerhörten Angriffe zurückzu- weisen! Geschieht es nicht, nun dann rufe Ich Sie, um der hoch- verrätherischen Schaar zu wehren, um einen Kampf zu führen, der uns befreit von solchen Elementen." Wir haben des Kaisers Worte von vornherein nicht als die Ankündigung einer Diktatur, sondern als Mahnung verstanden, den Terrorismus der socialdemokratischen Führer bei jeder Gelegenheit auf das Energischste zu bekämpfen, damit er nicht so wächst, daß die Nothwendigkeit eintritt, offene Hochverrätherei mit bewaffneter Hand niederzuschlagen. Diese Mahnung hat der Kaiser jetzt nicht nur wiederholt, sondern er deutet auch an, wie er sie befolgt zu sehen wünscht. Er fordert zum Zusammenschluß auf. er wünscht, daß die erhebende Erinnerung an die große Zeit und ihren greisen Helden greifbare, praktische Wirkungen in dem Sinne zeitige, daß wir uns gegenseitig aufs Neue geloben, an der Schöpfung Wilbelm's I. fortruarbeiten. Zusammenschluß der Par teien im Dienste de« nationalen Gedankens, unter ^rückd,LUlUlL^LllLxKdermtt^ük0.. ist Ls,. was.der,KM> verlangt. Eine gesetzgeberische Actron gegen dir internationalen Widersacher dieses Gedankens scheint er nicht im Auge zu haben. Um so ernster ist für jeden Einzelnen die Pflicht, gemäß der Mahnung deS Kaisers in jedem Falle zu handeln, den Vorsatz zur That werden zu lassen. Der Versuch der Socialdemokratie, ihre Haltung in der jüngsten Vergangenheit abzuleugnen, ein Versuch, der vor Allem in einer langen, auch als Broschüre verbreitete» Rede des diplomatischen Herrn Auer zu Tage trat» haben wir schon gestern an dieser Stelle beleuchtet. Wir betonten, daß die Triebfeder zu diesen Versuchen die Besorgniß vor einer nahenden gesetzgeberischen Abwehraction sei, die auch in wirthschaftlicher Hinsicht für die socialdemokratischen Agitatoren schwer ins Gewicht siele. Heute schreibt in demselben Sinne die „N.-L. C": Die Rede des Herrn Auer über die Sedanfeier, man mag sie nun in der bürgerlichen Presse oder ceusurirt im „Vor wärts" lesen, ist dem Bedürfniß entsprungen, den Eindruck, den daS socialdemokratische Treiben in der jüngsten Zeit hervorgerufen hat, zu verwischen. Darüber können die ver schiedenen Diversionen de« gewandten Redners, seine Verwab rung gegen Vorwürfe, die gar nicht oder doch neuerdings nicht gegen die Socialdemokratie erhoben worden sind, keinen Augenblick täuschen. Der „Vorwärts" hat ganz Recht: es ist Auer nicht eingefallen, den internationalen Standpunkt und die republikanische Gesinnung zu verleugnen. Was er zu ver leugnen suchte, war die Rohheit und Niedertracht deS Gevahrens der Socialdemokratie inmitten deS seine hohen Erinnerungen pflegenden Volkes. Wenn eine bramarbasirende Partei, wie die socialdemokratische, in keineswegs ein starkes Selbst- und Sicherheitsgefühl verrathender Weise sich der Regel „si ksoisti, nvga" bedient, so verlohnt es sich, den Beweggründen nachzugehen. Diese sind, darüber wird man sich in bürgerlichen Kreisen nicht täuschen dürfen, sicher nicht in der Rücksicht nahme auf die Empfindungen von „Genossen", die über den Krieg von 1870 anders denken, als Herr Liebknecht, zu uckcn. Der Parteitag steht vor der Thür, und dort die übliche Decharge zu erwirken, macht der Parteileitung keine Sorge. Ebensowenig wird man glauben dürfen, die erzeugte Empörung an sich genire die leitenden Per sönlichkeiten in der Partei, darüber sind sie „hinaus". Bleibt also nur die Wirkung der Empörung, nämlich die Verbreitung und Vertiefung der Erkenntniß, daß ihrem landverderberischen Treiben Einhalt gethan werden müsse, als diejenige Erscheinung übrig, die der Partei eine Verleug nung ihrer jüngsten Leistungen räthlich erscheinen läßt. Die Socialdemokratie fürchtet, entgegen ihren gelegentlich abge gebenen Versicherungen, ein gesetzgeberisches Vorgehen gegen ihre Ausschreitungen, sie hat die Fabel von der einigen den und stärkenden Kraft des SocialistengesetzeS offen bar nur für den ihr dienlichen Gebrauch der bürger lichen Demokraten erfunden, und diese rechtfertigen denn auch bei jeder Gelegenheit das in ihre Urteilslosigkeit gesetzte Vertrauet. In ihrer Besorgniß vor einer Gefährdung der Organisation dürfte sich die gesammte socialdemokratische Hierarchie bis hinab zu den untergeordnetsten Gliedern eins wissen. Die Gründe dafür sind mannigfach. Einen sehr starken streift unwillkürlich die „Kölnische Zeitung", indem sie über die Agitation zu den sächsischen Landtags wahlen berichtet: „Wenn socialdemokratischen Blättern der Zufall zuweilen eins der vielen „von oben" kommenden Akten stücke auf den Tisch weht, so sind andererseits in der letzten Zeit durch ebensolchen Zufall socialdemokratische Rech nungen ihren Gegnern in die Hände gefallen. Aus ihneu ergiebt sich, daß, wer nicht ohnehin im festen Solde der Partei steht, für die Agitation ganz erkleckliche Vergütungen heraus- zuschlagea weiß. Wir sprechen hier nicht von den Partei- aröße«-ckre.von deu HalMtLdtyr. LUS das Gagze leiten, sondern von den Machern fünften und sechsten Ranges in Provinzialorten. ES liegen Rechnungen vor, welche beweisen, daß diese sich ihre Bemühungen für die Wahlen mit täglich zehn Mark und die Kosten der Eisenbahn fahrten noch überdies vergüten lassen. Daß solche Vergütungen aus Leute, die sonst vielleicht mit einem Lohne von 20 oder höchstens 25 e für die ganze Woche auskommen mußten, einen großen Reiz ausüben, noch neben den abwcchselungS reichen Ausflügen von Ort zu Ort, liegt auf der Hand.' Allerdings. Socialistischer Mache war eS bekanntlich im vorigen Jahre gelungen, auf dem Congreß der englischen Gewerkvereine zu Norwich einen Beschluß durchzusetzen, der in seiner Ausführung die englischen Arbeitervereinigunqen in das Lager der Socialdemokratie übergeführt hätte. Der diesjährige, zu Cardiff abgehaltene Congreß hat jedoch mit dem socialdemokratischen Spuk wieder gründlich auf geräumt, nachdem der iu Norwich mit der Codificirunc der Marx'schen Ideen beauftragte Ausschuß, statt sich dieser Aufgabe zu unteziehen, die Amulliruna des von den Socialdemokraten herbeigeführten Beschlusses vorbereitet hatte. Der Umstand, daß daS Verfahren des AuS schusseS formell nicht unanantastbar gewesen, verleiht der Abstimmung des Cardiffer Congresse« nur noch erhöhte Bedeutung. Die Beschlüsse deS CongresseS richten ich nicht nur gegen den SocialiSmuS, sondern auch gegen die Führer der socialistischen Partei. Personen, sie nicht Arbeiter oder bezahlte Beamte von Gewerkvereincu sind, werden von der Zulassung zum Congreß ausgeschlossen werden, ein Beweis, daß der englische Arbeiter sich daS gesunde Mißtrauen gegen Geschäftspolitiker bewahrt har, das in Deutschland und hier nicht einmal auSschließ- ich den Arbeitern verloren gegangen ist. Der Car differ Beschluß war mit Bestimmtheit vorauSzuseheu. Bemerkenswert^ ist nur die große Mehrheit, mit der er, trotz der erwähnten, in den Statuten gelegenen Schwierigkeit gefaßt worden ist, und der energische Protest zegen die Verquickung von Parteitactik und Socialreform, mit )em der Vorsitzende Jenkins ihn begründet hat. Die sociale Trage, so meint er, „streife auch nicht der Aermel der Partei- rolitik", jedenfalls, so fuhr er fort, sei von der socialdemo- kratischcn Partei (der sogenannten Independent Labour Party) sei nichts Gutes für den englischen Arbeiterstand zu erwarten. Man sieht, daß der erste Vertrauensmann der englischen Arbeiter nur eine der bestehenden Parteien fürchtet, und das ist diejenige, die sich in Deutschland die „Arbeiterpartei" schlechthin nennt. Der „Vorwärts" schickt denn auch in Würdigung dieser fatalen Thatsache der Bekanntgabe des Cardiffer Abstimmungsergebnisses ein sehr verlegenes Raisonnement voraus. Es vermag jedoch den ungeheueren Contrast nicht zu verschleiern, der zwischen der Mahnung ZenkinS, das Gute zu nehmen, wo eS sich findet, und der Verwerfung der Arbeiterversicherungsgesetze und des Arbeiter schutzgesetzes durch die socialdemokratischen Abgeordneten im deutschen Reichstag besteht. Das in England die Arbeiter auf der Seite der zu positivem Wirken Geneigten stehen, haben die letzten Wahlen gezeigt. In französischen Blättern und auch in den Organen der sogenannten Friedensliga ist in letzter Zeit wiederholt vorgcschlagen worden, man solle die „czuvstion alsassien" dadurch aus der Welt schaffen, daß man die Elsaß-Lothringer durch eine Volksabstimmung selbst entscheiden lasse, ob sie bei Deutschland bleiben oder in die offenen Arme Frankreichs zurückkehreu wollen. Bei ihrem Entschluß solle eS dann sein Bewenden haben. Vom nationaldeutschen Standpunkt ist diese Möglichkeit natürlich gar nicht diScutirbar, aber ebenso wenig für den consequenten französische«, Chauvinismus. So stellt der ehemalige Bonapartist Maurice Talmeyr in der „Revue Hebdomairr" den Grundsatz auf, daß Frankreich auch dann nicht auf dieRevanche verzichten dürfe, wenn alle Elsaß-Lothringer den einzigen Wunfck hätten, Deutsche zu sein und zu bleiben. Er führt daS im Einzelnen wie folgt aus: Der Geist der Revanche ist, und das ist leider natürlich, nicht dazu bestimmt, in Elsaß-Lothringen ebenso lange zu dauern, wie bei uns. Er ist für unS nicht nur eine Frage des Herzens und des Gefühls, sondern eine Frage des Nutzens, des Lebens. Frank reich wird erst an dem Tage wieder das wahre Frankreich werden, an welchem es Elsaß und Lothringen zurückerobert. Es handelt sich also für uns um unfern Bestand als Staat und unser Wesen als Nation. Unser Nutzen zwingt uns, durch den Krieg oder die Diplomatie zurückzuerobern, was uns Krieg und Diplomatie genommen haben. Sind Elsaß und Lothringen im gleichen Falle? Leider nein! Sie sind keine Nation, und ihr nationales Leben steht auf dem Spiel. Das Leben ist das große Gesetz. Man muß oft vergessen, um zu leben, wie mau in andern Fällen nur unter der Bedingung lebt, daß man sich erinnert. Für Elsaß-Lothringen besteht das Leben im Vergessen, wie es für uns in der Erinnerung besteht. Die Revanche! Darin liegt Alles für Frankreich vom Standpunkt des kältesten Verstandes, wie von dem des heißesten Gefühls aus. Man hat uns „genommen", wir müssen „wiedernehmen" oder wir sind keine Macht mehr. Es giebt nichts außer diesem, und nur darin liegt Vernunft. Alles Uebrige ist Komödie, Schaustellung, Nichtigkeit und Ausflucht. Wird uns FoiirHotoir. Schwere Kämpfe. Roman aus dem großen Kriege. 6) " Bon Carl Tanera. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) „Herr Horn, waS meine Tochter betrifft, täuschen Sie sich gründlich. Fräulein Thorstraten heirathet erstens nur mit der Erlaubniß ihres Vater«, und zweiten« hat sie mir mitgetheilt, daß sie sich durchaus in nichts gegen Sie ver pflichtete. Ist daS der Fall?" Der Officier mußte auf diese Frage antworten: „ES ist so." Er that eS mit einem Aus druck, der wahren Seelenschmerz verrieth. Wieder trat eine Pause ein. Da schien eS, als ob doch ein weicheres Gefühl den kalten Kaufherrn ergriffen hätte. Er betrachtete den mit gesenktem Haupte vor ihm stehenden Officier genau und sprach dann in etwas milderem Tone: „Nehmen Sie nochmals Platz! Ich will Ihnen einen Vorschlag machen." Der Officier setzte sich und sah dem ebenfalls sich nieder lassenden Kaufherrn forschend ins Gesicht. Dieser begann: „ES ist möglich, und ich glaube eS sogar, daß Sie eine Ausnahme von den Officieren machen, die ich sonst auf den Rennplätzen oder auf Reisen kennen lernte. DaS müßten Sie mir aber erst beweifen, ehe ich die Zuklinft meiner Tochter iu Ihre Hand lege. Auch können Sie mir nicht zumulhen, daß ich Ihretwegen meine langjährigen, auf vieler Erfahrung beruhenden Ansichten über den ganzen Stand der Osficiere ändere, oder gar mit dem OsficiercorpS in nähere Beziehungen trete. Ich will Ihneu aber eine Stelle als Volontair in meinem Geschäfte anbieten. Nehmen Sie Ihren Abschied, ziehen Sie hierher und arbeiten Sie in meinem Bureau. In kurzer Zeit werde ich erkennen, ob ich mich in Ihnen getäuscht habe oder nickt. In letzterem Falle, WaS ich wirklick glaube, gestatte ich Ihnen, abermals um die Hand meiner Tochter anzuhalten, und dann werden Ihre Aussichten günstigere sein. Selbstverständlich bleibt während dieser ganzen Zeit Fräulein Thorstraten für Sie die unnah bare Dame der Gesellschaft. Ich glaube damit Ihnen so eutgegenaekommen zu sein, wie e« überhaupt nur möglich ist." Em Sturm von Gefühlen der verschiedensten Art wogte durch die Brust deS jungen OfficierS. Zuerst hörte er aus den Worten de« Herrn Thorstraten nichts heraus, alS: „Sie ist Dir doch erreichbar." Wie der Kaufherr aber weiter sprach und ihm die Zumuthung machte, er solle seinen Abschied nehmen, da stieg eine immer stärker werdende Bitterkeit in ihm auf, und schließlich gerieth er in einen wahren Ingrimm. Er besann sich daher auch nicht lange, sondern antwortete in ziemlich erregtem Ton: „Nein, Herr Thorstraten, entaegengekommen sind Sie mir gar nicht. Ich begreife es überhaupt nicht, wie Sie einem Manne, dessen ganzes bisheriges Lebensziel darauf gerichtet war, sich Ruhm und Ehre zu erwerben, der vom Scheitel bis zur Sohle Soldat ist, zumuthen können, noch im Alter von 26 Jahren als Commis oder Lehrling in ein kaufmännisches Geschäft zu treten. Ich mache es Ihnen gewiß nicht zum Vorwurf, daß Sie Ihr vergangenes Leben hindurch nur nach Geld und Reichthum gestrebt haben. Noch weniger können Sie eS aber mir vorwerfen, wenn ich nach Höherem, nach Idealerem strebe. Daß ich mit Leib und Seele an meinem Beruf hänge und ihn nicht so mir nichts dir nicht« abwerfe, muß Ihnen gerade ein Beweis für die Verläßjichkeit meines Charakters sein, und deshalb wac;e ich eS jetzt noch einmal, Sie um die Hand Ihrer Fräulein Tochter zu bitten." Der Kaufherr dachte über den Sinn der Worte Horn'S nicht mehr näher nach. Er glaubte nur in denselben eine kolossale Ueberhebung des OfficierS gegenüber ihm, dem mächtigen Rheder, dem vielfachen Millionair, dem angesehenen Bürger der freien Stadt Hamburg, zu erkennen und fühlte sich schwer gekränkt. Da« sollte der übermüthige Hunger leider von einem Lieutenant fühlen. Wieder erhob er sich, sah den ebenfalls aufgestandenen Officier durchdringend au und rief in ziemlich erregtem, schneideudrm Ton: „Ich habe mich also doch getäuscht. Sogar um eine Renate Thorstraten scheuen Sie sich, ven Flitter und falschen Glanz Ihre« Standes abzulegen und ein ordentlicher tüchtiger Geschäfts mann zu werden. Dadurch wird eS mir klar, daß Alles, waS Sie da von unauslöschlicher Liebe gesagt haben, nur Phrase war. Ich sehe tiefer. Wahrscheinlich sind Sie doch einer von jenen Officieren, die in ihrer ersten Jugend un sinnig getobt und übermäßige Schulden gemacht haben. Nun steht Ihnen da« Messer an der Kehle, und die Heirath mit der Millionairstochter Thorstraten soll Sie wieder flott machen. Für eine solche Speculatiou ist aber meine Tochter zu aut. Da«, bitte, merken Sie sich, Herr Horn, und damit dürfte, wie ich glaube, unsere Unterredung beendet sein." Der Lieutenant war durch solche ungerechte Vorwürfe fast niedergeschmettert. Sein Blut kochte so heftig, daß er nur mit äußerster Gewalt die Ruhe bewahren konnte. Mit bebender Stimme rief er, während er mit festem und durchbohrendem Blick den Kaufherrn ansah: „Herr Thorstraten, Sie haben durch die Zumuthung einer solchen Niedrigkeit und Gemeinheit mir eine so schwere Beleidigung rugefügt, daß ich einem Kameraden gegenüber sie mit der Pistole in der Hand rächen würde. Gegen Iden Vater Renatens kann ich einen solchen Schritt nicht unter nehmen. Das aber haben Sie leider auch erreicht, daß mein Fuß dieses HauS nicht mehr betritt." Damit machte er eine ceremonielle Verneigung, wandte sich nach der Thür und verließ den Salon, ohne umzusehen. Außen öffnete ihm stumm der Diener daS HauSthor; einen Moment später stand er wieder auf der Straße. Ohne nur einen Blick nach rückwärts zu werfen, rannte er fort. Die nächste freie Droschke hielt er an, sprang hinein und rief dem Kutscher: „Hotel de l'Europe!" zu. Zehn Minuten später be fand er sich wieder in seinem Zimmer. Herr Thorstraten starrte dem Officier nach, ohne sich von der Stelle zu rühren. Auch als er das Schließen deS HauS- thores vernommen, rührte er sich noch nicht. Und doch zog eS wie ein Gefühl der Reue durch seine Seele. „Ob ich ihn vielleicht zu schroff behandelt habe? Mög licherweise ist er wirklich besser als die anderen. Er scheint sich meine Worte sehr zu Herzen genommen »u haben. Viel leicht ist er aber nur ein ausgezeichneter Schauspieler. — Jedenfalls habe ich gethan, waS ich thua konnte. Einem Officier gebe ich meine Renate nicht, und wenn er nicht in mem Geschäft treten will, dann kann er auch meiner Familie fern bleiben. Renate ist so klug, daß sie die Unmöglichkeit einer Ehe mit einem solchen hochmüthigen Lieutenant selbst einsehen wird. WaS der Mensch für verrückte Anschauungen über da« Leben mit einer Frau hat! Von seiner Gage, die vielleicht 400 Thaler im Jahre beträgt, und von 500 Tyalern Zinsen wollte er mit Renaten leben! Darüber wird sie trotz etwaiger LiebeSschwärmerei doch lachen. Ich hatte höchstens die Andeutung wegen der Schulden unterdrücken könne». Viel leicht ist e« aber so besser. Ein erster tüchtiger Schnitt bewahrt oft vor späteren langwierigen Operationen. UebrigenS ver schweigen darf ich Renate nichts. Sie soll Alle- erfahren, waS zwischen mir und ihrem Freier vorfiel. Da« zu ver langen, hat sie ein Recht." Jetzt erst bewegte er sich, trat an eine neben der Thür herabhängende Glockenschnur und läutete. Der Diener trat ein. „Wissen Sie, wo meine Tochter sich befindet?" „Das gnädige Fräulein ist im rothen Boudoir, Herr Thorstraten." „Danke." Mit langsamen Schritten ging der Kaufherr durch die ihm vom Diener ehrerbietig geöffnete Thür über den Vor platz und erstieg bedächtig die Treppe zum oberen Stockwerk. Als er in das rothe Boudoir trat, erhob sick Renate von hrem Arbeitstisch, legte eine halbfertige Stickerei bei Seite, chritt auf ihren Vater zu und fragte ihn lebhafter, als eS onst ihre Art war: „Nun, was hat er gesagt?" „Er hat meinen Vorschlag abgelehat und in Unmuth unser HauS verlassen." „DaS ahnte ich." ES klang dies sehr traurig, aber eS sprach auS ihrer Stimme mehr die ergebene Fügsamkeit unter dem Drucke eines unabwendbaren Geschickes als der Schmerz eines zer rissenen Herzens oder gar der zornige Wille, sich einem ver haßten Urtheil zu widersetzen. Ihr Vater ließ sich in einem bequemen Fauteuil nieder. „Setze Dich, Renate, ich will Dir Alles genau erzählen." Sie nahm auf einem andern Fauteuil Platz und lauschte aufmerksam seinen Worten. Keine Thräne trübte ihre Augen. Seit gestern, wo Sie ihrem Vater alle Erlebnisse in München und am Starnberger See wortgetreu mitgetheilt und er ihr bestimmt erklärt hatte, daß er uie seine Zustimmung zu ihrer Heirath mit einem Officier geben werde, war sie mit ihrem Innern ins Reine gekommen. Sie hatte verzichtet. Nur in ihrer Schlafstube, in der stillen, einsamen Nacht, waren ihre Thränen geflossen. Vor der Welt aber erschien sie wie immer ruhig, kalt und gemessen. ES brauchte ja Niemand, nicht einmal ihr Vater zu wissen, welchen Kampf mit sich selbst sie bestanden. Herr Thorstraten erzählte ihr auSsübrlichst und schonte sich selbst in keiner Weise. Er wußte, daß sie ihm wegen der rauhen Schlußbemerkungen seiner Antwort an ven Lieutenant Vorwürfe machen werde. Sie that e« auch, nicht heftig und überstürrt, sondern in aller Ruhe, in bescheidenster Form und rein sachlich. Dadurch wußte sie ihm die Ansicht beizubringen, daß er nicht nur übereilt, sondern sogar unrecht gehandelt habe. Da- ries iu ihm ein beschämende- Gefühl hervor; denn ebenso starr, wie er seine Uebrrzeugungeu vertrat, ebenso
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