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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.10.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-10-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951003020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895100302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895100302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-10
- Tag1895-10-03
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Tabellarischer »uh Zißernl,tz »ach höhere^ Daris. Extraevrilagcn (gesalzt), »»r mit de, Morgen»Ausgabe, ohne Postbefördrrnug -4l M.—. m«t Postbesörderuag Annahmeschluß für Anzeigen: (nur Wochentag«) Abrud-Au-gabe: Vormittag« 10 Uhr^ Morg, n»Au»gabe: Nachmittag« 4Uht« Lei den Filialen und Annahmestelle» je «a» halbe Stund« srüh»r- Anzeigen sind stets an di» Gxpetziria« zu richten. Druck und Verlag von E. Polz kn Leipzig- ^°477. Donnerstag den 3. October 1895. 88. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 3. Oktober. Endlich kommt Herr Stöcker in seinen endlosen und inhalt losen Auseinandersetzungen, die er wegen der Veröffentlichung seines berühmt gewordenen B rie fe s aus dem Iah re 1888 um Besten giebt, zu diesem selbst. Vermuthlich bedauert er, o lange gezögert zu haben, denn aus welchem Material immer eine Stirne gemacht sei, es ist fatal für ihren Träger, wenn ihm 24 Stunden, bevor er sich vor dem Forum eines ganzen Landes zu rechtfertigen gedenkt, ein selbst von der „Kreuzzeitung" hochgeschätzter Mann und politischer Gesinnungsgenosse „bemerkenswerthe Mängel an Offen heit und Wahrheitsliebe" vorwirft. Indessen auch das Schweigen des Professors Brecher hätte dem Commentar, den Herr Stöcker nunmehr zu seinem Briefe an Herrn v. Hammerstein giebt, keinen Credit gesichert. Das vermöchten angesichts dieser Leistung der Sophistik selbst die Eidesbelser- schaft der Gerechtesten des Landes nicht. Man mag die Windungen des frommen Mannes komisch finden, widerwärtig jedenfalls ist, wie er die Dinge in seinem Briese, an denen auch seine Berdrehungskunst verzweifelt, dem Freund und seelsorgerischen Pflegling Frhrn. v. Hammerstein und Herrn Or. Kropatscheck aufhalst: „In der Redaction der „Kreuzzeitung" wollte ich nun meinem Aerger (über die Lage der Politik) Luft machen, was doch begreiflich ist. — Da ergeht an mich — immer vorausgesetzt, daß der Brief echt und richtig wiedergegeben ist — die Aufforderung, einige Artikel zu schreiben, in welchen „das schnöde Spiel von Bismarck und Ge nossen mit dem Kaiser ausgedeckt" wird. Offenbar also ist damals nicht von mir, sondern von der andern Seite der Kampf gegen die Bismarck'jche Politik geplant; auch der Ausdruck „schnödes Spiel" wird von drüben gefallen sein." Hammerstein hatte bekanntlich Stöcker zum Schreiben aufgesordert und vr. Kropatscheck das Ersuchen ver mittelt. In des Letztern Schuhe also schiebt sich sanft, wie es der zarten Hand Stöcker'S entspricht, das „schnöde Spiel". Der Mann weiß übrigens, daß er mit diesen Sätzen nicht gerade den Gipfel der Noblesse erklimmt. Denn er fügt gleich hinzu: „Nur um klarzustellen, schreibe ich dies". Was aber ist nun klar? Uebrigens kommt der Ausdruck „Spiel" noch einmal in dem Briefe vor, und zwar spricht Stöcker von einem Spiel mit dem Kaiser, das man nicht verlieren dürfe. Schade, daß der Commentar darüber kein Wort vertiert. Dafür weiß er das „Säen der Zwietracht" zu eScamotiren: „Man hat den Satz. „Mrrkt der Kaiser, daß man zwischen ihm und B. Zwietracht säen will, so stößt man ihn zurück" so aufgesaßt, als hätte ich diese Zwietracht säen und den Kanzler stürzen wollen. Diese Auffassung ist böswillig. Jener Sqtz kann doch bedeuten, daß vor dem Säen der Zwietracht gewarnt rpird." Nein, Herr Stöcker! So lange Logik und deutsche Sprache dieselben bleiben, die sie heute sind, kann der Satz nicht das Warnen vor dem bösen Säen bedeuten, sondern bedeutet er eine Warnung davor, den Kaiser merken zu lassen, daß man ein „Spiel" gewinnest will. Das hätte ein ertappter Durchschnittsquintaner besser gemacht. Nun dir „Scheiterhaufen": „Daß der Kaiser in diesem Puncte (Judenwirthschaft, Martineum, theologische Professoren und Cartellpolitik) mehr mit uns (!) al« mit Bismarck fühlte, nahm ich als gewiß an. (So?) Ihn in diesem seinen fürstlichen Anschauungen stärken zu Helsen, war mein einziges, aus der Liebe zum Vaterlande und der Kirche hervorgehendes Be» streben. Daß die Diskussion darüber hell wie Scheiterhaufen auf» lodern solle, war doch gewiß keine Hintertrcppenpolitik oder I». trigantenheuchelei." Abermals schlecht herausgeredet, Herr Stöcker! So oft in der Weltgeschichte Scheiterhaufen angezündet wurden, war eS den Anzündern nicht um den schönen, Hellen Flammenschein zu thun, sondern um die Verbrennung dessen, was auf dem Scheiterhaufen lag, in diesem Falle des Fürsten Bismarck, dessen Abgang nicht gewünscht zu haben, Stöcker zwar hoch, aber nicht glaubwürdig betheuert. Im klebrige» ist es noch das Sympathischste an dem ganze» Rechtfertigungsversuch, daß Stöcker erklärt: „Ich habe den Fürsten allezeit in der äußeren Politik für den größten Stäaisman» der Weltgeschichte, in der nationalen Politik für einen der größten gehalten und erklärt. In der inneren Politik ist er mir dagegen, einige gute Griffe abgerechnet, als ei» wenig glücklicher, in der innersten Politik, das heißt in der Pflege der sittlich-rcligiöseii Lebeusmächte, als ein sür Deutschland ver- hängnißvoller Staatsmann erschienen." Schade nur, daß an dieser Stelle die Eitelkeit Stöcker'», die seiner Lust am „hell lodernden" politischen Feuer die Waage hält, ihm einen kleinen Streich spielt. Er fährt nämlich fort: „Die von ihm begünstigte Cartellpolitik der Mittel parteien, welche auf die Vernichtung der christlich-konservativen Gruppe ausging, habe ich nie begriffen; so durchaus fatsch ist sie." Man hat bisher andere Maßstäbe für die Bismarck'sche Politik gehabt, als die Fähigkeit des Herrn Adolf Slöcker, sie zu begreifen. Aus allgemeinen und besonderen Gründen wird es sich nicht empfehlen, diese oratio pro epjstola in den Schule» (auch nicht im Martineum, wenn es noch ein Gymnasium werden sollte) lesen zu lassen. Der „Vorwärts" ergeht sich wieder einmal in militairisch- diplomatischc» Betrachtungen. Uns interessirt in seinen neuesten Offenbarungen nur die Behauptung, daß Deutschland im Falle eines Krieges mit zwei Fronten seinen Getreide bedarf (über österreichische oder italienische Häfen) nur decken könnte, „wenn irgend eine neutrale See macht unseren Getreideschiffen den Schutz gewährt, den wir selbst — trotz aller chauvinistischen Renommisterei — außer Stande sind, ihnen zu gewähren". Nun, die Nothwendigkeit für den Schutz der Getreidezufuhr für ein im Kriege mit mehr als einer Macht befindliches Deutschland zu sorgen, ist schon von anderer Seite betont worden, mit besonderem Nachdruck von dem Grafen Dürckbeim-Montmartin und einer in volksthümlicher Sprache abgefaßten Broschüre, die beide nichts von chauvinistischer Renommisterei verspüren ließen, sondern im Gegentbeil zur Sicherung der Volks- und Heeres- ernäbrung im Kriegsfälle die Verstärkung der deutschen See macht verlangten. Der Vorwärts müßte zu derselben Forderung gelangen, wenn es ernstgemeint gewesen wäre, was er erst gestern helheiserte, daß nämlich ebensowenig wie die französischen Socialisten vergäßen, dqß sie Franzosen seien, die deulschen Socialisten vergäßen,daß sie Deutsche seien, d. h. „daß Deutschland dasjenige Land ist, in welchem sie ihre Bürger- und Menschen pflichten zu erfüllen haben". Der eigenen kämpfenden Armee das Brod zu sichern, ist auch für den grundsätzlichen Gegner des Krieges Bürgerpflicht, und erst recht ist es Menschenpslicht, die nickt streitenden Volkstheile vor Hunger zu schützen. Französische Socialisten würden sich auch keinen Augenblick besinnen, Maßregeln zuzustimmen, die derartige Gefahren von ihrem Lande abwehrten, der „Vorwärts" aber will den Schutz der deutschen Getreidezufuhr im Kriege der Gnade Englands überantworten. Er verbürgt zwar, daß der Krieg mit zwei Fronten England auf unsere Seite drängen werde, aber wenn es anders kommen sollte, würden sick Reich und Volk durch einen Regreß auf Herrn Liebknecht vermuthlich nicht schadlos halten können. Seinem Eifer, Probleme der europäischen Zukunst und damit verbundene Militair- und Marinesragen zu lösen, sollte dieser Führer im Interesse seiner Autorität Zügel anlegen und das Gebiet der Fälschung des Vergangenen, worin er unübertroffener Meister ist, ausschließlich cultiviren. In dem Mißgeschick, das sich an sein parlamentarisches Eintreten sür ein Volksheer im Sinne der Socialdemokratie heftete, könnte doch ei» starker Antrieb zu solcher Selbstbeschränkung ge funken werden. Liebknecht bezifferte die Kosten einer „Wehr- bastmackung des Volks" niedriger als die des herrschenden Wehrsystems und mußte sick vorrechnen lassen, daß sie sick etwa um das Fünffache höher belaufen. Aber seine Tbeorie von der größeren Kriegstüchtig- teil der „ausgestellten" im Vergleick zu den disciplinirten Truppen machten noch weniger Glück. Sie hat sich nicht einmal während des Communeausstaiides bewährt. Da Herr Liebknecht die Geschichte gewiß nickt auch zu seinem Privat gebrauch fälscht, so kann er Nutzen aus einer Erzählung ziehen, die sick in dem von der „Vossischen Zeitung" ver öffentlichten „Tagebuch eines Ordonnanzofsiciers beim General kommando 6. Armeecorps 1870/71" findet. Der Verfasser batte Gelegenheit, das von den Communarden besetzte Fort Ivry genau zu beobachten. An einem der letzten Tage der Commune sah er Versailler Infanterie, also Regierungs- truppen, auf das Fort, dasselbe im Halbkreis umfassend, vor rücken. „Sobald dies geschehen war", so erzählt er, „sahen wir zu unserem Staunen die Besatzung des Forts, etwa 600 bis 800 Mann, aus dem Thor desselben in bas Freie treten und eiligen Schrittes sich nach der Stadl zurückziehen. Als die anfänglich wohlgeordnete Truppe etwa 500 Meter weit marschirt war, löste sick all mählich alle Ordnung völlig auf. Der größte Theil der Leute, welche in ihrer äußeren Erscheinung einen durchweg unifor- mirten, gleichmäßig bewaffneten Eindruck machten, lief der Seine zu, warf, wenige hundert Meter von meinem Standort entfernl, die Gewehre, Patronentaschen und Säbel in den Fluß, entledigte sich möglichst aller Uniformstücke und militairi- scher Abzeichen, zog rie bereit gehaltene Blouse über und spielte fortan den unschuldigen, friedlichen Zuschauer". Also eine Truppe, die dem Ideal des Herrn Liebknecht nocb mehr entspricht, als er im Reichstag zu sagen wagte. Denn es waren Revolutio»ssoldaten,socialistisch eRevolutionssolbaten und die äußere Dressur, die Liebknecht mit soldatischer Aus bildung verwechselt, hatten sie auch, sie hielten „anfänglich" gute Ordnung. Wenn aber das Volksheer selbst zum Re- rolutionmachen zu schlecht ist, wird die Socialdemokralie bald den Geschmack gn dieser Einrichtung verloren haben. Gestern ist endlich in Lesterreich das neue Ministerium Badeni ins Leben getreten. Auf welche parlamentarische Mekrbeit wird -s sich stutzen? Die Coalitionsidee ist be graben, Graf Badeni wird sie nickt zu neuem Leben zu er wecken suchen. Er will, wie er sich ausgedrückt hat, ohne Voreingenommenheit mit jeder „staatserhallenden" Partei gehen, staatserhaltend aber nennen sie sich alle. Es kommt daher darauf an, was Graf Badeni unter staatserhaltend versteht, er hat sich darüber noch nicht ausgesprochen — wie er sich bisher überhaupt über sein Programm so gut wie ganz ausgeschwiegeu bat — und man wird deshalb mit einem endgiltigen Urtheil warten müssen, bis osficielle Regierungserklärungen vorliegen. Aus seinem Appell an die staalserhatlenden Parteien lesen wir nur heraus, daß er sich einmal die dringend notbwendige, aber auf mancherlei Widerstand stoßende Erneuerung des Ausgleichs mit Ungarn zur Hauptaufgabe gemacht hat. Hierzu aber, sowie zur Lösung des zweiten wichtigen und unaufsckiebbaren Problems der Wahlreform bedarf er zweifellos neben der konservativ-klerikalen auch der deutsch-liberalen Partei. Von einer von mancher Seite befürchteten BrüSkirung der Letzteren wird also kaum die Rede sein können. Tschechen, Christlich-Sociale und Antisemiten werden sich ja auch als „staatserhallende" Parteien zur Verfügung stellen, sie wollen ihren am Schluffe des verflossenen Sessions- abschnittes bis zur Obstruktion gesteigerten Widerstand fallen lassen, sofern Graf Badeni sich nur bereit erklärt Dinge, wie das böhmische Staatsrecht, die Consessionali- sirung der Schule, die Abänderung der Staatsgrundgesetze behufs Rechtlosmachung der Juden und ähnliche Forderungen zu befriedigen. Darauf aber kann der neue Ministerpräsident nicht eingeben und er wird daher mit derselben Obstruktion, wie das Coalilionscabinet zu kämpfen haben. Die Position des neuen Ministeriums ist also durchaus keine beneidcnswertbe. Die Parteien zeigen sich außerordentlich zurückhaltend und wollen erst Stellung nehmen, wenn die Regierung ihre ersten Tbaten gethan hat. Die Namen der neuen Minister sind seit längerer Zeit bekannt, Gras Badeni selbst, der sich neben dem Vorsitz im Ministerrath das Portefeuille des Innern Vorbehalten hat, gilt sür einen Vertrauensmann des Kaisers, ähnlich wie das seiner Zeit Graf Taaffe gewesen ist. Er entstammt einem aus Italien in Galizien eingewanderlen Geschlecht?, Las sich dort vollständig polonisirt hat. Als Statthalter von Galizien soll er sich als tüchtiger Berwatlungsbeamter gezeigt haben; sicher ist, daß er sich stets mit den Interessen des polnischen Adels jdentificirt hat; sein Be» Wallungstalent wird sich in dem großen, ihm jetzt zugewiesenen Gebiete, das ihm viele schwierige Aufgaben stellt, erst zu bewähren haben, vr. Leon Ritter von Bilinski, dem das Finanzreffort übertragen ist, war lange Jahre Budgetreferent im Abgcorbnrten- tiauje. Seit er dem Parlament nicht mehr angehärt, etwa seit drei Jahren, stand er an der Spitze der Generaldirection der Staats bahnen und ist seitdem politisch nicht hervorgetreten. Er gilt als verhältnißmäßig liberal, auch rühmt man ihm Unparteilichkeit seinen deutsche» Untergebenen gegenüber nach. Graf Badeni und Herr v. Bilinski vertreten das polnische Element im neuen Cabinrt, dem ein eigentlicher polnischer Landsmann-Minister nicht mehr angehört; dessen Befugnisse soll vielmehr Herr v. Bilinski gleichzeitig wahr- nehmen. Seine Gattin ist eine Deutschböhmin, die Tochter des von Kaiser Wilhelm I. zum Geheimen Sanitätsrath ernannten Arztes vr. v. Seiche in Teptitz. Den Klerikal-Feudalen dürste der Ackerbauminister, Graf Johann Ledebur, ein Mitglied des böhmischen Hochadels, zuzurechnen sein. Er ist mit einer Reihe der hervorragendsten, tschechisirten deutschen Adelsfamilien in Böhmen verschwägert, und diesen Familienbeziehungen verdankt er, der ein zige Minister, der nicht dem activen Verwaltungsdienst entnommen ist, wohl nicht am wenigsten jeine Berufung zum Minister. Biel- leicht liegt darin auch ein Zugeständniß an die Tschechen, denen ei» Pflaster auf die schmerzende Wunde gelegt werden soll, die ihnen durch dse Vereitelung ihrer Hoffnung, einen Landsmann- Minister zu bekommen, geschlagen worden ist. Sie selbst werden es freilich als solches nicht anerkenne». Zur Zeit des verunglückten Slu-gleichsversuchs des Grafen Taaffe trat Graf Ledebur mit dem Fürsten Windischgrätz und einer Reihe anderer Großgrundbesitzer auS deren Club aus. Die Thätigkeit des Unterrichtsministers Freiherrn von Gautsch ist aus der Zeit des Labineis Taaffe noch in Er- inuerung. Seine Schaukelpolitik, die es weder mit rechts, noch links verderben wollte und Niemanden zufriedenstellie, wird besondere Freude über seine Wiederberuiung bei de» Deutjchtibcralrn wenigstens nicht hervorufen. Der Landesvertheidigungs-Minifter Gras Welfer«- heimb hat alle Ministerien seit dem Grasen Taaffe überdauert. Sein Ressort gilt als neutral; er selbst tritt auch correcter Wesse politisch nicht hervor; immerhin verstärkt jedoch seine Stimme im Ministerrath das Gewicht der Rechten. Nachzurühmen ist ihm, daß er stets für die deutsche Sprache als Armeejprache mit Energie eingetreten ist. Es bleiben nun noch di» Minister sür den Handel Freiherr Glanz von Eicha und sür die Justiz Graf Johann Gl ei spach, die beide von den Deutschliberalen mit einigem Rechte sür sich reclamirt werden können. Frhr. von Glanz, bisher Sections- chef, d. h. etwa Unterslaatssecretair im Auswärtige» Amte und Vorstand der handelspolitischen Abtheilung in diesem, war hervor- ragend betheiligl an dem Abschlüsse der Handelsverträge. Sein Wissen auf diesem Gebiete hat ihm wohl im Hinblick auf die bevor- stehenden Verhandlungen über den Ausgleich mit Ungarn zu einem Ministersessel verholfen. Graf Gleispach war bisher Oberlandes- gerichls-Präsident in Graz, Mitglied des steirischen Adels, gehört er zum liberalen steirischen Großgrundbesitz. Beurtheilt man die neue Ministerliste vom deutschen Standpunkt, so hat man kaum Ursache, unzufrieden zu sein. Gras Badeni ist als Pole ein Anhänger des Dreibundes und steht auf dem Boden der bisher befolgten auswärtigen Politik. Feuillstsir. Schwere Kümpfe. «O»a» aus »em «ratze« Erlege. L8j Bon Carl Lanera. Nachdruck verdate». (Fortsetzung.) Er bemerkte darauf kurz: „In diesem Lieutenant Horn habe ich mich doch getäuscht. Er scheint wirklich ein hervorragend tüchtiger Officier zu sein." Nun batte sie ihn so weit, wie sie ihn haben wollte. Als er am 4. September von dem von den vornehmsten Bürgern Hamburgs zu Ehren de» Sieges von Sedan abgehaltenen Festbanket zurückkehrte und ihr erzählte, daß auch er einen Toast auf die tapfere deutsche Armee und besonders auf ihre ausgezeichneten Ossiciere gehalten habe, da rückte sie mit einem seit mehreren Tagen gehegten Wunsche heran«, indem sie bittend sprach: „Lieber Vater, darf iH nicht noch einige Wochen nach München zu unseren Verwandten reisen?" „Was willst Du denn dort, Renate? Du warst ja erst in München." „Ich möchte" — dabei wurde die sonst so energische und selbstbewußte Renate Thorstraten verlegen wie ein Back- fischchen — „ich mochte eine Gelegenheit finden, der Frau OberregierungSrath Horn zu der Auszeichnung ihre- Sohnes Glück zu wünschen." Herr Thorstraten sah seine immer mehr erröthende Tochter mit einem langen Blicke forschend an. Dann sprach er weich: „Schreibe an Tante Strecker, mein Kind, ob Du sie nicht störst. Wenn man Dich in München ausnehmen kann, dann reise, sobald Du willst. Vergiß aber nicht, waS Du meinem Namen und Dir schuldig bist." Mehr noch als durch die erhaltene Erlaubniß ersah Renate durch den von ihrem Vater fast nie gebrauchten Ausdruck „mein Kind", daß er von nun an ihr Schicksal in ihre Hand lege und jedenfalls ihr keine Schwierigkeiten mehr bereiten werde. Sie schrieb sofort nach München, wurde von dort durch eine Depesche freundlichst «ingeladen und reist« am 7. September direct von Hamburg b»4 München. Von der Verwundung Hora'« wußte sie noch nicht«. Sie beabsichtigte, sich bei günstiger Gelegenheit seiner Mutter nähern und durch dies« auf irgend welche Art di« zerrissen« Ver bindung mit dem Geliebten ihres Herzen« wieder anknüpfen zu können. Da erfuhr sie nach ihrer Ankunft in München seine Ver wundung und bald darauf die Nachricht, daß er selbst hier angekommen sei und bei seiner Mutter wohne. So gewaltig auch ihr Herz bei dem Gedanken, ihn vielleicht wieder zu sehen, pochte, so war seine Anwesenheit ihr doch ein Schlag, der ihr all' ihre Pläne vernichtete. Nun erschien ja jede Gelegenheit ausgeschloffen, die Frau Räthin allein sprechen und nach und nach zur Vertrauten ihrer geheimsten Gedanken und Wünsche machen zu können. Im Gegenlheil! Jetzt mußte sie selbst sich sehr vorsichtig und abwartend verhalten, damit sie nicht hei ihm und Anderen in den Verdacht kam, sie habe seine Rückkehr nach München gewußt und sei ihm nachgereist. Aus diesem Grunde wagte sie auch nickt, sich direct nach ihm zu erkundigen oder gar ihm einen Wunsch für seine Besserung ausdrücken zu lassen. Und dennoch erfuhr sie genau, fast täglich, wie es mit dem Verwundeten stand, und zwar durch die freundliche und aufopferungsfähige Mechtildi«. DaS gute Mädchen wußte Wohl, daß seine häufigen Besuche im Hause der Frau Räthin Horn mancher alten Jungfer oder mancher argwöhnische» Mutter einer beirathsfähigen Tochter rin Dorn im Auge seien, und daß die meisten dieser Damen sich nicht in wohl wollendem Sinne hierüber äußerten. DaS war ihr aber einerlei. Ohne daß ein Wort zwischen ihr und ihrer Cousine darüber gewechselt wurde, wußte sie ja auch, wie eS im Herzen der Letzteren auSsah, und welche Freude sie ihr machte, wenn sie recht viel vom Oberlieutenant Horn und von seiner rasch fortschreitenden Besserung erzählte. Auch der jnnge Officier befand sich in einer peinlichen Lage. Er konnte dock Renate Thorstraten, die ibn abge wiesen und deren Vater ihm eigentlich auf immer sein Haus verboten hatte, nicht grüßen lasten. Er fand eS nicht ein mal paffend, nach ihr zu fragen. Und doch hörte er so sehr gern von ihr erzählen. Auch das hatte ja die kleine Schelmin Mechtildi- bald heraus, und nun plauderte sie bei Horn von ihrer Cousine und Freundin und bei Renate von dem verwundeten Officier. So war sie nach und nach ein vorzüglicher kontillon ckumvur geworden, ohne daß je eines der Liebenden ihr einen Auftrag gegeben hätte oder nur ein intimere» Wort gefallen wäre. Und doch fand Renate einen Weg zu «inen, weiteren Schritt der Annäherung. Eine« Tage«, als sie wußte, daß ihre Cousine wieder zu Horn'S gehen wollte, schenkte sie ihr ein prächtiges Rosenbouqnet. MccktiltiS fragte ganz überrascht: „Für mich?" Renate erröthete über und über und bemerkte verlegen: „Mache damit, waS D» willst." „Ah so! Nun Adieu, Cousinchen. In einer Stunde bin ich wieder da." Bei Horn, der nicht mehr auf der Chaise-longue zu liegen brauchte, sondern schon im Zimmer auf- und abgehen konnte, zeigte sie das Bouquet und erwähnte dabei, daß sie es von ihrer Cousine geschenkt erkalte» habe. Dann legte sie es auf den Tisch, und als sie sich empfahl, tbat sie. als ob sie es vergessen habe. Bei ihrem nächsten Wiederkommen be merkte Horn, sie habe beim letzten Besuche ihre Blumen vergessen. Da diese aber schon ziemlich welk seien, erlaube er sich, sie in anderer Form zurückzugeben. Damit über reichte er ihr ein ganz hübsch gefertigtes, von ihm gemaltes Aquarell des Bouquets, das sie natürlich Renate brachte lind schenkte. DaS nächste Mal gab sie ihm ein Buch mit den Worten: „Lesen Sie es nur. Es wird Ihnen die Langweile vertreiben. Es gehört zwar nicht mir, aber Sie werden es ja nicht verderben." Das that er nun gewiß nicht. Aber öfter als den Inhalt des BucheS betrachtete er den auf der ersten Seite mit ziemlich fester Handschrift eingetragenen Namen: Renate Thorstraten. Auf gleiche Weise bekam er noch mehr Bücher derselben Eigenthümerin geliehen. Endlich, am 5. Oktober durfte er zum ersten Male einen kleinen Spaziergang im Freien unternehmen. Nun ging es rasch vorwärts, und schon am 8. Oktober gestattete ihm der Arzt, Besuche in der Stadt zu machen. Er dankte zuerst dem alten Freunde seines Vaters sür seine Aufmerksamkeiten, und dann lenkte er seine Schritte zum Hause des Appellations- gericktSratheS Strecker. Daß der Rath selbst nicht in seiner Wohnung, sonder» im Gerichtsgebäude war, wußte er genau. Aber sein Herz sagte ihm auch, daß er die Damen zu Hause treffen werde. Er hatte ja Fräulein Mechtildi« angedcutet, wann er seine Aufwartung machen könne. Er täuschte sich nicht. Als er anläutete und das öffnende Dienstmädchen nach den Damen fragte, wurde er sofort in den Salon geführt. Frau Strecker und ihre Tochter traten ei» und be grüßten Beide den Officier auf da- Freundlichste. Nun kam Renate. Unwillkürlich richtete sich Horn in stramm militairischer Haltung auf und verneigte sich stumm vor ihr wie vor einem General. Sir ging scheinbar unbefangen aus ihn zu und reichte ihm die Hand mit den Worten: „Nehmen Sie meinen besten Glückwunsch zu ikrer Genesung und vor Allem zu der ehrenvollen OrdenSauSzeichming, die Sie er halten haben." Ihrer vibrirenden Stimme und ihrer nervös zuckenden Hand merkte man deutlich an, wie sehr sie sich in der Ge walt haben mußte, um ihre innere Erregung zu bemeistern. Der Officier erkannte es wohl. Er war aber selbst so be fangen, daß er sich alle Mühe geben mußte, nickt aus der Nolle zu fallen und die äußere Ruhe zu bewahren. Wieder war es Fräulein Mechtildis, die mit heiterem Geplauder bald die erregte Stimmung von Beiden nahm und eS schließlich soweit brachte, daß sowohl Horn als auch Renate ohne Zwang auf ihre Scherze eingingen. Freilich vermieden letztere, sich gegenseitig anzusprechen oder auch nur längere Zeit an useben. csmmerhin war der Oberlieutenant von seinem Be uche völlig befriedigt, denn der Weg zu einem Wiederbeginn des Verkehrs mit Renate war angebahnt und konnte durch die liebenswürdige Vermittelung der muntern Mechtildis die weitgehendsten Hoffnungen erwecken. Die Frau Rätbin Strecker verstand auch endlich die Anspielungen ihrer Tochter und lud Horn ein, mit iknen einen Abend zuzubringen. „Sie muffen uns so viel erzählen. Wir baden ja keine Ahnung vom Kciegs- leben und mochten doch so gern NabereS darüber hören. Bitte, sagen Sie zu. Mein Mann würde sich auch sehr freuen, einen gemutblichen Abend mit Ihnen verbringen zu können. Selbstverständlich erwarten wir, baß Ihre Frau Mama Sie begleitet." Horn sagte zu, und es wurde ausgemacht, daß man sich am übernächsten Tag Abends 7 Uhr bei Strecker'- zum Thee vereinte. Nunmehr empfahl sich der Oberlieutenant. Da ihm uerst die Frau Räthin und dann Mechtildis die Hand gaben, o reichte sie ihm auch Renate. Aber sie zitterte noch sehr und war nicht im Stande, seinen leichten Druck zu erwidern. Als er unten aus der Hausthür trat, ging gerade wieder der Capitain Ankert vorbei und sah krampfhaft nach d«m Erkerfenster hinauf. An diesem erschienen jetzt wirklich Renate und Mechtildis, aber gewiß nicht, um nach dem Franzosen zu sehen. Dieser dagegen bezog ihre Blicke aus sich und grüßte so ausfallend wie nur denkbar, was nur de» Erfolg batte, daß die Mädchen wieder aus dem Erker verschwanden. Horn halte dies Alles wohl be merkt. Er trat nun auf den Franzvsen zu und begrüßte ihn auf kameradschaftliche Weise. Der Capitain war sehr erstaunt, ihn in München zu sehen, und zeigte sich keineswegs besonder- erfreut. Er mußte aber gute Miene zum bösen Spiele machen und jedenfalls die Formen, die unter Osficieren gebräuchlich, bewahren. Er erzählte mit ziem-
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