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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.11.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-11-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951102020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895110202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895110202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-11
- Tag1895-11-02
- Monat1895-11
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Leider hat es den Anschein, als habe der Herr Reichskanzler mit diesen Worten nur einen Wunsch aussprechen, nicht aber eine Thatsache eonstatiren wollen. Um so erfreulicher ist eS, daß dieser Wunsch auf das Nachdrücklichste unterstützt wird durch eins der hervorragendsten Mitglieder der Commission, Herrn Geh. Hofratb Prof. vr. Rudolph So hm, der jüngst in der Berliner juristischen Gesellschaft einen Bortrag über den Entwurf gebalten und diesen Bortrag, der den ungelbeilten Beifall der Gesellschaft gefunden, jetzt als besondere Schrift herausgegeben hat. Sie ist eine um so eindringlichere Mah nung an die gesetzgebenden Factoren, das Zustandekommen res Werkes nickt durch „Verbesserungen" in Frage zu stellen, je mehr der berühmte Berfasser zu einem autoritativen Unheil berufen und je überzeugender seine Beweisführung ist. Er betont mit allem Nachdruck, daß der Entwurf „würdig ist» Gesetz und Grundlage der kommenden deutschen Rechtö- entwickelung zu sein". Jeder Codification und jeder Eominissioiisarbeit wohnen ja naturgemäß Mängel und Fehler bei; aber trotzdem sagt der Verfasser: „Das Werk ist gut. ES ist (als Ganzes) besser, als irgend ein Einzelner es zu machen vermöchte. Es entspricht dem innerhalb des deutschen Juristenstandes herausgearbeiteten und zur Klarheit geförderten Gesammtbewußtsein der Gegenwart." Im Einzelnen weist er »ach, daß der Bau des Obligationen- reckts im Entwurf nicht römisch, sondern deutsch, modern, Laß das Sachenrecht deutsch ist vom Scheitet bis zur Sohle, daß in der Verwattunqsgemcinschast wie in der vertragsmäßigen Gütergemeinschaft cs altüberliefertes deutsches Güterrecht ist, dem die deutsche Ehe unterworfen sein wird, daß das Erbrecht des Entwurfs ein zwar durch die Universalsucceision beeinflußtes, aber im Ucbrigen ei» wesentlich deutsches, nicht römisches Erbrecht darstellt. Weiter führt der Gelehrte aus, daß der Entwurf den socialen Gedanken auch auf dem Gebiete des bürger lichen Rechtes weithin sichtbar aus den Schild erhoben hat und in dieser Hinsicht einen bedeutenden Fortschritt gegenüber dem bisher geltenden Privatrecht bezeichnet. Das gehl auS dem Satz „Maus bricht nicht Miethe", aus der Umgestaltung des Bcsitzrechts (von Cavignti's Besitzrecht bleibt nichts übrig), aus der Regelung des Dienstvertrags, aus den Bestimmungen über das Vereinsrecht hervor; Liese Vorschriften stellen einen außerordentlich werthvollcn Fortschritt gegenüber den im Reiche bestehende» Vereinsprivat rechten, und zwar zweifellos einen Fortschritt in socialer Richtung dar. Mt Recht weist auch der Verfasser darauf hin, daß, während jetzt alle Kritiker alle Vorschriften des Entwurfs aus die Gold waage legen, um seine« etwaigen Fehler auszudecken, das Verhält- niß sich umkehren werde, sobald der Entwurf Gesetz werde. Dan» werde Praxis und Wissenschaft zusanimenwirken, um thunlichst sachgemäße Entscheidungen herbeizusühre». Die Praxis werde erst dem Gesetze Leben, ja seinen eigentlichen Inhalt geben, und welch ein Gewinn wird es sein für die deutsche Wissen schaft, lvenn der Entwurf Gesetzcsrecht erlangt! Unsere Studenten zumal, die heute die juristische Technik an einem Rechte (dem Pandectenrechte) erlernen, das sie später praktisch anzuwenden regel mäßig außer Stande sind, sie werden in Zukunft an demselben deutschen Gesetzbuch diese Technik lernen, das sie später in der Praxis handhaben werden. Die Kraft von Praxis und Wissenschaft werden sich verdoppeln, wenn sie beide in engster Fühlung mit einander der Entfaltung desselben einen bürgerlichen Rechts hin gegeben sind. So kommt Professor Sohm zu dem erfreulichen Schluffe: „Mit dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch wird die Gründung des deutschen Reiches auch für das Privatrecht seine erlösende, befreiende, machtschöpferische Wirkung üben, wird endlich die formelle Gesetzeskraft des fremden lateinischen Rechts überall be seitigt, wird ein auS der Verbindung deutscher Rechtsgedanken mit den unvergänglichen Errungenschaften römischer Jurisprudenz hervorgewachsenes in sich einheitliches Recht zur Geltung ge bracht werden, wird endlich gewonnen sein dem deutschen Volk ein deutsches Recht." Es wäre zu wünschen, daß die deutsche Wählerschaft aller Parteien durch Resolutionen, die auf Sohm'S Schrift sich stützen, auf den Reichstag und nöthigensalls auch auf den BundeSrath einen Druck zu Gunsten der schleunigen Durchberathung deS Entwurfs ausübte. Die baötschen Landtag Sw ablen sind nun beendet. Das Ergebniß ist, daß die nationalliberale Partei, deren „Zerschmetterung" der ausgesprochenermaßen einzige Zweck einer alle Gegenparteien mit Ausnahme der in Baden wenig bedeutenden Conservativen umfassenden Coalition war, um ein Mandat verstärkt in die Kammer eintrilt, während das Centrum die Einbuße zweier Sitze beklagt. Beide sind an die Nationalliberalen verloren gegangen, die auch der demokratisch freisinnigen Partei ein Mandat abgenommen haben. In zwei Wahlkreisen sind die Nationalliberalen unterlegen, in Rastatt, wo das LovS zu Gunsten des Freisinnigen entschied, und in Weinheim, das Zeuge der größten bisher geschehenen Leistung demokratisch-freisinniger Principientreue wurde, indem es diese Partei geschlossen unk erfolgreich für den Antisemitismus eintreten sah. Wir zaudern nicht, den Haß, der sich in diesem Entschluß bekundete, aus dem Eredit-Conto der nationalliben Partei zu buchen, wie der Entschluß selbst sich so manches Mal als verwerthbar erweisen wird. Letzteres um so leichter, als der Versuch der demokratisch - freisinnigen Parteileitung, die Ver antwortung für die Wahl des Antisemiten abzu- lebnen, an dein Bekenntnißeifer der „Frankfurter Zeitung" gescheitert ist, die grundsätzlich und in 8pecio den Gegner der bürgerlichen Gleichberechtigung der Juden für das kleinere Uebel im Vergleich mit einem Nationalliberalen erklärt bat. Einen Zuwachs als Gegenleistung für die Selbstpreisgabe an den Ultramontanismus und Antisemitismus hat die demokratisch-freisinnige Partei nicht zu verzeichnen. Ihrem Rastatt-Lotteriegewmnst steht der auf dem gewöhnlichen Wege erfolgte Verlust deS Kreises Mosbach an die Nationalliberalen gegenüber. Herr Muser, der sich frei willig einer Neuwahl unterzogen batte, um sich darauf be rufen zu können, daß die demokratische Opposition gegen die klerikalisirte Umsturzvorlage verziehen sei, ist von den ultra- montanen Wahlmännern des Kreises Offcnburg wieder gewählt worden. Eine Aenderung von politischer Bedeutung ist in der Zusammensetzung der Kammer nur durch den einen Mandats gewinn der Nationaliiberalen berbeigeführt worden. Es steht die klerikal- socialdemokratisch - antisemitisch - demokratisch - frei sinnige Liga nunmehr in der Stärke von 30 Abgeordneten 31 Nationalliberalen und 2 Conservativen gegenüber. In England bleiben die Beziehungen zwischen Arbeit gebern und Arbeitern nach wie vor gespannt. Kaum, daß die Lage der englischen Geschäftswelt in Vergleich zu den durchgemacbten ausnahmsweise schleckten Zeiten eine kleine Besserung aufweist, so wird diese Conjunctur von den Arbeiter hetzern benutzt, um überall den Haß der Masse gegen das „kapitalistische Ausbeuterthum" zu schüren. Es wird den Arbeitgebern zum Frevel gegenüber ihren Leuten angrrechnet, daß sie es ablebnen, den Forderungen derselben betreffs Er- böbung der Löhne unterschiedslos nackzugeben, während natürlich nie davon die Rede ist, daß die Arbeitgeber monate lang, oft selbst Jahre hindurch ohne jeden Geschäftsgewinn, vielfach sogar mit directen Verlusten gearbeitet baden, auS keinem anderen Grund, als auö Rücksicht auf ibr Personal, welches sie emer ungünstigen GesckäftSconjunctur halber nicht kurzer Hand ausö Pflaster setze» wollten. In einer Unzahl von Fällen wurde deshalb in Betrieben mit der Arbeit fortgefabren, wo nach den Grundsätzen rein kaufmännische» Rechnens die Betriebseinstellung geboten erschien. Alle diese ihnen gebrachten Opfer der Arbeitgeber baden die Arbeiter hingenommen, als wenn sich das von selbst verstände, ohne die geringste Spur der^ Erkenntlichkeit; jetzt aber, wo nach langer Krise die Symptome einer Rückkehr besserer Zeiten hervortreten, wissen die Arbeiter nichts Schleunigeres zu thun, als die Arbeitgeber vor das Dilemma: erhöhte Löhne oder Ausstand zu stellen. Am meisten gäbrt es in den Kreisen der Schiffbau- und der Hafenarbeiter. Hier treten noch andere Gründe hinzu, um das Verbältniß zwischen beiden Theilen zu einem besonders gespannten zu machen. Die svcialdemokratischen Einflüsse sind bei dieser Arbeilerkategorie am stärksten entwickelt und drängen offen darauf bin, dem CapitaliSmuS die „Diktatur des Proletariats" dadurch aufzuzwingen, daß sie ihm vorschreiben, unter welchen Be dingungen und nack welchen Normen der Geschäftsbetrieb ihm überhaupt noch gestattet sein soll. Ein besonders drastisches Beispiel des Vorgehens der Hetzer liefert die unlängst er folgte Arbeitseinstellung von 400 Tvckarbcitern in Liverpool, weil ihnen eine von den Arbeitgebern angeordnete Neuerung im Beladen und Entlade» der Schiffe nicht zu Gesichte stand. Es handelte sich bei der Neuerung um Zeitgewinn, aber eben das soll nickt geduldet werden. Ersparniß von Zeit und Arbeit macht nach socialdemokratischer Anschauung einen entsprechenden Procentsatz von Arbeitskräfte» überflüssig, man will also nichts davon wissen. Wenn bei einem der artigen, jede» Geschäftsbetrieb unmöglich machende» Ver halten der Arbeiter die Arbeitgeber nun den Spieß um drehen und jene vor die Thür setzen, so wird man ihnen das schwerlich verdenken können. Wie uns aus Glasgow gemeldet wird, habe» denn auch in einer gestern dort abgehaltenen Vollversammlung der Marine-Maschinenbau er aus Belfast und vom Clyde beschlossen, daß angesichts der Weigerung der Arbeiter, die ihnen angebotenen Bedingungen anzunehmen, die Maschinenbauer vom Clyve am 5. November mit der Aussperrung der Arbeiter Vorgehen sollen. Die russische officiöse Preßleitung bat der Welt wieder ein Räthsel zu lösen gegeben. Bekanntlich verbreitete am Mittwoch die „Cont.-Telegr.-Comp." in Berlin einen ihr von der ossiciösen „Russischen Telegr.-Agent." zuze- gangenen, angeblich gegen England gerichteten, in den schärfsten Ausdrücke» gehaltenen Artikel des gleichfalls ossi ciösen russischen „Negierungsboten", der überall ver blüffend wirkte und berechtigtes Aufsehen erregle. Jetzt giebt nun, wie gemeldet, die „Russische Telegraphen Agentur" die nicht minder überraschende Erklärung ab: Es hat kein Artikel im „Regierungsbote»" über die Beziehungen Rußlands zu England gestanden. Die telegraphisch mitgetl,eilten Auslassungen in der Nummer des „Regierungsbolen" vom 29. Oktober sind Auszüge aus der Rubrik „Nachrichten aus dem Auslande" dieser Zeitung; sie sind nur eine Beurtheilung der in der ausländijchen Presse erschienenen Artikel. Die gegenwärtige Lage der Dinge wird hier als eine solche betrachtet, die vollständig friedlich sei und in keiner Weise Beunruhigungen einflöße» könne. Tie „Cont.-Telegr.-Comp." erklärt dazu: Wir bemerken, daß wir das Telegramm vom 29. d. aus dem „Regierungsbolen" so veröffentlicht haben, wie es uns von der „Rujsischen Telegraphen-Agentur" zugeqanqen ist. Die Petersburger Depesche, wie sie am Mittwoch an der Berliner Börse ausgegeben wurde und dort, wie überall, einen allgemeinen CourSsturz herbeiführte, lautete be kanntlich folgendermaßen: Petersburg, 29. Oktober. Eine Auslassung des „Re- gierlingsboten" in der allgemeinen politi.cheii Uebersichl des nichtamtlichen Theiles nennt die Anschauungen derjenigen ausländischen Preßorgane vernünftig, welche finden, Laß Europa die Lösung der armenischen Frage eigentlich nicht England, sondern dem mit der englischen Regierung gemeinsamen Einwirken Frankreichs und Ruß lands aus die Pforte verdanke. Das Blatt schreibt: „Für Frankreich und Rußland gipfelte die Frage vornehmlich in der Sicherung der Rechte und Interessen der christliche» Untcr- Ihanen des Sultans angesichts des systematischen Ausweichens der türkischen Regierung, die ihr durch den Berliner Vertrag auserlegten Verpflichtungen zu erfüllen. In der Basis des Uebereinkommeiis der drei Mächte, durch welches die Pforte gezwungen wurde, die ihr gestellten Forderungen zu beachten, fehlte dieses Mal das Vertrauen in die Aufrichtigkeit der brutschen Intervention, denn nach der Meinung politischer Kreise giebt es keine mit dem Oriente durch wesentliche Interessen verknüpfte Macht, welche sich nicht empörte über oie Manieren einer zweideutigen Politik der britischen Divio- malte, welche beinahe die Frage einer Theilung der Türkei berührte. Niemals äußerte sich in Eurova das Gefühl deS Mitzirauens gegen die Richtung der englischen Politik und ihre Ziele in so haiidgreif. Ucker Gestatt, wie gegenwärtig. Und dies bildet bei Weitem keinen Fortschritt, dessen sich die Toryregierung und mit ihr die englische Presse rühmen könnten." Tbat sächlich handelt eS sich nicht um einen eigenen in der Nedaction oder im Petersburger Auswärtige» Amt ge schriebenen Artikel des „Negierungsbolen", sonder» um eine mit Bemerkungen versehene Zusammenstellung ausländischer Preßstimmen, aber aus der Form, in welcher diese Zusammeii- slellnng gemachl und in die Welt gesandt wurde, aus dem Eingang: „Eine Auslassung des „Reg i eru n gsbot en"" und aus der weiteren Bemerkung: „das Blatt (--e. der „Regierungsbote") schreibt" mußte Jedermann den Schluß ziehen, daß man es mit einer „halbamtlichen", d. h. in Ruß land, amtliche» Auslassung des Auswärtigen Amtes zu thun habe. DieAbsickt, diese Auffassung zu veranlassen, inußmanauch an amtlicher Petersburger Stelle gehabt haben, n enn man nicht annehmen soll — und das ist doch wohl ausgeschlossen —, daß, wie die „Hamb. Nackr." meinen, in der russiiche» Preß leitung nicht Alles klappt und daß dieselbe in absolut un fähigen Händen rubt. Was aber war der Zweck dieser, die Welt emen Augenblick in Aufregung versetzenden Älarmdepescke und des ihr so rasch folgenden Dementis? Die „Nat.-Ztg." meint: „Kann die „Ruff. Telegr. Agent." nicht in befriedigender Weise darlegen kann, wie die von ihr verschuldete Irreführung der öffentlichen Meinung entstanden ist, so wird es bei rem jetzt allgemeinen Eindruck bleiben, daß man es mit einem Raub zug zu lhun hat, der von einer bis jetzt unbekannten Seite an den Börsen ... unternommen Worten ist." Nun ist aller dings, wie schon angedeulet, die überraschende Nachricht der Anlaß zu einem allgemeinen Courssturz gewesen, allein der Gewinn, den der russische Finanzniinister Wille — denn nur auf riesen würde die Mackination zurückgeführt werden — aus der allgemeinen Verwirrung gezogen bäite, wäre doch schwerlich ein für die russischen Finanzen so bedeutend ins Gewicht fallender gewesen, daß es sich verlohnt hätte, derartiges schweres Geschütz ins Gefecht zu führen und den Credit der russischen Finanzverwaltung nicht nur, sondern der gesammlen auswärtigen Politik des Zarenreiches auss Spiel zu setzen. Es muß also nach einem ländern Grunde gesucht werden. Die Depesche der „Russischen Telegr.-Agent." folgte unmittelbar auf die bekannte Hong- konger Alarmdepcsche der „Times", welche die wobt zweifel los bestehenden russisch-chinesischen Verhandlungen wegen Port Arthurs entbüllle. England kreuzle damit auf die aller- » empfindlichste Weise die für die Petersburger Diplomatie Ferrillrtsir. Der Kamps ums Dasein. 4f Roman von A. von Gersdorsf. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Und dazu noch daS Vergnügen, diese entrückenden modernen Muster nachznbildcn, in diesen leuchtenden Seiden- und Gold fäden zu wühlen, und dann nachher mit einem Kunstwerk ersten Ranges als Probe C. W. Knorre zu blenden und allen an deren Bewerberinnen den Rang abzulaufen! Tenn Sticken verstand sie. O Gott ja, der Vater hatte recht: Ein Leben der Arbeit konnte wohl einen Liebestraum answiegen! Sie sab sich schon von einem ganzen Vorrath solch reizender Bestellungen umgeben, selbst vielleicht zwei oder drei armen, jungen Mädchen damit Beschäftigung und Brvd als ihren Gehilfinnen gebend. Und zuerst, ganz zuerst für den Vater wieder einen Hund. Er liebte Hunde so unbeschreiblich. Oh, wie viel Hoffnungen, Pläne, Träume vom Tausend güldenkraut webte sie mit geschickter Nadel durch die bunten Ranken und zierlichen Arabesken ihrer Probearbeit! Steh' still und besinne Dich und bete zu Gott um Kraft und Geduld! Du gehst einen Dornenweg! Geh' ruhig und stetig, demüihig und unermüdlich. Sieh' nicht träumend auf zu den czoldenen, schwebenden Luftbildern, denn ein gewaltiger, verzweifelter Haufe gebt denselben Weg mit Dir. Sie reißen Dich nieder, sie drängen Dich von dem Fußbreit Boden, den Du vielleicht voraus gewännest, sie zerren Dich fort, sie treten Dich nieder und eilen über Dich hinweg dem großen ersehnten Ziele zu: Nur eine lohnende Arbeit! Nun nahte das Probestück ihrer Kunst seinem Ende, und sie hatte sich heute vor dem Thce ihre Auslagen berechnet: Neun Mark! Ihre Augen waren beiß und trocken, in ihrem Halse quoll es sonderbar auf wie von trockenem Schluchzen — mein Gott — nein, nein! Das konnte ja gar nickt sein, sie mußte sich verzählt haben! Natürlich! Sie wollte gleich nach dem Abendessen nochmals reckt genau nachrechnen. Neun Mark nur sür die Auslagen! Entsetzlich! Und vierzehn Tage, oder gar sechzehn hatte sie daran gearbeitet. Ihre Augen hatten schon jetzt gelitten. Sie war da» unausgesetzt scharfe Einsehen nicht gewöhnt. Es war etwas in ihr — ein so gräßlicher Druck auf ihrem Gehirn — als müsse ihr jeden Augenblick schrecklich übel werden. Natürlich — dies fieberhafte Sitzen und Sticheln! So war sie jetzt gekommen und hatte den Vater zu Tisch gebeten. Seine heitere Angeregtheit machte ihr fast Pein. Oberst Andor war eine breitschultrige, stramme Figur. Die blauen Augen batten gewöhnlich einen kalten, strengen Blick, einen rechten Commandeursblick. Sein Haupthaar war ergraut, aber lag noch dicht über der Stirn. Ein langer, in der Mitte getbeilter Vollbart fiel in zwei Spitzen silber farben auf seine Brust. Meistens trug er einen langen kaffeebraunen Nock, eine alte grünliche Sammetweste und ein schwarzes, in altmodischer Weise um den Hals gelegtes Halstuch über der blendenden Wäsche. Er war von peinlichster Sauberkeit und hielt sich seine Kleidung selbst in Ordnung. Oftmals konnte seine Tochter den alten Herrn überraschen, wie er, vor dem Schreibtisch sitzend, eine alte Cigarettenschachtel mit den wunderlichsten uralten Näh utensilien vor sich, mittelst einer sehr großen Nadel und dickem Zwirn einen Knopf an seiner Weste befestigte oder ein Loch in seiner Socke stopfte, zu welch letzterem Zweck er kurze und lange Wollfäden aus einem alten, von ihm selbst aus- gereifelten Strumpfe benutzte. Er nahm es förmlich übel, wenn seine Tochter ihm die Arbeit abnebmen wollte. DaS Zimmer, in welchem er gesessen hatte, entsprach sehr seinem ganzen Charakter. Alle Geräthe darin schnurgerade gerichtet, einfach und glänzend von Sauberkeit. Ein Schreib tisch, ein eisernes Feldbett mit einem braunen Kattunvorhaiig, ein schmaler, in der Mitte getheilter Spiegel über einer Commode von Hellem Maserholz mit mehreren kleinen, nach der Größe rangirten Kisten und Kasten. Darin hatte er Gegenstände, die er zu seiner Toilette brauchte, schon als junger Lieutenant getragen hatte und heutigen Tages noch trug Er besaß und trug sogar noch zuweilen ein Beinkleid und eine Weste, die ihre dreißig Jabre alt waren, aber ganz sauber und gut erhalten. Jede Stecknadel, jeden alten Nagel, alle möglichen Muster gefundener Knöpfe, Schrauben, Bind faden, leere Schachteln und ähnlichen Kram verwahrte er und war sehr befriedigt, wenn irgend Jemand etwas von diesem Vorratb gebrauchte. Der »Erdschrank" nannten seine Kinder die» Wandschränkchen, das er sich ebenfalls selbst gezimmert hatte. Nichts machte ihm mehr Freude, als wenn er irgendwo einige Groschen ersparen konnte. Andererseits aber gab er große Summen ohne Weiteres hin, und nie verdarben ibm Tochter oder Sohn ober andere Bittsteller die Laune, wenn sie um verhältnißmäßig große Summen zu immer welchem Zweck zu ihm kamen, nachdem er vielleicht eben seelensfroh mit einem recht billig erworbenen Packet Licktter todtmüde vom weiten Umweg nach Hause kam. Er sprach meistentheils wenig und immer höchst genau und überlegt. Niemand war ihm unsympathischer als Leute, die zu „plaudern verstanden". Wenn er aber Leute traf, die ibm zusagten — ei! da war der alle Herr der liebenswürdigste Gesellschafter, und in allen Sättel» verstand er sich zu bekaupien. „Helmuth kommt spät", meinte er jetzt mißbilligend und verglich seine Uhr mit dem Regulator, der drei Minuten über acht Uhr zeigte. Dann nahm er auf dem Sopha Platz, und seine Tochter reichte ihm die Speise». Er wartete nie — seine Gewohnheiten gingen nach der Minute. Er ging auch Puncl 1l Uhr zu Bett, mitten in der Unterhaltung oder Lectüre. „Wer weiß, welche Abhaltung er bekommen hat", meinte Maria Margarethe. Dabei blickte sie aber kopfschüttelnd auf die Uhr. Zehn Minuten über acht. Helmutb nahm sonst immer die höchste Rücksicht auf deS Vaters Eigenheiten. Plötzlich legte der Oberst die Gabel bin, mit welcher er die ihm gräßlichen Gurkenstückchen ans dem Salat entfernt hatte. „Sag' 'mal, mein Kind, ist Dir waS? Du siehst elend aus. Hast Du Aerger gehabt?" „Aerger eigentlich nicht, Väterchen — es ist nur — die Sacke, weißt Du, mit meiner Stickerei. Ich habe beute das Anlagekapital überrechnet, was mich so ein Kiffen kostet." „Na — und?" „Ja — denke Dir — zehn Mark fast! Also wenn ich wirklich sür solch eine Arbeit Geld bekomme — dann habe ich vielleicht fünf Mark Einnahme und fast vierzehn Tage gestickt." „Hm — und Augen verdorben und Nerven verdorben." Sie senkte den feinen blonden Kopf, uni die aufquellenden Tbränen zu verbergen. Der Oberst sing hastig an zu essen. Er wußte, daß der Kamps gegen den Schmerz einer Enttäuschung nur schwerer wird bei verschlossenen Naturen, wenn sie ihn beobachtet glauben. „Nun", sagte er mit der ganzen beruhigenden Gelassenheit seiner Stimme — „der erste Anlauf gelingt ja mitunter nicht — mußt nur weiter vorwärts. Nicht Muth verlieren und rückwärts seben! Sehr tiefsinnige Geschichte von Lot's Frau da." „Es ist nur so trostlos, so eifrig gearbeitet zu haben an einer ganz hoffnungslosen Sache!" „Na, na. Nickt gleich übertreiben!" „Ack, Papa! Wenn man sich so gefreut bat, und es ist immer nichts und immer wieder nichts!" seufzte sie. „Dann sängt man wieder von vorn an, bekält seinen Humor, und ich möchte Den seüen, der mit Ausdauer mid Humor nicht doch das Meiste erreicht! Und sieh' 'mal, Du kannst Dir noch Zeit nehmen. Tu hungerst nicht und durstest nicht." „Ach Gott, ich wollte schon lieber 'mal hungern und durste», wenn man nur^ein Mal eine rechte Freude hätte nachher." „Hast Du denn irgend einen Wunsch. Kind? Möchtest D» Dir was ansckasfci-* Zebu oder auch meinetwegen fünfzehn Mark kann ich in diesem Monat schon entbehren. Hoffentlich bringe ich sie mit meiner Arbeit wieder ein." „Ach nein, mein guter Vater. Kaufen will ich mir gerade nichts. Ich halte nur — solch berrliche Pläne gemacht." „Ja, ja", nickte der alte Mann, „die Vorfreude! Mir ist da beute Nachmittag aber ein anderer Gedanke gekommen sür Dick, und ich will gleich morgen meine Schritte tbnn, die boffentlick besseren Erfolg haben werben als die ganze Stickerei." „O — Vater — Du hast eine andere Idee! Bitte, bitte, sage mir, welche!" Er strich ihr leicht über die schmale Wange. „Wart's nur ab. Muß erst etwas Gewisses seben und baden. Du weißt, Dein alter Vater ist immer sehr für positive Grundlagen. Also bis dahin Geduld, Ausdauer nnd Humor." Maria Margarethe athmete froher. Sie kannte ihren Vater und wußte, daß er seinen Kinder» keine leeren Ver sprechungen machte. „Da kommt Helmutb." „Ja, aber fast halb neun Uhr! Was passirt muß doch sein", meinte der Oberst und zündete seine Abendcigarre an. Draußen war mit einem sonderbaren Rucken — es klang wie Jubelton — die Glocke gezogen worden. Maria Margarethe eilte hinaus, »m zu öffnen. Das Dienstmädchen war auSgcschickt worden. „Aber Helmutb, was ist denn?" Sie brach ab mit einem lauten Ausschrei. Helmuth'S schönes, lackendes Gesicht mit dem langen, blonden Schnurrbart und den leuchtenden Augen war ganz
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