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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.11.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-11-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951108028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895110802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895110802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-11
- Tag1895-11-08
- Monat1895-11
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Er giebt sich aber nicht mit Kleinigkeiten ab, sondern ist Häuptling einer Sclavenhändlercolvnie und treibt auch nicht schäbigen Zwischenhandel, sondern producirt sozusagen seine Handelswaare selbst, indem er die wilden Neger mittels ritterlichen Waidwerks zu Sclaven macht. Auch als Räuber zeigt er einen imponirenden Zug ins Große. Einzelne Hausirer mit Glasperlen unv Lendentüchern läßt er ruhig ihre Straße ziehen, beschenkt sie wohl gar, er fallt nur Handelskarawanen an und wenn er, was sich hinreichend aus dem Mangel an geeigneter Unterkunft für diese Leute erklärt, ihre Führer tödtet oder als Sclaven verkauft, so entfremdet er doch die Vorgefundenen Waaren keineswegs dem Handels verkehr , sondern bringt sie, vermöge seiner Kenntniß deS Landes und seiner Verbindungen vielleicht rascher als die schwerfälligen Kaufleute, an die Verbraucher oder an die See. Aus dem Allen wird ersichtlich, daß Herr Richter seine Gefühle auch diesmal an keinen Un würdigen verschwendet, sondern an ein notables und nütz liches Mitglied der südostafrikanischen Gemeinschaft, und daß er, wie man von ihm gewohnt ist, als Anwalt deS Rechts gegen das Unrecht auftritt, wenn er den Zug, den der Gou verneur Wissmann gegen Hassan bin Omari plant, als einen Gewaltact verurtheilt. Es ist wahr, Hassan hat seine Unternehmungen auch auf deutsche Stationen ausgedehnt, sich daselbst für seine Mühewaltung und die Kosten der Expedition durch Plünderung bezahlt gemacht und sich kürzlich nach Kisiwani in der Absicht begeben, den deutschen Gouverneur »ach seiner (des Herrn Richter'S Günstling) Niederlassung mitzunehmen. Wäre ihm dies gelungen, so würden sich vielleicht einige Unbequemlichkeiten sür Herrn von Wissmann ergeben haben, die dieser aber einzig und allein sich selbst hätte zuschreiben müssen. Denn, und hier wird man Herrn Richter vorbehaltlos beipflichten müssen, wäre Herr von Wiss mann bei seinem Regiment in Deutschland verblieben, dann hätte Hassan bin Omari nie versucht, seinen nunmehrigen Bedränger auf dem Exercirplatz im Mecklenburgischen, im Easino oder sonst wo in Europa aufzuhebcn. So weit also die Persönlichkeit des trefflichen Afrikaners in Betracht kommt, zieht uns Rechts- und Billigkeitsgefühl auf die Seite seines Berliner Protectors. Nicht ganz so ein verstanden sind wir, wenn Herr Richter in der „Freisinnigen Zeitung" fragt: „Was hat nun der ganze Theil von Ost afrika südlich des Flusses Rufidji (die Sclavcnjagdgründe Hassan's) für einen Werth für Deutschland?" und darauf die Antwort giebt: „gar keinen", da nur 15 Europäer dort wohnen, im Uebrigen zumeist Heuschrecken, Flußpferde und Wildschweine. Wir erinnern uns, daß das Fehlen von Europäern — eine in den der Eultur nicht erschlossenen außer europäischen Gebieten nicht gerade befremdende Erscheinung — von Herrn Richter gegen jede deutsche Besitznahme wie gegen die Behauptung jeglichen deutschen Besitzes in Afrika ins Feld geführt worden ist. Sodann darf als zweifellos gelten, daß Christoph ColumbuS in dem bekannten, m plattdeutscher Sprache der Nachwelt theilweise aufbewahrten Gespräch, das er nach seiner Landung auf der Insel Guanahani mit einem Eingeborenen führte, sich auch nach etwa dortselbst anwesenden Europäern erkundigt hat und trotz der, wie angenommen werden muß, verneinenden Antwort geblieben und später noch einige Male nach Amerika gefabren ist, nicht ohne im näheren und weiteren Verlauf eine beträchtliche Anzakl von Erdtheils- genossen nach sich zu ziehen. Umgekehrt haben sich die Franzosen von der Colonisirung Algiers nicht durch die auch dort hausenden vegetarischen Heuschrecken abhalten lassen unv dieser Besitz hat mittlerweile einigen Werth für Frankreich erlangt. Die Wildschweine sollten auch nichts Schreckhaftes für den Chefredacteur der „Freisinnigen Zeitung" haben, denn als die Germanen nach Deutschland einzuwandcrn beschlossen, gab es dort Massen von Wildschweinen und es mag ja wohl auch ein ängstlicher Nationalbcrather — bei den Altvorderen fiel das Amt von Rechts wegen älteren Damen zu — vor sothanem Gethier gewarnt haben. Wahrscheinlich hat er oder sie auch gemeint, man thäte klüger, das unwirthliche Land den Kellen zu überlassen. Aber die alten Deutschen kehrten sich nicht daran, und denen hat es Herr Richter zu verdanken, daß er heute, vielleicht an einer Stelle, wo dereinst der grimmigste Eber seine Hauer gewetzt, die bedrohlichsten Leitartikel schreiben kann, ohne daß Jemand für seine Sicherheit Sorge zu tragen braucht. DaS macht die Civilisatiou. Flußpferde hatte man im alten Germanien allerdings nicht, dafür aber Wölfe und Bären, und wenn Wissmann die Hassans in Südostafrika dabin bringt, daß sie statt auf Sclaven und Handelsleute auf Flußpferde pürschen, so wird die ostafrikanische Nachwelt diese Hindernisse der deutschen Colonisation nur in Menagerien kennen lernen, wie wir die vierbeinigen Störer der Cultur- arbeit der Altvorderen. Schon vorher aber, Las hoffen wir zuversichtlich, werden Deutsche, die von einem deutschen Besitz, wie die „Freisinnige Zeitung" von Südostafrika, sagen, „das einzige Vernünftige wäre, sie den Engländern ober Portugiesen zu überlassen", nur noch in Rarilätcncabiiietten in Augen schein genommen werden können. Politische Tagesschau. * Leipzig, 8. November. Da die „Nordd. Allgem. Ztg." auch unter dem „neuesten Curs" ofstciös geworden ist oder wenigstens ge- jegentlich zu officiösen Kundgebungen benutzt wird, so war man mit Recht gespannt aus die Aeußerungen, die dieses Blatt an die Tortmunvcr Stichwahl knüpfen würde. Diese Aeußerungen liegen jetzt vor in Form einer Strafpredigt an alle bürgerlichen Parteien, denen die gleiche Schuld an dem Verluste des Wahlkreises an die Socialdcmokratie beigemessen wird, oder vielmehr nicht die gleiche, da dem Cent rum, also derjenigen Partei, die allein in dieser Hinsicht in Betracht kommt, der Anspruch auf Bewilligung mildernder Umstände zuerkannt wird. In der Hauptsache beschickt das Blatt seinen Tisch mit Abfällen der Küche der „Germania", der cS bci- tritt, wenn sie fragt, wo denn die Nationalliberalen das Centrum gegen die Socialdemokratie unterstützt hätten, und wenn sie den Schlüssel zur Beurtheilnng des Dortmunder Vorganges darin findet, daß in den achtziger Jahren die National liberalen mehrmals so vorgegangen sein sollen, wie jetzt das Centrum thatsächlich vorgegangen ist. In Wahrheit haben die Nationalliberalen wiederholt Las Centrum unterstützt und niemals mit der Ausgabe der Wahlenthaltunzsparolc den Wink verbunden,zu wählen, aber socialdemokratisch. Aber darauf kommt es nicht an, sondern darauf, daß die „Nordd. Allgem. Ztg", die unzählige Male dargethan hat, daß die Lage gegenüber der Socialdemokratie sich in den letzten Jahren und namentlich neuerdings verändert hat, an dieser Thatsache vorbcieilt, um dem Centrum keine bittere Wahrheit sagen zu müssen. Sie weist falsche Schlüsse, die freisinnige, socialdcmokratische und agrarische Zeitungen aus dem Wahlergebnis ziehen, zurück, im Uebrigen jammert sie über Unfrieden, wie eine Mutier, die in ihrer Kinderstube nicht Ordnung zu erhalten vermag, weil sie einem verzogenen Lieblingsjungen nicht zu wehren wagt. Ueber die besondere Stellung des Centrums bei der Dort munder Wahl kein Wort. Wenn dieser Artikel ofsiciös ist, so erleben wir es vielleicht noch, daß ein Antrag desselben Cen trums, dem die Socialdemokratie einen neuen Sitz im Reichs tage verdankt, die Umsturzbewegung durch Schutz des Ultra- montaiiismus zu bekämpfen, bei reu Hintermännern der „Nordd. Allgem. Ztg." günstigere Aufnahme findet, als die „Verbesserungsaniräge" derselben Partei zur Umsturzvorlage fanden. Die „Nordd. Allgem. Ztg." hätte sich ein Beispiel an dem dem Liberalismus gewiß gründlich genug abgeneigten „Reichöboten" nehmen können, der dem klerikalen Hauptorgan bittere Vorwürfe wegen der Gleichstellung der National- liberalen mit den Socialdemokraten macht. Daß es über dies über die Gleichstellung hinausgegangen ist, wird dem Centrum von keinem Geringeren als Herrn Lütgenau selbst bezeugt, der sich in einem längeren Artikel in der von ihm redigirteu „Arbciterztg." für die die Unterstützung des Cen trums mit folgenden Worten bedankt: „Weder Werben, noch Hochdruck, mit dem sie auch heute wieder gearbeitet haben, hat den Nationalliberalen etwas geholfen. Die jenigen Arbeiter, welche im ersten Wahlgange für das Centrum gestimmt hatten, haben den Sieg der Socialdemokratie ent schieden. Wir hätten den Sieg zwar auch dann errungen, wenn das Centrum, der Parole gemäß, sich der Wahl enthalten hätte. Aber diese Stimmenzahl wäre ohne die Arbeiter des Centrums nicht erreicht worden. Unsere Partei hat um Stimmen des Centrums vor der Wahl mit keinem Worte geworben oder gebeten. Jetzt, nach der Wahl, dankt der Gewählte an dieser Stelle allen Centrumswählcrn für ihre Stimmen. Und die katholischen Arbeiter werden finden, daß der Socialdemokrat ihre Interessen als Arbeiter kräftiger wahren wird als ei» Centruins- mann." Nach diesem Zeugniß des ortskundigen Gewählten läßt sich die socialdemokratische Renommisterei von „Fortschritten" in Dortmund und insbesondere die Flunkerei, die Ver- archeilnug Schrcder'S habe die von der socialdemokratischen Verdrehung des Thatbestandcö bezweckte Wirkung gehabt, nicht mehr aufrecht erhalten. Nicht den geringsten Eindruck können diese Treibereien gemacht haben, denn der Social demokrat hatte im ersten Wahlgange, trotz der Vermehrung der Arbeiterbevölkerung, keine 30 stimmen mehr, als 1893. Durch das Urtheil deS Rotterdam er Gerichtshofes in dem Rechtsstreite wegen des Zusammenstoßes der „Elbe" mit der englische» „Vrathic" ist dem Andenken der Officiere und Mannschaften des untergegangenen deutschen Schiffes diejenige volle Genugthuung geworden, die man ihnen in Deutschland keinen Augenblick vorenthalten hat, die aber von englischer Seite nicht mit der durch den Sachverhalt gebotenen Rückhaltlosigkeit gewährt worden war. Der zuständige Londoner Gerichtshof hatte zwar durch Urtheil vom 17. Juni d. I. anerkannt, baß das Unglück durch die nicht streng seemännische Steuerung der „Crathie" herbeigeführt worden sei, er hatte aber zugleich feststellen zu dürfen geglaubt, der diensthabende Ofswier der „Elbe" hätte — trotz der rapiden Schnelligkeit, mit der die „Crathie" auf sie anrannte — die Geschwindigkeit vermindern können. Die Beschuldigung des Führers des deutschen Schiffes sowohl als jene Einschränkung der Verantwortlichkeit deS englischen kann vor dem Urtheil des in einem völlig unbetheiligten Lande residirenden Gerichts nicht mehr bestehen. Nach dem Rotterdamer Erkenntniß trifft die „Crathie" allein die Schuld, ist der „Elbe" weder eine Begehungs- noch eine Unterlassungshandlung zum Vorwurf zu machen und haben sich alle von der deutschen SchifffahrtS gesellschaft gemachten Angaben als wahr erwiesen. Die eng lische Presse, die in diesem Fall das Sprachrohr der öffent lichen Meinung ihres Landes gewesen ist, hat allen Grund, sich zu schämen, denn sie hat nach dem Bekanntwerden des Unglücks sich keinen Augenblick besonnen, die Schuld der Führung der „Elbe" beizumessen, die Seeleute, insbesondere auch ihren bis zum letzten Athemzuge mit helden haftem Glcichmuth seine Pflicht erfüllenden Capitain zu schmähen und ihre salscheu Behauptungen zur Grundlage für Verdächtigungen der deutschen Schifffahrt überhaupt zu machen. In Deutschland selbst, wo, wie bemerkt, das Lob der Officiere und Mannschaften ein ungetheiltes war, hatte man doch aus dem Unglück selbst vielfach auf die Noth- wendigkeit einer Verbesserung des heimischen Schiffsbaues schließen zu müssen gemeint und darüber auch >m Reichstage längere Erörterungen gepflogen. Den dabei laut gewordenen Bemängelungen ist jedoch schon von dem Londoner Urtheil völlig der Boden entzogen worden. Unter den zahlreichen Ca binetswechseln, die sich in Frankreich in den letzten Jahren vollzogen haben, hat kaum ein anderer in der öffentlichen Meinung Rustlands einen so ungünstigen Eindruck hervorgerufen, wie der gegenwärtige. Verschiedene Umstände, von denen fast jeder einzelne ge nügen würde, um ernste Bedenken zu Wecken, wirken zu sammen, um die Ablösung des Ministeriums Ribol durch eine Regierung mit Bourgeois an der Spitze in sehr unfreundlichem Lichte erscheinen zu lassen. Zu nächst wäre hervorzuhebeu, daß die Eventualität eines radikalen Regimes in Frankreich, welche ja wieder holt ins Auge gefaßt werden mußte, in Rußland immer un angenehme Empfindungen geweckt hat, was sich leicht begreif:, wenn mau die Kluft in Betracht zieht, die zwischen den Grund fätzcn der radikalen Partei in Frankreich und den in Rußland herrschenden politischen Ueberzeugungen besteht. In nicht ge ringem Maße hat ferner zu der Unzufriedenheit, mit welcher die öffentliche Meinung in Rußland den jranzösischen Cabinetswechsel aufnahm, der Umstand bcigetragen, daß sich an dieses Ereigniß auch das Scheiden Ha not aux' aus dem Auswärtigen Amte geknüpft hat. Der bisherige Minister des Aeußern hatte sich durch seine Amtsführung in Rußland hohes An sehen erworben, unv es war unleugbar zum großen Theile dem politischen Verständniß und der Festigkeit Hanotaux' zu verdanken, daß Frankreich auS der schwankenden Situation befreit wurde, in der es sich vor dem Amtsantritte des Cabincts Ribol befunden hatte. Der Standpunkt, den die russische öffentliche Meinung gegenüber dem besprochenen Ereignisse einnimmi, wird von den Petersburger Regierungskreisen getheilt, und es wird in diesen Kreisen insbesondere dem Bedauern darüber Ausdruck gegeben, daß der Wechsel in der Leitung der auswärtigen Angelegenheiten Frankreichs sich gerade in einem Augenblicke vollzogen hat, wo die internationale Lage so viele ernste Schwierigkeiten darbietet. Die gegenwärtige Situation, betont man, würde cs dringend erheischt haben, daß an der Spitze Frankreichs eine auS erfahrenen und geschäftögewandtcn Männern zusammengesetzte Regierung von fester Position stehe und daß insbesondere die Fenilletsn. Der Kampf ums Dasein. 9j Roman von A. von Gersdorff. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) RaffSki ließ sich gar nicht stören, sondern heftete seine zimmetfarbenen Aeuglein sehr vergnügt auf den Sprecher. „Es ist männiglich bekannt, daß mein Herr Vetter in brillanter Assiette sitzt, nicht Kind noch Kegel hat, ab und zu meine Finanzen regelte und mich nicht gerade gern hier in Berlin im bunten Rock herumflirten sah. Ich habe mich also entschlossen, natürlich, ehe ich ahnen konnte, daß ich versetzt werden würde, ihm mitzutheilen, daß ich die Absicht hätte, ihn glücklich zu machen und Landwirth zu werden. Da hoffe ich denn, kurz gesagt, meine neben- buhlerischen Vettern bei ihm auözustechen mit Fleiß und meiner Hände Arbeit, mir sein Vertrauen, seine Werth schätzung zu erwerbe» und —" „Aha!" „Ah — so! Seht 'mal an — in Erbschleichersachen wollen Sie arbeiten!" „Na, hoffentlich gelingt es Dir, Deine Mitarbeiter ab zudrängeln", näselte Hochleben, ein auffallend hübscher Mensch, nur daß sein linkes Auge durch irgend ein sonst nicht hinderliches nervöses Leiden beständig von dem Lide fast ganz bedeckt war. „Wer nicht wagt — gewinnt auch nicht. Ich setze meine angenehme Persönlichkeit, mein Eingehen auf meines Vetters Ideen, meine Thätigkeit u. s. w. ein, und damit werde ich auf mein Ziel hinarbeiten. Er hat mein Anerbieten an genommen und er wird auch dafür bezahlen. Dafür kenn' ich ihn. So oder so. Jedenfalls ist Alles besser, als das Lieutenant sein, da in Buxtehude und da seine Zeit und Kraft zu Markte zu tragen, bis man alt und grau wird, «he man eine standesgemäße Versorgung findet." „Nicht so dumm!" „Na — viel Glück!" „Wie strhtS denn da mit der Nachbarschaft?" Raffski machte ein sehr frommes Gesicht. „Nichts Be sonderes. Ein alter Herr — Domainenrath — zwar Hürzerlich x- Selfmademan, aber sehr gentil — hm — hat eine Idiosynkrasie gegen Officiere und eine ganz aller liebste Tochter." „Sagen Sie uial, was ist das eigentlich für eine Marke, die Sie da bestellt haben?" fragte einer der anderen Herren. „Dächte, gute Marke — nettes Weinchen, was, Andor?" fragte Hochleben, der mit Helmuth zusammen trank. „Ausgezeichnet. Leichter Burgunder, wie? Kenne ihn gar nicht." Hochleben lachte behaglich, während er sich wieder an sein Beafsteek L lg. tartaro machte. „Habe ihn gestern entdeckt." „Wirklich vortrefflich", meinte Helmuth — „Preis?" Hochleben nannte eine sehr niedrige Zahl. „Nehmen Sie sich nur in Acht, Andor", sagte Rasfski mit einem sonderbaren Blick auf Hochleben, der beinahe abmahncnd aussah, „er geht in die Beine." „Na weißt Du, Raffski — nimmS nicht übel — Deine sind etwas schwach — Andor wird ihn am Ende vertragen", sagte Hochleben verächtlich. Hochleben konnte den tadellosen, correcten Helmutb durch aus nicht leiden und hatte sich schon wiederholt „schlagrührend geärgert" über ilm, der immer ziemlich vorsichtig trank und sich durch keine Neckereien über Streberthum und General- stabshoffnungen verleiten ließ, über eine gewisse Grenze hinauszugehen. Der Wein, welchen Hochleben bestellt hatte, war aber in der That ein tückischer Geselle, trotz seines feinen, köstlichen Blumengeruches. Helmuth hatte in seiner nicht ganz einheitlichen Stimmung rasch und mit Genuß mehrere Gläser getrunken. Zu essen vermochte er nicht. Er hatte spät dinirt und war auch zu erregt dazu. Ein himmlisch wohliges Gefühl, eine frohe Lust am Leben floß mit dem Feuergeist des Weins durch seine Sinne. „Jakoba!" dachte er und leerte wiederum sein GlaS auf ihr Wohl. schieben lachte innerlich: Der denkt, er trinkt Moselwein! mmer lebhafter und angeregter wurde die Unterhaltung. Helmuth vergaß immer mehr, daß ihm Raffski und Hoch leben eigentlich unsympathisch waren, und betheiligte sich mit ganzer Seele an dem Gespräch, während das süße GlückS- gcsühl jetzt ganz rein in ihm klang und sang. Er wußte gar nicht, wie es kam. Plötzlich hatte er sein GlaS in der Hand und sich er- hoben, und der Name „Jakoba Rovalla, meine Braut", klang ihm plötzlich, wie von einer fremden Stimme gerufen, ans Ohr. Sein Herz war voll, sein Mund ging über. Es war ja auch ganz gleichgiltig, morgen früh erfuhr es ja der Oberst noch früh genug. Eigentlich mußte der Regiments- commandenr es ja zu allererst erfahren — na, die Kameraden würden ihn wohl nicht bis morgen früh verrathen, und er konnte, konnte wahrhaftig nicht an sich halten! Er fand eine begeisterte Aufnahme. Man war ganz in der Laune für solch ei» Ereigniß. Natürlich jetzt ein Glas Sect! Auf alle Fälle! ES fand sich zu Helmuth'S leisem Mißbehagen, daß seine Braut so etwas wie eine bekannte Persönlichkeit war. Dieser kannte sie von Ansehen und begeisterte sich für ihre Schönheit. Jener hatte von ihr gehört und verlangte von Helmuth eine Photographie seines verehrten Fräulein Braut, Hochleben hatte etwas von ihr gelesen, sagte aber weder schwarz noch weiß. Der kleine Rasfski aber, der „angehende Arbeiter", wie ihn Hochleben spöttisch nannte, fragte Helmuth so ganz vertraulich, ob es wahr wäre, daß die Schriftstellerei so horrendes Geld einbrächte und was seine Braut wohl so für ein Buch bezahlt bekäme, er hätte 'mal gehört, daß Einer von diese» Kerls — wissen Sie — so an die Tausende für so'n Schmöker kriegte, den man so bei einem Nachmittags schlaf 'runter liest! Helmuth wurde bald roth, bald blaß, stotterte etwas von „Keine Ahnung haben" und zuckte verlegen die Achseln gegen Hochleben, der freundlich sagte: „Na — lieber Andor, nach der Hochzeit wird Ihre künftige Gemahlin, unsere hochver ehrte Negimentsdame, den schriftstellerischen Beruf Wohl einem — einem — nun, sagen wir nicht besseren, einem natürlicheren Berufe opfern." Helmuth war ganz benommen von der Frechheit, der aber als solcher gar nicht beizukommen war — sie fühlte sich nur! Es war gerade, als wollte der Kerl, der Hochleben, ihn trösten. Und dabei sprachen sie noch so laut. Helmuth wurde geradezu schwindlig vor Reue. Wenn die hier nun noch alles Uebrige, waS so drum und dran hing, erfuhren! Iakoba's Selbstständigkeit, ihr Alleinwohnen und allein in Gesellschaften gehen zu Krethi und Plethi! Wenn ihn nun der Oberst morgen beleidigte durch einen Blick, eine Miene, eine Aeußerung, die vielleicht ganz und gar nicht verletzen sollte Wenn e- nur erst morgen chäref Plötzlich fuhr er zusammen und zog hastig die Uhr. Gleich halb elf: Er wollte ja Jakoba abholen. Unter keinen Umständen durfte sie allein in Begleitung irgend eines „dieser Kerls" durch den Thiergarten bei Nacht nach Hause gehen. Sie war jetzt seine anerkannte Braut. Er hatte Pflichten. Wenn er jetzt ging» konnte er gerade zurechtkommen. Er erhob sich und verabschiedete sich. Man bedauerte geräuschvoll, aber man begriff, daß er gehen mußte, wenn er seine Braut abholen wolle. Helmuth war froh, als er draußen war. Frische, scharfe Luft umwehte angenehm seine Stirn, hinter der es hämmerte und pochte. War er etwa betrunken? Gott bewahre! Wovon?! Es war nur die Aufregung, die stickige, heiße Luft da drinnen. Es würde ihm besser werden, wenn er zu Fuß durch die frisch und kalt gewordene Nacht ging. Nicht durch die Straßen, durch den Thiergarten konnte er ja gehen. DaS war auch der nächste Weg. Ihm wurde immer schwindliger. Gott sei Dank, er hatte durch eine kurze, stille Straße den Schatten des Parkes erreicht. Herrgott, war er am Ende doch berauscht?! — Dann wars vielleicht doch bester, wenn er — — wenn er — nicht — Er drückte die Hände gegen die Schläfen und lehnte sich gegen eine» Baum. Und dann fuhr er empor. Lauschend mit augehaltenem Athem — und stockendem Herzschlag. Ein gräßlich röchelnder, erstickter Hilfeschrei tönte durch die stille, weiße Mondnacht, die über dem schattenreichen Baum- und Strauchgewirr des Thiergartens lag. „Ein Mord! Ein Mord!" Und sich ausrassend, sprang Helmuth halb besinnungslos durch die Sträucher und Ge büsche der Stelle zu, woher der entsetzliche Schrei, dem kein zweiter folgte, ertönt war. 5. Als der alte Rawelski ihn verlassen hatte, blieb Wächter noch eine Weile an dem Tische sitzen, und mancherlei seltsame Gedanken stiegen ihm auf. Da er aber hier nicht gut so lange bleiben konnte, ohne etwas zu verzehren, ließ er sich noch ein GlaS Bier geben. Dabei aber verwünschte er die Stadt mit ihren vielen
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