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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.11.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-11-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951113022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895111302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895111302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-11
- Tag1895-11-13
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Es dürste sich aber dabei regelmäßig um den Wunsch des letztgenannten Herrn nach Erhebung des ReichsversicherungS amts zu einem selbstständigen, dem Reichskanzler direct unter geordneten Reichsamt mit einem Staatssecretair an der Spitze gehandelt haben, einen Wunsch, dem Herr von Boetticher notorisch nicht geneigt ist. Jetzt wird von verschiedenen Seiten über tiefgehende Meinungsverschiedenheiten in Fragen, die weit brennender sind als jene äußere Lrganisationsaiigelegen beit, berichtet, und auch diesmal hat die Meldung in der Haupt sache die Wahrscheinlichkeit für sich. Die Natnr der Vorschläge,die Herr vr.Bödiker zur Umgestaltung des Arbeiterversiche rungswesens macht, läßt denWiderstand Derjenigen begreif lich erscheinen, die an entsprechenden Beiträgen der Versicherten als einem Princip festhalten, das der Rente den Charakter einer Leistung an den Arbeiter als solchen wahrt und ver hindert, daß sie zu einer Gabe an Jeden werde, der alt oder arbeitsunfähig ist, mag er nun nach der landesüblichen Auffassung Arbeiter gewesen sein oder nicht. Die Bödiker'- schen Grundsätze verlassen diesen Standpunkt zwar nicht ausdrücklich und geradezu, aber sie bergen die Gefahr des Ueberganges zur Rente für Jedermann, zur Verwandlung der Rente in ein den Spenden der öffentlichen Armenpflege nicht unähnliches Almosen. Die Meldungen von dem Hervor treten schärferer Gegensätze in der Versicherungsconserenz sind daher glaubwürdig, wenn sie auch in den Einzelheiten schwer lich correct sind. So halten wir es z. B. für ausgeschlossen, daß die preußische Negierung, wie es nach einem Bericht scheinen könnte, gegen den Gedanken der Verschmelzung der Invaliditäts- und Altersversicherung mit der Unfallversiche rung als solchen aufgetreten sei. Wenn dann weiter gesagt wird, eine „höhere Instanz", mit welcher der Kaiser gemeint ist, werde die Entscheidung treffen, so hat das natürlich nur einen Sinn, insoweit Preußen in Betracht kommt. Zuständig ist für die letzte Entscheidung der Regierung selbstverständlich der BundeSrath. Was Preußen selbst anlangt, so steht formell ohne Zweifel das letzte Wort dem Monarchen zu; diese über aus schwierige und complicirte Frage schließt aber ihre sach gemäße Beantwortung auf einem andern als dem Wege der kollegiale» Behandlung im Staatsministerium vollkommen aus. Wie Anfang und Mitte, so verspricht auch das Ende des Jahres 1805 vollständig im Zeichen von RcichötagSersatz- wnhlen zu stehen. In Württemberg haben gestern zwei Ersatzwahlen stattgefunden, eine in Ealw-Nagold, wo der freiconservative Frhr. v. Gültlingen wegen seiner Be förderung zum Landgerichtsdirector sich einer Ncnwahl unter zog, die andere in Mergentheim-Crailsheim, wo die Demokratie einen kaum ernsthaft bestrittenen Besitztitel aus einen neuen Znbaber übertragen läßt, nachdem der bis herige Mandatsträger wegen Krankheit zurückgetreten ist. Ende der nächsten Woche, am 22. November, folgt die Ersatzwahl in Herford-Halle, wo für den Freiherr» v. Hamm erste in ein Nachfolger bestimmt werden soll. Die Conservativen des Kreises haben Wohl ge wußt, was sic tbaten, als sie es ablehnten, nochmals einen Versuch mit einer auswärtigen Parteigrvße zu machen; sie haben aus dem Kreise selbst ihren ersten und zweifellos besten Vertrauensmann auf den Schild gehoben, und von der liberalen Seite tritt ihm Bürgermeister Quentin in Herford entgegen, der sich ebenfalls in erster Linie auf das persönliche Vertrauen stützt, das er im engeren Kreise seiner Verwaltungsthätigkeit sich erworben hat. Es scheint also auf beiden Seiten der Wunsch vorzu wallen, durch überwiegend locale Eandidaturen zwar den principiellen Gegensatz aufrecht zu erhalten, aber doch die entscheidende Auseinandersetzung dieser Gegensätze auf eine spätere Gelegenheit zu verschieben. Das war Wohl schon auS dem Grunde geboten, weil dort, im Mittel punkt der westfälischen Tabak-Industrie, die Erregung wegen der Tabakfabrikatsteuerpläne noch viel zu sehr in allen Schichten der Bevölkerung fvrtlebt und ein Austrag politischer Gegensätze mindestens nur unter sehr ver wirrenden Umständen sich vollziehen lassen könnte. Kaum wird aber diese Wahl vollzogen sein, so kommen Blau- beuren, Metz, Köln und Diedenhofen an die Reihe. In Blaubeuren muß Herr Grober, ebenfalls wegen Be förderung, sein Mandat erneuern lassen, in Köln ist ein Centrumsmandat, in Diedenhofen ein protestlerisches durch Todesfall erledigt, und das endlich von dem Protestler vr. Haas erlöste Metz hat einen Ersatz zu suchen. Mit diesen vier Wahlen wird das Jahr 1895 die Ziffer von 25 Reichstagsersatzwahlen erreicht, also bis zu 6 Prvc. der Reichstagsmandale erneuert haben, und zwar sind im Norden und Süden, Osten und Westen solchermaßen die Ventile geöffnet worden, um aufgesammelten politischen Leidenschaften einmal Luft zu schaffen. Als wir s. Zt. für die fünfjährigen Legislaturperioden einlraten, wurde ein allge meines Wehgeschrei erhoben, daß nun „das Volk" auf fünf Jahre mundtodt gemacht sei. Wenn „das Volk" in Wahrheit kein anderes Mittel besäße, sich zur Geltung zu bringen, so müßte beute auch der erzürnteste Gegner der fünfjährigen Wablfristen die Einsicht gewonnen baden, daß Gelegenheit genug übrig geblieben ist, die politische Entwickelung im Innern mit der Kritik deS Stimmzettels zu begleiten. Für die gestrige Sitzung der französische» Kammer hatte man das erste Scharmützel zwischen der Regierung und den Oppositionsparteien erwartet. Ein merkwürdiger Anlaß war für dasselbe gegeben. Schon am Sonnabend gab cs m derKammer ein kleines Vorspiel. Präsident Brisson verlas eine Mittheilung, daß der zum Marineminister ernannte Lockroy seine Stelle als Vicepräsident der Kammer niedergelegt habe. Außerdem sei eine Neuwahl an Stelle Pierre Richard's vorzunehmen, welcher durch eine Bemerkung Ribot's in dessen letzter Rede alsPremier sich beleidigt gesuhlt und auf seine Schristfübrerstelle verzichtet habe. Wenige Abgeordnete waren im Saale, alsBrissvn von diesen Neuwahlen sprach, welche die Aufmerksamkeit der Regierung erregten. „Diese Neuwahlen sollen erst im Januar vorgenommcn werden", riefen einzelne Radikale und Socialisten, und Brisson murmelte: „Es ist keine Einwendung erfolgt, der Antrag ist daher angenommen und die Wahl bis zum Januar vertagt." Das Ministerium war zufrieden, die Radikalen jubelten, die Socialisten triumphirten, denn anstatt des radikalen Vicepräsidenten Lockroh war von den gemäßigten Gruppen der ehemalige Unterrichlsniinister des Cabinets Ribot, Poincarv, als Candidat aufgestellt, und an Stelle des Socialisten Richard sollte der Sohn des ehemaligen Präsidenten der Republik Carnot, Ernest Carnot, treten, welcher ebenfalls der republikanischen Partei angehört. Es wäre höchst eigenthümlich gewesen, wenn die extremen Parteien gerade in dem Augenblicke, wo sie an die Regierung gelangten, aus dem durch Wahl der Kammermebrheit gebildeten Kammerbureau entfernt worden wären. Dies würde die wahre Situation des radikalen CabinetS gezeigt haben. Eine solche Möglichkeit sollte also vermieden werden, sie ist aber dennoch nicht vermieden worden, da am Schluffe der Sonnabendsitzung mit 293 gegen 237 Stimmen beschlossen wurde, die Wahl am Dienstag vorzunehmen. Bei dieser Wahl mußte sich nun zeigen, wie stark die Majorität für die Negierung ist, wenn überhaupt von einer Majorität die Rede sein kann, und es hat sich gezeigt: Die Kammer wählte thatsächlich Poincars zum Vicepräsidenten und Carnot zum Schriftführer und zwar mit nicht geringen Mehrheiten. Die Radikalen enthielten sich der Abstimmung. Las ist die erste Niederlage des fortgeschrittenen Regimes, sie ist von schlimmer Vorbedeutung für die Zukunft, denn sie zeigt die nicht radikalen Elemente der Kammer einig gegen das Ministerium Bourgeois. Der Bericht der Untersuchungs-Commission der bulgarischen Sobranje über die Amtsthätigkeit Stam- bulow's soll allen bulgarischen Journalisten zur Verfügung gestellt werden. Einstweilen finden wir in der „Frankfurter Zeitung" darüber einige Angaben in einer aus Sofia vom 7. November datirten Correspondenz: Wohl selten, vielleicht noch nie, wurde eine so umfangreiche Saiiimlung geheimer und interessanter Dokumente der Oeffentlichkeit übergeben, wie der über 600 Quartseiten starke Band, welcher die von der Enquete - Commission i» den verschiedenen Archiven so ziemlich aller Aemter des Fürstenthums gefundenen Schriftstücke enthält. Es liegen darin Tausende Telegramme, Briefe, ge heime Verordnungen, Rapporte, Verhandlungsberichte vor, auf Grund welcher die Anklage aufgebaut wird. Hunderte vou Depeschen liegen vor, mit welchen Stambnlow in den Gang gerichtlicher Verhandlungen eingreist, den Richtern das Urtheil vorschreibt. Das interessanteste Beispiel hierfür bieten die Dokumente über die bekannte Affaire des Metropoliten Kieme» t von Tirnowo, der vor drei Jahren wegen eineiz angeblich in der Kirche gehaltenen aufrührerischen Rede von einem Pöbelhaufen gewaltsam entführt und später gerichtlich zu dreijährigem Gefängniß verurtheilt wurde. Aus den mitgetlicilteu Dokumenten geht nun hervor, daß Alles von Anfang bis Ende Stambulow's Werk war, der den unbequemen und einfjußreichen Gegner kaltstellen wollte. Die angeblich im Namen von 2M0 entrüsteten Bauern ab- gejendete Depesche an Stambulow, welche die Bertreibung Klement's und seine Ueberführung in das Kloster Peter pawlowsk meldet, trägt die Unterschriften seines Bruders Iwan und des berüchtigten Holelschow, Vice - Präsidenten der Kammer. Bedeutsam ist auch eine vertrauliche Depesche dieser Beiden an Stambulow, in welcher sie die Vesorgniß aussprechen, daß Klement vor Gericht sreigesprochen werden könnte, da er nicht zum Wider stand anfgereizt habe. Während der Untersuchung wurde Klement in dem genannten Kloster von Gendarmen bewacht, und Niemand hatte zu deinselben Zutritt. Eine Depesche Etambulow's an den Präsecten von Tirnowo befiehlt, daß die Bevölkerung de» Exarchen bitte, Klement vor Gericht zu stellen. Ter Präsect empfiehlt, Kleinent in ein entfernteres Kloster zu bringen, da derselbe in der Umgebung Tirnowos so viel Freunde und Verehrer habe, daß bei seiner Ueberführung zur Verhandlung Ruhestörungen zu besorgen seien. Der Präsect meldet weiter, daß die Verhandlung auf den 5. Juli angesetzt sei. Stambulow telrgraphirt ihm, dem Präsidenten des Appellgerichtes vertraulich nahezulcgen, die Verhandlung auf den September zu verlegen, wo er oder der Minister Slawkow nach Tirnowo kommen würde. Später wurde Klement wirklich nach einem andern Kloster gebracht. Während der Gerichtsverhandlungen wurde er behufs Vermeidung von Demonstrationen zeitlich Morgens abgeholt und Nachts von Tirnowo nach dem Kloster zurückgebracht, stets unter Eskorte von 5 lGeiidarmen. Aber auch das mußte erst erzwungen werden, denn der Procuror erklärte, er werde die Anklage nicht vertreten, wenn Klement nicht persönlich erscheine. Ein Mitglied des Gerichtshofs erklärte sich ganz für Klement. Man meldete Stambulvm, daß an- gesehene Bürger Unterschriften sammeln für ein Gesuch an de» Fürsten, Klement möge nach Tirnowo gebracht werden. Er tele- graphirt dein Präsecten, das Gesuch müsse um jeden Preis confiscirt werden. Das geschieht. Schon als Klement begnadigt war, telegraphirte Stambulow a» Len Präsecten von Lowtjcha, Klement nicht sortzulassen, bis neue Ordres kommen, wofür er den Präsecten persönlich verantwortlich mache. Zugleich beauftragte er ihn, Klement z» warnen, ohne Einwilligung Stambulow's nach Tirnowo zu gehen, da dies für Klement die schlimmsten Folgen haben könnte. Dieser Fall wurde hier ausführlicher dargelegt, weil er seinerzeit europäische Berühmtheit hatte. Jedermann nun, auch wenn er nicht die Dokumente vor sich hat, kann sich, fügt der Correspondent hinzu, vorstellen, wie Stambulow gegen andere Sterbliche verfuhr. Nack Tausenden sind die Telegramme vorhanden, welche die Verfolgung, die polizeiliche Bewachung, die Durchsuchung der Correspondenz, die Iiiteriiirniig harmloser Bürger anordneii. Schon ein geringer Theil der gefundenen Beweise würde lnu- reichen, Stambulow viel von seinem Nimbus wegzunchmcn, denn Strenge und ein eisernes Regiment, die nothwendig waren, sind nicht identisch mit Grausamkeit und Willkür. Dagegen vermögen die Dokumente keine einzige der sonstigen Anklagen gegen ihn zu bekräftigen. Be kanntlich wären auf seinen Befehl zahllose Menschen gemartert oder mindestens geprügelt worden, er hätte Mädchen dutzend weise entehrt und viele Millionen Staatsgelber veruntreut. Davon ist nichts erwiesen. Wir möchten dem nur noch in Uebereinstimmung mit der „Nat.-Ztg." hinzufügen: Tie Maßregel, daß der Bericht allen bulgarischen Journalisten zur Verfügung gestellt werden soll, kann nach allem Vorangegangenen den tendenziösen Charakter des Be richtes und der ganzen Untersuchnng nur vollends über jeden Zweifel erheben. Daß Stambulow rin Gewalt mensch war, und daß sein Bild auch sonstige Flecken auf weist, ist längst bekannt, aber er war ein ehrlicher Mann, der stets das Beste Bulgariens im Auge batte und nicht, wie es orientalische Sitte ist, in seine eigene Tasche wirthschaftete. Er ist ja auch ohne Hinterlassung von Neichthümern ge storben. Ohnedies lassen die ibm zw Theil gewordene Be handlung und sein Ende, sowie die mit der Verfolgung seiner Mörder getriebene Komödie sich durch keine nachträgliche systematische Diffamation des Ermordeten beschönigen. Wie aus Accra an der «tzoldküstc gemeldet wird, ist der dem Aschantikönig für die Antwort aus das britischc Ultimatum gestellte Termin vor zwölf Tagen abgelaufen. Der König habe keine Antwort ertheilt, sondern suche im Gegentheil mit den benachbarten Häuptlingen Bündnisse ab- zuschlicße». Daraufhin hat England, wie verlautet, den Krieg gegen die Aschantis, wenn auch noch nicht formell erklärt, so doch thatsächlich beschlossen, und cs sind bereits Beseble zur Einleitung der Expedition erlassen. Uebrigens dürste die Zahl der zu verwendenden englischen Truppen 300 nicht über steigen. Die Vorhut verläßt am Sonnabend Liverpool. Ten Be fehl über die Expedition übernimmt der Generalinspector der Truppen an der Goldküste, Oberst Sir Francis Scott. König Prempeh hat sich übrigens dem Ueberbringer des Ulti matums, Hauptmann Donald Stewart, gegenüber in einer Weise benommen, die um so anerkennenswerther ist, als das Schriftstück, das dem König in Gegenwart einer großen Volksmenge vorgelesen wurde, ihm in wenig höflicher Weise sein Sündenregister vorhielt. In Culturstaaten hätte ein solcher sehr starker Benedetti-Fall zum sofortigen Abbruch der Verhandlungen und zur Kriegserklärung geführt, in Aschanti, sollte man glauben, hatte eine solche rücksichtslose Botschaft den Ueberbringer und seine Begleiter zum Gegenstände der so beliebten Menschenopfer werden lassen sollen. Ländlich, sittlich. Statt dessen ließ der König nach Verlesung des Ultimatums, worin er aufgcfordert wurde, von seinem lasterhaften Wandel zu lassen, sich zu bessern, die Nachbarstämme in Ruhe zu lassen, den Handel nicht zu behelligen, keine Menschenopfer mehr zu bringen, die noch schuldige Kriegsentschädigung von 50 000 Unzen Gold nicht zu vergessen und einen britischen Residenten aufzunehmen, dem Abgesandten der Königin durch Feuilleton. Der Kampf ums Dasein. 13s Roman von A. von Gersdorff Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) „Aber liebes Kind — mach'Dir doch keine solche Mühe!" hatte er milde geäußert, als der Regulator an der Wand zum zweiten Mal inncrbalb einer Stunde stand, weil er das Putzen und Reiben nicht vertrug, wegen der damit verbun denen Erschütterung — „daraus achtet ja heute kein Mensch. Die Brautleute haben einander anzusehen und uns. Freund liche Gesichter und herzliches Wesen ist Alles, was sie be anspruchen." „Das Fräulein soll aber sehen, daß sie in einen säubern, wenn auch armen Haushalt kommt", war die etwas spitze Entgegnung. „Der gute Vater sah etwas unbehaglich aus. „Warum denn?" „Warum?" Maria-Margarethe stand jetzt selbst oben auf der Leiter und rieb mit Seife an dem TbürsimS. „Ja, lieber Vater, Du vergißt, daß sie eine Schriftstellerin ist. Also kannst D« Dir denken, daß sie Wohl kaum eine Idee hat, wie cs in einem streng geordneten Haushalt aussieht, in dem Alles nach der Uhr zugcht." „Hm Der Oberst gedachte einer und der andern Enttäuschung in letzterem Puncle. Aber er schwieg und blickte in den vielversprechenden Inseratentheil der Zeitung, ob sich da nicht eine kleine Beschäftigung für ihn fände. Darin störte ihn zunächst die öfter erwähnte Waschfrau, weil sie das Sopha, auf dem er saß, abbürsten wollte, und dann Fox, der, unzufrieden mit der Reinmackerei, der Wasch frau erregt Las ohnehin defekte Arbeitszeug entriß und damit auf den Schoos; seines geliebten Gebieters flüchtete. Als Maria-Margaretbe von der Leiter stieg, klingelte cS, nnd es war für den gelassenen Obersten recht erbaulich zu sehen, wie die Waschfrau, die Trittleiter, die Seife, die verschiedenen Putz- und Wischtücher, daS Biertelmaß mit Spiritus und seine Tochter mit wirre» Haaren, einem alten Rock und der unvermeidlichen, zu allen Zeiten mit Reckt so beliebten „Blouse" in wilder Hast das Wohnzimmer verließen. Da» Thüröffnen überließen sie, schien c». ibm. Auf dem Tische stand übrigens schon seit sieben Uhr das Frühstück, welches Helmuth für Fräulein Rovalla „großartig" bestellt hatte, das aber nach Maria-Margarethens Bestimmung ganz einfach ausgefallen war. Ein blendend reines, leicht nach Seife duftendes, etwas „klammes" Tischtusch, darauf eine Salativre mit Pfeffer, Salz, Essig und Mostrich, rothe Dauerwurst aus Lübeck, Brot und Butter, der übliche Kar toffelsalat, der beständig in einer großen Schüssel vorräthig gehalten wurde, und — dank dem Obersten — eine Flasche Portwein. Helmnth war hockst peinlich überrascht, statt eines Dienst boten seinen alten, vornehmen Vater selbst ihm und Iakoba die Thür öffnen zu sehen. „Wir kommen wohl zu früh?" sagte er zögernd. „Stören? Meine Kinder — mich? Das müßte doch sonder bar zugehen!" rief der Oberst warm. Und dies volle, schone Organ, daS scharfe, Helle Auge, die ganze edel-vornehme Erscheinung des alten Mannes, die in mehr als einem Zuge an Helmuth erinnerte, berührten Iakoba äußerst wohlthuend. „Sei willkommen, meine Tochter, von ganzem Herzen willkommen!" Sie standen jetzt im Zimmer. Iakoba neben Helmuth, zu dessen schlanker Höhe ihre üppig, weiche Gestalt herrlich paßte. Sie trug das graue Tuchklcid mit einem silbcrgrauen Pelzkragen und, wie gewöhnlich, auch heute frische Rosen an der Brust. Das winzige Capotrhülchen ließ die ganze goldige Märchcnpracht ihres Haares sehen. Dazu umschwebte sie ein unbeschreibliches Etwas, das die schöne, interessante, vielge feierte Frau zu umgeben pflegt und bei den Männern ebenso leicht Sympathie und Liebe erweckt, wie bei den Frauen das Gegentheil. Auch der Oberst konnte garnicht anders, als seine zu künftige Schwiegertochter mit Bewunderung betrachten. Rasch reichte er seinem Sohne die Hand. „Helmuth, Du bist ja beneidenswerth, hätte sie mir wahrhaftig nicht so ge dacht. DaS ist ja wirklich eine Sonne unter diesem beschei- denen Dach!" Cr zog die Erglühende an sich und drückte einen leisen Kuß in ihr Haar und auf ihre Stirn. Sie aber legte beide Arme um seinen Hals und küßte ihn herz lich auf beide Wangen. Helmuth sab sich aber fragend um. „Wo ist denn meine Schwester?" fragte er erstaunt. Ehe der Oberst noch ant worten konnte, trat sie ein. In ihrem Alltagskleide, das in keiner Weise elegant oder geschmackvoll war, eher da» Gegen- theil, jedenfalls nicht die Vermutlmng erweckend, daß sie beut irgend Jemand gefallen wollte. Sie war fast noch mehr ge blendet von Iakoba's stolzer, üppiger Schönheit und ihrer tadellosen Eleganz, als der Vater. Ihr Blick glitt rasch von dem „kostbaren" Pelz zu dem schweren Tuch des Kleides, unter dem ihr weibliches Ohr sofort die verborgene Seide rauschen hörte, von den echten Perlen zu den für die IahreS- eit ganz unerschwinglich theuren Rosen, die so scheinbar acht- oS zwischen die Knöpfe ihres Kleides gezwängt waren. Die kan» ja machen, was sie will, die darf Alles, nnd verlangen, was sie will, die bekommt Alles! Der liegen sie ja Alle zu Füßen, wenn sie bloS den kleinen Finger ausstrcckt! Das war ihr erster Gedanke, und mit peinlicher Befangenheit ward sie sich der eigenen, recht beabsichtigten Reizlosigkeit be wußt. Hätte sie doch wenigstens ihr Bestes gethan! Aber wer konnte auch ahnen, daß der verliebte Helmuth gar nicht übertrieb!? Sie ärgerte sich über sich selbst. Das war kein guter Anfang. Iakoba erfaßte Alles sofort. Die Schwägerin mußte ihr unsympathisch sein, und sie ahnte mit Schrecken, daß es nie anders werden könnte, daß alles gegenseitige Bemühen vergeblich bleiben müßte — die einzige Schwester ihres Geliebten würde eine Fremde, wenn nicht eine natürliche Feindin ihr gegenüber bleiben! Mit ihren strahlenden Augen, aber viel unsicherer, zaghafter, als dem Obersten, näherte sie sich der verlegen und stumm Dastehenden. Maria-Margarethe streckte ihr nun rasch, mit etwas gemachter Herzlichkeit und viel zu viel Lächeln die Hand entgegen, so daß Iakoba, in der Absicht, sie zu umarmen und zu küssen, aufgehalten, nur rasch die Hand ergreifen mußte, und so standen sie sich in nicht zu leugnender Unbehaglichkeit gegenüber und sahen sich prüfend an. „Ich freue mich sehr — außerordentlich, Sie kennen zu lernen, Fräulein Rovalla, und als unsres lieben Helmuth liebe Braut bei un» zu begrüßen! Ich habe ja schon so viel von Ihnen gehört — auch gelesen — sehr nette Bücher — wirklich, sehr nett " Hier versagte di« etwas hastige Begrüßungsrede, und Iakoba erhielt Raum, in warmem Tone zu sagen: „Darf ich nicht Du sagen und liebe Schwester?" Sie nickte und erwiderte Iakoba's Umarmung mit gutem Willen. Sie liebte ja ihren Bruder so innig, »nd es war ja sein Glück, waS da so fremdartig, so unerwartet vor ihr stand. Und jetzt wirklich sich erwärmend, sah sie freundlich und aufrichtig zu Iakoba auf und sagte, Helmuth küssend, so reckt einfach und rührend, obwohl noch immer ein wenig unfrei im Ton: „Ach, machen Sie ihn nur so recht glücklich! So glücklich, wie er cs verdient, und ich will es Ihnen ja mit tausend Freuden danken!" Und sich bewußt werdend, daß sie ja wieder das angebotene „Du" vergessen hatte, fügte sie mit wirklich lieblichem Erröthen und Lächeln leiser bei: „Du — liebe Schwester!" So saßen sie denn in Friede und Liebe und guten Vor sätzen beisammen. Der alte Vater in seiner Sofaecke, Iakoba neben ihm, seine Hand in der ihren, und er nannte sie „unser Sonnen strahl", während sie ihn in der ganzen sonnigen Heiterkeit ihres Wesens anlächelte. Helmuth konnte den Blick nicht von ihnen lassen. Maria-Margarethe aber sah schuldbewußt auf die un nachgiebig barte Dauerwurst, und wenn eine gütige Fee — wie in jenem Märchen — ihren Wunsch — kaum gedacht, ersüllt hätte, dann würde dort ans dem Teller plötzlich der herrlichste Räucherlachs geprangt baben. Iakoba aber bezeugte eine so aufrichtige Freude über den „köstlich duftenden Kartoffelsalat", daß dies eine kleine Er leichterung für Maria-Margarethe war und ibr eine gemur melte Entschuldigt»!» abnöthigte über den kalben Meter Dauerwurst. Ter Oberst hütete sich wohl, sein Töchterlcin auch nur mit einem Blick zu streifen. Er kannte seine Kleine und wußte recht gut, daß sie ihr Unrecht meistens cinsah — cS aber sebr übel aufnahm, wenn ihre Beschämung mit Bei fall bemerkt wurde. Der Portwein that übrigens sein Schuldigkeit. Die Unter haltung wurde lebbaftcr und freier. Iakoba erzählte so interessant von ihrer Thätigkeit und ihren Beziehungen, künstlerischen Verbindungen und geschäftlichen Interessen, daß der Oberst und Maria Margaretha ganz Ohr waren. Als dann Iakoba gar zuletzt sich direkt an die Schwägerin wandte und mit leuchtenden Augen sagte: „Wer weiß, ob mein Schwesterchen nicht auch zu de» „Collegen" gehören könnte und «ine literarische Thätigkeit fände! Hast Du nie daran gedacht, einmal die schaffende Feder zu ergreifen?" da fiel ibr etwas unvorsichtiges Wort auf guten Boden. Maria- Margarethe gestand, daß sie — natürlich — auch schon daran gedacht habe, einmal eine kleine Novelle zu schreiben, eS aber nicht über di« ersten Seiten gebracht habe, weil ibr ja
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