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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.11.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-11-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951116026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895111602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895111602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-11
- Tag1895-11-16
- Monat1895-11
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Mit triumpbirender Miene weist das freisinnige Blatt darauf hin. die Thronrede stelle fest, daß es Dank den eigenen Einnahmen des Landes und der Steigerung der Zuflüsse aus den Ueberweisungssteuern des Reiches möglich gewesen sei, für die nächste Finanzperiode das Gleichgewicht zwischen den Einnahmen und Ausgaben des ordentlichen Etats unter Fortgewährung der seitherigen Dotation an die Schulgemeinden ohne Inanspruchnahme eines Steuerzuschlags herzustellen. Ein einziges Wörtchen der Thronrede ist in dieser Auslassung vergessen; nur ein einziges Wörtchen, aber eins, daö die ganze Argu mentation der „Vossischen Zeitung" über den Haufen wirft. Die Thronrede spricht nämlich nicht von einem Steuerzuschlag schlechtweg, sondern von einem höheren Steuerzuschlag. Schon die laufende Finanzpcriode in Sachsen ist, wie die Thronrede sagt, „im Hinblick auf das Anwachsen der Leistungen Sachsens für das Reich" mit einem Zuschlag zur Einkommensteuer belastet, und dieser Zuschlag soll forterhoben werden. Nur einen höheren Zuschlag hat die relativ günstige Entwickelung der Landes- und Reichs finanzen überflüssig gemacht. DaS „nichtsdestoweniger", mit welchem die „Voss. Ztg." ihre Kritik des in der sächsischen Thronrede ausgesprochenen Wunsches nach der Sicherstellung des finanziellen Verhältnisses der Bundesstaaten zum Reich vor „unerwarteten Schwankungen" einleitet, ist da her so unangebracht wie möglich. Eine weitgehende Ver kennung — oder müssen wir sagen Unkenntniß? — der Grundlagen dieses Verhältnisses verräth sich aber in der Art und Weise, wie die „Voss. Ztg." das Verlangen der sächsischen Thronrede beurtheilt, daß „den Bundesstaaten eine billige Entschädigung für die erheblichen Lasten nicht vor- cnthalten werde, die- sie ans Grund der vom Reiche aus gehenden Anregung und im Vertrauen auf die Fortdauer der ihnen früher in reichlichem Maße aus dem Reiche zugeflossenen Zuschüsse auf ihre Etats dauernd übernommen haben". Die „Voss. Ztg." nennt das kurzweg ein Verlangen nach „Entschädigung für den Wegfall der früheren Zuschüsse". Der Unterschied in der Auffassung ist durch den Wortlaut dieses Passus der Thronrede llargestellt. Und wäre denn eine Entschädigungsforderung selbst im Sinne der „Voss. Ztg." etwas Unbilliges? Die „früheren Ueberschüsse", d. h. die durch die Reform von 1879 ermöglichten Mehrübcrweisungen des Reichs an die Einzel staaten, bildeten doch nur ein billiges Aequivalent für den finanziell sehr einschneidenden Verzicht der Einzelstaaten auf gewisse Einnahmequellen zu Gunsten des Reiches. Die „Voss. Ztg." eignet sich weiterhin das Urtheil der „Lib. Corr." an, welche der sächsischen Negierung den Vorwurf macht, sie habe „im Bundesrath für die Erhöhung der Reichsausgaben gestimmt, zu deren Deckung jene Ueberschüsse verwendet worden" seien, und verlange jetzt „im Interesse einer gesunden Finanzwirthschaft der Bundesstaaten" Ersatz. DaS heißt, sich die Sache sehr bequem machen. Die einzel staatlichen Regierungen würden sich daran gewöhnen müssen, „Mehrausgaben im Reich nur nach Maßgabe der vorhandenen Mittel zu bewilligen". Ein Fortschrittsorgan sollte sich doch hüten, einen Grundsatz zu predigen, dessen Befolgung die culturelle Entwickelung eines Staates wenn nicht gänzlich aufhalten, so doch auf den Sckneckengang verweisen müßte. Dir Bedürfnisse eines Staates sind nicht nach dem Maßstab der vorhandenen Mittel zu messen, sondern nach dem Maß stab des Nothwendigen, und wenn für dieses Nothwendige die Mittel nicht vorhanden sind, so müssen sie geschaffen werden. Das ist Fortschrittspolitik im guten Sinne des Wortes. Die Politiker der „Lib. Corr." selbst haben nicht nach den vorhandenen Mitteln gefragt, als sie die Notb- wendigkeit der Militairvorlage anerkannten und für sie stimmten. Daß sie für eine vollständige Deckung der Kosten nicht zu haben sind, ist ein Zeichen bedauerlicher Inkon sequenz; daß sie jetzt versuchen, die Ineonsequenz zum obersten Grundsatz für die Finanzgebahrung im Neicke zu erheben, ist ein Zeichen von Ueberschätzung des eigenen Urtheils. Bei den Versuchen, das Verhalten des Eentrums bei der Dortmunder Stichwahl zu vertheidigen, ist auch wieder die alte Phrase vom Eentrum als dem „festesten Bollwerk ii» Kampfe gegen die Locialvciiiokratic" auf getaucht. Insbesondere wurde gesagt, die Zukunft werde lehren, daß die katholischen Arbeiter in Dortmund trotz ihrer Stimmabgabe für den socialdemokratischen Candidaten noch nicht Socialdemokraten seien. Allerdings, meinte ein ultra- montanes Blatt, müßten die Nationalliberalen sich mit dem Gedanken vertraut macken, daß „für sie der Wahlkreis end- giltig verloren" sei. Die Aufgabe, ihn von der Social demokratie zurück zu erobern, müßten sie dem Centrum überlassen, das diese Aufgabe auch lösen werde. Wir würden der Centrumpspresse zu Dank verpflichtet sein, wenn sie uns die Thatsachen Nachweisen wollte, auf welche sich diese — von anderer Seite mit Recht als „Illusionen" bezeichneten — sicgesgewissen Versicherungen stützen. Man braucht sich nur ein wenig in der Wahlstatistik umgesehen zu haben, um zu wissen, was von der ultramon tanen Zukunftsmusik zu halten ist. Das Centrum wird nicht einen einzigen Wahlkreis namhaft machen können, den es aus eigner Kraft dauernd der Socialdemokratie ab gerungen hat. Andererseits aber ist der Beweis mehrfach zu erbringen, daß auch das „festeste Bollwerk" der vordriugendcn Umsturzpartei gegenüber nicht fest genug war und daß es in mehr als einem Falle dringend der Unterstützung anderer Parteien be dürfen wird, um dem nächsten Ansturm Stand zu halten. Um diesen Nachweis zu führen, braucht man nicht einmal über die Wahlen von 1884 hinauszugehcn. Wir verweisen auf Reichenbach-Neurod e. Bei den Wahlen von 1884 stand dort die Socialdemokratie an Stimmenzabl noch um 25 Proc hinter dem Centrum zurück und an dritter Stelle. Die Chancen, sich dieses Gegners zu erwehren, waren demnach für das Centrum gewiß günstig. Bei den Wahlen von 1893 aber batte die Socialdemokratie das Centrum um rund 4000 Stimmen oder um 85 Procent überflügelt, während das letzerc auch absolut genommen einen Stimmenrückgang aufwies. ES mußte den sicheren Sieg in den Händen der Socialdemokratie lassen. Wir verweisen ferner aufM ai n z. Auch dort ist das Centruin von der Socialdemokratie aus dem Besitze verdrängt worden. Es zählte 1893 fast 3000 Stimmen weniger als 1887, während die Socialdemokratie ein Plus von 3400 Stimmen zu verzeichnen hatte. Und tpie steht es um die Zukunft? Wir sind gespannt darauf, wie sich daS „festeste Bollwerk" im Wahlkreis Ratibor bei der nächsten Wahlprobe bewähren wird. Dort, also in einem Wahl kreis, der Hu 95,3 Procent katholisch ist, sind die socialdemo kratischen stimmen von 67 im Jahre 1884 auf 6359 im Jahre 1893 gestiegen. Sie machten damit 75 Proceitt der Centrumsstimmen aus, die nicht einen Fortgang, sondern einen Rückgang aufzuweisen batten. Auch in Würzburg, mit einer zu 82 Proc. katholischen Bevölkerung, wird das Cen- trumsbollwcrk vermuthlich bei den nächsten Wahlen einer barten Probe ausgesetzt sein. Dort hat sich die Socialdemo- kratie seit 1884 um das 36fache vermehrt, von 1l3 Stimmen im Jahre 1884 auf 4057 Stimmen im Jahre 1893, während das Centrum zurückgegangen ist und ohne nationalliberale und freisinnige Hilfe nicht mehr zu siegen vermag. Diese statistischen Angaben, die leicht vermehrt werden könnten, lassen die Werbekrast der Centruinspartei in einem recht zweifelhaften Lichte erscheinen. Auf eine unbewiesene Möglich keit hin aber politisch zu sündigen in einer Weise, wie es daS Centrum im Wahlkreise Dortmund gethan, ist frivol. Die Thatsache, daß das aus vier Kriegsschiffen bestehende deutsche (Geschwader in den ostasiatischen Gewässern außerhalb Amoys vor Anker gegangen ist, hat bekanntlich Anlaß zu dem Gerüchte gegeben, daß Deutschland die östlich von Amoh gelegene Insel Kujemoi (Ouemoy) erworben habe, um dort eine Kohlenstation anzulegen. Das Gerücht hat sich leider nicht bestätigt; leider, denn es wird höchste Zeit, daß China sich bereit erklärt, Deutsch land noch andere Zugeständnisse, als die Erlaubniß zur Grün dung deutscher Niederlassungen in Hankau und Tientsin zu gewähren. Die Insel Kujemoi ist zweimal so groß, als die Insel Haimon, auf der Amoy liegt, das schon seit dem Jahre 1842 zu den Vertragshäfen im südlichen China gehört. Amoy hat über 300 000 Einwohner und sein Verkehr wird, soweit die Tonnenzahl der ein- und ausgehenden Schiffe in Betracht kommt, nur von Shanghai übertroffen. Zahlreiche Schiffsverbindungen bestehen mit Hongkong, Swatau, Fut- schau, der gegenüber liegenden Insel Formosa und den Orten an der Malakkastraße. Nächst den britischen und chinesischen Schiffen nehmen die deutschen die wichtigste Stelle im Verkehr ein. Das deutsche Reich ist in Amoy durch einen Consul vertreten. Es leben dort ungefähr 300 Ausländer und cs erscheinen zwei Blätter in englischer Sprache, während nicht weniger als drei evangelische und eine katholische Mission sowie spanische Dominikanerinnen, die ein Findlings-Hospital unterhalten, für die christliche Sache wirken. Wen» die Insel Kujemoi einen ebenso guten Hafen wie Amoy besitzt, so wäre die Wahl derselben zur Anlegung einer deutschen Kohlenstativn in der Nähe des bedeutenden Handelsplatzes gut getroffen. Die Industrie- und Handelskreise Belgiens, welche daS socialpolitische Vorgehen der Regierung mit wachsendem Unmuth erfüllt, bereiten sich zn einem nachdrück lichen Widerstande gegen die auf diesem Gebiete verfolgten gesetzgeberischen Tendenzen vor. Dieser Tage fand in Brüssel eine von dem HanvelSkammerverbande, sowie von den industriellen Vereinigungen der Städte Antwerpen, Gent, Lüttich, Verviers, Charleroi und Ostende zahlreich be schickte Delegirtenversammlung statt, welche das social politische Programm der Regierung, namentlich die ministeriellen Rundschreiben an die Fabrikinspectoren und den Fabrikordnungsentwurf einer eingehenden Kritik unterzog. Herr Verbaere, von der industriellen und kaufmännischen Gesellschaft in Gent, verlas den Protest, den diese Vereinigung an den Industrie- und Arbeitsminister gegen dessen Rund erlaffe an die Fabrikinspectoren gerichtet hat, weil diese Rund schreiben die Wirkung haben, aus den Fabrikinspectoren Agenten des Umsturzes zu machen. Die in Rede stehenden Nunderlaffe wurden als dem Gesetze von 1889 zuwider laufend bezeichnet, welches die Befugnisse der Fabrikinspectoren abgrenzt und bestimmt, daß denselben ihre Thätigkeit durch Königliche Anweisung, nicht aber durch ministerielle Rund erlasse vorgeschrieben werde. Seitens der Delegirten für VervierS wurde mitgetheilt, daß die dortigen Arbeiter eine Unzahl ganz grundloser Beschwerden bei dem Fabrikinspector anbringcn und den Industriellen dadurch sehr viel Zeit wegnehmen. Diese Mittheilungen fanden allseitige Be stätigung, und die Versammlung sprach sich sowohl aus An laß der die Fabrikinspectoren betreffenden Nunderlaffe des Ministers, als auch aus Anlaß der projectirten Fabrik- ordnung eiiuiiüthig in scharf verurtheilenden Worten gegen die immer mehr socialdemokratische Allüren an- nchmende Socialpolitik der Regierung anS. Es soll eine allgemeine Protestbewegung gegen diese Regierungs tendenzen in den Interessentenkreisen eingeleitet werden. Wir können von hier auS nicht über daS Mas; innerer Berechtigung der von den belgischen Industriellen formulirten Beschwerden urtheilen, darüber herrscht indessen kein Zweifel, daß die scharfe Concurrenz, welche die belgische Industrie der uusrigen zu bieten in der Lage ist, ihr nur durch den Umstand ermöglicht wird, daß die von ihr zu Nutz und Frommen der Arbeiter zu tragenden Lasten verschwindend gering sind im Vergleich zu den Opfern, welche der deutschen Industrie von der socialpolitischen Reformgesetzgebung auf erlegt werden. In der vorgestrigen Sitzung der französischen Depu- tirtenkammcr hat das radicale Ministerium mit der Erklärung des Premierministers auf die Interpellation Dumas, wie die Regierung über die Aufhebung deS Anarchisten gesetzes deute, einen Erfolg davongetragen, aus dem jedoch keineswegs geschlossen werden darf, daß das Cabinet Bourgeois- Cavaignac über eine geschlossene Mehrheit verfüge. Aller dings ist die Tagesordnung des Deputirlen Sevrien, durch welche die Erklärungen der Negierung gebilligt wurden, mit der großen Mehrheit von 317 gegen 87 Stimmen zur An nahme gelaugt. Allein diese Erklärung, mit welcher zugleich die Bitte verbunden war, der neuen Regierung eine Schonzeit zu gewähren, war auch ganz danach eingerichtet, daß sie dem Cabinet keinen Schaken bringen konnte. Den Conservativcn und gemäßigten Republikanern kam Herr Bourgeois mit dem Zugeständnis; entgegen, daß die Regierung gegenwärtig keine Verpflichtungen cingelien, also für die Aufhebung sich nichr engagiren wolle und die Radiealen und Socialistcn besänftigte er durch den Hinweis, daS Gesetz habe nur einen Ausnahmc- ckarakter und die Frage, ob eS seine Schuldigkeit gethan, also abgeschafft werden könne, werde noch vor Schluß der wieder gegenwärtigen Session entschieden werden. Ob, im Sinne der Nadicalen, das wird sich ja zeigen; jedenfalls haben die nicht radiealen Parteien bereits ihre Entschlüsse ge faßt und sie haben die Mehrheit. BemertcnSwcrth ist die Versicherung deS radiealen Wortführers Goblet, daß das Gesetz über die Umtriebe der Anarchisten in den Händen deS gegenwärtigen Cabinets nicht gefährlich sei. Als ob nicht die von der Centralverwaltung unabhängigen Gerichte berufen wären, über die Anwendung der Gesetze zn wachen und jede Rechtsverletzung zu ahnden! Herr Goblet nimmt jedenfalls an, daß daS radicale Cabinet dir Staatsanwaltschaften an weisen werde, den im Gesetze mit Strafe bedrohten Be strebungen nicht allzu unsanft entgegenzutreten. — Eine scharfe Opposition machen die Gemäßigten und Conservativcn dem radiealen Cabinet bereits bei der Berathnng der pro gressiven Erbschaftssteuer, welches das Budget als Abschlagszahlung auf die längst von den Radicale» verlangte progressive Einkommensteuer bietet und bei dieser Gelegenheit dürste die Mehrheit von vorgestern sich in eine sehr bedenk liche Minderheit verwandeln. Tie Verhandlungen zwischen dem englischen Cabinet und der (songoregierung über die Hinrick tu» g des Schotten StokcS im Congogebiete haben den Erfolg gehabt, daß der Congostaal bereits 150 000 Francs (6000 Lstrl.) nach London gezahlt hat. Damit ist aber die Sache vom englischen Standpunct aus noch nicht abgeschlossen. So geht uns heute folgende telegraphische Meldung zu: * London. 16. November. Wie der „Daily Telegraph" melde!, ist die vom Congostaate an England bezahlte Summe nur eine 16s Feuilleton. Der Kampf ums Dasein. Roman von A. von Gersdorsf Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Helmuth faßte an seinen Hut und murmelte eine Ent schuldigung. Dann stieg er die erleuchtete Treppe hinauf, die Frage deS Portiers, zu wem er wolle, unverständlich beantwortend. Der zog sich zurück, denn sein geübtes Auge hatte sofort den Ofsicier in Civil erkannt. Helmuth blieb auf dem zweiten Treppenabsatz einige Minuten stehen. Er war ja ganz unüberlegt in das Haus getreten, um die schwatzende Person loS zu werden von seiner Seite, ehe Passanten sie bemerkten. Jetzt stieg er wieder hinab und trat wieder auf die Straße. Sie war fort. Während er rascher seinen Weg fortsetzte, klangen ihm die entsetzlichen Reden des Weibes im Ohr wieder und wieder, unaufhörlich: „Wie Viele Hab ich schon um die Ecke gehen sehen, schnell und langsam — — ein verkrachter Lieutenant! Was soll denn der noch?" Er schwenkte ab und ging nicht zu Iakoba. Er ging nach Hause und setzte sich im dunklen Zimmer aufs Sopha und blieb da lange regungslos sitzen. Die Annonce, welche er am anderen Tage einrücken ließ, blieb nicht ganz erfolglos. Helmuth empfing drei postlagernde Briese. In fieber Hafter Erregung eilte er nach Hause. Er hatte ein Gefühl, als trüge er daS Glück in der Tasche. Im ersten wurde ihm eine Stellung in einem Bureau geboten mit fünfzig Mark Gehalt und zehnstündiger Arbeitö zeit. Also unmöglich. Im zweiten verlangte man Kenntuiß, aber genaueste, der englischen und französischen Sprache und etwas russisch. Im dritten empfahl sich ihm ein Stellen-VermittlungS- aqent mit einem „Placement in einem Reit-Institut" und einem akderen in einem Hotel, wozu aber eine kleine Caution erforderlich sei und ebenfalls Sprachkenntnisse erwünscht. — Alle drei nichts! Er suchte den „Jungen Mann" des vereidigten Maklers auf im „Kegelclub der sidelen Junggesellen". Bierdunst, Tabaksqualm zum Ersticken, schweißtriefende Männer in Hemdsärmeln, eine Reihe weißer Manschetten, auf die Kleiderriegel gestülpt, weil hinderlich in freier Be wegung, Gelächter, derbe Witze und etwas wüst-laute Unterhaltung. Helmuth's elegante, vornehme Erscheinung, wie er stolz und reservirt in der Thür zögernd stehen blieb, jeder Zoll der Ofsicier in Civil — erregte allgemeines Mißfallen. Der „Junge Mann", vom Kellner aufmerksam gemacht, kam auf Helmuth zu, mit verlegenem Lächeln seine mangel hafte Toilette entschuldigend und mit kaufmännischer Knapp heit um den Begehr des „werthen Herrn" fragend, dessen Bekanntschaft ihn etwas in Verlegenheit zu setzen schien vor seinen Kegelbrüdcrn. Helmuth nahm etwas hastig Abschied mit der Versicherung, sein Anliegen habe keine Eile. Nur eine Kleinigkeit, da er zufällig gerade vorbeigekommeu sei, er wolle heute nicht weiter stören. Er ging in ein Caf«, wie allabendlick, und studirte die Annoncen und Arbeits-Nachfragen von zehn, zwölf Zeitungen. Arbeits-Angebote seiner Art, die fand er spaltenweise, und namenlos entmuthigt, ermüdet vom Lesen des feinen Drucks, mit wirrem, schmerzendem Kopfe von all den verschiedenartigen Gesuchen und Wünschen nach Arbeit, Brod und Lebenszweck erhob sich und ging. Herrgott, dachte er, alle die stehen müßig am ArbeitS- niarkt gleich dir, drängen einander, über- und unterbieten einander, stoßen sich umher gleich dir. Und Viele, die jenes Weib um die Ecke gehen sah — schnell und langsam — guter Eltern Kinder, in Liebe und Treue erzogen, vornehm gewöhnt, sorgsam inS Leben geführt, reich versehen mit Existenzmitteln — Viele thun's unter Hunger und Durst — und wirklicher Noth umS tägliche Sattwerden! Da erhielt er einen Tag später einen Brief mit einer ihm unbekannten Handschrift. Mißtrauisch betrachtete er ihn und öffnete dann, rasch nach der Unterschrift sehend, in der Furcht, „Eugenia Marino" zu erblicken. „Aber nein; „Körner, Premier-Lieutenant d. R." Im ersten Moment schüttelte er den Kopf. Beim Lesen aber fiel ihm ein, daß der Schreiber gar Wohl der Polizei-Anwärter sein müsse, den er neulich kennen gelernt hatte. „Was will denn der? — Ah — ah!" Sein Ton wurde freundlicher, sein Gesicht Heller. Der Mann schrieb, daß ihm durch Zufall eine Stellung bekannt geworden sei, welche er als außerordentlich geeignet für Helmuth erachte. Er habe sofort an ihn gedacht und mit seinem Freunde, einem Herrn Kreutzer, von Helmuth ge sprochen. Herr Kreutzer sei Bureauchef bei dem reichen Ver lage Meyer Berger, und Helmuth möge sich dort schleunigst melden. Das Gehalt der betreffenden Stellung sei ganz annehmbar, es kämen eventuell noch Provisionen hinzu. Außerdem eine höchst anständige Firma. Um halb acht Uhr früh las Helmuth den Brief, um acht Uhr stand er schon vor Herrn Kreutzer, einem kahlen, kurzsichtigen, wohlwollend aussehenden Herrn, im Bureau von Meyer L Berger. Herr Meyer sei leider gestern auf vier Wochen verreist, und Herr Berger habe mit diesen Angelegenheiten nichts zn thun. Herr Baron möchte sich gefälligst zwischen dem 15. und 20. December wieder her bemühen. Er hoffe, daß dann die Sache sehr rasch zu gegenseitiger Zufriedenheit arrangirt werde. Höflich und verbindlich, immerzu dienernd, geleitete er Helmuth auf den Flur hinaus, für jedes bischen Staub, jedes Loch im Flnrteppich, für die Dunkelheit auf der Treppe um Entschuldigung bittend, als sei Helmuth ein hochverehrter Kunde der Firma. Als er wieder auf der Straße stand, siel ihm ein, daß er bei seiner herben Enttäuschung und den vielen Redensarten des Herrn Kreutzer ja gar nicht gefragt hatte, was er eigentlich bei Herrn Meyer zu thun haben werde. Er begab sich also auf Jagd nach dem Herrn Körner, den er auch sehr bald in demselben Local antraf, wo er ihn kennen gelernt hatte. Von diesem hörte er, daß eS sich um die selbstständige Leitung eine« besonderen TheilS einer neugegriindeten Zeitung handele. Die näheren Umstände hätte ihm Kreutzer nicht angegeben, nur die Persönlichkeit, weiche man suche, in der Art beschrieben, daß er sofort an Helmutb gedacht habe. Vier Wocken unthätig zu warten auf eine Sache, von der so viel «bhing und die immerhin noch nicht sicher in seinen Händen war, daS war für Hclmuth'S Geduld eine schwere Bürde. Iakoba und dem Vater aber deutete er nun an, daß er etwas in Aussicht habe, waS möglicherweise seine Zukunft sehr günstig gestalten könne. Einmal traf er auch den „Jungen Mann" — er hieß übrigens Schulbach — wieder auf der Straße. Dieser sprach ihn sehr freundlich an, so daß Helmuth nicht gut seine Be gleitung ablehnen konnte. Auch meinte er jetzt die Gesell schaft innger Geschäftsleute suchen zu sollen, um doch irgendwie von ihnen lernen zu können. Er erzählte Herrn Schulbach von seinen Aussichten bei Meyer Berger, und dieser nickte und meinte, das sei eine höchst achtbare Firma auf gediegenen Grund lagen. Herr Meyer sei ein netter Herr und braver Mann, Berger ein alter, geiziger Brummbär. Er kenne auch Kreutzer — ein fader Schwätzer, der sich für die Pein» den ganzen Tag fast den Mund halten zu „dürfen", an jedem Unschuldigen räche, dessen er habhaft werden könne. Von der neuen Zeitung wisse er, doch sei dieselbe nicht von Meyer Berger gegründet, sondern solle nur aus einem anderen Verlage übernommen werden. Helmuth fand Letzteres sogar noch besser. Eine neue Zeitung zu gründen, sei doch ein viel gewagteres Unternehmen, als eine alte zu kaufen. Schulbach bestätigte daS in bedingter Weise und fragte, ob die Zeitung schon übergegangen sei. DaS allerdings wußte Helmuth nicht bestimmt, und Schulbach fragte, ob er in zwischen keine weiteren Schritte nach Beschäftigung zu thun denke. Nein. Hetmuth glaubte warten zu müssen. Die Stelle sei ibm ja beinah sicher. Der Andere zog die Brauen hoch und sagte mit einem leise» Pfiff: „Ja — hm — beinahe!" In Geschäftssachen sei Beinahe! ein Vogel, auf dem Dach — ehe man die Stelle nickt mittels schwarz auf weiß geschriebenen Con tractes sicher habe, könne man sich nicht ruhig schlafen legen. Helmuth war daS denn auch nicht beschicken. Mit wachsenden Zweifeln und Besorgnissen legte er sich nieder und stand er auf. Er mied die Seinen und suchte die Ein samkeit auf weiten Spaziergängen und in der öden Umgebung seines „mvblirten ZimmerS". Bei seinem Vater war eS übrigens nicht sehr behaglich für ihn. Man hatte sich dort mit erstaunlicher Energie auf die Schriftstellerei geworfen. Maria Margarethe schrieb mit „ihrem Herzblut" und Iakoba'S Unterweisung eine Novelle, der natürlich ihre eigene LiebeS- und Leidensgeschichte zu Grunde lag. Zurrst war sie betitelt: .verlorene» Glück",
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