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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.10.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-10-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951023022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895102302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895102302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-10
- Tag1895-10-23
- Monat1895-10
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I. unter Zuziehung von Vertretern des preußischen Handelsministers abgehaltenen Eonferenz, die sich bekanntlich über die revidirten, aber nach wie vor „gänzlich unverbindlich" gebliebenen Vorschläge des Herrn v. Berlepsch geäußert hat, ist aber auch im „znnftlerischen" Lager ein heftiger Kampf entbrannt. Der XII. Allgemeine bayerische Hand werkertag, der soeben in Kaiserslautern stattgefnnden hat, fordert vor Allem Beachtung als Protestversammlung gegen jene Eonferenz. Eine schroffe Zerklüftung zwischen den Veranstaltern der Letzteren und der seit 1885 in München ihren Sitz einnehmenden Vorstandschaft des Allgemeinen deutschen Handwerkerbundes hatte sich schon vorher in theil- weise sehr drastischer Weise bemerkbar gemacht und gedieh, was den bayerischen Bund anlangt, in Kaiserslautern zu einer officiellen, einstimmig beschlossenen Absage an die Herren Ober meister Faster und vr. Schultz, mit denen die Versammlung „jede fernere Gemeinschaft" ablehnte. Es scheint in diesem Streite viel Persönliches mit unterzulaufeu, sachlich ist die Differenz Wohl keine sehr erhebliche. Sie dreht sich in der Hauptsache um den Befähigungsnachweis, auf dessen Einführung die Berliner Eonferenz verzichtet hat. Dies scheint jedoch von der Mehrheit der Conferenzmitglieder nicht grundsätzlich, sondern in der Meinung geschehen zu sein, die obligatorische Innung werde mit Naturnothwcndigkeit den Befähigungs nachweis nach sich ziehen. Man hat es also auch hier mehr mit einer verschiedenen Beantwortung der OpportunitätSfrage, als mit einem principiellen Widerstreit zu thun. Verständlich aber jedenfalls ist der Unwille der süddeutschen Handwerker „zünftlerischer" Richtung über die Zusammensetzung der Berliner Handwerkerconscrenz — cs waren ausschließlich Norddeutsche zugezogen —; und der Tadel des particularistischen Vorgehens bei der Bildung einer mit einer RcichSangelegen- bcit befaßten Commission, den eine Vers«!»« wg vo Bayern anssprach, ist ebenso beachtenswerth wie berechtigt. Dagegen scheint dem preußischen Handelsminister, der sich iu der Eon ferenz batte vertreten lassen, in dem Aufruf zu dem baye rischen Handwerkcrtag insofern Unrecht zu geschehen, als darin gesagt wird, der Minister habe geäußert, „die Handwerker seien viel zu indolent und träge, um für sich etwas zu thun." Uns ist von einem solchen Urtheil nichts bekannt. Gewerbe- politisch stand die Kaiserslauterner Versammlung auf dem Boden des letzten deutschen (Hallischen) HandwerkertagS, dessen Programm und Beschlüsse sie ausdrücklich zu den ihrigen machte. Doch sticht der Ton» in dem der bayerische Tag seinerseits die bekannten Forderungen aufstellte, nicht unvortheilhast von der in Halle ge wählten Sprache ab. Der bayerischen Regierung wird in einer der gefaßten Resolutionen für „ihre durch Thaten zum Ausdruck gebrachten handwerkerfrennolichen Gesinnungen" der „wärmste" Dank ausgesprochen. Da diese Regierung sich nicht einmal in „unverbindlicher" Weise für die obligatorische Innung ausgesprochen und ihr, vom Be fähigungsnachweis ganz zu schweigen, jedenfalls zurückhalten der gegenübersteht als der preußische Ressortminister, so muß man sich fragen, wodurch sie diesen Dank verdient hat. Die Ant wort, die durch den Vorsitzenden und Hauptredner des Hand werkertags gegeben wird, ist bemerkenswerth: „In der Frage des.Hausirbandels und des Waarenhauses (für Officiere und Beamte) hat sie warm die Handwerkerintereffen vertreten." Wir finden in dieser Bemerkung zunächst die abermalige Be stätigung der oft genug geäußerten Ansicht, daß man in Handwerkerkreisen in oer Duldung der ins Ungemeffene gehenden und wirthschaftlich nicht gerechtfertigten Ausdehnung des Geschäftsbetriebs der Waarenhäuser von Staatsdienern nicht nur au sich ein» materielle Schädigung, sondern — in der richtigen Erwägung, daß diese Geschäfte mit einem Federzug in ihre Schranken zurückgewiesen werden könnten — eine Mißachtung der kleinbürgerlichen Interessen erblickt. Hin sichtlich des Hausirhandels wird allerdings keine Regierung — auch der bayerischen ist das nicht gelungen — Gesetzes bestimmungen zustimmen können, die den vollen Beifall deö Handwerkerbundes finde». Da aber in Bayern die Ort schaften, welche von Alters her aus dem Gewerbebetrieb im Umherziehen ihre Nahrung ziehen, nicht seltener, und Gebirgs gegenden, in denen der Hausirhandel noch einem Rest von wirth- schastlichem Bedürfniß begegnet, häufiger sind, als in anderen Bundesstaaten, so dürften die Beschränkungen, die die Re gierung dieses Landes in ihren an den Bundesrath gebrachten Anträgen dem Hausirwesen auferlegen zu können glaubte, mit der Berücksichtigung der legitimen Interessen im Allgemeinen sich vereinbaren lassen. Für das Hineintragen fremdartiger Gesichtspuncte in die Hausirgesetzgebung, wie cS in der Beschränkung der Eolportage beabsichtigt wird, können die Bestrebungen des Mittelstandes nicht verantwortlich gemacht werden. Zn der Frage des Befähigungsnachweises stimmt, wie gesagt, der bayerische Handwerkertag mit dem deutschen überein. Aber da er die Forderung in einer Resolution über die Bekämpfung des Bauschwindels in specio für das Baugewerbe verlangt hat, so ist Wohl der Schluß gerechtfertigt, daß er die Berallgemeincruz dieser Ein richtung nicht erwartet. Der nationalliberale Delegirtentag von 1894 hat bekanntlich — und zwar gerade unter Hinblick auf die besonderen Verhältnisse des Baugewerbes — nur die allgemeine Einführung des obligatorischen Befähigungs nachweises für undurchführbar erklärt. Die badische» Laudtagswahlen sind noch nicht zu Ende. Sie haben aber bereits die klärende Erscheinung gezeitigt, das, Herr -Eugen Richter mit Herrn Liede/mann von Sonneube-rg Arm in Arm einherschreitet. In Weinheim haben die sämmtlichcn freisinnigen Wahlmänncr den einem Nationalliberalcn gegenüberstehcndcn Antisemiten gewählt und damit dessen Sieg herbeigeführt. Bis dahin hat sich der „principicnstarre" Freisinn „entwickelt". Wir wissen nicht, ob es nunmehr in freisinnigen Kreisen nicht Anstoß erregt, wenn der Name des Juden Heine genannt wird, wollen cS aber wagen und die Anhänger und Bewunderer Richter's auf eines seiner Gedichte aufmerksam machen, das „Die Markentenderin" betitelt ist und den Ouartier- wechsel einer großmüthiaen Frauensperson besingt. Was aber nun? Mit der antisemitischen sind alle für den Freisinn in Betracht kommenden Parteien, um einen etwas vulgären, aber für das handelnde Subject passenden Ausdruck zu ge brauchen, „abgeklopft". Es giebt keine Bündnisse mehr, die man auf Leistung und Gegenleistung abschließen könnte, und sich auf die eigene Kraft verlassen, hieße beim Freisinn, sich in der Lust betten. Und auf die Antisemiten wird trotz des ihnen ge brachten Opfers kein Verlaß sein. Sic haben ja einmal, in Eisenach, aus Aerger über den Bund der Landwirthe frei sinnig gewählt, aber weiter dürfen sic sich mit der Partei, die vermuthlich noch nicht alle ihre jüdischen Contribuenten an die socialdemokratische Parteicasse verloren hat, denn doch nichteinlaffen. AberHcrrRichterhates sich abgewöhnt,anspruchs voll zu sei», und so würde sich ja zum Wenigsten in anderen ge eigneten Fällen ein leidliches Verhaltniß ausrecht erhalten lassen. Sollte er wegen eines Allianzwappens in Verlegenheit sein, so rathen wir — es ist zwar nicht streng heraldisch, aber für die neue Verbindung giebt es auch kein Vorbild —, ein gemeinsames Bild anbringen zu lassen, darstellend Eugen Richter und Liebermann von Sonncnberg (oder Ahlwardt), jeder mit einem Juden als Waffe auf einen Nationalliberalen einhauend. Seitlich von dem Bilde Richter's tonnten einige Würfel angebracht werden, La das einzige Mandat, das der Freisinn in Baden gewonnen — wofür er ein anderes verloren hat —, ihm durch Vas Loos zugefallen ist. Ueber dem Ganzen hat natürlich das verklärte Antlitz des geistlichen Rathcs Wacker zu schweben, dem der Freisinn eS verdankt, daß er in der badischen Kammer nicht ebenso abwesend ist, wie in der sächsischen, ^cl voeom Sachsen. Herr Richter schreibt: „Die Nationalliberalen in Sachsen sind nur der Schwanz der Conservativen." Frage: Welchen Körpertheil des Centrums bilden die Freisinnigen in Baden? Der 2l. Oetober war für Ungar» ein denkwürdiger Tag, da auch die letzte kirchen politische Vorlage über die Religionsfreiheit nebst dem Abschnitt, der den Uebertritt zum Judenthum gestattet, beschlossen wurde. Damit ist wenigstens für die Gesetzgebung der Kampf abgeschlossen, und zwar in der Weise, daß nicht ein einziger wesentlicher Grundsatz aus der Gesammtheit der Vorlagen geopfert wurde. Es kann fest gestellt werden, daß der endgiltige Erfolg dem unmittelbaren Eingreifen deS Monarchen zu danken ist, der nicht blos einen Pairsschub bewilligte, sondern auch dahin wirkte, daß am Montag ein Theil der Gegner fern blieb. Die liberalen Elemente sämmtlicher Parteien begrüßen das Ereigniß als einen großen Erfolg und sind dem Cabinet Banffy dafür dankbar, daß es die Erbschaft des früheren Cabinets voll ständig durchgeführt hat. Zwei Ministerien bat der Kamps um die kirchenpolitischen Reformgesetze verschlungen, die Cabinette Szapary und Welche, und ein Minister des Aeußeren, Graf Kalnoky, ist ihm zum Opfer gefallen. Es war ein gewaltiges Ringen des ungarischen Libe ralismus mit dem Heerbann der Reaction, dem Epis kopat und dem klerikalen Magnatenthum sowohl, wie mit oer Camarilla am Wiener Hofe, welches dem Siege vorhcrgehen mußte, das Land erlitt mächtige Con- vulsionen und es gab kritische Momente, in welchen die ernstesten Erschütterungen drohte». Ob der Widerstand gegen die liberalen Gesetze in der bisherigen Weise durch die Gegen partei fortgeführt werden wird, ist noch nicht abzusehen. Soviel erscheint gewiß, daß die große Mehrzahl der Bischöfe sich unter wirft und den Klerus zu gleicher Haltung anweist. Einzelne widersetzliche Geistliche ändern daran nichts. DaS Volk beginnt sich an die neue Ordnung zu gewöhnen, und somit sind, wenn gleich Zwischenfälle nicht ausgeschlossen sind, die Hauptschwierig keiten überwunden. Für die Regierung kommen jetzt aller dings schwierige Tage, weil bisher die liberalen Elemente auch der Opposition sie schonten und jedem ernsten Zusammen stoß sorgfältig auswichen, um nicht etwa die Ultramontanen ans Ruber zu bringen. Fortan fällt diese Rücksicht weg, und namentlich die äußerste Linke dürfte ihre theilweise geschädigte VolkSthümlichkeit wieder auf dem Wege maßloser Angriffe gegen die Regierung zu erneuern suchen. Für die Regierungspartei hinwieder bleibt, nachdem sie den kirchen- politischcn Feldzug abgeschlossen hat, als oberste Aufgabe die Erneuerung des Ausgleichs mit Oesterreich, woraus fortan alle Kräfte gerichtet sein werden, um so mehr, als die Krone auch mit Rücksicht aus die auswärtigen Beziehungen der Monarchie darauf dringt, den Ausgleich zwischen den beiden Staaten der Monarchie so rasch wie möglich untcw Dach zu bringen. Sehr überraschend für die öffentliche Meinung in Frank reich ist die Berurtheilung des Senators Magnier, weiland Chefredacteurs und Besitzers deS „Evereemcnt", zu einem Jahr Gefängniß wegen Bestechlichkeit in seine,.' Eigenschaft als Mitglied und Präsivent des Generalraths deS Departemenis Bar gekommen, noch mehr überraschend für Magnier selbst, der auf seine Freisprechung sicher rechnend, fick freiwillig gestellt hatte. Dcr Proccß war ein Anhängsel deS Südbahnprocesscs, der bekanntlich eine Reihe Senatoren und Abgeordnete, welche ebenso wie Magnier von Reinach Geld erhalten, ungeschoren gelassen hatte. Magnier hatte von diesem elastischen Schwindler sich 100 000 Francs auszahlen lassen. Als Gegenleistung für diese Summe verwies er auf die xublieite, die Reclame in seinem Blatt, dem Evenement. Thatsächlich war er in der Lage, einige 1l 000 Zeilen Reclame nackzuweisen. und wenn keine anderen Beweisstücke Vorgelegen hätten, befand man sich lediglich vor der Frcrge, ob der Preis nach französischem Brauche in schwindelhaften Zeilen ungewöhnlich hoch gewesen sei. Zum Unglück für den Angeklagten hatte sich aber die Untersuchung scinethalben in die Reinach'schen Acten und Briefe verlieft, von denen man mit Rücksicht auf andere Sünder leine Notiz genommen hatte. Da nun fanden sich einige höchst belastende Briese Magnier's vor, die jene eben erwähnten 100 000 Francs in mittelbaren Zusammenhang mit wichtigen Abstimmungen des Generalrathes im Departement Var über verschiedene für die Südbahn und ihren Gründer Reinach entscheidende Fragen brachten. So kam es den», daß Magnier verurlheilc wurde und man gegen die Gerechtigkeit des UrtheilS nichts einwenden kann, das; man aber Loch den Mann mit halbem Bedauern als Sündeubock bezeichnet. Magnier war ein politischer und journalistischer Abenteurer, der sein Schicksal verdient bat, allein sein Fall beweist immer hin, wie der „Figaro" bemerkt, „daß cS weder Ver- hältniß, noch Zusammenhang in dem Eingreifen der fran zösischen Justiz giebt, sobald eS sich um gewisse Thatsachen bandelt, selbst wenn dieselben ganz -genau übercinstimmcn. Niederschlagung deS Verfahrens gegen bekannte Senatoren und Abgeordnete, die von Reinach 25 000 und 50 000 Francs empfangen hatten, ohne ihm auch nur Reclame zu 10 Frcs. die Zeile als Gegenleistung zu bieten, und ein Iabr Gesäng niß für Magnier, der doch wenigstens Artikel geliefert batte! Der Unterschied in der Behandlung ist übermäßig und Acrgcr- niß erregend." Ob Magnier seine Drohung, eine Liste anderer belasteter Persönlichkeiten zu veröffentlichen und so dem Scandat zu einer neuen Auslage zu verhelfen, wahr machen wird, muß sich ja sehr bald zeigen. Der Fall ZtokcS scheint für die Behörden des Congc- staatcS, besonders aber für den Commandantcn Lothaire cmc immer bedenklichere Wendung zu nehmen. Der Vorwurf des verbotenen Waffenhandels ist zum Nachthcil des Congostaatcs schon durch die an anderer Stelle erwähnte Erklärung vr. Stuhlmann's, wenn auch nicht stricte als völlig unbe gründet nachgewicscn, so doch in seiner Stichhaltigkeit wesent lich erschüttert worden. Anscheinend, meint Stublmann, sc: die Hinrichtung, alias der Mord Stokes' erfolgt, weit man die Concurrenz desselben als Elfenbeinbändlers fürchtete. Thatsächlich sind die Beamten deS Longo staatcS mehr Geschäftsleute, die sich so rasch als mög lich an den schätzen deS schwarzen ErdtbeilS bereichern wollcn, als Träger und Förderer europäischer Cultur, und die dentsch- oftafrikanischc Verwaltung erhebt mit vollem Recht immer und Schwere Kämpfe. Noma« aus dem g ratzen Kriege. 46s Bon Carl Tanera. Nachdruck Verbote». (Fortsedunkl.) Herr und Frau JardoiS bedankten sich bei jedem einzelnen Osficier. Elfterer sprach: „Man hat mir gegen meinen Willen Feinde in mein HauS gesendet. Ich habe aber in ihnen echte Cavaliere kennen gelernt und bedauere aufrichtig, daß die Verhältnisse es mir nicht gestatten, Sie mit der Bezeichnung „liebe Freunde" zu begrüßen. WaS auch noch kommen mag, Sie haben mich wenigstens gelehrt, deutsche Officiere zu achten." Nachdem man sich gegenseitig die Hand gegeben, faßte der General Horn an den Schultern und drehte ihn mit sanfter Gewalt vor ein kleines Tischchen. „Herr General, Herr General, das ist für mich?" „Ja, lieber Horn, ich freue mich von Herzen, Ihnen gratuliren zu können. Man theilte mir schon gestern bei der Division daS Eintreffen der Kreuze mit." Jetzt durfte der vor Glück sprachlose Ordonnanzofficier cs glauben. Er hatte wirklich das ersehnte kleine Kreuz er halten. Durch die Gratulation der anderen Officiere kam ei erst recht zu sich. Jetzt war eS klar, warum heute der General selbst den Befehl mitgenommen hatte. Hierauf wurden die hübschen Geschenke besichtigt und in Empfang genommen, die der General den Herren seines Stabes übergab. Nachdem sich alle bedankt, dursten auch die Burschen und Ordonnanzen eintreten. Sie erhielten gleichfalls schöne Geschenke. Ehe Witzelberger sich danach umsah, trat er zu seinem Herrn und sprach: „Herr Oberleitnant, i' Hab aa a G'schenk für Ehane. S' is' vor zwoa Stund mit der Feldpost kemma. I' hätts Ehane sch»/ geb'n kenna, aba i' Hab' mir denkt, 's macht Ehane unter'», Ehristbaam »»' meh' Freid. Da is' eS." Damit überreichte er ihm eine Feldpostkarte. Darauf stand: „Besten Dank für die freundlichen Worte aus Orleans und herzlichsten, innigsten Gruß dem theuren Freunde meines lieben Bruder«. Ihre Renate." Er konnte nicht anders; er mußte die Karte verstohlen an die Lippen drücken. Witzelberger that, als ob er e- nicht gesehen hätte, und schmunzelte stillvergnügt vor sich hi». Nachdem die allgemeine Freude noch einige Zeit gedauert hatte, rief der General: „Jetzt muß ich leider unseren schönen Christabend theilweise zerstören. Der Krieg tritt wieder in sein Recht. Unser Corps hat Befehl erbalten, morgen früh nach Norden abzurücken, um an Stelle des anderweitig verwenoeten II. preußischen Corps in die Cer- nirungslinie von Paris einzurücken. Sie, lieber Horn, müssen in zwei Stunden abreiten, um in der Nacht Pythi- viers zu erreichen und morgen Vormittag dort unsere Ouartiere anzuordnen. Darum wollcn wir uns jetzt von unseren liebenswürdigen Hausleuten verabschieden, denn es giebt ja noch genug zu thun." Man sah eS den Franzosen an, daß sie sich schwer von ihren Kriegsgästen trennten. Die kleine Amelie weinte und rief, sie wolle die schöne Puppe dem Christkindchen zurück- gcben, wenn es ihr den onclo I-iontenLnt lasse. Es half aber Alles nichts. Onels läeutenant gab ihr und dem Schwesterchen einen Kuß, reichte Herrn und Frau JardoiS die Hand, bedankte sich nochmals beim General und ver schwand. NachtS 10 Uhr ritt er mit einem Chevaulegers hinaus in die Dunkelheit, in den großen Wald von Orleans, von Neuem all den Gefahren entgegen, die ein Land, dessen Volk sich am Kampfe der Heere vetheiligt, in so reichem Maße bietet. Trotz alledem durchzuckte ihn ein unendliches Gefühl des Glücks, denn auf der Brust trug er neben seinen Ver dienstorden daS eiserne Kreuz und in der Tasche bei seinem Talisman die Feldpostkarte seiner geliebten Renate. Am 3. Januar 1871 ritt Horn von HereS über Limeil und Valenton auf den Mont Mesly, einem einzelnen Kegcl- berg zwischen Marne und Seine. Unten stand eine in einem Häuschen untergebrachte Feldwache der 8. preußischen Bri gade. Der dieselbe befehligende preußische Lieutenant machte den bayerischen Kameraden aufmerksam, sich nicht zu sehr den Blicken der Franzosen im Fort Charenton auszusetzen, da sie sogar auf einzelne Reiter mit Granaten feuerten. „Danke Ihnen sehr. Ich werde mich hüten." Nunmehr ritt er so weit hinauf, daß er noch hinter dem Höhenrand gedeckt blieb, stieg dann ab, ließ den Chevau leger das Pferd halten und kroch vorsichtig bis an den Rand vor. Da lag nun daS weite Paris und die entzückende Land schaft zwischen dem Mont Avron und den Höhen von Sceaux zu seinen Füßen. Die entlaubten Bäume gestatteten manche Durchblicke, die im Sommer unmöglich sind. Die Flußbetten der hinter dem Fort Charenton sich vereinenden Marne und Seine dagegen konnte man nur durch die Uferbildung er kennen, denn beide Flüsse waren so fest gefroren, daß man z. B. täglich mit schwerem Lastfuhrwerk bei Villeneuve über die Seine fuhr. Hinter den Flüssen erkannte man die Vor städte Charenton, Jvry, St. Mandö und Bincenncs, und hinter diesen breitete sich daS unüberscbbare Häusermeer von Paris auS. Alles war so still und ruhig, so friedlich und winterlich einsam, als ob weit und breit kein Mensch zugegen sei, als ob es nichts gäbe, daS dieses Idyll stören könnte! Da drangen aus dem Wall des Forts Charenton ein langer Feuerstrahl und eine Weiße Wolke hervor, ein mächtiger Schlag durchzitterte die Luft, und wieder vernahm Horn das surrende Geräusch, welches er bei Orleans gehört, als die schwere Marinegranate seinen Rappen erschlug. Der gefürchtete Zuckerhut flog aber über ibn hinweg und bohrte weit hinten bei Valenton ein tüchtiges Loch in den gefrorenen Erdboden. Er hatte einer dort ziemlich ungedeckt und, wie eS schien, auch unpraktisch errichteten deutschen Batterie ge golten. Kaum war die Granate crepirt, so erkannte der Osficier, daß iu der preußischen Batterie eine schwarzweiße Flagge dreimal hoch- und uiedergezogen wurde, wie wenn Schiffe sich gegenseitig salutiren. Außerdem erschien eine riesige Ziclruthe und winkte ganz vorschriftsmäßig so ab, wie man auf den deutschen Schießstätten Fehlschüsse bezeichnete. „DaS ist doch wirklich toll. Die treiben doch den reinsten Hohn mit den Franzosen. Ob sie wohl antworten." In der Erwartung, daß auch die preußische Batterie nun feuern werde, betrachtete Horn letztere genauer mit dem Feld stecher. Anfangs traute er kaum seinen Augen. Dann aber lachte er gerade hinaus. „Jetzt wird mir Alles klar! Das ist wirtlich komisch." Er hatte nämlich erkannt, daß die Batterie ein ganz flüchtig aufgeworfener niederer Erdhaufen war, auf dem einige alle Ofenrohre an Stelle der Kanonen lagen. Neben diesen standen zwei Strohpuppen als Posten, und hinter der markirten Verschanzung erhob sich der Flaggenmast. Dort mußten in einer granatensicheren Vertiefung die Leute versteckt liegen, welche den verhöhnenden Flaggensalnt gegeben hatten Von einer wirklichen Batterie konnte der Osficier trotz allen Forschen« mit dem Glas nicht« entdecken. Und doch waren hinter ihm in der Linie Valenton, Sucy, Ormeffon ganze Linien vortrefflicher, kaum einnehmbarer Schanzen angelegt und mit den schwersten Belagerungß- gchchützen aller Art armirt. Aber man hatte sie fo geschickt er baut, daß man von vorn einfach nichts sah. Was die Franzosen bemerken konnten, waren solche Scheinschanzen, die das Feacr ihrer Forts auf sich ziehen sollten. Um die Täuschung noch zu erhöhen, brannten die lustigen Kanoniere hier und da sogenannte Markirungsschlägc, welche beim Manöver und bei Schießübungen daS Einschlagen von Granaten markiren sollen, ab. Dann glaubten die Franzosen, daß aus den Pseudoschanzen wirklich geschossen worden sei, und ver schwendeten eine Menge von Granate» dazu, den bösen Feind, der sie so kränkte, zu vernichten. Dieser mußte ihnen aber wahrhaft übermenschlich tapfer erscheinen, denn kaum, daß einer der deutschen Wachposten weggeschosien war, stand schon wieder ein neuer auf der Stelle. Die preußischen Artilleristen hatten nämlich ein Kreuz von vier Strohpuppen gemacht, welches sie an langen Seilen so drehten, daß stets eine neue Figur bochgezogen werden konnte, wenn eine wcg- gcschossen war. Nachts ersetzten si« die zerstörten. Um so deutlicher erkannte Horn die vor ihm sich aus- breitcnden verschanzten Linien der deutschen Vorposten. Sic dehnten sich gleich gewundenen Schlangen vor dem Monl MeSly au- und erschienen wie ein ganze» Gewirre von Gräben zmo kleinen Wällen. In diesen bemerkte nian auch die preußischen Posten, weil diese Schützengräben absichtlich so angelegt waren, daß man von rückwärts gut hinein sehen und auch hineinschicßen konnte, für dm Fall, daß man ge zwungen war, bei einem Ausfall der Franzosen einen Theil der Vorpostenlinie vorübergehend zu räumen. ES wurde dann leicht möglich, dem Feinde den Aufenthalt in diesen Derschanzungen zu verleiden. Von vorn waren sie ebenfalls möglichst stark »nd unsichtbar gemacht. Horn bemühte sich, die Linien genau in ein von ihm schon vorbereitetes Croquis zu zeichnen. Heute Abend kamen die Truppen, denen er vorausgeritten war, an, und er mußte sie dann in der Nacht in die einzunehmenden Vorposten- stellmigen führen. Nachdem er seine Zeichnung anSgeführt hatte, stieg er vom Mont MeSly herab, ließ sein Pferd an einen sicheren Platz stellen und erbat sich nun von« Feldwach habenden einen Musketir, um ihm den besten Weg in die Schanzen zu zeige». „Ich werde Sie selbst begleiten, Herr Kamerad, da ich eine Revision meiner Posten vornehmen will." Beide Officiere, gefolgt von einer Patrouille von 5 Mus ketieren, begaben sich bi- zu einem Bahnwärterhäuschen der Eisenbahn Paris-Lyon. Der Preuße bemerkte: ,BiS hierher kann man immer ungedeckt marschiren. Diese
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