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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.12.1895
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-12-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951209014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895120901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895120901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- Ausgabe ohne Seitenzählung
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-12
- Tag1895-12-09
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Poschiuger eia Werk abgeschlossen, worin wir den Eisernen Kanzler, den strengen Geschäftsmann, den seine Worte mit Bedacht abwägenden Diplomaten von der ge- müthlichea Seit«,, im ungezwungenen und mittheilsamrn Privatverkehr mit politischen Freunden beim Schoppen bayerischen Biere» oder beim schwarzen Kaffee nach dem Esten, mit der lange» Pfeife im Munde, nicht zu ver gessen den Reich«bund TyraS an der Seite, sehen konnten. Die meisten „Parlamentarischen Abende" bei „Bismarck s" sind schon iu den früheren Bänden beschrieben worden; der Reichskanzler mit der langen Pfeife beim schwarzen Kaffee tritt un» hier seltener entgegen. Reichlicher strömen die Mit theilungen über BiSmarcr» politische Unterhandlungen mit den Führern der Parteien zu, und vornehmlich wird das Bild seine» Auftretens im Reichstage durch interessante Einzel heiten ergänzt. So rrfabren wir hier zum ersten Male etwa« von der Art, wie BiSmarck'S PariamentSreven zu Stande kamen. Der Redner Bismarck ist uns oft beschrieben worden: sein sympathisches Organ, sein Suchen nach dem passendsten Worte, sein Wechsel im Tempo der Rede, die bald zögernd, bald überströmend di« Worte von sich giebt, seine sichtbare Denkarbeit wäbrend drS Sprechen«. Daß aber Bismarck seine Redeu Wohl vorbereitet hielt, ja daß er auch dir „ge flügelten Worte" nicht im Stegreif erfand, sondern wobl ge prägt mitbrachte, da« erfahren wir jetzt zum ersten Male. „Seine ReichstagSreden dielt Bismarck wobl frei, aber nicht unvorbereitet. Er studirte dieselben sorgfältig auS bis auf einzelne Redewendungen. Als zu Anfang Februar 1878 die orientalische Frage auf der Tagesordnung war, befand sich Bismarck in Varzin. Er wünschte sich über die Frage zu äußern und ließ deshalb bei Bennigsen anfragen, ob er eine entsprechende Interpellation einbringen wolle. Ais die Frage bejaht wurde, überdacht« sich Bismarck jeine Rede in Varzin; beim Austritt fragte er seinen Begleiter: „Wie wäre eS, Wenn ich sagte: Deutschland hat kein Interesse an den Dingen am Balkan; «S kann Gewehr bei Fuß dastehen? Oder es kann dasitzen, wie ein Zuschauer im CircuS? Notiren Sie sich einmal daS." Am anderen Tage brachte Bismarck neue Wendungen und fragte: „Wie habe ich doch gestern gesagt?" Schließlich fiel er auf den treffenden Ausdruck: „Ehrlicher Makler". Ein anderer Parlamentarier und Intimus de« Hauses Bismarck erzählte Poschiuger Folgendes: „Als ich AbendS einmal daS Glück hatte, den Kanzler zu sehen, fing er an, in langen Ausführungen, als wenn eS sich um «ine wohleinstudirte Rede bandelte, in der er mich für eine Auffassung gewinnen wollte, über eine Frage zu sprechen. Am anderen Tage borte ich ibn dieselbe Rede im Parlament« vortragen, mit denselben Worten und allen Rede wendungen von gestern. Ich verzog keine Miene, merkte aber wohl, daß e« sich TagS vorher nur um «ine Generalprobe seiner Reve gehandelt habe, die er schon vollständig durch dacht und memorirt im Kopfe umhertrug." BiSmarck kam nicht gern und darum nicht häufig in den Reich-taa; dann hielt er sich nur in.seinem Zimmer und nie in den Couloir« auf. In den Zeiten der Erbitterung über den Widerstand gegen Maßregeln, die er treffen wollte, konnte sich BiSmarck recht scharf Über die Volksvertreter äußern. So schrieb er (7. Juni 1883) in einem Briefe an Bödiker, der eia Gesetz glücklieb durchgebracht batte: „Ich habe gleich Ihnen die Schwierigkeiten kennen gelernt, welche gebildete und wohlerzogene Leute zu überwinden haben, um die Robbeit unserer parlamentarischen Klopffechter mit dem nölhigen Maß von Geringschätzung eutgrgenzu- nehmen und ihnen die unverdiente Ehre der sittlichen Gleich stellung auch innerlich zu versagen . . ." Aber wenn e« sich um Dinge bandelte, die ihm sehr am Herzen lagen, wie z. B. die Verlängerung de« SocialistengeseyeS im Mai 1884, da begnügte er sich nicht blos damit, eine große Rede zu halten, sondern warb persönlich um Stimmen, schritt von Mann zu Mann, um ihn zu gewinnen. Ein Bildchen, daS der Ab geordnete Vr. Hartmann davon entwirft, ist gewiß denkwürdig: „Anfangs war alle Welt — die Conservativen und die National- liberalen inbegriffen — darüber einig, daß das wichtige Gesetz, daS schwere Strafen andrvbt und sogar einen neuen Fall der Todesstrafe einführt — einer CommissionSberatbung unterzogen werden müsse. Aber Fürst BiSmarck war ganz dagegen, er fürchtete davon nicht nur unerwünschten Aufschub, sondern auch «ine Verwässerung der Vorlage. Er setzte die ganze Wucht seiner Persönlichkeit ein. stieg während der Sitzung in die Bänke der ReichtagSabgeordneten, nahm in den Reiben der Conservativen neben dem Abgeordneten Kleist-Retzow Platz und bearbeitete diesen und durch ihn die Conservativen; dann ging er zu den Nationalliberalen und sprach mit dem Abgeordneten von Bennigsen. Ob und wie daS Centrum bearbeitet worden ist, weiß ich nicht; genug, der Abg. vr. Windtborst erklärte, daß von Seite deS Eentrums CommissionSberatbung nicht mehr verlangt werde, nachdem man von anderer Seite davon abgekommen sei " So verrichtete BiSmarck, wenn es Notb tbat, politische Arbeit; dem Zauber seiner Persön lichkeit konnte sich Niemand entziehen, und er übte ibn mit Bedacht. Er erwies Manchem, der eine Rede nach seinem Geschmacke hielt, die besondere Auszeichnung, rbn zum Diner im engeren Kreise zu laden, wie z. B. den Herrn von Eynern, nachdem er eine Rede gegen Eugen Richter gebasten. „Der Fürst" — so berichtet Eynern von diesem Essen im engen Familienkreise BiSmarck'» 25. Januar 1887 — „batte guten Appetit und Durst und war in der heitersten Stimmung. Die Fürstin versicherte, der gestrige Tag habe ihn wieder ganz gesund gemacht; meine Rede, „bei der ja Richter ganz blaß geworden wäre", habe dazu auch beigetragen." Jedem Genie sind Züge kindlicher Naivität eigenthümlich. Für die Ausbrüche des BiSmarck'schen Temperaments tbeilt Poschinger mebr als eine Anekdote mit. In einer der gemütb lichen Plaudereien nach dem Essen, wo er sich gern in Er innerungen an die Vergangenheit erging, erzählte BiSmarck von der anstrengenden Mühe, die e» ibm gekostet hatte 1803, König Wilhelm zu bestimmen, am Fürstentag von Frankfurt nicht Tbeil zu nehmen. „DaS war ja auch natürlich, denn fünfundzwanzig Fürsten versammelt und ein König als Courier! Wir waren danrals in Baden-Baden, und dorthin kam der König von Sachsen. Da war eS schwer, ab- zulehnea!" Nach langem Zögern und Ueberlegen habe der König dock abzulebnen beschlossen. Er sei zu diesem Besch usse auf einer Ausfahrt gekommen, die er mit ibm (Bismarck) gemacht und die wohl eine Stunde gedauert habe. Für BiSmarck sei sie höchst anstrengend gewesen; die Unterhaltung habe, damit die Dienerschaft sie nicht verstehe, in franzö stscher Sprache geführt werden muffen. Zum Brechen müde sei Bismarck gewesen, als sie zurückgekommen seien. Als fick der König endlich zur Ablehnung entschlossen, habe e- sich noch darum gebandelt, den Absagebrief zu schreiben Nachdem da- geschehen, habe der König noch genau daS Verschließen de« Briefes beobachtet. Der König habe immer sehr viel darauf gegeben, daß richtig gesiegelt werde und daß insbesondere das Siegel gerade gesetzt werde. Wäbrend BiSmarck den Brief znsiegeste, sei der König hinter ihm gestanden und habe ihm zugeseben; nachdem er dann wahrgenommen, daß daS Siegel grade gesessen, habe er sich in einen Sessel gesetzt, zurückgelegt und gesagt: „Nun ist eS gut, nun kann ich nicht mehr zurück!" BiSmarck sei dann mit dem Brief weggegangen, von dem ganzen Vorgänge aber so nervös geworden, daß er, als er die Tbür hinter sich geschloffen, den Tbürgriff abgerissen batte. Als er diesen hinter sich geworfen, habe der dienstlbuenve Adjutant betroffen gefragt, ob etwas Besondere- gescheben sei, da- ihn so aufgeregt habe. BiSmarck, der inzwischen wieder rudiz geworden — solche nervöse Aufregung beruhige sich ja am schnellsten durch eine körperliche Kraftanstrengung — habe erwidert, eS wäre schon wieder gut. Zu den Gestalten, die in diesem dritten Bande des Posckingrr'schen Werke« zum ersten Male auftreten, gehört der Arzt Schweninger, von besten mytheumwobenem Antritt bei BiSmarck (Mai 1883) der Herausgeber Folgende- authentisch erzählt: . ^ „Dietze-Barby (einer der Intimen im Hause' deS Reichs kanzler») bat da« große Verdienst, den Professor Schweninger zu BiSmarck gebracht ru haben. Der Kanzler wollte von einem Wechsel in der Person seines Hausarztes lange nickt» wissen. Schließlich arrangirte man eS so, daß man endlich dessen Jawort erlangte und den bereit gebastenen Schweninger sofort in das Gemach BiSmarck'S rinführte. Als Bismarck am dritten Tage eine ihm von Schweninger nicht erlaubte Speise essen wollte, nahm dieser ibm den Teller vor der Nase weg und schüttete den Inhalt durch daS Gartenfenster." Bei einem parlamentarischen Frühschoppen im Juni 1884 kam daS Gespräck auf dir Vorgänge um die Jahreswende 1870/71. Fürst Bismarck erzählte, über die KriegScontribution von 200 Millionen Francs, welche damals noch vor Friedens- sckluß der Stadt Paris auferlegt worden, habe er mit dem „kleinen" TbierS verhandelt, als sie miteinander die Treppe hinunteigegangen seien. Er habe zu ThierS gesagt: „Wir würden glauben, Paris zu b leidigen, wenn wir weniger als eine Milliarde verlangen wollten". ThierS sei ob der Höbe der Summe bald vom Stengel gefallen. Die Verhandlungen seien fortgesetzt worden, und als man unten an der Treppe angelangt, sei man darüber einig gewesen, daß Paris 200 Mill. Francs zu zahlen habe. Diese seien denn auch entrichtet worden. Ueberraschend und ganz neu ist aber Das, was Bismarck mit dieser Summe vorhatte. Er beantragte nämlich im preu ßischen Ministerrath, daß diese Summe, die erste Einnahme au« dem mit vereinigten Kräften geführten Nationalkriege, dazu verwendet werde, den deutschen Bundesgenossen die Kriegskosten-Entschädigungen zurückzuzahlen, welche sie im Jahre 1806 an das siegreiche Preußen batten zahlen müssen. Er sei aber da auf lebhaften Widerstand gestoßen, man habe ihm erwidert: „Diese Dinge gehören der Vergangenbeit an!" Er habe entgegnet: „Es ist nicht nur für die Vergangenheit, sondern auch für die Zukunft, wir schmieden damit das neue Reich fester zu sammen." Er sei aber in der Minderheit geblieben, oder vielmehr ganz allein, keiner seiner College» habe mit ihm gestimmt. Interessant wird Denjenigen, die für verantwortliche Reiche ministerien sckwärmen, Das sein, was Bismarck über seine Stellung als Handelsminister sagte. Bismarck übernahm am 23. August 1880 daS preußische Handelsministerium. „Ja, da bin ich hineingegangen wie Odysseus unter die Freier; ich will den Mann aus Preußen wegjagen, das Amt gewissermaßen für das Reich erobern. Wir haben keinen preußischen, keinen sächsischen, keinen braunschweigischen Handel, nur einen deutschen, und deshalb muß auch unser Handels ministerium eine Nrichseinrichtung sein. Es geht aber nicht so schnell damit, das Amt zu beseitigen, denn Preußen ist der particularistischstr Staat in Deutschland. Aber fertig bringe ich es doch noch und zwar dadurch, daß ich mich zur gelegenen Zeit selbst beseitige." Es sei hier auch noch ein Ereigniß aus dem Jahre 1876 erwähnt, das dem Namen nach Jedem, in den Einzelheiten wohl auch nicht mebr den Aelteren bekannt sein wird, näm lich BiSmarck'S Stellung zu den sogenannten Kreuz- Zeitungs-Declaranten. Die „Kreuz-Ztg." batte Bis marck, Eamphausen und Delbrück Belheiligung an Gründer- speculationen vorgeworfen. „Wenn ein Blatt, wie die ,^Kreuz - Zeitung" — bemerkte darauf BiSmarck in seiner ReichStagsrede vom 7. Februar 1876 —, „die für daS Organ einer weitverbreiteten Partei gilt, sich nicht entblödet, die schändlichsten und lügenbaftesten Verleumdungen über hochgestellte Männer in die Welt zu bringen, in solcher Form, daß sie nach dem Urtbeil der höchsten juristischen Autoritäten gerichtlich nickt zu fassen ist, aber doch Derjenige, der sie gelesen, den Eindruck bat: hier wird den Ministern vorgeworfen, daß sie unredtich gebandelt baden — wenn ein solche- Blatt so bandelt und in monatelangem Stillschweigen verharrt, trotzdem daS alles Lügen sind, und nicht rin peecuvi oder errnvi spricht, so ist das eine ehrlose Verleumdung, gegen die wir Alle Front machen sollten, und Niemand sollte mit einem Abonnement sich indirekt daran betheiligen. Von einem solchen Blatte muß man sich loS sagen, wenn da- Unrecht nicht gesühnt wird. Jeder, der e« hält und bezahlt, betbeiligt sich indirekt an Lüg« und Ver leumdung." Auf diesen Angriff BiSmarck'S erfolgte die so genannte Erklärung der Deklaranten in der „Kreuzztg." Die selbe lautete: „AlS treue Anhänger der königlichen und couserva- tiven Fahne weisen wir diese Anschuldigungen gegen die „Kreuzztg." und die gesammte durch sie vertretene Partei auf das Entschiedenste zurück. Wir bedauern, daß der erste Diener der Krone zu derartigen Mitteln greift, um eine Partei zu bekämpfen, die er Jahre lang al« zuverlässigste Stütze de« Thrones anerkannt hat." Unter dieser „Erklärung" fanden sich die Namen der angesehensten und einflußreichsten Männer der protestantischen Bevölkerung der Provinzen Preußen, Pommern, Brandenburg, Schlesien und Sachsen. Besonders zahlreich waren die Unterschriften in den Ruhestand getretener Osficiere, aller Grade bis zum General hinauf, ferner zählten zu den Deklaranten Personen, welche zum Kaiser in sehr nahen Beziebunaen standen. Bismarck ließ nun „zum ewigen Gedacht- niß" die Namen dieser„KreuzzeitungS-Declaranten" im „Reichs anzeiger" abdrucken und zerschnitt dadurch völlig daS Tischtuch zwischen sich und der coniervativen Partei. Welche Stimmung damals in jenen Kreisen gegen BiSmarck herrschte, das beleuchten die Kraftworte eines altconservativen Abgeordneten: Er werde Bismarck noch so klein machen, daß er jedem ehrlichen pommerscken Krautjunker auS der Hand fressen möchte", und des Grafen Friedrich Stolberg: „Wenn Graf BiSmarck gehängt werden solle, so ziehe er mit am Strick." Wie eS aber oft geschieht, daß unglückselige Vorgänge den Anstoß zu heilsamen Neuerungen geben, so kam eS auch hier. Thatsächlich wurde die Erneuerung der conservativen Partei hierdurch beschleunigt, dir e« dann Bismarck möglich machte, von der bisherigen, im LaSkersschen Fahrwasser schwimmenden liberalen Mehrheit loszukommen. Bismarck betrachtete die neue konservative Parte: zunächst nicht ohne Mißtrauen, weil er darin mehr al« einen Decla ranten und auch sonst Manchen fand, der ihn früher bekämpft halte. Allmählich fand aber bekanntlich wieder eine An näherung statt und 1878—81 batte bereits, namentlich auf Bemühung des Frbrn. v. Mirbach, eine große Anzahl von Deklaranten, waü bisher jedenfalls völlig unbekannt war — Poschinger druckt die folgenden Worte fett — den „Kanzler in kurzen Worten wegen Unterzeichnung der Declaration in der „Kreuzztg." um Entschuldigung gebeten, ihm ihr Bebauern darüber ausgesprochen." Auch auf Bismarcks Verbältniß zum Kaiser fällt aus Poschinger'« Buche manches Licht. Gerade bei dem letzten Mittagessen im BiSmarck'schen Hause, woran Kaiser Wil Helm II. tbeilnahm, 4. Februar 1890, war der Zwiespalt zwischen Kanzler und Monarchen allen Anwesenden schon recht fühlbar, so auszeichnend der Kaiser auch BiSmarck behandelte. Der klerikale Peter Reichensperger, der am Essen tbeilnahm, berichtet: Nach Tisch bildeten sich zwei Kreise, um den Kaiser und um Bismarck mit der langen Pfeife und dem großen Hunde. Ich als Alter kielt eS für gerathen, mich zu dem alten Herrn zu halten, und saß neben ibm. Bei Besprechung der Sleuerfrage sagte er, die minder Wohl habenden müßten geschont, die Reichen mehr herangezogen werden. DaS Haupkunbeil drohe von der Unzufriedenheit der Arbeiterklasse und der Socialdemokratie. Ich bemerkte varauf. daß die Negierung selbst an dieser Unzufriedenheit schuld sei und sie erzeuge, indem sie daS VolkSschulwesen überspanne. . . ,L(un" — sagte BiSmarck — „das ist seil Langem meine Ueberzeugung, aber bei keinem CultuSminister erreichte ich etwa-; die Gehrimrätbe erst sind wie die Woll- säcke, an denen jeder Stoß adpralltl" Ick erwiderte, daß gerade ein Staatsminister wie er, der dem Kaiser wie den Ministern so sehr imponire, diesen Widerstand doch drecken könne, wenn er nur wolle. Er: „Da irren Sie sich, der Kaiser läßt sich von Niemandem imponiren, er hört mich bereit willig und gern. Ja, er liebt mich (und dabei schlug er auf die Brust), aber imponiren läßt er sich nicht." Am selben Abende, über den auch der Abgeordnete von Eynern einen Bericht geschrieben, brachte der „Reichsanzeiger" die von BiSmarck gemißbilligte Berufung einer internationalen Arbeiterschutzconferenz, und eS wurde viel davon gesprochen. Ferrrllstsn. Lausanner Märchen von Margarethe Kenia».*) Wie »er Montreux-Hut entstand. Aufzeichnungen über die Enlstehung de- Montrenx-HuteS girbt eS keine, und die Leute, die ,hn zuerst aufkommen saben, sind längst todt und vergessen. Da muß man sich denn an den Hut selbst halten, und der erzählt uuS folgende Geschichte: Es war vor etwa zweihundert Jahren zur Zeit der Weinlese. Montreux war dazumal noch rin richtige« Dorf, rin Mensch kannte den andern. So wußte auch Jeder, daß rin Franzose mit seiner hübschen Tochter in dem kleinen Hause unweit der Kirche wohnte. Sie waren bei Aufhebung de« EvictS von Nantes in Montreux zugewandert Ob der alte freundliche Mann in Frankreich einen hoben Rang ein genommen, darüber schwebte ein gewisse« Dunkel. Jedenfalls fertigte der Franzose Perücken an und sprach sich gelegentlich so a«S, als ob dir« Handwerk unter feiner Würde sei. Seine Tochter Rose flattert« wre ein« muntere kleine Schwalbe im Hause herum. Singend und trillernd trippelte sie treppauf, treppab auf ihren hoben Hackenschuhen. Oder st« saß. Hüte flechtend, auf dem kleinen Balcon im ersten Stock. Der Valcon hing am Hause wie eia Nest von grünen Rauke« und Blättern. *) Lte gffchiitztr Verfasserin Fra, Margarethe Krman tst die Gattin de« HroiefforS de« Römische« Rech»« an der Universitö« Laoiaaue Vr. H. Krman and eine geborene »on Fach« a»S Leipzig. Unter de« obigen Titel erscheint jetzt von idr »ine Sammlung Märchen und Krzüdlungen im Berlage von B. Benda l» Lausanne lgeb. 3,50 ^l). unsere Leser werden sich freuen, dir Verfasserin «»»«» za leraea. Wenn die Wagen mit den großen Mostfässern vorüber- fubrrn, sab Rose neugierig auf. DaS gefiel ihr gut, daß >etzt Alles einen so lustigen Anstrich hatte. Auf den Fässern steckten, oben in dem durchbohrten Zapfen, große Blumen sträuße. Und Blumen und bunt« Bänder zierten den Hut deS FiibrmannS, ja manchmal auch die Hörner seiner Ockfen. Dir Leute waren alle noch einmal so freundlich und mit- «heilsam. E« war eben ein ganz besonder« gute« Wrinjahr. Rose nickte vergnügt von ihrem Balcon, als sie jetzt der Sohn eine- reichen Weinbauern zum Traubenlesen für den anderen Tag einlud. Die Arbeit ging ihr nun noch einmal so rasch von der Hand. Wir dübsch mußte das sein, Trauben zu lesen und die süßesten Beeren wie ein Sperling abzupicken! Rose sing einen Hut für sich zu flechten an, den wollte sie morgen in dem Weinberg aufseyen. Au« hübschem weißen Stroh flocht da- junge Mädchen den Hut, mit gewölbtem Kopf unv einem breiten flachen Rand, der vor Sonne und Regen schützte. Als er fertig war, nabm Rose mechanisch noch einen Strobsireifen in die Hand. Sie näbte und drehte daran, bi« sie einen zierlichen Zapfen hergestellt batte. Den schob sie oben in da« Nriae Loch im Hut und nabte ihn fest. Eine Schleif« von schmalem, schwarzem Sammetband wiegte sich neben dem Zapfen. Aber da« war noch zu todt, es fehlt« noch etwa-! Leichtfüßig lief Rose in da« Zimmer und kramte in dem großen Aasten mit künstlichen Blumen herum. Etwa« Passenderes al« die grüne Weintraube von WackS und die kleine gelbe Kornäbre ließ sich gar nicht denken! Flug- nähte Rose beides aus de» Hut. AlS der Bursche am andern Morgen die kleine Französin abholen kam, sab er überrascht nach dem Balcon empor, von den grünen Ranken umrahmt, stand Ros« fröhlich lachend da, mit weißen Puffarmeln, Sammetmiedrr und kurzem Rock, in der Tracht der Mädchen von Montreux. Und wie aller liebst sab sie mit dem neuen Hut auS! In dem Weinberge umringten sie alle Burschen und Märchen. Die kleine Putzmacherin hatte doch zu drollige Einfälle, sich Zapfen und Weintraube auf den Hut zu stecken! Aber lustig sah der Hut auS, und mebr al- eine Winzerin hätte um Alle« in der Welt ihn aufhaben mögen. Fröhlich stimmte jetzt Rose in den Gesang bei dem Trauben lesen ein. Die Lieder erklangen dazumal von einem Wein berg zum andern. Der ganze Ser war wie von Gesang umschlungen. Lachen mußte Rose, als ihr eine Winzerin zuflüsterte, der Gesang habe eigentlich den Zweck, die Pflückenden an zu vielem Traubenessen zu hindern! Rose gab auch gut Acht, keine Trauben am Wcinstock zu vergessen. Sie batte wobl gemerkt, daß bei solchem Versehen die nachlässige Traubenleserin kußfrei war. Als aber der alle Weinbauer in ihre Nabe kam, wurde Rose verwirrt. Sie glaubte, Mißfallen in seinen Augen zu lesen. Und da wurde e« ihr plötzlich klar, daß sie seinem Sohne gut sei und er ihr wohl auch. Der Vater sah aber ganz nach einer reichen Schwieger tochter au«, der kleinen armen Putzmacherin würde er seinen Sohn nie geben! Verschüchtert ging da« junge Mädchen einen Stock weiter, da pflückte der alte Weinbauer an ihrem vorigen Stock zwei von Rose übersehene Trauben! Andere Winzer bemerkten eS iind zeigten lachend nach der Schuldigen. Der Alt« batte d«e Trauben lieber in der Stille in seine Braute gleiten lassen. So mußte er sich aber der Sitte fügen. Er gab Rose einen Kuß aus jede Wange. Und wie er dabei dem erröthenden Mädchen in die freundlichen Augen sah, schwand sein mürrischer Groll. Der Sohn durfte Rose für den nächsten Tag und immer wieder einladen, bis die Weinlese zu Ende war. Rose aber klapperte ihrem Vater bald voller Stolz mit einem großen Beutel woblverdienten Geldes. Sie batte jetzt Arbeit in Hülle und Fülle. Alle Mädchen von Montreux bestellten sich einen Huk, wie ihn die kleine Französin zur Weinlese getragen. Ob sich Rose und ihr Bursch« endlich noch haben heirathen dürfen, ist nicht bekannt. ES ist aber anzunehmen, denn der alte Weinbauer war gar nickt so grimmig, wie er sich Rose gegenüber zuerst gezeigt batte, und je mehr Geld die kleine Putzmacherin zurück legte, desto erträglicher mußte sie ihm als Schwiegertochter erscheinen. Jedenfalls aber entstand damals unter Rose'« geschickten Fingern der Montreux-Hut. La« wettze »reu» In einem kleinen Torfkirchhof am Fuße der dunklen Iurawalder ragt ein weiße« Kreuz hoch über die KirchbofS- mauer. Darunter liegt «ine reicht junge Bäuerin begraben. Der junge Wittwer hatte die ersten Jahre reichlich seine Tdränen auf da« Grab stießen lassen. Davon blühen und leuchten auch jetzt noch die Vergißmeinnicht so blau auf dem Hügel. Wenn die alte KindSmagd dir kleine Dronne in ihre« Vater« Hof hoch auf den Arm hob, konnte da« King da« weiße Kreuz zwischen den Sträuckern durchschimmern sehen. Avonne breitete lächelnd die kleinen runden Arme au« und stammelte: „Mutter" — so, wie e« andere Kinder der Mutter selbst gegenüber thun. Als Avonne heranwuchs und mit den anderen Kindern spielte, stih sie scheu nach dem weißen Kreuz hinüber, sobald sie etwa« Dumme« oder Unrechte- tbat. Die alte Magd batte ihr gelehrt, die verstorbene Mutter sähe Alle«, wa« Avonne thue.
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