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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.12.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-12-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951213023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895121302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895121302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-12
- Tag1895-12-13
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«oezngS-PreiS 1» der Hmlptrxpeditton oder den kn Stadt« bezirk mrd den Bororten errichteten Aus gabestelle, adgeholt: vierteljährliches 4^)0, oet zwetmalioer täglicher Zu st »llang in« Ha,» Ü.KO. Durch die Post bezogen für Deutschland «nd Oesterreich: viertellübrlich ^l 6«—. Direct» tägliche ktreuzbaadieudung t>» Lulland: moaatiich 7ckO. Dt» Wor^n-Autgabe erscheint um »/,7 Ubr. die Adeud-AuSgabr Wochentag« um b Ubr. Le-action und Er-eLilio«: IohannrSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geäsfnet vo» früh 8 bi« Abend« 7 ützr. Filialen: Otto Rlemm'S Tortim. (Alfred Hahn). Untversitätsstrab« 1, LontS Lösche, Satbarinenstr. 14, Part, und ASnigSpla- 7. Abend-Ausgabe. ttmigerCagtblatl Anzeiger. Organ für Politik, Localgeschichte, Handels- und Geschäftsverkehr. AnzeigenPrei- die 6gespaltene Petitzeile 20 Pf>. Reclamen unter dem Redaction«strich («ge spalten) bO»L. vor d»u Aamiitennachrichten (Sgespalt»») 40 Srößerr Schriften laut unserem Preis- Verzeichnis. 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Und leider kann das, was sonst in der viertägigen Debatte zu Tage gefördert worden ist, für den Mangel an eingehender Beleuchtung deS Etats und aller mit ihm in Zusammenhang stehenden Fragen nicht entschädigen. Am wenigsten befriedigten die Antworten, die den hetzerischen Phrasen der socialdemokratischen Redner von den Rednern der bürgerlichen Parteien zu Tbeil wurden. Die conservativen schienen unter dem Eindrücke der Besorgniß zu stehen, es konnten noch unbekannte Briefe von und an Herrn von Hammerstein zur Verlesung komnien; die Herren vom Ce nt rum waren sich offenbar ihrer Heldentbaten im Dort munder Reichstagswahlkreise noch zu lebbaft bewußt, um den Muth zur energischen Bekämpfung der Socialdcmokralcn zu finden; die freisinnigen und volksparteilichen schwankten zwischen lauer Perurtheilung und halber Entschuldigung und der nationlliberale widerlegte nur eine persönliche Ver leumdung, mit welcher Herr Bebel seine Rede geschmückt batte. Nur der preußische Kriegsniinister fand die reckten Worte auf die socialdemokratiscken Provokationen und beschämte da durch jene Parteien, welche bei jeder Gelegenheit die energische Bekämpfung der Uinsiurzbestrebungen als gemeinsame Pflicht und als besondere Ausgabe der Regierung betonen, aber auf die zu den Fenstern deö neuen ReickStagShauseS hinaus ge haltenen Brandreden der Apostel des ÜmsturzeS nicht die paffende Antwort finden. Auch in der gestrigen Sitzung fiel die A ufgabe, den Borwurf einer parteilichen Justiz, den der Vertreter der süddeutschen Volkspartei wiederholt erhoben hatte, zurückzuweisen, fast ausschließlich dem preußischen I u st i z m i n i st e r zu. In wirksamer Rede setzte er der Klage über die Häufung der MajestätöbeleidigungS- processe die Beschwerde über die Zunahme der Majestäts beleidigungen entgegen. Der Minister erinnerte an die auS Anlaß der Erinnerungsfeste erschienenen socialdemokrati schen Schmähartikel, die selbst einem klerikalen Blatte den AuSruf entlockt hätten: „in Frankreich könnte man derartiges nicht schreiben, ohne der Lynchjustiz zu verfallen." Wenn man das Eingreifen gegen solche Ausschreitungen Tenbenz- processe nennen wolle, so möge man eS tbun, aber die große Mehrheit des deutschen Volkes finde die Tendenz löblich. Der Minister, der gelegentlich auch den üblich gewordenen Lärm über den von jeher in Anwendung ge wesenen dolus eveutualis geißelte, unterschied zwei Arten von MajcstatSbeleidigungen. Die von Ungebildeten und unüberlegt begangenen würden verfolgt, wenn sie durch Denunciationen zur Kenntniß der Behörden gebracht würden, weil sie »ach dem Gesetze verfolgt werden müßten; den Behörden sei es aber dringend erwünscht, so wenig als möglich auf diese Weise in Anspruch genommen zu werden; in Fällen dieser Art würde übrigens von dem Begnadigungsrechte in einem Umsang Gebrauch ge macht, von dem die Oeffentlichkrit keine Ahnung habe. Die anderen, hauptsächlich in der socialdemokratischrn Presse be gangenen MajestätSbeleidigungen würden mit größter Vor sicht erwogen und erfolgten in der bestimmten Absicht, daS Ansehen deS Monarchen zu erschüttern; für die Wahl der Ausdrücke sei nicht die Absicht, Beleidigungen zu ver meiden, bestimmend, sondern der Wunsch, dem Staats anwalt zu entschlüpfen^ erkennten dieser und der Richter aber dennoch die Absicht, so erhebe sich das Geschrei: „Tendenzproceß". Die Schärfe und Unerbittlichkeit, mit der der Minister die Heuchelei der Socialdcuivkralie und die Thorbeit stirer Vertbeidiger bloßlegte, verfehlte ihren Ein druck nicht. Aber ein noch tieferer und wirksamerer würde erzielt worden sein, wenn nicht nur der Abg. Enneccerus den Minister unterstützt hätte, lleben im weiteren Verlause der Tagung die antisocialtemokratischen Parteien eine gleiche Enthaltsamkeit, so werden die Herren Bebel und Liebknecht alle Ursache haben, mit beni Eindrücke zufrieden zu sein, den die Sitzungsberichte nicht nur ans die „Genossen", sondern auch auf solche Kreise machen, denen die lautesten und energischsten Redner am meisten imponiren. Kaum hat der Kaiser beim Empfang deS Reichstags- Präsidiums die dringende Bitte ausgesprochen, daß im Laufe dieser Tagung jedenfalls noch der Entwurf deS Bürgerlichen Gesetzbuchs, der schon seit längerer Zeit allen Abgeordneten vortiegt, verabschiedet werden möge, so geht der „Köln. Zkg." ans Kreisen der deutschcons ervativen ReickSlagSfraclion die Miltheilung zu, daß innerhalb dieser Fraktion ein immer deutlicherer Widerstand gegen die baldige Annahme des großen nationalen Werkes sich gellend mache. Das rheinische Blatt bemerkt zu dieser Miltheilung: „Da wir schon im preußischen Landtag ähnliche Erfahrungen mit den Canalvorlagen gemacht haben, so genügt es uns für heule, von der uns zugegangenen Nachricht Kenntniß zu geben. Wir wollen zniiächsl das Weitere abwarten. 5ede»falls aber möchten wir die Freunde deS Gesetzbuches und also vor Allem unsere Juristcnwelt davor warnen, zu frühzeitig aus die Annahme des Entwurfs durch die jetzige Neichslagsinehrheit zu bauen. Es gilt noch beute, viele wichtige und schwierige Hindernisse zu über winden." Uns überrascht diese Meldung nicht, da wir schon vor einiger Zeit erfahren haben, daß in Regierungs kreisen die Besorgniß herrscht, von derselben Seite, von der die bekannte Parole „Ohne Kanitz keine Kähne" ausging, werde dem Entwürfe des Bürgerlichen Gesetzbuches Widerstand entgegengesetzt werden, wenn der Antrag Kanitz fortgesetztem Widerstand bei der Regierung begegne. Um so mehr aber muß es überraschen, daß Len Unterzeichnern des Antrags nicht west entschiedener, als es geschieht, jede Hoffnung auf Erfolg eines solchen Manövers genonimen wird. Wenn es richtig ist, daß der UnterstaalS- secretair Zorn v. Bulach in seiner Eigenschaft als Reichs- tagSabgeordnctcr den Antrag Kanitz unterschrieben bat, und wenn der Reichskanzler es für stalthast hält, daß in einer solchen Frage ein hoher Beamter sich demonstrativ in Gegensatz zu seinem Vorgesetzten stellt, dann allerdings kann man sich nickt wundern, wenn mindestens ein großer Theil der Antragsteller dem Wahne sich hingiebt, durch Opposition gegen den Entwurf deS Bürgerlichen Gesetzbuches die verbündeten Regierungen zur Nachgiebigkeit gegen die Unterzeichner des Antrags Kanitz zwingen zu können. In Frankreich ist die Asfaire Arton in eine neue gefährliche Phase getreten, von der allerdings in erster Linie die gewesenen Ministerpräsidenten Ribot undLoubet, aber auch der gegenwärtige Chef der Negierung, Bourgeois, der im Cabinet Ribot als Justizminister fungirte, betroffen werden. Da sich die Thalsache nicht binwegleugnen läßt, daß Arton sich im Jahre 1892 i» Venedig befunden halte, da der Polizeiagent DupaS zum ewigen Gedächtniß sich und den vielgesuchten Arton pkotograpbiren ließ, wie sie zusammen auf dem MarcuSplatz Tauben fütterten, so baben sich nun sowohl Ribot als auch Loubet von dem Verdachte zu reinigen versucht, daß sie mit Arton in Verbindung getreten wären. Ribot hat zu diesem Bebufe eine volltönende Phrase vom Stapel gelassen, indem er versicherte, er wäre ein Unwürdiger, wenn sein Cabinet mit einem Menschen wie Arton ver handelt hätte. Herr Loubet ist schon aufrichtiger, denn er gesiebt in einem an den „Figaro" gerichteten Schreiben zu, daß er Arton suchen ließ. Aus allen bisherigen Enthüllungen crgiebt sich aber unwiderleglich die Thatsache, daß bis jetzt fast alle Negierungen es versucht haben, mit Arton in Ver bindung zu treten, um ihn zur Auslieferung seiner Papiere zu bewegen. In dieser Richtung haben sich die ver schiedenen Ministerien nichts vorzuwerfen, denn Loubet und Ribot haben dasselbe gelban, was auch der gegenwärtige Justifminister Ricard erst vor Kurzem versucht batte. Alle Regierungen in Frankreich waren bereit, große Opfer zu bringen, um die Arton'scke» Documente zu erwerben, um sie kann gegen ihre politischen Gegner verwerthen zu können und die radikalen Minister unterscheiden sich in dieser Be stehung nicht im Geringsten von ihren opportunistischen College». Jedenfalls erscheint die Sache mit der gestrigen Debatte in der Deputirtenkammer noch nicht abgethan. Für die Richtigkeit der Taktik der europäischen Diplomatie am GolSnrn Horn liefert das endliche Nachgeben des Sultans in Sachen der zweiten Stalionsschiffe einen erfreulichen Beweis, wenn man auch wünschen mußte, daß die Ver treter der Mächte gleich von vornherein energischer und ent schiedener ausgetreten wären, statt sich vier Wochen lang zum Besten haben zu lassen. Immerhin ist der Sieg auf Seite der Mächte. Allein in der diplomatischen wie in der militairischen Strategie ist mit dem Erfechten von Siegen nur erst ein Theil der zu lösenden Aufgabe bewältigt; der andere und ostmalS noch schwierigere Theil besteht in der sachgemäßen, möglichst inten siven Ausnutzung des Sieges. Mit der bloßen Anwesenheit zweiter Stationsschiffe im Konstantinopeler Hafen wäre für die befriedigende Abwickelung der Orientschwierigkeiten wenig gewonnen, da die Tragweite dieser Concession an und für sich wesentlich als eine formale zu erachten ist. Woraus eS ungleich mehr ankomuit, ist, daß der vom Sultan schließ lich in der Frage der zweiten StationSschiffe eingenommene Standpunct sich verallgemeinere, t. h., daß der Sultan die aus der Erkenntniß des festen Zusammenhalten« der Mächte sich ergebenden logischen Folgerungen für die Gesammt- heit seiner Regierungspolitik ziehe und die Einlösung der gegebenen Resormversprechungen nicht ans die lange Bank schiebe. Schwer, wie die der otromanischen Regierung harrenden Arbeitsaufgaben sind, sind sie doch zu bewältigen, wenn der Ailviz-Kiosk sich zu einem ehrlichen Entschluß auf rafft und damit erst in den Nachgeordneten Behörden die Ueberzeugung weckt, daß mit den Reformen wirklich Ernst gemacht werden muß. Hier bietet sich, wie eS scheint, der Ueberredungskunst und der auf der fortgesetzten Einigkeit der Mächte basirenden ArgumentirungSkraft der Diplomatie in Konstantiiiopel noch ein weites Feld dar, und je eher dasselbe in Angriff genonimen wird, desto besser dürste eS sein. Denn die Zeit ist wertbvoll und keines wegs überreichlich bemessen. ES wäre eine mißliche Sache, wenn die Winterstürme wichen, ohne daß den schwergeprüften christlichen Unterthanen des Sultans einwand freie Bürgschaften für den Anbruch einer besseren Zeit ge geben wären. Eine abermalige kritische Zuspitzung der Lage wäre alödann fast mit Sickerbeit vorauszuseben, und dem will dock die jetzige Thäligkeit der europäischen Diplomatie eben Vorbeugen. Ob dem im heutigen Morgenblatt mit- getheilten, angeblich durch den Streit zweier armenischer Kaufleute bervorzerufenen Zwischenfall in Konstanti- nopel größere Bedeutung beizulegen ist, bleibt abzuwarten, auf alle Fälle zeigt derselbe, wie sehr die Atmosphäre in Stambul noch mit Explosivstoff geladen ist und ein wie wachsames Auge die Mächte noch immer auf die Entwickelung der Ding im türkischen Reiche haben müssen. Die Frage der Colonisirung de« nördlichen Schwede«», welche viele Geister seit Langem beschäftigt, scheint nunmehr ihrer Lösung näher rücken zu sollen. Es bandelt sich hierbei um ein bisher sehr spärlich bevölkertes Gebiet von annähernd 250 000 Quadratkilometern, daS unge heure, hundertjährige Wälder und fruchtbare Wirsen um faßt und eine Bevölkerung von vielen Millionen ausnehmen könnte. Es heißt nun, daß die Regierung dem Reichs tage in naher Zeit einen Gesetzentwurf vorlegen wird, welcher einen eingehenden Plan sür die Colonisirung der nördlichen Provinzen enthalten soll. Genauere« über die Einzelheiten diese« ProjecteS ist noch nicht bekannt, man ver windet aber, daß die Regierung sich im Wesentlichen an da« Verfahren halten werde, welche« von der Regierung der Vereinigten Staaten hei der Colonisirung der weit aus gedehnten Territorien Nordamerikas befolgt hat. Der Beginn dürste mit dem Baue von Straßen in den zu erschließenden Gegenden und der Verbesserung der dort bereits bestehenden Comniunicativn gemacht werden. Bon großer Wichtigkeit ist in dieser Beziehung, daß vor Kurzem rin sehr bedeutender Theil deS nördlichen Schweden durch die „norrländische Stammbabn" mit den südlichen Provinzen des Landes in bequeme Verbindung gebracht worden ist. Ferner dürsten in den Colonisations-Centren Schulen. Kirchen und Capellen errichtet werden. Was die Verthcilung von Grund und Boden an die beranzuziehenden Colonisten betrifft, dürsten jedem An siedler ungefähr 100 Hektar Wald- und Wiesengrund ange wiesen werden. Ob die Colonisten diesen Boden als Eigen tbum oder in Erbpacht erhalten werden, ist noch nicht bekannt. Wenn der Reichstag, was kaum zu bezweifeln ist, den Gesetz entwurf gulbcißt, dann werden sehr bedeutende Mittel für die Durchführung des Colonisations-Werkes erforderlich sein. DaS Opfer sollte aber jedenfalls gebracht werden, da hier durch Tausende und Abertausende von Bauern, welche bisher alljährlich nach Amerika auswandern, künftighin ihrem schwedischen Vaterlande erhalten bleiben würven und überdies viele der Auswanderer, welche seit Jahren jenseits des OceanS leben, zur Rückkehr nach ihrer Heimath veranlaßt werden könnten. Deutsches Reich. ZI Berlin, 12. December. Wenn der Staatssecretair des Reichsschatzamtes in der Rede, womit er die Etatsdebatte im Reichstage eröffnte, erwähnte, daß im laufenden Etatsjabre die Reichszuschüsse zur JnvaliditätS- und Alters versicherung nahezu l«/, Millionen mehr erfordern werden als im Etatsansatzc vorgesehen ist, so kann man auch hieraus erkennen, wie wenig Berechtigung die Methode hat, auf das Ergebnlß eines der kurz vorbergezangenen Jahre bei Berechnung einzelner Etatsansätze Gewicht zu legen. In den ersten Jahren nach der Einführung der JnvaliditätS- und Altersversicherung wurden die aus der letzteren dem Reiche erwachsenden Kosten überschätzt. Die Ersparniß, welche im EtatSjahre 1893/94 an der Position Le« Reichszuschufses gemacht wurde, belief sich beispielsweise auf 1,3 Millionen. Infolge dieser einzelnen, im Verbältniß zu den EtatSanschlägen günstigen Ergebnisse bat man die jährliche Steigerung der entsprechenden Position nicht in der Höhe voraenommen, wie eS wohl den anfäng lichen Intentionen entsprochen haben würde. Jetzt hat man für daS lausende Jahr voraussichtlich eine Mehrausgabe in der Höbe der MinverauSgabe de« Jahre« 1893/94 zu er warten. Natürlich läßt sich auf einem solchen Gebiete, wie eS die JnvaliditätS- und Altersversicherung darstellt, nicht im Voraus genau die für daS einzelne Jahr nöthige Summe Der Geiger. 3j Original-Roman von Lmmy Rossi. »t«ch»nick »erboten. (Fortsetzuna) „Der Chef sah mich einen langen Augenblick an. Mein Oheim stellte mich ehrerbietig vor." ,,Jch irr« wohl nicht, mein Fräulein, — Sie baben im vorigen Jahr in der Singakademie in einem Concert mit gewirkt? Und weshalb sind Sie ganz von der Bildfläche verschwunden?" Mein Onkel antwortete statt meiner, daß meine große Jugend, da« weitere Studium Herr Commerzienrath sagte mir mit seiner harten Stimme noch einige sebr artige ermunternde Worte, dann empsabl ich mich, — siebst Du, Lieb, ich weiß nicht, beute kaum, weshalb mich plötzlich eine Angst überfallen; ich flog in meine Woh nung, zu meiner lieben Pflegemama zurück, nie batte ich bis her so den Frieden diese« stillen HeimS empfunden, als zu jener Stunde. Mein kleines Stübchen in seiner duftenden Reinlichkeit schien mir ein Paradies — die unbewußte Sehn sucht nach Höherem, Besserem schwieg in diesem Augenblick gänzlich. Aber ich .war viel zu naiv, um in Anrede und Lob deS Herrn CommerzienralbS etwa« Andere« zu sehen, als eine Artigkeit gegen die Nichte eine« langjährigen treuen Bediensteten. Onkel mochte r« ebenso auffafsen, obgleich er den.ganzen Abend mit seines Herrn Chef« Gnade ausfüllte. Al« Kind war ich mit allen Kaisern und Prinzen de« alten Grimm und Andersen auf Du und Du — »S kam mir vom guten Onkel deshalb etwa« komisch vor, als er von seinem Herrn L. Herme« wie von etwa« Höherem sprach. „Hat er «in« nette Fr«u, Onkel?" „Er ist unverbeiratbet, Kind!" » „Ab — r« ist doch schon ein alter Mann —" „Wenn Du fünfundvierzig alt nennst —" „Nun, jung ist es »och nicht, OnkelchenI" Vierzehn Tage vergingen — ich dachte kaum mebr an die Bsgegnuizg, als mein Onkel «ine Einladung zu einem Sonntag«- Diner beim Herrn Commerzienrath erbtest. Fünfzehn Jabr« war er dort im Haus«, erst Buchhalter» dann Prokurist, aber e«n« Privat-Annäherung hatte der Herr Cbef weder gewünscht, noch gelitten. Ganz naiv freute ich mich, daß OnkelckenS Verdienste endlich genügend gewürdigt wurden, — ick verstand den merk würdigen Blick nickt, den er bei meiner Freudenänßerung auf mich warf. Details, die er mir später von der Großartig keit deö Diners erzählte, ließe» mich kalt, ich hatte wede- für L. Herme«, noch sein Besitzthum irgend ein Interesse. Frei lich auch für keinen anderen Mann — meine gelicbse Kunst füllte mein ganzes Sein vollständig aus — und darin traf mich nun eine Aeußerung des Cbefs gegen Onkel — er solle mich wieder der Oeffentlich srrigebrn, mir eine glänzende Carrisrr gönnen. Da Onkel doch nicht reich und ich selbst ganz mittellos sei, müsse er mir die Chance biete», entweder eine gutbezablte Künstlerin oder, wie eS bei meiner außer ordentlichen Schönheit wohl zweifellos sei, die Frau eine« reichen Mannes zu werden." „Wie herzlich haben wir Beide über diesen „reichen Mann" gelacht, wie oft spielte er jetzt eine scherzhafte Nolle in unseren Unterhaltungen -- auch meine sanste. ernste Frau Pastorin wurde in unseren Scherz mit bineingezogen — sie aber lackte nicht dazu, sie lächelte nicht einmal — sie ahnte schon den Keim de« kommenden Bösen. Eifriger al« je studirte ich jetzt und war eines verdienten Erfolge« sicher, als Geigerin sowohl wie als Sängerin. Da« war ungefähr zwei Monate nach dem Diner. Da lud Herr Hermes den Onkel zum anderen Mal ein. „Nun — und da« Concert Ihrer Nichte. Herr Schönborn?" „Schon in wenigen Tagen, Herr Commerzienrath, werde ich mir erlauben, Ihnen das Dalum desselben zu nennen und daS Programm vorzulegen!" ,,E« wird mich freuen, da« Fräulein zu lanciren." Nun lackte ich wieder Uber Pa« „lanciren". Wa« diese Majestät de« GeldsackrS sich eindildet». Entweder war ich eine echte Künstlerin — und der bereit« erzielte Erfolg hatte mich sicher gemacht — dann brauchte Niemand seine Lanze für mick »inzulegen, oder ich hatte ein« bescheidene Zukunft als Mustklehrerin oder dergleichen vor mir, denn mein Ent schluß, Onkel nicht länger zur Last zu falle», sobald ich achtzehn Jahr, alt geworden, stand felsenfest. Heut« zählte ich kaum siebzehn, und Onkel litt nickt, daß ich schon von Selbstverdienst sprach. Tbat ich e« dennoch, so drohte er mir mit dem „reichen Mann", da« blieb in ernsten Momenten seine beiter» Abwehr. Der Concrrt-Abend kam, — Du kennst alle Receiisionefl diese« phänomenalen Erfolge«, mein Kind, meine Eitelkeit hat sich nie von den alten vergilbten Blättern trennen können. Am Schluß erhielt ick ein Riesenbouquet! Das war vor fast dreißig Jabren etwa? anderes als heute, lieb Herz, wo man jede Chantant-Sängerin mit Blumen überhäuft! Da brachte man solche Ovationen nur dem wirklichen Verdienst dar, und wenn man für eine Berühmtheit auch im Voraus glänzende Blumcngaben in Bereitschaft hielt — für mich, die Novize, war es erschütternd, daß Jemand mir eine» Strauß aus zwanzig weißen Kamelien und unzähligen Veilchen ver ehrte — mit dem ungraziösen Rad in steifer Papiermanschette, die wie ein Tortenrand wirkte, stand ich glückselig in der Stube, wo wir Künstler hinter dem Concertsaal weilten, als Herr Commerzienrath mit Onkel Schönborn einirat. Ersterer sagte mir, dem Sinn nach, viel, viel Freundliches, aber ich konnte mich dazu nicht freuen, diese harten Töne und die kalten Augen. „Lila, mein Kind, Du mußt Dich bei Herrn Commerzien- rath bedanken, er batte die Güte, Dir dies herrliche Bouquet zu senden." Ich stammelte Tank, aber fast ließ ich den Strauß fallen. Doch der Glücksrausch über ineinen Erfolg überwog, man halte mich ein Dutzend Mal berausgerufen, ich sang mit schmetternder Kehle mehrere Male du capo, ich geigte ruhig, überlegt und doch siegestrunken die gewagtesten und brillantesten Passagen. Ausgelassen, in Seligkeit aufgelöst, vergehen die ersten Tag« — von allen Seiten komnien Anerbietungen, nein, noch nickt, noch Nichts wollte ich, denn der eine Abend halte mich tief erschüttert, ich fühlte, daß ich einer Aufregung doch in nächster Zeit noch nicht gewachsen war, und Gesundheit erschien mir stets als der höchste Werth des Lebens — meine Gesundheit erschöpfen, hieß meine künstlerische Zukunft unter graben. Das fühlt« ich trotz der großen Jugend meiner siebzehn Jahre. Am nächsten Sonntag wieder eine Einladung zu seiner Hoheit, Herrn L Herme«, Commerzienrath von Gotte« Gnaden. So batte mein Spott ihn getauft. Und unter der gedruckten Einladung ein paar Zeilen der starken Lapirar- schrift de« Cbess: „Leider ist eS mir unmöglich, daS gnädige Fräulein heute miteinzuladen, da meine Schwester, die sonst in meinem JunggejeUenbeim die Honneur« sür Damcngäste macht, zu unpäßlich ist- Jbr ergebener Ludwig Hermes." Nun. Du kannst stolz sein, Lila", sagt« Onkel Schimborn, „er schreibt Dir eigenbändig, da« kommt da« ganze Jahr nicht vor — na, na, Lila, Du unterschätzest die Bedeutung seiner Freundlichkeit —" ich überwand ein ärgerliches Gefühl und summte das uralte Kinderlieb: „E« war einmal ein Menschenfresser." ES schien, daß Frau von Oppel, die Schwester de- Herrn Herme«, sich rasch rrkolte — kaum acht Tage später fand eine große Soiröe in der Thiergarten-Straße statt — die Hosbühne hatte ihre Größen entsandt, auch Rubinstein spielte dort, unv unter allen ersten Meteoren ich, die junge An fängerin. Aurel küßte die bleichen Händchen: „Soll ich Dir sagen, wie Du an jenem Abend ausgesehen hast, Mütterlich? Mein Vater hat es mir erzählt, als ick an seinem Krankenbett saß. er sprach wie im Traum von Dir, wie von einer Vision: „Sieh', da steht sie, die jetzt Deine Mutter i»I Ein weißes Seidenkleid umspannt den zarten, und dock vollendeten Wuchs, daS Goldbaar zittert wie eine Gloriola um die kunst geweihte Stirn, dann strömt eS in übermäßiger Fülle hinab bis zu den Knicen — eine Erscheinung, wie die Poeten sie träumen, wie die Maler sie ersehen, aber wie da« Lebeu sie nur in den höchsten SeligkeitSmomentra schafft. Und der Wohllaut der Stimme, der ins Herz dringt, die Grazie des Anstandes, die keusche Sittsamkeit in der Befangenheit, und dann das sieghafte Spiel. Rubinstein will aus sie ru und beugt sich bis zur Erde, al« sie geendet, eine Tbräne schimmert in seinem Auge; die ganze Gesellschaft sitzt wie unter einem Banne, dann brausender Jubel. — Meine Mutter sagt soeben: „Bringe mir das Kind der. Egon, ick muß sie küssen I" Ich reiße mich aus meiner Versunkenbeit los, durckdringe den Kreis um sie, ich diele ihr den Arm, Alle- wie mechanisch. „Meine Mutter, Frau von Oppel, läßt Sie bitten!" Sir legt ihre Hand auf meinen Arm — kein Mensch im Saal, der mich in diesem Augenblick nicht beneidet —, da schiebt »nein Onkel Herme» mich de» Seite. „Ich werde Sie zu meiner Schwester führen!" — Und Aurel setzte hinzu: „Die Wuth, die damals sein Herz gefaßt, krack auch diesmal gegen den alten Räuber auS." — Frau von Oppel lä belle: „Ich ließ ihn aber nicht bei Seite schieben, sonst kindlich-schüchtern und wenig an Salon- Manieren gewöhnt, hatte brr erst« Blick aus Egon, Deinen geliebten Vater, mick gewandelt" „Bitte, Herr von Oppel kam Ihnen zuvor", cntgegnete ich leise, aber fest, und ging mit Egon — mein Onkel Schön- bprn knickte in einer Ecke troftlpS zusammen, daß ich Seme Majestät brüskst. UebrigenS begriff ich «rst an diesem Ab«nd, w»t d«r
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