Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.01.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-01-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960104022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896010402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896010402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-01
- Tag1896-01-04
- Monat1896-01
- Jahr1896
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis In der Hauptexpedition oder den im Stadt, bezirk und den Bororten errichteten AuS- oadestellen abgrholt: vierteljährlich ^(4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ine Hau- ^l ü.üO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich ^l S.—. Dtrecte tägliche Kreuzbandsendung in« Ausland: monatlich .st 7.50. Dir Morgen-Ausgabe erscheint um ff,7 Uhr. dir Abeud-AuSgabe Wochentags um 5 Uhr. Re-actio« vad Lr-e-itton: J«tz«nneSgaffe 8. Di«Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: vtt» Klemm'« Tartim. (Alfred Hahn», lluiversitätsstrahe 1, LoutS Lösche. Katharinenstr. 14. Part, und König-Platz 7. ^-7. Abend-Ausgabe. tipügcrTMblatl Anzeiger. Amtsblatt -es Äöniqlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Ratljes und Polizei-Amtes -er Ltadt Leipzig. Sonnabend den 4. Januar 1896. Anzeigen Prei- die 6gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Rcclamea unter demRedacttonsstrich >4g«. spalten) SO vor den Familirnnachrichteu (kgespalten) 40^. Größere Schliffe» laut unseren! Preis- vcr,eichnitz Tabellarischer und Zissernsatz nach höherem Tarif. (extra Beilagen igrjalzt), nur mit der Morgen - Au-gabe . ohne Postbeförderung .a 60.—, mit Postbesörderung >1 70.---. Aanahmeschluß für Anzeigen: Abrod-Auögabr: Bormittag- 10 Ilhr. MotgeN-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr Für dir Montag-Morgra-Ausgabe: Sonnabend Mittag. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde friltzer. Anzeigen sind stets an die Urpetzitjon zu richten. Druck und Brrlag von lk. Polz in Leipzig. W. Jahrgang. Englands Intnguen in Transvaal. Man schreibt un« aus Berlin: „Während wir dies niederschreiben, wird der officielle Telegraph in Bewegung gesetzt, um ein ungemein herzliche« Glückwunschtelegramm unsere« Kaiser« an den Präsidenten Krüger bekannt z« machen. Dieje Kundgebung spiegelt die Empfindungen de« deutschen Bolle« getreulich wieder. Wir fühlen ebenso auf richtige Sympathien für die südafrikanische Republik, als tiefe« Mißtrauen gegen England. In welchem Maße die» Mißtrauen berechtigt ist, mögen die folgenden Mittheilungen zeigen, in denen auf Grund authentischen Material« der Nachweis geführt wird, daß der Ueberfall Iameson'S von langer Hand vorbereitet war, unter Mitwissenschaft der Capregierung erfolgte und daß der englischen Regierung die Mit verantwortlichkeit für diese dreiste Friedens störung zuzuschieben ist. Daß ein Zug von 800 Mann mit 10 Maximgeschützen, der übrigens eine Reserve von 1000 Mann in Buluwajo hinter sich hat, nicht von gestern auf heute in Scene gefegt werden kann, liegt von vornherein auf der Hand. In Südafrika ist das erst recht unmöglich: hier mußten erst die Relais gelegt und vorbereitet werden. Die« ist seit mehr al« Monatsfrist geschehen; wenn die Regierung von Transvaal auf diese Vorbereitungen nicht aufmerksam wurde, so kam dies daher, daß sie auf einen so unerhörten Ueberfall in keiner Weise gefaßt war. Von dieser sorgfältig vorbereiteten Expedition vr. Iame- son'S haben nun die Cecil Rhodes nahestehenden Kreise sowohl in Europa als in Südafrika gewußt. Daß die Londoner staute sturmes orientirt war; beweist eine vom „Hamb. Corr." veröffentlichte Um „L. T." bereits in telegraphischem Auszug mitgetheilte) Zuschrift vom 10. De zember 1895, in der ein mit Rhodes in Verbindung stehendes Londoner FinanzhauS einem deutschen -Kaufmann auf die von ihm geäußerten Besorgnisse erwiderte : „Ihre Aenßerung über Rhodes' Matabele-Helben (das sind die Leute von derChartered- Company) ist vielleicht prophetischer als Sie glauben; Süd-Afrika ist das Land der Ueberraschungen". Wir können einen neuen Beweis hinzufügen. Vor .8 Wochen reiste Herr Beit, vom Hause Wernher, Beit L Co. in Hamburg, der mit RbodeS, dem Herzog von Fife u. a. m. dem Direktorium der Cbar- tered-Company angebört, plötzlich nach Süd-Afrika, angeblich weil er wegen Nervosität einer Seereise bedurfte. In Süd- Afrika angekommen, ließ er seinen Bruder sogleich au« Johannesburg, den: späteren Zielpunkte der Iamcson'fchen Expedition, nack Capstadt kommen. Heute wird zugegeben, daß Herr Beit seine Reise sehr ungern und nur auf ein dringendes Telegramm des Herrn RhodeS hin unternahm. Was aber den Direktoren und Freunden der Chartered- Company in Europa bekannt war, das wußten natürlich die Anhänger des Herrn Rhodes in Südafrika ebenfalls. Wir sind in der Lage, den folgenden aus dem Ende November stammenden Depeschenwechsel zu veröffentlichen, indem ein Iohannesburger Geschäftshaus der RbodeSgruppe eine Ber liner Firma vor den bevorstehenden Ereignissen in Trans vaal warnte und ihr von allen weiteren Ankäufen von süd afrikanischen Goldactien dringend abrieth Johannesburg an Berlin: „Kaufen Sie nichts für die Anglo-French- Compagnie. Politische Gerüchte." Berlin an Johannes burg: „Welche Art politischer Gerüchte?" Johannes burg an Berlin: „Stellen Sie keine Fragen. Kaufen Sie nicht«." Die Sache stellt sich also so dar, daß Herr Rhodeö im Vereine mit seinem vertranten Freunde und Gehilfen Iameson die ganze Expedition sorgfältig vorbereitet hat. England aber war entschlossen, sich fremd zu stellen, wenn die Expedition verunglückte, und da« Transvaal „um der Rechte der Uitlanders willen" zu anncctiren, wenn dieser Ueberfall mitten im Frieden gelang. Wollte man aber noch an Eng lands Verantwortlichkeit zweifeln, so muß auf den bisher nicht beachteten 8- A5 veS Charter« der Matabele- Compagnie verwiesen werden, in dem sich die englische Re gierung da« Recht ausdrücklich Vorbehalt, die „Privilegien und Rechte der Compagnie zu widerrufen und zu vernichten, wenn die Compagnie nicht die Bestimmungen de« Charters einhalte". Daß aber die Compagnie durch den Einfall in Transvaal ihre Rechte überschritten hat, steht außer Zweifel. Noch aber hat die britische Regierung nicht von ihrem Rechte Gebrauch gemacht, den Anstifter des Einfalls, Cecil NhodeS, von seiner Stellung als Direktor der Compagnie zu ent fernen, oder der Compagnie den Charter zu entziehen. Dadurch wird sie vollends mitschuldig. Die politische Folge dieser Vorgänge liegt zunächst darin, daß die Convention von 1884, al« von England gebrochen, hinfällig wird und Transvaal seine Action-freiheit wieder voll ständig zurückerhält. E« wird diese Freiheit in seinem Sinne benutzen: cs wird danach streben, zu einer von den Mächten garantirten Neutralität zu gelangen. Sicherlich wird diese Forderung der südafrikanischen Republik zu einer diplomatischen Aktion führen: wir baden Grund anzunehmen, daß in dieser Actio n die deutsche Regierung die führende Stellung einnehmen wird. Denn daS deutsche Interesse in dieser Sache ist erheblich: Allein in Goldactien sind nach Berechnung von fachmännischer Seite 50 Millionen deutsches Capital angelegt, in Dynamitwerken 15 Millionen, in elektrischen Eisenbahnen 6 Millionen; dazu kommt der deutsche Antheil an den Eisenbahnen des Landes und der deutsche Export. Wie uns bekannt ist, hat eiu Hamburger Export haus, daö im vorigen Jahre für 7 Millionen Mark deutscher Maaren nach dem Transvaal rxportirk hat, eint Eingabe an das auswärtige Amt gemacht, in der ans die schwere Ge fährdung des deutschen Handels durch die englischen Umtriebe hingewiesen wird. So hat Deutschland ein erhebliches Interesse an dtr ge sicherten ^Neutralität der südafrikanischen Republik und an der Zurückweisung der englischen Uebergriffe in Südafrika. Deshalb wird unser Auswärtige« Amt für die Selbstständig keit und Freiheit der Bocrenstaaten mit Entschiedenheit ein- treten. Mit der Niederlage Iameson'S ist die Transvaalfrage nicht beendet, sie beginnt erst jetzt — voraussichtlich nicht zur Freude Englands." Soweit unsere Berliner Zuschrift. Wir können uns mit dem Inhalt derselben umsomehr einverstandeu erklären, als er der Stimmung aller national denkenden deutschen Kreise entgegenkommt. Daß die TranSvaalfrage thatsächlich erst auf den Weg ihrer Lösung gebracht, von einer solchen aber noch weit entfernt ist, kann man aus der Hal tung der englischen Presse ersehen, welche auf dir ersten Nachrichten von dem Einbruch Iameson'S in Transvaal und den ungünstigen Eindruck derselben auf die europäische Diplomatie bin nicht schnell genug ihrer heuchlerischen Entrüstung über das unvorsichtige Vorgehen de« Unter gebenen Cecil Rhode«' Ausdruck geben konnte, jetzt aber, wo eS sich herausstellt, daß Iameson durch sein» Handlungsweise die Gefahr beraufbeschworrn hat, daß Eng» landS Einfluß in Südafrika in die Brüche gebt, mit einem Male all ihre Dreistigkeit und Anmaßung wiedergesunden bat und die Regierung auffordert, auch nicht einen Schritt znrückzuwtichen, da sonst diesem ersten Schritte noch weitere folgen könnten. DaS Bewußtsein ist in England blitzbell aufgelenchtet, daß die Ereignisse in Transvaal eine schwere Schädigung des dominirenden englischen Einflusses in Süd afrika bedeuten, ja daß die panafrikanischen Pläne, welche die englische Regierung durch Cecil Rhodeö verfolge» läßt, dem Scheitern nahe sind. Daß man sich in England ans schwere Kämpfe, zunächst auf diplomatischem Felke, gefaßt macht, läßt sich unschwer zwischen den Zeilen der folgenden Meldung lesen: * London, 3. Januar. Großes Aufsehen erregt hier daS in den heutigen Abendblättern veröffentlichte Telegramm des deutschen Kaiser« an den Präsidenten Krüger. Ungeachtet de- Fehlgriffes und der Niederlage Iameson'S besürworlen die Abendblätter rin entschiedene- A »ftrrten der englischen Regierung gegenüber Transvaal. Die „St. James-Gaz." sagt, die britische Reichsregierung müsse die vorwiegende Macht in Südafrika bleiben. Präsident Krüger und seine Nathgeber müßten selbst im Rausche ihres Siege« überzeugt werden, daß 60 000 Engländer nicht beständig ohne Bürgschaften für eine gute Verwaltung und ohne ordentliche verfassungsmäßige, Rechte gelassen werden können. „Globe" meint, Iameson'S Borgehen möge übereilt und irrig gewesen sein, aber die Be schwerden der Ilttlandrr, die rS verursachten, duldeten nicht längeren Aufschub. England- Staatsmänner sollten nicht zögern, zu zeigen, daß die Oberhoheit der Königin in Transvaal nicht dir Unterstützung einer insolenten Burenoligarchie auf Kosten von Männern englischen BluteS bedeute. Im Laufe der Unterredung mit dem Vertreter einer hiesigen Prrßagentur sagte das konservative Parlamentsmitglied Sir Ashmrad Bartlett, er hätte gehört, obwohl er die Nachricht nicht verbürgen könne» r» seien in Drlagoabai Matrosen von einem deutschen Kriegsschiff gelandet worden. AIS völlig unwahrscheinlich können wir diese Meldung nicht bezeichnen. Wir die Dinge heule liegen, steht die Sicher heit deutschen Lebens und EigenthumS in Transvaal und um Transvaal auf dem Spiele und e« ist daher Pflicht unserer ReichSregierung, daß sie rasch und energisch handelt. Au« diesem Grunde wird auch folgende Meldung der „Ällgrm. Marine- und HandelS-Corr." überall mit Genugthnung be grüßt werden: Wie soeben bekannt wird, hat Sr. Maj. Kreuzer „Condor" Befehl erhalten, sich unverzüglich nach der Drlagoa-Bay zu be geben. Sr. Maj. Kreuzer „Seeadler", der zweite Kreuzer der ostasrikanischen Station, befindet sich bereit- in Lorenzo Morgue«. Die Kreuzer „Condor" und „Seeadler" sind 1892 vom Stapel gelaufen. Sie sind 75 m lang, 10 bez. 12 m breit und besitzen einen Tiefgang von 4,60 m. Da« Deplacement der Schiffe beträgt 1640 TonS, die Maschinen indiciren 2800 Pferdekräfte, die Geschwindigkeit beträgt 15 Seemeilen in der Stunde. Die Armirnng besteht au« acht 10 om-Ge- schützen. Die Besatzung beträgt 159 Mann, nämlich den Com- manvanten, 4 Officiere, 1 Ingenieur, I Arzt, 1 Zahlmeister, 72 Mann seemännisches Personal, 62 Maschinisten, Heizer und Handwerker, 13 Mann Torpedopersonal und 4 Köche und Stewards.--Daß England eS gegrbeuenfall« nicht blo« niu Deutschland zu lbun bekommen kanu, sonderu bei der un bestritten internationalen Bedeutung der TrauSvaalangelegen heit auch mit andren Staaten, beweist da« dringende V-r langen der französischen Presse nach einem Zusammen geben mit Deutschland und den in ähnlicher Weise intrressirten Vereinigten Staaten. Letzter« werden zweifel los — zumal die Vcnezualafrage noch immer brennend ist — nicht auf Seite England« zu finden sein und auch Holland schließt sich, wie heute aus Amsterdam berichtet wird, den Proteste Deutschlands an. Daß in Deutschland alle Parteien, auch die radikalen, in der Verurtheilung der Hai lung Englands und in der Billigung deS Vorgehen- unseres auswärtigen Amtes einig sind, haben wir schon hervorgeboben, halten es aber für angezeigt, diese Thatsache nochmals zu be tonen. Eine besondere Energie entwickelt man in deutsck- colonialen Kreisen, wie folgende Nachrichten zeigen: * Berit», 3. Januar. Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg, Präsident der Deutschen Colonialgrsrll- schast, hat heute sofort nach Bekanntwerden des glänzenden Sieges der Buren über die Polizeitruppe der Chartered^Iompanti dem Staatssecrctair Vr. Leyds die Glückwünsche der Gesellschaft übrrbracht. Morgen findet unter Borsitz des Herzogs eine Sitzung de- Ausschusses der Gesellschaft statt, um zu den Vorgängen in Transvaal Stellung zu nehmen. * Köln, 3. Januar. Die Abtheilung Köln der Deutschen Colonial-Gesell schüft hat heute folgenden Beschluß gefaßt und dem Präsidenten der Gesellschaft, Herzog Johann Albreckr von Mecklenburg, rlngrrricht: „Die Abthetlung bittet das Präsidium der Deutschen Colonial-Gesellschaft, der kaiserlichen Regierung für da- entschiedene Vorgehen gegenüber den neuesten Wirren in Transvaal zu danken und ihr daS Vertrauen auszusprechen, daß sie die deutschen Interessen in Transvaal auch fernerhin wahren und die Unabhängigkeit und freie Selbstbestimmung der südafrikanischen Republik gegen alle un- berechtigten Eingriffe krästlgst schützen wird." Daß diese Wünsche nur dann zum Ziele gelangen können, wenn die Beziehungen Transvaal« zu England auf eine gan; neue Grundlage gestellt werden, wurde schon erwähnt. Darum wird fick zunächst alle« drehen. Politische Lagesschau. * Leipzig, 4. Januar Nach einer Zuschrift der „Köln. Ztg." au« Lachsen nimmt man in Abgeordnetenkreisrn nnl Bestimmtheit an, daß der von der Regierung auf Verlangen der Zweiten Kammer in Aussicht gestellte Gesetzentwurf zur Adänderum, de« Landtags-Wahlgesetze« von 1868 dem Landtage noch in diesem Monate zugehen werde. Der Verfasser der Zu schrist fährt dann fort: „Man beabsichtigt bekanntlich, an dir Stelle der directrn Wahlen, durch welche bei uns jämmtliche Abgeordnete zur Zweiten Kammer gewählt werden, rin indirekte« Wabljystrm zu jrtzrn. Tie soria! demokratische und freisinnige Presse giebt sich alle Mühe, La: Volk gegen die geplante Aenderung auszustacheln. Der Erfolg war bl«her gering, und dtr- Hot die Socialdemokratrn dazu fortgerissen, sich in maßlos hetzerischen Phrasen, die sie im FeeeNletsn. Annalise's Pflegemutter. 3s Roman von L. Haid heim. Nachdruck verboten Annalise's flammende Rötbe wunderte ibn heimlich. Was brauchte das Alles sie so verlegen zu machen? Er wußte nicht, daß die Baronin Annalise gesagt.hatte, ihre Eltern seien als Bettler gestorben, und man habe sie eben in ein Waisenhaus bringen wollen. Er ahnte noch weniger, daß diese Frau es für ihren Zwecken gemäß ge halten hatte, Annalise glauben zu lassen, eS rube irgend etwas Schimpfliches aus den beiden Todten. Au« diesem Gefühl heraus, daß ihre Eltern nicht tadelfrei gewesen, war sie flammend roth geworden, und Alfred Glogowsky begriff nickt, warum. Sie sagte eS ihm natürlich auch nicht. Um rasch das Gespräch zu ändern, fragte sie ihn lebhaft nach diesem Herrn Sonnegg, was er sei, wie er auSsähe, und interessirte sich doch nicht sonderlich dafür, daß er ein junger Naturforscher sei und die akademische Laufbahn erwählt habe: noch weniger, daß er ein blonder, echter Angelsache sei, sein Vater ein Sohn Westfalens, er selbst so ein rechter westfälischer Dickkopf, ernst, verständig und kühl und, wo es sein Recht gelte, eigensinnig und zäb bi« zum Aeußersten. „Kein mir sympathisches Charakterbild!" meinte Annalise und warf das Köpfchen auf. Er lachte heiter: „Einem Romanhelden gleicht er freilich >il keinem Zuge, aber er ist eia ganzer Mann, und ich habe ibn eingeladen, Sie zu besuchen, Annalise." „Wir würden ihm selbstverständlich alle Gastfreundschaft crlveisen; aber er wird nicht kommen, ich Ware ja in seinen Augen doch nur die Tochter eine« verlorenen Sohne«." Sie wurde wieder sehr roth. „ES geht in der Seele Annalise's viel lebhafter zu, als sie glanben machen will", dachte Graf GlogowSkv und sah sie. immer mehr anaesprochen durch die« reizende Erröthen, mit größerer Theilnabme an. Adele Iwanowna überlegte sich, daß sie dem Stiefsohn nicht so schroff ablehnend begegnen dürfe, wie dem verhaßten Lchwiegervater. Damit war denn aber auch dieser nicht mehr z« vermeiden. Die beiden Herren wurden also zum Diner geladen; zum ersten Mal nach ihres Gatten Tode verließ sie da« Zimmer. Die Männer erschraken vor der Verwüstung, welcke der Kummer" in ihren Zügen angerichtet batte. Hohläugig, graubleich und unbeschreiblich feindselig blickte daS ganz klein gewordene gealterte Antlitz unter der Wittwenkappe und am Trauerschleier hervor. Sie war immer hager, jetzt schien sie zum Erschrecken abgemagert. Aber um die hohe, knochige Gestalt wallten verschönernd und verhüllend die reichen Falten der kostbaren Robe von englischem Crepp; vornehm und elegant sah Adele Iwanowna immer aus, nie mehr al« heute. Der Ernst der ersten Trauerzeit und die guten gesell schaftlichen Formen halfen über die drückende Schweigsamkeit der Baronin hinweg: wenn Annalise's Harmlosigkeit nicht so ganz natürlich gewesen wäre, sie müßte bemerkt haben, daß die Blicke ihrer Pflegemutter sich verschiedentlich trotzig und feindselig mit denen de« Schwiegervater« kreuzten. Graf Alfred entgingen sie nicht; ihm war diese stark alternde Fra» auch früher schon wenig nabe getreten. Sie hatte zwar, al« er noch ein Knabe war, alle Mutterpslichten gegen ibn erfüllt, gewissenhaft und freundlich; dann aber, als er selbst sich der Kinderstube entwachsen fühlte, batte sie ihm auch alle Freiheit gestattet, selbst die, sich mit dem Baron von Platow ins Ausland zu begeben. Alfred GlogowSkv wurde von seinen Zinsen sebr liberal gehalten, war auch im Grunde anspruchslos, so daß er nie mals Mangel litt; daher war eS ihm bis jetzt gleicbgiltig ge wesen, wer sein Geld verwaltete. Die Baronin hatte Boris mit einem Wink entlassen, Marfa wurde später auch binauSgeschickt, man war beim Mocca an- gekommen; sie selbst bot den Herren den goldgelben, feinen türkischen Tabak und rollte ihre eigene Cigarette mit tadel loser Kunstfertigkeit. „Sie sagen, da« ganze Vermögen Ibre« Großonkel« ist an die Verwandten der Fran gefallen, Alfred?" fragte sie, um nur zu sprechen. Man hatte eben von dem Tobe dieses Vetter« seine« Vater« geredet. „Ganz richtig, Baronin! Es war ein großes, schönes Vermögen", bemerkte der Staatöratb. „Man kann de- Geldes nie zu viel baben, nickt wahr, liebe Tochter?" Sie fühlte, was er sagen wollte, und auf ihre Wangen traten rvthe Flecke. Gleich darauf redet» er von der Selbstständigkeit, welche eines jungen Mannes Charakter stähle, und die man ihm nie verkümmern dürfe. „Nebenbei gesagt, liebe Adele", sagte er dann, sich ihr wieder ruwendend, und auf seinem Gesichte malte sich die innere Aufregung, „habe ich Alfred gesagt, daß Sie lebhaft wünschen, ihm sein Vermögen, welches unser theurer Ge schiedener so treu verwaltet hat, zu übergeben, nachdem unser geliebter Sascha es in ihre Hand zurückgelegt. Sie werden wohl nichts dagegen haben, daß wir morgen die Geld angelegenheit ordnen. Sie wissen, wie viel Alexander daran lag, Ihnen die Last der Verwaltung abgcnommen zn sehen I" Er hatte ausfallend langsam gesprochen, als mache r« ihm Mühe, die Worte zu bilden; aber seine Stimme klang eisenfest. DaS waren die einzigen Zeichen seiner Erregung, außer den rothen Fieberslecken. Und dabei hielt er den Blick fest ans die Wittwe seines Sohnes gerichtet. Es war gewesen, als wolle diese vom Stuhl empor schnellen, als ob ein leidenschaftlicher Protest ihr auf den Lippen schwebe. Er hatte sie richtig überrascht. Sie kannte ihn nur viel zn gut, um nicht etwas AebnlicheS erwartet zu haben; aber daß er so kühn und mit so eiserner Stirn ihr jetzt schon gegenüber treten würde, kam ihr nun doch zu früh. „Ich bin Ihnen sehr dankbar, Excellenz!" hatte Alfred Glogowsky mit einer Verbeugung gegen diesen flüchtig erwidert. Zu seiner Stiefmutter wandte er sich dann entschuldigend. „Ich würde unendlich bedauern, Mania. Sie in Ihrem ge rechten Schmerze mit Sacken von untergeordneter Wichtig keit zu behelligen. Excellenz batten die Güte, mir indeß zu sagen, daß Sie unter der Bürde der Verantwortung, welche Ihnen zeitweilig Ihr Gemahl abgenommen batte, sebr litten, und wenn eS in der Tbat Jbr Wunsch ist, sich so sämell wie möglich von dieser Last befreit zn sehen, so bin ich meinerseits bereit, selbstständig —" Ein ganz seltsame«, klangloses Lachen der Stiefmutter unterbrach ihn. Er fubr rusammen und blickte sie erschreckt an. Annalise ging e« ebenso. und die Baronin lachte noch, da« heißt ibre Lippen lackte», wäbrend in den Augen keine Spur von Freude auf» leuchtete. „Von dieser Last befreit ,u sehen!" murmelte sie und faltete die Hände auf dem Tische. Plötzlich kam ihr zum Bewußtsein, daß zwei ihrer Tisch geführten sie völlig verständnißlo« und sebr erschreckt ansaben. DaS brachte sie wieder zu sich. Ein Schüttelfrost machte sie erschauern und dann sagte sie, sich zusammennrbmend: „Ja, jawohl, e« lag Alexander viel daran I" Der Staatsrath hatte glänzend gesiegt. In seinen Augen blitzte der Triumph auf; dennoch wagte er nicht, aus die Dauer diese« Sieges zu boffe»; die Nachgiebigkeit, auf die er doch fest gerechnet batte, und daS seltsame Wesen Adele Iwanowna - waren ihm unheimlich. Sit hob die Tafel auf mit der Bitte, fick zurückzicben zn dürfen. ch Graf Glogowsky forderte Aunalise zu einem Spaziergang ans, der Sommerabend ließ sich seit vielen Tagen zum ersten Mal köstlich an. Daß Se. Ercellenz sie nickt begleiten konnte, tag auf der Hand, aber warum sollten sie auch nicki allein gehen? Am Ufer der rauschenden Enz gab e« Spaziergänger die Men«. Mit einem stummen Neigen des KopfeS willigte die Baronin ein, und tief aufathmend, voll Sehnsucht nack Bewegung und frischer Luft, lief Annelise, sich zurecht zu machen. Die Herren empfahlen sich, der Graf wollte die Letztere im Vestibül erwarten. Die Baronin schien, als ihr Schwiegervater ihr in dank barer Stimmung die Hand bot, sie nicht gesehen zu haben und batte sich nur eiskalt verbeugt. Er triumpbirte um so mehr. Sie haßten sich nie so glühend, wie heute: die kon ventionelle Heuchelei war ihm fast amüsant. Seit vielen Tagen batte er sich nicht so ruhig gefühlt, so befriedigt. „Ich babe sie bezwungen, mein armer Alexander, Du liegst mit Ebrrn in Deinem Grabe!" murmelte er, und die Stelle in seinem Herzen, die noch Empfindung batte, ge hörte der Liebe zu dem todten Sobn. E« fiel ihm gar nickt ein, ru denken, daß er al« ein Ehrloser gestorben sei. Adele Iwanowna stand, al« sie endlich allein geblieben war, wie ein Steinbild in ihrem Zimmer und sah vor sich hin iu« Leere.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite