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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.02.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-02-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960205013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896020501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896020501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-02
- Tag1896-02-05
- Monat1896-02
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Größere Schriften laut unserem Preis. vrrzKckniß. Tabellarischer »nd Zifferwap nach höherem Tarif. krtra-Beilagen (gesalzt), nur mit d« Morgen.Ausgabe, ohne Postbesürderlu^ 60.—. mit Pvstbeförderung 70.—. Ännatfmeschluß für Anzeigen: Abrnd-Ausgabe: PounittagS 10 Ulir Morgen-AuSgabe: Nael-mittags 4Uhr. Für dir Montag.Morge».Ausgabe: Sonnabend Mittag. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an dre Erpeditiou zu richte». Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. SV. Jahrgang. Zur Wahlrechtsfrage. 8. Die Nackricht, daß die Staatsregierung den jetzt versammelten Kammern eine Vorlage wegen Abänderung deS Landtag-Wahlgesetzes machen werde, bat, wie es scheint, in manchen Kreisen eine gewisse Beunruhigung bervorgebracht. Daß die Socialdemokraten Feuer und Flamme dagegen speien würden, war vorauSzuseken; denn gegen sie und nur gegen sie ist eine solche Aenderung gerichtet. Und doch haben eigentlich sie den ersten Anstotz dazu gegeben. Durch ibren in die 8. Kammer gebrachten Antrag, das Alter der Wahlberechtigung von 25 auf 20 Jahre zn erweitern, boten sie den sogenannten „staats- erhaltenden Parteien" (einschließlich der alten sächsischen Fort schrittspartei) begründeten Anlaß, zu erklären, daß nickt eine Erweiterung, sondern eine schärfere Begrenzung des Wahl rechts durch die veränderten Verhältnisse anzezeigt sei. Und verändert sind die Verhältnisse in den nahezu 30 Iabren seit dem Erlaß deS bestehenden Wahlgesetzes (1868) allerdings, und zwar in doppelter Hinsicht. Einmal ist durch die Entwertbung des Geldes und durch die — Gott sei Dank! — wesentlich gesteigerten Arbeitslöhne der Steuersatz von 3 der die Wahlfähigkeit verleiht, ein so niedriger geworden, daß dadurch die Zahl der Landlagswähler fort und fort wächst und kaum noch sehr verschieden ist von der Zahl der Reichstagswähler. Sodann ist durch das l871 eingeführte Reichsbürgerrecht die Erwerbung der sächsischen Staatsangehörigkeit dergestalt erleichtert, daß Jeder, der aus einem andern deutschen Staate nach Sachsen übersiedelt, ohne alle Weiterungen und fast kostenlos sächsischer Staatsbürger werden und als solcher bei der nächsten Landtagswahl mitstimmen kann. Durch alles diese« wächst die Zahl der Wähler aus dem Arbeiterstande stetig so sehr, daß sie allmäblich die der Wäbler aus anderen Gesellschaftsklassen überwiegt. Das wäre an sich gewiß kein Unglück. So gut unter dem ständischen Wahlsystem von 183l ohngefähr ein Drittel der Zweiten Kammer aus bäuerlichen Abgeordneten be stand, eben so gut könnte jetzt ein Tbeil derselben aus Arbeitern bestehen, zumal da unsere Arbeiter von heule den Bauern vor 50, 60 Jahren an Bildung gewiß nicht nach- stehen. Ja, es wäre ein Vortheil, wenn auf diese Weise die Zustände, die Wünsche, die gerechten Beschwerden des Arbeiter- ftandrS im Landtage offen zur Aussprache kämen. DaS Unglück ist nur, daß dieses wachsenden UebergewicktS der Arbeiter stimmen größtentheils die Socialdemokratie sich bemächtigt und daß sie bebarrlich darauf ausgeht, nicht unbefangene und einsichtige Arbeiter, sondern nur „zielbewußte Genossen" in die Kammer zu bringen, welche dann ihre Eigenschaft als un verantwortliche Abgeordnete nur zu häufig dazu mißbrauchen, durch oft sehr unbegründete, ja geradezu verleumderische An griffe auf die bestehenden Staatsemrichtungen Unzufriedenheit und Haß im Volke zu verbreiten. Dem mußte gesteuert werden, so lange es noch Zeit war. Wenn die Socialvemokraten jetzt gegen sede Abänderung des Wahlrechts protestiren, als sei dieses etwas schlechthin Un antastbares, Geheiligtes, so vergessen sie. daß sie selbst zuerst eine solche Aenderung beantragt haben. WaS aber dem Einen reckt ist, das ist dem Ändern billig, und wenn sie sick befugt glaubten, im Namen der „Freiheit", wie sie solche verstehen, die Grenzen des Wahlrechts immer weiter zu stecken, so sind die staats- erhaltenden Parteien und ist vor Allem die Negierung nickt blos berechtigt, sondern verpflichtet, daS Gegentbeil zu thun, so weit dies zur Erhaltung der bestehenden Staatsordnung als notbwendig erscheint. Die „bürgerlichen Elasten" haben sicherlich keinen Grund, einem solchen Beginnen mit Mißtrauen oder Bcsorgniß zuzuschauen, oder gar von vornherein „Stellung dagegen zu nehmen", zumal ehe sie wissen, wie diese Aenderung des Land- tagswahlgesetzes beschaffen sein wird. Zur Zeit ist weder die Regierungsvorlage selbst nur in ibren Grundzügen, ge schweige in ibren Einzelheiten bekannt, noch läßt sich voraus- bestimmen, welche Gestalt dieselbe in den parlamentarischen Verhandlungen annchmen wird. Man läßt sich nun, wie es scheint, durch zwei Schlag- Wörter erschrecken, oder will Andere damit in Angst setzen: „indirekte Wahlen" und „Dreiclassensystem". Nun, was die ersteren betrifft, so bat Baden, welches stets zu den freiesten Ländern in Deutschland gehörte, die indirecten Wahlen selbst 1848 beibehaltcn. Und ebenso Weimar. In Sachsen wurde 1848 zum Frankfurter Parlamente indirekt gewählt und siche da, von 24 so gewäbltcn Abgeordneten waren 20 radical, ein schlagender Beweis, daß das indirecte Wahlsystem wenigstens nicht seinem Wesen nach reactionär ist. Gegen das Dreiclassensystem läßt sich vielleicht Manches sagen, jedenfalls aber hat es vor jeder andern Einschränkung des Wahlrechts (z. B. durch Erhöhung des Eensus oder des Alters) den Vorzug, daß Keiner, der jetzt im Besitze des Wahlrechts ist, dasselbe verliert. Wenn, wie eS heißt, die Absicht besteht, jedem Steuerzahler das Wahlrecht zuzusprechen (wie das in Preußen geschieht), nicht, wie jetzt, blos Len Dreimarkmännern, so würde das jetzige Wahlreckt sogar eine Erweiterung erfahren. Nur die Ausübung des Wahl rechts erfährt durch das Dreiclassensystem insofern eine Abwandlung, als nicht mehr blos die Kopfzahl ent scheiden, sondern auch die Leistungen der verschiedenen Gesell- schaftsclassen für den Staat (wie sie in der Einkommensteuer ausgedrückt sind) zu ihrer Geltung kommen sollen. Speciell die bürgerlichen Classen werden dabei keineswegs schlecht fahren. Sie werden voraussichtlich in der Hauptsache die zweite Claffe bilden. Die von ihnen gewählten Wahlmänner werden dann, je nach Umständen, entweder an denen der ersten Classe eine Unterstützung gegen eine Ueberfluthung durch die der dritten Classe, oder umgekehrt an letzteren eine solche gegen eine einseitige Interessenvertretung der ersten finden. Auf alle Fälle wird man gut thun, seine „Stellung" zu der Regierungsvorlage nicht eher zu fixiren, als bis man diese in allen ibren Tbeilen sammt ihren Beweggründen genau kennt. Sonst könnte man leicht in den Fehler jenes demo kratischen Abgeordneten im Landtage von 1849 verfallen. welcher sagte: „Ich kenne die Gründe der Regierung nicht, aber ick mißbillige sie." Ztöcker und die Conservativen. Wie vorauSznschcn war, baden in der conservativen Presse die Auseinandersetzungen über das Ausscheiden Stöcker'S ans der Partei allsogleich nach dem Eintritt des Ereignisses begonnen. Wir sprechen auch beute wieder von einem Aus scheiden ans der Partei, obwobl andere Blätter mit einem solchen den Austritt auS Parteileitung und Fraction noch nickt identificiren wollen und auch der conservative „NcichSbote", übrigens im Widerspruch zu seinen sonstigen Ausführungen, von denen noch die Rede sein wird, die Hoff nung nicht ganz aufgeocn will, daß Slöcker der Parier erhalten bleiben werde. Wir bleiben bei der schon aus gesprochenen Ansicht, daß die Verbältnisse, in diesem Falle die vom „Volk" ausgehende Ägilation, sich stärker erweisen werken, als die Menschen. Ein Mitglied der conservativen Partei, wenn auch kein beoeulendes, der frühere NeichstagSabgeorenete Krug v. Nidda, bat „wegen der Procedur gegen Slöcker" bereits seinen Austritt erklärt. Mögen Andere formell diesen Schritt nachtbun oder nicht, jedenfalls bleibt eine Gruppe, von der Slöcker sich direct abwenden würde, wenn er ans die Dauer versuchen wollte, zn thun, als ob nichts geschehen wäre. Um nun auf die Preßauslassungen zu kommen, so erscheint die „Kreuz,zeitnng" mit einem Artikel auf dem Plan, der in seiner Hinterhältigkeit von Slöcker geschrieben sein könnte, wenn nicht einige Ungeschicklichkeiten seine Urheberschaft aus schlössen. Stöcker würde nickt, wie der Artikel eS thul, von einer Darstellung, die er als erschöpfend angesehen wissen will, „die auf genauer Kenntniß der wirtlichen Vorgänge beruht und nichts beschönigt oder verschweigt", gesagt haben: „Von diesem und jenem darf ich nicht reden." In Wahrheit theitt die „Kreuzztg." nichts mit. Sie giebt die Parole aus: „Getrennt marschiren und vereint schlagen", sie versichert, daß „eine nennenswerthe Abweichung der Ansichten" nicht bestehe und nur „ein Zusammentreffen widriger Umstände anderer Art (welcher, wird eben nicht gesagt) in diesem Augenblick zur Trennung führen konnte", kurz, daß im Grunde Alles beim Alten geblieben sei. Das wäre ja, wenn auch nicht sehr glaubwürdig, Loch eine klare Meinungsäußerung. Aber der Artikel ist so vieldeutig, daß es nicht als cmsgescklossen betrachtet werden kann, er wolle, statt, wie ans den Schlußsätzen bervorzugeben scheint, die Freunde Stöcker'S innerhalb der Partei begütige», das gerade Gegentbeil bewirken. Ganz anders der „Rcichsbote". Er theilt unsere Meinung, daß Stöcker von nun ab deni „Volk" noch näher stehend scheinen wird als bisher: „Das „Volk" wird seine socialistiscke radieale Tonart weiter cultiviren, und Slöcker wird, obgleich er weder als Geistlicher, noch als conservativ gesinnter Mann, der er ja doch immer bleiben wird, das billigen kann, in der OeffentUchkelt noch mehr wie bisher für die Politik des „Volk" verantwortlich gemacht werden." Stöcker, so meint daS Blatt weiter, wird ihm, „tvenn er nicht mit seiner Vergangenheit brechen und mit seiner geistlichen Tbätig- keil in Conflicl gerathen will", nicht folgen können. Und nun der Ausweg: „Stöcker kann unseres Erachtens ebenso wenig als Agitator für eine radicale sociale Partei wirken, wie für eine radieale ankiseinilische, und desbalb ballen wir es für das Richtigste, wenn Stöcker sich nunmehr von dem politischen Leben ganz zurückzöge und sich auf seine geistliche Tbätigkeit und aus sein Wirken auf dem Gebiete der inneren Mission beschränkte und dadurch auch den Geist lichen, welche in Gefahr stehen, sich in socialpolilische Bestrebungen zu verlieren, wieder zurecht hülfe". Der „Reichsbote" legt also ein Pflaster auf die Wunde in Gestalt eines — nicht unberechtigten — Lobes der Missionslhätigkeit Stöcker'S und richtet zugleich eine Mabnung an die Conservativen: „Jeder conservative Mann kann es nur auf das Tiefste beklagen, daß diese Scheidung nöthig wurde — nöthig durch die Haltung eines Blattes, die auch Anderen, welche ihm jetzt Nachfolge», verbängnißvoll werden wird. Die politische Metbode dieses Blattes ist aber dieselbe, welche durch v. Hammerstein eingcführt wurde, den das „Volt" als sein politisches Vorbild — wir erinnern nur an einen Artikel zu seinem 50. Geburtstage — gefeiert hat. DaS ist jene Methode, welche, auch wo sie mit der Wahrheit bantirt. letztere mit verletzender Bitterkeit, Schärfe und Haß vermengt und dadurch überall verbetzt, verärgert, brouillirt, aber eine kleine Anzahl radical gerichteter Geister mit enthusiastischer Verehrung um sich sammele. Diese Methode, so sehr sie auch wegen ihrer scheinbare» Erfolge eine Zeit lang bewundert wird, muß jeder Sacke und Partei verhäugnißvoll werten, denn die Wahrheit selbst reagirt gegen solchen Mißbrauch. Aber vielleicht nock enger wie Stöcker zum „Volk" stehen andere Mir alieder der conservativen Partei zu anderen Organen, die eine ähnliche Methode handhaben. Das „Volk" hat jene Methode vorzugsweise auf socialem Gebiete angewendet..." Beachtet man, daß der „Reicköbote" von der „Methode" spricht und daß er zu erkennen giebt, daß er ein nicht vorzugsweise social aufbetzendes Organ ge nannt wissen will, so wird man finden, daß die Anspie lung aus lein anderes Blatt zehen kann alS die — „Kreuz- zeitnng". Der „Neichsbote", ein Gegner der Ägilation für den Antrag Kanitz und die Doppelwährung, ist also auch nach der Entfernung Hammerstein's mit dem leitenden Parteiorgan nickt zufrieden, »nd er bat als wirklich conser vatives Blatt allerdings auch leinen Grund dazu. Mau muß abwarten, ob dieser Tadel ein Echo i» der Partei findet. Im klebrigen thut der „ReichSbore", wie übrigens auch die „Kreuzztg.", um den vorausgesehenen verschärften Angriffen des „Voll" zu begegnen, dar, daß die conservative Partei ihrem socialpolitischen Programm treu geblieben ist. Das „Volk" selbst beginnt, wie wir voransgesagl baden, die „neue Äera" mit einem Angriff aus die „Mittelparteien." Feirrlletsir. Ein Gesuch bei Röntgen. Nachdruck »«rieten. Eine wobltbuende frische Brise wehte auf der schönen neuen Luitpold-Brücke vom Mainthal herauf. Vor uns das altehrwürdige Würzburg mit seinen vielen spitzen Thürmcken, rings die Weinberge, darüber der klare Winterbimmel. Zur Stadt herein führt von hier aus eine neue breite Straße, der Pleicher-Ring, seine nördliche Seite geschickt angelegte Promenaden-Anlagen, die südliche eine stattliche Anzahl neuer Gebäude, zuerst die Anatomie, dann das physiologische Institut — unschwer als öffentliche Gebäude erkennbar, das dritte in der Reihe fast wie eine herrschaftliche Billa, einstöckig, große Fenster, ruyige vornehme Architektonik. Mit der Nord-Ost front lebnt sich dasselbe an den botanischen Garten an, der die ganze Pracht und den Woblgeruch seiner zahlreichen, seltenen Coniferen gerade in diese Ecke gesetzt hat. Und wenn der vom Schauen und Schaffen ermüdete Blick des großen Gelehrten, der hier wohnt, auSruben will, so trifft er auf da« erfrischende Grün der Tannen, Fichten, Cypreffen und Cedern. ES ist Röntgen's Arbeit-- und Wohnstätte, daS physikalische Institut der Universität! — DaS eiserne Thor ist schon deS Hörsaals wegen offen. Eben gebt ein Stephansbote herein, schwer beladen. Keine Kleinigkeit, täglich ungefähr 200 Briefe und Sendungen hierher schaffen. Möchte nur wissen, wie viele davon unbeantwortet blecken müssen. ES ist klar, daß der so rasch berübmt gewordene Forscher mit den unglaublichsten Anfragen belästigt wird. Es ist des HervorbebenS werth, daß er die weitgehendsten Rücksichten von seinen Würzburger College« erfährt. Eie betrachten ihn mit einer Art heiligen Scheu und stören seine Kreise nicht. Mein Empfehlungsbrief lockerte sich jetzt in der Tasche und machte energische Eigenbewegungeu, um an da« Ziel seiner Bestimmung zu gelangen! In der Hand wiegt er zwar leicht, aber sein Inhalt ist gewichtig. Kein Geringerer als der ehrwürdige von Kölliker, das Alpha und Omega der Universität, wie ihn selbst von Leube, der derzeitig« üoetor magniticus, nannte, bat den Einlaßschein zum Allerheiligsten des physikalischen Instituts mit seiner empfehlenden Unter schrift versehen. Der Fuß zögerte noch auf der Schwelle j es machte doch iinmerbin etwas Unbehagen, auch zu den Störern sich rechnen zu müssen! Da hat nun doch der naseweise Zeigefinger fast unbewußt den Weg zum elektrischen Drücker gefunden. Bei der Oeffnung schlüpft irgend Jemand in Cylindcr und Pelz hinter mir auch »och Herrin. Bevor ich mich selbst d«r wärmenden Hülle entledigt, ist er schon bei Röntgen drin. Vermnthlich ein Staatsexaminand. Inzwischen geleitet auch mich ein altes Factotum herein. Professor Röntgen, ein großer stattlicher Vierziger, brünetter langer Vollbart, schöne klare Augen, herzgewinnendes Wesen — und sonst — Bescheidenbeit vom Kopse bis zur Zehe. — Ihm gegenüber meine flüchtige Bekanntschaft vom Corridor. LIr. vr. so und so. Herr vr. so und so. Gegenseitige Verbeugung, dann nahm der Fremde seine schon vorder beliebte Stellung wieder ein. Arme verschränkt, an den Tisch gelebnt, stolz und frei wie ein Spanier — wollte sagen Amerikaner. Muß der Jüngling Frost haben, dachte ich mit einem Blicke von seinem Pelz nach dem Thermometer des warmen Zimmers. Und nun ging thatsäcklich das Examiniren los. Ich hatte also Recht gehabt. Nur fand es englisch statt, und der Geprüfte war Röntgen. Wann sind Sie auf diese Entdeckung gekommen, Professor? Wie sind Sie auf diese Entdeckung gekommen? Haben Sie sich schon lange damit beschäftigt? Womit batten Sie sich früher beschäftigt? Haben Sie die Entdeckung schon verwerthet? u. s. w. Gründliche Leute, diese Amerikaner! Mit feinem Lächeln frug Röntgen, ob er nicht vorher seine Broschüre über die X-Strahlen gelesen habe. Ah, oh, allerdings. Aber — ganz Amerika ist voll von Bewunderung über Ihre Erfindung, und ich muß ausführlich in einer Zeitung darüber berichten. Fast ungehalten wehrte Röntgen ab und begann dann sofort mit seinen Versuchen. Der Amerikaner mußte mit mir in einem dunklen Neben raume in einen gänzlich abgeschlossenen Blechkasten — etwa von der Größe einer Sänfte — schlüpfen. Dicht davor stand eine sogenannte Hittorf'sche Röbre, welche soeben erst noch luftleer gepumpt worden war und desbalb ausgezeichnete Ergebnisse lieferte. Der Betrieb ging von einem ziemlich großen Ruhmkorff'schen Funkeninduclor aus, rer im Empfangs zimmer stand. In unserem dunklen Käfig konnte man hinter dem vor- gehaltenen Fluorescenzschirm, sobald der Strom arbeitete, daS eigenartige Wetterleuchte» der X-Strahlen deutlich wahr nehmen. Durch ein ganz dickes vorgehaltencS Buck gingen die Strahlen hindurch, als wenn kein Hinderniß da wäre. Geradezu verblüffend wirkte es, als die Hand die Stelle des BucheS einnahm, und nun daS ganze knöcherne Gerüst so deutlich sichtbar wurde, wie wir es an den bekannten Photographien bereit« mehrfach bestätigt fanden. In gleicher Weise werden dicke Holzplatten und dünne Metallplatten durchdrungen. Nur Blei ist fast undurchlässig, fast ebenso Zinnober. Doch will ich durch Wiedcrauszählung dieser und anderer Einzelheiten, die längst von der Tagespreise berichtet sind, nickt ermüden. Nur die eine Tbatsache, die eine unübersehbare Fluth von Versuchen in der ganzen gebildeten Well hervorgerufen bat, soll noch einmal Erwähnung finden: Die photographischen Trockenplatten sind empfindlich für X-Strahlen! Die mediciniscke Wissenschaft hat sich zuerst und mit Feuereifer dieser Erfahrung bemächtigt, und täglich werden Erfolge und Verbesserungen der neuen Methode berichtet. Es läßt sich noch nicht recht übersehen, wo die Grenzen dieser Kunst, in das Innere des Menschen zu sehen, liegen und was der menschliche ForschungSgcist ausbieten wird, sich alle technischen und chemischen Hilfsmittel nutzbar zu machen. Jedenfalls schlafen jetzt in Europa Hunderte von un bekannten Erfindern. Man kann aber gerade hier vermuthen, daß es sich auf solchem Gebiete öfters um Gleichzeitigkeit von Erfindungen und Entdeckungen bandeln wird, und wir sehen schon, wie sie sich in den Haaren liegen, betreffs der Priorität. Röntgen selbst wird bei allen weiteren Fortschritten, zu denen seine Entdeckung anregt, immer nur der Physiker bleiben. Und er weiß sehr wohl, wie viel für ibn noch zu thun ist. Zunächst hat er aber doch immerhin durch Auf stellung zweier Lehrsätze eine gewisse Grundlage geschaffen: 1) Die neuen Strahlen sind durch Linsen oder Prismen irgend welcher Art nicht zu brechen. 2) Der Magnet ist nicht im Stande, die X-Strahlen ab zulenken. Nach Beendigung der Experimente zeigte Röntgen noch seine zahlreichen Photographien, die nächstens im Handel er scheinen werden. Besonderes Interesse erregten hierbei die jenigen, welche den Inhalt verschlossener Kästen zeigten oder durch verschlossene Thüren hindurch ausgenommen worden waren. Mit wärmstem Danke für die Wunde» der vorgesührten Experimente und für di? geopferte Zeit verabschiedete ick mich. Da der Amerikaner nock immer Frost zeigte und auch Miene machte, seine» unstillbaren WiffenStrieb durch weiteres „Local schinden" zu beweisen, brachte ich eS nickt übers Herz, einen AbschiedSgetanken unausgesprochen zu lasse»; Röntgen möge auch den anderen Hörer recht bald los werden! Leider entzieht es sich meiner Kenntniß, ob der fromme Wunsch in Er füllung ging. Die frische Winterluft brachte eine erwünschte Abkühlung für die überwältigenden Eindrücke der letzten halben Stunde. Noch vor wenigen Monaten bälte man — ohne Vorkenntnifse — diese Experimente für eitel Zauberei ballen können. Wer im Lausenden geblieben ist über die großartigen Fortschritte der Elektricität, wer schon vorder etwas über die Eigenschaften der Kathodenstrahlen gekört oder gelesen bat, wer von den Versuchen von Crookes, Hitlorf und Lcnard wußte, der begreift, daß Röntgen mit seiner Entdeckung zwar keinen Sprung, wohl aber einen sehr großen „geistreichen* Schritt vorwärts gethan hat. ES muß also bestätigt werden, daß Röntgen seine Vorgänger batte, aus die ein Theil des Ruhmes fällt, aber es bleibt noch genug übrig für den de sckeidenen und verdienstvollen Würzburger Gelehrten, auf den das deutsche Volk mit Stolz blickt! Bei der Bedeutung einer so weiltragenven Entdeckung ist es erklärlich, daß das große Publicum, weil von fatschen Voraussetzungen geleitet, geneigt sein wird, übermäßige Hoff nungen zu hegen. Ja, man gebt soweit, zu vermuthen, daß eine sogenannte „gründliche" Untersuchung bestimmter Leiden nun nicht mehr nöthig sein werde. Ein Kranker frug dieser Tage ganz ernsthaft, ob die X-Strahlen auch durch Len Mantel hindurch gingen? Er sah sich im Geiste in seinen, Winterkleids bereits vor einem „Röntgen-Apparat" zum Zwecke des Photographirens seines weriben Innern sitzen. Es ist schwer, bei solchen Vermutbungen ernsthaft zu bleiben, weil sie weit über die Grenzen des Erreichbaren hinausgehen. Die gute alte Methode der gründlichen persönlichen Unter suchung wird nie überflüssig werden, denn der Arzt wirb sick nie begnügen, zum Erkennen menschlicher Gebrechen bloS das grobe Material von Fleisch und Knochen zu betrachten und deren Febler zu bessern, sondern er wird auch auf Seele und Geist berubigend und lindernd einwirken wollen! Nach diesem GesichtSpuncte muß der täglich masseiihasl auf den Markt gebrachte Stoff über die Röntgen-Entdeckung beurtbeill und gesichtet und nebenbei recht hübsch abgewanel werten, bis die Fachleute selber auS dem Stadium deS Ver suchs herausgetreten sind. Zum Schluffe mögen die Worte von Leube's Platz sinden, welche er in Würzburg am 2. Januar d. I. am Jubiläums tagc der Universität sprach: „Heutzutage beschäftigt sich mehr oder weniger Jeder mit medicinischen Fragen, nicht nur weil eS in der menschlichen Natur liegt, dem kranke» Ver Hallen des eigene» Körpers — gewöhnlich mehr als gut ist — seine Aufmerksamkeit zuzuwenden, sonvern auck deswegen, weil in unserem Zeitalter die Tagespreise eS sick zur Ausgabe macht, den Gebildeten über diese und jene Krank beit, über neuentkeckle Behandlungsmethoden, Arzneimittel nnv anderes auf dem Laufenden zu erkalten. Zweifellos kann hiermit auch geschadet werden, indem ganz gewöhnlich, oft in bester Absicht, dem Laien unverstandenes, unausgellärtes und aufregendes Material geboten wird und in weiten Kreisen falsche Vorstellungen über die Wirkung neuer Heilmethoden geweckt werten. Aber den Vortheil wenigstens bat die Be sprechung der medicinischen Tagesfraaen in der Presse, daß die allgemeine Tbeitnabme an den Fortschritten der wissen schaftlickcn Medici» lebendig erhalten wird und neben vielem Unkraut auch die reife Frucht der Forschung auf dem Gebiete der Pathologie und Therapie zur Kenntniß de« großen PublicumS kommt. Or. —kr—.
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