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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.11.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-11-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18931129026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893112902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893112902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-11
- Tag1893-11-29
- Monat1893-11
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i« Stadt, tetra Au». Uch.al»LO. llung in« xjogk» für ertel>ahr>ich anbiendung 7.S0. leNorgeu-Aa^ab« erscheint täglich'/,? Uhr, tu Ldead-Äurgabe Wochentag« ö Uhr. lltkrtion vad Lrpedilion: Aatzaunktgaffc 8. tz,k«kkloa ist Wochentag« auunterbroche» gryiet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filialen: x»>c»«'s Sarti«. Olfre» Hatz«), UniversitätSskraße 1, iloutS Lösch«. >Mi»n>str, I», pari, und SönigSplatz 7. Abend, Ausgabe. Anzeiger. Organ für Politik, Localgeschichte, Handels- und Geschäftsverkehr. Anzetgen-Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Psg. Neclamen unter dem Redaction«strich l4ga» spalten) b0-Z. vor den Familiennachrichte« chgcjpaiten) 40 Größere Schriften laut unserem P cciS- verzetchniß. Tabellarischer und Zificrujatz nach höherem Tarif. <Kptra-vkt>a«rn (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Poslbesürderung M.—, mrt Postbeförderung -sl 70.—. Ttanalsmeschlub für 7l.n)eigeu: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morge a-Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Sonn- und Festtags früh ',,9 Uhr. Lei den Filialen und Annodmeslellen je eine halbe Stunde früher. Anreisen sind stet» an die Er-etzttion zu richten. Druck und Verlag von E. Polz iu Leipzig. HW. Mittwoch dm 29. November 1893. 87. Jahrgang. Vit Zuschläge auf den Kaiser und -eu Kanzler. ' Durch die Nachricht, daß am Sonntag unter der Adresse kt Kaiser» eine ebensolche Sendung in Berlin eingetroffen Hi. »ie au den Grafen Caprivi» hat auch diejenigen skÄ, die an ein ernsthaft zu nehmendes Attentat gegen den chimu nicht recht glaube» mochten, aus ihrer Gleichgiltig- lal aujzcrütlelt. Alle erkennen jetzt die Gefahr, in die ver- ke-erische Hände das ganze Reich nicht allein, sondern die zaag civilisirtc Welt gesetzt haben, und wenn auch das eine uud da» andere Blatt darauf aufmerksam machen zu müssen zlanbl, daß die Absender sich von der Tbatigkeit und den Mnszewolmbeiten des Kaisers und deS ReickStansterS eint nierkirnrdige Vorstellung gemacht haben müssen, wenn sie ziiubten, einer von Beiden werde selbst ein Packet mit LE, Pro«» öffnen, so sind doch alle darin einig, daß die GffMMil der Verbrecher nicht in gleichem Vcrhältniß zu chm Lmrorseubeit stand und daß diese Berworsenhcit zu den Wi^entsten Untersuckungcn uöthizt, uni womöglich neue und zMkr au-zeführte Anschläge zu verhüten. Selbst der social- t«r«!n>ischc „Vorwärts" hat kein Erbarmen mit dem „gemein- Mtrlichen Narren", der die That verübt habe und imtuliich bald in einer Irrenanstalt untergcbracht werde, ganz allgemein ist auch die Ansicht, daß die Frevclthat dvchst wahrscheinlich von anarchistischer Seite auS- zezanzen sei; nur einige Stimmen äußern sich dahin, daß sranzösische Ehauvinisten betheiligt sein könnten, die ter Meinung seien, die Zwecke der russisch - fran- ;«Wn Annäherung könnten am leichtesten nach Hin- vezräumung deS deutschen Kaiser- und seine- Kanzlers erreicht werden. Jedenfalls wird die Untersuchung mit aller Umsicht und nicht mit Voreingenommenheit sür die eine ein die andere Hypothese geführt werden. Tie „Frank- inner Zeitung" hätte daher nicht nöthig, vor übereilten CEiseu und voreiliger Lenkung deS Verdachtes nach einer bestimmten Richtung zu warnen. bieder dir Beschaffenheit der beiden gefährlichen Ltndllngcil und ihre Behandlung haben wir heute noch folgende» nachzutragen: Wie der „Nat.-Ztg." von zuver lässiger Seile mitgethcilt wird, hatte der Reichskanzler Graf Laprivi dis gestern früh den Kaiser von der Zusendung der Höllenmaschine auS Orleans nicht benachrichtigt. Allem Anscheine »ach wollte er erst das Ergcbniß der Untersuchung de» HolMchens abwarten. Das letztere, seine Behandlung und sei» Inhalt werden von der „Nordd. Allgem. Zeitung" folgendermaßen beschrieben: Ta» Packet, das die Höllenmaschine enthielt, ist nicht ganz «Mdraisörmig und etwa 14 cm lang. Die Sendungen sür das Aeichskanzleramt werden von der Post abgeholt, die sür den Aeichskanzler persönlich bestimmten Sachen aus den Schreib- lisch niedergelegt, der in dem Arbeitszimmer des Majors tibmeyer im ersten Stock des linken Flügel- steht. A!» der Adjutant den Brief gelesen und das Packet in die Hand genommen hatte, rieselten einige Körner Pulver daran» hervor. Mißtrauisch geworden, legte er die Körner iu einen Aschbecher und entzündete sie. Nachdem so die explosive Wirkung fcstgestellt war, ries Major Ebmeyer durch eine elektrische Klingel einen im Reichskanzler-Palai» postirte» Schutzmann herbei, der sofort den Reviervorstand» Polizeilieutenant Ga dam er, benachrichtigen mußte. Dieser tras sofort au Ort und Stelle ein und nahm das ver dächtige Packet in seinen Gewahrsam mit. Aus der Wache de» 37. Polizeireviers wurde die Sendung zunächst in Wasser gelegt und später unter Hinzuziehung eine» Büchsenmacher» vorsichtig geöffnet. Man brachte eine Höllenmaschine hervor, bie fast ebenso zusammengesetzt war wie diejenige, die im letzte» Sommer aus der Polizeiwache in Spandau cxplo- dirte. Ter Bolzen, den eine gefüllte Patrone zur Entzündung bringen sollte, wurde auch hier durch Gummibänder zurück gehalten, tue beim Leffnen der Umhüllung zerreißen und den Bolze» in Wirksamkeit setzen mußten. In der „Bors.-Ztz." finden wir folgende ergänzende Schilderung: Tie äußere Hülle bildet ein Holzkasten, der genau di« Form eines Tominokastens hat und auch mit einem Teckel versehen ist. An der eine» schmalen Seite des Kastens liegt ziemlich am Boden eine mit Nitroglycerin gefüllte Messinghülse, die' unten ein kleines Loch hat und vorn mit einem gewöhnliche» Zündhütchen versehe» ist. Die Patrone war von losem Pulver umgeben. Dem Zünd- Hütchen gegenüber ist in einer Holzfübrung ein hölzerner Bolze» angebracht, besten Spitze mit einem Nagel versehen ist. Ter Bolzen stcbt mit zwei Gummischnüren in Verbindung, die recht» und links von der Patrone an den Holzkasteu be- festigt sind und das Bestreben haben, den Bolzen wie bei einer Armbrust vorzuschnellcn und mit dem Nagel genau da» Zündhütchen zu Westen. Durch einen an der inneren Seite de» Deckels befindlichen Ansatz wurde» die Bolzen zurückgehalten und die Gummischnüre gleichzeitig gespannt. Beim Abnehmen de- Teckels sollte der Botzen frei werden und durch die Kraft der Schnüre auf da» Zündhütchen stoßen. Dieses sollte das Pulver entzünden und dann die Explosiv» des SvrengstoffeS herbei- führen. Die Oeffnung der an den Reichskanzler gelangten Maschine wurde dadurch ganz ungefährlich, daß man sie in Wasser gesetzt hotte. Dadurch war einerseits das Pulver nah geworden, andererseiS der Bolzen in seiner Führung so fest eingequollen, daß er nicht vorschnellen konnte. Bezüglich der Gefährlichkeit der sehr sinnreich zusammen gesetzten Maschine geht der „Börscn-Ztg." von dem Büchsen macher Förster ans der Taubcnstraße in Berlin ein sehr interessantes Gutachten zu. Herr Förster, der die eine Höllenmaschine öffnete, ist der Ansicht, daß, selbst wenn Alles im Sinne dcö Absenders glatt verlaufen wäre, sich trotz dem eine sichere Bürgschaft für die Explosion nickt ergeben haben würde, weil der Bolzen durch die zu geringe Kraft der Gummischnürc nicht die gehörige Durch- schlagSwirkung gehabt hätte. Anders wäre eS gewesen, wenn die Schnüre durch eine Spirale ersetzt worden wären. Tie Ladung derMaschine hätte allerdings für den Ocsfncr des Packet« verhängnißvoll werden können. Der Reichskanzler wurde, wie schon kurz berichtet worden, gestern bei seinem Erscheinen im Reichstage anläßlich des glücklich vereitelten Mordversuchs ans sein und seiner Umgebung Leben von seinen College» am BundesrathStisch und von sehr vielen ReichStagSmitglicdern der verschiedensten sractionen beglückwünscht. In Berlin ist die Entrüstung über das Attentat allgemein. ES ist dem Reichskanzler, wie gestern im Reichstage verlautete, durch die französische Botschaft in Berlin mitgetbeilt worden, daß die französische Regierung zur Mitwirkung an der Entdeckung deS TbätcrS ihre vollkommene Bereitschaft erklärt habe. Ter Adjutant deS Reichskanzler-, Major Ebmeyer, dessen Rübe und Besonnenheit an erster Stelle die Vereitelung deS geplanten Bubenstücks zu danken ist, war gestern auf kurze Zeit im Reichstage anwesend und wurde dort ebenfalls vielfach be glückwünscht. Daß in Frankreich die Untersuchungen bereits im Gange sind, ergiebt sich auS folgender Pariser Depesche, die unS soeben durch das Hirsch'sche Bureau über mittelt wird: Wie aus Orleans gemeldet wird, wird die Untersuchung betreffs der Urbeberschaft des Attentats aus Kaiser Wilhelm und den Reichskanzler Caprivi dort sehr eisrig betrieben. Bis jetzt ist indeß »och kein Resultat erzielt. Bereits vor dem Eintreffen der Höllenmaschinen in Berlin haben in Orleans mchrsache Haussuch u nge» bei verdächtigen Anarchisten statlgcsunLcn. weit aushctzcnde Artikel in verschiedenen anarchistischen Blättern von Orleans ausgegange» sein sollen. Tie Untersuchung soll ergeben haben, daß unter de» Ana» chisten.diebeidem Ausklcbenrevolutionairer Placate überrascht und verhaftet wurden, mehrere D rutschet?) waren, die man für die Urheber der Berliner Attentate anjiebt Es werden »och mehrere Beamte, die augenblicklich von Orleans abwesend sind, zurückenvartet, damit die Untersuchung energisch fortgesetzt werde. In Paris ist ebenfalls eine sehr strenge Unter- suchung angeordnet worden und es wurden bereits zwei Anarchisten in Gewahrsam genommen. Bei der Haus suchung in deren Wohnungen wurden zwar viele Schriften, aber keine Sprengstoffe gesunden. Politische Tagesschau. * Leipzig, 29. November. Nachdem in der gestrigen Sitzung des Reichstags der Vater der Stcuerreformplänc, Herr Hr. Miguel, sich aus die Verthcidigung dieser Pläne eingelassen hat, ist natürlich nicht mehr daran zu denken, daß die erste Etatsberathung schon heule zu Ende geführt werde» könnte. Der Jesuitcn- antrag deS Ecntrums kann also vor Donnerstag oder Freitag nicht aus die Tagesordnung kommen. Tie „Germania" fordert alle EcntruinSniltgliedcr dringend ans, bei dieser Ver handlung anwesend zn sein, und fügt etwas gcbeimnißvoll hinzu, daß Zwischenfälle, welche gleich bei der ersten Bcratbung eine Abstimmung »ötbig machen konnten, durchaus nicht als ausgeschlossen zu erachten seien. Auch wir können alle Gegner de« IcsuitcnthuiiiS nur dringend ausfordcrn, sür diese Verhandlung sich im Reichs tage einzusinden. Gerade jetzt, wo die Sympatbicii des Papstes für Frankreich und Rußland wiederholt zu Tage getreten sind, könnte cS von den bedenklichsten Folge» W ide», wenn im deutschen Reichstage eine Mehrheit sür die Wicvcrznlaffnng der „frommen Väter Jesu" sich auSsprächc, die jedenfalls mit Eifer zu Werkzeugen der dreibiindfeindlichen päpstliche» Politik sich machen würden. In der deutschen ultraniontancn Presse wird zwar in der letzten Zeit mit besonderer Beflissciibeil in Abrede gestellt, daß der Papst die drcibuiidseintlicheii Machinationen unterstütze, um mit fianzösischcr und russischer Hilfe wieder iu den Besitz der weltlichen Herrschaft z» gelangen Die „Köln. VolkSztg." bat bekanntlich erst dieser Tage den Cardinal StaalSsecretäir RampoUa als Zeugen ter politischen Neutralität des Papstes ins Gefecht geführt. Ta kommt gerade zur rechten Zeit die folgende Meldung aus Rom: „Tie angebliche römi che Information der „Kölnischen Votks- zeituiiq" wird i» ciiigciveiyteu Kreisen einfach als »in Manöver der Begütigung des deutschen CenlruinS ausgcsaßt. Rampolla ist ei» so ciitschieLciier Aiiliänger der Allianz des Baticans init Frankreich und Rußland, daß er die letzte Campagne des „Moniteurs" gegen den Dreibund selbst inspirirt Hai, wie auch der berüchtigte Artikel des „Osscrvatore " über die Verdienste des Papstes um den Abschluß der franko, russische» Allianz direct auf den Stoatssecretair zurück- zusühren ist. Hinzugesügt sei, was der Centrumspresse unbekannt sein dürste, daß mit Wissen und Willen Ranipolla's der bisherige Direktor des „Moniteurs", der eljäjsische Monseigneur B., augen blicklich in Paris weilt, um dort Gelder sür de» „neuen Moni teur" flüssig zu machen, der gewiß nicht die Interessen Deutschlands und der Dripeiallianz vertreten wird " Man wirk sich boffentiich dieser Mittheilung bei der Be- rathung des IesuilciianlragS erinnern. In Oesterreich sehen die Iungczechcn ibre Bemühungen, eine vereinigte slawische Opposition zu Stande zu bringen, eifrig fort. Vorläufig habe» sie sich bereits eine Absage geholt bei den Rulbeuen. Diese werken, wie man hört, im Verbände der Eoalitionsmchrbcit verbleiben, da die Zu gcbörigkeit zur Regierungspartei die Voraussetzung für die Erfüllung gewisser berechtigter Forderungen dieses Volks-' stailimcs ist. Aber auch die im Hohenwartclub verbliebenen krainisckien Slowenen werden vorläufig wenigstens ebenso wenig diesen Verband verlassen, als die Klerikale» trotz des heftigen Gcpoliers. Woraus dieses hinaus will, ist ja zur Genüge bekannt. Allein die Zeit ter Eoncessioncn ist vorüber und wird wobl auch so bald nicht wicterlonime». Tic Stellung des EabinctS ist übrigens kräftig genug, um selbst eine weitere Secession ii» Hoüenwartclub überdauern zn können. Denn selbst wenn alle Klerikalen und Slowenen absiclen, bliebe neck» eine Mehrheit von 30—lo Stimmen, also sür das tägliche Brod genügend. Sollte freilich die Opposition bei der Wahlresorm die erforderliche Zwcikrittcl Majorität nicht bcistellc» wollen, dann bliebe der Regierung nichts Anderes übrig, als ein Appell an die Wähler. Tic noch iinmcr in der Schwebe befindliche französische MinisterkrisiS drobt dem Präsidenten der Republik selbst gefährlich zn werken. Francis M a g » a r d wirft Herr» Earnot direct vor, daß er lediglich deshalb darauf Gewickt lege, anstatt eines homogenen Ministeriums ei» aus Mit gliedern der verschiedene» republikanischen Parteigruppen ge bildetes „Eabinek der Eonccntration" zu berufen, nin bei der nächsten Präsidentenwahl nicht die Stimmen der einen oder der anderen Fraction cinzubüße». Man bat also alle Vcranlassnng zu ter Besorgniß, schreibt Francis Magnard, „daß, treu dem Systeme, vermittelst dessen er Unlcrslaats sccrctair, Minister und endlich Präsident der Republik geworden ist, Herr Earnot auch diesmal die Wabl seiner Munster ans allen Gruppe» der Mehrheit treffen will. Unser verehrter Ebcs ter Excrutivgewalk gehört einer Generalien und einem moralischen Milieu au, in denen inan an die Sprichwörter glaubt, die, wie man weiß, die Weisheit der Nationen darstclien, und er muß noch ülwrzcngt sein, daß die „Einbcit die Stärke ausinachl", und zwar trotz des kläglichen Zusammenbruches, mit dem alle aus der Eoiicclitralion her- Leben um Leben. NI Roman in zwei Bänden von M. Gerhardt. NaStruck »erbeten. (Fortsetzung.) Cie batte die Frage aus den Lippen, so oft sie sein Haus betrat. Kam er dann in ihre Nähe, so war cS ganz unmöglich, sie auSzusprechen. Sie zcrsann und zergrübelte sich darüber MadS in ihrem Bett, und konnte nicht cinschlafen, und er wachte Morgens mit schmerzendem Kopf und traurigem Herzen unk mußte sich ernstlich ausraffcn, um die Mattigkeit, dir ihren Körper und ihre Seele niederdrücktc, zu überwinden und dem ökr» Einerlei ihrer Tagesaufgabe gerecht zu werden. Was hätte sic ihn auch fragen sollen? Worüber hatte sie sich zu beklagen? Daß Roloff ihrer müde geworden? — Wunders genug, daß er so viele seiner kostbaren Stunden dem unbedeutenden Kind schenken mögen — ja, und GlückS geniig! — Und hatte er cS nicht der Milbe wcrth gefunden, sie freundlich zu verabschieden, seblie es ihm jetzt sogar an einem gelegentlichen gütigen Wort für sic — welchen Anspruch batte sie darauf? alte er sie doch nicht ganz aus seiner Nähe verbannt? ursle sie ihn doch zuweiten sehen, seine Stimme hören, Icmile er ihr dock nicht verwehren, ihn aus der Ferne, im Stillen zu verehren! — Ein Läuten an der Außenthür riß den hundertmal und »wer wieder gesponnenen Gedankenfaden ab. Wer konnte » sein? Vielleicht Lassen — er pflegte so in der Tämmer- siiiiike zu kommen — öfter als rS Hildegard lieb war. Aber kie Großmutter sah ihn gern, und er verließ ja bald die Stakt — er batte sein Examen bestanden und ging für- Wachste nach Hause. Warum nickt schon jetzt, vor der Etarwoche, war eigentlich unbegreiflich. — „DaS ist ja Heinz!" rief die Oberamtmännin, nach der draußen lautwerkenden Stimme binborchend, dir in lustigem Wortwechsel mit Male dieser ein: „Ach, Herr IesrS!" über kal andere enllocktc. Der Lberamimännin war ihr Strickzeug entfallen, sie raffte sich schwerfällig ans dem Lebnstubl aus unk streckte dem jiui-eii Mann, der fröhlich i«S Zimmer stürmte, beide zitternde« Hände entgegen: „Heinz, mein lieber Sohn! Willkommen, willkommen!" Heinz trug noch die hellblaue Dragoneruniform, die ihm vortrefflich stand. Er war breiter in den Schultern, man» licher im Ausdruck geworden, die weißen Zähne blinkte» unter einem keck aufwärts gestrichenen Schnurrbart und die Augen lachten noch ebenso mulhwillig wie früher. Alles in Allem, ein bildhübscher junger Kerl, sagte sich die Oberamtmännin, mit zärtlichem Wohlgefallen auf de» Enkelsohn niederblickend, der ihr einmal über das andere die verrunzelten Hänve küßte, dann auch die Schwester umarmte. „Laß doch mal sehe», was auS Dir geworden ist!" rief er und zog sie iu da- verdämmernde Licht deS Fensters. „Großmutter, was sagst Tu dazu? DaS Mädel fängt au, hübsch zu werden!" „Nun, warum sollte sie nicht? Sic hat's uöthiger als Du." „Und keine Alltagsschönhcit mit Rosenwangen und Vcilcken- augen", fuhr Hein; mit Kennermiene fort. Es ist Stil und Eharakter darin. Höre, Fuchs, das Haar mußt Tu anders tragen. Halt mal still, ich srisirc Dich." „Ach, Hein:, laß mich in Rübe, Du faselst", erwiderte Hildegard unhöflich, und ging hinaus, die Lampe anzuzünten. Als sie zurückkam, war ihr Bruder im vollen Zuge, der Großmutter sein Leben und Treiben bei den Dragonern in den glänzendsten Farben zu schildern, während Male sich in der Nähe der Thür zu schaffen machte und. über das ganze Gesicht lackend, zuhörle. Heinz war in den Kreis der Ofsiciere gezogen worden und hatte in der kameradschaftlichsten Weise mit ihnen verkcbrt. „Brillante Kerls, Großmutter! Noble Gesinnung» vor nehmer Ton, nichts Kleinliches und Ruppiges, wie bei der Infanterie." „Was bat denn der Vater zu den noble» Kameraden gesagt, Heinz? Tie mögen ihm einen schönen Groschen gekostet haben." Heinz zuckte die Achseln und drückte die Augen zusammen. „Was sagen die Väter in solchem Fall, Großmutter? Sie brummen und — zahlen." „Jetzt willst Du wobl bei den Dragonern weiter dienen?" „Ja, Großmama, wenn- nach nieincm Wollen und Wünschen ginge! — Aber r» ist zu kostspielig, ick bin ver ständig genug, das einzusehen. ES müßte sick denn eine gute Fee finden, die sich'« in den Kopf setzte, einen armen Jungen glücklich zu machen." „Wir lebe» nicht im Märchcnlandc, mein Sohn, und aus gute Feen ist nicht zu rechnen. Ich wollte selber, es käme mir eine zu Hilfe. Ich bin in Sorgen, und möchte die paar Iabre, die mir etwa noch beschicken sind, gern in meiner ge wohnten Weise, ohne drückende Einschränkungen weiter leben." „Du in Sorgen, Großmütterchcn, Tu? Bei Deiner solide» Wirtschaft, immer Zug um Zug, bier Einnahme, hier Ausgabe, hier was auf Hochkant gelegt wird —" „Tu irrst, mein Sohn, es wird ilichtS aus Hochkant ge legt". erwiderte die Alte verdrießlich. Hein; ging sofort aus ein unverfängliches Tbcma über, dann kam Oskar und Male ries;>»» Abendessen. „Also jetzt wirst Du Gravctischken bcwirlbschastcn?" fragte Oskar über Tisch in dem kühl ironisirenden To», vor welchem der Jüngere unwillkürlich die Flügel cinznzielicn pflegte. „Ich muß dock erst meine Schule durchwachen", erwiderte er. „In Gravelischkcn kann man nichts lerne». Ick gebe vorläufig »ack Dannenberg. Waldemar hat seine Wirt schaft ausgezeichnet im Zuge, ist übrigens ein famoser, liebenS würdiger Kerl. Ich war von Rautciiburg aus öfters in Dannenberg, bin sehr gern da — großartiges Hauswesen, Alles auS dem Vollen, und dabei eine Ordnung und Präcision, ein seiner moderner Geschmack in der Einrichtung — Bertha hat wirklich eine vorzügliche Partie gemacht." Nack dem Abendessen beurlaubten sich die Brüder, um mal nackzusebcn, ob Einer oder der Andere der Coinmili- lonen »och anzulreffen wäre. „Wenn Du zu Götz acbst, so verkneife es Dir, ihn vor her anzupumpen", riet Oskar unterwegs. „Nun, ich werde doch kein Esel sein", versetzte Heinz ver stimmt. Nach einer Weile fragte er: „Weißt Tu eigentlich, O-kar, wie cS zu Hause steht? Sitzt der Aste wirklich auf dem Trocknen?" „DaS fragst Tu mich?" erwiderte der Aeltere achselzuckend. „Meinen Verzicht aus mein Erstgeburt-recht zu Deinen Gnnsten bat mir Vater verziehen, aber ich wäre wobt der Letzte, mit dem er Uber seine Lage sprechen würde. Es ist mir auch recht lieb, ick werde zeitig genug davon erfahren." „Ich weiß nur, daß cS immer schwer gehalten hat, Geld von Vater lo« zu macken, jetzt versichert aber sogar Mutter, sie hätte kein-, Und dann ist « richtig. Ich verstehe Las nicht." „Ich verstehe es sehr gut", versetzte Oskar trocken. Vor den hell erleuchteten Fenstern der Markomannenkncipe hielt Hei»; den Bruder zurück. Die Großmutter scheint auch nicht sehr zugänglich, wie?" „Sic bat seil Jahr und Tag ihren HauShall verdoppelt, da» kann inan nicht uiizngängtich nennen." „Aber in Betreff des Baaren?" „Nun. Du hältst mich hoffentlich nicht sür so unanständig, »och ein Taschengeld von der allen Fra» anzunchincn", enl- gegnclc Oskar. „Ich habe durch Roloff ein Stipendium, freies Eollcg bei il»n und gebe einige Stunden. UebrigcnS irrst Du. wen» Tu die Alte für reich ballst. Sie hat »>it ihre» .Kindern nur zu gleichen Tbcilcn geerbt." „Aber natürlich ihre Zinsen niemals verzehrt", uiuthmaßle Heinz. „Auch nicht regelmäßig von Gravclischken Zinsen er hallen." „Dort stcbt nur noch eine kleine Hypothek." „Meinet» egen!" gab Oskar zu. „Ich spcculire nicht auf ihre Erbschaft. Ein paar Studenten kamen deS Weges und sic traten mitsammen ein. Heinz blieb ein paar Tage in .Königsberg und brachte den größten Tbcil dieser Zeit bei der Oberaiittmännin zu, die er i» die allersrciindlichstc Stimmung versetzte, inccin er ibr Schnurren erzählte, ibr Strickgarn vcrwirrlc, ibr in aller Ehrfurcht de» Hof machte und fick von ihr auöschelten ließ, Möbel und Nippes ans der altgewohnten Ordnung brachte, de» Eanarienvogcl nccklc und Male zwang, ibm alle seine Leibgerichte zu kochen. Vom Geld war mit keinem Wort mcbr die Rede. Er sprach davon, am nächsten Tage abzurcisen. Vor mittag-, als Oskar und Hildegard ausgegange» waren, »akm die Oberamtmännin, nachdem sic sich überzeugt, daß Niemand in der Nabe war und zum Uebcrsluß de» Schlüssel in der Tbür umgrdrekl batte, an ibrem Schreibtisch Platz, zog eine alte Ledermappc an« der Schicbladc »nk wintle Hein; herbei. „Verstehst Du clwaS von Werlbpapieren, mein Sohn?" fragte sie wichtig »nd gebeimnißvoll. „Sehr wenig, Großmutter", erwiderte er mit angemessenem Ernste. „Dergleichen Drucksachen betoinml ein Student selten in die Finger. WaS sür Papiere meinst Du?" „Ja. sieh mal", versetzte sie, öffnete die Mappe und legte ibre Hand aus die darin befindlichen, schnortclbast und bunt farbig bedruckten Blätter Vor einigen Jahren — rS kann zehn oder elf Iabre der sein — überredete mich mein Recht- anwalt, ausländische Papiere zu kaufe». ES sollte ein gute«
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