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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.01.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-01-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970105012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897010501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897010501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-01
- Tag1897-01-05
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Größere Schriften laut unserem Preis» verzeichniß. Tabellarischer und Zisfernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), uue mit d», Morgen»Ausgabe, oho» Postbeförderung -st 60—, mit Postbeförderung 70.—. - Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halb« Stunde früher. Anzeigen sind stet« an die Expedition zu richten. Druck und Brrlag von E. Polz in Leipzig. NI. Jahrgang. Deutschland im Jahre 1896. 42 Da» verflossene Jahr begann mit einer Aktion der deutschen Diplomatie, die dieser den ungetheilten Beifall der Landsleute in der Heimath und der Fremde zuwendele. Iameson hatte seinen frechen Raubzug nach Transvaal unternommen und die deutsche Regierung ließ der eng lischen unverzüglich die Auffassung bekunden, daß durch den südafrikanischen Rechtsbruch deutsche Interessen ge fährdet seien. Der rasche und vollständige Sieg der tapferen Boeren enthob Deutschland der Nothwendigkeir, weitere politische Schritte zu unternehmen. Einen solchen glaubten die Engländer allerdings in dem Telegramm erblicken zu sollen, in welchem der deutsche Kaiser den Präsidenten Krüger dazu beglückwünschte, daß dieser obne fremde Hilfe sein Land von den Friedensbrechern säubern gekonnt hatte, und Albion that damals sehr erregt. In Londoner Theatern wurde demonstrirt, Inhaber deutscher Läden mußte» für den Ersatz zertrümmerter Schaufenster sorgen, auch wurden nach Deutschland ergangene Waarenbestellunge» zurückgezogen. Indessen hat sich dies Alles wieder gegeben, und wenn der Zündstoff, den Eecil Rhodes jetzt abermals aufbäuft, den «üben Afrikas in Brand stecken sollte, so bat Deutschland am allerwenigsten einen Grund, sich durch die zu Beginn deS verflossenen Jahres gehörten britischen ZornesauSbrüche zu einer anderen Haltung als der im Januar 1896 beobach teten bestimmen zu lassen. lieber ernstere Streitpunkte haben wir uns auch nach keiner anderen Seite hin auseinanderzusetzen gehabt. Die Bereinigten Staaten von Amerika, die sich vermöge ihres republikanischen Charakters von der Beobachtung gewisser internationaler Formen entbunden halten, haben sich wieder holt in wirthschastlichen Fragen mit Drobworten vernehmen lassen, ohne in der deutschen Regierung und Presse ein anderes Echo als das würdiger Zurückweisung zu erwecken. Handels politische Differenzen nnt diesem Lande, in dem die auf Prohibition gerichtete Politik durch daö Ergebniß der Präsi dentenwahl voraussichtlich energischer Betätigung eutgegen- geht, werden uns auch in dem neuen Jahre nicht erspart bleiben, was im Interesse des Verkehrs zu beklagen ist. Allein die immer deutlicher zu Tage tretende Tendenz Amerika«, mit den europäischen Ländern im Berhältniß eines ihm günstigen LöwenvertrageS zu stehen, muß immer mehr der Erkenntrvß Bahn brechen, daß unser Welt teil auf einen Zusammenschluß gegen die amerikanische Wirtschaftspolitik angewiesen ist, und insofern haben die oft naiven Aenßerungen transatlantischer Selbstsucht auch ihr Gutes. Wenn zwischen Deutschland und Rußland zur Zeit über einige Unzukömmlichkeiten auS dem Handelsverträge Unterhandlungen staltfinden, so darf diese Thatsache vielleicht sckon als ein Zeichen wachsenden Verständnisses für die europäische WirtbschaftSsolidarität angesehen werden. Die augenblickliche günstige Lage der deutschen Industrie gestattet ebensowenig, sorglos in die Zukunft zu schauen, als der auS ihr resultirende befriedigende Stand der Staat s- finanzen vollkommene Beruhigung rechtfertigt. Ganz ab gesehen davon, daß die Verstärkung der Vertheidigungsfähig- keit deS Reiches zu Wasser und zu Lande eine kaum mehr bestrittene Nothwendigkeit der nächsten Zeit ist, auch die Befriedigung der biskerigen Bedürfnisse ist keineswegs sicher gestellt. Die im Frühjahr beschlossene lex wieder bat fette Jahre zur Voraussetzung. In dem Iabre, daS die 25 jährige Jubel feier deS Reiches und des Frankfurter Friedens gesehen hat, ist in Würdigung der Beschaffenheit de« jetzigen Reichs tages die wiederholt fehlgeschlagene Reform der Reichs- und damit der Staatsfinanzen gar nicht einmal versucht worden. Was die preußische Regierung nach dieser Richtung anstrebt, bleibt Stückwerk, so lange das finanzielle Berhältniß zwischen dem Reiche und den Einzelstaaten nicht auf gesunder Grundlage geregelt ist, und ob auch nur von jenem partikularen Plane etwas verwirklicht werden kann, steht dabin. Wenn nun der Reichstag sich auf diesem Gebiete unfähig zeigte, so möchten wir doch nicht mit einem Berliner Blatte das Zustandebringcn des Bürgerlichen Gesetzbuchs, die Umwandlung der vierten Bataillone und das Scheitern der Iustiznovelle als die einzigen erfreulichen Ergebnisse der Rcichstagsarbeit des Jahres anseben. DaS Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb bedeutet einen Sieg der geschäftlichen Redlichkeit und daS Börsengesetz, mag der Zorn darüber noch so hoch lodern, bedeutet dasselbe. DaS letztere ist noch besonders werthvoll durch die Wirkung, die es auf den Verkehr in dem noch immer wichtigsten landwirthschastlicken Erzeugnisse Deutschlands, der Körnerfrucht, üben wird. Das notbleidende Gewerbe bat überhaupt der Gesetzgebung des Jahres die Signatur aufgedrückt. Ein Zuckergesetz, das fick freilick noch zu bewähren hat, Aenderung der Gewerbeordnung und eine Novelle zum Gen offen sch aftsgesetz berücksichtigen aus schließlich oder in hervorragendem Maße den Ackerbau. Manche Bestimmungen, insbesondere die über das Detailreisen, werben sich sicher leicht einleben, manche auch sich als verfehlt er weisen — unvermeidliche Folgen jeder Wirtbscbastsgesctzgebung. Nicht zu Stande gekommen ist ein ebenfalls aus dem Leibe der Landwirthschast zugeschnittenes Marzarinegesetz und eine, mittlerweile durch eine andere, noch weniger aussichts reiche ersetzte Vorlage über die Organisation deS Handwerks. Angesichts beider Feblschläge wird man jedoch nicht sagen dürfen, daß sich das Bessere als der Feind des Guten er Miefen habe. In Wahrheit ist daS Mögliche an den an gestrebten Unmöglichkeiten gescheitert. Die unerfüllbaren Forderungen waren indessen auch außerhalb der Sache gelegene politische Werkzeuge. Es bleibt abzuwarten, ob im neuen Jahre die um ihrer selbst willen betriebene Agitation den Boden schwinden sehen wird. Die conservative Partei, in deren Hand die Entwickelung vor Allem liegt, bat auf einem Parteitage die Neigung verratben, sich auf ihre Vergangenheit zu besinnen, und daS Mißlingen verschiedener agrar demagogischer Actionen im Reichstag deutet auf eine ernstliche Sinnesänderung bin. Indessen, der Radikalismus ist in diese Partei unter dem Ge sichtspunkt der Concurrenz getragen worden, und eS ist noch immer fraglich, ob Concurrenzerwägungen nicht seine Aus scheidung verhindern. Diese Besorgniß wird verstärkt durch die nunmehr oft hervorgetretene Erscheinung, daß die conser vative Partei gerade im preußischen Herrenhause, der zur Regulirung der politischen Leidenschaften eingesetzten Kammer, Mitglieder besitzt, die außer Stande scheinen, sich Zurück haltung aufzuerlegen. Auf den Antrag K a n i tz, der am 17. Januar mit 219 gegen 97 Stimmen vom Reichstage abgelehnt worden ist, hat man ja Verzicht ge leistet, und auf die officielle Betreibung der Doppelwäh- rungsprojecte wird nach den Erklärungen der englischen Regierung und der Wahlniederlage Bryan'S wohl auch kaum zurückgegriffen werden. Aber eS läßt sich die kleinste Forde rung ebenso aufreizend behandeln, wie die Propaairung der „großen" Mittel, und die Presse des Bundes der Landwirthe bewäbrt diese Kunst noch alltäglich. Die Zurückdrängung der wirthschastlichen Leidenschaften ist jedoch nicht die einzige Aufgabe, die den Conservativen, wollen sie ihre frühere Wirksamkeit wieder ausüben, erwachsen ist. Von dem christlich-socialen Stöcker haben sie sich getrennt, dem Muckerei-Apostel Stöcker bilden sie noch immer das Ge folge und in Schul- und sonstigen BildungSfragrn sind sie mit dem UltramontaniSmuS gegangen, für den das Jahr 1896 trotz einer nicht ungeschickten Schwenkung brS einen Theiles der CentrumSpresse unter dem Zeichen des Teufels Bitru stand und stehen bleiben wird, denn der Romanismus beherrscht die Industrie einem raschen Weiterschreiten. Damme z.ebt wird auch die neue national-sociale Partei erkennen, sobald ie in die Lage gerätb, mit praktischer Wirkung diese Dinge °"'An'd"er Politik der bürgerlichen Demokratie in ihrer Erstarrung geben die Jahre spurlos vorüber, dle anti- semit? ck?cn Parlamentarier sind zu stark m.t Privat geschäft °ls daß sie den Gang d» D nge im Reick beeinflussen konnten; es bleibt noch die deutsche" Socialdemokrat.c, die auf einen mha t osen Parteitag, eine tiefe, in der französischen Stadt Lille erliltene Beschämung und den Londoner Congrcß zurucksieht, dessen ausgiebiges Fiasco vor deutschen Fnbrer be rührt. Unerfreulich war für diese Partei auch d>e Ent hüllung, daß die Informationen, mit denen sie eine Weile an eine unheimliche Verzweigung glauben ließ, ihre Ouelle im gemeinen Diebstahl haben. Das Bedrohliche der Existenz einer vaterlandsfeindlich-revolutionairen Partei hat sich durch die mannigfachen Mißerfolge der Jahre nicht gemildert. Aber es ist klarer geworden, daß ihre Starke auf der Uneinigkeit ihrer Gegner und auf den Fehlern der Regierenden beruht. Der größte Mißgriff des IabreS, auS dem die Social- demokralie auf lange Nahrung ziehen wird, war die „Flucht in die Oeffentlichkeit". DaS bezeugt jetzt auch em ehe maliger Staatsanwalt und Richter, der vermöge seiner ge schäftlichen Erfahrungen zu dem Unheil gelangt ist, daß der erzielte Erfolg sich aus einfachere Weise hätte herbeiführen lassen. Nun die Kugel ins Rollen gekommen, muß man wünschen, daß der ins neue Jahr mit hinübergehende Proceß Alles reinigt, was in niedrigeren RegierungSspdären zu reinigen ist. Den Glauben aber, daß ein Staatsanwalt und ein Ge richtshof besorgen könnten, waS eine Regierung leisten sollte, mnß man aufgeben. . . DankenSwerth wie in der TranSvaal-Angelegenheit ist das Verhalten der Spitzen der Reichsregierung in der Colonial politik gewesen. Vermochten sie den hochverdienten Wissmann nickt an seinem Platze zu halten, so ist der von ihnen herbeigeführte Wechsel in der Leitung der Colonial abtheilung ein Vortheil schon deshalb zu nennen, weil die wirk lichen und die angeblichen Verfehlungen von Colonialbeamten bisher vom Regierungstische eine Beleuchtung zu erbalten pflegten, die einerseits der Scandalsucht der Eolonialgegner Vorschub leistete, andererseits auch daS Gerechtigkeitsgefühl der Freunde der Coloikialpolitik verletzen mußte. AlS erfreulich muß auch verzeichnet werden die Befestigung der deutschen Herrschaft in Südwrstafrika und die Neuordnung der Stellung der Schutztruppe in Ostafrika; insoweit der ausgeschiedene Director der Colonialadtbeilung an diesen und anderen Verbesserungen Antheil hat, wird ihm die Anerkennung nicht versagt bleiben. Ehe wir uns von der Iahresgeschichte des Reiches ab wenden, sei des erhabenen und erbebenden Endes der Be satzung des Kriegsschiffs „Iltis" gedacht. Diese todeS freudigen Krieger haben ihrem Vaterlande den unschätzbaren Dienst erwiesen, inmitten einer Zeit des Zweifle»« zu bc- eugen, daß dem Kern deS deutschen DolkcS die höchsten Lugenden erbalten geblieben sind, und Diejenigen zu be schämen, die sich durch vereinzelte beklagenSwerthe Vorfälle berechtigt fühlten, die grundlegenden Einrichtungen unseres Nationalstaates herabzuziehen. Deutsche- Reich. -2- Leipzig, 4. Januar. Für die Zähigkeit, mit der die ultramontane Partei ihren weitgesteckten Zielen nachgeht, liefert die am 30. v. M. in Ulm abgehaltene Versammlung des „LandesauSschusses der württembrraischen CentrumS- Partei" einen neuen Beweis. Am 17. Januar 1895 trat man zum ersten Male zur Constituirung der Partei in Württemberg zusammen, hielt am 14. November desselben Jahres eine zweite Versammlung, in der die Steuerreform beratben wurde, und vereinigte sich Ende vorigen MonatS zu einer dritten Tagung, aus der die Volksschulfrage im Sinne ultramontaner Herrschgelüste erörtert wurde. Die Zusammensetzung der Versammlung, auf der die Hälfte der auf etwa l20 Theilnehmer zu schätzenden Anwesenden an« Geistlichen und Volksschullehrern bestand, gewährleistete von vorn herein die Annahme der sorgfältig vorbereiteten und durch den Oberlehrer Edelmann (Wangen) und Schultheiß Fürst (Sachsenfeld) als Referenten vertretenen Resolution. Die Versammlung beschloß demnach, daß 1) die Volksschule nicht die vielfach überschätzte einseitige BerslandeSbildung, sondern die Erziehung der Jugend zur Pslichttreue als Hauptziel im Auge zu halten habe; daß 2) die erziehliche Ausgabe der Volksschule den Aufbau deS ge- sammlen Schulwesens auf religiöser und daher auf consessio- neller Grundlage fordere und folgerichtig einen angemessenen Einfluß der Kirche auf die Lehrerbildung und die geist liche Schulaufsicht bedinge, deren Beseitigung der Schule Schaden und dem Stande der Volteschullchrer, insbesondere dem Lehrerstand der confessionellen Minderheit keinen Vortheil bringen würde; daß 3) Lern UnterrichtSzweck der Volksschule in einer den Verhüll» nisten der Gegenwart entsprechenden Weise durch gründlichen Unter richt in Religion, Lesen, Schreiben und Rechnen Rechnung zu tragen und einer Ueberbürdung mit anderweitigem wrrthlosrn. Wissensstoff zu wehren sei; daß 4) das Verlangen der Lolksschullehrer nach Einführung des Altersclastensristems berechtigt erscheint und nach Einführung dieses Systems die Verbindung zwischen Meßner- und Schulstellcn zu lösen sei; daß ü) damit Hand in Hand eine entsprechende Besserstellung und Verwendung der Lehrerinnen gehen müsse; daß 6) rin größerer Einfluß der Gemeinden auf die Schulverwal- tung anzustreben und 7) gegenüber dem Drangen aus weiiergchende Verstaatlichung der Schule als nothwendigrs Corrcctiv des Staa t-schul-- Monopols dieFrriheit des Privatunterrichts dringend zu fordern sei. Man sieht erneut hieraus, daß die Bescheidenheit der Herren im richtigen Berhältniß zu ihrer zähen Beharr lichkeit steht, gleichviel, ob sie in Württemberg oder in Baden, im Rheinland oder in Schlesien tagen. Hier wie dort wird in dem Bewußtsein verhandelt, daß katholisch Trumps ist im deutschen Reich. ^ Berlin, 4. Januar. In Anknüpfung an dir Bi.- schofSconserenzen, welche im Spätherbst in Breslau stattfanden, wird berichtet, von Seiten der ostdeutschen Bi schüfe sei eine vertrauliche Anweisung an die Geistlichen er gangen, den Gebrauch polnischer AndachtSbücher einruschränken. In dieser Form kann die Nachricht nicht zu treffend sein. Die Benutzung brr Gebetbücher ist in Jeder mannS Belieben gestellt. Begrenzt ist diese Freiheit nur inso. Feuilletsii. Aus der Kunftreise. Novrllette von E. Olsen (Berlin). Nachdruck verboten. Ende der achtziger Jahre entschlüpfte ich als fertige Kunst- novize den Händen meines großen Lehrers. Drei volle Iabre war ich meiner Vaterstadt fern gewesen, um in Italien Gesangsstudien zu betreiben. Nu» sollte ich hier aller Schüchternheit zum Trotz zum ersten Male vor sämmtlicken geladenen, gebetenen und „gepreßten" Bekannten mein erstes Concert geben. Meine Eltern, die mit Stolz und Sebnsucht des TageS harrten, an dem sich ihre Träume von dem „Familiengenie" verwirklichen sollten, drängten mich dazu. Mein Sinn ging aber nach etwas Anderem: Ich wollte mir außerhalb unserer Großstadt erst „Math singen" und Routine aneignen. Ich plaidirte deshalb für eine kleine Kunstreise; meine Eltern billigten schließlich meinen Plan — ich ließ mir von einem Agenten in einer kleinen Stadt ein Concert vorbereiten, und an einem kalten, nebligen Novembermoraen stieg ich seelenSvergnügt mit Papa und meiner Schwester Elly, die mich als AnstandSdame begleiten sollte, in die Droschke, um nach dem Babnhofe zu fahren. „Du depeschirst doch gleich über Deinen Erfolg?" ries unS Papa noch in da« geschloffene Coup« hinein — ein stolz be jahende» Lächeln meinerseits — und fort rollte der Zug. Unsere Mitreisenden, denen Papa« vielverheißcnde Bemerkung nickt entgangen war, musterten unS neugierig und wohl gefällig, so daß ich mir schon ordentlich berühmt vorkam. I Als nun Elly mir noch zustüsterte, daß ich „totchic" auSsähe, überließ ich mich den kühnsten Künstlrrphantasien, schloß die Augen und lebnte mich in meine Fensterecke zurück, um zu träumen. Elly vertiefte sich in rin Buch. Und waS las mein be sorgte« Schwesterlein? DaS Werk eines berühmten Gesangü- meisterS, das „die Stimme, ihre Pflege und Erhaltung" be händeste. Die gute Mama hatte ihr nämlich wohl zehnmal de« TageS in allen Variationen eingeschärft, meine kostbare Stimme — sie bat wirklich Tausende gekostet — auf der Reise vor zu vielem Sprechen und mich selbst vor Aerger, Zugluft und Erkältung strengstens zu behüten. So mochten wir ungefähr eine Stunde gefahren sein — da körten wir zufällig au» dem Gespräche der Mitreisenden, daß wir, um nach F. zu gelangen, auf der vorigen Station hätten umsteigen müssen. Große Bestürzung unsererseits, — Elly aber suchte mich sofort zu beruhigen. „Sei nur nicht aufgeregt, — Aufregungen schaden der Stimme." Daß wir auf der nächsten Station aussteigen, BilletS nachlösen und drei volle Stunden warten mußten, faßte sie scheinbar als eine besondere Fügung des Himmels auf. Als wir endlich, endlich m der zweiten Nachmittagsstnnde übermüdet und durchfroren in F. anlangten, fuhren wir so fort in« Hotel. Elly" bestand darauf, daß ich mich gleich zu Bett legen und der Ruhe pflegen solle, während sie da« Feld recognoSciren wollte. Nachdem ich auf ihren Rath ein Beef steak und drei Eier vertilgt hatte, während sie mir aus ihrem italienischen Kunstbädeker vorlaS, wie sich große Sänger am Tage ihre- Auftreten« verhielten, WaS sie aßen und tranken rc. rc., setzte sie ihr Pelzmützcken wieder aus und begab sich mit ungeheuer würdevoller Miene auf den Weg, um Er kundigungen einznziehen. Inzwischen legte ich mich ein wenig nieder und träumte im Halbschlaf einen echten Künstlertraum. In einem über füllten Saale sah ick mich auf dem Podium stehen, da« Ziel von tausend bewundernden Blicke», nach meinem Singen mit nicht enden wollendem Beifall überschüttet. Immer wieder mußte ich mich dankend verneigen und es zum Schluß über I mich ergehen lassen, daß die akademische Jugend in F. mir I ein Hoch brachte und sich sogar vor meinen Wagen spannen I wollte. Noch höre ich da« Getrampel der Menge, ihr Lärmen, sIoblen und Schreien — da wcckt mich ein Klopfen an meiner Tbür... ich fahre erschreckt auf, öffne — und herein tritt Elly, langsam, mit gesenktem Haupte, eine Niobe an Trauer. .Find um Gotte-Willen, was ist geschehen?" rief ich er- erlchrocken und ungewiß, wie ich ihre Mienen deuten sollte. „Hedda", tagte n AuSd sie, bemüht, ihre GestchtSmuSketn zu einen gleichgiltigen Ausdruck zu zwingen, waS ihr gründlich miß lang, „thu' mir den einzigen Gefallen und reg' Dich nich auf! Es ist ja weiter nickt« denn bis jetzt doch eS kann ja noch kommen man darf doch nich gleich die Flinte inS Korn Wersen — — und bi« heud lbend — es ist eben eine Kleinstadt, siehst Du, da drntei die Leute, sie haben noch Zeit, wenn sie — sie " „Ja, aber was denn?" unterbrach ich sie ungeduldig „wovon sprichst Du denn?" die BilletS — aber reg' Dich nur nicht auf! — Ach, weißt Du, trink' doch rasch noch ein paar rohe Eier — hier in dem Buch steht " „Laß mich in Ruhe mit den Eiern", erwiderte ich ih außer mich. „DaS soll wohl beißen, daß nicht alle Billeb verkauft sind? Du willst mich wohl zum Besten haben damit ,ch aus meiner ersten Kunstreise nicht zu stolz werde' Auf die Kosten werden wir doch aber jedenfalls kommen?" Verstört irrten Elly'S Augen von einem Gegenstand zun anderen, als ob sie irgend etwas Unvorhergesehenes erwart« das die Situation ändern könnte. „Hedda", begann sie dann wieder verschüchtert mit de Miene eines Schuldigen, der sich daS Gestänvniß eines be flangenen Verbrechens von der Seele reden will — „ich geh l" °'<e Hoffnung „och nicht auf - und der Buchhändler, de, die BilletS verkauft, auch nicht - und der Besitzer de« TaaleS ebenfalls nicht, — auch habe ich schon mit emiger einflußreichen Leuten gesprochen, die hier eine auSgebreiteb Verwandtschaft haben sollen — aber reg Dick nur nicht aus sonst krieg ich e« nachher von Mama — denn — denn bst jetzt — ist erst ein Billet verkauft!" RanS war«. Todtenstille erfolgte. . . Wir getraute, '""über anzuselien. so erschütternd batte ^ Hiobspost auf unS gewirkt. Ein B ' mittag des Eoncerttage«! „Erzähle mir Alles", sagte sagten rie Leute?" S'llet verkauft! Am Nac ich endlich dumpf. ,.W wird — Annoncen in der Zeitung waren nämlich sehr klein und standen nickt im Hauptblättchen — wenn ferner die Preise ermäßigt würden, denn eS seien viel zu Hobe angesetzt worden, sagen alle. . . Selbst dieses kleine F. ist ja mit Concerten überschwemmt. Und daun der Hauptgrund: — gerade beute haben sie hier ihren großen Casinoball. . Ich knickte zusammen. Da klopfte eS wieder und aus der Thürschwelle erschien mit Koffer und Schachtel» meine „gütige Mitwirkung", dir Pianistin auS Berlin. DaS halte noch zur Erhöhung der Gemüthlichkeit gefehlt! Erregte Aus einandersetzungen folgten, hundert Pläne wurden geschmiedet und wieder verworfen, und schließlich mochte Keines mehr etwas reden. Es war ein paradiesische» Idyll: Ich mit der Miene einer entthronten Göttin daS Zimmer durchrasend, Elly abwechselnd im CourSbuch und in der „Erhaltung der Stimme" studirend, und endlich die gefällige Mitwirkung mit einem hockst ungefälligen »nd verschnupften Gesicht noch in Hut und Regenmantel auf dem Sopha! „Sie erlauben wohl", bob die Pianistin schließlich wieder an, „daß ich mich jetzt aus mein Zimmer zurückzirbe, um mich von den Strapazen der Reise und dem eben gehabten Schreck zu erholen. — O, meine Nerven!" ... Damit ging sie. WaS aber sollten wir thun? Ick war au« allen Himmeln gestürzt, verzweifelte schon an meinen, Beruf zur Künstlerin, an der göttlichen Vorsehung, nnd er ging mich in Schmähungen auf die Krähwinkler, diese Klein stadtbarbaren, die einen Casinoball einen, Kunstgenuß vor logen! „Nur fort auS diesem Nest!" rief ich, „und so schnell w,e möglich'" Elly klappte ihre beiden Bücher zu und sagte: „Der nächste Zug gebt in einer Stunde, aber —" und in ihren "sigen blitzte e« übermüthig, — „weißt Du wa«, Hedda, ich möchte für mein Leben gern rausbekommen, wer der einzige Kun«freund dieser Stadt ist. — Dieser „Er, der Herrlichste von allen", der das Billet gekauft hat, — o, ick könnte ibn umarmen und an mein liebende» Schwesterherz drücken!" Wir lachten beide, denn sie parodirte famo«. Unsere gute Laune war mit einem Schlage wieder hergrstellt und Elly
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