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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.01.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-01-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970118010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897011801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897011801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-01
- Tag1897-01-18
- Monat1897-01
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Sieclamen unter dem Redaction-strich (4a»- spalten) KO/H, vor den Famllirnnachrichten (6 gespalten) 40/H. Größere Schriften laut unserem Preis verzeichnis;. Tabellarischer und Zisfernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit d»e Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung .es 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anreizen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 91. Jahrgang. Der öffentliche Verkehr in Sachsen sonst und jetzt. . Von ?. F. E. Kr öder in Bocka bei Altenburg. '.Nachdruck »rrdelrn. (Schluß aus Nr. 17.) Ueber Bestellgeld-Erpressung der Briefträger heißt es in einer Beschwerde der Wittenberger Universität von 1718: . .. Ltuckiosi sind voller Freuden, wenn Geld a» sie kömmt; von dieser erfreulichen Berwirrung profitiret der Briefträger, daß er zum Trinkgelde vor sich von einem Studenten, so auch nur 4 oder 6 Thaler erhält, wenigstens 6 bis 8 Gr., und, wenn der Wechsel ansehnlich, l, 2 und mehr Gulden . . ox- torguirvt (herauöpreßt), auch, wenn 8tuckiusi nicht wollen, ihnen mit allerhand groben nnd unanständigen Worte», z. B. „der Herr wird noch ein Fucks scyu und hiesige Manier noch nicht wissen, was mir gehöret" begegnet, macht sich ganz lümlliait', setzt sich nieder, trinkt mit ihnen Caffee u. s. w. Die Ltnäiosi denken, es muß sey»... Sie meinen auch, wenn sie den Briefträger erzürnrlen, so müsten sie etliche Tage nach ihrem Gelde laufen, auch denken sio, der Brief träger werde nicht davon reden, daß sie Geld bekommen, da mit es Werlte, denen sie etwas schuldig, nicht erfahren, allein auch diesen stecket crS nichtsdestoweniger sofort und bekommet dafür gleichfalls ein Trinkgeld! . . . Trotz all dieser und noch weiter zu erwähnender Mängel und Anfeindungen ist das Postwesen immer mehr erblüht nnd erstarkt. Zn den ersten Fnßbotenposteii von 1610 — „die Unkosten wollen Postpferde nicht ertragen", beißts in einer Denkschrift von 1650 — wurden etwa um 1652 Reit posten zwischen Leipzig und Dresden eingerichtet. So 1685 die zur beschleunigten Beförderung der Gesandlschaftsbriefe von Berlin nach und von Wien, wozu je 2 Brandenburger Dra goner in Dresden, Großenhain, Dahme, Dobrilugk stationirt waren, die Dragonerpost. Die erste fahrende Post ging 1660 von Berlin nach Leipzig, von 1083 ab verkehrte wöchent lich zwei Mal eine Postkalesche zwischen Leipzig und Dresden, nachdem 1025 eine zwei Mal wöchentlich cursirrnde Fußbotenpost als zweite Sächsische Post verbindung eingerichtet worden war. Im Jahre 1708 kommt hierzu eine wöchentlich einmalige langsame Post für solche Personen, welche „das geschwinde Fahren nicht ver tragen können . . . ferner für die von Hamburg kommenden, für die Hoftafel bestimmten Austern und sonstige Raritäten." Der Abgang dieser „Küchenkutsche" mit Personenbeförderung, 1721 auch amtlich „Hurenkutsche" genannt, erfolgte aus Leipzig Mittwoch früh 8 Uhr; Ankunft in Dresden: Donners tag gegen Abend. Aus Dresden ab: Sonntag früh; Ankunft in Leipzig: Montag Abend. Laut Bekanntmachung wurde „in Wurzen und Meißen ein paar Stunden gefüttert, in Oschatz aber werden nach 3—4 Stunden Ruhe frische Pferde genommen." Die Fahrt mit der Küchenkulsche war etwas billiger als die mit der Postkalesche, mit der die Tour Dresden-Leipzig 2 Thlr. 15 Gr. testete. Bald ging auch die Post mit Personenverkehr wöchentlich 2 Mal nach Schnee berg und zurück. Fahrgeld: 2h(l Thlr., bis Zwickau 1'/^ Thaler, biS Schneeberg 2l Stunden, zurück 10 Stunden Fabrzeit. Nach dem ersten gedruckten Postberickt auö Leipzig, l. Oktober 1016, wurden wöchentlich 2 Mal Mittwochs und Sonntags bis Bormittags 10 Ulir Briefe im Postbause an genommen. Montags und Freitags früh 10 Uhr, im Winter Nachmittags tonnten die Antworten abgeholt werden, die von Cölln in 11, von Frankfurt in 8 Tagen ringingen. Ein Brief von Leipzig ging nach Frankfurt 3, Köln 4, Halle 1, Mainz 3»/?, Trier 8, Cassel 4, London 11, Paris 11, Amsteidam 8 Tage. 1818 brauchte die Reitpost Wien- DreSden noch 80, die Fahrpost Prag-DrcSten 41 Tage. Briefe (1818) Wien-Venedig 7, -Mailand 0, Florenz 10, -Rom 13 Tage. AlS 1827 eine Eilpost Prag- Dresden über Teplitz 2 Mal wöchentlich in 20 Stunden verkehrte, in 37 Stunden Prag - Wien galt dies damals als eine unerhörte Schnelligkeit. Die ersten Eilpvsten richtete 1805 die TariS'sche Postverwaltnug ein. Sie mußten die Meile in 50 Minuten zurücklcgen, bei 8 bis 0 Groschen Fahrgeld pro Person. Das erste von Post- secretariuS Eschert verfaßte Cursbuch erschien 1706, mit An gabe von 47 verschiedenen, fast sämmtlich von Leipzig aus gehenden Posicursen. In seinem pathetischen Vorwort heißt es: „Cs ist wohl nicht zu leugnen, daß je mehr die Welt zu ihrer Endschaft eilet und gleichsam abnimint, je mehr im Gegentheil die klugen Erfindungen derer Menschen an Voll kommenheit zunehmen". Rach ihm brauchte damals die Post von Leipzig nach BreSIa» über Eilenburg, Torgau, Künigsbrück, Bautzen 60 Stunden Berlin - Wittenberg 32 - - » - Küchenkutsche .... 53 - Hamburg - Landsberg. Magdeburg (5 St. Aufenth. da) 74 Dresden - Wurzen, Meißen 21 - Nürnberg - Hof 64 - Paris 12, Rom 15, Wien 5, Warschau 5 Tage. Rach der ersten lande»herrlicheii Verordnung über das Postwesen in Sachsen vom 30. April 1661 wurde dem Leipziger Postmeister die Aufsicht für den ganzen Verwaltungs- betrieb übertragen, eine Art Postzwang eingeführt und die Hinterziehung von Postgebühren mit Strafen bedroht. Am 31. August 1661wurdc dieBcförderungvonGeldsendungen durch die Post der verschiedenen Ungelegenheitcn und Gefahren wegen verboten. Nach 1710 überwog auch das Fahren mit Lohnkutschern das Reisen mit der Post, indem vom I. Juli bis Ende Oclober 1710 von Leipzig aus 3511 Personen mit Privat- lvhnkutschcrn, 1509 mit den Fahrposten, also 2002 weniger, abzereist waren. Oberpostmeister Mühlbach in Leipzig er- hielt neben dem ein älteres Privileg zum Druck und Vertrieb von Zeitungen besitzenden Buchdrucker Pitzsch 1660 zuerst die Erlaubiiiß zum Druck und Vertrieb von Zeitungen. Sogleich begann er mit Herausgabe der „Leipziger Post und Ortinari- Zeilungen" und legle damit den Grund zu der noch heute bestebeiidcn „Leipziger Zeitung". Zum Oberpostanit ist Leipzig wahrscheinlich 1681 beim Dienstantritt Epper's er nannt worden. Am 1. Juli 1712, bis wobi» das ganze sächsische Postwesen verpacktet gewesen war (KeeS), ging eS in unmittelbare Staatsverwaltung über. Am 27. Jn!i 1713 erschien dann eine ausführliche Postordnung. Gegen Ende reS 17. Jahrhunderts trugen die sächsischen Postillone rothc Livrc'e, auch die Postwagen waren roth augestrichen. Mitte deS 18 Jahrhunderts trugen sie gelben Lribrock mit blauen Aufschlägen; Gelb mit Blau blieben auch die Hauptsarben der 1839 (1852) bestimmten neuen Uniformen. Als ältestes Post- dienstgsbäute diente in Dresden seit 1002 schon ein „Post- bäuSchen" auf der Clbbrücke; es befand sich am Altdresdner Brückenthor links. 1030 wurde eS durch einen Neubau ersetzt und bis zum Umbau der Brücke im Jahre 1729 von einem „Postwärter" bewohnt Von dem ersten Postlocale Leipzigs in der Saffranwaage beißt eS in einer Druckschrift von 1062, daß es damals „ehr nn in Gefängnisse als einem Post comptoir ähnlich gesehen babe". Von da siedelte die Post Ende 1712 in die sogenannte Rentei über, wodurch sich Einer zu einem langathmigen Gedicht begeistern ließ, dessen Anfang lautet: Ist etwas aufs der Welt i» unterschiedene» Ständen TaS eine Republik »nd Königreich vergnügt: So dürsten wir zur Post Aug' und Gemüthe wenden, In welcher vor das Land viel Glück verborgen liegt. Die Post, die Edle Post, ein Ruhm vor Land und Leute, Ein Pharus vor das Volk, ein rechles Aug' im Staat, Ein sicher Perspectiv und Tubus in die Weite, Ein Ge st von dem, der längst in fremde Grenzen trat rc. rc. So freudig bewegt wurde auch am 1. August 1817 nach ZO jähriger TaxiS'scher Pvstverwaltung im Herzoglhum der erste mit Guirlanden geschmückte sächsische Postwagen von den Brwchnern der Residenz Altenburg empfangen. Equipagen fuhren ihm entgegen, Borreiter holten ihn ein, am Posthäus« wurde er von den Spitzen d.r Rcgse.l,i,gs Hörden unter Musik empfangen. Darauf fane < >ä'bc.)rüh»ück im Pestgebäude statt. Bon großem Nutzen für die Post »nd den gZammten öffentlichen Verkehr waren die 1722 errichteten steinernen Wegsäulen, zu denen König Friedrich August selbst die Zeichnungen entwarf. Die größte Art, die in Städten oder davor aufgestellt wurden, zeigten baS königliche und kurfürst liche Wappen, die Buchstaben k'. und die Jahreszahl 1722, auf den anderen Seiten das Posthorn, den Siadtnamen, die nächsten Poststationen und die Meilenentfernungen nach allen größer» Städten Europas. An Stelle deS Posthorns irat die Posttrompete. DaS Posthorn soll seinen Ursp'.ung in den süddeutschen Metzger-(Fleischer-) Pollen haben. Die Kaufleutc größerer Städte gaben den Metzgern auf deren Eintaussfahrten Briefe und Packele aus die entferntere» Dorfschaften mit. In den Orten, die sie passirten, gaben die Metzger ihre Anwesenheit durch Blasen ans einem Horn tund. „Von der Straße her ein Posthorn klingt." — Vom 18. Oktober 1817 bis 3. Februar 1818 tagte in Dresden der erste deutsche Postcongreß, dessen Er gebnisse nach viermonatiger Tagung waren: überhaupt gar keine. Erst 1850 ward der deutsche Postverein gegründet unter Vorantritt Preußen-Oesterreichs und Beitritt der Mehrzahl deutscher Regierungen und der Taxis'schen Post Verwaltung. — Zur Entschädigung für den entstehenden Einnahmeverlnst mußten die Eisenhahngesellschaften der Post jährlich, den Posthaltern einmalig Abzahlungen leisten. So die Leipzig-Dresrner Eisenbahncompagnie in den drei ersten Betricbsjabreu je 10 000 Thaler, an die Posthalter einmalig 5000 Thaler. 1841 fuhr auf der Leipzig-Dresdner Bahn die erste Eisenbabnpost (ein Postschaffner), 1851 Leipzig-Hof das erste „fahrende Pcstamt". Laut Leipziger Postberichten gab eS dort 1831 wöchentlich 80, 1845 wöchentlich 186 abgehende nnd ebensoviel ankommende Posten. Die seit 1859 bestehende, unmittelbar für Staatsrechnung betriebene Posthalterei Schwarzenberg (Carlsbad) hatte noch 1865 einen Bestand von 50 Pferden im Sommer, 30 im Winter und brachte 1865 noch 2561 Thlr. 13 Gr. 8 Pfg. Rein gewinn. Die Gesammtsumme der fiskalischen Postsabr- zcuae war 1859: 228, 1865: 283 (darunter 50 bez. 58 Schlitten). Nichtärarische Posthaltcreiwagen und Schlitten gab cs 1805: 331. 1829 wurden in Leipzig und Dresden Stadlpostcn, zugleich auch Briefsammlungen bei vereideten Ladrninhabern eingerichtet. 1850 am 1. Juli tarnen die ersten 3-Pfg.-Marken für Kreuzbaiidsendungen in Gebrauch; am 1. Juli 1851 die 5-, 10-, 20-, 30-Pfg.-Marken. Zugleich wurden 1851 Stadtbrieskasten angebracht (1824 der erste in DirSden, früher noch einer in Leipzig), die Briefsammlungen aber wieder aufgehoben. Baareinzahlungen zur Wiederaus zahlung waren seit 1850 bis 25 Thlr. zulässig. Porto: Groschen per Thaler, daher wenig benutzt. 1865 wurden !,arh vorherige,,- anderen Aenderungc.: „Prstauweisu ig- couvrrts" eingeführt, die viel benutzt wurden. Seit 1859 brauchte der Postrcisende nicht mebr wie bisher Namen und Stand zum Einträgen ins Fahrbillet und Personenmanual anzugeben. Die Landbriefbeslellung war bis 1859, wo eine allgemeine Lanvpost mit Briefkästen in größeren Dörfern ein gerichtet wurde, in die Willkür des Provinzial-PostvorsteherS gelegt. Bis 1859 kostete jeder Landbries pro Wegstunde 25 Pfg. Botenlohn, also bei 3 Stunden Postentfernung Feuilleton. Logirbesuch. Humoreske noch dem Französischen von Wilhelm Thal. Naä>en>ck verbeten. I. Mein lieber Cousin! Ich bin glücklich, Dir eine gute Nachricht milthcilen zu können. Wir haben uns endlich entschlossen, die Reise nach Paris zu macken, zu der Ihr unS seit Jabren auffordert. Wir macken uns Sonntag Abend auf den Weg und werden Montag Morgen um 3 Uhr an Eurer Thür klingeln. Machet Euch aber keine Umstände. Wir kommen zu dritt, meine Frau, Georges und ich. George» ist allerdings erst drei Jahre, aber ist äußerst ge weckt und diese Reise versetzt ihn in Begeisterung. Den ganzen Tag singt er vom Morgen bis zum Abend: „Wir fahren nach Paris, wir fahren nach Paris." Aber wie gesagt macht Euch unsertwegen keine Umstände. Ein Zimmer genügt un», für meine Frau und mich, und ein kleine-Cabinet für Georges. Meine Frau wollte durchaus ins Hotel ziehen, aber sie hat schließlich eingesehen, daß Du und meine Cousine Lraerlich werden würdet, wenn wir anderswo als bei Euch absteigen würden. Was mich anbetrifft, so will ich keinen andern Führer al» Dich haben. Meine Frau beabsichtigt, in allen Magazinen herunizulaufen, ich Wille alle Denkmäler besichtigen, alle Thürme besteigen und vor allen Dingen alle Theater sehen. Wir werden übrigens die nöthige Zeit dazu haben, denn wir haben ein Rundreisebillet genommen und können ein»n Monat bei Euch bleiben. Also auf Montag, mein werther Cousin und Cousine; wir küssen Euch zärtlich. Euer Cousin fürs Leben Dßsirö Vassecourt. U. 8. Vergeßt nicht am Bahnhof zu sein. II. Herr Molichon, ein ehemaliger Tapezierer, der sich nach 25 jähriger Thätigkeit von den Geschäften zurückgezogen, hatte diesen liebenswürdigen Brief, den man ihm im Augenblick, da man sich zu Tische setzen wollte, übergeben, durchgelesen und sah nun seine Frau an, die ihm gegenüber saß. Doch gleich senkte er den Kopf, denn er fühlte den Sturm nahen, al» er sich an diese ungrschickle Einladung erinnerte, die ihnen beiden im letzten Jabre in ihrer Heimatb Valfontainr entschlüpft war, wo sie sich einige Tage aufgehalten batten. Thatsächlich vergaß Madame Molichon, daß auch sie von dieser berübmten Reise gesprochen hatte, la» nun den Brief noch einmal durch, commentirte jede» Wort, überhäufte den früheren Tapezierer mit Vorwürfen und gelangte zu der schrecklichen Schlußfolgerung, er wäre an allem Schuld. Plötzlich erinnerten sich Beide, daß heute ja schon Sonn tag wäre, und stürzten entsetzt durch den Salon, da» Eß zimmer und da» Schlafzimmer und suchten auf dem engen Raum die ganze Gesellschaft unterzubringen, ein auf den ersten Blick unmögliches Problem. Endlich aber, nach ganz unglaublichen Eombinationrn, verwandelt« man den Salon in ein Schlafzimmer und um 1 Uhr Morgens ging der frühere Tapezierer nach dem Bahnbof, «in die Familie Vassecourt zu erwarten, wobei er die Einrichtung der Rund- reisebillets auf daS Innigste verfluchte. Um 2>/r Uhr fuhr der Zug in den Bahnbof und nach sehr geräuschvollen Umarmungen gelang eS, die ganze Familie mit Sack und Pack in einem riesigen Fiaker unterzubringen. Der Cousin Vassecourt schrie, seine Frau glaubte jeden Augenblick, ihre Koffer zur Erde fallen zu sehen, und der kleine Georges stieß bei jedem Ruck ein wahre- Indianer geheul aus. Endlich kam man bei Molichon an, nicht ohne die Be leidigungen des Kutschers erduldet zu haben, der daS Trink geld ungenügend fand, während der Portier, den man aus dem Schlafe geweckt, den Fremdlingen einen wahrhaft eisigen Empfang bereitete. III. Um 7 Uhr Morgens war die gaiize Gesellschaft schon wieder auf den Beinen. Die Cousine Vassecourt hatte nicht geschlafen und Georges stand bereits aus dem Balcon, emsig damit beschäftigt, die Blätter eines Noscnslockes abzurupfen, den Madame Molichon mit eifersüchtiger Sorgfalt pflegte. Der Cousin öffnete die Schubladen, warf Alles durcheinander, rief dabei, man möchte sich seinetwegen keine Umstände machen, und suchte daS Rasirmeffer Molichon's, um sich zu rasiren, Frantzvise, die alte Wirthschafterin, flüchtete entsetzt in ihre Küche und hatte auf alle Fragen nur ein abweisendes Kopf schütteln. Mvlichon versuchte, Alle» ins Loth zu bringen. Er machte sich so klein wie möglich und verfolgte mit unruhigen Blicken die Streifzüge de» jungen Vassecourt durch den Salon. Endlich entschloß er sich, den Cousin nach der Bastille zu ziehen, um ihm die Julisäule zu zeigen, die er übrigens sofort mit ihm besteigen mußte. In der Trambahn, in der sie zurückfuhren, dachte er mit Grauen an die 29 Tage, die ihn noch erwarteten. Man setzte sich zum Frühstück zu Tische; die Hammelkeule war verbrannt, denn Madame Baffecouri war nicht recht zeitig mit ihrer Toilette fertig geworden. George» warf zwei Flaschen Wein auf da» Tischtuch, seine Mutter ohrfeigte ihn, und der Kleine fing an, derartig zu kreischen, daß man, um ibn zum Schweigen zu dringen, genöibigt war, ihn von Neuem auf dem Balcon spielen zu lassen, wo er die Blumen aus den Töpfen riß, um sie dann Über die Balustrade zu werfen. Nachmittags besuchten die Damen die Magazine. Die Cousine Vassecourt kaufte einen wahren Bazar auf, feilschte um jeden Gegenstand und verscheuchte sämmtliche Käufer. Man brachte die Packele zu Molickon, der allein zu Hause war und sich genötbigt sah, di« Rechnungen zu bezahlen. Der Cousin Vassecourt batte inzwischen keinen Sohn und Erben nach dem Zoologischen Garten gefi hrt. Um 7 Ubr kam er außer sich zurück und brachte den Jungen iu einem gräßlichen Zustande wieder; er wollte nämlich eine Ente au» einem Bassin fangen, war dabei in dasselbe hineinaefallen, und man hatte ihn, vom Kopf bis ru den Füßen mit Schmutz bedeckt, herauSgezogen. Bei dem Gedanken an die Gefahren, in Venen sich iyr Kind befunden hatte, wurde di» Mutter ohnmächtig. Man holte den Arzt, während in aller Eile ein Bett aufgestellt wurde, um Georges bineinzulegen, der wie wahnsinnig zu schreien angefangen hatte. Indessen fragte sich Herr Molichon, ob er nicht bald wahnsinnig werden würde, und so verging der zweite Tag. IV. Am nächsten Tage Promenade auf den Boulevards. Madame Molichon blieb zu Hause, um Fran?oise zu helfen, die mit der Kündigung gedroht hatte. Der Cousin und die Cousine sind in großer Toilette: im OmnibuS bricht ein Streit zwischen ihnen und dem Con- ducteur auS, der durchaus den Platz für den kleinen Georges bezahlt haben will, den seine Mutter neben sich gesetzt bat. Der Conductcur spricht davon, sie nach der Polizei bringen zu lassen, der Wagen hält, der Verkehr wird unterbrochen, die Fahrgäste werden ungeduldig, und Molichon macht der Sacke endlich dadurch ein Ende, daß er dem Conductcur 5 Francs in die Hand steckt. Im Museum deS Louvre großer Streit: er will links gehen, sie will rechts. Der kleine Vassecourt weint jedeS- mak, wenn er einen Neger auf einem Bild sieht, denn er behauptet, daS wäre der Teufel. Er stößt an alle Stasieleien, wirft die Farbentöpse um und rennt die Besucher an. Man beruhigt ihn nur, indem man ihn mit Hörnchen vollstopft, waS ihn nötbigt, sich an den Kleidern und Hosen der vor ibm gebenden Leute die Hände abzuwischen. Ein Engländer wird ärgerlich, und Vassecourt, der nicht versteht, WaS er zu ihm sagt, will absolut mit ihm boxen. Gruppen bilden sich von Neuem, Madame Vassecourt stürzt sich schluchzend in die Arme Molichon's, und dieser zerrt sie säst mit Gewalt in eine Seitengalerie, durch die sie sich aus dem Staube machen können. Ein neuer Streit entspinnt sich zwischen dem Ehepaar Vassecourt wegen der Scnlpturen, der nur dadurch ein Ende nimmt, daß Georges plötzlich unwohl zu werden anfängt. Madame Vassecourt weint, der Kleine steckt die Zunge berau», Herr Vassecourt schreit, nnd Molichon, mit Mänteln, Stöcken nnd Schirmen bewaffnet, rast durch die Galerie. Schließlich verbreitet sich das Gerücht, man habe ein ver giftete« Kind gesunden; man führt sie alle auf die Polizei, wo Molichon seinen Namen und seinen Stand nennen muß, den ihm der Brigadier eine Zeitlang gar nicht glauben will. V. Am nächsten Tage liegt Georges krank im Bett und die Damen müssen zu Hause bleiben. Molickon und Vassecourt müssen im Restaurant als Junggesellen speisen. Der Cousin ist äußerst gut aufgelegt und läßt mit wahrer Erobrrermiene seinen Stock durch die Luft pfeifen; im Restaurant bestellt er mit lauter Stimme, so daß er von allen Gästen gekört wird, blickt seinen Nachbarn in die Teller, um zu sehen, waS sie essen, und spricht davon, den Polizeicommiffar kommen zu lassen, al» man ihm die Rechnung bringt, dir er für un verschämt erklärt. Molichoa weiß nickt mehr, wohin er sich verkrieche« soll, um so mehr, da der Letter ihren Namen auSschreit und ihre Adresse angiebt. Die Gäste sehen sich an und lachen. Die Kellner stellen sich an der AuSganzSthür auf und Molichon, der die Polizeibeaniten auftauchen sieht, wirft zwei Louißd'ors auf den Tisch und zieht den Cousin fort, der davon spricht, das ganze Haus zum Duell fordern zu wollen. Im Theater lorgnettirt der Cousin in auffallender Weise eine Logenbesucherin und wird im Foyer von dem Herrn, der die Damen begleitet, zur Rede gestellt. Vassecourt will etwas erwidern, der Herr macht eine Bewegung, als wolle er die Hand gegen ihn erheben und Molichon erhält eine Ohrfeige, die gar nicht für ihn bestimmt war. Man wechselt die Karten, und Vassecourt, der keine bei sich hat, giedt die deS früheren Tapezierers. Zu Hause zurückgekehrt, träumt der arme Molichon die ganze Nackt von entsetzlichen Duellen. Er erwacht in Sckweiß gebadet und fragt sich, ob er wohl ein Verbrechen beginge, wenn er die ganze Familie Vassecourt in ein Bassin deS Parks von Versailles wirft, den man am nächsten Tag besuchen will. VI. Am nächsten Tag Reise nach Versailles. Es regnet in Strömen, die Illumination wird nicht stattfinden und die Wasserkünste nicht spielen. Die Familie Vasiecourt ist wüthend, ganz besonders aber Madame Vasiecourt, die sich zu dem Zweck ein neues Costüm hat machen lassen. Wie nicht anders zu erwarten, machen sie die Molichons für daS schlechte Wetter verantwortlich. Auf dem Bahnbof kein Wagen, sie müssen zu Fuß zurück und es regnet noch immer. Molichon fühlt, wie die Wutb in ihm aufsteigt, er entwirft einen Plan, sie alle zu ermorden. Schon zweimal hat er versucht, sie zu verlieren, doch sie haben sich wieder anzefunden. An demselben Abend erklärt Frantzoise, sie werde in den nächsten acht Tagen ziehen; außerdem erhalten sie einen Brief von ihrem HauSwirth, worin ihnen derselbe die Wohnung kündigt. Bei Tisch spricht man nicht mit einander, man fühlt, es schwebt ein Ungewitter in der Luft. Molickon hat schon einmal schüchtern den Vorschlag gemacht, in» Theater zu gehen, aber daS Ehepaar Vassecourt antwortet mit einem sebr trockenen „Danke!" Der Cousin und die Cousine gehen jetzt allein au», kommen nur deS Abends zum Diner nach Hause und lassen Georges allein zurück, der den ganzen Tag weint und nack seiner Mutter schreit. Molichon stopft ihn mit BoabonS nnd Kuchen voll, doch daS Kind wird leider nicht wieder krank Bei der Rückkehr scheint das Ehepaar von ibrrm Tagewerk ganz entzückt. Molichon gegenüber tragen sie eine gewisse verächtliche Miene zur Schau, und dieser kann die in ihn, aufsteigende Wutb nur dadurch beruhigen, daß er an die be vorstehende Abreise denkt. Um seiner Sache ganz sicher z, sein, will er sie sogar zur Bahn bringen. Als die Familie Vassecourt im CoupS sitzt, vergißt sie vollständig, ivm die Hand zu reichen, doch Molickon ist darüber nicht besonders böse, er albmet auf, und selbst die Borwürfe seiner Fra» sind nicht im Stande, ihm diente Laune zu trüben. Die Moral von der Geschickte: als die Molichon'» im nächsten Jahre nach Valkontaine zurückkehrten, hielten r< die Vassecourt'» nicht einmal der Mühe werrh, sie zu grüße».
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