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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.02.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-02-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189702284
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18970228
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18970228
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-02
- Tag1897-02-28
- Monat1897-02
- Jahr1897
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.02.1897
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Bezug-Prei- Al brr Hauptrxpeditton oder drn im Stadt» b»»irk und de» Vororten errichteten AvS- aoorstrllrn ob ge holt: vierteljährlich X 4.50, vei zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau» 5.-0 Durct, die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viert«l>ährlich 6.—. Direct» tägliche Kreuzbandsendmrg iu» Ausland: monatlich ^ ?^iO. Di» Morgen-AuSgabe erscheint um '/,? Uhr. di» Abend-Au-gabe Wochentag- um 5 Uhr. NeLaction und Erpeditio«: Aodannesgaffe 8. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filialen: ktto Klemm » Sortim. (Alfred Hahn), Universitütsstrabe 3 (Paulinum), Laut» Lösche, Aotharinenstr. 14, Part, und König-Platz 7. Anzeiger. Amtsblatt des königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Natljes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Auzsigsu-Prsi- die 6 gespaltene Petitzeile -0 Psg. Reklamen unter demRedaetionsstrich (»ge spalten) vor den ffamiliennachrichten (6 gespalten) 40>4. Größere Schriften laut unferrm Preis» verzeichnitz. Tabellarischer und Ztssernsatz nach höherem Tarif. Sxtra-Beilagen (gefalzt), n»r »U der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung >4 M—, mit Postbesörderung Al 70.—-. Ännahmkschluß für Anzeige«: Abeud-Au-gabe: Bormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» »Uhr. Bet den Filialen und Annahmestelle» je ein» halbe Stund« früher. Anzeigen sind stet» an di« Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Pol» ln Leipzig. M. Sonntag den 28. Februar 1897. 91. Jahrgang. Aus -er Woche. Der, wenn r» sich um Bewilligungen rum Zwecke der nationalen Wehrkraft handelt, so sparsame Reichstag geht mit der kostbaren Zeit verschwenderisch um. Seine SchwcrinS- lage hat er vergeudet und jetzt hat er sich Ferien bis zum 8. März bewilligt. Während man anfangs diese Pause mit der Nothwendigkeit begründete, daß den Commissionen mehr Zeit gewahrt werden müsse, um die ihnen überwiesenen Arbeiten zu fördern, wird jetzt ganz ungeschminkt erklärt, daß daS Centrum den Carneval in Köln mitfeiern wolle und daß von der „führenden" Partei im Reichs tage bis zum Schluß der nächsten Woche Niemand anwesend sein werde. ES sind deshalb bis zum Donners tag keine CommissionSsitzungen anberaumt, die Budget- Commission wird gar erst am Freitag ihre Berathungen mit dem Marine-Etat wieder ausnebmen, weil der Staatssecretair Hollmann an der Vereidigung der Marine-Recruten in Wilhelmshaven am nächsten Donnerstag dienstlich theil- nehmen muß. Der Reichstag bat in seiner gegenwärtigen Tagung, die am 10. November v. I. begann, bis letzt herzlich wenig geleistet, sogar die VudgetberatbungeN sind noch so weit im Rückstände, daß die rechtzeitige Erledigung des Etats zum 1. April höchst unwahrscheinlich geworden ist; die großen Gesetze sind eben erst in Angriff genommen worden, dazu wird noch der Eingang der Militair- strasproceßreform und der Handwerkervorlage erwartet. Bei dieser ungeheuren Fülle des ArbeitSstoffeS setzt das Centrum eine Pause von acht Tagen durch, um an einem Carnevals- frste theilnrhmen zu können! Die „ausschlaggebende" Partei bewährt sich wieder einmal in ihrer vollen Größe; sie liefert einen vollgiltigen Beweis dafür, daß sie zur „Führung" im jetzigen Reichstage reckt sehr befähigt ist. Wenn nach seinem Wiederzusammenlritte daS HauS nochmals auf die kretische Frage zurücktommen sollte, so wird der Staatssecretair v. Marschall voraussichtlich in der glück lichen Lage sein, seine am Montag auf eine Anfrage des Abg. vr. abgegebene Erklärung ganz wesentlich und in erfreulicher Weis« zu ergänzen. Daß Griechenland die Mächte wie in der Schuldenfrage so auch in der kretische» Frage ungestraft am Barte werde zupfen können, hat sich trotz der englischen Versuche, den „Hellenen" dieses Privilegium zu sichern, als unbegründete Besorgniß erwiesen, und zwar ganz wesentlich in Folge der ebenso vor sichtigen, wie entschiedenen Haltung der deutschen Diplo matie, die den Vorschlägen Rußlands und Oesterreich-Ungarns einen Nachdruck verschaffte, der selbst daS widerwillige Eng land Schritt für Schritt zum Einlenken zwingt. Ist auch noch kein vollständiges Ernvernebmen über alle einzelnen Schritte zur dauernden Pacification der Kreter und ihrer Nachbarn erzielt, so kann man doch mit Bestimmtheit annehmen, daß eine den europäischen Frieden bedrohende weitere Ver wickelung abgewenvet worden ist. Jener Theil der Presse, der seine persönlichen Interessen zu fördern glauben, wen» er mit ebenso unwürdiger, wie dem Anseben deS Fürsten Bismarck nach- theiliger Speculation auf die Popularität deS großen Mannes Alles bemäkelt, was die jetzigen Leiter unserer auswärtigen Politik thun oder lasten, sieht sich nun vor der unangenehmen Aufgabe, entweder die gegen den jetzigen Reichskanzler wegen seiner in der kretischen Frage beobachteten Haltung gerichteten Vorwürfe zurückzunehmen, oder unter Verdunkelung der That- sachen zur Schmälerung deS deutschen Ansehen» im Auslande neue bervorzusuchen. Die letzten politischenProcesse habenMancheS im Dunkeln gelassen, was nur aufgeklärt werden kann, wenn die Gerichts verhandlung gegen Herrn v. Tausch den breiten Rahmen er hält, wie ibn die Wiederherstellung des stark erschüttert ge bliebenen öffentlichen Vertrauens verlangt. Eine Stelle in dem nunmehr nach stenographischen Aufzeichnungen vor liegenden Plaidoyer des Vertreters der Anklage im Proceß Wegner legt es nahe, einen jener Puncte wenigstens andeutungs weise zu berühren. Herr Oberstaatsanwalt Drescher hat bemerkt: „Ich war einen Augenblick im Zweifel, ob ich die Anklage er weitern sollte im Lause der Beweisaufnahme auf den Thatoestand der Verleumdung. Ich habe davon Abstand genommen "id nehme auch jetzt noch davon Abstand, weil ich persönlich ns der früheren Lrctüre gerade dieser Zeitung die Ueberzeugung«^ onnen habe, man Hab« sich in dieser Presse, der die Zeitung anaeydrt, ge wissermaßen verrannt in die Idee, daß Alles, was auf Tonspirationen und Jntriguen hindrutet, immer nur vom Auswärtigen Amt her- rühren könnte. DaS ist gewissermaßen eine stxe Idee geworden, und eine derartige fixe Idee schließt ja, wie wohl allgemein an erkannt wird, das Moment deS Wider-besseres-Wissrn c^S." Herr Drescher spricht von einer bestimmten Gruppe von Preßorganen, zu der daS unserige nicht gehört, und von dem Glauben an eine conspiratorische Initiative beim Auswärtigen Amte, den wir nie getheilt baden. Aber die Vermutbung, daß diese Behörde politischen Jntriguen, die sich nicht gegen sie richteten, bis vor etwa drei Jahren ohne ein ernstliches Bedürfniß nach Aufdeckung gegenübergestanden hat, ist auch anderen als den vom Oberstaatsanwalt bezeichnet«» Kreisen nicht fremd geblieben. Von einem Kalle elendester Mache, die ihre Spitze gegen einen preußischen Reffortminister gekehrt haben soll, jedenfalls aber andere Personen mit dem in einem monarchischen Staate denkbaren größten Erfolge fälschlich eines dunklen Treibens bezichtigte, »st eS uns genau bekannt, daß er zur Kenntniß deS Grafen Caprivi und deS Freiherr» v. Marschall gelangt war. Dagegen ist nicht ersichtlich geworden, daß diese beiden hohen Würdenträger auf die Entwirrung der — beiläufig bemerkt — ziemlich plump gesponnenen Fäden auch nur einen kleinen Theil der Energie, die der Staatssecretair des Auswärtigen neuerdings gezeigt hat, angewandt hätten. Wer unter dem Eindruck der Kenntniß von Thatsachen dieser Art stand, der konnte, auch ohne das Opfer einer „fixen Idee" zu sein, am Auswärtigen Amte Manches räthselhaft finden. Erst der Proceß Leckert, der der stauneodea Welt in Herrn v. Tausch einen für die Reichsbehörde lange Zeit unfaßbaren gefährlichen Intriguanten zeigte, bot Anhaltspunkte für neue Vermutbungen. Seine Fortsetzung wird hoffentlich beruhigende Gewißheit bringen. Der oben angedeutete ältere Fall hatte hinsichtlich der Jnscenirung die größte Aehnlichkeit mit dem der Bildung der Legende über den beabsichtigten Zarenbesuch in Friedrichsruh. Nur daß die Entstehung der letzteren Fabel als vollständig aufgeklärt gelten muß, so lange die Be- theiligten nicht öffentlich behauptete Thatsachen bestreiten können. Vor zehn Tagen berichtete, wie wir meldeten, der „Hannoversche Courier" aus Berlin daS Folgende: „In derBerhandlung ist festgestrllt worden, von wem die selt samen Gerüchte über drn angeblich hintertriebenen Besuch deS Zaren in Friedrichsruh auSgegangen sind. Der hiesige Vertreter eines Leipziger Blattes hat die Geschichte zweimal, in einem Restaurant und in einer Gesellschaft, erzählt, wie er hinzufügt, um seinen Zuhörern eine Dummheit aufzubinden." Angesichts dieser gerichtlichen Aussagen ist Alle«, was neuerdings wieder über die Entstehung der Legende geschrieben worden ist, völlig gleichgiltig. Die am Freitag nach dem „Hamb. Corr." in Erinnerung gekrackten Combinationen der „Leipziger Neuesten Nachrichten" vom 4. September vorigen IahreS lasten nun starke Zweifel an der Absicht, „eine Dummheit aufzubinden", entstehen, Zweifel, die eben auch schon daS Hannoversche Blatt hat durchblicken lassen. Aber die Urheberschaft selbst steht fest, es müßte denn sein, daß der „Hann. Cour." irrtümlicher Berichterstattung überführt werden könnte. Demokratische Blätter schreiben: „PeterSchwuchow, welcher zuletzt in Ludwigshafen und vorher in Neunkircden bei dem Stummachen „Schleisstein" als Redakteur thätig war, siedelt jetzt aus der Pfalz nach Berlin über, um, wie es in einem nationaUiberalen Blatt heißt, in Berlin „die liberalen Elemente zu sammeln". Peter Schwuchow hat in kurzer Zeit nach einander natlonalliberale bezw. konservative Blätter redigirt in Neustadt in der Pfalz, Karlsruhe, Düsseldorf, Kiel, Neunkirchen und Ludwigshafen." DaS nationalliberale Blatt, von dem die Rede ist, hat dem Vielgewanderten den Beruf deS Einiger» natürlich nur ironisch zugesprochen. Herr Schwuchow dürfte seine Kraft in den Dienst deS „SchutzverbaudeS gegen agrarische Ueber- griffe" stellen. Entwickelung der Reichsfinanzen. tt AuS der Rede, welche Graf PosadowSky bei der Be- ratbung de» Gesetzes, betreffend die Verwendung eines TbeileS der Ueberweisungssteuern zur Tilgung von Reichsschulden, hielt, ergiebt sich daS Eine mit Gewißheit, daß die ver bündeten Regierungen grundsätzlich an dem Ziele einer organischen Finanzreform festhalten. Hierbei wurde von dem Schatzsecretair der Beweis geführt, daß sich unter vollkommener Aufrechtbaltung der staatsrechtlichen Be deutung der Franckensteio'schen Klausel das Finanzwesen des Reichs wesentlich einfacher und durchsichtiger gestalten läßt. Der jetzige verwickelte Mechanismus hat die unzweifel hafte Folge, daß nicht nur die überwiegende Zahl der ReickSangebörigen, sondern, wie wir glauben, auch ein großer Theil der Reichstagsabgeordneten selbst sich ein Bild von der tatsächlichen Gestaltung der Reichsfinanzen kaum mehr machen kann. Gerade die Parteien, die mit Recht ein ge ordnetes Finanzwesen als daS wichtigste Fundament des Staate» betrachten und auf diesem Gebiete auch die Pflicht ihren Wäblen gegenüber ernst nehmen, sollten die Hand dazu bieten, unsere Reichsfinanzen durchsichtiger zu gestalten und damit auch weiteren Kreisen die Möglichkeit zu gewähren, der Entwickelung dieses wichtigen Zweiges der Reichs verwaltung mit Verständniß zu folgen. Wenn auch die verbündeten Regierungen zur Zeit keinen Versuch gemacht haben, im Reichstage ein neues Finanzreformgesetz durchzn- bringen, so scheint die Hoffnung doch nicht ausgeschlossen zu sein, daß die Mehrheit deS Reichstags von der unbe dingten Nothwendigkeit einer solchen Maßregel sich schließlich überzeugen werde. Entsprechend einem im Plenum deS Reichstags aus gesprochenen Wunsche, ist demselben eine Anzahl statistischer Tabellen zugegangen, welche eine Ueb erficht von der Ent wicklung der Reichsfinanzen in den Einnahmen und Ausgaben während der letzten Jahre geben sollen. Zunächst werden darin die Ausgaben für Zwecke der Landesvertheidigung zu Lasten der ordentlichen Reichs-Einnahmen daraestellt. Danach betrugen die fort dauernden Ausgaben für Heer und Marine 1872: 276,7 Millionen und >895/96: 636,4 Millionen. Auf den Kopf der Bevölkerung entfielen 1872: 6,75 im Jahre 1895/96: 12,18 Die einmaligen Ausgaben stiegen in demselben Zeiträume von 15,1 Millionen auf 64,2 Millionen oder von 0.37 ^ für den Kopf der Bevölkerung auf 1,23 ^ Die Summe der fortdauernden und der einmaligen Ausgaben erhöhte sich von 291,9 Millionen auf 700,6 Millionen oder von 7,12 Mark für den Kopf auf 13,41 Bei der Marine im Besonderen sind die gesammten Ausgaben von 21,3 auf 91,4 Millionen oder von 0,52 für den Kopf der Bevölkerung auf 1,75 gestiegen. Eine zweite Uebersickt verbreitet sich über die gesammten Ausgaben deS ordentlichen Etats nach Ausscheidung der Ueberweisungen, der Ausgaben des InvalidenfondS, der Ausgaben der Betriebsverwaltungen und der Fehlbeträge auS früheren Jahren. Nach dieser Uebersicht betrugen die Ge- sammtauSgaben im Iabre 1872: 299,2 Millionen und waren 1895/96 auf 788,8 Millionen gestiegen. Auf den Kopf der Bevölkerung entfielen im elfteren Jahre 7^0 und im letzteren 15,lO Die Brutto-Soll-Einnahme am Kaffeezoll betrug 1885/86: 47,5 Millionen oder 1,02 auf den Kovf, im Jahre 1895/96: 49,4 Millionen oder 0,91 ut, am Petro- leumzoll im elfteren Jahre 28 Millionen oder 0,60 im letzteren 49,2 Millionen oder 0,94 .6 An Tabakzoll und Tabaksteuer betrug die Brutto-Soll-Einoahme 1885/86: 43,5 Millionen oder 0,94 und 1895/96: 61,3 Millionen oder 1,17 auf den Kopf der Bevölkerung. Für den Salz zoll und die Salzsteuer stellte sich daS Berhältniß auf 42,2 Millionen oder 0.91 und auf 48,8 Millionen oder 0,93 bei der Brauste »er uud UebergangSabgabe an Bier auf 21,6 Millionen oder 0.81 und auf 32,3 Millionen oder 0,79 bei der Wechselstempelstruer auf 6,6 Millionen oder 0,14 und 8,7 Millionen oder 0,17 ^ Die Summe der reinen Ueberschüsse der Betriebs verwaltungen belief sich 1885/86 aus 35,5 Millionen oder 0,84 auf den Kopf und 1895/96 auf 4? Millionen oder 0,98 auf den Kopf. Die Matricularbeiträge sind von 82,2 Millionen im Jahre 1872 auf 421,4 Millionen im Jahre 1897/98 gestiegen, die Ueberweisungen von 8 Millionen im Iabre 1879/80 auf 404 Millionen im Jahre 1897/98. Die Schwankungen der finanziellen Beziehungen des Reich» zu den Einzelstaaten sind so beträchtlich gewesen, daß, wahrend im Jahre 1872 die Bundesstaaten 82,2 Millionen an das Reich zu zahlen hatten, letztere- im Jahre 1889/90 in der Lage war, 139,7 Millionen an die ersteren herauSruzahlen. Die Reichsschuld schließlich belief sich auf 72,2 Millionen mit 2,8 Millionen Zinsen im Jahre 1878 und betrug im Jahre 1896: 2 125,2 Millionen mit 72,2 Millionen Zinsen. Die jetzigen Zinsen haben demnach die Hohe der früheren Schuld erreicht. Deutsche- Reich. 6. K. Berlin, 27. Februar. Die schweren Niederlagen, welche die Socialdemokratie bei den zahlreichen Streiks dieses IahreS, in empfindlichster Weise bei dem Hamburger Hafenarbeilerstreik, erlitten, hat sie in keiner Weise eot- mutbigt; alle Factoren sind unausgesetzt thätig, um für die Zukunft gerüstet zu sein. Auf politischem Gebiete hat sie ihren Aufmarsch für die Reichstagswahlbewegung vollendet, alle Reichstagswahlkreise sind mit Candidaten besetzt. Unter ihnen befinden sich mehrere, die aus der Versenkung aufgestiegen sind, in der sie längere Zeit verschwunden waren. Zu ihnen gehört der Genosse Ferdinand Ewald, einst ReichStagScandidat im Wahl kreise Brandenburg-Westhavelland, dann aber, nachdem er als Hausbesitzer einem Vereine zur Eintreibung der Miethen beigetreten, eine gefallene Größe; jetzt ist er im Wahlkreis Zauch-Belzig-Iüterbog-Luckenwalde atS Candidat aufgestellt. Wenn man allen den neuen Candidaten glauben will, dann wird der Reichstag 1898 sechs und mehr Dutzend „Genoffen" aufweisen. Bei den OrtSkranken- cassenwahlen erringt die Socialdemokratie einen Erfolg nach dem andern; in großen Städten zieht eS fast keine Ortskrankencasse mehr, die nicht einen socialdemokratischen Vorstand hätte und eine Anzahl socialdemokratischer Agitatoren als besoldete Beamte unterhielte. Noch vor 15 Jahren gab es keine Ortskrankencasse mit einem socialdemokratischen Vorstände. Auch bei den GewerbegericktSwahlen erobert sich die Socialdemokratie unausgesetzt neue Positionen; Frankfurt a. M. wird den „Vorzug" genießen, ein ganz rotheS Gewerbegericht zu besitzen; denn auch in der Classe der Arbeitgeber ging die socialdemokratische Liste durch. Zu den kommenden Lohnkämpfen nimmt die Socialdemokratie insofern Stellung, als die kleinen Organisationen jeder Branche sich zu einem geschlossenen Ganzen zusammenschließen; „nationale" Congresse fördern r FsrriUctsir. Ans -er Welt der Botschafter. Plaudereien eine» alten Diplomaten. Nachdruck verboten. I. . . . Ein prunkvoller, doch vornehm-behaglicher Salon im aristokratischen Viertel der Residenz. Zwanglos stehen oder sitzen elegante Damen und befrackte Herren in dem durchwärmten Raume umher und in gedampften Lauten schwirrt dir Unterhaltung durch da» Gemach. Don drn schweren Vorhängen halb verdeckt haben sich zwei Herren m einer Fensternische in rin scheinbar hochwichtige» Gespräch vertieft, wahrend in jener lauschigen Eck« ein junger Husaren- officier sich bemüht, bei der noch immer schönen Dame deS Hause» den Schwerenöther zu spielen. An dem großen Marmorkamin jedoch, auf dessen SimS zwei seivcnbeschirmte Lampen rin« kostbare Boule-Garnitur bestrahlen, lehnt ein tadellos gekleideter alter Herr, zwei Finger der rechten Hand zwischen den Knöpfen de» Weißen Gilet», in jener traditionellen „staatSmännischrn" Haltung, die a»S den zahlreichen Portrait» de» alten Fürsten Metternich und au» gewissen LieblingS- rollen Friedrich Haas«'» bekannt ist. Daß der Kammer diener diese» Herrn ein besonderer Künstler auf dem Brenn eisen sein muß, erhellt schon au» den genau abgezirkelten Lockenwindungen seine» vermutblich nickt mehr echten, grau- melirten Haare» und de« sorgfältig gepflegten Backenbart»«, der die verwitterte aber stet» in würdevolle Falten gelegte Physiognomie umrahmt. Dem feierlich reservirten Aussehen entspricht auch der getragene Ton und die abgemessene Ge bärde de» alten Salonlöwen, an dem stet» Alle» anzudeuten scheint, daß er Grhrimniff« von ungeheuerer Tragweite mit sich herumtrage. Selbst sein gelegentliches Lächeln ist mehr vielverschweigend als vielsagend. Wie oft bin ich — zumal iu früheren Zeiten — dieser stereotypen Figur in der aristokratischen Gesellschaft europäischer Hauptstädte begegnet! Sie ist so recht die Verkörperung der alten Schule in der Diplomatie. Die Sturmgeister von heute wären vielleicht geneigt, den alten Herrn für geistig bornirt und einer kräftigen Action nicht für fähig zu kalten: — daS wäre ein großer Irrtbum. Allerdings erfüllt unS z. B. der eine der beiden Herren in der Fensternische, ein dochgewachsener Mann mit straff ge drehtem Schnurrbart, energischen Handbewegungen und einer knappen, bestimmten Sprechweise, die auf seinen Zuhörer einen sichtlich tirjen Eindruck hervorbringt, mit viel größerem Vertrauen auf da- Wissen und Können und auf die, wenn nötbig, rücksichtslose Entschlossenheit dieses Vertreter» der neuen Schule. Aber im Großen und Ganzen liegt der Unterschied dock mehr in der Methode als in dem Zweck, mehr an der Oberfläche als im Wesen selbst. Auch der alte Herr, der eben einer rmaillirtrn Tabatitzre mit spitzen Fingern eine Prise entnimmt, weiß genau, was er will, und er beseitigt die Schwierigkeiten, di« seine Stellung mit sich bringt, auf seine Art ebenso sicher wie sein jüngerer College die seinigrn; ihm fehlt, wenn r« Notb lhut, dir rasche That ebenso wenig, wir der Andere den krummen Weg und da« langsamere, vorsichtige Temvo bei seinen Actionen entbehren kann. Dock kann kein Zweifel darüber bestehen, daß dir namentlich seit BiSmarF» Auftreten mehr und mehr zur Herrschaft gelangte neue diplomatische Sckule weit mehr mit Aufrichtigkeit arbeitet, al« «S im internationale» Verkehr einer früheren Zeit herkömmlich war, und viel häufiger in ihren Vorstellungen und Alternativen dir Dinge, manchmal sogar etwa« derb, beim rechten Namen nennt, so daß Freundschaft und Grgnerschast deutlicher eingrstanden, die Interessen klarer umgrenzt und schärfer vertreten zu werden pflegen als «Hedem. DaS bat denn auch seine Wirkung im amtlichen wie im außeramtlichen Verkehre der diplomatischen Zunft geübt, mit deren Organisation übrigen« in den weiteren Kreisen deS PublicumS weit weniger Vertrautheit herrscht, als man nach dem häufigen Vorkommen diplomatischer Bezeichnungen in der Tagespreffe eigentlich annehmen sollte. Die heutige Diplomatie theilt sich ganz allgemein in jene Fnnctionaire, die in der Heimath, und jene, die in der Fremde wirken. Die ständigen Gesandten unseres Zeitalters — bei den Großmächten sieben sie bekanntlich in dem höheren Range von Botschaftern — sind erst eine Einrichtung der neueren Zeit, etwa seit dem Dreißigjährigen Kriege. Ihre Existenz datirt ursprünglich auS jenen Zeiten, in denen die Verkehrs mittel noch so unentwickelt und umständlich waren, daß jeder Herrscher das Bedürfniß batte, an dem Hoflager anderer Souveraine theil« nur aus besonderem Anlasse, tbeil» ständig einen bevollmächtigten Vertreter residiren zu lasten. Seine Regelung und Organisation fand da« moderne GesellschaftS- wesen erst auf dem Wiener Congrrß, und erst seit dieser Zeit etwa datirt der Brauch, daß an jedem größeren Herrscherhofe ein ganzes „diplomatisches Corps", bestehend au« den diplomatischen Functionairen aller übrigen Mächte, seßhaft ist. besten Mitglieder nicht nur zum Schutze der in dem betreffenden fremden Lande befindlichen eigenen Staats angehörigen, sondern weit mehr noch »ur eifrigen und sorg fältigen Wahrnehmung der Macktverhaltnisse und Interessen ihrer Heimathländer in forlgesetzler Cooperation mit dem heimischen Kanzler oder Minister de- Auswärtigen braus- tragt sind. ES hat sich au» jenen alten Tagen «. A. ein etwas umständliche» uud feierliches Ceremoniell bei der sogenannten Accrrditirung und bei der Abberufung der Botschafter oder Gesandten erhalten, auf besten genaueste Einhaltung von beiden Seiten gewöhnlich großer Werth gelegt wird. Nie wird zu dem Posten eine- Gesandten oder Botschafter» tin Diplomat ernannt, ohne daß man zuvor bei dem fremden Hofe vertraulich Anfrage hält, ob der Betreffend» dort „ge- nehm" sei, und schon manchmal wurde infolge der ebenso vertraulichen Antwort die Wahl auf eine erwünschtere Person gelenkt.*) Die Abberufung erfolgt meist in der Weise, daß der gewesene Gesandte nach seiner Ernennung für eine andere Stelle bei dem fremden Souverain, dem er einstmals sein Beglaubigungsschreiben feierlich überreicht hatte, nochmals in besonderer Audienz vorspricht und in aller Form die Zurückberufung von der früber bekleideten diplomatischen Vertreterschaft zur Anzeige bringt. Wie früher die zabllosen Antrittsbesuche, so müsten nun ebenso zahllose Abschieds besuche in der fremden Residenz gemacht werden, Höflichkeits- ceremonien, die allerdings im Falle internationaler Ver stimmungen oder gar kriegerischer Absichten kurz abgetban werden oder ganz unterbleiben, woher da- bekannte, heute in der Regel nicht mehr zutreffende Wort stammt, daß der Botschafter „seine Pässe gefordert" habe, um ohne weitere Formalitäten die Heimreise anzutreten. Die amtliche Technik de» modernen diplomatischen Ver kehres vollzieht sich natürlich ohne Kenntniß und Einblick der Ocffentlichkeit. Man sieht nur, und dies oft sehr spät, die Wirkung, fast niemals aber daS Räderwerk der im Gang befindlichen Maschinen. Dazu kommt der gewöhnlich durchaus geheime Charakter der im internationalen Verkehre bestehenden, sich oft gewebeartig kreuzenden Absichten, was einen berühmten Staatsmann unserer Tage zu dem ge flügelten Worte veranlaßt bat: ..Da« Gebeimniß ist die Bürgschaft de» Erfolgs." Der Verkehr zwischen daheim und einer fremden Regierung vollzieht sich kaum jemals direct, sondern die für die fremde Negierung bestimmten Miltbeilungen, Beschwerden oder Forderungen de» heimi schen CabinetS kommen zunächst dem an Art und Stelle befindlichen Botschafter zu, der sodann bald auf schrift lichem Wege, bald unter gleichzeitigem persönlichen Ein schreiten, Wohl auch unter fordernder Begründung oder Er läuterung die Zustellung der betreffenden „Note" durchführt, wobei manchmal auch nicht die Botschafttr selbst, sondern sein BotschastSrath oder sein Gesandtschaft-secretair intrrveniren *) Der jüngste Fall dieser Art war die Ablehnung eine» schon ernannten chinesischen ««sandten dur» England und Deutschland.
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