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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.03.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-03-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189703144
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18970314
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18970314
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-03
- Tag1897-03-14
- Monat1897-03
- Jahr1897
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.03.1897
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Tabellarischer «nd ZifferNsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilage« (gefalzt), »ur mit der Morgen-AuSgab«, ohne Poftbefvrderung >ll SV.—, mit Postbeförderung ^ 70.—. Annahmeschluß für Au-elzen: Abend-AuSgabe: BormittagS 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeige« find stet» an dt« Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Pölz in Leipzig. Sonntag den 14. Mürz 1897. 91. Jahrgang. . Aus der Woche. Regelmäßig, wenn die innerpolitische Situation sich ver wickelt, oft aber auch ohne solchen Anlaß, taucht in einem Theile der Presse die Empfehlung des Staatsstreichs auf: der aus dem allgemeinen Wahlrecht hervvrgegangene Reichstag müsse durch einen anders gebildeten ersetzt werden, und da der Reichstag selbst dazu die Hand nickt bieten werde, so muffe die Verfassung gebrochen, Gewalt an Stelle des Rechte» gesetzt werden. Das Spielen mit diesem Gedanken ist nicht weniger thöricht, als frivol. WaS an dem jetzigen Reichstag auSzusetzen ist, ist seine Mangel an nationalem Sinn, an deutschem Patriotismus. Wo sind aber die Garantien dafür, daß eine Reichsdelegation, wie sie gewöhnlich vorgeschlagen wird, ein von den Landtagen der Einzelstaaten aus Mitgliedern derselben gebildetes Reichs parlament, in nationaler Hinsicht bener besteben werde? Die Leidenschaften, die beute bei den ReichStagswahlen vielfach unerwünschte Ergebnisse zeitigen, würden, wenn die LandeS- kammern Wablkorper für daS Reich wären, auch die Landtagswahlen beherrschen. Dabei kommen ater nickt zunächst die Umsturztestrebungen, sondern der particularistische KlerikaliSmuS und der ihm dienende bürgerliche Radikalismus in Betracht. Die fünfzig Socialdemokraten im Reichstage sind gewiß keine Zierde desselben, aber Hindernisse einer positiven Reichspolitik sind sie an sich noch nicht. Die in keinem anderen Parlamente vorhandenen Widerstände gegen eine nationale Politik rübren vom Centrum und der Demokratie her, zwei Richtungen, die mit den Polen, Welfen und Elsässern im gegenwärtigen Reichstage beinahe stark genug sind, um ohne die Socialdemokratie die „Reichsmaschine einroslen" zu lassen. Zn den Landtagen von Bayern und Württemberg haben schon jetzt diese national-nibilistischen Elemente die Mehrheit, in Baden steht eine andersgeartete Majorität auf zwei oder vier Augen und in Hessen ist sie unsicher. Der famose Plan der Delegationen könnte uns also leicht einen Reichstag bescheeren, in dem der ganze Süden und Südweslen — auf Elfaß-Lochringen werden die Staats streich-Enthusiasten doch Wohl nicht ihre Hoffnung setzen — seine Vertretung bei der Compagnie Lieber - Hausmann- Singer hätte. Jedenfalls fiele Bayern und mit ihm die vorbildlich , nationale. Pfalz gänzlich für eine gesunde RrichSpolitik weg. Dem würde aber die Bürg schaft für eine auS Mittel- oder Norvdeutschland entsandte nationale Reichstagsmehrheit keinesweg gegenüberstehen. Centrum und Conservative im preußischen Abgeordnetenbause brauchen sich nur zu einigen — der preußische Conserva- tivismuS neuerer Ordnung bat gezeigt, daß er seinen Preis hat —, und wir werden erkennen, daß man den schlechtesten aller möglichen Reichstage nicht unter der Herrschaft des allgemeinen Stimmrechts erlebt hat. Abgesehen also von der Verwerflichkeit einerBerfassungsverlktzung,die unserem ganzen öffenilichenRechtr die Grundlage entzöge, und von dem Umstande, daß die Verschiedenheit der Wahlsysteme in den Bundesstaaten eine ganz ungleichmäßige Vertretung der einzelnen Reichs gebiete nach sich ziehen würde, sprechen auch praktische Gründe egen ein Abenteuer, an da» Leute, die auf den Namen 'atrioten Anspruch machen, nicht einmal denken sollten. Es müssen freilich so ungeheuerliche Pläne «me der einer Reichsdelegation ans Licht treten, um die Möglichkeit eines noch untüchtigeren Reichstage», al» der jetzige ist, zu ver gegenwärtigen. Wir zählen — aut gerechnet — nock höchsten» zwanzig Sitzungen bis zu dem Termin, wo die Osterpause beginnen muß, und besten Falles noch dreizehn Sitzungen vor dem I. April, an welchem Zeitpunkte der Etat verfassungsmäßig fertiggestellt sein sollte. Im vorigen Jahre begann die Session über drei Wochen später als diesmal, bei der EtatSberatbung und auch sonst wurde an Zeitvergeudung, wie man damals glaubte, Unübertreffliches geleistet. Dennoch gelangte der Etat rechtzeitig zum Abschluß. Daß daS auch in diesem Jahre geschehen werde, ist zwar nicht absolut unmöglich, aber höchst unwahrscheinlich. Dabei ist auch im Uebrigen nichts Erkleck liches zu Ende geführt oder auch nur, von dem ziemlich weit gediehenen Handelsgesetzbuch abgesehen, der Vollendung nabe gebracht worden. Geredet hiergegen hat man schier unüber sehbar viel und seinem Namen ist das deutsche Parlament damit gerecht geworden; mit dem Begriffe, den man damit verbindet, siebt eS anders. Die Unterhaltung des Reichstages über allerhand Initia tivanträge fesseln Niemand und sie stechen darum ungünstig ab von den Debatten im preußischen Abgeordneten haufe, das sitzt den Etat der Staatseisenbabnen beräth, wobei zwar auch nichts Welterschütterndes vorgebracbt wird, aber viele interessante Einzelheiten in interessanter Weise er örtert werden. Die Debatten der Einzellandtage haben vor denen im Reichstage das voraus, daß sie sich mehr als die letzteren auf das auch dem Abgeordnetenleibe näher als der Rock liegende Hemd beziehen. DaS land schaftliche, daS locale Interesse kommt häufiger inS Spiel als im Reichstag, wo in der Regel nur der Militair- elat mit seinen Casernenbauten, Exercierplatz-Ankäufrn u. s. w. und der Postetat das Ich des Gewählten und Wievergetvählt- seinwollenden berühren. Dieser Unterschied fällt bei der Frequenz viel stärker in» Gewicht, als die Diätengewährung dezw. Nichtgewährung. Man darf aus ihm natürlich nichi die Nothwendigkeit herleiten, dem localen Egoismus auch in Reichssachen kräftigeren Anreiz zu haben, sondern man muß zu der Forderung möglichst knappen Zeitaufwandes für die Plenarsitzungen des Reichstags gelangen. Erfüllbar ist sie — selbstverständlich bei einer besseren Zusammensetzung als der gegenwärtigen —, wenn man das gute, im Reicke nur einmal, nämlich bei der Erledigung der Zustizgesetze, befolgte bayerische Beispiel nachabmt und für die Vorberatbung schwieriger und nur von Wenigen beherrschter gesetzgeberischer Materien ReichStagscommissivnen außerhalb der Tagung niedersetzt. Zn dieser Session hätte z. B. dieser Weg beim Handelsgesetzbuch und bei der Reform des Unfall versicherungsgesetzes eingeschlagen werden können; dem eben erst dem Hause zugegangenen Znvalidengesetze würde gleich falls eine solche Art der Behandlung zu statten kommen. Gegen die Gewährung von Diäten an die Mitglieder der artiger außerordentlicher Commissionen läßt sich kein einziger der Gründe anführen, die für die Diätenlosigkeit im All gemeinen sprechen. Zur „Einigung aller Liberalen" ist zu berichten, daß die Demokraten und die Freisinnigen in Baden, die bisher vereinigt waren, sich getrennt haben. Praktische Bedeutung kann daS Errigniß an sich, da die Freisinnigen im Groß- berzogthum sehr schwach sind, vorerst nicht beanspruchen. Dagegen ist die Trennung-ursacke sehr beachtenswerth und wird hoffentlich auch Beachtung finden. Man hat sich geschieden, weil die Demokraten e» ablehateu, sich für die Beibehaltung der gemischten (Simultan-) Schult zu er klären. Bisher hat man auf dieser Seite die Bekämpfung des NationallibrraliSmuS zu Gunsten de» dem badischen Schulsysteme feindlichen Klerikalismus immer so entschuldigt, daß man sagte, die Mehrheit in der Kammer bekämen die Ultramontanen für sich doch nicht, und so lange man zu einer MehrheitSbildung die Demokratie brauche, wären die liberalen Bolksschulintrreffen nicht gefährdet. Mit dieser Beschwichtigung ist eS nunmehr vorbei. Deutsches Reich. 6.L. Berlin, 13. März. Mit den ersten warmen Lüften hat in diesem Zahre eine Lohnbewegung eingesetzt, die an Umfang die de» vorigen Jahres noch Übertreffen zu sollen scheint. ES ist fast kein Gewerk, daS sich nicht für größere Ausstände einrichlet; es heißt, daß in bereit» mehr als IVO Zndustrieorten Lohnbewegungen in Fluß gebracht seien. Zm Vordergrund deS Treffen» werden die Bau arbeiter stehen; die Putzer Berlins haben bereits den Streik proclamirt; auf allen Bauten, auf denen nicht die in Folge der GewerdeauSstellung ungewöhn lich hoben Löhne de» Vorjahres bezahlt werden, soll am Diontag die Arbeit eingestellt werden. Die Zimmerer und die Maurer sind fest entschlossen, die Wirdereinfüdrung des ZehnstundentageS mit einer allgemeinen Arbeitsnieder legung zu beantworten; außerdem verlangen sie noch eine Lohnerhöhung. Auch im Tischlergewerke gährt es überall und in zahlreichen Städten sind die Schuhmacher streiklustig; in den Zuckerfabriken und Raffinerien sind eben falls Ausstände zu verzeichnen, so in der Raffinerie in Tangermünde, vielleicht der größten de» ContinenlS. Auf der anderen Seite freilich macht überall die Bildung von Arbeitgeberverbänden große Fortschritte und den socialdemokratischen Generalcommissionen werden bald durchweg geschloffene Arbeitgebervrreimgungen gegenüber stehen. Letztere Tbatsache ist der Generalstreik- Commission nicht entgangen, die in einem Ausrufe die Situation treffend beleuchtet. Zn diesem Aufrufe wird warnend gesagt: „Es sind viele Streiks in naher Aussicht und eS ist unsere Aufgabe, zu ihrem Gelingen beizutragen, rrsp. voraussichtlichen Niederlagen vorzubeugen. Diese werden nicht auSbleiben, wenn wir den Dingen ruhig ihren Lauf lassen, so wie jetzt; denn eS sind an mehreren Orten Bewegungen im Entstehen begriffen, zu deren Durchführung mehr gehört, als die Arbeitsbewegung momentan leisten kann .... Es gebt einfach nicht an, daß man sich durch zwei oder drei Monatsbeiträge daS Recht erkauft, zehn bi» zwölfWochen unterstützt zu werden. Wir sind keineswegs der Meinung, daß nun aus der ganzen Linie Ruhe eintreten und der Kampf um bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen aufgegebeo werden soll, sondern wir meinen, daß an Stelle der großen Schlachten die Tactik deS Kleinkrieges treten muß." W«r glauben indeß kaum, daß diese Warnungen beherzigt werden; allem Anscheine nach wird man auch in diesem Jahre schwere wirthsckaftliche Kämpfe sich abspielen sehen. * Berlin, 13. März. Die Vereinigung deutscher Margarinefabrikanten hat an den Reichskanzler eine Eingabe gerichtet, welche gegen den Margarineantrag des Centrums und der Conservativen folgende schwerwiegende Bedenken entwickelt: „Obwohl es recht befremdlich ist, einem Nahrungsmittel -ur Er kennung und Unterscheidung von einem andern einen Fremdkörper beizumijchen, so könnte es anderseits scheinen, daß die Margarine- sabrikanten einer leichten Unterscheidung zwischen Butter und Margarine entgegenstrebten, und wir erklären un» deshalb mit der Anwendung eines Erkennungsmittels einver standen, vorausgesetzt, daß uns angegeben wird, in welcher Weise und in welchem Berhällniß die Beimischung vorgeschrieben werden soll, und daß wir Gelegenheit haben, in unsere» Betrieben die Unschädlichkeit des Mittels selbst zu erproben. Wir müssen in der Lage sein, aus Monate hinaus Margarine mit dem Zusatz im Bergleich mit solcher ohne den Zusatz za beobachten und zu constatiren, daß die erstere gegen die letztere keine un günstigen Beränderungen zeigt. Auch in dem Zusatze von Phenol phthalein hatte man sich von vornherein ein unschädliches Mittel versprochen, indessen zeigten spätere Versuche, daß damit hergestrllle Margarine, wenn auch nicht in allen Fällen, so doch in mehreren, schnell verdarb. Es können also einzelne Versuche auch mildern neuen Mittel nicht maßgebend sein, sondern ehe dasselbe vorgeschrieben w>rd, halten wir eine Prüfung durch die Fabrikanten selbst für un erläßlich. Sodann wären sichere Vorkehrungen zu treffen, welche dafür bürgen müssen, daß die vom AuSlande eingehende Mar garine, auch falls sie als Butter declarirt würde, mit dem im Jnlaode vorgeschriebenen Zusatz versehen und ohne denselben, auch in Mischungen mit Butter, an der Grenze bestimmt ermittelt würde. Wenn solche Vorkehrungen nicht mit Sicherheit getroffen werden könnten, so würde darin ein Anreiz zum Betrug liegen, und die Verhältnisse im Butterhandel würden erst recht ungesunde werden; die ausländische Margarine würde in nicht zu langer Zeit die deutsche vom heimischen Markt verdrängt haben. Vom Auslande würde der inländische Fälscher Fässer und Gefäße, weil als Butter beim Eingänge declarirt, zudem ohne jede Aufschrift und Kennzeichnung, leicht erhalten können, während die deutschen Margarinefabrikanten grnöthigt sind, ihr Product auch äußerlich durch Aufschrift als Margarine kenntlich zu machen. Der ausländische Fälscher wäre somit in der Lage, dem inländischen Ab nehmer über mancherlei Verlegenheiten hinweg zu helfen. Aus diesen Gründen müssen, wenn beim inländischen Produkte die latente Färbung vorgeschrieben wird, die Lontrolen an der Grenze unbedingte Sicherheit bieten, daß ausländische Margarine weder als solche, noch mit Butter vermischt oder als Butter declarirt eingehen kann. Gleichzeitig wäre allerdings auch eine schärfere Conlrole der minderwerthiaen Butter am Platz». Mit der Vorschrift der latenten Färbung aber dürsten alle weitereu Maß nahmen gegen die Margarine, insbesondere die getrennten Ber- FouiUeton. Hinter der Maske. Literarische Plauderei von Theodor Kraus (Cassel). Nachdruck verboten. „XominL sunt oäiosL." Drei Berufsclaffen giebt es, deren Angehörige mit Vor liebe ihren angestammten Zunamen verleugnen, um ibn mit einer Deckadresse zu vertauschen: die Schriftsteller, die Bühnen künstler und — man verzeihe die harte Zusammenstellung! — die Hochstapler. Von diesen letzteren weiß man ohne Weitere-, welche praktischen Gründe sie veranlassen, sich mit dem täuschenden Wohlklang aristokratischer Gcscklechtsnamen zu umgeben und sich einen Stammbaum altadeliger Ahnen an zudichten. Bei den Bühnenkünstlern spielt entweder die Rücksicht auf eine Familie mit, die daS alte Vorurtbeil gegen die Welt der Schminke und der Eouliffen noch nicht hat verwinden können, oder der Wunsch, statt deS farblosen Müller oder Meyer mit einem eleganteren, womöglich etwas exotisch angehauchten vom äs gusrrs auf dem Theaterzettel vertreten zu sein. Weniger einfach liegt die Frage bei den Helden und Heldinnen der Feder, schon deshalb, weil diese zum Unterschied von den dramatischen Künstlern und den Artisten ihren gewöhnlichen Namen zumeist im bürgerlichen Leben nicht ablegen, sondern nur in ihrer Autoreneigenschaft unter dem Schutze deS Pseudonyms der Oeffentlichkeit gegen übertreten. Das literarische Pseudonym ist ein Kind unsere» Jahr hunderts und wird e- wohl auch bleiben, denn in den letzten Zähren hat die Sitte oder Unsitte, unter falschem Namen zu schreiben, sehr rasch abgenommen und wird im künftigen Jahrhundert höchstens noch vereinzelt im Gebrauche sein. Allerdings kannte auch schon daS Zeitalter des Humanismus und namentlich die Literatur des 17. Jahrhunderts einen ähnlichen Gebrauch: war doch — um nur an daS bekannteste Beispiel zu erinnern — der Name „SimplicissimuS" nicht« als ein Pseudonym de» Renchener Schultheißen Grimmels hausen. Allein zur literarischen Mode ward daS Pseudonym erst in den letzten beiden Menschenaltern, und eS ist in mancher Hinsicht interessant und unterhaltend, einen Blick in diese MaSkengarderobe großer und kleiner Geister zu werfen. Nickt nur die Galanterie erfordert eö, daß wir bei dieser kleinen Revue den Damen den Vortritt lassen. Sie haben im Berhältniß zu ihrer Anzahl thatsächlich den stärksten Ge brauch von der MaSke des Pseudonyms gemacht, und nicht allein bei uns: auck die bekanntesten Frauennamen der Au»- landSliteratur, wie George Sand. George Eliot, Ouida, Nerra, Gyp, Henri Grsville, sind bekanntlich nur geborgt. Die deutschen Frauen hatten bis vor recht kurzer Zeit noch mit dem eingewurzelten Vorurtbeil gegen weibliche Federn zu rechnen, und sie pflegten varum und pflegen noch jetzt sich mit Vorliebe männliche Namen beizulegen oder doch ein Pseudonym mit abgekürztem Taufnamen, der den weiblichen Träger nicht verrätb. So schrieb die ehemalige Hofdame Eugenik John in Arnstadt unter demNamen „E.Marlitt",und ihre Erbin in der Gunst der Gartenlaubenleser, Elisabeth Buerstenbinder, bat sich al- „E. Werner" bekannt gemacht. Als „Golo Raimund" erschien Frau Bertha Frederich in der Literatur, deren Gatte, vr. Eduard Frederich, in den fünfziger Zähren den „Hannoverschen Courier" begründete. Die intime Freundin Saphir'S, Marie Gordon, zeichnete ihre zahlreichen Lustspiele mit dem Autornamen „Alexander Bergen", Karoline Pierson ihre Romane mit „R. Edmund ahn". Der lustige „Hans Arnold" ist im Leben eine aronin von Blllow, „Moritz von Reichenbach- eine Gräfin Bethusy-Huc. Als „Emil Roland" hat sich die jugendliche Tochter des oldenburgischen Ministers Zansen rasch einen Ruf geschaffen, und ihre NamenSgenosstn Emilie Mataja in Wien gehört als „Emil Marrivt" seit einer Reibe von Jabren zu den wenigen bemerkenSwerthen Talenten der neuesten österreichischen Literatur. Fräulein Levnie Meyerbof hat ihren Geburtsort Hilde-Heim zu dem Pseudonym „Leo Hildrck" benutzt, und die Berliner Schriftstellerin Frau Ulla Wolfs schreibt stets unter der männlichen MaSke „Ulrich Frank". Daß sich hinter „Osstp Schubin" ein Fräulem Lola Kirschner verbirgt, ist ziemlich allgemein bekannt. „E. Bely" ist die Abkürzung de< hugenottischen Namen- Couvely, den die vielgelesene Verfasserin als Mädchen trug. Gleichfalls einer Hugenottenfamilie entstammt Fräulein Ilse Lernen, die als „Ilse Frapan" ihre dichterische Werkstatt vor einigen Jahren von ihrer Vaterstadt Hamburg an den Zürichsee verlegt bat. Die feinsinnige Lyrikerin Betty Paoli hieß richtig Betty Glück; zwei andere begabte Dichterinnen Oester reichs, Christine von Breden und Alberta von Mavtner, haben ihre aristokratischen Namen mit bürgerlichen Pseudo nymen vertauscht: sie beißen „Ada Christen" und „Marga rethe Halm". DaS bekannteste ähnliche Beispiel aber — um die Reihe nicht in daS Endlose zu dehnen — bleibt ohne Zweifel der schöne Dichtrraam» der rumänischen Königin: „Carmen Sylva". Auch andere gekrönte Häupter und fürstliche Personen haben Rang und Würde abgelegt, um in der Oeffentlichkeit erscheinen zu können. Der gelehrte König Johann von Täcksen nannte sich in seinen Werken „Philaletbes", daS heißt den Freund der Wahrheit. Prinz Georg von Preußen, der Einundsiebzigjäbrige, bat als einfacher „Georg Conrad" eine große Zahl dramatischer Werke verfaßt und veröffent licht, ebrnio der verstorbene Herzog Elimar von Olden burg unter dem Namen „Anton Günther". Der Vater der Kaiserin von Oesterreich, Herzog Maximilian von Bayern, war ein begabter Novellist, der sich als solcher des Pseudo nym- „PhantasuS" bediente, während sein österreichischer Namensvetter, der spätere Kaiser Max von Mexiko, diese Namensänderung bei der Herausgabe seiner poetischen Werke verschmähte. Hinter dreien der bekanntesten Literatur namen Oesterreichs verbergen sich, wie Jedermann weiß, hoch- adelige Träger: Friedrich Halm, Anastasius Grün und Nikolaus Lenau. Dagegen hat sich einer, der von Geburt ein „König" war, mtt vem Pseudonym „Kaiser" noch eine Stufe Höher erhoben: e- ist dies der fruchtbare Romancier Ewald Auguft König, der auch unter dem Namen Ernst Kaiser schrieo, und ein höchst eigenartiger Zufall fügte eS, daß dieser literarische „Kaiser-König" mit dem wirklichen Kaiser-König Wilhelm I. am selben Tage (S. März 1888) auS dem Leven schied. Eine ganze Anzahl von Romanschriftstellern, die sich namentlich in den sechziger und siebziger Jahren großer Be liebtheit erfreuten, schrieben unter entlehnten Namen. So hieß „Johannes v. Dewall" in Wahrheit August Kühne. „Philipp Galen" nannte sich der hochbetagte Oberstabsarzt Lange, der ebenso wie „Gerhard Amyntor" — Major a. D. Dagobert v. Gerhard — in der Penstonopolis Potsdam sein Heim bat; „Robert Byr" ist der abgekürzte Name des Ritt meister- Bayer in Bregenz, eine- SckwagerS von Alfred Meißner. Daß „George Taylor" nicht etwa ein Engländer ist, wird der Heidelberger Theologieprofeffor HauSratb den Verehrern von „Klytia" und „ÄntinouS" gern bestätigen, ebenso wie „Gregor Samarow" keinen russischen Autor, sondern den hannoverschen RegierungSratb a. D. O-car Meding, den erfindungsreichen Schöpfer von weit über hundert Romandänden, bezeichnet. Auch unter den Lyrikern haben viele ihren wahren Namen zeitweise abgelegt. Ganz und gar bat die« Martin Greif getban, der von HauS aus Friedrich Hermann Frey hieß, mit Bewilligung de- König« von Bayern jedoch seinen Dichternameo auch in« bürgerliche Leben übernehmen durfte. Der unglücklich« Hieronymu« Lorm, der seit vielen Jabren blind und taub zugleich sein Dasein tragen muß, kam als Heinrich LandrSmann in Mähren zur Welt. Günther Mai ling, der vor Jahresfrist in Dresden starb, trug eigentlich den Namen Karl Ulnci; der große Chirurg Richard von Bolkmann, der lange eine Zierdr der Halleschen Universität gewesen, hat sich als „Richard Leander" unfern besten Lyrikern beigesellt; und daß der Welt» und reimkundige „Mirza Schaffy" mit Friedrich Bodrnstedt identisch war, wußte man nicht immer so genau wie heute. Was für die Ergreifung eines Pseudonyms in zahlreichen Fällen ausschlaggebend sein mochte, war der Umstand, daß der eigene Name zu wenig günstig erschien, sei eS, daß er zu häufig vorkam, wie Müller, Meyer, Schmidt, sei «S, daß er unsckon klang und schwer zu behalten war, sei es endlich, daß er für seinen Träger au« anderen Gründen unbequem war. Den Namen Müller z. B. trugen «uis» Mühlbach, Otfrid MyliuS und der Stuttgarter PublicistAdolf Palm, einfach Schmid ober Schmidt heißen ursprünglich u A. Otto Ernst, Alexander Olinda, der Lyriker Dranmor, und ein gewöhnlicher Meyer war im Leben der jetzt verstorbene F. Brunold, der Dichter des „Haidegrab" und vieler anderer schöner Lieder. Seinen unansehnlichen Namen Carl Weiß hat der Wiener Bühnen dichter CarlweiS durch eine einfache Zusammenziehung auf fälliger gemacht. Anderen Autoren mag ihr GeburtSname auS anderen Gründen lästig gefallen sein. So führten u. A. Oscar Justin»«, A. MelS und der Artistenschriftsteller „Signor Domino" im gewöhnlichen Leben den Namen Cohn; Julius Rodenberg, der eigentlich Levy hieß, hat den Namen seines Geburtsorte« angenommen; Maximilian Harden nannte sich, bevor er zur Bühne und dann unter die Schriftsteller ging, WitkowSky. Auf demselben Wege über die weltbedeutenden Bretter kamen Han« Olden — ursprünglich Oppenheim —, Conrad Alberti — früher Sittenfeld —, Wilhelm Wolter« — früher Wolfsohn — in die Literatur. Den Schriftstellern HanS Land und Heinrich Lee ist der UrsprungSname Landsberger gemeinsam, der Wiener Poet Rudolf Lothar heißt von Hause aus Spitzer, sein LandSmann Balduin Groller ist rin geborener Gold scheider, und der erfolgreiche Text- und Lustspirldichter Victor L6on nannte sich vordem Hirschfeld. Ein anderer begabter Librettist, F. Zell, der Verfasser von „Fatinitza", „Boccaccio", „Nanon" rc., begnügte sich m,t der letzten Silbe seine- bürger lichen Namens Camillo Walzrl. Diese einfache Art, sich ein Pseudonym zu schaffen, wie sie schon NicolauS Lenau (aus Strrblenau) angewandt hatte, erfreute sich von jeher einiger Beliebtbeit. Anzengruber trat zuerst bescheiden als „L Gruber" auf, auS Konrad Telmanri ist ein „Zitelmann", auS Ernst Lrnbach ein „Muellenbach" zu ergänzen rc. Es wäre nicht schwer, diesen bunten Katalog noch um ein beträchtliches Stück zu verlängern, auch ohne den end losen Vorrath von Pseudonymen anzugreifen, hinter denen sich der Troß bedeutungsloser Dilettanten zu verbergen pflegt. Aber dieser kurze Umblick darf genügen, um zu er weisen, wie viele unserer brkanntesten und talentvollsten Schriftsteller eS nötbig fanden, hinter der MaSke aus den Kampfplatz der Oeffentlichkeit zu treten. In den letzten Jahren hat — wie schon zu Eingang bemerkt wurde — dieser in Deutschland am stärksten üblich» Brauch rascher und rascher abgenommen, und dqS ist erfreulich, denn es setzt meistens einen gewissen Grad von Eitelkeit oder Klein- muth voraus, wenn Jemand den angestammten Namen mit einem erborgten vertauscht. Talent und Tüchtigkeit adeln auch den häßlichsten und unscheinbarsten Namen, und wo sie fehlen, wird sich auch das schillerndste Pseudonym erfolglos spreizen. Name ist Schall und Rauch....
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