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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.04.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-04-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970405025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897040502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897040502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-04
- Tag1897-04-05
- Monat1897-04
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Größere «chriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zissernjatz nach höherem Tarif. —-»»cs-,— t-xtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbesörderunj, ^l LO—, mit Postbesörderung 70.—. Innahmeschlub für Inzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. rgeu-Ausgabe: Nachmittag» »Uhr. B»i den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck uud Verlag von E. Polz in Leipzig. «U 173. Montag den 5. April 1897. „Cartell" und „Vereinbarung". In dem „Vaterland" findet sich in Nr. 13 von diesem Iabre eine Erklärung, welche zwar zunächst nur dir bevor stehende Laudtagswahl im 9. sächsischen Wahlkreise betrifft, allem für daS ganze Verhältniß der Ordnungspartrieu zu einander bei den Wahlen von einschneidender Bedeutung ist. In dieser Erklärung werden folgende Satze aufgestellt: 1) Ein Cartell besteht in Sachsen überhaupt nicht. 2l Die am 28. März 1892 von sämmtlichen Mitgliedern der Ordnungsparteien im Landtage abgeschlossene und unterschriebene „Vereinbarung" beabsichtigte keineswegs, die Parteien in der Ausbreitung ihrer Organisation zu hemmen, oder ihren gegenwärtigen Besitzstand zu gewährleisten. 3) Die Entscheidung über den zu wählenden Candidaten blieb vielmehr unter allen Umständen den Wählern über lassen." Diese Sätze bedürfen einer unbefangenen Beleuchtung auf Grund der gegebenen Thatsachen. Ein Cartell hatin Sachsen bestanden vom Anfang 1887 bis Anfang 1892. Mit Hilfe desselben wurden bei den Neichstagswahlen von 1887 sämmt- liche socialdemokratische Kreise und überhaupt von den 23 sächsischen ReichStagSwahlkreisen 22 für die Orbnungs- Parteien gewonnen. Am 5. Februar 1892 kündigte der damalige Vorsitzende des konservativen Landesvereins, Freiherr v. Friesen, dies Cartell ohne Angabe von Gründen. Zum Ersätze desselben (so nahm man damals an und so muß man noch annebmen) cnlstand die „Vereinbarung" vom 28. März 1892 — wie glaubhaft versichert wird, infolge einer Anregung von maßgebendster Seite aus. Dieselbe enthielt folgenden Passus: „3m Interesse des öffentlichen Wohls erklären die Unter zeichneten Mitglieder beider Ständekammern, daß sie nach wie vor (!) gewillt sind, für die Sicherung eines Zusammen gehens bei öffentlichen Wahlen einzutrelen." „Nach wie vor!" Darin lag eine zweifellose Hindeutung darauf, daß die „Vereinbarung" an die Stelle dcS CartellS treten solle. Nun sprach letzteres in Punct 2 aus: „ES wird in der Regel in denjenigen Wahlkreisen, in welchen bisher ein Abgeordneter einer dieser drei Parteien (Conscrvative, Nationalliberale und alte sächsische Fortschritts partei) sich im Besitz des Mandates befunden bat, dieser wieder gewählt oder, so weit er das Mandat nicht wieder annebmen kann ober will, der Ersatzmann von der jenigen Partei des Wahlkreises bestimmt(!), welcher der bisherige Abgeordnete angebört hat." Nach dseser Regel ist denn auch tbatsächlich sowohl unter dem Einfluß der „Vereinbarung", wie vorher unter dem Cartell, verfahren worden; man hat sich gegenseitig „den Besitzstand gewährleistet." WaS hätte sonst auch das „Nach wie vor" bedeutet? Wenn die Erklärung im „Vaterland" sagt, die Ent scheidung über den zu wählenden Candidaten sei „unter allen Umständen der Wählerschaft geblieben", so wider spricht auch dies den Thatsacken. Es mag u. A. nun daran erinnert sein, daß bei der letzten Reichstagswabl in Leipzig eine lange gemeinsame Berathiiiig und endliche Ver ständigung der Vorstände beider Paneien (der konservativen und der nationalliberalen) der Aufstellung des Canvivalen voranging. Gewiß werden die Parteileitungen (und das ist nicht bloS eine „Gepflogenheit" der konservativen Parteileitung) den Wählerschaften eine entscheidende Stimme bei der Auswahl des Candidaten einräumen, nickt einen solchen ihnen octroyiren, aber doch nickt „inner allen Umständen". Würde z. B. eine nationalliberale Wählerschaft einen Candidaten auS ihrer Partei aufstellen wollen, während in dem betreffenden Wahl kreise deren „Besitzstand" für einen Conservatioen oder Fort schrittler spräche so würde, davon bin ich überzeugt, die nationalliberale Parteileitung eS für eine Pslickt der Loyalität ballen, sie davon adzumahnen. Wie sollte auch wvbl ein „ge sichertes (!) Zusammengehen" der Ordnungsparteien (für welches die Mitglieder der Vereinbarung „eiulreten" zu wollen erklären) ohne eine im Voraus festbestimmte Regel denkbar sein? Wäre dann nicht zu besorgen, daß bei jeder solchen Neu wahl mehrere Candidaten sich befehdeten und dadurch — bei den Reichstagswahlen wenigstens — die Sache der Orv- nungsparteien auss Höchste gefährdeten, die der Social- demokratie förderten? Der Unterzeichnete, der sich für ein festes Zusammcnstrben aller staatsrrhaltenden Elemente jederzeit aufrichtig bemüht hat, glaubt die obigen, durchaus sachlich gehaltenen AuS- sühruugen den Delegirlen der Ordnungsparleien im Land tage, die. wie verlautet, am 7. dis. über die Stellung dieser Parteien zu einander bei den nächsten Lanbtagswahlen be- ratben sollen, vertrauensvoll zu ernsthafter Erwägung anheim- geben zu sollen. Karl Biedermann. politische Tagesschau. * Leipzig, 5. April. Der Reichstag war auch am Sonnabend nicht im Stande, zu entscheiden, ob in Orten von mehr als 5000 Einwohnern getrennte Geschäftsräume für das Feilhalicn von Butter und Margarine vorgeschrieben werden sollen. Man halte diese Abstimmung auf eine späte Stunde verlegt und sich vorder mit allerlei Geschäslsordnungssragen beschäftigt, in der Hoffnung, daß das Haus ausreichend besetzt sein würde; aber als es zur Wiederholung der am Freitag verunglückten nament lichen Abstimmung kam, waren statt der erforderlichen 199 Ab geordneten nur 189, nur 2 mehr als am Tage zuvor, an wesend und das Haus somit abermals beschlußunfähig; es Hallen 116 Mitglieder für die Trennung der Verkaufsräume gestimmt, 73 dagegen. Wie eS scheint, hat man nunmehr die Hoffnung ansgegeben, vor den Osterferien ein beschluß fähiges Haus zusammenzubringen, denn die Vorlage ist für morgen nicht wieder auf die Tagesordnung gesetzt. — Vor dieser Verhandlung hatte sich bas HauS mit der Frage beschäftigt, die bei der dritten Lesung des bürgerlichen Ge setzbuches angeregt worden war: ob es sich empfehle, in der drillen Lesung nach der Specialdiscuffion nochmals eine GeneralviScussion zuzulaffen. Die GeschäflSorvnungS- commission, deren Vorsitzender — auch Las ist bezeichnend für den heutigen Reichstag — der Abg. Singer ist, hatte beantragt, eine solche „vierte Lesung", wie Herr v.Levetzow eS zutreffend bezeichnet?, zuzulassen, sobald 15 Miiglicder dies verlangen würden; aber außer den Socialdeinvkraten konnte sich Niemand dafür begeistern und der Antrag wurde an die Geschäftsordnungs-Commission zurückverwiesen. Da gegen gelangte ein Antrag zur Annahme, welcher bezweckte, dem Mißbrauch ein Ende zu machen, daß Anträge auf namentliche Abstimmung und dergleichen durch Zettel gestellt werden, auf denen zur Unler- slützung auch die Namen abwesender Mitglieder ver zeichnet sind; auf diese Weise ist es schon vorgekommen, daß die Verhandlungen tendenziös verschleppt wurden durch Anträge, zu deren Unterstützung nicht einmal die grschLflSorvnungS- mäßig erforderliche Zahl unter den Anwesenden bereit war. Es wurde, hier wieder charakteristischer Weise gegen den Widerspruch der Svcialdemotralen, beschlossen, daß die Unter stützung derartiger Anträge künftig nur durch Aufstehen er- folgen darf. Für die Bestätigung der beiden Beschlüsse gegen bas Jesuiten gesetz in dritter Lesung war die Beschluß unfähigkeit angrsichls der dafür sich erhebenden Majoritäten kein Hinverniß; es wurde sowohl der klerikale Antrag auf Aufhebung des ganzen Gesetzes, als der Antrag Rickert-Lim- burg aus Streichung des tz 2 endgiltig genebmigt. Der Bundesrath hat also nun die Wahl, ob er daS Iesuitea- gesetz mit einem Schlage aus der Welt schaffen, oder es so verstümmeln will, daß das Centrum demnächst seine volle Beseitigung als selbstverständliche Conseguenz der Verstümme lung fordern kann. Ueber die Stichwahl im Reickstagswahlkreise Schweiz liegt heute das amtlich sestgestellte Resultat vor. Von I4 93l abgegebenen gütigen Stimmen erhielt Ritter gutsbesitzer v. Saß-Iaworski-Lippinken (Pole) 7972 und Rittergutsbesitzer Ho ltz-Parlin (Reichspartei) 6956 Stimmen. Elfterer ist mithin gewählt. Bei der großen Bedeutung, welche die Schwctzer Wahl für die nationalen Verhältnisse des preußischen Ostens hat, ist es nothwendig, auf die früheren RrichStagSwablen zuriickzugehen. StciS hat in diesem Wahl kreise die Entscheidung auf des Messers Schneide gestanden. Zwei Legislaturperioden war der Wahlkreis früher schon polnisch im Reichstag vertreten, von 1874 bis 1877 und 1881 bis 1884. Beim ersten Mal siegte der Pole im ersten Wahlgange, beim letzten Mal in der Stich wahl. Von 1871 bis 1874 war der Kreis nationalliberal vertreten. Er wurtze aber erst in der Stichwahl behauptet. Nach dem ersten polnischen Interregnum siegle 1877 und 1878 der in nächster Nähe ansässige, jetzt veritorbene conser- vaiive Gutsbesitzer v. Gordon, der dann 1884 in der Stich wahl dem Polen unterlag und 188? wieder den Kreis eroberte. Von 1893 bis 1896 war der Kreis reicksparleilich vertreten. Der Abg. Holtz-Parlin behauptete 1893 das Mandat mit 200 Stimmen Mehrheit über den Polen v. Saß-IaworSki. Diese beiden Candidaten standen sich auch 1896 bei der ersten Ersatzwahl, wo Holtz erst in der Stichwahl siegte, und dies mal gegenüber. Jetzt bat der Pole den Wahlkreis und wird ihn, falls der Reichstag noch bis zum nächsten Jahr zu- sammenhält, für den Rest dieser und für die folgende Session vertreten. Niemals hat eS sich in diesem Wahlkreis um etwas Anderes gehandelt, als um Deutsch oder Polnisch. Parteistreitigkeiten unter Deutschen sind schon mit dein ersten Wahlgang im Jahre 1870 als ein gefährlicher Luxus ein-sür-alle Mal erledigt worden. Ferner crgiebl sich, wenn man die bis herigen Zablen prüft,daß Wahlniederlagen früher stetSnur durch deutsche Schlaffheit verursacht worden sind; denn immer hat sich bei den Stichwahlen berausgestelll, daß deutsche Stimmen mehr vorhanden waren, als polnische im ersten Wahlgang aufgebracht wurden. Dazu hat die deutsche Bevölkerung vor der polnischen voraus, daß sie materiell besser situirl ist und intellektuell höher steht, um die nationale Tragweite der Wahl begreifen zu können. Bei der Stichwahl war diesmal der Pole dem Deutschen über an Agitationskraft und Menschenmaterial. Dagegen konnten alle Anstrengungen der Deutschen nickt aufkoinmen. Sind doch selbst auf Kosten polnischer, in FeeerH-toir» Sneewittchen. »j Roman von A. I. Mordtmanu. Nachdruck verbotr». Mauvillon erklärte, daö Schreiben bleibe ihm immer noch unverständlich; etwas eingehender äußerte sich Lorenzen. „Wenn ich mir erlauben darf, meine Ansicht auSzu- sprechen" meinte er, „so würde ich sagen, daß der Brief eigentlich nur zur Einführung von Jemand geschrieben ist, der alles Weitere mündlich auseinander setzen sollte. Dieser andere kann natürlich nicht unsere Iuanita sein, sondern ihre Mutter, die nun leider todt ist. Und da meine ich, daß der Herr Gerard der Einzige ist, der sich aus dem, was er weiß, einen Schlüssel zurechtschmieden kann." „Sie meinen also, Iuanita'S Mutter wäre wirklich die Frau gewesen, die mit ihr an Bord der „Doüa Loisa" war?" fragte Mauvillon zweifelnd. „Sicherlich. Iuanita sagte eS ja auch selber." „DaS beweist nichts. Es könnte recht gut sein, daß sie sich irrte. Mir scheint es unmöglich, daß eine Mutter ihr Kind so verlassen sollte, wie eS geschehen ist." Gerard zuckte ungeduldig die Achseln. „Spanische FrauenI Die muß man kennen, lieber Ernst! Da hat eine >ede wohl zehntausend Teufel im Leibe, aber nicht ein Atom Liebe zu ihren Kindern! Ick kenne die Sorte!" Mauvillon war noch nicht überzeugt. „Sieh Dir einmal Iuanita an", sagte er. „Wo ist da der Schmerz um ihre Mutter? Sie scheint den Verlust kaum zu spüren." „DaS erkläre ich mir sehr einsack. Sie hat ja ihre Mutter kaum gekannt. Der ist das Kind lästig gewesen; sie bat sie in ein Kloster zu Nonnen getdan und erst hrrauSgeholt, als William- Beide zu uns schicken wollte." „Was Sie da sagen, stimmt ganz genau," schaltete Lorenzen ein. „Mit der Liebe zwischen Eltern und Kindern ist eS da unten nicht weit her; bei den Frauen spielen immer nur die Männer die Hauptrolle. Aber doch möchte ich noch eins bemerken: an dem Verlassen des kleinen Mädchens mag die Frau am Ende gar nicht so viel Schuld haben. Denken Sie nur an die Lage. Es ist finstere Nacht und wütbender Sturm. Durch irgend etwa- entsteht aufi dem Schiff eine Panik. — Da» sind ja keine deutschen Seeleute! — Da» Schiff sinkt, und nun gehts in toller Hast ins Boot. Die Feau wird geweckt, hineingeworfen — und fort sind sie. Sie schreit vielleicht nach ihrem Kind, aber daS kümmert die andern nicht — die Todesangst macht ja den Menschen zum Vieh — und sie fahren ab. Aber siebe da! sie alle müssen elendiglich versaufen, und die arme kleine Verlassene bleibt erhalten." „Nichtig, Capitain!" bekräftigte Gerard. „Sie treffen den Nagel ans den Kopf. Aber — aber —" er nahm den Brief und schüttelte ihn scherzhaft drohend gegen die beiden andern, „Maulwürfe seid Ihr doch! Wer seine Augen in die Tasche steckt, der kann freilich die Sonne am Himmel nicht sehen! Mir kam anfangs der Brief ganz sonderbar und die ganze Geschichte furchtbar verdächtig vor, und darum habe ick daS Kind ausgefragt. Na, eS stimmt schließlich doch einigermaßen zusammen, wenn's auch ein bischen verrückt ist! Aber warum eigentlich der Brief sonderbar ist, die Hauptsache also, daS habt Ihr doch nicht bemerkt." „Die Hauptsache?" „WaS für ein Datum siebt hier, Mehlwurm?" fragte Gerard. seinem Schwager den Brief hinübcrreichend. „Wahrhaftig! Wie kann man nur so blind sein!" rief Mauvillon erschrocken. „Der Brief ist ja vom Jahre 1839 datirt — beinah zehn Jahre alt!" „So scheint eS," erwiderte Gerard gleicbmütbig; „aber obgleich ich den hirnverbrannten Unsinn gleich geseken habe, bin ich doch zu der Meinung gekommen, daß die Sache in Ordnung ist." „Aber Philipp, das ist ja gar nicht möglichI Die kleine Iuanita ist höchstens sechs Jahre alt, und der Brief ist vor zehn Jahren geschrieben." „Unsinn! Du bockst nur immer hinter den BUckern wie ein melancholisches NaSborn, und weil Du jeden Schreib- sebler für ein Verbrechen gegen di? göttliche Ordnung der Dinge ballst, will eS Dir nicht rinleuchten, daß verständigere Leute sich einmal verschreiben können." „Du meinst die Zahl 3 wäre rin Schreibfehler?" „Natürlich. Manche Menschen schreiben mehr falsche Zablen alS richtige. So einer ist mein alter Freund WiU.amS." Mauvillon war nicht überzeugt, aber er schwieg. Wie immer die Sache mit Iuanita sich verhalten mochte, es blieb jetzt nicht« Andere» übrig, al« sie vorläufig bei Gerard unter zubringen. Mauvillon wandte sich also einem anderen Gegen stände zu und fragt»: „Williams spricht von einem kleinen Dienste, den er Dir geleistet bat — ist das richtig?" „Nein — denn er bat mir einen sehr großen Dienst ge leistet", entgegnete Gerard. „Die Sacke will ick Euch noch in aller Kürze erzählen. Das war in Tarifa, einem kleinen, von Gott und allen guten Geistern verlassenen Hunbelock in der Nähe von Gibraltar. Ein schmutziges, langweiliges, ver kommenes Nest — aber EinS bat es, die schönsten Frauen der Erve, Frauen, die der Herrgott, als er einmal besonders gut gelaunt gewesen sein mag, aus seiner Scköpserband bervorgehen ließ. Ein Beispiel habt Ihr an Iuanita: DaS ist eine echte Tarisenina, dergleichen auch ihre Mutter ge- wesen^ist. DaS muß ein Erbtheil des arabischen Blutes sein, dies Schlanke, Graziöse, daß, wenn man so ein Weib dahin wandeln sieht, als wäre der ganze Erdboden nur ein Tanz platz für ihre winzigen Füßchen, man gleich vor unsinniger Verliebtheit an den Wänden hinaufkrabbeln möchte." „Wenn ich das gewußt bätte", fiel Mauvillon lackend ein, „so hätte ich Dich damals nicht allein Hinreisen lassen. Aber davon hast Du mir nie erzäblt." „AuS guten Gründen. In Tarifa — aber Sie müssen wissen, warum ich dahin kam, Capitain. In der Nähe war unsere Bark „Atlas" ausgelaufen und der Capitain am Fieber gestorben. Da mußte ich selbst hin, um nach dem Rechten zu seben — ich war damals in Valencia, und so warS ganz bequem. Williams war — Gott mag wissen, wie — als englischer Cousularagent hin verschlagen worden, und da lernte ich ihn kennen. Aber unsere Freundschaft war von kurzer Dauer. Der Alcalde, ein ganz infamer, schwarz- brauner HaUunke, batte eine Tochter, Iuanita, eins von Len schönsten tarisanischen TeufelSmäccben, und in die verliebten wir uns alle beide ganz elend. Darüber kam eS zwischen unS zu bösen Worten, und da das Mädchen eS verstand, jeden von uns hinznhalten, wie eS die Töchter Satans alle verstehen — ich sage Euch, Capitain Lorenzen, grinst nicht so, sondern hütet Such davor." „Bin seit vierzig Jahren verheiratbrt, Herr Gerard", lachte Lorenren, „und habe eine Enkelin, die selbst schon Braut ist. Ta haben Einem die Töchter Satan« nicht viel mehr an." „Alter schützt vor Thorbeit nicht, Ihr Grünschnabel. Also weiter. Jeder von unS hätte den andern ermorden mögen. Nun aber begab e» sich eines Tage-, daß Iuanita sich mir Williams über irgend eine verrückte Kleinigkeit zankie, und ihm rund berauSsagte, sie wollte nicht» mehr von ihm wissen 91. Jahrgang. Posen ansässiger Vereinigungen aus Königsberg polnische Maurer und Arbeiter für den Wahltag nach Schwcy zurückbeförverl worden. Wie auf die Sachsengänger, die diesmal noch zu Hause waren, eingewirkl worden, ist bekannt. Außerdem haben die polnischen Grundbesitzer vereint mit dem Klerus in der bekannten Weise auf ihre Arbeiter und die in ihrer Umgebung ansässigen polnischen Besitzer und Gewerbetreibenden eingewirkt und sich auch nicht genirt, selbst versprengte Deutsche einzuschücktern. Aber auch damit ist der Ausgang der Sckwetzer Wabl noch nickt zur Genüge erklärt. Die Zeiten habe» sich gegen den Anfang der achtziger Jahre, wo zum letzten Male der Wahlkreis von einem Polen vertreten wurde, vollständig geändert. Die polnische Agitation hat seither einen Mittelstand herangezogen und die Massen so gründlich mobil gemacht, daß der alte Einfluß des deutschen Grundbesitzers selbst auf seinem Gute geschwunden ist. Der deutsche Kleingewerbetreibende in der Stadt wird systematisch in Schach gebalten, bis die „Birne reif" ist, bis ein polnischer Gewerbetreibender ibn ersetzen kann. Klerus, polnischer Grundbesitz und Gewerbetreibende bilden hierin eine geschlossene Marsch colonne. Vollständig unabhängig ist ihnen gegenüber meist nur der preußische Beamte. Er ist allein materiell im Stande, in die Front zu rücken, jederzeit rückhaltlos das Deutschthum zu vertreten nnt so in den Gegenden mit deutscher Minderheit das nationale Rückgrat zu bilden. Da kamen gerade in der kritischen Zeit, als der polnische General marsch durch die Berufung eines Polen an die Spitze des ErzbiSthums von Posen und Gnesen einen gewaltigen moralischen und materiellen Hinterhalt und Vorschub erhielt, die unsagbar unglückliche „Versöbnuugs- politik", welcke die nationale Energie der Streber unter den Beamten brach und der tüchtigen läbmte. Wenn es jetzt auch endlich anders geworden ist, die Schwetzer Wahl, welche für die Polen eine Stimmenzahl ausweist, die fast um 2000 über die Zahl hinausgeht, die jemals in diesem Kreise von einer Partei anfgebrachl worden ist —, sie ist vor Allem die Frucht jener Periode der Verirrung. Eine Frucht, weitere werden solgen. Bei den nächsten ReickStags- wahlen wird sich erweisen, wie in den östlichen Wahlkreisen die Massen marschiren, die früher still ihrem Tagewerk nach gingen und sich um Wahlagitation und polnisch-nationale L>chmerzen des „Gvspodarz" und „Pan Proboszcz" nicht kümmerten. Und diese Massen geben nicht nur bei der Wahl den Ausschlag, sie legen, wo sie eS nur einigermaßen an Zabl mit der deutschen Bevölkerung aufnebmen können, dem deutschen Kleinbürgerthum in den Städten auch materiell die Schlinge um den Hals, langsam, aber sicher. WaS die Bl ult hat betrifft, die in Verbindung mit der Wablbewegung gebracht wird, so enthalten wir uns vorläufig des UrlbeilS, bis das Ergebniß der gerichtlichen Untersuchung vorliegt, und be gnügen unS vorläufig damit, als Proben polnischer Agitation in Erinnerung zu bringen, daß in demselben Regierungsbezirk vor zwei Jahren in Stubm verhetzte Polen den polnischen Pfarrer, weil er deutsche Predigten eingerichtet, als Mein eidigen mit einem Maffenmeineid ins Zuchkbaus zu bringen suchten, und baß in dem unweit von Schwetz gelegenen Graudenz bei der katholischen Kirchenwahl dem deutschen katholischen Pfarrer die Drohung: „Schlagt die deutschen Hunde todtl" von polnischen „Pfarrkindern" in da- Gesicht geworfen wurde. Erweist e« sich, daß die polnische Ver hetzung nun sogar die Ermordung Deutscher als Envwirkung ausweist, dann wird die Regierung daran» mit aller Energie und würde mich zum Manne nehmen. Da lief er davon wie ein Unkluger, und wenn er nicht bedacht hätte, daß es für einen englischen Consul unziemlich sei, durch den Strick zu endigen, so hätte er sich flugS an den ersten besten Orangen baum aufgehängt." „Da er daS nun nicht konnte, so betrank er sich jämmer lich in einer Kneipe an dem elenden Schnaps, den sie da baden, und schlief darüber ein. Wie er nun da lag und schnarchte, kamen und gingen andere Gäste, und wie er aus wachte in halbem Dusel, hatten sie ihn auf eine Bank gelegt im Dunkel der Nacht. Da belauschie er denn ungesehen ein Gespräch von zwei Kerlen, die eS auf mich abgesehen hatten und mich abmurksen wollten im Einverständniß mit dem Schurken von Alcalren, der nicht haben wollte, daß seine Tochter einen Ketzer heiratbe." „Mein Williams batte in seiner Trunkenheit doch nock Verstand genug, sich nickt zu rühren. Er wartete, bis die andern fortgingen und dann blieb er noch eine ganze Weil- liegen, ehe er aufstand und sich entfernte. Und dann voll jübrten alle Teufel der Hölle in seinem Herzen einen Kamps mit den Engeln, die darin noch sein mochten von früher her. Wenn die Banditen mich todtschlugen, dann war Iuanita sein; denn er halte ihr längst versprochen, und ihr HaUunke von Vater wußte eS, daß er ihretwegen seinem evangelischen Bekennlniß entsagen würbe. Ihr beiden Oelgötzen niögt jetzt leickt den Stab über Williams brechen; aber wenn Ihr Iuanita gekannt hättet und wüßtet, wie Einem solche Mädchen alle Sinne und alle Gedanken, was vou Verstand im Kopfe und von Phantasie nn Herzen steckt, gefangen nehmen und in ihren Zauberkreis bannen, daß Einem darüber Erde und Himmel und Hölle und Seligkeit »um Gespött werden — dann würdet Ihr ander» reden, sage ich Euch!" „Wie nun alle bösen Geister in Williams rangen und nabe daran waren, ibn niederzuzwingen, stieg in dem Dunst und Dampf, der ibn umnebelte — er bat eS mir später selbst erzählt — das Bild seines Vaters vor ihm auf, wie er ibni beim Scheiden nach Weise der allen Patriarchen seinen Segen gegeben batte, und wie unter dem dichten weißen Haar des allen Mannes die blauen Augen so scharf und doch so mild ibn angesehen batten, indem er sagte: Wenn wir unS Wieder sehen, mein Sohn, sorge, daß Du nicht Deine Augen vor mix niederzuichlagen brauchst." „Da wurde ihm beiß uud kalt zu Sinne. Er eilte beim, steckte seine Pistole zu sich und stürzte »ach dem
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