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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.04.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-04-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970408029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897040802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897040802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-04
- Tag1897-04-08
- Monat1897-04
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Größere Schriften laut uuserem Preis- »rrjeichniß. Tabellarischer und Ziffernfatz nach höherem Tarif. (krtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen > Ausgabe, ohne Postbeforderunn 60.—, mit Postbeförderung ^l 70.—. Annastmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morge u-Ausgab«: Nachmittags 4 Uhr. Per den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets au dte Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 178. Donnerstag den 8. April 1897. 9l. Jahrgang. Slaatssecretair vr. v. Stephan 1 Die Befürchtungen, mit denen uns die letzten Nach richten über den Zustand de» StaatSsecretairS v. Stephan erfüllt hatten, waren leider nicht unbegründet. Die ärztliche Kunst hat ihn nicht zu retten vermocht. Bis vor wenigen Tagen noch unermüdlich thätig, ist er in dieser Nacht gegen 12»/, Uhr sauft und ohne TodrSkampf zur ewigen Ruhe ein- gegangen. Mit unS werden Unzählige seinen Heimgang beklagen. Nicht nur die große Zahl seiner Untergebenen, denen er bei voller Wahrung seiner Autorität doch ein wohlwollender, warmherziger Chef war, sondern auch Alle, die seiner groß artigen Reformen auf dem Gebiete des Verkehrswesens eingedenk sind und deren Früchte mit genießen. Denn daö Leben und Wirken deS Entschlafenen ist ein reiches und vielfach gesegnetes gewesen. Wir können es nicht unter nehmen, im Rahmen eines Nachrufs den reichen Inhalt dieses Lebens erschöpfend darzustellen; nur eine Skizze desselben, die vielleicht manchen bekannten Zug enthält, wollen wir heute unseren Lesern vorführen. Heinrich Stephan zählte zu den Söhnen jenes Stammes, von denen Kaiser Friedrich einst gesagt hat, sie hätten nur den einen Fehler, daß ihrer nicht mehr wären. In Stolp in Pommern hat er als der Sohn eines schlichten Handwerksmeisters am 7. Januar I83l das Licht der Welt erblickt. Auf dem Gymnasium seiner Vaterstadt hat er den Grund zu dem reichen Wissen und Können gelegt, das ihn später auSzeichnete. In rührender Dankbarkeit hat er noch in vorgeschrittenem Lebensalter der Anregungen ge dacht, die er aus dem Unterrichte des einen seiner Lehrer, deS Professors Bernkt, empfangen hatte. Nachdem er das Gymnasium absoivirt und die Reise prüfung bestanden hatte, trat er 1848 als Postaspirant in den Postdienst ein. Rasch durcheilte er die ersten Stadien der dienstlichen Laufbahn; mit glänzendem Erfolg legte er die vorgeschriebenen Prüfungen ab. Seine hohen GeisteSgaben, insbesondere sein phänomenales Sprachen- lalent, lenkten bald die Aufmerksamkeit seiner höchsten Vorgesetzten auf ihn. Im Jahre 1858 finden wir ihn als Postrath in Potsdam. Hier lernte er, dem der Tod die erste Gattin nach kurzem Glück entrissen, seine zweite Gattin kennen, mit welcher er über dreißig Jahre in glück licher Ehe gelebt hat. In jener Zeit ist er auch vielfach schrift stellerisch thätig gewesen. Die Geschichte deS VerkehrS- lebens in den verschiedenen Culturperioden, sein Werk über das moderne Egypten und vor Allem seine Geschichte der preußischen Post sind Früchte dieser Thätigkeit. Wir erinnern unS, daß kein Geringerer als Wilhelm Roscher deS zuletzt erwähnten Werks, da» neben den Ergebnissen gründlichster Quellenforschung geniale Anschauungen über die Leitung eine- großen Verwaltungskörpers und seherische Aus blicke in die Zukunft enthält, in einem seiner Collegien in rühmlichster Weise gedachte. Während Stephan damals die Ent wickelung der preußischen Post erforschte und kritisch belench- tete, mögen sich in ihm die Gedanken krystallisirt und die Grundsätze gefestigt haben, nach denen er später selbst die Verwaltung geführt bat. Auch die Erfindung der Postkarte fällt in jene Zeit. Im Jahre 1865 legte der damalige Ge beime Postratd Stephan der zu Karlsruhe versammelten Conferenz de» deutsch-österreichischen Postvereins eine Denkschrift vor, in welcher er seine Ideen über die Ein führung eines Postblatts, der heutigen Postkarte, nieder- geleat hatte. In weiteren Kreisen wurde sein Name zuerst genannt, als er 1867 mit der Uebernabme des Tburn und TaxiS'scken Postwesens und dessen Ueberleitung in die Formen der preußischen Verwaltung betraut wurde. Seitdem er diese große und schwierige Aufgabe in erfolgreichster Weise gelöst hatte, galt er in Postkreisen als der Mann der Zukunft. 1870 sollte diese Erwartung in Erfüllung gehen. Nach dem Ausscheiden des General-PostdirectorS von Philipüborn berief Kaiser Wilhelm I., der große Menschenkenner, Stephan an die Spitze deS deutschen Postweseiis. Was er in dieser Stellung gewirkt und geschaffen hat, gleich groß als Urheber schöpferischer Gedanken von genialer Einfachheit, wie als hervorragender Organisator, bas ist Deutschland, das ist zum großen Theile der gebildeten Welt bekannt. Nur kurz wollen wir seine Großtbate» auf dem Gebiete des Verkehrswesens hier zusamiiienfaffen. Bald nach der Uebernahme seines hohen Amtes sah er sich vor die Aufgabe gestellt, ein Feldpostwesen in großartigstem Maßstabe zu organisiren und zu leiten. Er hat sie glänzend gelöst. Es folgien: die Schaffung einer einheitlichen Post- und Telegraphen-Gesetzgebung, einheitlicher Tarife, einheitlicher und theilweise neuer Verkehrs formen, wie der Postaufträge, der telegraphischen Po st an weis ungen, der Po st karten, der Bücherzettel rc.; sodann die Verschmelzung des Post- und Tele- graphenwesens, die Errichtung einer außerordentlich großen Anzahl neuer Post- und Telegraphenanstalten, eine umfassende Verbesserung des Landpostbienstes, ver bunden mit einer außerordentlichen Verdichtung des Post- und Telegrapbennetzes und einer Ausdehnung desselben bis in die entlegensten Wobnplätze des Reiches; ferner die Einführung des Fernsprechers, womit die deutsche Verwaltung allen anderen vorangezangen ist, die Herstellung unterirdischer, den Witlerungseinftüsfen nicht zugänglicher Telegrapbenlinien zwischen ven Haupt- verkehrS- und Waffenplätzen des Reichs, v,e Einreibung der Verkehrsanstalten in den Dienst der socialpol irischen Gesetzgebung, die Verbindung Deutschlands mit dem Auslände durch unterseeische Telegraphenkabel» die Schaffung der Reichspostdampferlinien und der See posten zwischen Deutschland unv den Vereinigten Staaten von Nordamerika, die Regelung des Post- und Telegraphen- dienstes in den deutschen Eolonien und vor Allem die Gründung und der weitere Ausbau des Weltpostvereins, wodurch der deutsche Name auch auf diesem Gebiete zu Ehren gebracht worden ist. Wahrlich, eine lange Reihe leuchtender Marksteine auf dem Lebenswege eines Mannes! Neben jener großen Zahl durchgreifender Berkehrsver besserungen steht eine kaum minder lange Reihe von Maß nahmen, welche in der Fürsorge Stephan s für seine Unter gebenen ihren Ursprung haben. Wir führen nur an die bedeutend« Verbesserung deS Einkommens aller, namentlich aber der unteren Elassen deS Personals, die namhafte Erhöhung der Zuwendungen an die Hinter bliebenen der Beamten, die fortgesetzte und starke Ver mehrung der e tat «mäßigen und unkündbarenStellen für Beamte und Unlerbeamte, dieFörderung und Erleichterung des Abschlusses von Lebensversicherungen, die Ein richtung der Spar- und Vorschubvereine und sonstiger neuer WohlthätigkeitSanstalten für Post- und Tclegrapben- beamte, so der Kaiser-Wilhelmstiftung, deSTöchter horts rc., die Schaffung des PostmuseumS und der Büchersainmlungen für Beamte und Unlerbeamte, umfassende Maßnahmen zur besseren technischen und wissen schaftlichen Schulung der Beamten, gekrönt durch die Er richtung der Post- und Telegraphenschule in Berlin, einer akademisch organisirten Bildungsanstalt für Beamte der höheren Dienstlaufbahn, ferner die Einrichtung des Er holungsurlaubs und die Herstellung zweckmäßiger und gesunder Dien st räume in den viel angefochtenen Post palästen, die doch andere Verwaltungen vielfach zu gleichem Vorgehen veranlaßt haben. Nicht immer ist es Stephan gelungen, mit seinen bahn brechenden Ideen bei dem ersten Anlauf durchzudringen. In den Parlamenten und auf den Congressen des Weltpost vereins ist er oft auf Widerstand gestoßen. Aber Dank seiner unbeugsamen Energie, seiner großen und wohlverdienten Beliebtheit, seiner überzeugenden, von Humor gewürzten Beredtsamkeit hat er doch schließlich fast immer das Ziel erreicht, das er sich gesetzt hatte. Noch einen Zug im Wesen des Verblichenen wollen wir zurVervollständigiing seines Lebensbildes hervorheben. Stepban war ein vo lks t h ü in li ch e r Mann. Bei seinen Dienstreisen, auf seinen Waidmannsfahrten, die ihm viele Freunde er warben, entzog er siä» nicht dem Umgang mit Vertretern aller Stände. Aus der ersten Quelle und aus eigener An schauung unterrichtete er sich über die Wünsche der Be völkerung und die Bedürfnisse deS Verkehrs. Gar manches Mal hat er sich unerkannt dem einsam dahin wandernden Landbriefträger angefchlofsen und sich von diesem sein Wohl und Wehe erzählen lassen. In Allem sehen wir ihn handeln getreu seinem Wablspruch: Ziel gekannt, Kraft gespannt, Pflicht gethan. Herz obenan! Reiche Ehrungen sind ihm widerfahren, durch hohe Ordensauszeichnungen, durch Erhebung in den erblichen Adelsstand, durch Verleihung des Ranges eines Staats- ministerS und der Würde eines Ehrendoctors der Universität Halle sind seine großen Verdienste anerkannt worden. Wir fassen unsere Empfindungen bei seinem Hinsckeiden zusammen in daS Wort: Er war ein Mann, nehmt Alles nur in Allem, wir werden selten seines Gleichen sehen. Ehre seinem Andenken! Politische Tagesschau. * Leipzig, 8. April. Der Reichstag hat sich wenigstens einen guten Abgang vor den Ferien gesichert, indem er gestern einstimmig daS Handelsgesetzbuch angenommen hat. So vortrefflich auch daS bisherige Gesetzbuch war, so war doch bei der reichen wirthschastlichen Entwickelung die Umänderung durch den neuen Entwurf geboten, und eS ist deshalb sehr erfreulich im In teresse des deutschen Handels, daß der Entwurf so rasch und ohne allzu wesentliche Aenderungen angenommen wurde. Und kaum war diese wichtige Materie erledigt, so hat der Reichstag durch vie Annahme zweier Resolutionen die Anregung zu neuen wichtigen Entwürfen gegeben. Diese Resolutionen bezogen sich aus die Einführung kaufmännisch er Schiedsgerichte und auf die Ausdehnung der Be stimmungen der Gewerbeordnung über Arbeitszeit, Arbeitsordnung, Arbeit Minderjähriger und Frauen, sowie Jnspection auf den Handelsbetrieb. Mit beiden Resolutionen ist die Absicht verbunden, den Angestellten im Handelsgewerbe Vortheile und Schutz maßregeln zu sichern, wie sie für die gewerblichen Arbeit nehmer bestehen. Diese Vorthcile sind den Angestellten im Handelsbetriebe sehr zu gönnen, und es ist zu wünschen und nach den Erklärungen des Regierungscommissars auch zu hoffen, daß die Regierung die Anregung des Reichstages berücksichtigt, wenn auch bei der Schwierigkeit der Materie eine rasche Erledigung nicht möglich ist. — Zu einer ein gehenden Erörterung dessen, was der Reichstag seit seinem Zusammentritt im November vor. Jahr, geleistet und nicht ge leistet hat, liegt jetzt kein Anlaß vor. Es genügt, zu constatiren, daß in diesen fünf Monaten außer dem Handelsgesetzbuche erledigt worden sind der Etat mit einem Schulden- tilguii gsgese tze, das E o n v e r t i r u n g S g e s e tz, ein Zwangsvoll st reck ungSgesetz, eine Grundbuch- ordnung und ein Auslieferungs vertrag mit Holland. Definitiv gescheitert ist bis jetzt die Iustiznovelle. Im nächsten Siyungsabschnitt, der am 27. d. M. mit der Beraibung des Nachtragsetats (Er neuerung des Geschützinatprials) beginnt, sollen außerdem noch zu Stande gebracht werden: die Postdampser- subventionirung, das Margarinegesetz, die Hand werker- und die A u s w a n d e r u n g s v o r l a g e, die Novelle zum Unfall- und die zum Invaliden versicherungsgesetze, sowie die BesoldungSvorlage. Als Gesetzentwürfe, die dem Hause möglicherweise noch zu gehen, werten genannt: eine Seemannsordnung, das Relictenversorgungsgesetz und die Militairstraf- proceßordnung. Wahrscheinlich aber ist die Vorlegung des letzteren Gesetzentwurfes noch im Laufe der Tagung nicht, denn der „Frankf.Ztg." wird aus Berlin gemeldet, der Zusammen tritt der Bundesrathsausschüsse zur Beralbung der Militair- strafproceßvrdnung verzögere sich, da Bayern seine Ent schließungen über die bisher gefaßten Beschlüsse noch nicht ge faßt habe. Tie „Times* lassen sich von ihrem Berliner Correspon- denten in Bezug auf die mehrfach erwähnte Gurma-Ange- lcgcnhctt melden: „Die Deutschen stützen ihre Ansprüche aus »inen Vertrag oder Verträge, die zu Beginn des Jahres 1805 von vr. Grüner geschlossen worden sind. Nach dem neuesten Weißbuch über Colonialangelegen heiten scheint es indessen, daß er nur eine wissenschaftliche Expedition ins Hinterland von Togo zu sichren hatte. Jedensalls steht fest, daß die deutsche Regierung niemals amtlich di» mit ver- jchiedenen Fürsten jener Gegend abg»jchloss»nen Verträge aner kannt hat." Die französischen Colonialblätter geben auSnahmSlo» diese Meldung wieder, theils ohne irgend »inen Commentar» theils mit dem Zusatz „wenn sogar ein Feind Frankreichs an erkennen müsse, daß Deutschland im Hinterland von Togo keine Rechte habe, so müsse das doppeltes Gewicht haben". Die „Times" sind aber schlecht unterrichtet, vr. Grüner ist von der Regierung mit einer Expedition beauftragt worden, zu der unter Anderem zur Förderung wissenschaftlicher Inter essen die Deutsche Colonialgesellschaft freiwillige Beiträge geleistet hat. vr. Grüner führte aber auf diesen Expeditionen, wie die „Post" schreibt, Vollmachten des Kaiser« mit, auf Grund deren er mit einer Reibe von Fürsten Verträge abgeschlossen bat, so u. a. auch in Gandu. Deutscherseits ist niemals ein Zweifel darüber gelassen worden, daß man fest entschlossen sei, diese Verträge aufrecht zu erhalten. Da» ist -LS Feuilleton Sneewittchen. 7j Roman von A. I. Mordtmann. Nachdruck veriotm. Plötzlich traf Zarnow'S Ohr ein Name, der ihn au« einem unfreiwilligen unv aleicbgiltigen Horcher zu einem eifrigen unv aufmerksamen Zuhörer machte. Unter den Ge schäften, so hörte er, die neuerdings in Schwierigkeiten gerathen waren, wurde seit gestern auch die Firma Friedrichsen L Thormählen genannt. Man sprach aber von starken Inter ventionen; der Sturz de« Hause» mußte viele kleinere Ge schäfte mit in den Abgrund binabreißen; das habe zum An gebot von Hilfeleistungen geführt, um so mehr, als der junge Friedrichsen sein und seiner Schwestern ganzes Privatvermögen in die Masse geworfen habe. Die Hauptgläubiger, Mau- villon <L Eomp., hätten geäußert, die Firma dürfe unter keinen Umständen fallen, und sollten sie sie mit ihrem ganzen Credit stützen. Und man wisse Wohl, waS daS zu bedeuten habe. Die MauvillonS ständen fest wie die Mauern; Herr Philipp Gerard, der eine AssociS, werde ja allein auf mehrere Millionen geschätzt. So ging der Börsenklatsch weiter. Zarnow athmete er leichtert auf, als der ihm so thrure Name nicht mehr genannt wurde. Er leerte seine Flasche Rüdesheimer — seltsam, eS war nicht ein Gefühl ungemischten Bedauern-, das die Kunde von der Katastrophe, die Friedrichsen bedrohte, in ibm er regte. Ungemischt war nur da- Leid, daS er un, Rudolf empfand; aber daneben lief eine andere EmpsindungSreihe weniger trüber Art, wenn sie auch nicht jener Eigenheit de» menschlichen GcmüthS entstammte, die, wie einer der bittersten Misanthropen mit grausamer Wahrheit bemerkt hat, den Menschen im Unglück auch seiner besten Freunde «in Element deS Behagen» finden läßt. Wenn die Betrachtungen, denen Zarnow sich hingab, auch in letzter Instanz egoislistisch sein mochten, so waren sie darum doch nicht unedel. Sie gipfelten darin, daß Cäcilie, nicht mehr die Besitzerin eines großen Vermögen«, ihm näher gerückt sei. So würbe ihm Gelegen heit gegeben, durch die Tbat zu beweisen, daß ihr Reich- tbum ihm nicht- bedeute, daß er sie zu seiner Gattin machen würde, wäre er auch ein König wie Cophetua und st» eine Bettlrriu. Und wen» er es jetzt noch adlehot«, sich für die freie Aeußerung seiner Meinungen Vorschriften machen zu lassen — wer konnte ihm noch Vorhalten, daß er damit Opfer bringe, die werthlos seien, weil sie ihm nichts kosteten? Der feurige Wein beflügelte seine Phantasie und half eifrig an der Errichtung schmeichelnder Luftschlösser. Wenn bis jetzt das Glück ihm alle Wege geebnet batte, so galt eS fortan, zu zeigen, daß er auch ohne dessen Zutbun fähig und würdig sei, Baumeister deS eigenen Schicksals zu werden. Warum sollte er diesen Bau nicht jenseits dcS Meeres auf- führen? Waren nicht auch die blauäugigen Kinder des IapetoS vom Tburmbau zu Babel ihren Sternen gefolgt, die sie nach Weste» führten, um die Herrschaft der Welt zu er ringen? Die azurnen Wellen des Mitt^lmeereS hatten sie gelockt — ibn lockten die stolz sich thürmenden Wogen deS OceanS. NuS der Sprachverwirrung zu Babylon waren die Japetiden entflohen — er wollte Länder meiden, wo die Be griffe verwirrt waren und auch die Besten und Ekelsten Heuchelei in Dingen anrathen mußten, die jedem die höchsten und heiligsten sein sollten. Das Ergebniß dieser sehr edelmüthigen, gleichwohl aber sehr unpraktischen Begeisterung war die noch am selbigen Tage erfolgte Absendung zweie'' Briefe, deren einer nach Brasilien ging und dem Freunde meldete, daß Zarnow bereit sei, die ihm dort «»getragene Stellung zu übernehmen, während der zweite das löbliche Scholarchat der freien und Hansestadt Hamburg von der bedauerlichen Thatsache ver ständigte, daß eS vom 1. Oktober des lausenden Jahres ab auf die Dienste deS Herrn vr. Fritz Zarnow Verzicht zu leisten haben werde. Der Schreiber machte kein Hehl daraus, daß seine Anschauungen mit den von besagten löblichen Scholarchat vertretenen Grundsätzen in unlösbaren Wider spruch gerathen seien, den er aus andere Weise als durch Ausscheiden auS einer ihm liebgewordenen Stellung nicht auSzugleichen wisse. So hatte bei Zarnow die reine Vernunft einen glänzen den Sieg über die praktische davongetragen und mußte sich damit über die Niederlage trösten, die sie gleichzeitig bei dem zweiten Hausfreunde der Familie Friedrichsen, Herrn Paul Mauvillon, erlitt. Da« von deni jungen Mauvillon im Cremon gegründete Weingeschäst hatte unter seiner Leitung eine ziemlich solide Stellung errungen und würde einen noch größeren Auf» schwung genommen haben, hätte er noch etwas mehr Capital hinein stecken können. Ai« er Helene Friedrichsen kennen lernte und seine Aufmerksamkeiten von dem reichen Mädchen günstig ausgenommen wurden, glaubte er den Augenblick gekommen, um seinem Fortschritten ein rascheres Tempo zu verleiben. Er gerieth daher in die äußerste Bestürzung, at er unter seiner heutigen Morgencorrespondenz auch folgende» Briefcken von Helene vorfand: „Lieber Paul, durch die traurigen Ereignisse der jüngsten Zeit ist auch meines Bruders Firma stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Ich habe mich entschließen müssen, wie Cäcilie, ebenfalls da« kleine Vermögen berzugeben, das eigent lich meine Mitgift bilden sollte. Als armes Mädchen glaube ich aber, Dick von dem Worte entbinden zu müssen, daß Du einem reichen Mädchen gegeben hast. Willst Du unS heute Nachmittag besuchen, so können wir Wetter über die Sache reden. Jedenfalls brauchst Du nicht zu befürchten, daß ich Dir unnötbige Schwierigkeiten und Verlegenheiten bereiten werde. Helene." Als dieser Brief geschrieben und Cäcilie vorgelesen wurde, äußerte sie: „Wenn Zarnow ein solche« Billet von mir bekäme, würde er Alles stehen und liegen lassen, zu mir stürzen und mich fußfällig anflehen, mich auf der Stelle mit ihm trauen zu lassen." „Und meine schöne Schwester würde sofort einwilligen, vorausgesetzt . . ." „Warum stockst Du, Heimtückische?" „Vorausgesetzt, daß er nicht zu den Eskimos ginge, und daß er Dir doch wenigsten- Köchin, Stubenmädchen unv Zofe Hallen könnte." „Wäre es bei Dir ander«?" „Wenn ich Jemand recht herzlich lieb habe, gewiß." „Schade, daß Zarnow nicht Dich vorgezogen hat," sagte Cäcilie bissig. Aber Helene zuckte »ur lackend die Schultern und war über die Bosheit der Schwester nicht im Mindesten beleidigt. Spät am Nachmittage kam Paul. Er war nicht eigentlich das, waS man einen hübschen Mann nennt, aber eine gewisse Blasiertheit, die Folge einer etwa« stürmisch verlebten Jugend stand ibm nickt übel. Als selbstständig etablirter Kaufmann trug Paul >m Schnitt seines Backenbart««, seiner Röcke uud Ueberzieher «ine gewisse ehrbare Solidität zur Schau, welcher da« schon merklich dünner werdende Haupt haar zur wetteren Bekräftigung diente. Er begrüßte Helene mit einem zärtlichen, Cäcilie mit einem ehrerbietigen Handkuß und «ine zu Besuch anwesende junge Dame von schlanker Figur, aber wenig anziehenden GesichtSzügen, mit einer tiefen Verbeugung. Paul sab sie heute zum ersten Male, nickt ahnend, welche wichtige Rolle sie noch einmal in seinem Leben spielen sollte. Die Dame stand nicht mehr in der ersten Jugendblüthe, aber ihre schlanke Figur zeigte Anmuth in Haltung und Formen. Ihr Antlitz war unschön mit den unregelmäßigen Zügen, dem großen Mund und der bräunlichen Hautfarbe. Doch der Ausdruck dieses Gesichte- sprach von wohlwollender Freundlichkeit und HerzenSgltte, und wenn sich die frischen, etwas zu vollen Lippe» öffneten, glänzten dazwischen zwei Reihen tadelloser Zäbne. Tie groven braunen Auge» und daS volle dunkle Haar waren weitere Vorzüge a» ihrer äußeren Erscheinung. Fräulein Refchwitz nahm bald Ab schied, und dies benutzte Cäcilie, um ihre Schwester mit Paul allein zu lassen. „Du bast mir eineu sebr sonderbaren Brief geschrieben," begann Paul die Unterredung. „Er hat mir den ganzen Tag verdorben." „Wirklich!" spottete sie. „Du scheinst Deiner Bewegung dock mit leidlicher Fassung Herr geworden zu sein." Paul ließ sich nicht beirren. „Ich fand den Ton eigentlich sonderbarer als den Inhalt," bemerkte er. „Der Inbalt ist so correct wie möglich, aber der Ton eisigkalt." „Das scheint mir Beide« ganz vortrefflich zusammen zu stimmen." „Vielleicht," gab Paul zu. „Aber dock bat cs mich schmerzlich berührt, daß Du mir schreiben konntest, als wäre eS selbstverständlich, daß wir unS jetzt trennen müssen." Helenens Gedanken flogen einen Augenblick zu dem ernsten Gelehrten hinüber, der gestern da gesessen hatte, und sie malte sich aus, mit welchem leidenschaftlichen Ungestüm er wohl auf Cäcilie einslürmen würde, wenn er von ihr einen solchen Brief bekommen hätte. Es wollte ein tiefer Seufzer aus ihrem Innern anfsteigen, aber sie zwang ihn in ihre Brust zurück. „Hast Du meinen Brief ausmerksain gelesen?" fragte sie. „Wie kannst Tu daran zweifeln?" „Weil ich dann nickt begreife, wie Du Dick wundern kannst, daß ich unsere Trennung al» etwa« Selbstverständ- liches betrachte." Paul nahm Helenen- Hand, spielte mechanisch mit ihren Fingern und sagte, gegen seine sonstige Manier schwerfällig nach Worten suchend: „Deute eS mir nicht übel, liebe Helene, wenn ich Dich
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