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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.04.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-04-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970410020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897041002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897041002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-04
- Tag1897-04-10
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Reclamen unter dem Redactivnsstrich (4,0- spalten- 50^, vor den Faiilllienilachrichteu (6 gespalten) 40 Größer« Schriften laut unserem Preis» »etzeichniß. Tabellarischer und Ztffetnjatz nach höherem Tarif. Extra-Vetla-en (gesalzt), nur mit d«. Morgen-Au-gabe, ob ne Postbesörderum» 60.—, mit Postbestirderung 70.—. Annahmeschluß fSr Anzeige«: Abend-AuSgab«: Vormittags 10 Uhr. 92orgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen »nd Annahmestellen je eine halbe Stund« früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und «erlag von S. Polz in Leipzig. 183. Sonnabend den 10. April 1897. SI. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 10. April. Nach der „Voss. Zta." hat im Reichstagswahlkreise Torgau- Lleboadeerda in der Stichwahl der Eanbidat der Freisinnigen Volk-Partei Knörcke, der 8883 Stimmen erhielt, über den Candidaten der ReichSpartei Busseniu<, auf den nur 6326 Stimmen fielen, gesiegt. Die Niederlage de« freiconservativen Caudidaten kann nicht überraschen, denn sein« Lage war von vornherein nicht günstig, da man annebmen mußte, daß die in der Hauptwahl abgegebenen 1800 socialistische» Stimmen durchgängig dem freisinnigen Bewerber zugute kommen würben. Freilich glaubt« man andererseits erwarten zu dürfen, daß von den der Hauptwahl fern gebliebenen 7000 Wählern ein erheblicher Theil sein« Stimme in der Stichwahl für den con« servativen Caudidaten abgeben würde; dies um so mehr, als bei der Hauptwahl der freiconservativen Bewerber 2000 Stimmen weniger erhalten batte, als sein Parteigenosse im Jahre 1883. Daß für den freisinnigen Candivaten eine größere Stimmenzabl aus der in der Hauptwabl zurückgebliebenen Reserve abgegeben werden würde, war schon deshalb nicht anzunehmen» weil der freisinnige Candidat schon in der Hauptwahl 800 Stimmen mehr erhalten hatte als 1893. Die Stichwahl hat diese theoretisch gerecht fertigten Vermuthungen über den Haufen geworfen. In 55 Städten und größeren Dörfern hat der freisinnige Bewerber 822 Stimmen mehr erhalten, als in der Hauptwabl auf ihn und den socialistischen Candidaten zu sammen entfallen waren, während für den freiconservativen Candidaten in diesen Orten nur 465 Stimmen mehr ab gegeben wurden, al« bei der Hauptwabl. Die Elemente also, die der Hauptwabl ferngeblieben waren, haben sich zu einem größeren Theile für den freisinnigen Candidaten erklärt, als für den freiconservativen Bewerber. Daß dieser Uebergang eine« vorwiegend ländlichen Wahlkreises in freisinnige Hände weder auf eine Bekehrung zu den fortschrittlichen An schauungen im Allgemeinen, noch auf eine besondere Vorliebe für Herrn Knörcke im Besonderen zurückzusüh.-cu ist, ist schon nach der Hauptwahl hrrvorgehoben worden. Es muß vielmehr daran festgehalten werden, daß das Ergebniß der Stichwahl, das eine noch schärfere Oppositionsneigung verräth, darauf beruht, daß die Mißstimmung im Lande inzwischen noch gewachsen ist. Man braucht nicht weit zu gehen, um die Gründe dafür zu finden. Hegt man doch angesichts der eigenthümlichen Angelegenheit mit dem angeb lichen Glückwunschtelegramm an den Fürsten Bismarck schon wieder die^ Besorgnitz, daß in unserem Vaterland« Jn- triguantea sich breitmachen, die das Verhältniß zwischen Denen, di« sich am allerersten verstehen sollten, und vas Verhältniß zwischen dem Herrscher und seinem Volke zu vergiften bemüht sind. Binnen weniger Tatze sind zwei in den Händen der ge mäßigten Parteien befindliche Wahlkreise an radikale Ab geordnete übergegangen, der eine an einen Polen, der andere an einen Volksparteiler. Ein dritter Wahlkreis, Wies baden, dürfte demnächst folgen. Da es fraglich ist, ob Conservative und Nativualliberale mit demselben Eifer, wie 1893, wo eS sich um die Militairvorlage handelte, für einen Candidaten der freisinnigen Vereinigung eintreten werden, so dürfte di« Stichwahl zwischen BolkSpartei und Social demokratie liegen. Sollte aber selbst der Anhänger einer der gemäßigten Parteien mit den Socialisteu in die Stich wahl kommen, so wird das Centrum, da- eben jetzt wieder einen scharfen Ton der Opposition anschlägt, diesmal den Sieg des gemäßigten Bewerbers mit allen Mitteln zu Ver bindern suchen. Das Eine muß man schon jetzt sagen, nicht blos in Bezug auf einzelne Ersatzwahlen, sondern auf die nächsten allgemeinen Wablcn überhaupt, daß, wenn die all gemeine Unzufriedenheit andauert, die Wahlen den Radikale» eine erhebliche Verstärkung bringen werden, was, da die Radikalen allein nicht regieren können, bedeutet, daß das Centrum noch mehr als jetzt dir führende Nolle übernimmt. Aus Tiidwcst-Afrika ist gemeldet worden, daß zwischen dem Vorsteher der Hauptpostagentur in Windhoek, Sachs, und dem Oberlandesver messcr Dürling ein Duell statt- gesunden habe, das für den crsteren rödtlich verlaufen sei. Die Erregung über Duelle, die im Mutt er lande statt finden, ist bekanntlich von Jahr zu Jahr gestiegen. Duelle in den Colonien haben aber noch etwas viel Bedenk licheres. Einmal nämlich leidet durch derarligc Vorgänge »otbwendigerweise das Ansehen der Deutschen bei den Eingeborenen, die zu leicht zu der Argumentation verführt werden können, daß, wenn ein Deutscher auf einen Deutschen schießen darf, der schwarze Mann mindestens mit demselben Fug auf die Deutschen schießen dürfe. Außerdem aber kann die verhältnißmäßig geringe Zahl der Deutschen nur durch Einmüthigkeit und Geschlossenheit den Eingeborenen den nölhigen Respekt einflößen. Mißhelligkeiten, die offen zu Tage treten — und schärfer als in einem Duell können sie ja nicht öffentlich zum Ausdruck gebracht werden — müssen den Respekt vor den deutschen Machthabern vermindern. Freiherr v. Bütow, der so lange in Südafrika gewesen ist, hebt in einerZu- schrist an die „Post" soeben hervor, daß die Eingeborenen sehr geneigt sind, die Europäer zu verspotten. Man wird nun gewiß nicht annebmen dürfen, daß den Eingeborenen, die von den Finessen des europäischen Ebrencodex keine Atmung haben, die Pistolenschießerei imponire; man wird vielniehr annebmen müssen, daß sie sich darüber lustig macken, wenn die weißen Massas ohne jeden ersichtlichen Grund auf einander lossckießen. Und nach Eins: wer in den Colonien ist, stebt gewissermaßen vor dem Feinde. Daß das keine Phrase ist, gebt wobt avS den mehrfachen Aufständen gerade in Siidwcstafrika genugsam hervor. Wer aber vor dem Feinde stebt, schuldet sein Leben dem Vater lau de, für das er es ja eventuell in jedem Augenblicke einzusetzen hat. ES ist dcsbalb ungleich frivoler, wenn in den Colonien ein Deu.scker dem anderen nach dem Leben trachtet, als wenn ein Duell in Deutschland selbst stattfindet. Das Opfer, daß in Südafrika nicht von der Hand der Feinde, sondern von deutscher Hand fallen mußte, ist gewiß sehr zu bedauern, aber ibm läßt sich nicht mehr helfen. Zu fordern aber ist, daß nicht nur an dem Über lebenden vas begangene Unrecht streng geahndet wird, sondern daß für die Zukunft Duelle zwischen Deutschen in unseren Schutzgebieten durch besonder« harte Strasvorschriften ver hütet werden. Die Erwartung, daß die ZollerhöHungen, die der Mae-Ktnley-Tarif vorsieht, vom Auslande nicht so ohne Weitere» werden hingenominen werden, scheint sich rasch er füllen zu sollen. Man hört bereits, daß der nördliche Nach barstaat der Bereinigten Staaten, Canada, zu Repressalien entschlossen ist. Ferner ist im deutschen Reichstage eine Interpellation über die etwaigen Sckritte der Regierung, ins besondere wegen der gefährdeten ZuckerauSfnbr, ein^ebracht worden. Da bis zum Wiederbeginn der Reichstagssitzungen eine erhebliche Zeit verstreicht, so will die Regierung an scheinend der Interpellation zuvorkomnien, indem sie wegen der Differeiizirung des Zuckers bereits Protest ein gelegt bat. Es Ware sehr bedauerlich, wenn die deutsche Negierung sich lediglich hierauf beschränken wollte, da auch andere Betriebe, ;. B. der Export von Manufactur- waaren, unter der Zollcrhöhung schwer zu leiden haben werden. Außer Deutschland haben bis jetzt Italien und die Niederlande Protest eingelegt. Italien, das nach Amerika immerhin etwa 100 Millionen an Werth cxportirt, eine für seine Exportverbättnisse überhaupt nickt unerhebliche Summe, bat jetzt, wo cS dazu schreiten will, seine wirth- schastlichen Verhältnisse zu bessern, ein besonderes Interesse daran, nickt Einbuße i» seinem Export nach dem AuSlande zu erleiden. Die Niederlande cxportiren allerdings nur für eine verhältnißmäßig geringe Summe nach Amerika; da sie aber sehr stark aus den Vereinigten Staaten jinportiren, so sind sie besonders in der Lage, Repressalien zu üben. Hoffentlich wird auch Frankreich dem Proteste und, falls -dieser nichts fruchtet, den etwaigen Repressalien sich anschließen. Frankreich exportirt für einige Hundert Millionen Francs nach den Vereinigte» Staaten, und zwar gerade auch von solchen Gegenständen, deren Einfuhr durch den Tarif wesentlich erschwert wird. Im klebrigen kann man nicht nur auS den letzthin vollzogenen Gemeinde wahlen, sondern auch aus SlimmungSberichten, die deutschen, englischen und holländischen Zeitungen aus den Vereinigten Staaten zugehen, entnehme», daß die Begeisterung für die Mac-Kinley-Bill in weilen Kreisen des amerikanischen Volkes sehr gering ist, und daß insbesondere die Landwirtbschaft den Folgen der Bill mit großem Mißtrauen entgegensieht. Ueber die dänische Neutralität ist bekanntlich am 3. December v. I. eine Volksthingresolution gefaßt worden, der sich die Negierung anzuschließcn erklärte. Desto größeres Erstaunen muß e« erregen, daß sieb jetzt in der ministeriellen Presse wieder Deduktionen gegen diese Neutralisicung finden, wobei offen eingestanten wird, daß man 1861—70 auswärtige Bündnisse gegen Deutschland gesucht habe; seitdem aber sei diese Tendenz in das Gegentbeil umgeschlagcn,und die Befestigung Kopenhagens sei als eine nördliche Schutzwebr Deutschlands an- zuschen, was auch Feldmarschall Moltke anerkannt habe(??). Auch die dänische VcrfassungSkrise des Augenblickes dreht sich um militairiscke Fragen; die Volksthingmehrheit bat vom Etat 200 000 Kr. für die weitere Entwickelung der Kopen- bagener Befestigung gestrichen und dadurch das Ministerium Recdtz-Thott zu der Drohung mit dem Rücktritt veranlaßt; unter der Hand sind dann vom Volkstbing 40 000 Kr. an- gebolen worden, womit sich aber die Negierung nicht zufrieden geben will. Immerhin scheint die Mehrheit zu bröckeln, wie der Austritt des Volksthing-Präsidenten HögSbro aus dem Vorstand der Linken - Reformpartei beweisen dürfte. Entschieden humoristisch wirkt es, wenn die nordschleswigsche Dänenpresse die mecklenburgische Ver lobung des präsumtiven Thronfolgers, des Prinzen Christian, durch den Mangel an nichtdeutschen Prinzessinnen lutherischen Glaubens entschuldigen zu sollen meint; so sei man leider zu dieser Verlobung genöthigt gewesen. Recht schmeichelhaft, bemerken hierzu die „Bert. N. N."» für die künftige Dänenkonigin, und bei einer doch von beiden Seiten her durchaus deutschen Herkunft der jetzigen Dynastie, mit einer bereits im 13. Jahrhundert aufhörenden dänischen Blutmischung, doppelt abgeschmackt. An der griechisch-türkischen Grenze hat der erste größereZusamrnenstvß stattgefunden. Man berichtet uns : * London, 8. April. Ein Specialcorrrspondent de« „Reuter'schen Bureaus" telegraphjrt aus Elajsona von heute Mittag: Nach hier eiugetrofseuen Nachrichten drangen dir Banden der griechischen Briganten bei Krania in der Nähe von Ärevena in türkisches Gebiet ein, dieselben wurden von den türkischen Truppen beschossen. Das Gefecht dauert feit heute früh fünf Uhr. Edhem Pascha giebt Befehl, Alles vorzubereiten. Ob sich griechische Soldaten unter den Brigantenbandcn befinde», ist noch nicht bekannt. (Wiederholt.) * Elassoiia, 8. April. (Meldung des Reuter'schen Bureaus.) Weitere hier eingcgaugrne Nachrichten bestätigen den Ausbruch von Feindseligkeiten zwischen griechischen Irregulären und türkischen Truppen. Der größere Theil der in Grevena slationirten türkischen Division unter Hakki-Pascha rückt gegen die ins türkische Gebiet Eingefallenen vor. Marschall Edhem Pascha wird den sofortigen Vormarsch des türkischen Heeres befehlen. In den Reihen der Angreifer sind griechische Uniformen be merkt werden. Die Lage wird hier als äußerst ernst bezeichnet. Marschall Edhem Pascha verbleibt im Hauptquartier in Erwartung weiterer Nachrichten. Der Marsckall hat die Divisions-Generäle angewiesen, sich zum sofortigen Vorgehen bereit zu halten. Die Reserven rückten aus dem hiesigen Lager aus, um näher gegen die Vcrtheidigungslinie auszumarschiren. Greven a ist etwa 18 Stunden von Elassona entfernt. * Athen, 10. April, 1 Uhr 50 Min. früh. (Telegramm.) Meldung der „Agence Havas". Nach einer aus Kalambaka hier eingegangenen Privatdepesche hat eine Bande, welche dorthin zurück- znkehren gezwungen wurde, ein lebhaftes Gewehrfeil er zwischen den griechischen und türkischen Stationen gehört. Amtliche Depeschen melden lediglich den Vormarsch dreier Banden von zusammen 2600 Mann. * Athen, 10. April. (Telegramm.) Meldung der „Agence Havas". Wie versichert wird, hatten Aufständische beim Urber- fchrriten der makedonischen Grenze einen Zusammen stoß mit zwei türkischen Posten. Der Ausgang dieser Begegnung ist noch unbekannt, die Aufständischen konnten indessen weiter ziehen. Auch diesmal bandelt eS sich, wie bei einigen schon letzt hin vorgekommencn Rencontres nur um den Vorstoß irregulärer griechischer Banden, und man kann deshalb noch nicht sagen, daß Griechenland mit der Türkei sich osficiell auf Kriegsfuß befinde; aber der neuerliche Zu sammenstoß scheint doch die Folge eines planmäßigen Vorgehens griechischerseits zu sein. und dieses scheint unter der Leitung griechischer Officiere zu stehen; auch handelt eS sich nicht mehr um die Provokation einer Handvoll griechischer ExaltadoS, sondern um eine Freischaar von einigen Tausend Mann. Der Vorstoß wird denn auch aus türkischer Seite sehr ernst genommen und Edbcm Pascha zieht bereits Befehl für den Kriegsfall. Will Griechenland den Krieg, so braucht es nur den mit den türkischen Truppen hand gemein gewordenen Banden mit regulärem Mililair zu Hilfe zu kommen, wenn sie, wie vorauszusehen ist, sich, von den Sj Sneewittchen. Roman von A. I. Mordtmann. Nachdruck verboten. Paul säumte nicht, das Glück beim Schopfe zu fasten. „Ihre Frage sollen Sie mir beantworten, Anna", sagte er zärtlich. „Sie wissen ja, wer die Dame ist. Ist sie — sind Sie arm? Sprechen Sie!" „Und wenn ich eS nicht wäre?" fragte sie verwirrt da gegen. „Dann wäre ich um die schönste Hoffnung meines Lebens gebracht!" betheuerte Paul. „Ich beschwöre Sie, Anna, seien Sie ehrlich mit mir." „Ich bin ein armes Mädchen, Herr Mauvillon", ant wortete Anna. „Das ist die ehrliche Wahrheit." DieS war in so überzeugendem Tone gesprochen, daß Paul tatsächlich einen Augenblick irre wurde. Aber er ließ es sich nicht merken, und als sich beide wieder den übrigen Gästen zugesellten, batte Anna ihm die Erlaubniß gegeben, bei Frau Delmar um ihre Hand anzuhalten. Es war nur eine Form; denn Anna hatte frei und unabhängig über sich selbst zu verfügen. Nur Ein» wußte Anna nicht, als sie ihre Zusage ertheilte; daß nämlich Herr Paul Mauvillon heute früh den Cassen- boteü von Mauvillon L Co. mit einigen Gelvbriefen batte Weggehen sehen und darunter zwei, die ihn besonder» inter- essirten, bemerkt hatte, einen an Frau Delmar mit 1000 und einen an Fräulein Anna Rcschwitz mit 2500 Vor dem „Neffen der Firma" gab e« keine Geschäftsgeheimnisse, und wie der Bote ihm diese Briefe zeigte, so verrirth ihm der Cassirer, daß sich die gleichen Sendungen viermal im Jahre wiederholten. Da- stimmte so genau mit Cäcilien» Angaben, daß Paul nunmehr seiner Sache ganz gewiß zu sein glaubte. lmterdeffen hatte in einem andern Theile de- Salon- Herr vr. Zarnow mit Eäcilie eine nicht ganz angenehme Unterhaltung. Da- junge Mädchen war verdrießlich darüber, daß Zarnow den Gruß Paui'S mit so beleidigender Nicht achtung erwidert habe, und da- führte zu einem kleinen Zank. Die beiden Liebenden hatten sich in der letzten Zeit nicht mehr oft gesehen, und ein leiser, leiser Schatten war für Zarnow über Cäcilien's vormal» sonnenhelles Bild gefallen, so leise allerdings wie der rasch verfliegende Duft, den eines Kinde- Hauch auf eine glatte Spiegelfläche zaubert. Als damals Zarnow bei Friedrichsen'S erschienen war, um ihnen in ihrem Unglück wenigstens das Einzige zu bringen, was er bringen konnte: tröstende und ermuthigende Worte, war «S ihm gewesen, als könne auch das Unglück die ideale Gestalt Cäcilien» nur veredeln und verschönern. Der ruhige Gleichmuth, womit sie den Verlust ihres Vermögens ertrug, freute ihn. Helene zeigte sich etwas gereizter, und der Gegensatz zwischen beiden Mädchen fiel ganz zum Vortheil der Geliebten aus. Seitdem aber batte sich daS Bild verschoben. Cäcilie hatte eine Einladung zu einer Freundin im Mecklenburgische» angenommen, wo sie mehrere Wochen verweilte; und wenn Zarnow sich gegen den Eindruck sträubte, als habe die Ge liebte dadurch die Pflicht verletzt, dem Bruder iu schwerer Zeit treu zur Seite zu stehen, so war all sein Sträuben ver gebens, weil dieser Eindruck durch das entgegengesetzte Ver halten Helenen's verstärkt wurde. Es war für Rudolf eine Zeit de« heftigsten Kampfes und der bittersten Sorgen gewesen. Die förmliche Bankerott- Erklärung war allerdings abgewendet worden und Rudolf machle den Versuch, die alle Firma zu erhalten. Aber die Zeilen waren ungünstig; es war ein hoffnungsloses Bemühen, ohne Capital und ohne größeren Credit zu arbeiten. Da» allgemeine Mißtrauen war jeder Spekulation hinderlich, und Rudolf mußte erkennen, daß er vergeblich mit der Ungunst der Zeiten ringe. Es blieb ihm nichts Andere- übrig, al» die Geschäfte zu liquidiren, was dank dem thatkräftigrn Ein greifen von Mauvillon L Co. ohne weitere Verluste bewerk stelligt wurde — und an einem schönen Nachmittage verließ er schweren Herzen» da- Comptoir, um eS niemals wieder zu betreten. Das war ein Nachmittag, den Zarnow niemals vergessen sollte. Al» Rudolf beimkam, war Zarnow in der Wobnung der Friedrichsen'S, weil heute die deimkehreade Cäcilie er wartet wurde. Während de- Heimwege» hall« Rudolf mannhaft mit dem herben Leid gerungen, das immer wieder iu ibm aufstieg. ES gelang ihm wirklich, e» niederzukämpfen, und indem er die Schwester und den Freund begrüßte, machte er ein heitere» Gesicht, als wenn da- seit Wochen Unabwend bare nun, da eS einaetreten war, gar nicht so schlimm sei. Aber dir dünne Maske dielt nicht lange vor. »Nun, das Schwerste ist geschehen", sagt« er. „Ich bin soweit ein freier Mann. Cord» schließt ad — dat habe ich dock nicht fertig bringen können — und überliefert die Schlüssel dem Hausbesitzer —." Seine Stimme fing an, leise zu zittern, Zarnow und Helene trauten sich nicht, zu ihm zu treten und etwas Tröstendes zu sagen, weil sie fürchteten, seine Standhaftig keit HU erschüttern. „Ja, Cords — Du kennst unseren alten Hausknecht — er kommt zu Mauvillon — aber er trennte sich schwer, so schwer — er — er " Und plötzlich brach eS loS. Rudolf legte den Arm auf ven Tisch und brach in Schluchzen aus wie ein kleines Kind. Zarnow stand regungslos mit überstrvmenden Augen da — ihm versagte» die Worte; Helene kniete neben Rudolf und weinte still. Cäciliens Abwesenheit fiel Zarnow wie ein häßlicher Mißklang auf die Seele. Wäre nicht schon während der ganzen verflossenen Zeit ihr Platz an Rudolf s Seite ge wesen? Zarnow batte mit Bewunderung gesehen, wie Helene seit dem Unglücksabend wacker und muthig alles Leid mit dem Bruder zusammen getragen, wie sie uner müdlich für seine Behaglichkeit gesorgt, wie sie ihn mit unerschöpflicher guter Laune aufrecht erhalten und auf geheitert batte. Eine liebende Gattin hätte nicht hin gebender sorgen können wie dir- Mädchen, da- Zarnow für oberflächlich und eigensinnig gehalten hatte. Und sie war hier, während Cäcilie ferne weilte und nur von den ange nehmen Tagen zu berichten wußte, die sie auf dem Gute ihrer Freundin verlebte. Allmählich legten sich die Wogen de» wilden Schmerzes, und Rudolf wurde ruhiger. Er konnte wieder zusammen hängend sprechen und so erzählte er, während Heteoe noch immer bei ihm kniete und Zarnow mit beiden Händen festen Drucke- seine Rechte umfaßt hielt: „Ja, e» war riu schwerer Augenblick. Cord» hat ge heult, der alte Narr, und mich beschworen, ich sollt« doch nur ein kleines Geschäft, und wäre e« auch ein Laden mit allerhand „Tüderkram", wie er e» nannte, eröffnen; er bliebe bei mir, ohne Gebalt — er hätte sich ja ein paar Mark erspart — na, schließlich war er zufrieden, al- ich ihm sagte, ich käme al- Buchhalter zu Mauvillon L Co." „So, ist da« gewiß?" fragte Zarnow. „Du bist also doch vor Noth geschützt?" „Ja, da» bin ich. E« ist freilich eine abhängige Stellung, aber wie Mancher muß jetzt Gott danken, wenn er nur so viel hat." „Es ist doch bitter", sagte Helene leise. „Armer Rudolf!" Ihr Bruder strich ihr liebkosend über das volle Haar. „Das meinte Cords auch", sagte er, „aber der gute Kerl freut sich, daß er wenigstens in einem Geschäft mit mir bleibt. Und denkt Euch — es ist wirklich lächerlich —" dabei liefen ihm die Thränen wieder über die Backen — „Der Schauer mann Wendt und der Eversührer Martens waren bei mir — beide zusammen, um sich immer gegenseitig auszuhelfen, wenn dem einen die Worte ausgingen — und ich sollte dock nur um GotteSwillen die alte Firma nickt erlöschen lasten — sie wollten gern ein Jahr, und wenn es sein müßte, zwei creditiren; sie hätten soviel an uns verdient, und wir hätten un» immer so nobel gezeigt —" „Es giebt doch noch brave Menschen", sagte Zarnow. „Da soll man nicht verzagen." „Nein, bei Gott nicht, alter Junge! Und nun — niit Ehren haben wir bestanden, mit Ehren sind wir unter- gegangen — ich war beute so traurig und doch wieder so stolz . . ." So ging das Gespräch weiter, und Rudolf'» Aufregung wich mehr und mehr einer stillen Wehmuth. Ihre Unter haltung wurde erst durch Cäcilien« Ankunft unterbrochen, und nun verdichtete sich der trübe Nebel noch mehr, der für Zarnow auf ihr ideale- Bild gefallen war. Sie mochte von der Reise etwa- abgespannt sein, und darauf schob eS Zarnow auch, daß sie zunächst wie ein fremde- störendes Element in dem traulichen Kreise erschien. Er mochte auch empfindlicher denken und schärfer beobachten als sonst, aber er konnte sich de« Gefühl- nicht erwehren, daß Cäcilie nur küble Tbeilnahme für den Schmerz Rudolf'« hatte, die in unerfreulichem Gegensatz zu dem tiefinnerlichen Antheil HelenenS stand. Als Rudolf erwähnte, welches Gehalt ihm die Firma Mauvillon L Co. auSgesetzt hatte, berechnete Cäcilie sofort, daß er sich dabei im Grunde besser stünde, al« wenn er unter den gegenwärtigen Umständen die Fortführung der alten Firma versucht hätte. Vielleicht, so versuchte sich Zarnow einzureden, sprach sie so, um den Bruder zu trösten, aber es war doch peinlich, daß sie für Rudolf'« Empfindungen bei diesem Hinabglriten in «ine untergeordnete Stellung kein Auge zu haben schien. Seitdem hatten sich diese quälenden Eindrücke wieder ge mildert, aber doch nicht ganz verwischt. Durch den unsicheren Stand seiner eigenen Angelegenheiten ohnehin ernster ge stimmt al- sonst, war Zarnow geneigt, die Schuld an seiner
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